Eine gesetzliche Regelung, durch die Elektrizätsversorgungsunternehmen dazu verpflichtet werden, Strom aus erneuerbaren Energien zu einem festgelegten Mindestpreis abzunehmen, stellt aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht keine staatliche Beihilfe zugunsten der Erzeuger von Ökostrom dar.
Beschränkt sich die Abnahmepflicht auf in dem betreffenden Mitgliedstaat erzeugten Ökostrom, so ist eine derartige Regelung als Massnahme gleicher Wirkung wie eine Einfuhrbeschränkung gemeinschaftsrechtlich verboten, soweit sie nicht durch Gründe des Umweltschutzes gerechtfertigt ist.
Hintergrund
Auf der ersten Ebene des deutschen Stromsektors erzeugen einige wenige Grossunternehmen den grössten Teil des in Deutschland verbrauchten Stroms und betreiben Hochspannungsnetze, über die u.a. die Belieferung regionaler Versorgungsunternehmen erfolgt. Die Klägerin im Ausgangsverfahren PreussenElektra ist ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen dieser ersten Ebene. Auf der zweiten Ebene betreiben ca. 60 regionale Elektrizitätsversorger Mittelspannungsnetze, über die Strom aus der ersten Ebene aufgenommen und im gesamten Bundesgebiet verteilt wird. Die Beklagte Schleswag AG ist ein solches regionales Versorgungsunternehmen.
Um die Nachfrage für Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind, Wasser und Sonne zu stärken wurde im Jahre 1990 das Gesetz über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz (Stromeinspeisungsgesetz) erlassen. Stromversorgungsunternehmen wurden dazu verpflichtet,den in ihrem Versorgungsgebiet erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien abzunehmen (Abnahmepflicht) und für diesen Strom eine gesetzlich festgesetzte Mindestvergütung zu zahlen (Mindestvergütungsregel). Für Strom aus Windkraft wurde eine Vergütung von 90% des Durchschnittserlöses aus der Stromabgabe an Letztverbraucher festgesetzt. Die deutsche Regierung hatte das Stromeinspeisungsgesetz als staatliche Beihilfe zur Genehmigung bei der Kommission angemeldet und die Kommission beschloss, zunächst keine Einwände gegen das Gesetz zu erheben.
In der Folgezeit nahm zwischen 1991 und 1995 die Anzahl der Windkraftanlagen von 500 auf fast 4000 und die Kapazität dieser Anlagen von 20 Megawatt auf 1100 MW zu. Nach Beschwerden von betroffenen Unternehmen, äusserte die Kommission in einem Schreiben an die Bundesregierung vom November 1996 Zweifel an der weiterbestehenden Vereinbarkeit des Stromeinspeisungsgesetzes mit den gemeinschaftsrechtlichen Beihilferegeln.
1998 erliess Deutschland ein Änderungsgesetz zum Stromeinspeisungsgesetz. Trotz des Schreibens der Kommission wurden darin die Abnahmepflicht und die Mindestvergütungsregel (insbesondere die 90%-Regel für Strom aus Windkraft) beibehalten. Der Anwendungsbereich des Stromeinspeisungsgesetzes wurde ausdrücklich auf in Deutschland erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien begrenzt. Ausserdem wurde eine neue Erstattungsregelung eingeführt: Soweit der aufgrund der Abnahmepflicht abzunehmende Strom 5 % des von dem betroffenen Unternehmen insgesamt abesetzten Stroms übersteigt, ist der vorgelagerte Netzbetreiber verpflichtet diesem Unternehmen die Mehrkosten zu erstatten, die durch die über 5 % hinausgehende Zwangsabnahme entstehen.
Der Ausgangsrechtsstreit vor dem Landgericht Kiel
Schleswag bezieht ihren Strom zum grössten Teil vom vorgelagerten Netzbetreiber PreussenElektra. Schleswag ist aber auch zur Abnahme des ihrem Gebiet erzeugten Windstroms verpflichtet. Das Gebiet in dem Schleswag tätig ist in Norddeutschland, bietet ideale Voraussetzungen für die Windstromerzeugung. Der Anteil des an Schleswag gelieferten Windstroms, der 1991 noch 0,77 % des Gesamtabsatzes betrug, stieg kontinuierlich an und erreichte 1998 nach Schätzungen ca. 15 %. Die Mehrbelastung der Schleswag durch die Abnahmepflicht und die Mindestvergütung stieg deshalb von 5,8 Mio. DM im Jahr 1991 auf ca. 111,5 Mio. DM im Jahr 1998.
Als mit Ablauf des Aprils 1998 die Abnahme von Windstrom durch Schleswag 5 % der im gesamten Vorjahreszeitraum abgesetzten Strommenge erreichte, stellte Schleswag PreussenElektra auf der Grundlage der neuen Erstattungsregelung Mehrkosten für die Abnahme von Windstrom in Rechnung und forderte zunächst monatliche Abschlagszahlungen von 10 Mio. DM. PreussenElektra überwies die verlangte erste Zahlung.
Im Ausgangsverfahren macht PreussenElektra gegenüber Schleswag geltend, diese Zahlung sei ohne Rechtsgrund erfolgt und deshalb rückabzuwickeln. Das Änderungsgesetz von 1998 in dem die Erstattungsregelung enthalten ist, verstosse nämlich gegen das Gemeinschaftsrecht. Zum einen hätte das Änderungsgesetz als Umgestaltung einer bestehenden staatlichen Beihilferegelung der Kommission zur Genehmigung vorgelegt werden müssen. Zum anderen verstosse das Gesetz gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs, da die Abnahmepflicht auf in Deutschland erzeugten Ökostrom begrenzt sei.
Das Stromeinspeisungsgesetz als staatliche Beihilfe
Generalanwalt Jacobs führt aus, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nur Vorteile, die unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden als staatliche Beihilfen im Sinne des EG-Verrtages angesehen werden könnten. Trotz der insoweit insbesondere von der Kommission vorgebrachten Gegenargumente, bestünden überwiegende Gründe dafür, diese Rechtsprechung fortzuführen und in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden. Nach dem Stromeinspeisungsgesetz würden die Vorteile für die Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energien ausschliesslich von den durch die Abnahmepflicht betroffenen Elektrizitätsversorgungsunternehmen und damit aus privaten Mitteln finanziert.
Das weitere Argument der Kommission, dass sich die Mehrheit der betroffenen Stromversorger im öffentlichen Eigentum befände und damit die streitige Unterstützung mittelbar aus staatlichen Mitteln finanziert sei, sei ebenfalls zurückzuweisen, weil, erstens, der deutsche Energiesektor in der Zwischenzeit mehrheitlich privat kontrolliert sei, und, zweitens, jedenfalls PreussenElektra und Schleswag sich in privater Hand befänden.
Das Stromeinspeisungsgesetz als verbotene Massnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung?
Generalanwalt Jacobs weist vorab darauf hin, dass angesichts der von ihm vorgeschlagenen Antwort auf die erste Frage, der Frage der Vereinbarkeit des Stromeinspeisungsgesetzes mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs entscheidende Bedeutung zukomme. Bedauerlicherweise sei diese schwierige und wichtige Frage aber von den Beteiligten nicht ausreichend erörtert worden. Der Gerichtshof könnte es deswegen für erforderlich halten die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Er selbst müsse sich jedenfalls auf eine kurze Erörterung der Frage und auf vorläufige Aussagen beschränken.
Nach seiner Ansicht sei zunächst festzuhalten, dass das Stromeinspeisungsgesetz als im Prinzip verbotene Massnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung anzusehen sei. Die Abnahmepflicht sei durch das Stromeinspeisungsgesetz ausdrücklich auf in Deutschland erzeugten Strom beschränkt. Dies begünstige den Absatz von inländischem Strom zu Lasten von importiertem Strom.
Eine Rechtfertigung scheide aus Gründen der Versorgungsicherheit aus.
Schlussendlich sei fraglich ob eine Rechtfertigung aus Gründen des Umweltschutzes in Betracht komme. Die Voraussetzungen der einschlägigen Vorschriften der Elektrizitätsbinnemarktrichtlinie seien nicht erfüllt. Der Berufung auf das zwingende Gemeinwohlerforderniss Umweltschutz stehe wohl die ständige Rechtsprechung entgegen, nach der direkt diskriminierende Massnahmen nich aus Gründen des Umweltschutzes gerechtfertigt werden können. Selbst wenn der Gerichtshof diese möglicherweise nicht mehr zeitgemässe Rechtsprechung aufgäbe, bestünden Zweifel ob die fragliche Massnahme mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit vereinbar sei. Insbesondere sei nicht ersichtlich warum in anderen Mitgliedstaaten erzeugter Strom aus alternativen Energien nicht im gleichen Masse zur Verringerung des Abgasausstosses in Deutschland beitragen würde wie in Deutschland erzeugter Ökostrom.
NB: Die Schlußanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Der Generalanwalt hat die Aufgabe, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung für die betreffende Rechtssache vorzuschlagen.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument liegt in deutscher Sprache vor.
Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlußanträge, die in englisch und deutsch verfügbar sind, konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr die Homepage des Gerichtshofes der EG im Internet www.curia.eu.int.
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.