Die Politik, keine Impfungen gegen die Maul- und Klauenseuche durchzuführen, ist aus
Gründen des Gesundheitsschutzes und wegen der Notwendigkeit, die Gefahr einer
Ausbreitung der Krankheit zu verhindern, gerechtfertigt. Sie trägt dem Erfordernis
Rechnung, den gemeinschaftlichen Viehbestand insgesamt zu retten, und soll die
Auswirkungen der Krise auf den Handel mit Drittländern beschränken.
Der Wohnort von Frau Jippes, Yde (Niederlande), liegt außerhalb der Impfzonen, die durch eine Entscheidung der Kommission vom 27. März 2001 geschaffen wurden, die in Durchführung der Gemeinschaftsrichtlinie die Bedingungen für die Bekämpfung und Tilgung der Maul- und Klauenseuche in den Niederlanden festlegt2. Frau Jippes beantragte beim Minister für Landwirtschaft, Landschaftspflege und Fischerei die Erteilung einer Befreiung vom Impfverbot. Nachdem sie keine Antwort erhalten hatte, legte sie Widerspruch ein und beantragte beim Präsidenten des College van Beroep voor het bedrijfsleven die Erlaubnis, ihre Tiere zu impfen.
Frau Jippes beruft sich auf einen von ihr behaupteten allgemeinen Grundsatz des
Gemeinschaftsrechts, wonach das Wohlergehen der Tiere zu gewährleisten sei.
Der Minister vertrat die Ansicht, die Tiere von Frau Jippes könnten - anders als die Tiere in
zoologischen Gärten, deren Impfung unter bestimmten Umständen zulässig sei - nicht geimpft
werden.
Das College ersucht den Gerichtshof um Entscheidung darüber, ob das in der Richtlinie
vorgesehene Impfverbot im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht (und insbesondere den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) gültig ist und ob die Kommission dieses Verbot in ihrer
Entscheidung in Bezug auf die Niederlande rechtswirksam durchgeführt hat.
Der Gerichtshof erinnert daran, dass er das Interesse, das die Gemeinschaft der Gesundheit
und dem Schutz der Tiere entgegenbringe, bereits festgestellt habe. Das dem Vertrag von
Amsterdam beigefügte Protokoll über den Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere habe die
Verpflichtung, der Gesundheit und dem Schutz der Tiere Rechnung zu tragen, verstärkt. Die
Beachtung dieser Verpflichtung werde vom Gerichtshof im Rahmen der Kontrolle des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geprüft.
Die Politik der Nichtimpfung sei aufgrund einer Studie der Kommission beschlossen worden, die
sich als Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Bilanz für diese Politik ausgesprochen habe. Diese
Feststellung habe der Rat übernommen. Aufgrund des Vorbringens der Beteiligten könne
festgestellt werden, dass das Verbot der vorbeugenden Impfung, die nicht die Beseitigung der
Krankheit erlaube, nicht die Grenzen dessen überschritten habe, was zur Erreichung des
verfolgten Zieles, des Schutzes des Viehbestands der Gemeinschaft, geeignet und erforderlich sei.
Selbst ohne einen Ausbruch der Maul- und Klauenseuche könne nämlich nicht gewährleistet
werden, dass der Virus in einer geimpften Population nicht vorkomme. Eine Politik der
vorbeugenden Impfung, die sämtliche Tiere der Gemeinschaft betreffe, wäre zudem mit
finanziellen Kosten und Kontrollnachteilen verbunden, die sehr viel größer wären als die Kosten
oder Nachteile einer Politik der Nichtimpfung. Die negativen Auswirkungen einer Politik der
Impfung auf die Ausfuhr von Tieren in Drittländer seien ebenfalls zu berücksichtigen. Schließlich
stehe nicht fest, dass eine Politik der Impfung es erlaubt hätte, weniger tierseuchenrechtliche
Tötungen vorzunehmen.
Die Richtlinie bezwecke die Erhaltung der Gesundheit des Viehbestands. Sie laufe daher nicht
dem Tierschutz zuwider. Außerdem habe der Rat dem allgemeinen Interesse Rechnung tragen
und das Ziel verfolgen müssen, die Gesundheit des gemeinschaftlichen Viehbestands insgesamt
und nicht die einzelner Tiere, deren Impfung erlaubt würde, zu schützen. Im Übrigen sei es
möglich, eine selektive, den Erfordernissen einer besonderen Situation angepasste Notimpfung
durchzuführen.
Die Entscheidung, die den Umfang der Schutzimpfzone in den Niederlanden festlege, sei
ebenfalls im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erlassen worden. Würde jedem,
der dies beantrage, die Impfung der ihm gehörenden und sich außerhalb dieser Zone befindenden
Tiere erlaubt, so bestünde die Gefahr, dass die Kontrolle der Krankheitsentwicklung beeinträchtigt
und die Ansteckungsgefahr damit erhöht würde.
Im Rahmen seiner Prüfung, ob die Entscheidung der Kommission diskriminierend ist, stellt der
Gerichtshof fest, dass die Lage der Haustiere von Frau Jippes insbesondere nicht mit der der vom
Aussterben bedrohte Arten in zoologischen Gärten vergleichbar sei, die aufgrund der
Entscheidung über die Festlegung der Impfzonen in den Niederlanden unter Umständen
notgeimpft werden könnten.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer, spanischer, französischer und
niederländischer Sprache vor.
Wegen des vollständigen Wortlauts des Urteils konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr
15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int
Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou, Tel.: (0 03 52)
43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34. |
Nach den am 1. Juli 2000 in Kraft getretenen Änderungen der Verfahrensordnung des
Gerichtshofes kann der Präsident auf Vorschlag des Berichterstatters nach Anhörung des
Generalanwalts beschließen, ein Vorabentscheidungsersuchen einem beschleunigten Verfahren
zu unterwerfen (Artikel 104a der Verfahrensordnung).
Ein beschleunigtes Verfahren kann unter zwei Voraussetzungen durchgeführt werden:
1. Das beschleunigte Verfahren muss vom nationalen Gericht beantragt werden;
2. aus den angeführten Umständen muss sich die außerordentliche Dringlichkeit der
Entscheidung über die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage ergeben.
In der vorliegenden Rechtssache hat der Präsident erstmals beschlossen, die vorgelegte Frage in
einem beschleunigten Verfahren zu prüfen.
Die mündliche Verhandlung in dieser Rechtssache, die am 27. April 2001 anhängig gemacht worden ist, hat in Vollsitzung am 20. Juni 2001 stattgefunden. Das Urteil wird am 12. Juli 2001 verkündet.
1 Richtlinie 85/511/EWG des Rates vom 18. November 1985 (ABl. L 315, S. 11) in der Fassung der Richtlinie 90/423/EWG des Rates vom 26. Juni 1990 (ABl. 224, S. 13).2 Entscheidung 2001/246/EG der Kommission vom 27. März 2001 (ABl. L 88, S. 21).