Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 37/2000

18. Mai 2000

Schlußanträge des Generalanwalts Antonio SAGGIO
Rechtssache C-290/98

Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Republik Österreich

GENERALANWALT SAGGIO SCHLÄGT VOR, FESTZUSTELLEN, DASS ÖSTERREICH GEGEN DIE RICHTLINIE 31//308/EWG ÜBER DIE GELDWÄSCHE VERSTOSSEN HABE


Nach Ansicht des Generalanwalts hat Österreich dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie verstoßen, daß es bei der Eröffnung von Sparbüchern in Schilling die Feststellung der Identität in Österreich ansässiger Kunden nicht und bei der Eröffnung von Wertpapierkonten die Feststellung der Identität der Kunden erst seit dem 1. August 1996 vorgesehen hat.

Die Richtlinie 91/308/EWG soll die Benutzung des Finanzsystems zur Wäsche von Erlösen aus kriminellen Tätigkeiten verhindern und so das Ansehen des Finanzsystems und das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes garantieren. Allgemein sieht sie das Verbot jeder Art von Geldwäsche und bestimmte Verpflichtungen der Kreditinstitute vor: Diese müssen die Identität ihrer ständigen Kunden in jedem Fall und die Identität von Gelegenheitskunden immer dann feststellen, wenn diese Transaktionen im Wert von 15 000 ECU oder mehr tätigen; ferner müssen sie die Identität von ständigen oder Gelegenheitskunden feststellen, wenn diese als Mittelspersonen tätig werden und wenn der Verdacht der Geldwäsche besteht.

Die Richtlinie war bis zum 1. Januar 1993 in nationales Recht umzusetzen.

Für Österreich galten diese Verpflichtungen vom Zeitpunkt seines Beitritts zur Europäischen Union, dem 1. Januar 1995, an.

Das österreichische Bankenrecht sieht die Pflicht zur Feststellung der Identität des Kunden vor, wenn dieser eine dauernde Geschäftsbeziehung zur Bank anknüpft, eine Transaktion im Wert von mindestens 200 000 Schilling (als Gelegenheitskunde) tätigt oder wenn der begründete Verdacht der Geldwäsche besteht. Allerdings besteht trotz der Aufhebung einiger Ausnahmen von der Pflicht zur Identitätsfeststellung seit dem 1. August 1996 noch Anonymität für in Österreich ansässige Kunden bei der Eröffnung von Sparkonten in inländischer Währung sowie eine Ausnahme von der Identitätsfeststellung bei der Eröffnung von Wertpapierkonten.

Sparbücher

Die Kommission beanstandet die Anonymität bei der Eröffnung von Sparbüchern in inländischer Währung durch und zugunsten von in Österreich ansässigen Personen.

Nach Ansicht des Generalanwalts fallen die Sparbücher unter den Begriff der ständigen "Geschäftsbeziehungen" im Sinne der Richtlinie. Die bloße Prüfung des Wohnorts bei der Eröffnung des Sparbuchs sei nicht ausreichend, da sie nur der Ermittlung des Wohnlandes des Kunden diene, damit gegebenenfalls seine Identität festgestellt werden könne, wenn es sich um einen Gebietsfremden handele.

Das Vorbringen Österreichs, diese Art von Konten werde nicht vom Geltungsbereich der Richtlinie erfaßt oder eigne sich in der Praxis nicht für die Zwecke der Geldwäsche, sondern sei vielmehr bei der gesamten Bevölkerung weit verbreitet, und die Pflicht zur Identitätsfeststellung stehe außer Verhältnis zur Zielsetzung der Richtlinie, hat der Generalanwalt nicht für stichhaltig befunden.

Der Generalanwalt gelangt daher zu dem Ergebnis, daß Österreich durch die Beibehaltung der Anonymität bei der Eröffnung von Sparbüchern nach dem Beitritt gegen die Geldwäscherichtlinie verstoßen habe.

Wertpapierkonten

Die Kommission wirft Österreich vor, es habe die Anonymität der Kunden bei der Eröffnung von Wertpapierkonten erst mit Wirkung vom 1. August 1996 (und nicht vom 1. Januar 1995) beseitigt und die Identitätsfeststellung bei Transaktionen im Zusammenhang mit bestehenden Wertpapierkonten nur für den Erwerb und die Entgegennahme von Wertpapieren vorgesehen.

Die Argumentation Österreichs mit der Notwendigkeit, das Vertrauen der Marktbürger zu schützen, die vor dem erwähnten Zeitpunkt anonyme Konten eröffnet hätten, und eine massive Kapitalflucht in Drittländer zu verhindern, greift nach Ansicht des Generalanwalts nicht durch.

Keiner dieser Gründe ist nach seiner Ansicht im EG-Vertrag als Rechtfertigungsgrund einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit oder des freien Warenverkehrs anerkannt. Auch die von Österreich angeführten internen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Gründen der Zweckmäßigkeit begründeten keineswegs die "absolute Unmöglichkeit", eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zu erfüllen, die die Rechtsprechung als möglichen Rechtfertigungsgrund zulasse.

Der Generalanwalt gelangt daher zu dem Ergebnis, daß Österreich dadurch gegen die Richtlinie über die Geldwäsche verstoßen habe, daß es erst mit Wirkung vom 1. August 1996 die Feststellung der Identität der Kunden bei der Eröffnung von Wertpapierkonten vorgesehen habe.

Hinweis: Die Schlußanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag zu unterbreiten.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument liegt in italienischer und deutscher Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlußanträge in italienisch, französisch und deutsch konsultieren Sie bitte heute ab ca. 15.00 Uhr die Homepage des Gerichthofes unter www.curia.eu.int.

Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Frau Dr. Ulrike Städtler, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.