Language of document : ECLI:EU:C:2019:436

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

21. Mai 2019(*)

„Rechtsmittel – Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich – Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten – Dokumente eines EU-Pilotverfahrens – Verweigerung des Zugangs – Ausnahme zum Schutz des Zwecks von Untersuchungstätigkeiten – Allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit – Überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung – Antrag, einem Organ der Europäischen Union eine Anordnung zu erteilen – Offensichtlich unbegründetes Rechtsmittel“

In der Rechtssache C‑770/18 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 8. Dezember 2018,

Anikó Pint, wohnhaft in Göd (Ungarn), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt D. Lázár,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien des Verfahrens:

Europäische Kommission,

Beklagte im ersten Rechtszug,

Ungarn,

Streithelfer im ersten Rechtszug,


erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos sowie der Richter M. Ilešič und I. Jarukaitis (Berichterstatter),

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1        Frau Anikó Pint begehrt mit ihrem Rechtsmittel die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 9. Oktober 2018, Pint/Kommission (T‑634/17, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2018:662), mit dem das Gericht zum einen ihre Klage auf Nichtigerklärung der Beschlüsse der Europäischen Kommission vom 1. Juni und 17. Juli 2017, ihr den Zugang zu Dokumenten des EU-Pilotverfahrens 8572/16 CHAP(2015)00353 zu versagen, abgewiesen hat und zum anderen ihren Antrag, der Kommission aufzuerlegen, ihr die angeforderten Dokumente zugänglich zu machen, zurückgewiesen hat.

2        Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund rügt sie einen Verstoß gegen die Art. 263 und 266 AEUV und mit dem zweiten einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich und letzter Halbsatz der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43).

 Zum Rechtsmittel

3        Nach Art. 181 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof das Rechtsmittel jederzeit auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts ganz oder teilweise durch mit Gründen versehenen Beschluss zurückweisen, wenn es ganz oder teilweise offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist.

4        Diese Vorschrift ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

5        Der Generalanwalt hat am 14. März 2019 wie folgt Stellung genommen:

„1.      Anikó Pint ist eine ungarische Staatsangehörige, die Mitglied eines Verbraucherschutzvereins ist, der den Anstoß dazu gab, dass die Kommission im Laufe des Jahres 2016 das die Vereinbarkeit verschiedener ungarischer Gesetze mit der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) betreffende EU-Pilotverfahren 8572/16 CHAP(2015)00353 (im Folgenden: streitgegenständliches EU-Pilotverfahren) eröffnete. Frau Pint hatte während des laufenden Pilotverfahrens bei der Kommission einen Antrag auf Zugang zu allen Dokumenten dieses Verfahrens gestellt. Ihr Antrag wurde mit Schreiben vom 1. Juni 2017 unter Verweis auf Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001, der u. a. den Schutz des Zwecks von Untersuchungstätigkeiten betrifft, abgelehnt. Auf einen von der Rechtsmittelführerin eingereichten Zweitantrag hielt die Kommission am 17. Juli 2017 an ihrer Verweigerung des Zugangs zu den betreffenden Dokumenten fest.

2.      Die Rechtsmittelführerin erhob beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung der beiden ablehnenden Beschlüsse der Kommission. Sie beantragte außerdem, der Kommission aufzuerlegen, ihr die angeforderten Dokumente zugänglich zu machen. Im angefochtenen Urteil wurde dieser Antrag für unzulässig erklärt und die Klage im Übrigen als unbegründet abgewiesen.

3.      Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe, mit denen sie im Wesentlichen einen Verstoß gegen die Art. 263 und 266 AEUV und einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich und letzter Halbsatz der Verordnung Nr. 1049/2001 rügt.

4.      Aus den nachstehend dargelegten Gründen schlage ich dem Gerichtshof vor, das Rechtsmittel gegen das angefochtene Urteil gemäß Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen und zu entscheiden, dass die Rechtsmittelführerin gemäß Art. 137 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ihre eigenen Kosten trägt, wobei der auf Art. 181 der Verfahrensordnung gestützte Beschluss ergehen sollte, bevor das Rechtsmittel den anderen Parteien des Verfahrens zugestellt wird und ihnen Kosten entstehen können.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund

5.      Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund rügt die Rechtsmittelführerin, dass das Gericht ihren dritten Klageantrag zurückgewiesen und sich geweigert habe, der Kommission aufzuerlegen, ihr die angeforderten Dokumente zugänglich zu machen. Sie wendet sich gegen die Auslegung der Art. 263 und 266 AEUV durch das Gericht. Außerdem macht sie geltend, die vom Gericht angeführte Rechtsprechung beziehe sich nicht unmittelbar auf diese Bestimmungen, sondern wiederhole nur, dass die Unionsgerichte ihre Zuständigkeit für den Erlass von Anordnungen verneinten. Somit habe sich das Gericht nicht kritisch mit seiner eigenen Rechtsprechung auseinandergesetzt. Ferner hätte sich das Gericht auf der Grundlage eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts für zuständig erklären müssen, dessen Vorliegen es ohne Begründung verneint habe, denn mindestens vier Mitgliedstaaten ermächtigten ihre Gerichte zu Sachentscheidungen anstelle der Verwaltungsbehörde. Das Gericht sei auch nicht auf das Argument eingegangen, dass die Verneinung der Zuständigkeit der Unionsgerichte das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verletze.

6.      Insoweit steht zum einen fest, dass die beim Gericht erhobene Klage der Rechtsmittelführerin auf Art. 263 AEUV gestützt wurde und auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse der Kommission abzielte, mit denen ihr der Zugang zu den Dokumenten des streitgegenständlichen EU-Pilotverfahrens verweigert wurde. Nach ständiger Rechtsprechung, die im angefochtenen Urteil in geeigneter Weise angeführt wurde, ist das Gericht im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle auf der Grundlage von Art. 263 AEUV nicht befugt, den Organen Anordnungen zu erteilen (Urteile vom 5. Juli 1995, Parlament/Rat, C‑21/94, EU:C:1995:220, Rn. 33, und vom 2. Oktober 2014, Strack/Kommission, C‑127/13 P, EU:C:2014:2250, Rn. 146, sowie Beschlüsse vom 26. Oktober 2011, Victoria Sánchez/Parlament und Kommission, C‑52/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:693, Rn. 38, vom 22. September 2016, Gaki/Kommission, C‑130/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:731, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 2. März 2017, Pint/Kommission, C‑625/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:166, Rn. 5 [Stellungnahme des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona, Nr. 6]). Diese Rechtsprechung beruht zum Teil auf einer Auslegung des Wortlauts der Art. 263 und 266 AEUV. Aus Art. 266 AEUV ergibt sich, dass das Organ, dessen Handlung für nichtig erklärt worden ist, in jedem Fall die sich aus dem Urteil des Unionsgerichts ergebenden Maßnahmen zu ergreifen hat. Mit der Bezugnahme auf den Inhalt dieses Artikels in Rn. 20 des angefochtenen Urteils ist das Gericht implizit, aber denknotwendig auf das Argument einer Beeinträchtigung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf eingegangen und hat es zurückgewiesen.

7.      Zum anderen hat das Gericht zu Recht entschieden, dass die bloße Berufung auf die Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten es nicht verpflichten kann, einen solchen Rechtsgrundsatz aufzustellen, da einem solchen Grundsatz traditionell die Funktion einer Ergänzung der Unionsrechtsordnung zukommt. Jedenfalls kann ein solcher Grundsatz nicht dazu führen, dass von der Anwendung einer langjährigen ständigen Rechtsprechung zur Auslegung von Bestimmungen des Primärrechts, u. a. ihres Wortlauts, abgesehen wird.

8.      Schließlich ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil, dass das Gericht seinen Standpunkt hinreichend begründet hat, indem es drei Randnummern seiner Analyse der Zurückweisung des dritten Klagegrundes gewidmet und dabei sowohl die Bestimmungen des Primärrechts als auch die einschlägige Rechtsprechung angeführt hat.

9.      Der erste Rechtsmittelgrund ist daher als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund

10.      Das Vorbringen im Rahmen des zweiten Rechtsmittelgrundes dürfte so zu verstehen sein, dass es sich in zwei Teile gliedert. Mit dem einen Teil wird gerügt, dass die Vermutung der Vertraulichkeit der betreffenden Dokumente falsch angewandt worden sei, und mit dem anderen Teil, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung der angeforderten Dokumente verneint worden sei.

 Zum ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes

11.      Im Rahmen des ersten Teils ihres zweiten Rechtsmittelgrundes wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht eine falsche Auslegung ihrer Klageschrift vor und macht geltend, Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Das Gericht habe nicht geprüft, ob die Verbreitung der Dokumente, zu denen sie Zugang begehrt habe, tatsächlich den Schutz des Zwecks von Untersuchungstätigkeiten beeinträchtigt hätte. Ferner habe das Gericht einen Fehler begangen, als es entschieden habe, dass Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 anwendbar sei, obwohl bestimmte Dokumente im Rahmen laufender Vorabentscheidungsverfahren veröffentlicht worden seien und obwohl diese Verfahren und das streitgegenständliche EU-Pilotverfahren dieselben Ziele verfolgten.

12.      In den Rn. 31 ff. des angefochtenen Urteils hat das Gericht zutreffend den Stand der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Anträgen auf Zugang zu Dokumenten im Rahmen von EU-Pilotverfahren wiedergegeben, auf die wegen ihrer Verflechtungen mit den Vertragsverletzungsverfahren, denen sie vorausgehen oder die sie vorbereiten oder abwenden, die allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit Anwendung findet, die für Dokumente zu einem Vertragsverletzungsverfahren während des Vorverfahrens gilt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Mai 2017, Schweden/Kommission, C‑562/14 P, EU:C:2017:356, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung). So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass es, solange während der vorgerichtlichen Phase einer im Rahmen eines EU-Pilotverfahrens durchgeführten Untersuchung die Gefahr besteht, dass der Charakter des Vertragsverletzungsverfahrens verändert wird und dessen Ablauf und Zweck beeinträchtigt werden, gerechtfertigt ist, auf die zwischen der Kommission und dem betreffenden Mitgliedstaat ausgetauschten Dokumente die allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit anzuwenden (Urteil vom 11. Mai 2017, Schweden/Kommission, C‑562/14 P, EU:C:2017:356, Rn. 45).

13.      Zur behaupteten Pflicht der Kommission, die Dokumente eines EU-Pilotverfahrens, zu denen Zugang begehrt wird, konkret und individuell zu prüfen, hat das Gericht in Rn. 33 des angefochtenen Urteils unter Bezugnahme auf die Rn. 47 und 51 des Urteils vom 11. Mai 2017, Schweden/Kommission (C‑562/14 P, EU:C:2017:356), ebenfalls zutreffend festgestellt, dass eine derartige Pflicht der allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit ihre praktische Wirksamkeit nehmen würde. Das Gericht hat daher seinerseits ohne Rechtsfehler entschieden, diese Prüfung nicht vorzunehmen.

14.      Hinsichtlich der Rüge, einige Dokumente hätten aufgrund ihrer Verwendung im Rahmen beim Gerichtshof anhängiger Vorabentscheidungsverfahren, in deren Folge die Kommission das streitgegenständliche EU-Pilotverfahren ausgesetzt habe, öffentlichen Charakter, bestreitet die Rechtsmittelführerin nicht, dass dieses Verfahren zu dem für die Rechtmäßigkeit der streitigen Beschlüsse allein maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses im Gang war (vgl. Rn. 38 des angefochtenen Urteils). Die betreffenden Dokumente wurden also zu diesem Zeitpunkt durchaus von der Vermutung erfasst. Ferner hat das Gericht in Rn. 38 des angefochtenen Urteils zutreffend entschieden, dass in Anbetracht des unterschiedlichen Charakters der mit dem EU-Pilotverfahren einerseits und dem Vorabentscheidungsverfahren andererseits verfolgten Ziele die etwaige Verfügbarkeit eines Dokuments im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nicht zum Wegfall der in Nr. 10 der vorliegenden Stellungnahme angeführten Vermutung führt, die für alle Dokumente des EU-Pilotverfahrens gilt. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin steht die Begründung in Rn. 39 des angefochtenen Urteils nicht im Widerspruch zu der Begründung in dessen Rn. 45, da die etwaige Übereinstimmung des Gegenstands des streitgegenständlichen EU-Pilotverfahrens und der beim Gerichtshof anhängigen, die Prüfung der Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit der Richtlinie 93/13 betreffenden Vorabentscheidungsverfahren den unterschiedlichen Charakter der mit diesen Verfahren verfolgten Ziele nicht entfallen lassen kann.

15.      Da das Gericht zu Recht entschieden hat, dass die angeforderten Dokumente wegen der Notwendigkeit, den Zweck der im Rahmen des streitgegenständlichen EU-Pilotverfahrens durchgeführten Untersuchungstätigkeiten der Kommission zu schützen, unter die allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit fallen, ist der erste Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes

16.      Im Rahmen des zweiten Teils ihres zweiten Rechtsmittelgrundes wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht im Wesentlichen vor, ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung der angeforderten Dokumente im Sinne von Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 verneint zu haben. Sie macht geltend, sie habe dem Gericht eine Reihe von Beweisen dafür vorgelegt, dass ungarische Rechtsvorschriften, die ungarische Verwaltung und die ungarische Justiz Grundwerte der Union verletzten. Das Gericht habe zudem den Sachverhalt verfälscht, da es ihr Vorbringen außer Acht gelassen habe, wonach die Kommission bis 2016 nicht geprüft habe, ob die fraglichen nationalen Gesetze mit den Grundwerten der Union vereinbar seien. Das Fehlen eines wirksamen Schutzes durch die Kommission und die Ineffektivität ihres Handelns hätten das Gericht dazu veranlassen müssen, ein überwiegendes Interesse zu bejahen. Das öffentliche Interesse bestehe in erster Linie darin, dass die Rechtsmittelführerin das Recht habe, sich selbst davon zu überzeugen, dass die nationalen Gesetze mit dem Unionsrecht vereinbar seien, wie es die Verträge im Übrigen verlangten. Die Kommission habe nicht das Monopol für die Verteidigung öffentlicher Interessen. Die vorliegende Rechtssache sei von besonderer Bedeutung, was die Verbreitung der angeforderten Dokumente rechtfertige; insoweit sei im Wesentlichen auf die Klageschrift zu verweisen. Überdies sei die Behauptung des Gerichts, dass die Addition privater Interessen diese nicht in ein öffentliches Interesse verwandele, falsch. Hinzuweisen sei auf den Umfang der ungarischen Schuldenkrise und darauf, dass sie einen erheblichen Teil der ungarischen Verbraucher und ihres Umfelds betreffe. Es gehe darum, die Rechte der Verbraucher gegenüber einer Staatsmacht mit diktatorischen Tendenzen durchzusetzen. Das Gericht habe ferner die Tatsachen verfälscht, indem es festgestellt habe, dass die Kommission in den letzten Jahren keine Stellungnahme zu den aufgeworfenen Rechtsfragen abgegeben habe und dass die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens in das Ermessen der Kommission falle. Die Kommission sei zum Einschreiten verpflichtet, wenn es – wie im vorliegenden Fall – um Grundrechtsverletzungen gehe. Schließlich treffe die Feststellung des Gerichts, dass die Rechtsmittelführerin den Abschluss der Untersuchungstätigkeiten der Kommission abwarten müsse, um Zugang zu den betreffenden Dokumenten zu beantragen, nicht zu. Das Gericht hätte selbst prüfen müssen, ob die Kommission tatsächlich solche Tätigkeiten ausübe. Die Kommission habe zwar tatsächlich Untersuchungstätigkeiten ausgeübt, doch hätte das Gericht angesichts des grundlegenden Charakters der betreffenden Werte, der erheblichen Zahl betroffener Verbraucher und der weitgehenden Folgen für diese zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Verbreitung der angeforderten Dokumente gerechtfertigt gewesen sei, insbesondere um die Kommission zu veranlassen, schneller zu handeln.

17.      Vorab ist festzustellen, dass das Gericht zu Recht darauf hingewiesen hat, dass die allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit, die grundsätzlich für die in einem EU-Pilotverfahren ausgetauschten Dokumente gilt, nicht die Möglichkeit des Nachweises ausschließt, dass eines oder mehrere dieser Dokumente nicht von der Vermutung erfasst werden, da sich aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 letzter Halbsatz der Verordnung Nr. 1049/2001 ergibt, dass eine solche Vermutung widerlegt werden kann, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung besteht (vgl. Rn. 46 und 47 des angefochtenen Urteils sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

18.      Das Gericht hat ebenfalls zu Recht auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hingewiesen, wonach eine Person, die sich gegen einen Grund für die Verweigerung der Verbreitung wenden möchte, ein öffentliches Interesse, das Vorrang vor diesem Grund haben kann, geltend machen und gerade nachweisen muss, dass im jeweiligen Fall die Verbreitung der betreffenden Dokumente konkret zur Gewährleistung des Schutzes dieses öffentlichen Interesses beitragen würde, so dass der Grundsatz der Transparenz gegenüber dem Schutz der Interessen, mit denen die Verweigerung der Verbreitung begründet wird, überwiegen würde, d. h. im vorliegenden Fall dem Schutz des Zwecks der im Rahmen des streitgegenständlichen EU-Pilotverfahrens durchgeführten Untersuchungstätigkeit (vgl. Rn. 48 des angefochtenen Urteils und die dort angeführte Rechtsprechung).

19.      Keines der von der Rechtsmittelführerin im Stadium des Rechtsmittels vorgebrachten Argumente erscheint geeignet, die Feststellung des Gerichts, dass kein überwiegendes öffentliches Interesse bestehe, in Frage zu stellen. Insbesondere ist das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, wie das Gericht in den Rn. 45, 52, 56, 58, 61, 62 und 70 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat und wie auch aus der Rechtsmittelschrift hervorgeht, durch eine Aneinanderreihung ganz allgemeiner Erwägungen gekennzeichnet. Der Gerichtshof hat insoweit bereits entschieden, dass solche Erwägungen nicht ausreichen, um darzutun, dass ein öffentliches Interesse schwerer wiegt als die Gründe für die Verweigerung der Freigabe der fraglichen Dokumente (Urteile vom 14. November 2013, LPN und Finnland/Kommission, C‑514/11 P und C‑605/11 P, EU:C:2013:738‚ Rn. 93 und 94 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 11. Mai 2017, Schweden/Kommission, C‑562/14 P, EU:C:2017:356‚ Rn. 56).

20.      Die Rechtsmittelführerin wiederholt im Wesentlichen ihr Vorbringen vor dem Gericht, das sich auf allgemeine oder hypothetische Erwägungen stützt, ohne dass es ihr gelänge, konkrete Umstände darzutun, die die Verbreitung der betreffenden Dokumente rechtfertigen könnten. Das gilt insbesondere für die Rügen hinsichtlich der Schwierigkeiten, mit denen sie auf nationaler Ebene konfrontiert sei. Die Berufung auf die Grundwerte der Union, auf die Notwendigkeit, dem Unionsrecht bei den nationalen Verwaltungsbehörden und Gerichten Geltung zu verschaffen, sowie auf etwaige Auswirkungen auf die Demokratie und die Achtung der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn beruht allein auf der Annahme, dass die im Rahmen des streitgegenständlichen EU-Pilotverfahrens durchgeführte Untersuchung einen Widerspruch zwischen dem ungarischen Recht und dem Unionsrecht aufzeigen werde, und kann, wie das Gericht entschieden hat, kein gegenwärtiges überwiegendes öffentliches Interesse begründen, das es rechtfertigt, die allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit der Dokumente dieses Verfahrens außer Kraft zu setzen, dessen Zweck gerade darin besteht, sich zu vergewissern, dass der betreffende Mitgliedstaat das Unionsrecht wahrt (vgl. auch Rn. 54 des angefochtenen Urteils).

21.      Auch die behauptete Untätigkeit der Kommission, die bis 2016 nicht geprüft haben soll, ob die betreffenden ungarischen Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht vereinbar sind, ist für den Nachweis eines überwiegenden Interesses an der Verbreitung der angeforderten Dokumente unerheblich, da die Vermutung der Vertraulichkeit der Dokumente des streitgegenständlichen EU-Pilotverfahrens zum Schutz der im Rahmen dieses Verfahrens durchgeführten Untersuchungstätigkeiten der Kommission zum Tragen kommt. Der Kommission kann auch nicht vorgeworfen werden, die ungarischen Verbraucher nicht wirksam geschützt zu haben, denn das EU-Pilotverfahren war zum Zeitpunkt der Einreichung der Anträge auf Zugang zu den betreffenden Dokumenten gerade im Gang, und ein solches Verfahren ist nach den Ausführungen des Gerichts ‚eine Ausgestaltung der informellen Phase des Vorverfahrens eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV‘ (Rn. 65 des angefochtenen Urteils).

22.      Das Gericht hat auch zu Recht das Vorbringen zurückgewiesen, das Interesse, das die Rechtsmittelführerin an der Verbreitung der betreffenden Dokumente habe, um sich selbst davon zu überzeugen, dass die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht im Einklang stünden, hätte höher eingestuft werden müssen als das Interesse am Schutz der von der Kommission durchgeführten Untersuchungstätigkeiten, das durch die Vermutung der Vertraulichkeit gerade geschützt werden solle. Wie das Gericht ausgeführt hat, ist es allein Sache der Kommission, zu beurteilen, ob ein Einschreiten zweckmäßig ist, wenn der Verdacht besteht, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstößt (Urteil vom 14. November 2013, LPN und Finnland/Kommission, C‑514/11 P und C‑605/11 P, EU:C:2013:738‚ Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23.      Ferner trägt die Rechtsmittelführerin vor, die Gewährung des Zugangs zu den betreffenden Dokumenten hätte die Kommission dazu veranlasst, zügiger zu handeln, zumal er in Zusammenhang mit der Verletzung von Grundrechten der ungarischen Verbraucher stehe. Ein solches Argument beruht ebenfalls auf einer Spekulation über Inhalt und Ergebnis des streitgegenständlichen EU-Pilotverfahrens. Zudem sind die Unionsbürger zwar berechtigt, die Kommission auf eine mutmaßliche Verletzung des Unionsrechts aufmerksam zu machen, indem sie bei ihr z. B. eine dahin gehende Beschwerde einlegen, doch darf die Aufhebung der Vertraulichkeit von Dokumenten eines EU-Pilotverfahrens nicht dafür instrumentalisiert werden, den Bürgern bei der Erreichung des von ihnen erwarteten Ergebnisses zu helfen. Denn nach ständiger Rechtsprechung, auf die das Gericht in Rn. 64 des angefochtenen Urteils zu Recht hingewiesen hat, verfügt ein Beschwerdeführer im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nicht über das Recht, von der Kommission eine Stellungnahme in einem bestimmten Sinne zu verlangen oder die Weigerung der Kommission, ein solches Verfahren einzuleiten, anzufechten (Urteil vom 14. November 2013, LPN und Finnland/Kommission, C‑514/11 P und C‑605/11 P, EU:C:2013:738‚ Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Beschlüsse vom 12. Juni 1992, Asia Motor France/Kommission, C‑29/92, EU:C:1992:264‚ Rn. 21, vom 5. September 2013, H-Holding/Parlament, C‑64/13 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:557‚ Rn. 13, und vom 12. Februar 2015, Meister/Kommission, C‑327/14 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:99‚ Rn. 26).

24.      Was schließlich das geltend gemachte Interesse der zahlreichen an nationalen Gerichtsverfahren beteiligten Verbraucher an der Verbreitung der angeforderten Dokumente betrifft, ist festzustellen, dass dieses Interesse nur potenzieller Art ist und erst nach Abschluss des streitgegenständlichen EU-Pilotverfahrens eventuell zum Tragen kommt, da die Kommission dann geprüft hat, ob die betreffenden ungarischen Gesetze gegen das Unionsrecht verstoßen. Außerdem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass ein Antrag auf Zugang zu Dokumenten, der mit dem Ziel gestellt wird, dass der Antragsteller eine Klage vorbereiten oder ihm im Rahmen von Klagen vor den nationalen Gerichten bei der Beweisführung geholfen werden kann, kein Nachweis für das Bestehen eines überwiegenden Interesses im Sinne von Art. 4 Abs. 2 letzter Halbsatz der Verordnung Nr. 1049/2001 ist und dass solche Interessen als „Privatinteressen“ anzusehen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Juni 2012, Kommission/Agrofert Holding, C‑477/10 P, EU:C:2012:394, Rn. 86, und vom 14. Juli 2016, Sea Handling/Kommission, C‑271/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:557, Rn. 97). Diese Feststellung gilt folglich für alle individuell betroffenen Verbraucher, so dass die Ausführungen am Ende von Rn. 59 des angefochtenen Urteils ebenfalls frei von Rechtsfehlern sind. Die Dokumente können der Rechtsmittelführerin und den betroffenen Verbrauchern jedenfalls zur Verfügung gestellt werden, wenn es nicht mehr erforderlich ist, die Untersuchungstätigkeiten der Kommission zu schützen, d. h. nach Abschluss des EU-Pilotverfahrens.

25.      Das Gericht ist daher in Rn. 71 des angefochtenen Urteils ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, dass die Rechtsmittelführerin kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung der angeforderten Dokumente nachgewiesen habe. Der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes ist somit ebenfalls als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

 Ergebnis der Analyse

26.      Im Licht aller vorstehenden Erwägungen ist das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.“

6        Das Rechtsmittel ist aus den vom Generalanwalt dargelegten Gründen als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

 Kosten

7        Nach Art. 137 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, wird über die Kosten in dem das Verfahren beendenden Beschluss entschieden.

8        Im vorliegenden Fall ist, da der vorliegende Beschluss ergangen ist, bevor die Rechtsmittelschrift den anderen Parteien zugestellt wurde und ihnen Kosten entstehen konnten, zu entscheiden, dass die Rechtsmittelführerin ihre eigenen Kosten trägt.


Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) beschlossen:

1.      Das Rechtsmittel wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.

2.      Frau Anikó Pint trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 21. Mai 2019

Der Kanzler

 

Der Präsident der Zehnten Kammer

A. Calot Escobar

 

C. Lycourgos


*      Verfahrenssprache: Deutsch.