Language of document : ECLI:EU:C:2018:654

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 7. August 2018(1)

Verbundene Rechtssachen C325/18 PPU und C375/18 PPU

Hampshire County Council

gegen

C. E.,

N. E.


(Vorabentscheidungsersuchen des Court of Appeal [Berufungsgericht, Irland])

„Eilvorabentscheidungsverfahren – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 – Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung – Verhältnis zum Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung – Antrag auf Vollstreckbarerklärung – Rechtsbehelf – Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs – Verlängerbarkeit – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Bedeutung – Vollstreckung einer Entscheidung vor Zustellung der Vollstreckbarerklärung dieser Entscheidung an die betroffenen Eltern – Wahrung der praktischen Wirksamkeit des Rechtsbehelfs gegen die Vollstreckbarerklärung – Sicherungsanordnung“







Inhaltsverzeichnis


I. Einleitung

II. Rechtlicher Rahmen

A. Völkerrecht und Unionsrecht

1. Haager Übereinkommen

2. Verordnung Nr. 2201/2003

B. Irisches Recht

III. Vorgeschichte des Rechtsstreits

IV. Verfahren vor dem Gerichtshof und Vorlagefragen

V. Würdigung

A. Zur Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen

B. Zur ersten Vorlagefrage in der Rechtssache C325/18 PPU

1. Zur Möglichkeit, die Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung gemäß der Verordnung Nr. 2201/2003 unabhängig vom Haager Verfahren zu beantragen

2. Zur Unmöglichkeit, nach der Verordnung Nr. 2201/2003 die Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung zu beantragen, die die Rückgabe eines Kindes anordnet, aber nicht mit einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung verbunden ist

3. Zwischenergebnis

C. Zur zweiten und zur dritten Vorlagefrage in der Rechtssache C325/18 PPU sowie zur Vorlagefrage in der Rechtssache C375/18 PPU

1. Zur Frist (zweite und dritte Vorlagefrage in der Rechtssache C325/18 PPU)

a) Vorbemerkungen

b) Zur Möglichkeit, die in Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehene Frist zu verlängern

c) Zur Abwägung, die bei einer Verlängerung der in Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehenen Rechtsbehelfsfrist vorzunehmen ist

1) Umfang der Fristüberschreitung

2) Ziele der Verordnung Nr. 2201/2003

3) Beeinträchtigung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf

4) Kausalzusammenhang zwischen der Nichteinhaltung der Frist und dem Verhalten der Verwaltung

5) Verhalten der Parteien

d) Zwischenergebnis

2. Zur einstweiligen Anordnung (Rechtssache C375/18 PPU)

a) Vorbemerkungen

b) Zum Verbot von „anti-suit injunctions“

c) Zur Zweckdienlichkeit einer Sicherungsanordnung unter den Umständen des Ausgangsverfahrens

d) Zwischenergebnis

VI. Ergebnis


I.      Einleitung

1.        Die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003, die als „Brüssel‑IIa-Verordnung“ bezeichnet wird(2), ist ein Rechtsakt der Union, der u. a. dann zum Tragen kommt, wenn es darum geht, eine Entscheidung über die elterliche Verantwortung in einem anderen Mitgliedstaat anzuerkennen und zu vollstrecken. Für die Fälle des widerrechtlichen Verbringens von Kindern unter Verletzung des Sorgerechts bezieht diese Verordnung die Bestimmungen des am 25. Oktober 1980 in Den Haag geschlossenen Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (im Folgenden: Haager Übereinkommen) mit ein und ergänzt diese.

2.        Die vorliegende Rechtssache wirft die Frage nach dem Verhältnis zwischen diesen beiden Instrumenten in einem Fall auf, in dem eine englische Familie unter der Androhung der Entziehung ihrer Kinder durch eine lokale, für Kinderschutz zuständige Behörde mit einem Baby im Alter von zwei bis drei Tagen sowie zwei Kindern im Alter von drei und fünf Jahren nach Irland geflohen ist.

3.        Die lokale Behörde erwirkte daraufhin in Abwesenheit der Eltern zunächst bei einem englischen Gericht einen Beschluss, mit dem die Kinder unter gerichtliche Vormundschaft gestellt wurden und ihre Rückgabe nach England angeordnet wurde, und anschließend bei einem irischen Gericht eine Exequaturentscheidung auf der Grundlage der Verordnung Nr. 2201/2003. Schließlich nahm die englische Behörde, unterstützt von ihren irischen Amtskollegen, noch vor der Zustellung der Exequaturentscheidung an die Eltern die Vollstreckung vor, indem sie die Kinder ohne Wissen der Eltern nach England zurückholte. Diese legten daraufhin in Irland mit zwei Tagen Verspätung gegenüber der nach der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehenen Frist einen Rechtsbehelf gegen die Exequaturentscheidung ein. Zwischenzeitlich hatte die englische Behörde in England ein Verfahren zur Adoption des Babys in die Wege geleitet.

4.        Unter diesen Umständen fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof zunächst, ob der Umstand, dass die englische Behörde auf die allgemeinen Bestimmungen der Verordnung Nr. 2201/2003 über die Vollstreckung von in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen zurückgegriffen hat, um die Vollstreckbarerklärung der englischen Entscheidung in Irland zu erwirken, eine Umgehung der besonderen Verfahren darstellt, die das Haager Übereinkommen in Verbindung mit der Verordnung Nr. 2201/2003 für Fälle internationaler Kindesentführungen vorsieht.

5.        Sodann möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 für die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Exequaturentscheidung vorgesehene Frist verlängert werden kann, insbesondere in einem Fall, in dem eine Entscheidung vor Zustellung der Vollstreckbarerklärung an die Person, gegen die die Vollstreckung beantragt wurde, vollstreckt wurde.

6.        Schließlich ersucht das vorlegende Gericht – das außerdem mit einem Antrag auf einstweilige Maßnahmen befasst ist, mit dem der Erlass einer Sicherungsanordnung gegen die englische Behörde beantragt wird, die es dieser Behörde untersagt, das Verfahren zur Adoption des Babys fortzuführen und ein Verfahren zur Adoption der beiden älteren Kinder einzuleiten – den Gerichtshof um Beantwortung der Frage, ob das Unionsrecht es ihm verbietet, eine solche Anordnung gegen eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats zu erlassen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Völkerrecht und Unionsrecht

1.      Haager Übereinkommen

7.        Ziel des Haager Übereinkommens ist es nach seinem Art. 1 u. a., „die sofortige Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder sicherzustellen“.

8.        Nach Art. 3 des Haager Übereinkommens gilt das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes als widerrechtlich, wenn

„a)      dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte,

Das unter Buchstabe a genannte Sorgerecht kann insbesondere kraft Gesetzes, aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung oder aufgrund einer nach dem Recht des betreffenden Staates wirksamen Vereinbarung bestehen.“

9.        Art. 12 Abs. 1 des Haager Übereinkommens lautet:

„Ist ein Kind im Sinn des Artikels 3 widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten worden und ist bei Eingang des Antrags bei dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet, eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen, so ordnet das zuständige Gericht oder die zuständige Verwaltungsbehörde die sofortige Rückgabe des Kindes an.“

10.      In Art. 13 des Haager Übereinkommens heißt es:

„Ungeachtet des Artikels 12 ist das Gericht oder die Verwaltungsbehörde des ersuchten Staates nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, Behörde oder sonstige Stelle, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist,

b)      dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt.

Das Gericht oder die Verwaltungsbehörde kann es ferner ablehnen, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn festgestellt wird, dass sich das Kind der Rückgabe widersetzt und dass es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen. …“

2.      Verordnung Nr. 2201/2003

11.      Art. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmt:

„(1)      Diese Verordnung gilt, ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, für Zivilsachen mit folgendem Gegenstand:

b)      die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung.

(2)      Die in Absatz 1 Buchstabe b) genannten Zivilsachen betreffen insbesondere:

a)      das Sorgerecht und das Umgangsrecht,

b)      die Vormundschaft, die Pflegschaft und entsprechende Rechtsinstitute,

c)      die Bestimmung und den Aufgabenbereich jeder Person oder Stelle, die für die Person oder das Vermögen des Kindes verantwortlich ist, es vertritt oder ihm beisteht,

d)      die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie oder einem Heim,

(3)      Diese Verordnung gilt nicht für

b)      Adoptionsentscheidungen und Maßnahmen zur Vorbereitung einer Adoption sowie die Ungültigerklärung und den Widerruf der Adoption

…“

12.      Nach Art. 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 bezeichnet der Ausdruck

„4.      ‚Entscheidung‘ jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene … Entscheidung über die elterliche Verantwortung …;

7.      ‚elterliche Verantwortung‘ die gesamten Rechte und Pflichten, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden. … Elterliche Verantwortung umfasst insbesondere das Sorge- und das Umgangsrecht;

9.      ‚Sorgerecht‘ die Rechte und Pflichten, die mit der Sorge für die Person eines Kindes verbunden sind, insbesondere das Recht auf die Bestimmung des Aufenthaltsortes des Kindes;

11.      ‚widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes‘ das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes, wenn

a)      dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das aufgrund einer Entscheidung oder kraft Gesetzes oder aufgrund einer rechtlich verbindlichen Vereinbarung nach dem Recht des Mitgliedstaats besteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte …“

13.      Kapitel II („Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 2201/2003 umfasst u. a. Art. 11 („Rückgabe des Kindes“), der bestimmt:

„(1)      Beantragt eine sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats eine Entscheidung auf der Grundlage des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (nachstehend ‚Haager Übereinkommen von 1980‘ genannt), um die Rückgabe eines Kindes zu erwirken, das widerrechtlich in einen anderen als den Mitgliedstaat verbracht wurde oder dort zurückgehalten wird, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, so gelten die Absätze 2 bis 8.

(4)      Ein Gericht kann die Rückgabe eines Kindes aufgrund des Artikels 13 Buchstabe b) des Haager Übereinkommens von 1980 nicht verweigern, wenn nachgewiesen ist, dass angemessene Vorkehrungen getroffen wurden, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr zu gewährleisten.

(6)      Hat ein Gericht entschieden, die Rückgabe des Kindes gemäß Artikel 13 des Haager Übereinkommens von 1980 abzulehnen, so muss es nach dem nationalen Recht dem zuständigen Gericht oder der Zentralen Behörde des Mitgliedstaats, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, unverzüglich entweder direkt oder über seine Zentrale Behörde eine Abschrift der gerichtlichen Entscheidung, die Rückgabe abzulehnen, und die entsprechenden Unterlagen, insbesondere eine Niederschrift der Anhörung, übermitteln. Alle genannten Unterlagen müssen dem Gericht binnen einem Monat ab dem Datum der Entscheidung, die Rückgabe abzulehnen, vorgelegt werden.

(7)      Sofern die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, nicht bereits von einer der Parteien befasst wurden, muss das Gericht oder die Zentrale Behörde, das/die die Mitteilung gemäß Absatz 6 erhält, die Parteien hiervon unterrichten und sie einladen, binnen drei Monaten ab Zustellung der Mitteilung Anträge gemäß dem nationalen Recht beim Gericht einzureichen, damit das Gericht die Frage des Sorgerechts prüfen kann.

Unbeschadet der in dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitsregeln schließt das Gericht den Fall ab, wenn innerhalb dieser Frist keine Anträge bei dem Gericht eingegangen sind.

(8)      Ungeachtet einer nach Artikel 13 des Haager Übereinkommens von 1980 ergangenen Entscheidung, mit der die Rückgabe des Kindes verweigert wird, ist eine spätere Entscheidung, mit der die Rückgabe des Kindes angeordnet wird und die von einem nach dieser Verordnung zuständigen Gericht erlassen wird, im Einklang mit Kapitel III Abschnitt 4 vollstreckbar, um die Rückgabe des Kindes sicherzustellen.“

14.      Art. 20 der Verordnung Nr. 2201/2003, ebenfalls in deren Kapitel II, bestimmt:

„(1)      Die Gerichte eines Mitgliedstaats können in dringenden Fällen ungeachtet der Bestimmungen dieser Verordnung die nach dem Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich Schutzmaßnahmen in Bezug auf in diesem Staat befindliche Personen oder Vermögensgegenstände auch dann anordnen, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache gemäß dieser Verordnung ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist.

…“

15.      Kapitel III der Verordnung Nr. 2201/2003 enthält Bestimmungen über die „Anerkennung und [die] Vollstreckung“. Abschnitt 1 („Anerkennung“) umfasst insoweit u. a. Art. 21 („Anerkennung einer Entscheidung“), dessen Abs. 1 vorsieht:

„Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.“

16.      Art. 23 der Verordnung Nr. 2201/2003 nennt „Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung“, nämlich:

„Eine Entscheidung über die elterliche Verantwortung wird nicht anerkannt,

a)      wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des Mitgliedstaats, in dem sie beantragt wird, offensichtlich widerspricht, wobei das Wohl des Kindes zu berücksichtigen ist;

b)      wenn die Entscheidung – ausgenommen in dringenden Fällen – ergangen ist, ohne dass das Kind die Möglichkeit hatte, gehört zu werden, und damit wesentliche verfahrensrechtliche Grundsätze des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung beantragt wird, verletzt werden;

c)      wenn der betreffenden Person, die sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt wurde, dass sie sich verteidigen konnte, es sei denn, es wird festgestellt, dass sie mit der Entscheidung eindeutig einverstanden ist;

d)      wenn eine Person dies mit der Begründung beantragt, dass die Entscheidung in ihre elterliche Verantwortung eingreift, falls die Entscheidung ergangen ist, ohne dass diese Person die Möglichkeit hatte, gehört zu werden;

…“

17.      Abschnitt 2 („Antrag auf Vollstreckbarerklärung“) von Kapitel III der Verordnung Nr. 2201/2003 umfasst u. a. Art. 28 („Vollstreckbare Entscheidungen“), dessen Abs. 1 vorsieht:

„Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen über die elterliche Verantwortung für ein Kind, die in diesem Mitgliedstaat vollstreckbar sind und die zugestellt worden sind, werden in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag einer berechtigten Partei für vollstreckbar erklärt wurden.“

18.      Art. 31 der Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmt insoweit:

„(1)      Das mit dem Antrag befasste Gericht erlässt seine Entscheidung ohne Verzug und ohne dass die Person, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, noch das Kind in diesem Abschnitt des Verfahrens Gelegenheit erhalten, eine Erklärung abzugeben.

(2)      Der Antrag darf nur aus einem der in den Artikeln 22, 23 und 24 aufgeführten Gründe abgelehnt werden.

(3)      Die Entscheidung darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden.“

19.      Art. 33 („Rechtsbehelf“) der Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmt:

„(1)      Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung kann jede Partei einen Rechtsbehelf einlegen.

(3)      Über den Rechtsbehelf wird nach den Vorschriften entschieden, die für Verfahren mit beiderseitigem rechtlichen Gehör maßgebend sind.

(4)      Wird der Rechtsbehelf von der Person eingelegt, die den Antrag auf Vollstreckbarerklärung gestellt hat, so wird die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, aufgefordert, sich auf das Verfahren einzulassen, das bei dem mit dem Rechtsbehelf befassten Gericht anhängig ist. …

(5)      Der Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung ist innerhalb eines Monats nach ihrer Zustellung einzulegen. Hat die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Vollstreckbarerklärung erteilt worden ist, so beträgt die Frist für den Rechtsbehelf zwei Monate und beginnt mit dem Tag, an dem die Vollstreckbarerklärung ihr entweder persönlich oder in ihrer Wohnung zugestellt worden ist. Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen.“

20.      Art. 35 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 lautet:

„Das nach Artikel 33 oder Artikel 34 mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht kann auf Antrag der Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, das Verfahren aussetzen, wenn im Ursprungsmitgliedstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf gegen die Entscheidung eingelegt wurde oder die Frist für einen solchen Rechtsbehelf noch nicht verstrichen ist. In letzterem Fall kann das Gericht eine Frist bestimmen, innerhalb deren der Rechtsbehelf einzulegen ist.“

21.      Art. 40 der Verordnung Nr. 2201/2003 legt den Anwendungsbereich von Abschnitt 4 des Kapitels III der Verordnung fest und bestimmt:

„(1)      Dieser Abschnitt gilt für

a)      das Umgangsrecht

und

b)      die Rückgabe eines Kindes infolge einer die Rückgabe des Kindes anordnenden Entscheidung gemäß Artikel 11 Absatz 8.

(2)      Der Träger der elterlichen Verantwortung kann ungeachtet der Bestimmungen dieses Abschnitts die Anerkennung und Vollstreckung nach Maßgabe der Abschnitte 1 und 2 dieses Kapitels beantragen.“

22.      Art. 42 in Abschnitt 4 der Verordnung Nr. 2201/2003 sieht vor:

„(1)      Eine in einem Mitgliedstaat ergangene vollstreckbare Entscheidung über die Rückgabe des Kindes im Sinne des Artikels 40 Absatz 1 Buchstabe b), für die eine Bescheinigung nach Absatz 2 im Ursprungsmitgliedstaat ausgestellt wurde, wird in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und kann dort vollstreckt werden, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann.

Auch wenn das nationale Recht nicht vorsieht, dass eine in Artikel 11 Absatz 8 genannte Entscheidung über die Rückgabe des Kindes ungeachtet der Einlegung eines Rechtsbehelfs von Rechts wegen vollstreckbar ist, kann das Gericht des Ursprungsmitgliedstaats die Entscheidung für vollstreckbar erklären.

(2)      Der Richter des Ursprungsmitgliedstaats, der die Entscheidung nach Artikel 40 Absatz 1 Buchstabe b) erlassen hat, stellt die Bescheinigung nach Absatz 1 nur aus, wenn

a)      das Kind die Möglichkeit hatte, gehört zu werden, sofern eine Anhörung nicht aufgrund seines Alters oder seines Reifegrads unangebracht erschien,

b)      die Parteien die Gelegenheit hatten, gehört zu werden, und

c)      das Gericht beim Erlass seiner Entscheidung die Gründe und Beweismittel berücksichtigt hat, die der nach Artikel 13 des Haager Übereinkommens von 1980 ergangenen Entscheidung zugrunde liegen.

…“

B.      Irisches Recht

23.      Order 122 („Fristen“) Regel 7 der Rules of the Superior Courts (Verfahrensordnung der Obergerichte) sieht vor:

„Das Gericht ist befugt, jede in dieser Verfahrensordnung oder durch einen Fristverlängerungsbeschluss für die Vornahme einer Handlung oder die Einleitung eines Verfahrens bestimmte Frist (gegebenenfalls) unter den vom Gericht festgelegten Bedingungen zu verlängern oder zu verkürzen, wobei eine solche Verlängerung auch dann angeordnet werden kann, wenn sie beantragt wird, nachdem die bestimmte oder bewilligte Frist bereits abgelaufen ist.“

III. Vorgeschichte des Rechtsstreits

24.      Die vorliegende Rechtssache betrifft eine Familie, bestehend aus der derzeit 24 Jahre alten Mutter(3), deren drei Kindern im Alter von sechs Jahren(4), vier Jahren(5) und ungefähr elf Monaten(6) sowie ihrem derzeit 26 Jahre alten Ehegatten(7), der der Vater des Babys und der Stiefvater der beiden älteren Kinder ist.

25.      Aus den Akten des Ausgangsverfahrens geht hervor, dass die Mutter und die beiden älteren Kinder zu der Zeit, als sie in England lebten, mehrere Jahre unter der Aufsicht des Hampshire County Council (Grafschaftsrat Hampshire)(8), einer lokalen, für Kinderschutz zuständigen Behörde, standen. Die Bedenken des HCC in diesem Zusammenhang bezogen sich u. a. auf eine mangelnde Hygiene und Sauberkeit des Hauses, eine Gewichtszunahme des zweiten Kindes, häusliche Gewalt gegen die Mutter durch den Vater des zweiten Kindes, als dieser mit ihr zusammenlebte, den Besitz von Cannabispflanzen durch den Vater des zweiten Kindes sowie allgemein die Gefahr einer Vernachlässigung der Aufsicht über die Kinder.

26.      In den Jahren 2015 und 2016 nahm die Mutter an einem Programm für Opfer häuslicher Gewalt(9) teil, trennte sich vom Vater des zweiten Kindes und unternahm Schritte, um sich selbst und ihre Kinder zu schützen. Außerdem verbesserten sich die Bedingungen der häuslichen Hygiene.

27.      In der ersten Jahreshälfte 2017 wurden die beiden älteren Kinder jedoch erneut einem Plan zur Beaufsichtigung durch den HCC unterstellt, was hauptsächlich in einer Vernachlässigung der Lebensbedingungen der Kinder und der Bedingungen der häuslichen Hygiene begründet war. Zudem zeigte sich der HCC durch den Umstand besorgt, dass die Mutter Ende 2016 eine Beziehung mit dem Vater eingegangen war, obwohl diesem und seiner vorherigen Lebensgefährtin das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen worden war, weil eines dieser Kinder Opfer einer nicht auf einem Unfall beruhenden Verletzung geworden war, und nicht ausgeschlossen werden konnte, dass der Vater der Aggressor war, auch wenn die Polizei dies nicht nachweisen konnte. Der HCC äußerte außerdem seine Besorgnis, weil das erste Kind berichtet hatte, der Vater habe ihm einen Schlag auf das Gesäß gegeben, und unklar war, ob dies im Rahmen eines spielerischen Kampfes oder einer unangemessenen Züchtigung geschehen war.

28.      Ohne jemals die Möglichkeit einer Adoption der beiden älteren Kinder zu erwähnen, zog der HCC die verschiedenen Möglichkeiten einer Unterbringung dieser beiden Kinder, insbesondere in einer Pflegefamilie, bei ihrer Großmutter mütterlicherseits oder bei ihren jeweiligen Vätern, in Erwägung. In diesem Zusammenhang vertrat der HCC die Auffassung, dass die Kinder zu jung seien, als dass ihr Standpunkt hätte berücksichtigt werden können. Außerdem wies der HCC darauf hin, dass die Mutter mitgeteilt habe, dass sie, sollte entschieden werden, dass die Kinder nicht bei ihr bleiben könnten, wünsche, dass diese bei ihrer Mutter, d. h. bei der Großmutter mütterlicherseits, untergebracht würden.

29.      Aus den Berichten des HCC sowie aus von der Schule des ersten Kindes und der Kindertagesstätte des zweiten Kindes vorgelegten Berichten geht außerdem hervor, dass die beiden älteren Kinder ein gutes Verhältnis zu ihrer Großmutter hatten und sich ihre Bedingungen verbessert hatten, seit ihre Großmutter die Mutter unterstützte und die Kinder morgens zur Schule und zur Kindertagesstätte brachte. Ferner geht aus den von der Schule des ersten Kindes und der Kindertagesstätte des zweiten Kindes im Sommer 2017 vorgelegten Berichten insbesondere hervor, dass die Kinder umgänglich waren und eine liebevolle Beziehung zu ihrer Mutter hatten. Schließlich belegen diese Berichte, dass die Eltern tätig geworden waren und um Rat nachgefragt hatten, um die Lebens- und hygienischen Bedingungen, die die Sozialdienste kritisiert hatten, zu verbessern, was auch tatsächlich zu einer Verbesserung dieser Bedingungen geführt hatte.

30.      Am 30. Juni 2017 erließ der Family Court Portsmouth (Familiengericht Portsmouth, Vereinigtes Königreich) zugunsten des HCC eine Anordnung zur vorläufigen Inobhutnahme („interim care order“) der beiden älteren Kinder. Mit dieser Anordnung wurde dem HCC die elterliche Sorge übertragen und insbesondere das Verbot ausgesprochen, die Kinder aus dem Vereinigten Königreich zu bringen. Trotz Unterbringungsplänen des HCC wurden die Kinder zunächst bei den Eltern belassen. In der Anhörung im Rahmen dieses Verfahrens erklärte die mit der Vertretung der Interessen der Kinder betraute Person(10), dass sie mit dem Plan des HCC, die Kinder unterzubringen, nicht einverstanden sei.

31.      Eigenen Angaben des HCC zufolge informierte er die Eltern im August 2017 über seine Absicht, eine gerichtliche Entscheidung hinsichtlich des Sorgerechts für das Baby zu erwirken, sobald dieses geboren sei. Außerdem teilte der HCC den Eltern mit, dass er keinerlei unbeaufsichtigten Kontakt des Vaters mit dem Baby akzeptieren werde.

32.      Das Baby wurde Anfang September 2017 im Krankenhaus geboren, und die Mutter kehrte mit dem Baby noch am Tag der Geburt oder am darauffolgenden Tag nach Hause zurück(11).

33.      Am nächsten oder übernächsten Tag nach der Geburt des Babys(12) begaben sich Sozialarbeiter des HCC zum Wohnsitz der Eltern und informierten diese über die Änderung des Plans zur Übernahme des Sorgerechts für die Kinder durch den HCC, die darin bestand, die Kinder von den Eltern zu trennen. Außerdem unterzeichneten einer der Sozialarbeiter und die Eltern eine Vereinbarung, wonach der Vater den Wohnsitz der Familie noch am selben Abend zu verlassen hätte und keinen Kontakt mehr zu den Kindern ohne vorherige Inkenntnissetzung des HCC haben dürfte, bis das Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens feststünde.

34.      Dies bedeutete, die Mutter, die zu diesem Zeitpunkt 23 Jahre alt war, allein mit dem ein oder zwei Tage alten Baby und den beiden älteren Kindern im Alter von drei und fünf Jahren und mit der Aussicht auf demnächst stattfindende gerichtliche Verfahren, in denen entschieden werden konnte, dass ihr ihre Kinder weggenommen würden, zu Hause zu lassen. Die Mutter gab später außerdem in einer eidesstattlichen Erklärung an, dass sie sich zu jenem Zeitpunkt an eine Unterhaltung erinnert habe, die sie zuvor mit einem Sozialarbeiter des HCC geführt und in der dieser darauf hingewiesen habe, dass die beiden älteren Kinder jedenfalls zu alt seien, um adoptiert zu werden, ein Baby aber leicht zu adoptieren sei.

35.      Unter diesen Bedingungen begaben sich die Eltern am 5. oder 6. September 2017(13), also zwei oder drei Tage nach der Geburt des Babys, mit den Kindern mit der Fähre nach Irland.

36.      In Irland angelangt, mieteten die Eltern ein Haus, ließen das Baby von einer Krankenschwester untersuchen und die Kinder bei einem Kinderarzt registrieren und meldeten die beiden älteren Kinder in der Schule an. Außerdem wurde die Familie durch die irische Polizei und durch die irischen Kinderschutzdienste (die Child and Family Agency [Behörde für Kinder und Familie, Irland], im Folgenden: CFA) überwacht, die bei mehreren Besuchen am Wohnsitz der Familie nichts Beunruhigendes feststellten.

37.      Am 6. September 2017 erließ das Familiengericht Portsmouth zugunsten des HCC eine Anordnung zur vorläufigen Inobhutnahme („interim care order“) des Babys.

38.      Am 8. September 2017 stellte der HCC beim High Court of Justice (England & Wales), Family Division, Family Court at Portsmouth (Gerichtshof [England und Wales], Abteilung für Familiensachen, Familiengericht Portsmouth, Vereinigtes Königreich, im Folgenden: englischer High Court) einen Antrag auf gerichtliche Vormundschaft für die drei Kinder. Dieser Antrag wurde den Vertretern der Eltern noch am selben Tag zugestellt. Der Vertreter des Vaters teilte daraufhin mit, dass er keine Anweisungen hinsichtlich einer Übernahme der Vormundschaft habe und keinen Antrag auf Prozesskostenhilfe stellen werde, um im Rahmen dieses Verfahrens tätig zu werden. Der Vertreter der Mutter teilte mit, dass er diese um Anweisungen habe bitten wollen, sie aber telefonisch nicht habe erreichen können.

39.      Später am selben Tag erließ der englische High Court in Abwesenheit von Vertretern der Eltern einen Beschluss, mit dem die gerichtliche Vormundschaft für die Kinder und deren Rückgabe nach England angeordnet wurden (im Folgenden: Beschluss des englischen High Court vom 8. September 2017).

40.      Den Angaben des HCC zufolge wurde der Beschluss des englischen High Court vom 8. September 2017 den Eltern am 11. September 2017 zugestellt.

41.      Am 13. September 2017 erließ der District Court Gorey (Bezirksgericht Gorey, Irland) zugunsten der CFA Anordnungen zur vorläufigen Inobhutnahme („interim care orders“) der drei Kinder; diese Anordnungen sollten bis zum 26. September 2017 in Kraft bleiben. Die Kinder wurden vorläufig bei einer Pflegefamilie in Irland untergebracht.

42.      Am 21. September 2017 erließ der High Court (Gerichtshof, Irland) (im Folgenden: irischer High Court) einen Beschluss über die Anerkennung und die Vollstreckung des Beschlusses des englischen High Court vom 8. September 2017 (im Folgenden: Exequaturbeschluss des irischen High Court vom 21. September 2017).

43.      Noch am Tag des Erlasses des Exequaturbeschlusses des irischen High Court vom 21. September 2017 nahm die CFA die Kinder aus der Pflegefamilie, bei der diese vorläufig untergebracht worden waren, und übergab sie im Fährhafen Rosslare (Irland) den Sozialarbeitern des HCC. Die Kinder wurden anschließend ins Vereinigte Königreich zurückgebracht, wo die beiden älteren Kinder beim Vater des zweiten Kindes untergebracht wurden, während das Baby bei einer Pflegefamilie untergebracht wurde.

44.      Nach der Abreise der Kinder wurden die Eltern von einem englischen Sozialarbeiter telefonisch über diese Abreise informiert. Der Exequaturbeschluss des irischen High Court vom 21. September 2017 wurde den Eltern daraufhin am 22. September 2017 zugestellt.

45.      Am 26. September 2017 legten die Eltern gegen den Beschluss des englischen High Court vom 8. September 2017 beim Court of Appeal of England & Wales (Berufungsgericht von England und Wales) einen Rechtsbehelf ein. Am 9. Oktober 2017 verweigerte dieses Gericht ihnen die Zulassung der Berufung.

46.      Am 24. November 2017 legten die Vertreter der Eltern beim irischen High Court einen Rechtsbehelf gegen den Exequaturbeschluss des irischen High Court vom 21. September 2017 ein, der den Eltern am 22. September 2017 zugestellt worden war. In der mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren wiesen die Vertreter der Eltern darauf hin, dass die Verspätung um 48 Stunden, mit der der Rechtsbehelf eingelegt worden sei, den Eltern nicht zugerechnet werden könne.

47.      Am 21. Dezember 2017 erließ der englische High Court eine Unterbringungsanordnung („placement order“), mit der der HCC ermächtigt wurde, Adoptiveltern für das Baby zu suchen und es bei diesen unterzubringen.

48.      Am 18. Januar 2018 wies der irische High Court den Rechtsbehelf der Eltern gegen den Exequaturbeschluss des irischen High Court vom 21. September 2017 mit der Erwägung zurück, dass er nicht befugt sei, die Rechtsbehelfsfrist zu verlängern.

49.      Gegen diese zurückweisende Entscheidung legten die Eltern beim vorlegenden Gericht, dem Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland), Berufung ein.

50.      Im Rahmen dieses Verfahrens teilte der HCC dem vorlegenden Gericht mit, dass er aufgrund von Haushaltszwängen nicht beabsichtige, sich an dem Verfahren zu beteiligen. Außerdem wies er das vorlegende Gericht darauf hin, dass er in jedem Fall nicht die Absicht habe, die Kinder zurückzugeben, und zwar unabhängig vom Ausgang des bei diesem Gericht anhängigen Verfahrens.

51.      Am 17. Mai 2018 reichte das vorlegende Gericht das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑325/18 PPU ein.

52.      Am 23. Mai 2018 stellten die Eltern beim vorlegenden Gericht einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, mit dem sie den Erlass einer Anordnung gegen den HCC begehrten, um diesen daran zu hindern, das Verfahren zur Adoption des Babys fortzuführen und ein Verfahren zur Adoption der beiden älteren Kinder in die Wege zu leiten.

53.      Auch an diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beteiligte sich der HCC nicht, reichte aber gleichwohl am Morgen der mündlichen Verhandlung, d. h. am 29. Mai 2018, eine Erklärung ein. In dieser Erklärung betonte er, dass er nur für das Baby eine Adoption vorschlage. In Anbetracht des Alters der beiden anderen Kinder, ihrer Unterbringung bei einem Elternteil – d. h. dem Vater des zweiten Kindes – sowie ihres engen geschwisterlichen Verhältnisses bestehe kein Grund, ein Adoptionsverfahren einzuleiten. Sollte die Unterbringung beim Vater des zweiten Kindes enden, so bestünde der Plan zur Inobhutnahme in einer langfristigen Unterbringung bei einer Pflegefamilie.

54.      Am 7. Juni 2018 reichte das vorlegende Gericht das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑375/18 PPU ein.

IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof und Vorlagefragen

55.      Mit am 17. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangener Entscheidung hat der Court of Appeal (Berufungsgericht) im Rahmen des bei ihm anhängigen Berufungsverfahrens beschlossen, die Anwendung des Eilvorabentscheidungsverfahrens zu beantragen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen (Rechtssache C‑325/18 PPU):

1.      Wenn geltend gemacht wird, dass Kinder von ihren Eltern und/oder anderen Familienmitgliedern widerrechtlich aus dem Land ihres gewöhnlichen Aufenthalts gebracht wurden und dabei gegen eine von einer Behörde dieses Staates erwirkte gerichtliche Entscheidung verstoßen wurde, darf diese Behörde dann für jede gerichtliche Entscheidung, mit der die Rückführung der Kinder in den Zuständigkeitsbereich dieses Gerichts angeordnet wird, die Vollstreckung vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nach den Vorschriften von Kapitel III der Verordnung Nr. 2201/2003 beantragen, oder würde dies auf eine rechtswidrige Umgehung von Art. 11 der Verordnung und des Haager Übereinkommens von 1980 oder in anderer Weise auf einen Missbrauch von Rechten oder Rechtsvorschriften durch die betreffende Behörde hinauslaufen?

2.      Besteht in einem Fall, der die Vollstreckungsvorschriften der Verordnung Nr. 2201/2003 betrifft, eine Befugnis, die in Art. 33 Abs. 5 genannten Fristen zu verlängern, wenn die Verspätungen im Wesentlichen geringfügig waren und eine Fristverlängerung sonst nach nationalem Verfahrensrecht gewährt worden wäre?

3.      Unbeschadet der zweiten Frage: Wenn eine ausländische Behörde die Kinder, um die es bei dem Rechtsstreit geht, aufgrund einer Entscheidung über die Vollstreckung, die im Einklang mit Art. 31 der Verordnung Nr. 2201/2003 ohne Anhörung der Beteiligten ergangen ist, noch vor der Zustellung der Entscheidung an die Eltern aus dem Zuständigkeitsbereich eines Mitgliedstaats verbringt und die Eltern dadurch ihrer Rechte beraubt, die Aussetzung einer solchen Entscheidung für die Dauer eines Rechtsmittelverfahrens zu beantragen, beeinträchtigt dann ein solches Verhalten den Wesensgehalt der Rechte der Eltern aus Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) so stark, dass eine Verlängerung der (in Art. 33 Abs. 5 der Verordnung angegebenen) Frist gewährt werden sollte?

56.      Des Weiteren hat der Court of Appeal (Berufungsgericht) mit am 7. Juni 2018 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangener Entscheidung im Rahmen des zwischenzeitlich bei ihm eröffneten Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt und auch insoweit die Anwendung des Eilvorabentscheidungsverfahrens beantragt (Rechtssache C‑375/18 PPU):

Ist es mit dem Unionsrecht und insbesondere mit den Vorschriften der Verordnung Nr. 2201/2003 vereinbar, wenn die Gerichte eines Mitgliedstaats eine einstweilige Verfügung (Schutzmaßnahmen) erlassen, die sich in personam an eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats richtet und mit der diese Behörde daran gehindert wird, vor den Gerichten des anderen Mitgliedstaats die Adoption von Kindern in die Wege zu leiten, wenn die In-personam-Verfügung auf der Notwendigkeit beruht, die Rechte der Parteien eines Vollstreckungsverfahrens im Rahmen von Kapitel III der Verordnung von 2003 zu schützen?

57.      Im Anschluss an die Verwaltungssitzung vom 11. Juni 2018 hat die Erste Kammer des Gerichtshofs beschlossen, die vorliegenden Rechtssachen zu verbinden und sie dem Eilvorabentscheidungsverfahren im Sinne von Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.

58.      Im Rahmen des Verfahrens vor dem Gerichtshof haben die Eltern, der HCC, die Europäische Kommission sowie die Regierungen Irlands und des Vereinigten Königreichs Erklärungen abgegeben und die letztgenannte Regierung hat Fragen des Gerichtshofs beantwortet. Diese Beteiligten sowie die tschechische und die polnische Regierung haben an der mündlichen Verhandlung vom 13. Juli 2018 teilgenommen.

V.      Würdigung

A.      Zur Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen

59.      Aus dem zeitlichen Ablauf des Ausgangsverfahrens ergibt sich, dass die Rückgabe der Kinder nach England erfolgte, bevor der Exequaturbeschluss des irischen High Court den Eltern zugestellt wurde. Diese konnten somit ihren Rechtsbehelf gegen diesen Beschluss erst nach dessen Vollstreckung einlegen.

60.      Unter diesen Umständen könnte sich die Frage nach dem Fortbestand des Ausgangsrechtsstreits und somit nach der Zulässigkeit der vorliegenden Vorabentscheidungsfragen stellen.

61.      Aus der Systematik der Verordnung Nr. 2201/2003 geht zwar hervor, dass eine Exequaturentscheidung der Partei, gegen die die Vollstreckung beantragt wird, vor der Vollstreckung zuzustellen ist, um es dieser Partei zu ermöglichen, rechtzeitig einen Rechtsbehelf zur Verhinderung der Vollstreckung einzulegen(14).

62.      Dies kann jedoch nicht umgekehrt bedeuten, dass, wenn die Vollstreckung vor der Zustellung der Exequaturentscheidung erfolgte, ein Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung gegenstandslos würde(15).

63.      Insoweit hat die Kommission zwar in der mündlichen Verhandlung betont, dass die Verordnung Nr. 2201/2003 kein besonderes Verfahren vorsehe, das die englischen Gerichte verpflichten würde, eine etwaige Aufhebung der Exequaturentscheidung durch das vorlegende Gericht zu berücksichtigen.

64.      Gleichwohl aber könnten in einer solchen Situation, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs bestätigt hat, die Eltern in England einen Rechtsbehelf einlegen, und die englischen Gerichte würden aufgrund der internationalen Courtoisie („international comity“) die Entscheidung des irischen Gerichts nicht unbeachtet lassen, sondern vielmehr deren Begründung vorrangige Bedeutung beimessen. Zudem ist die Rückgabe der Kinder nach England, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs und der Vertreter des HCC ebenfalls angemerkt haben, nicht unumkehrbar, so dass sie vorbehaltlich der Berücksichtigung ihres Wohls gegebenenfalls durchaus erneut nach Irland gebracht werden könnten. Die Regierung des Vereinigten Königreichs und der Vertreter des HCC haben außerdem darauf hingewiesen, dass solche Hin- und Rückreisen häufig vorkämen, u. a. bei der Anwendung des Haager Übereinkommens zwischen dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten von Amerika

65.      Somit bestehen am Fortbestand des Ausgangsrechtsstreits und folglich an der Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen keine Zweifel.

B.      Zur ersten Vorlagefrage in der Rechtssache C325/18 PPU

66.      Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C‑325/18 PPU möchte das vorlegende Gericht wissen, ob, wenn eine widerrechtliche Verbringung von Kindern geltend gemacht wird, eine Entscheidung eines Gerichts des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts, mit der die Rückgabe dieser Kinder angeordnet wird, im Zufluchtsmitgliedstaat nach den allgemeinen Vorschriften von Kapitel III der Verordnung Nr. 2201/2003 für vollstreckbar erklärt werden kann, oder ob dies eine Umgehung des besonderen Verfahrens darstellt, das das Haager Übereinkommen in Verbindung mit Art. 11 der Verordnung Nr. 2201/2003 für die Fälle einer Verbringung von Kindern vorsieht (im Folgenden auch: Haager Verfahren).

67.      Die Eltern sowie das vorlegende Gericht scheinen der Ansicht zu sein, dass im Fall einer Verbringung von Kindern von einem Mitgliedstaat in einen anderen ein Subsidiaritätsverhältnis zwischen dem Haager Verfahren und dem nach der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehenen gewöhnlichen Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung besteht.

68.      Art. 11 der Verordnung Nr. 2201/2003 in Verbindung mit dem Haager Übereinkommen ermöglicht es einer Person, die geltend macht, dass ein Kind widerrechtlich in einen anderen Mitgliedstaat verbracht worden sei, beim zuständigen Gericht oder der zuständigen Verwaltungsbehörde dieses Mitgliedstaats die Anordnung der Rückgabe des Kindes zu beantragen. Lehnt ein Gericht des Mitgliedstaats, in dem sich das Kind aufhält, es nach Art. 13 des Haager Übereinkommens ab, die Rückgabe anzuordnen(16), gestattet Art. 11 Abs. 8 der Verordnung Nr. 2201/2003 es einem nach dieser Verordnung zuständigen Gericht, eine Entscheidung zu erlassen, mit der die Rückgabe angeordnet wird. Diese Entscheidung ist anschließend unmittelbar, ohne Erfordernis eines Exequaturverfahrens, im Zufluchtsmitgliedstaat vollstreckbar, sofern sie nach dem vorgesehenen Verfahren erlassen und bescheinigt worden ist(17).

69.      Im vorliegenden Fall steht fest, dass der HCC dieses Verfahren nicht in Anspruch genommen hat und dass somit keine Rückgabeentscheidung im Sinne von Art. 11 Abs. 8 der Verordnung Nr. 2201/2003 ergangen ist. Wie der HCC in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, entschied er sich insbesondere deshalb nicht für dieses Verfahren, weil es nur im Fall einer widerrechtlichen Verbringung eines Kindes unter Verletzung des Sorgerechts anwendbar ist(18). Zu dem Zeitpunkt, als sich die Familie nach Irland begab, hatte der HCC jedoch nur die Gewissheit, dass ihm das Sorgerecht hinsichtlich der beiden älteren Kinder zustand. Er war sich daher nicht sicher, ob die Verbringung des Babys als widerrechtlich im Sinne der einschlägigen Vorschriften hätte angesehen werden können(19).

70.      Aus diesem Grund beantragte der HCC unmittelbar beim englischen High Court, die Kinder unter gerichtliche Vormundschaft zu stellen und ihre Rückgabe nach England anzuordnen, bevor er nach Art. 28 der Verordnung Nr. 2201/2003 beim irischen High Court einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Beschlusses des englischen High Court stellte.

1.      Zur Möglichkeit, die Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung gemäß der Verordnung Nr. 2201/2003 unabhängig vom Haager Verfahren zu beantragen

71.      Die Verordnung Nr. 2201/2003 sieht zwei unterschiedliche Möglichkeiten für die Vollstreckung von Entscheidungen vor, die Gerichte anderer Mitgliedstaaten erlassen haben: zum einen das allgemeine Verfahren eines Antrags auf Vollstreckbarerklärung nach Kapitel III Abschnitt 2 (Art. 28 ff.) und zum anderen das besondere Verfahren der in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar – ohne das Erfordernis einer Vollstreckbarerklärung – vollstreckbaren Entscheidungen nach Kapitel III Abschnitt 4 (Art. 40 ff.). Die letztgenannte Möglichkeit besteht nur für Entscheidungen im Sinne von Art. 11 Abs. 8(20) der Verordnung Nr. 2201/2003, d. h. für Entscheidungen über die Rückgabe, die am Schluss der Durchführung des Haager Verfahrens von einem zuständigen Gericht nach einer die Rückgabe des Kindes verweigernden Entscheidung eines Gerichts des Mitgliedstaats, in dem sich das Kind befindet, erlassen wurden.

72.      Gemäß Art. 40 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 kann der Träger der elterlichen Verantwortung jedoch ungeachtet der (die Vollstreckbarkeit von gemäß dem Haager Verfahren ergangenen Rückgabeentscheidungen betreffenden) Bestimmungen von Kapitel III Abschnitt 4 die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung nach Maßgabe der Abschnitte 1 und 2 dieses Kapitels beantragen.

73.      Die Umstände des Ausgangsverfahrens zeigen im Übrigen, dass es Situationen geben kann, in denen eine Entscheidung, mit der die elterliche Verantwortung einer Person übertragen wird, die in einem Mitgliedstaat verblieben ist, erst nach der Verbringung eines Kindes in einen anderen Mitgliedstaat getroffen wird, so dass die Verbringung nicht widerrechtlich im Sinne des Haager Verfahrens ist. Es wäre nicht hinzunehmen, dass es einer solchen Person in diesem Fall nicht möglich sein sollte, die Vollstreckbarerklärung der Entscheidung, mit der ihr die elterliche Verantwortung übertragen wurde, gemäß der Verordnung Nr. 2201/2003 im Zufluchtsmitgliedstaat zu beantragen.

74.      Folglich ist nicht ersichtlich, dass eine Person, die die Rückgabe eines in einen anderen Mitgliedstaat verbrachten Kindes erwirken möchte, zwingend versuchen müsste, diese Rückgabe im Wege des Haager Verfahrens anordnen zu lassen, bevor sie nach Art. 28 der Verordnung Nr. 2201/2003 einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung über ihre elterliche Verantwortung stellen kann, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangen ist(21).

75.      Die von den Eltern und dem vorlegenden Gericht hinsichtlich dieser Auslegung vorgebrachten Zweifel vermögen nicht zu überzeugen.

76.      So kann zunächst der Ansicht des vorlegenden Gerichts, wonach Art. 13 des Haager Übereinkommens mehr Gründe für die Ablehnung der Anordnung der Rückgabe eines Kindes biete als Art. 23 der Verordnung Nr. 2201/2003 Gründe für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung, nicht gefolgt werden. Die nach diesen Vorschriften vorgesehenen Gründe für eine Ablehnung bzw. Nichtanerkennung überschneiden sich nämlich weitgehend.

77.      Dies gilt umso mehr, als die Verordnung Nr. 2201/2003 die nach dem Haager Übereinkommen vorgesehenen Möglichkeiten einer Ablehnung der Rückgabe abschwächt, wenn dieses Übereinkommen in Verbindung mit dieser Verordnung zwischen den Mitgliedstaaten der Union angewandt wird: Zum einen mildert Art. 11 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2201/2003 den in Art. 13 Buchst. b des Haager Übereinkommens vorgesehenen Ablehnungsgrund ab; zum anderen kann sich ein in der Hauptsache zuständiges Gericht nach Art. 11 der Verordnung Nr. 2201/2003, wie bereits ausgeführt(22), über eine die Rückgabe verweigernde Entscheidung eines Gerichts im Zufluchtsmitgliedstaat hinwegsetzen, auch wenn es nach Art. 42 Abs. 2 Buchst. c dieser Verordnung die Gründe berücksichtigen muss, die zum Erlass dieser Nichtrückgabeentscheidung geführt haben.

78.      Sodann geht zwar aus Art. 11 Abs. 7 und Art. 42 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 hervor, dass eine auf Art. 11 Abs. 8 dieser Verordnung gestützte Entscheidung über die Rückgabe nicht ergehen kann, ohne dass die Parteien Gelegenheit hatten, gehört zu werden. Jedoch ergibt sich aus Art. 31 Abs. 2 in Verbindung mit den Art. 23 und 33 der Verordnung Nr. 2201/2003, dass auch eine Entscheidung über die elterliche Verantwortung in einem anderen Mitgliedstaat nicht für vollstreckbar erklärt werden kann, ohne dass die Person, gegen die die Vollstreckung beantragt wurde, Gelegenheit hatte, gehört zu werden(23). Somit lässt sich daraus, dass die letztgenannten Vorschriften im vorliegenden Fall nicht beachtet wurden(24), nicht ableiten, dass das in den Art. 28 ff. der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehene normale Verfahren der Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung allgemein die Rechte des Vollstreckungsschuldners weniger schützen würde als das Verfahren nach den Art. 11, 40 und 42 dieser Verordnung.

79.      Schließlich lässt sich auch aus dem Umstand, dass in manchen Sprachfassungen der Verordnung Nr. 2201/2003(25) deren Art. 21 und 28 hinsichtlich des Gegenstands des Antrags auf Vollstreckbarerklärung unterschiedlich formuliert sind, nichts anderes herleiten. So bestimmt Art. 21 zwar, dass die „in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen“ (d. h. nach der Definition in Art. 2 Nr. 4 jede Entscheidung über die elterliche Verantwortung) in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden, während Art. 28 der betreffenden Sprachfassungen einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung nur für die „in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen über die Ausübung(26) der elterlichen Verantwortung“ vorsieht. Jedoch ist dieser Unterschied nicht nur nicht in allen Sprachfassungen der Verordnung Nr. 2201/2003 vorhanden, sondern spiegelt überdies lediglich den Umstand wider, dass vor allem Entscheidungen über die Ausübung der elterlichen Verantwortung Vollstreckungsmaßnahmen und somit eine Exequaturentscheidung erfordern. Für die Entscheidungen über die Zuweisung, die Übertragung oder die Entziehung der elterlichen Verantwortung kann hingegen die bloße Anerkennung genügen. Dies kann jedoch nicht bedeuten, dass ein Antrag auf Vollstreckbarerklärung hinsichtlich solcher Entscheidungen ausgeschlossen wäre, aus denen zwingend gegebenenfalls ebenso die Zwangsvollstreckung möglich ist.

80.      So kann insbesondere im Fall einer Verbringung eines Kindes vom Mitgliedstaat seines gewöhnlichen Aufenthalts in einen anderen Mitgliedstaat aus einer Entscheidung eines Gerichts des Herkunftsmitgliedstaats, mit der die elterliche Verantwortung und das Sorgerecht einem in diesem Staat verbliebenen Elternteil zugewiesen wird, dahin gehend die Zwangsvollstreckung betrieben werden, dass, sollte der entführende Elternteil das Kind nicht „zurückgeben“, die Unterstützung der öffentlichen Gewalt erforderlich ist, um das Kind wiederzuerlangen und zurückzubringen. Dies gilt umso mehr, als nach Art. 2 Nr. 9 der Verordnung Nr. 2201/2003 das „Sorgerecht“ im Sinne dieser Verordnung u. a. das Recht auf die Bestimmung des Aufenthaltsortes des Kindes umfasst(27).

81.      Diese Auslegung wird durch den Wortlaut der Bescheinigung nach Art. 39 der Verordnung Nr. 2201/2003 bestätigt, die als Muster in Anhang II dieser Verordnung angeführt ist. Eine solche Bescheinigung, die auch im vorliegenden Fall vom englischen High Court ausgefüllt wurde, muss nach Art. 37 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 von der Partei vorgelegt werden, die die Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung erwirken will. Nr. 11 dieses Formulars sieht aber gerade die Möglichkeit vor, anzugeben, ob „[i]n der Entscheidung … die Rückgabe der Kinder angeordnet [wird]“, sowie den Namen und die Anschrift des Rückgabeberechtigten. Zudem wird in dieser Nr. 11 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „[d]iese Möglichkeit … in Artikel 40 Absatz 2 vorgesehen [ist]“.

82.      Dies bestätigt, dass der Gesetzgeber sehr wohl Entscheidungen über die elterliche Verantwortung vorgesehen hat, die die Rückgabe eines Kindes in einen anderen Mitgliedstaat umfassen und deren Vollstreckbarerklärung unabhängig von einer Inanspruchnahme des nach den Art. 11, 40 und 42 der genannten Verordnung vorgesehenen Haager Verfahrens beantragt werden kann.

2.      Zur Unmöglichkeit, nach der Verordnung Nr. 2201/2003 die Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung zu beantragen, die die Rückgabe eines Kindes anordnet, aber nicht mit einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung verbunden ist

83.      Es ist notwendig, Entscheidungen, die die Rückgabe eines Kindes in den Herkunftsmitgliedstaat als Folge einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung umfassen oder anordnen, von Entscheidungen zu unterscheiden, mit denen die Rückgabe einer Person, im vorliegenden Fall eines Kindes, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unabhängig von einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung angeordnet wird: Beide Arten von Entscheidungen können die Rückgabe des Kindes in den Herkunftsmitgliedstaat umfassen, aber nur die erstgenannten Entscheidungen können im ersuchten Mitgliedstaat nach Kapitel III Abschnitt 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 für vollstreckbar erklärt werden.

84.      Somit ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten auf der Grundlage ihres nationalen Rechts die Rückgabe eines Kindes in ihr Hoheitsgebiet unabhängig davon anordnen können, ob eine Entscheidung über die elterliche Verantwortung getroffen wurde(28).

85.      Jedoch fällt eine solche Rückgabeanordnung, wenn sie keine nach Art. 11 Abs. 8 der Verordnung Nr. 2201/2003 erlassene Rückgabeentscheidung (d. h. eine gemäß dem Haager Verfahren ergangene Entscheidung) darstellt, nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2201/2003.

86.      Diese Verordnung gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Buchst. b nämlich ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit für Zivilsachen(29), die insbesondere die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung und die Entziehung der elterlichen Verantwortung zum Gegenstand haben. Der Gerichtshof hat insoweit zwar darauf hingewiesen, dass der Begriff „Zivilsachen“ in diesem Zusammenhang nicht restriktiv zu verstehen ist(30) und insbesondere staatliche Maßnahmen zum Schutz eines Kindes wie die Unterbringung in einer Pflegefamilie(31) oder in einer geschlossenen Einrichtung(32) umfasst.

87.      Gleichwohl knüpft eine solche staatliche Maßnahme zum Schutz von Kindern stets an die Ausübung der elterlichen Verantwortung an und ist somit von einer Maßnahme zu unterscheiden, mit der die Rückgabe einer Person, im vorliegenden Fall eines Kindes, in das Hoheitsgebiet des betreffenden Gerichts unabhängig von einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung angeordnet wird. Gegenstand(33) einer solchen Maßnahme ist nämlich die Ausübung polizeilicher Befugnisse durch den betreffenden Mitgliedstaat, die den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2201/2003 überschreitet(34).

88.      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass außer in den von Art. 11 der Verordnung Nr. 2201/2003 erfassten Fällen eine gerichtliche Entscheidung, mit der die Rückgabe eines Kindes in das Hoheitsgebiet des betreffenden Gerichts unabhängig von einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung angeordnet wird, nicht in den Anwendungsbereich der genannten Verordnung fällt. Somit kann eine solche Entscheidung nicht gemäß den Vorschriften von Kapitel III Abschnitt 2 dieser Verordnung für vollstreckbar erklärt werden.

3.      Zwischenergebnis

89.      Wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, besteht der Tenor des Beschlusses des englischen High Court vom 8. September 2017 aus mehreren verschiedenen Teilen, nämlich insbesondere der Anordnung der gerichtlichen Vormundschaft über die Kinder, der Anordnung der Rückgabe der Kinder in das Gebiet des englischen Gerichts sowie der Erlaubnis zur Inobhutnahme der Kinder durch die irischen Kinderschutzdienste für die Zeit der Organisation ihrer Rückgabe und zur Inobhutnahme der Kinder durch den HCC nach erfolgter Rückgabe.

90.      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, auf der Grundlage des Wortlauts dieses Beschlusses und in Anbetracht der übrigen vorliegenden Umstände zu bestimmen, ob das in Kapitel III Abschnitt 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehene Exequaturverfahren auf die in diesem Beschluss enthaltene Rückgabeanordnung anwendbar war.

91.      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass auf die erste Frage in der Rechtssache C‑325/18 PPU zu antworten ist, dass, wenn eine widerrechtliche Verbringung von Kindern aus dem Mitgliedstaat ihres gewöhnlichen Aufenthalts in einen anderen Mitgliedstaat geltend gemacht wird, eine von einem Gericht des Herkunftsmitgliedstaats außerhalb des in Art. 11 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehenen Verfahrens und unabhängig von einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung erlassene Entscheidung, mit der die Rückgabe dieser Kinder angeordnet wird, nicht nach den Bestimmungen des Kapitels III dieser Verordnung vollstreckt werden kann. Jedoch kann unter solchen Umständen eine von einem Gericht des Herkunftsmitgliedstaats erlassene Entscheidung über die elterliche Verantwortung, die die Rückgabe des Kindes in diesen Mitgliedstaat umfasst, nach diesen Bestimmungen vollstreckt werden.

C.      Zur zweiten und zur dritten Vorlagefrage in der Rechtssache C325/18 PPU sowie zur Vorlagefrage in der Rechtssache C375/18 PPU

92.      Die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C‑325/18 PPU sowie die Frage in der Rechtssache C‑375/18 PPU sind nur relevant, wenn das vorlegende Gericht mit einem Verfahren über einen Rechtsbehelf gegen eine Exequaturentscheidung gemäß der Verordnung Nr. 2201/2003 befasst ist. Andernfalls läge das Ausgangsverfahren außerhalb des Geltungsbereichs des Unionsrechts und der Gerichtshof wäre für die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen nicht zuständig(35).

93.      Die Antworten auf die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C‑325/18 PPU sowie auf die Frage in der Rechtssache C‑375/18 PPU werden somit für den Fall gegeben, dass das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschluss des englischen High Court vom 8. September 2017 durch den Exequaturbeschluss des irischen High Court vom 21. September 2017 gemäß der Verordnung Nr. 2201/2003 für vollstreckbar erklärt werden konnte, und dass das bei ihm anhängige Rechtsbehelfsverfahren somit durch die Bestimmungen dieser Verordnung geregelt wird.

1.      Zur Frist (zweite und dritte Vorlagefrage in der Rechtssache C325/18 PPU)

94.      Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage in der Rechtssache C‑325/18 PPU, die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es ihm in einem Fall, in dem die Vollstreckung einer Exequaturentscheidung vor der Zustellung dieser Entscheidung erfolgte, durch das Unionsrecht untersagt ist, die in Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 festgelegte Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Exequaturentscheidung zu verlängern.

a)      Vorbemerkungen

95.      Nach Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 beträgt die Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Vollstreckbarerklärung einen Monat bzw., wenn die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem hat, in dem diese Erklärung erteilt worden ist, zwei Monate.

96.      Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Rechtsbehelfsfrist zwei Monate ab der Zustellung des Exequaturbeschlusses des irischen High Court vom 21. September 2017(36) betrug, dass dieser Beschluss den Eltern am 22. September 2017(37) zugestellt wurde, und dass diese ihren Rechtsbehelf dagegen am 24. November 2017(38) einlegten. Das vorlegende Gericht geht somit von der Prämisse aus, dass der Rechtsbehelf der Eltern mit einer Verspätung von 48 Stunden eingelegt wurde.

97.      Zwar ist es nicht Sache des Gerichtshofs, diese Prämisse und die ihr zu Grunde liegenden Tatsachenfeststellungen des vorlegenden Gerichts in Frage zu stellen. Zudem scheint keiner der Beteiligten in Zweifel zu ziehen, dass der Zeitpunkt des Beginns der Rechtsbehelfsfrist effektiv der Zeitpunkt der Zustellung des Exequaturbeschlusses des irischen High Court vom 21. September 2017 an die Eltern war, d. h. der 22. September 2017(39).

98.      Jedoch enthält die nationale Akte, wie auch das vorlegende Gericht anmerkt, ein auf den 27. September 2017 datiertes und gemäß Order 12 Regel 9 der Rules of the Superior Courts (Verfahrensordnung der Obergerichte) und dem darin genannten Formular Nr. 1 in Teil II des Anhangs A abgefasstes „memorandum of appearance“ des Vertreters der Eltern. In diesem Dokument gibt der Vertreter der Eltern an, die „originating summons“ erhalten zu haben und ersucht um Übersendung eines „statement of claim“, was sich offenbar auf den Antrag auf Vollstreckbarerklärung bezieht, den der HCC beim irischen High Court eingereicht hatte, um die Vollstreckbarerklärung des Beschlusses des englischen High Court vom 8. September 2017 zu erwirken.

99.      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dieses Tatsachenelement zu würdigen und zu bestimmen, ob der Umstand – unterstellt, er trifft zu –, dass die Eltern den Antrag auf Vollstreckbarerklärung des HCC oder irgendein anderes maßgebliches Dokument zum Zeitpunkt der Zustellung des Exequaturbeschlusses des irischen High Court vom 21. September 2017 noch nicht erhalten hatten, Auswirkungen auf den Beginn der Rechtsbehelfsfrist hat.

100. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der effektive Schutz der Grundrechte, die das Unionsrecht den Einzelnen verleiht, es gebietet, dass Letzteren eine vollständige Begründung mitgeteilt wird, damit sie sich unter den bestmöglichen Bedingungen verteidigen können(40). Ferner hat der Gerichtshof im Rahmen von Klagen gegen Handlungen der Unionsorgane festgestellt, dass die Klagefrist erst dann zu laufen beginnt, wenn die betroffene Person so genaue Kenntnis vom Inhalt und von den Gründen der betreffenden Handlung hat, dass sie ihr Klagerecht ausüben kann(41). Schließlich ist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinzuweisen, wonach eine Klagefrist erst zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnen darf, zu dem die Kläger von der gerichtlichen Entscheidung in ihrer Gesamtheit tatsächlich Kenntnis haben können(42).

101. Nur wenn das vorlegende Gericht aufgrund dieser Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Rechtsbehelf der Eltern tatsächlich verfristet war, stellt sich die Frage, ob die in Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 festgelegte Frist in einem Fall verlängert werden kann, in dem die Vollstreckung einer Exequaturentscheidung vor der Zustellung dieser Entscheidung an den Vollstreckungsschuldner vorgenommen wurde.

b)      Zur Möglichkeit, die in Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehene Frist zu verlängern

102. Nach Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 ist der Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung innerhalb eines Monats bzw., wenn die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem hat, in dem diese Erklärung erteilt worden ist, innerhalb von zwei Monaten einzulegen. Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen.

103. Da Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 seinem Wortlaut nach lediglich vorschreibt, dass die Rechtsbehelfsfrist nicht aus Gründen der Entfernung verlängert werden kann(43), ist eine Verlängerung dieser Frist aus anderen Gründen als der Entfernung nicht ausgeschlossen(44).

104. Wie die Eltern zu Recht geltend machen, wird eine solche wörtliche Auslegung dadurch gestützt, dass die Verordnung Nr. 2201/2003 im Übrigen ganz klare Bestimmungen zu etwaigen Ausschlüssen, Verboten oder Beschränkungen hinsichtlich der Befugnisse der betreffenden Gerichte enthält(45). Somit ist der Umstand, dass nur die Verlängerung aufgrund der Entfernung ausdrücklich untersagt ist, ein Indiz dafür, dass der Unionsgesetzgeber eine Verlängerung der in Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 festgelegten Frist aus anderen Gründen nicht ausschließen wollte.

105. Eine systematische Auslegung der in Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehenen Rechtsbehelfsfrist führt zum selben Ergebnis. So geht aus der Systematik von Art. 33 hervor, dass der Zweck der in seinem Abs. 5 für die Einlegung eines Rechtsbehelfs vorgesehenen Frist darin besteht, die Vollstreckung von in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen, die nach Art. 31 für vollstreckbar erklärt wurden, nicht zu verzögern. Dieser Zweck leitet sich daraus ab, dass nach Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 eine Frist nur für den Rechtsbehelf des Vollstreckungsschuldners gilt, also für den Fall, dass eine Exequaturentscheidung ergangen ist. Hingegen gilt nach Art. 33 Abs. 4 der genannten Verordnung für den Rechtsbehelf, den der Vollstreckungsgläubiger einlegt, keine Frist, wenn er die Zurückweisung seines nach Art. 28 eingereichten Antrags auf Erlass einer Entscheidung zur Vollstreckbarerklärung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung durch das angerufene Gericht anficht.

106. Daraus folgt, dass eine Verlängerung der Frist insbesondere dann nicht ausgeschlossen ist, wenn sie nicht die Gefahr begründet, die Vollstreckung einer für vollstreckbar erklärten Entscheidung über Gebühr zu verzögern.

107. Diese Voraussetzung ist unter den Umständen des vorliegenden Falles erfüllt, in dem die Entscheidung, deren Vollstreckbarerklärung beantragt wurde, bereits vor Einlegung des Rechtsbehelfs vollstreckt wurde, so dass eine Verlängerung der Rechtsbehelfsfrist nicht mehr die Gefahr begründet, die Vollstreckung zu verzögern. Man könnte sogar die Ansicht vertreten, dass es in einem solchen Fall möglich sein müsste, dass der Vollstreckungsschuldner den Rechtsbehelf nach Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 ebenso wie der Vollstreckungsgläubiger den Rechtsbehelf nach Art. 33 Abs. 4 zeitlich unbegrenzt einlegen kann. Ohne so weit zu gehen, genügt die Feststellung, dass die Frist in einem solchen Fall jedenfalls nicht restriktiv angewandt werden darf.

108. Folglich schließt die Verordnung Nr. 2201/2003 es nicht aus, dass das zuständige Gericht die in Art. 33 Abs. 5 der genannten Verordnung vorgesehene Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs verlängert(46). Nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten ist es Sache der einzelstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats, die Verfahrensmodalitäten einer solchen Verlängerung zu regeln.

c)      Zur Abwägung, die bei einer Verlängerung der in Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehenen Rechtsbehelfsfrist vorzunehmen ist

109. Selbst wenn die Verordnung Nr. 2201/2003 eine Verlängerung oder eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand(47) bezüglich der in Art. 33 Abs. 5 der genannten Verordnung vorgesehenen Frist nicht ausschließt, stellt die Anwendung dieser Frist doch den Grundsatz dar, von dem Ausnahmen nur in gebührend begründeten Fällen möglich sind.

110. Hinzu kommt, dass die Befugnis des nationalen Gerichts, diese Frist in solchen Fällen zu verlängern oder die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, durch die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität begrenzt wird(48).

111. Zum einen scheint die Wahrung des Äquivalenzgrundsatzes – der besagt, dass die Verfahrensmodalitäten für die Rechtsbehelfe, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln(49) – im vorliegenden Fall kein Problem darzustellen. Aus der Vorlageentscheidung geht nämlich hervor, dass das irische Recht dem Gericht die Befugnis einräumt, die Rechtsbehelfsfrist in gebührend begründeten Fällen zu verlängern, wenn es um die Anwendung innerstaatlichen Rechts geht(50).

112. Zum anderen dürfen nach dem Effektivitätsgrundsatz innerstaatliche Verfahrensmodalitäten die Ausübung der vom Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren(51).

113. Insoweit nimmt die Verordnung Nr. 2201/2003, insbesondere ihr Kapitel III Abschnitt 2, einen Ausgleich vor zwischen dem Recht des Vollstreckungsgläubigers, rasch Befriedigung zu erlangen, und dem Recht des Vollstreckungsschuldners, sich im ersuchten Mitgliedstaat gegen die Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung effektiv zur Wehr zu setzen(52). Außerdem sind sämtliche Bestimmungen der Verordnung Nr. 2201/2003 von dem Zweck, die Berücksichtigung des Wohles des Kindes bestmöglich sicherzustellen und darauf zu achten, dass die Wahrung seiner Grundrechte im Sinne von Art. 24 der Charta gewährleistet ist, durchwoben und auf diesen Zweck gegründet(53).

114. Daraus folgt, dass ein nationales Gericht, wenn es, wie im vorliegenden Fall das vorlegende Gericht, die Verfahrensmodalitäten seines innerstaatlichen Rechts anwendet, um über eine Verlängerung der in Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehenen Frist zu entscheiden, sicherstellen muss, dass die Wirksamkeit der in der vorstehenden Nummer angeführten Rechte und Zwecke gewahrt wird. Diese zwingende Vorgabe kann es in einem konkreten Fall gebieten, die Frist zu verlängern, wie sie es auch gebieten kann, einer solchen Verlängerung zeitliche Grenzen zu setzen. Im Rahmen der Abwägung, die es dazu vorzunehmen hat, muss das betreffende Gericht die allgemeine Systematik der Verordnung sowie sämtliche im konkreten Fall vorliegenden Begleitaspekte berücksichtigen.

115. Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht insoweit insbesondere die im Folgenden angeführten Aspekte zu berücksichtigen.

1)      Umfang der Fristüberschreitung

116. Die Verordnung Nr. 2201/2003 soll nicht nur eine rasche Durchführung der Entscheidungen ermöglichen, deren Vollstreckbarerklärung beantragt wurde, sondern auch Rechtssicherheit bei der Anerkennung und Vollstreckung solcher Entscheidungen gewährleisten. Der Rechtssicherheit kann es jedoch abträglich sein, die Infragestellung der Rechtmäßigkeit einer bereits vollstreckten Entscheidung ohne jede zeitliche Begrenzung zuzulassen. Dies gilt umso mehr, als die Aufhebung der Exequaturentscheidung zu einer Umkehrung der durch die übereilte Vollstreckung geschaffenen Situation führen kann, d. h. in einem Fall wie dem vorliegenden zur Rückgabe der Kinder in den ersuchten Mitgliedstaat(54). Das nationale Gericht hat somit den Umfang der Zeit zu berücksichtigen, die gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Frist vergangen ist. Im vorliegenden Fall ist die Verspätung um 48 Stunden, mit der der Rechtsbehelf der Eltern eingelegt wurde, geringfügig, so dass die Zulassung dieses Rechtsbehelfs keinen signifikanten Unterschied gegenüber der ursprünglichen Frist nach Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 zur Folge hat.

2)      Ziele der Verordnung Nr. 2201/2003

117. Ziel der Verordnung Nr. 2201/2003 ist es nicht nur, die Anerkennung und Vollstreckung von in anderen Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen über die elterliche Verantwortung zu erleichtern, sondern auch, zu verhindern, dass solche Entscheidungen für vollstreckbar erklärt werden, wenn dem in Art. 23 der genannten Verordnung angeführte Gründe für die Nichtanerkennung entgegenstehen. Das Fortbestehen einer tatsächlichen Situation, die aufgrund einer Entscheidung geschaffen wurde, die, obwohl offensichtlich Gründe dafür vorliegen, sie nicht anzuerkennen, für vollstreckbar erklärt und vollstreckt wurde, ohne dass derjenige, gegen den sich die Vollstreckung richtete, die Möglichkeit gehabt hätte, sich dagegen zur Wehr zu setzen, scheint daher im Hinblick auf die praktische Wirksamkeit der Verordnung Nr. 2201/2003 in Verbindung mit der Charta problematischer zu sein als die Zulassung eines mit einer Verspätung um 48 Stunden gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Frist eingelegten Rechtsbehelfs. Dies gilt umso mehr, als die Beeinträchtigung der Wirksamkeit der Bestimmungen der Verordnung Nr. 2201/2003 durch die rechtswidrige Vollstreckung einer Entscheidung solange andauert, wie die aufgrund dieser Vollstreckung geschaffene tatsächliche Situation fortbesteht(55).

3)      Beeinträchtigung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf

118. Anders als bei Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, die unter die Verordnung Nr. 1215/2012 (sogenannte Brüssel‑Ia-Verordnung)(56) fallen, und den in Art. 40 der Verordnung Nr. 2201/2003 genannten Entscheidungen über das Umgangsrecht und die Rückgabe des Kindes(57) hat sich der Unionsgesetzgeber ausdrücklich dagegen entschieden, Entscheidungen über die elterliche Verantwortung im Sinne der Verordnung Nr. 2201/2003 vom Exequaturverfahren auszunehmen. Wie die polnische Regierung in der mündlichen Verhandlung anschaulich verdeutlichte, stimmen die Brüssel‑Ia-Verordnung und die Brüssel‑IIa-Verordnung insoweit nicht überein, da Letzterer der Zweck zu Grunde liegt, das Wohl des Kindes zu schützen. Aufgrund ihres sensiblen Charakters und der Bedeutung der betroffenen Rechte der Kinder und der Eltern eignen sich die Entscheidungen über die elterliche Verantwortung nicht für eine automatische Vollstreckung ohne jegliche Kontrolle im ersuchten Mitgliedstaat. Die Durchführung des in Kapitel III Abschnitt 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehenen Exequaturverfahrens ist somit eine für die Vollstreckung jeder in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung über die elterliche Verantwortung unabdingbare Voraussetzung(58).

119. Dieses Verfahren ist aber in der Weise ausgestaltet, dass es zwingend zwei Stufen umfasst: So erlässt das mit dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung befasste Gericht zwar in einem ersten Schritt nach Art. 31 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 seine Entscheidung ohne Verzug und ohne dass die Person, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, noch das Kind in diesem Abschnitt des Verfahrens Gelegenheit erhalten, eine Erklärung abzugeben. Jedoch muss in einem zweiten Schritt vor der eigentlichen Vollstreckung einer auf diese Weise erwirkten Exequaturentscheidung die Person, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, die Möglichkeit haben, einen Rechtsbehelf einzulegen, um insbesondere einen der in Art. 23 der genannten Verordnung vorgesehenen Gründe für die Nichtanerkennung geltend machen(59) und sich rechtzeitig gegen die Vollstreckung zur Wehr setzen zu können.

120. Nach Art. 52 Abs. 1 der Charta ist eine Einschränkung der Ausübung der Grundrechte nur dann gerechtfertigt, wenn sie den Wesensgehalt des betreffenden Rechts achtet, erforderlich ist und den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entspricht.

121. Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass nur unter außergewöhnlichen, durch höchste Dringlichkeit gekennzeichneten Umständen, und wenn es das Wohl des Kindes zwingend erfordert und nach Art. 20 der Verordnung Nr. 2201/2003 erlassene einstweilige Maßnahmen nicht genügen können, eine gemäß dieser Verordnung erlassene Exequaturentscheidung ausnahmsweise unter Abweichung von der allgemeinen Regel unmittelbar mit ihrem Erlass vollstreckbar sein kann und vor Beendigung eines Rechtsbehelfsverfahrens vollstreckt werden darf. Der Gerichtshof hat solche Umstände in einem Fall anerkannt, in dem es um die Vollstreckung einer Entscheidung ging, mit der die zwangsweise Unterbringung eines Kindes in einem geschlossenen Heim in einem anderen Mitgliedstaat angeordnet wurde, das Kind bereits ausgebrochen war und mehrmals versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, und nur das Kind (nicht aber die Eltern) sich gegen diese Unterbringung zur Wehr setzte(60).

122. Aus dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens geht eindeutig hervor, dass solche außergewöhnlichen Umstände im vorliegenden Fall in keiner Weise vorlagen. Zu dem Zeitpunkt, als die Sozialarbeiter der CFA und des HCC die Vollstreckung des Exequaturbeschlusses des irischen High Court vom 21. September 2017 durchführten, indem sie die Kinder ohne Wissen der Eltern nach England zurückbrachten, befanden sich die Kinder bei einer Pflegefamilie in Irland in Sicherheit. Es bestand somit weder die Gefahr einer erneuten Flucht der Eltern mit den Kindern noch eine Gefahr einer Beeinträchtigung des Wohlergehens der Kinder, die eine sofortige Durchführung des Exequaturbeschlusses erfordert hätten.

123. Außerdem ist nicht ersichtlich, weshalb es derart dringlich gewesen sein sollte, die Kinder nach England zurückzubringen, dass dies noch vor der Zustellung des Exequaturbeschlusses an die Eltern geschehen musste, obwohl der HCC zwischen der Erwirkung des Beschlusses des englischen High Court vom 8. September 2017 und der Einreichung seines Antrags auf Vollstreckbarerklärung dieses Beschlusses am 21. September 2017 fast zwei Wochen verstreichen ließ.

124. Schließlich war im vorliegenden Fall die sofortige Durchführung der Exequaturentscheidung, d. h. die Rückgabe der Kinder nach England, geeignet, aufgrund der zumindest zeitweiligen Trennung von Eltern und Kindern einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zu verursachen. Der Gerichtshof hat anerkannt, dass die biologische Zeit bei jungen Kindern wegen ihrer geistigen und psychologischen Struktur und der Schnelligkeit, mit der sich diese Struktur entwickelt, nicht nach allgemeinen Kriterien gemessen werden kann(61). Wie der Gerichtshof festgestellt hat, birgt unter diesen Umständen eine Trennung die Gefahr einer nicht wiedergutzumachenden Verschlechterung der Beziehung zwischen den betroffenen Kindern und ihren Eltern sowie eines irreversiblen seelischen Schadens(62). Folglich bedingte im vorliegenden Fall die Wirksamkeit des prozessualen Rechts der Eltern auf einen wirksamen Rechtsbehelf auch die Wirksamkeit des Schutzes ihres in Art. 7 der Charta verankerten materiellen Rechts auf Achtung ihres Familienlebens.

125. Unter diesen Umständen ist es nicht erforderlich, über die Frage zu entscheiden, ob die so herbeigeführte Beschränkung des Rechts der Eltern auf einen wirksamen Rechtsbehelf, wie ihn Art. 47 der Charta vorsieht, den Wesensgehalt dieses Rechts im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta beeinträchtigt hat. Es genügt die Feststellung, dass die Art des Vorgehens der irischen und der englischen Behörden eine besonders schwere Beeinträchtigung des Grundrechts der Eltern auf einen wirksamen Rechtsbehelf darstellte, die in keiner Weise erforderlich war, um die Sicherheit und das Wohl der Kinder zu wahren, und die somit nicht gerechtfertigt war.

4)      Kausalzusammenhang zwischen der Nichteinhaltung der Frist und dem Verhalten der Verwaltung

126. Zwar steht im vorliegenden Fall nicht ausdrücklich fest, dass zwischen der ungerechtfertigten Beeinträchtigung des Rechts der Eltern auf einen wirksamen Rechtsbehelf einerseits und dem Umstand, dass die Eltern bei der Einreichung ihres Rechtsbehelfs gegen die Exequaturentscheidung die in Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehene Frist nicht eingehalten haben andererseits ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. Die Vertreter der Eltern haben im Übrigen angegeben, dass diese Verspätung in ihre Verantwortung falle und nicht in die der Eltern(63).

127. Dennoch kann, wie das vorlegende Gericht zu Recht bemerkt, nicht ausgeschlossen werden, dass das Verhalten des HCC und die Umstände des Ausgangsverfahrens in ihrer Gesamtheit geeignet waren, bei den Eltern ein Gefühl der Entmutigung hervorzurufen, das sie glauben machte, es sei vergebens, in Irland einen Rechtsbehelf gegen die Exequaturentscheidung einzulegen, obwohl diese vollstreckt worden war, bevor sie ihnen überhaupt zugestellt wurde. Unter diesen Umständen kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine solche Entmutigung einen mittelbaren Kausalzusammenhang mit der Verspätung bei der Einlegung des Rechtsbehelfs aufweist.

128. So ist es in Anbetracht des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens erstens nicht unmöglich, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Art und Weise, in der der HCC den Fall der in Rede stehenden Familie bearbeitet hat, einerseits und der Flucht dieser Familie nach Irland andererseits besteht(64).

129. Zweitens erging der Beschluss des englischen High Court vom 8. September 2017, mit dem die Kinder unter gerichtliche Vormundschaft gestellt wurden und ihre Rückgabe angeordnet wurde, in Abwesenheit der Eltern unter Bedingungen, unter denen es, wie von mehreren an der mündlichen Verhandlung Beteiligten bestätigt wurde, zumindest zweifelhaft ist, ob die Eltern eine wirksame Möglichkeit hatten, gehört zu werden(65).

130. Drittens wurde dieser Beschluss anschließend in Irland für vollstreckbar erklärt und ungerechtfertigterweise(66) sofort vollstreckt, ohne dass die Eltern die Möglichkeit gehabt hätten, sich dagegen zur Wehr zu setzen, obwohl sie offensichtlich mehrere der in Art. 23 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehenen Gründe für die Nichtanerkennung hätten einwenden können(67), insbesondere den Umstand, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück des HCC ihnen nicht rechtzeitig zugestellt worden war und dass die Entscheidung des englischen High Court ergangen war, ohne dass sie die Möglichkeit gehabt hätten, gehört zu werden.

131. Viertens ist es vollkommen logisch, dass die Eltern nach der Rückgabe ihrer Kinder nach England zunächst versuchten, den Beschluss des englischen High Court vom 8. September 2017 in England anzufechten.

132. Fünftens wurde ihnen aber die Zulassung der Berufung gegen diesen Beschluss vom Court of Appeal of England & Wales (Berufungsgericht von England und Wales) mit einer überaus knappen Begründung verwehrt, bei der anscheinend der offensichtlich problematische Charakter des Beschlusses des englischen High Court vom 8. September 2017 im Hinblick auf ihr Recht, gehört zu werden, nicht berücksichtigt wurde(68).

133. Diese Umstände können in ihrer Gesamtheit die Einlegung des Rechtsbehelfs der Eltern in Irland verkompliziert und schließlich zu einer verspäteten Einlegung geführt haben(69), auch wenn es für ihre Absicht, den Rechtsbehelf fristgemäß einzulegen, wie das vorlegende Gericht bemerkt, verschiedene tatsächliche Anhaltspunkte gibt. Wie der Vertreter der Eltern in der mündlichen Verhandlung zu Recht ausgeführt hat, ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass es sich bei den Eltern um sozial und wirtschaftlich benachteiligte Personen handelt, die zweifellos über weniger Mittel verfügten, um ihre Verteidigung zu organisieren, als die Verwaltung, der sie gegenüberstanden.

5)      Verhalten der Parteien

134. Die Akte des Ausgangsverfahrens enthält – anders als es offenbar in der Rechtssache Hoffmann(70) der Fall war – keine Anhaltspunkte, die darauf hindeuteten, dass hinter der verspäteten Einlegung des Rechtsbehelfs der Eltern gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Frist eine Verzögerungsabsicht, ein Behinderungswille oder ein Versuch stünde, die vorgesehenen Fristen zu umgehen. Im Gegenteil ergibt sich aus dem Sachverhalt des vorliegenden Falles, dass die Eltern in gutem Glauben handelten und ihr Möglichstes taten, um ihren Rechtsbehelf fristgemäß einzulegen.

135. Hingegen haben der HCC und seine irischen Amtskollegen, wie bereits ausgeführt, im vorliegenden Fall nicht die erforderliche Sorgfalt walten lassen(71). Insbesondere war die übereilte Vollstreckung der Exequaturentscheidung nicht gerechtfertigt(72). Das Verhalten dieser Verwaltungen ist umso mehr unentschuldbar, als es sich um Verwaltungsbehörden handelt, die im Unterschied zu einem Elternteil, der in einer Situation einer „klassischen“ grenzüberschreitenden Entführung zurückbleibt, kein Eigeninteresse an der Rückgabe der Kinder haben sollten, sondern allein unter dem Aspekt handeln müssten, deren Wohl bestmöglich zu wahren. Die Vorgehensweise der CFA und des HCC im vorliegenden Fall stand jedoch nicht mit diesem Ziel in Einklang.

d)      Zwischenergebnis

136. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass auf die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C‑325/18 PPU zu antworten ist, dass in einer Rechtssache, die die Vollstreckungsvorschriften der Verordnung Nr. 2201/2003 betrifft, das angerufene Gericht nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten befugt ist, die in Art. 33 Abs. 5 der genannten Verordnung vorgesehene Rechtsbehelfsfrist zu verlängern. Es ist Sache des betreffenden Gerichts, auf der Grundlage aller vorliegenden Anhaltspunkte und unter Berücksichtigung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität zu beurteilen, ob eine solche Verlängerung zu gewähren ist. Bei dieser Beurteilung kann dieses Gericht u. a. berücksichtigen, dass die Vollstreckung der Exequaturentscheidung vor ihrer Zustellung an den Vollstreckungsschuldner eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung von dessen in Art. 47 der Charta verankertem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf dargestellt hat.

2.      Zur einstweiligen Anordnung (Rechtssache C375/18 PPU)

137. Wie oben bereits erwähnt(73), stellten die Eltern nach der Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache C‑325/18 PPU beim vorlegenden Gericht einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, mit dem sie den Erlass einer Anordnung gegen den HCC begehrten, um zu verhindern, dass dieser bis zur Beendigung des Hauptsacheverfahrens das Verfahren zur Adoption des Babys fortführt und ein Verfahren zur Adoption der beiden älteren Kinder in die Wege leitet.

138. Vor diesem Hintergrund möchte das vorlegende Gericht mit seiner Frage in der Rechtssache C‑375/18 PPU vom Gerichtshof wissen, ob das Unionsrecht und insbesondere die Verordnung Nr. 2201/2003 es verbieten, dass gegen eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats eine Sicherungsanordnung ergeht, um es dieser Behörde zu untersagen, vor den Gerichten dieses anderen Mitgliedstaats die Adoption von Kindern in die Wege zu leiten, obwohl eine solche Anordnung erforderlich ist, um die Rechte der Parteien eines gemäß Art. 33 Abs. 5 der genannten Verordnung eingeleiteten Rechtsbehelfsverfahrens zu schützen.

a)      Vorbemerkungen

139. In seiner Frage betont das vorlegende Gericht speziell den Umstand, dass Adressat der Anordnung, um deren Erlass es ersucht wird, eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats wäre.

140. Hierzu ist zu bemerken, dass es zwar nicht ausgeschlossen ist, dass der Erlass einer solchen Anordnung gegen eine ausländische Behörde unter bestimmten Umständen spezifische Fragen im Bereich des Verfassungsrechts oder des Völkerrechts aufwerfen kann.

141. Jedoch geht es, wie das vorlegende Gericht zu Recht bemerkt, im vorliegenden Fall nicht darum, in die nationale Gerichts-, Exekutiv- und Verwaltungshoheit des Vereinigten Königreichs einzugreifen, da sich die beim vorlegenden Gericht beantragte Anordnung an den HCC in seiner Eigenschaft als Partei des Rechtsbehelfsverfahrens vor diesem Gericht richten würde. Der HCC selbst hat das Exequaturverfahren in Irland eingeleitet, zu dem das jetzige Verfahren vor dem vorlegenden Gericht lediglich die Fortsetzung bildet. Es ist daher fraglich, ob sich der HCC jetzt den Auswirkungen des Verfahrens vor dem vorlegenden Gericht entziehen kann. Der Gedanke, dass sich ein Staat, der sich an einem Verfahren vor einem Gericht eines anderen Staates beteiligt, für das so eingeleitete Verfahren der Gerichtsbarkeit dieses Staates unterwirft und sich somit nicht auf seine Immunität von der Gerichtsbarkeit berufen kann, findet sich im Übrigen auch im Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität(74).

142. Jedenfalls ist es nicht Sache des Gerichtshofs, zu bestimmen, ob im vorliegenden Fall der Umstand, dass der HCC eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats ist, das vorlegende Gericht daran hindern könnte, im Rahmen des bei ihm anhängigen Verfahrens eine Sicherungsanordnung gegen diesen zu erlassen. Die Frage des vorlegenden Gerichts beschränkt sich nämlich darauf, in Erfahrung zu bringen, ob das Unionsrecht und insbesondere die Verordnung Nr. 2201/2003 eine solche Anordnung verbieten.

b)      Zum Verbot von „anti-suit injunctions“

143. Das vorlegende Gericht geht davon aus, dass das einschlägige Adoptionsverfahren im Vereinigten Königreich ein gerichtliches Verfahren ist oder zumindest den Erlass gerichtlicher Entscheidungen erfordert. Daher fragt es sich, ob eine Anordnung, mit der dem HCC aufgegeben würde, ein solches Verfahren nicht fortzuführen oder in die Wege zu leiten, darauf hinausliefe, dem HCC zu verbieten, die zuständigen englischen Gerichte anzurufen, und ob eine solche Anordnung damit einer Art „anti-suit injunction“ vergleichbar wäre, die durch die Urteile des Gerichtshofs in den Rechtssachen Turner(75) sowie Allianz und Generali Assicurazioni Generali(76) verboten ist.

144. Einleitend ist zu bemerken, dass aus einem Schreiben, das der HCC am 27. März 2018 an das vorlegende Gericht sandte, hervorgeht, dass die Unterbringungsanordnung („placement order“), mit der der HCC ermächtigt wurde, potenzielle Adoptiveltern für das Baby zu suchen und es vorläufig bei diesen unterzubringen, bereits am 21. Dezember 2017 erging(77). Außerdem weist der HCC darauf hin, dass ein späterer Antrag auf Erlass einer Entscheidung über die Adoption des Babys („adoption order“) nunmehr von den potenziellen Adoptiveltern gestellt werden müsste. Somit ist nicht ganz klar, ob eine Anordnung durch das vorlegende Gericht gegenüber dem HCC, das Verfahren zur Adoption des Babys nicht fortzuführen, tatsächlich bedeuten würde, dem HCC zu verbieten, ein englisches Gericht anzurufen. Zudem hat der HCC in der mündlichen Verhandlung im Rahmen des vorliegenden Verfahrens wiederholt, dass er nicht vorgesehen habe, ein Verfahren zur Adoption der beiden älteren Kinder einzuleiten.

145. Unter diesen Umständen ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu bestimmen, ob die Anordnung, um deren Erlass es von den Eltern ersucht wird, tatsächlich ein „anti-suit-Element“ in dem Sinne enthalten würde, dass sie es dem HCC verbieten würde, ein englisches Gericht anzurufen. Ist dies nicht der Fall, ist nicht ersichtlich, weshalb der Erlass einer solchen Anordnung im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu „anti-suit injunctions“ problematisch sein sollte.

146. Darüber hinaus ist jedenfalls festzustellen, dass, selbst wenn eine vom vorlegenden Gericht erlassene Sicherungsanordnung zur Folge hätte, den HCC bis zur Beendigung des Hauptsacheverfahrens vorübergehend daran zu hindern, ein englisches Gericht im Hinblick auf die Adoption des Babys oder der beiden älteren Kinder anzurufen, eine solche Anordnung gleichwohl nicht durch die Verordnung Nr. 2201/2003 oder andere Bestimmungen des Unionsrechts verboten wäre.

147. Erstens ist die von den Eltern beim vorlegenden Gericht gegen den HCC beantragte Anordnung keine „anti-suit injunction“, sondern eine „freezing“ bzw. „Mareva injunction“. Eine solche Anordnung hat nicht den Zweck, die Partei, gegen die sie ergeht, daran zu hindern, ein anderes Gericht anzurufen, sondern soll diese Partei daran hindern, vor der Beendigung des Rechtsstreits unumkehrbare, vollendete Tatsachen zu schaffen, die der am Ende des Rechtsstreits zu erlassenden Entscheidung jede praktische Wirksamkeit nähmen. Es geht also darum, bis zur Beendigung des Rechtsstreits den status quo in tatsächlicher Hinsicht aufrechtzuerhalten(78).

148. Zweitens fiele eine solche „freezing injunction“ auch dann, wenn sie unter den Umständen des Ausgangsverfahrens ein „anti-suit-Element“ in dem Sinne enthielte, dass sie es dem HCC verbieten würde, ein englisches Gericht anzurufen, nicht in den Anwendungsbereich der Rechtsprechung zum Verbot von „anti-suit injunctions“.

149. Der Gerichtshof hat insoweit in den Rechtssachen Turner sowie Allianz und Generali Assicurazioni Generali entschieden, dass eine „anti-suit injunction“, d. h. im konkreten Fall eine Anordnung, mit der einer Person die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats verboten wurde, mit dem Brüsseler Übereinkommen und der Verordnung Nr. 44/2001 (sogenannte Brüssel‑I-Verordnung) unvereinbar war, da eine solche Anordnung gegen den Grundsatz verstößt, wonach jedes angerufene Gericht nach geltendem Recht selbst bestimmt, ob es für die Entscheidung über den bei ihm anhängig gemachten Rechtsstreit zuständig ist(79). Ein solcher Eingriff in die Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats ist zudem mit dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens unvereinbar, der die Grundlage für die Schaffung eines für die Gerichte im Anwendungsbereich dieser Rechtsakte verbindlichen Zuständigkeitssystems darstellt(80).

150. Die Überlegungen, die hinter diesem Verbot von „anti-suit injunctions“ stehen, lassen sich jedoch nicht auf die Umstände der vorliegenden Rechtssache übertragen.

151. So waren in den Rechtssachen, in denen der Gerichtshof die Unvereinbarkeit von „anti-suit injunctions“ mit den aus dem Brüssel/Lugano-System hervorgegangenen Rechtsinstrumenten festgestellt hat, diese Anordnungen darauf gerichtet, eine Partei eines bei einem Gericht eines Mitgliedstaats anhängigen Rechtsstreits daran zu hindern, ein gerichtliches Verfahren gegen die andere Partei desselben Rechtsstreits und hinsichtlich desselben Gegenstands vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats einzuleiten oder fortzuführen(81). Unter solchen Umständen stellt eine von dem ersten Gericht erlassene „anti-suit injunction“ faktisch eine Umgehung der in den Brüssel/Lugano-Rechtsinstrumenten vorgesehenen Zuständigkeitsvorschriften und einen Eingriff in die Befugnis des zweiten Gerichts dar, seinerseits diese Vorschriften anzuwenden.

152. Wie auch die Regierung des Vereinigten Königreichs in der mündlichen Verhandlung angemerkt hat, ist die Situation im vorliegenden Fall jedoch eine völlig andere.

153. Es geht nämlich nicht darum, den HCC daran zu hindern, ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats mit demselben Gegenstand wie dem des beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits zu befassen, da ein in der Folge in England in die Wege geleitetes oder fortgeführtes gerichtliches Adoptionsverfahren einen völlig anderen Gegenstand hat. Somit kann es zwischen den beiden betroffenen Gerichten weder eine entgegenstehende Rechtshängigkeit noch einen Konflikt hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit geben.

154. Dies gilt umso mehr, als die Verordnung Nr. 2201/2003 Zuständigkeitskonflikte zwischen Gerichten der Mitgliedstaaten nur für die Entscheidungen regelt, die in ihren Anwendungsbereich fallen. Die Entscheidung über die Adoption und die sie vorbereitenden Maßnahmen fallen aber nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2201/2003, so dass es im Ausgangsverfahren einen solchen Konflikt im Sinne der genannten Verordnung nicht geben kann(82).

155. Folglich können die aus der Rechtsprechung zu den „anti-suit injunctions“ hervorgegangenen Grundsätze im vorliegenden Fall dem nicht entgegenstehen, dass das vorlegende Gericht eine Sicherungsanordnung gegen den HCC erlässt, mit der erreicht werden soll, dass dieser in England kein Adoptionsverfahren fortführt oder in die Wege leitet.

c)      Zur Zweckdienlichkeit einer Sicherungsanordnung unter den Umständen des Ausgangsverfahrens

156. Unter den Umständen des vorliegenden Falles stehen auch die allgemeine Systematik der Verordnung Nr. 2201/2003 und der dieser zu Grunde liegende Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens dem Erlass einer Sicherungsanordnung gegenüber dem HCC durch das vorlegende Gericht nicht entgegen.

157. So sieht Art. 20 der Verordnung Nr. 2201/2003 zwar einstweilige Maßnahmen nur für den Fall vor, dass das Gericht eines Mitgliedstaats dringend solche Maßnahmen in Bezug auf in diesem Mitgliedstaat befindliche Personen oder Vermögensgegenstände anordnen muss. Jedoch ist diese Zuständigkeit nur deshalb ausdrücklich vorgesehen, weil sie unter Umständen zum Tragen kommen muss, unter denen sie eine Ausnahme von der Zuständigkeit des Gerichts eines anderen Mitgliedstaats für die Hauptsache darstellt(83).

158. Somit greift der Umstand, dass nur solche einstweiligen Maßnahmen ausdrücklich vorgesehen sind, in keiner Weise dem vor, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten in den Zuständigkeitsbereichen, die ihnen die Verordnung Nr. 2201/2003 zuweist, einstweilige Maßnahmen erlassen können, um die Wirksamkeit der bei ihnen anhängigen Verfahren zu gewährleisten.

159. Solche Maßnahmen können sich insbesondere in einem Fall wie dem vorliegenden als erforderlich erweisen, in dem eine Partei, hier der HCC, dem betreffenden Gericht keinerlei Gewähr bietet, dass er dem Urteil, das im Rahmen des Verfahrens ergehen wird, mit dem dieses Gericht gemäß der Verordnung Nr. 2201/2003 befasst ist, nachkommen wird.

160. In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht zu Recht darauf hin, dass es normalerweise zwar nicht erforderlich sein dürfte, gegen eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats, die Partei eines solchen Verfahrens ist, eine Sicherungsanordnung zu erlassen, da eine solche Behörde sich an diesem Verfahren beteiligen und sich bereit erklären müsste, der zu erlassenden Entscheidung nachzukommen.

161. Wie sich aus den Umständen des Ausgangsverfahrens ergibt, beteiligte sich der HCC aber lediglich am Rechtsbehelfsverfahren gegen den Exequaturbeschluss des irischen High Court vom 21. September 2017 vor dem irischen High Court, das am 18. Januar 2018 abgeschlossen wurde. Hingegen entschied der HCC, sich am von den Eltern gegen den Beschluss des irischen High Court vom 18. Januar 2018 beim vorlegenden Gericht eingeleiteten Berufungsverfahren nicht mehr zu beteiligen. Außerdem teilte der HCC dem vorlegenden Gericht mit, dass er in jedem Fall nicht die Absicht habe, die Kinder zurückzugeben, und dass ein Verfahren zur Adoption des Babys in die Wege geleitet worden sei. Insoweit trug der HCC vor, dass die englischen Gerichte für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig seien, und die Kinder zu keiner Zeit von der Zuständigkeit der irischen Gerichte erfasst gewesen seien. Diese Ansicht beruht jedoch unbeschadet der Frage nach der Zuständigkeit für die Hauptsache in der vorliegenden Rechtssache auf einem unzutreffenden Verständnis der Verordnung Nr. 2201/2003. Wie u. a. die Kommission in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, sieht diese Verordnung nämlich ausdrücklich vor, dass die Gerichte des ersuchten Mitgliedstaats für die Entscheidung über Rechtsbehelfe gegen Exequaturentscheidungen zuständig sind.

162. Der HCC berief sich also zunächst zu seinen Gunsten auf die Verordnung Nr. 2201/2003, um die Vollstreckbarerklärung des Beschlusses des englischen High Court vom 8. September 2017 zu erwirken und leitete zu diesem Zweck das Exequaturverfahren nach Art. 28 dieser Verordnung ein. Sodann umging er gemeinsam mit seinen irischen Amtskollegen die in dieser Verordnung festgelegten verfahrensrechtlichen Pflichten, indem er die Exequaturentscheidung vor deren Zustellung an die Eltern vollstreckte. Schließlich hielt er sich nicht für verpflichtet, sich bis zum Schluss an dem gegen die Exequaturentscheidung eingeleiteten Rechtsbehelfsverfahren zu beteiligen und hat nicht die Absicht, der am Schluss dieses Verfahrens vom zuständigen Gericht zu erlassenden Entscheidung nachzukommen.

163. Unter diesen Umständen hat der HCC nicht die erforderlichen Garantien für die Umsetzung der Grundsätze der gegenseitigen Anerkennung und des gegenseitigen Vertrauens geboten, obwohl diese die Grundlage für das Funktionieren der durch die Verordnung Nr. 2201/2003 geschaffenen Mechanismen darstellen. Der Gerichtshof hat jüngst darauf hingewiesen, dass ein System gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Amtshilfe nämlich bedeutet, dass es Sache der beteiligten nationalen Behörden ist, die Voraussetzungen zu schaffen, unter denen ihre Amtskollegen der anderen Mitgliedstaaten wirksam und im Einklang mit den tragenden Grundsätzen der Union Amtshilfe leisten können(84).

d)      Zwischenergebnis

164. Auf die Vorlagefrage in der Rechtssache C‑375/18 PPU ist zu antworten, dass das Unionsrecht, insbesondere die Bestimmungen der Verordnung Nr. 2201/2003, dahin auszulegen ist, dass es nicht verbietet, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats gegen eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats, die Partei eines Verfahrens vor diesem Gericht ist, eine Sicherungsanordnung erlässt, die es dieser Behörde untersagt, ein Verfahren zur Adoption von Kindern bei den Gerichten dieses anderen Mitgliedstaats einzuleiten oder fortzuführen.

VI.    Ergebnis

165. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) in der Rechtssache C‑325/18 PPU wie folgt zu beantworten:

1.      Wird eine widerrechtliche Verbringung von Kindern aus dem Mitgliedstaat ihres gewöhnlichen Aufenthalts in einen anderen Mitgliedstaat geltend gemacht, kann eine von einem Gericht des Herkunftsmitgliedstaats außerhalb des in Art. 11 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehenen Verfahrens und unabhängig von einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung erlassene Entscheidung, mit der die Rückgabe dieser Kinder angeordnet wird, nicht nach den Bestimmungen des Kapitels III dieser Verordnung vollstreckt werden. Jedoch kann unter solchen Umständen eine von einem Gericht des Herkunftsmitgliedstaats erlassene Entscheidung über die elterliche Verantwortung, die die Rückgabe des Kindes in diesen Mitgliedstaat umfasst, nach diesen Bestimmungen vollstreckt werden.

2.      In einer Rechtssache, die die Vollstreckungsvorschriften der Verordnung Nr. 2201/2003 betrifft, ist das angerufene Gericht nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten befugt, die in Art. 33 Abs. 5 der genannten Verordnung vorgesehene Rechtsbehelfsfrist zu verlängern. Es ist Sache des betreffenden Gerichts, auf der Grundlage aller vorliegenden Anhaltspunkte und unter Berücksichtigung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität zu beurteilen, ob eine solche Verlängerung zu gewähren ist. Bei dieser Beurteilung kann dieses Gericht u. a. berücksichtigen, dass die Vollstreckung der Exequaturentscheidung vor ihrer Zustellung an den Vollstreckungsschuldner eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung von dessen in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankertem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf dargestellt hat.

166. Des Weiteren schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) in der Rechtssache C‑375/18 PPU gestellte Frage wie folgt zu beantworten:

Das Unionsrecht, insbesondere die Bestimmungen der Verordnung Nr. 2201/2003, ist dahin auszulegen, dass es nicht verbietet, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats gegen eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats, die Partei eines Verfahrens vor diesem Gericht ist, eine Sicherungsanordnung erlässt, die es dieser Behörde untersagt, ein Verfahren zur Adoption von Kindern bei den Gerichten dieses anderen Mitgliedstaats einzuleiten oder fortzuführen.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2116/2004 des Rates vom 2. Dezember 2004 (ABl. 2004, L 367, S. 1) geänderten Fassung.


3      Im Folgenden: Mutter.


4      Im Folgenden: erstes Kind.


5      Im Folgenden: zweites Kind; zusammen mit dem ersten Kind im Folgenden auch: die beiden älteren Kinder.


6      Im Folgenden: Baby.


7      Im Folgenden: Vater; zusammen mit der Mutter im Folgenden auch: Eltern.


8      Im Folgenden: HCC.


9      „Freedom Programme“, siehe www.freedomprogramme.co.uk/.


10      Ein sogenannter „Cafcass guardian“, der die Aufgabe hat, den Plan der lokalen Behörde zu prüfen und sich zu vergewissern, dass die Entscheidungen zum Wohle der betroffenen Kinder getroffen werden, siehe https://www.cafcass.gov.uk/grown-ups/parents-and-carers/care-proceedings/cafcass-role-care-proceedings/.


11      Es ist nicht ganz klar, ob die Rückkehr nach Hause noch am Tag der Geburt des Babys oder am darauffolgenden Tag erfolgte.


12      Es ist nicht ganz klar, ob dieser Besuch am ersten oder am zweiten Tag nach der Geburt des Babys erfolgte.


13      Es ist nicht ganz klar, ob die Eltern am 5. oder am 6. September 2017 in Irland ankamen.


14      Vgl. Nrn. 118 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


15      Vgl. in diesem Sinne meine Stellungnahme in der Rechtssache Health Service Executive (C‑92/12 PPU, EU:C:2012:177, Nrn. 56 und 57).


16      Der Erlass einer solchen Nichtrückgabeentscheidung ist eine Voraussetzung für die Anwendung des besonderen Vollstreckungsverfahrens gemäß Kapitel III Abschnitt 4 der Verordnung Nr. 2201/2003, vgl. Urteil vom 11. Juli 2008, Rinau (C‑195/08 PPU, EU:C:2008:406, Rn. 74).


17      Vgl. Erwägungsgründe 17, 18 und 23 der Verordnung Nr. 2201/2003. Für Erläuterungen hierzu vgl. auch Urteile vom 11. Juli 2008, Rinau (C‑195/08 PPU, EU:C:2008:406, Rn. 61 ff.), und vom 26. April 2012, Health Service Executive (C‑92/12 PPU, EU:C:2012:255, Rn. 116 ff.). Vgl. auch meine Stellungnahme in der Rechtssache Health Service Executive (C‑92/12 PPU, EU:C:2012:177, Nrn. 58 und 72 ff.).


18      Vgl. Art. 1 Buchst. a, Art. 3 und 12 des Haager Übereinkommens sowie Art. 2 Nr. 11 Buchst. a und Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 (Nrn. 7, 8, 9, 12 und 13 der vorliegenden Schlussanträge).


19      Zum Zeitpunkt des Verbringens nach Irland waren zugunsten des HCC Anordnungen zur vorläufigen Inobhutnahme der beiden älteren Kinder ergangen (Nr. 30 der vorliegenden Schlussanträge); hingegen lässt sich, wie der Vertreter des HCC in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, nicht bestimmen, ob die Anordnung zur vorläufigen Inobhutnahme des Babys vor oder nach der Abreise erwirkt wurde (Nrn. 35 und 37 der vorliegenden Schlussanträge).


20      Sowie für bestimmte Entscheidungen über das Umgangsrecht, die im vorliegenden Kontext nicht relevant sind.


21      In den Rechtssachen, in denen die Urteile vom 22. Dezember 2010, Mercredi (C‑497/10 PPU, EU:C:2010:829, Rn. 62 ff.), und vom 9. Oktober 2014, C (C‑376/14 PPU, EU:C:2014:2268, Rn. 62 ff.), ergangen sind, hatten die Beteiligten übrigens beide Verfahren parallel in Anspruch genommen, und der Gerichtshof hat dieses Vorgehen nicht beanstandet.


22      Vgl. Nr. 68 der vorliegenden Schlussanträge.


23      Vgl. Nrn. 118 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


24      Vgl. Nrn. 121 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


25      Es handelt sich u. a. um die englische Sprachfassung („[a] judgment on the exercise of parental responsibility in respect of a child given in a Member State“), die französische Sprachfassung („[l]es décisions rendues dans un État membre sur l’exercice de la responsabilité parentale à l’égard d’un enfant“), die spanische Sprachfassung („[l]as resoluciones dictadas en un Estado miembro sobre el ejercicio de la responsabilidad parental con respecto a un menor“), die italienische Sprachfassung („[l]e decisioni relative all’esercizio della responsabilità genitoriale su un minore“), die portugiesische Sprachfassung („[a]s decisões proferidas num Estado-Membro sobre o exercício da responsabilidade parental relativa a uma criança“) und die niederländische Sprachfassung („[b]eslissingen betreffende de uitoefening van de ouderlijke verantwoordelijkheid voor een kind“). Hingegen weist Art. 28 der Verordnung Nr. 2201/2003 diesen Unterschied in anderen Sprachfassungen nicht auf, so u. a. in der deutschen Sprachfassung („[d]ie in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen über die elterliche Verantwortung für ein Kind“), in der dänischen Sprachfassung („[e]n i en medlemsstat truffet retsafgørelse om forældreansvar over for et barn“), in der tschechischen Sprachfassung („[v]ýkon rozhodnutí o výkonu rodičovské zodpovědnosti ve vztahu k dítěti vydaných v členském státě“) und in der estnischen Sprachfassung („[l]apse suhtes vanemlikku vastutust käsitlevat kohtuotsust, mis on tehtud liikmesriigis ja on selles liikmesriigis täitmisele pööratav ning kätte antud“).


26      Hervorhebung nur hier.


27      Vgl. dazu Stellungnahme der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Rinau (C‑195/08 PPU, EU:C:2008:377, Nrn. 52 ff.).


28      In den Art. 18, 29 und 34 des Haager Übereinkommens wird klargestellt, dass dieses Übereinkommen dem nicht entgegensteht.


29      Hervorhebung nur hier.


30      Vgl. Urteile vom 27. November 2007, C (C‑435/06, EU:C:2007:714, Rn. 46 ff.), und vom 21. Oktober 2015, Gogova (C‑215/15, EU:C:2015:710, Rn. 26). Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache C (C‑435/06, EU:C:2007:543, Nrn. 33 ff.), und meine Stellungnahme in der Rechtssache Health Service Executive (C‑92/12 PPU, EU:C:2012:177, Nrn. 10 ff.).


31      Vgl. Urteile vom 27. November 2007, C (C‑435/06, EU:C:2007:714, Rn. 24 ff.), und vom 2. April 2009, A (C‑523/07, EU:C:2009:225, Rn. 21 ff.).


32      Vgl. Urteil vom 26. April 2012, Health Service Executive (C‑92/12 PPU, EU:C:2012:255, Rn. 56 ff.).


33      Wie der Gerichtshof ausgeführt hat, ist zur Feststellung, ob eine Klage in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2201/2003 fällt, auf ihren Gegenstand abzustellen: Urteil vom 21. Oktober 2015, Gogova (C‑215/15, EU:C:2015:710, Rn. 28); vgl. auch, zur Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1) in der durch die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 2015/281 der Kommission vom 26. November 2014 (ABl. 2015, L 54, S. 1) geänderten Fassung (sogenannte Brüssel‑IIa-Verordnung), statt vieler Urteil vom 9. März 2017, Pula Parking (C‑551/15, EU:C:2017:193, Rn. 34).


34      Vgl. dazu Stellungnahme des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Gogova (C‑215/15, EU:C:2015:725, Nrn. 39 ff.).


35      Es scheint im vorliegenden Fall nicht so zu sein, dass das nationale Recht für die Bestimmung der Vorschriften, die für eine ausschließlich durch das nationale Recht des betreffenden Mitgliedstaats geregelte Situation gelten, auf den Inhalt der Verordnung Nr. 2201/2003 verweist; vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 12. Mai 2016, Sahyouni (C‑281/15, EU:C:2016:343, Rn. 24 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung).


36      Im Exequaturbeschluss des irischen High Court vom 21. September 2017 wird ausdrücklich klargestellt, dass die Rechtsbehelfsfrist zwei Monate ab Zustellung dieses Beschlusses beträgt.


37      Vgl. Nr. 44 der vorliegenden Schlussanträge.


38      Vgl. Nr. 46 der vorliegenden Schlussanträge.


39      Eine Verwechslung in den schriftlichen und mündlichen Erklärungen des HCC nicht hinsichtlich des Zeitpunkts des Beginns der Frist, aber hinsichtlich des Zeitpunkts der Einlegung des Rechtsbehelfs wurde in der mündlichen Verhandlung richtiggestellt: Der HCC hatte irrtümlich angegeben, dass eine „notice of motion“ bereits am 19. November 2017 eingereicht worden sei, was innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von zwei Monaten gewesen wäre, wenn diese am 22. September 2017 zu laufen begann; die Eltern haben jedoch in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass diese Angabe unzutreffend ist und ihr Rechtsbehelf tatsächlich erst am 24. November 2017 eingelegt wurde.


40      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 1987, Heylens u. a. (222/86, EU:C:1987:442, Rn. 15).


41      Vgl. u. a. Urteile vom 5. März 1980, Könecke Fleischwarenfabrik/Kommission (76/79, EU:C:1980:68, Rn. 7), vom 6. Juli 1988, Dillinger Hüttenwerke/Kommission (236/86, EU:C:1988:367, Rn. 13 und 14), vom 6. Dezember 1990, Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie/Kommission (C‑180/88, EU:C:1990:441, Rn. 22), vom 19. Februar 1998, Kommission/Rat (C‑309/95, EU:C:1998:66, Rn. 18 ff.), und vom 23. Oktober 2007, Parlament/Kommission (C‑403/05, EU:C:2007:624, Rn. 29 ff.).


42      Vgl. hierzu EGMR, 26. Januar 2017, Ivanova und Ivashova/Russland (CE:ECHR:2017:0126JUD000079714, § 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).


43      Der Wortlaut der französischen Sprachfassung der Verordnung („Ce délai ne comporte pas de prorogation à raison de la distance“) ist nicht eindeutig, jedoch geht aus anderen Sprachfassungen hervor, dass dies tatsächlich bedeutet, dass die Frist nicht aus Gründen der Entfernung verlängert werden kann (vgl. die englische Sprachfassung: „No extension of time may be granted on account of distance“, die deutsche Sprachfassung: „Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen“, die spanische Sprachfassung: „Dicho plazo no admitirá prórroga en razón de la distancia“, die italienische Sprachfassung: „Detto termine non è prorogabile per ragioni inerenti alla distanza“, die portugiesische Sprachfassung: „Este prazo não é susceptível de prorrogação em razão da distância“ und die niederländische Sprachfassung: „De termijn kan niet op grond van de afstand worden verlengd“).


44      Dieser Standpunkt wird auch von namhaften Autoren auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts vertreten, vgl. u. a. Schlosser, P. F., EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Beck, München, 2003, S. 276, Rn. 9; Oberhammer, P., „Art. 43“, Kommentar zur Zivilprozessordnung, Band 10, 22. Aufl., Mohr Siebeck, Tübingen, 2011, S. 686, Rn. 11 (beide zu Art. 43 der Verordnung [EG] Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [ABl. 2001, L 12, S. 1] [sogenannte Brüssel‑I-Verordnung], der Art. 33 der Verordnung Nr. 2201/2003 entspricht); Mankowski, P., „Art 33“, Brussels IIbis Regulation, Sellier, München, 2012, S. 312, Rn. 38; Paraschas, K., „VO (EG) 2201/2003 Art. 33“, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 54. Aufl., Beck, München, 2018, Rn. 8. Zudem scheint der Gerichtshof im Urteil vom 11. August 1995, SISRO (C‑432/93, EU:C:1995:262, Rn. 15), implizit die Möglichkeit anerkannt zu haben, einen Rechtsbehelf nach nationalem Verfahrensrecht für zulässig zu erklären, der nach Ablauf der in Art. 36 Abs. 2 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) – der Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 entspricht – vorgesehenen Frist von zwei Monaten eingelegt wurde.


45      Vgl. u. a. Art. 1 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003: „Diese Verordnung gilt nicht für …“, Art. 11 Abs. 4 und 5: „Ein Gericht kann … nicht“, die Art. 22 und 23: „Eine Entscheidung … wird nicht anerkannt“, Art. 24: „Die Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats darf nicht überprüft werden“, Art. 25: „Die Anerkennung einer Entscheidung darf nicht deshalb abgelehnt werden, weil … nach dem Recht des Mitgliedstaats … nicht zulässig wäre“, die Art. 26 und 31 Abs. 3: „Die Entscheidung darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden“, Art. 31 Abs. 1: „… ohne dass die Person … noch das Kind … Gelegenheit erhalten, eine Erklärung abzugeben“ oder Art. 34: „Die Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist, kann nur im Wege [bestimmter] Verfahren angefochten werden …“.


46      Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass die vom vorlegenden Gericht angeführten und vom HCC hervorgehobenen Urteile vom 4. Februar 1988, Hoffmann (145/86, EU:C:1988:61), und vom 16. Februar 2006, Verdoliva (C‑3/05, EU:C:2006:113), dieser Auslegung nicht entgegenstehen. So hat der Gerichtshof in diesen Urteilen zwar den zwingenden Charakter der in Art. 36 des Brüsseler Übereinkommens, der Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 entsprach, angesprochen. Im Urteil Hoffmann hat der Gerichtshof jedoch lediglich darauf hingewiesen, dass die in Rede stehende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass die Partei, die den darin vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung nicht eingelegt hat, einen stichhaltigen Grund, den sie im Rahmen dieses Rechtsbehelfs gegen die Vollstreckbarerklärung hätte vorbringen können, im Stadium der Vollstreckung nicht mehr geltend machen kann (Urteil vom 4. Februar 1988, Hoffmann, 145/86, EU:C:1988:61, Rn. 34). Ebenso hat sich der Gerichtshof im Urteil Verdoliva darauf beschränkt, zu entscheiden, dass die bloße Tatsache, dass der Vollstreckungsschuldner von einer Entscheidung Kenntnis erlangt hat, nicht das Erfordernis der Zustellung ersetzen kann, das in der genannten Vorschrift festgelegt ist, um den Beginn der darin vorgesehenen Rechtsbehelfsfrist auszulösen (Urteil vom 16. Februar 2006, Verdoliva, C‑3/05, EU:C:2006:113, Rn. 38).


47      Nach deutschem Recht käme keine Verlängerung der Frist, sondern eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand in Betracht.


48      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Puškár (C‑73/16, EU:C:2017:253, Nrn. 46 und 47).


49      Vgl. u. a. Urteile vom 16. Dezember 1976, Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral (33/76, EU:C:1976:188, Rn. 5), vom 7. Januar 2004, Wells (C‑201/02, EU:C:2004:12, Rn. 67), und vom 21. Dezember 2016, TDC (C‑327/15, EU:C:2016:974, Rn. 90).


50      Vgl. dazu die in Nr. 23 der vorliegenden Schlussanträge angeführte Vorschrift des irischen Rechts.


51      Vgl. die in Fn. 49 der vorliegenden Schlussanträge angeführte Rechtsprechung.


52      Vgl. zu Art. 36 des Brüsseler Übereinkommens, der Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 entsprach, Urteil vom 16. Februar 2006, Verdoliva (C‑3/05, EU:C:2006:113, Rn. 26 ff.), sowie meine Schlussanträge in der Rechtssache Verdoliva (C‑3/05, EU:C:2005:722, Nrn. 38 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung); vgl. im selben Sinne zur Verordnung Nr. 2201/2003 Urteil vom 11. Juli 2008, Rinau (C‑195/08 PPU, EU:C:2008:406, Rn. 101).


53      Vgl. 33. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003.


54      Vgl. Nr. 64 der vorliegenden Schlussanträge.


55      Vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 10. April 2003, Kommission/Deutschland (C‑20/01 und C‑28/01, EU:C:2003:220, Rn. 36).


56      Vgl. Art. 39 der Verordnung Nr. 1215/2012, sogenannte Brüssel‑Ia-Verordnung.


57      Vgl. Nrn. 66 und 71 der vorliegenden Schlussanträge.


58      Vgl. Urteil vom 26. April 2012, Health Service Executive (C‑92/12 PPU, EU:C:2012:255, Rn. 118), und meine Stellungnahme in der Rechtssache Health Service Executive (C‑92/12 PPU, EU:C:2012:177, Nrn. 71 ff.).


59      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2008, Rinau (C‑195/08 PPU, EU:C:2008:406, Rn. 101). Vgl. in diesem Zusammenhang auch, zu Art. 36 des Brüsseler Übereinkommens, der Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 entsprach, meine Schlussanträge in der Rechtssache Verdoliva (C‑3/05, EU:C:2005:722, Nrn. 41 und 42): „Artikel 36 stellt … die prozessuale Ergänzung zu den in Artikel 27 und 28 des Übereinkommens aufgezählten materiellen Versagungsgründen dar.“ Im Übrigen geht auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hervor, dass es einer Person, die sich gegen die Vollstreckung einer Entscheidung zur Wehr setzt, die in einem anderen Mitgliedstaat der Union ergangen ist und für die ein Mechanismus gegenseitiger Anerkennung greift, möglich sein muss, eine offensichtliche Unzulänglichkeit des Schutzes eines durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantierten Rechts geltend zu machen. Denn die Vermutung eines gleichwertigen Schutzes der durch die genannte Konvention garantierten Rechte durch das Unionsrecht kann nur dann zur Anwendung kommen, und die Gerichte der Mitgliedstaaten können einen solchen Mechanismus gegenseitiger Anerkennung nur dann voll wirksam werden lassen, wenn eine solche Unzulänglichkeit nicht gegeben ist; vgl. EGMR, 23. Mai 2016, Avotiņš/Lettland (CE:ECHR:2016:0523JUD001750207, § 116).


60      Vgl. Urteil vom 26. April 2012, Health Service Executive (C‑92/12 PPU, EU:C:2012:255, Rn. 121 ff.).


61      Urteil vom 11. Juli 2008, Rinau (C‑195/08 PPU, EU:C:2008:406, Rn. 81).


62      Vgl. statt vieler Urteile vom 1. Juli 2010, Povse (C‑211/10 PPU, EU:C:2010:400, Rn. 35 und 36), vom 5. Oktober 2010, McB. (C‑400/10 PPU, EU:C:2010:582, Rn. 28), und vom 22. Dezember 2010, Aguirre Zarraga (C‑491/10 PPU, EU:C:2010:828, Rn. 39 und 40).


63      Vgl. Nr. 46 der vorliegenden Schlussanträge.


64      Vgl. insbesondere Nrn. 33 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


65      Vgl. Nrn. 38 und 39 der vorliegenden Schlussanträge.


66      Vgl. Nr. 125 der vorliegenden Schlussanträge.


67      Vgl. Nr. 16 der vorliegenden Schlussanträge.


68      Vgl. Nr. 45 der vorliegenden Schlussanträge. Diese Entscheidung lautet wie folgt: „Die in den bei diesem Gericht eingereichten Unterlagen enthaltenen Rügen der Rechtsbehelfsführer sind substanzlos. [Die Rechtsbehelfsführer] hatten Gelegenheit, an der mündlichen Verhandlung vom 8. September teilzunehmen, sind aber stattdessen geflohen. Die nunmehr angeführten technischen Argumente bezüglich des Rechts auf ein faires Verfahren, des Rechts zu reisen und der Inanspruchnahme der Vormundschaft gehen ins Leere, insbesondere, da die Kinder nunmehr wieder der Zuständigkeit dieses Gerichts unterliegen“ (eigene Übersetzung).


69      Der Gerichtshof hat im Rahmen von Klagen gegen Handlungen der Unionsorgane anerkannt, dass eine Verspätung bei der Einreichung einer Klage vom Begriff des entschuldbaren Irrtums erfasst sein kann, wenn das betroffene Unionsorgan ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das für sich genommen oder aber maßgeblich geeignet war, bei einem gutgläubigen Rechtsbürger eine verständliche Verwirrung hervorzurufen (Urteil vom 15. Mai 2003, Pitsiorlas/Rat und EZB, C‑193/01 P, EU:C:2003:281, Rn. 24). Vgl. in diesem Zusammenhang auch EGMR, 6. Dezember 2001, Tsironis/Griechenland (CE:ECHR:2001:1206JUD004458498, §§ 27 ff.).


70      Vgl. Fn. 46 der vorliegenden Schlussanträge.


71      Vgl. insbesondere Nrn. 122 ff. und 128 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


72      Vgl. Nrn. 122 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


73      Vgl. Nrn. 51 und 52 der vorliegenden Schlussanträge.


74      Europarat, Sammlung der Europäischen Verträge, Nr. 74.


75      Urteil vom 27. April 2004, Turner (C‑159/02, EU:C:2004:228).


76      Urteil vom 10. Februar 2009, Allianz und Generali Assicurazioni Generali (C‑185/07, EU:C:2009:69).


77      Vgl. Nr. 47 der vorliegenden Schlussanträge.


78      Im Finanzbereich wird mit einer solchen „freezing injunction“ ein Verfügungsverbot angeordnet, um zu verhindern, dass durch Veräußerung Vermögensgegenstände des Schuldners einem späteren Zugriff des Gläubigers entzogen werden (siehe meine Schlussanträge in der Rechtssache Meroni, C‑559/14, EU:C:2016:120, Nr. 2). Der Gerichtshof hatte hinsichtlich einer solchen Anordnung keine Bedenken, selbst wenn eine Person, die davon betroffen sein könnte, nicht angehört wurde, sofern es dieser Person möglich ist, ihre Rechte vor dem Gericht, das die Anordnung erlassen hat, geltend zu machen (vgl. Urteil vom 25. Mai 2016, Meroni, C‑559/14, EU:C:2016:349, Rn. 54).


79      Urteile vom 27. April 2004, Turner (C‑159/02, EU:C:2004:228, Rn. 25), vom 10. Februar 2009, Allianz und Generali Assicurazioni Generali (C‑185/07, EU:C:2009:69, Rn. 29), und vom 13. Mai 2015, Gazprom (C‑536/13, EU:C:2015:316, Rn. 33).


80      Urteile vom 27. April 2004, Turner (C‑159/02, EU:C:2004:228, Rn. 24), vom 10. Februar 2009, Allianz und Generali Assicurazioni Generali (C‑185/07, EU:C:2009:69, Rn. 30), und vom 13. Mai 2015, Gazprom (C‑536/13, EU:C:2015:316, Rn. 34).


81      Urteile vom 27. April 2004, Turner (C‑159/02, EU:C:2004:228, Rn. 9 ff.), und vom 10. Februar 2009, Allianz und Generali Assicurazioni Generali (C‑185/07, EU:C:2009:69, Rn. 11 ff.).


82      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Mai 2015, Gazprom (C‑536/13, EU:C:2015:316, Rn. 36).


83      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Dezember 2009, Detiček (C‑403/09 PPU, EU:C:2009:810, Rn. 38).


84      Vgl. Urteil vom 26. April 2018, Donnellan (C‑34/17, EU:C:2018:282, Rn. 61).