SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
DÁMASO RUIZ-JARABO COLOMER
vom 26. Mai 20051(1)
Rechtssache C‑176/03
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
gegen
Rat der Europäischen Union
„Umwelt – Schutz durch das Strafrecht – Rechtsgrundlage – Rahmenbeschluss 2003/80/JI – Nichtigkeit – Harmonisierung der Straftatbestände – Zuständigkeit der Gemeinschaft gemäß Artikel 175 EG“
I – Einleitung
1. Die Kommission ficht im Wege des Artikels 35 Absatz 6 EU den Rahmenbeschluss 2003/80/JI des Rates vom 27. Januar 2003 über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht (nachstehend: Rahmenbeschluss)(2) an. Ihrer Auffassung nach ist die gewählte Rechtsgrundlage unzutreffend, da dieses normative Unternehmen im Rahmen des EG-Vertrags und nicht, wie geschehen, in dem des Titels VI des EU-Vertrags angegangen werden müsse.
2. Hinter dieser einfachen Problematik verbirgt sich eine weitreichende Frage, die die Zuständigkeiten der Gemeinschaft betrifft; geht man nämlich davon aus, dass der Schutz der natürlichen Umwelt in der Europäischen Union eine konzertierte Aktion durch die strafrechtliche Ahndung schwerwiegender Verstöße verlangt(3), so muss geklärt werden, ob der Erlass der unentbehrlichen Koordinierungsvorschriften gemäß Artikel 34 Absatz 2 Buchstabe b EU in Verbindung mit Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe e EU zum dritten Pfeiler und damit zur Zuständigkeit des Rates oder aber zum ersten Pfeiler gehört, weil es sich um eine Gemeinschaftsaufgabe gemäß Artikel 175 EG handelt(4).
3. Die Positionen, die in den verschiedenen Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gekommen sind, erscheinen klar abgegrenzt, und zwar nicht nur in Bezug auf die jeweiligen Anträge, sondern auch auf die verwendeten Argumente. Die Kommission, das Europäische Parlament sowie der Wirtschafts- und Sozialausschuss schließen sich der zweiten der genannten Thesen an, während der Rat und die elf Mitgliedstaaten, die ihm folgen(5), die erste These vertreten.
4. Die Entscheidung für die eine oder die andere Position hat bedeutende Konsequenzen. Wählt man die „unionistische“ Alternative, so ist die Harmonisierungskraft geringer, weil der Nichtumsetzung der Rahmenbeschlüsse – abgesehen davon, dass sie keine unmittelbare Wirkung haben – nicht mit einer Vertragsverletzungsklage begegnet werden kann, wie sie in Artikel 226 EG vorgesehen ist, und die Zuständigkeit des Gerichtshofes für Vorabentscheidungen nach Artikel 35 EU, um obligatorisch zu sein, der Anerkennung durch die Mitgliedstaaten bedarf. Diese Erwägungen erklären das Interesse der Kommission daran, die Zuständigkeit dem ersten Pfeiler zuzuordnen.
5. Vor der Prüfung der Klage soll ein Überblick über die Rechtsvorschriften gegeben und der Ablauf des Verfahrens vor dem Gerichtshof geschildert werden.
II – Rechtlicher Rahmen
A – Das Gemeinschaftsrecht
1. Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
6. Eines der Ziele der Gemeinschaft besteht darin, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität zu erreichen (Artikel 2 EG), und zwar durch ein angemessenes sektorielles Vorgehen (Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe l EG) und durch Einbeziehung der Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der anderen Gemeinschaftspolitiken zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung (Artikel 6 EG).
7. Artikel 174 EG nennt die Ziele der Umweltpolitik (Absätze 1 und 2) und die bei deren Erarbeitung zu beachtenden Kriterien (Absatz 3), während Artikel 175 EG die Wege für die Beschlussfassung über die relevanten Maßnahmen angibt (Absätze 1 bis 3), deren Finanzierung und Durchführung den Mitgliedstaaten obliegen (Absatz 4), die aber auf jeden Fall gemäß Artikel 176 EG befugt bleiben, verstärkte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, sofern sie mit dem Vertrag vereinbar sind.
8. Daher besteht nach Artikel 174 Absatz 4 EG für diesen Bereich eine geteilte Verantwortung(6), die eine gemeinsame oder eine gesonderte Zusammenarbeit mit dritten Ländern oder internationalen Organisationen ermöglicht.
9. Was die Gemeinschaft betrifft, so wird die Zuständigkeit grundsätzlich im Verfahren der „Mitentscheidung“ gemäß Artikel 251 EG ausgeübt, auch wenn der Rat in den in Artikel 175 Absatz 2 EG genannten Bereichen(7) auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments, des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen allein tätig werden kann.
2. Vorschlag für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt(8)
10. Die Kommission legte auf der Grundlage von Artikel 175 Absatz 1 EG gemäß Artikel 251 EG einen Vorschlag für eine Richtlinie zur stärkeren Anwendung des Umweltschutzrechts der Gemeinschaft durch die gemeinschaftsweite Festlegung eines Mindestkatalogs von Straftaten (Artikel 1) vor.
11. Artikel 3 des vorgelegten Textes schreibt die strafrechtliche Ahndung bestimmter Handlungen(9) vor, die vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen werden, und Artikel 4 verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Täterschaft sowie die Beihilfe und die Anstiftung zu diesen Straftaten mit „wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen“ einschließlich des Freiheitsentzugs zu bestrafen. Außerdem sieht der Text – sowohl für natürliche als auch für juristische Personen – andere Arten von Sanktionen vor, darunter Geldbußen, den Entzug von Rechten und die Unterstellung unter richterliche Aufsicht.
B – Das Recht der Europäischen Union
1. Der Vertrag über die Europäische Union
12. Die Union, die eine neue Stufe bei der Verwirklichung eines immer engeren Zusammenschlusses der Völker Europas darstellt, beruht auf den Gemeinschaften, ergänzt durch die im EU‑Vertrag umrissenen Politiken und Formen der Zusammenarbeit (Artikel 1). Drei Pfeiler sind zu unterscheiden:
– Der erste ist der „Gemeinschaftspfeiler“.
– Der zweite umfasst die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (Titel V).
– Der dritte betrifft die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Titel VI).
13. Dieser dritte Pfeiler verfolgt unbeschadet der Befugnisse der Gemeinschaft das Ziel, den Bürgern in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein hohes Maß an Schutz zu bieten, und zwar durch ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten in den genannten Bereichen zur Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität mittels einer Annäherung der Strafvorschriften nach Artikel 31 Buchstabe e, soweit dies erforderlich ist (Artikel 29).
14. Die justizielle Zusammenarbeit umfasst die schrittweise Annahme von Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen in den Bereichen organisierte Kriminalität, Terrorismus und illegaler Drogenhandel (Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe e).
15. Eines der dafür vorgesehenen Instrumente ist der Rahmenbeschluss, der die Angleichung der innerstaatlichen Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften fördert. Ebenso wie die Richtlinien beim ersten Pfeiler ist er hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich und überlässt den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel, doch ist er anders als die Richtlinien nie unmittelbar wirksam (Artikel 34 Absatz 2 Buchstabe b).
16. Die Zuständigkeiten des dritten Pfeilers können auf die Gemeinschaft übertragen werden, damit diese sie im Rahmen des Titels IV des EG‑Vertrags – Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr – ausübt (Artikel 42).
17. Der EU‑Vertrag lässt die Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie die nachfolgenden Verträge und Akte zu deren Änderung oder Ergänzung unberührt (Artikel 47).
2. Der Rahmenbeschluss
18. Der Rat nahm unter Bezugnahme auf die Artikel 29, 31 Buchstabe e und 34 Absatz 2 Buchstabe b EU den jetzt von der Kommission angefochtenen Rahmenbeschluss an, um auf Umweltbedrohungen mit aller Schärfe und abgestimmt zu reagieren (zweite und dritte Begründungserwägung).
19. Nach den Artikeln 2 und 3 des Rahmenbeschlusses haben die Mitgliedstaaten bestimmte vorsätzlich oder fahrlässig begangene Handlungen als Straftaten zu umschreiben(10), während Artikel 4 die Strafbarkeit auf die Beihilfe und die Anstiftung ausdehnt.
20. Nach Artikel 5 Absatz 1 sind diese Handlungen „mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen“ zu bedrohen, die zumindest in schwerwiegenden Fällen auch Freiheitsstrafen umfassen müssen, die zu einer Auslieferung führen können, unbeschadet anderer Sanktionen und Maßnahmen, wie sich aus Absatz 2 ergibt(11).
21. Artikel 6 regelt die Verantwortlichkeit juristischer Personen für Handlungen oder Unterlassungen(12), und Artikel 7 definiert die insoweit zu verhängenden Strafen(13).
22. Die genannten Bestimmungen zeigen, dass der Rahmenbeschluss praktisch ein Abbild des Richtlinienvorschlags ist, wie in der fünften Begründungserwägung anerkannt wird, während es in der siebten Begründungserwägung heißt, dass der Rat diesen Vorschlag zwar erörtert, aber nicht angenommen habe, weil er über die der Gemeinschaft durch den EG-Vertrag übertragenen Befugnisse hinausgehe(14).
23. Artikel 8 bezieht sich auf die Gerichtsbarkeit, die an das Hoheitsgebiet anknüpft, während Artikel 9 die Auslieferung und die Verfolgung betrifft, wenn ein Mitgliedstaat seine Staatsangehörigen nicht ausliefert.
III – Verfahren vor dem Gerichtshof
24. Neben der Kommission und dem Rat haben sich das Europäische Parlament, der Wirtschafts- und Sozialausschuss, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, die Niederlande, Portugal, Spanien, das Vereinigte Königreich und Schweden als Streithelfer an diesem Verfahren beteiligt und auch schriftliche Erklärungen eingereicht.
25. In der Sitzung vom 5. April 2005 haben die Vertreter der Klägerin und des Beklagten sowie die Bevollmächtigten der Streithelfer mit Ausnahme der Bevollmächtigten der griechischen Regierung und des Wirtschafts- und Sozialausschusses mündliche Ausführungen gemacht.
IV – Prüfung der Klage
A – Abgrenzung des Streitgegenstands
26. Im Mittelpunkt des Rechtsstreits stehen die Artikel 1 bis 7 des Rahmenbeschlusses, während es um die Artikel 8 bis 12 nur am Rande geht. Die Befugnis des Rates der Union zum Erlass dieser Vorschriften steht nicht in Frage(15), wohl aber seine Verpflichtung, wegen des in Artikel 47 EU verankerten Vorrangs des Gemeinschaftsrechts von einem solchen Erlass abzusehen(16), weil die Gemeinschaft nach dem Römischen Vertrag befugt ist, den Mitgliedstaaten eine strafrechtliche Reaktion auf bestimmte Umweltverstöße vorzuschreiben.
27. Die Debatte verlagert sich daher vom dritten auf den ersten Pfeiler, wenn geprüft wird, ob es eine Rechtsgrundlage gibt, die der Gemeinschaft ein Tätigwerden in diesem Bereich gestattet und damit die Befugnisse der Union neutralisiert. In diesem Punkt herrscht ebenfalls Einigkeit darüber, dass das Gemeinschaftsrecht weder eine ausdrückliche noch eine stillschweigende allgemeine Befugnis zur Anordnung von Strafen kennt(17).
28. Andererseits erkennen alle der Gemeinschaft nach dem in Artikel 10 EG niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, um die Wirksamkeit ihrer Rechtsordnung zu gewährleisten, die Befugnis zu, die Mitgliedstaaten zu zwingen, diejenigen Verhaltensweisen strafrechtlich zu ahnden, die diese Rechtsordnung verletzen. Die Parteien und ihre Streithelfer streiten allerdings darüber, ob diese Befugnis sie ermächtigt, die Mitgliedstaaten zur Festlegung von Straftatbeständen zu verpflichten.
29. Die Lösung erfordert eine ganz genaue Untersuchung der Urteile, die den Gemeinschaftsorganen eine Rechtsetzungsbefugnis im Bereich des Strafrechts zuerkennen.
B – Die Rechtsprechung zur Strafgewalt der Gemeinschaft
30. Im Urteil Amsterdam Bulb(18) hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Mitgliedstaaten dann, wenn die Gemeinschaftsregelung keine Vorschrift enthalte, die für den Fall ihrer Verletzung durch den Einzelnen bestimmte Sanktionen vorsehe, befugt seien, die Sanktionen zu wählen, die ihnen sachgerecht erscheinen (Randnr. 33)(19). Diese Feststellung beruht auf der Aufgabe der Mitgliedstaaten nach Artikel 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG), die Erfüllung ihrer europäischen Verpflichtungen zu gewährleisten (Randnr. 32).
31. Generalanwalt Capotorti hat in seinen Schlussanträgen in dieser Rechtssache den Grund für eine solche Entscheidung beleuchtet. Er hat in Nummer 4 zunächst darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung keine Maßnahmen ergreifen dürften, die eine Gemeinschaftsregelung abändern, auch wenn damit bezweckt werde, deren Anwendung zu gewährleisten, und sodann ausgeführt, dass eine Strafandrohung nicht die Tragweite der Regelung ändere, weil jede Strafbestimmung, mit der eine grundlegende Verhaltensnorm versehen sei, von der Hypothese eines gegen diese Norm verstoßenden Verhaltens ausgehe und die Norm daher mit dem Inhalt voraussetze, den sie besitze. Er hat hinzugefügt, dass der unterschiedliche Schutz, der sich so ergebe, mit den Unterschieden zwischen den nationalen Systemen zusammenhänge, von denen Artikel 5 des Vertrages verlange, dass sie die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts stärken. Abschließend hat er darauf hingewiesen, dass die einzige Grenze dafür, dass ein Mitgliedstaat Strafsanktionen einführe, dort liege, wo die Gemeinschaftsvorschriften bereits bestimmte Sanktionen vorsähen.
32. Das Urteil Amsterdam Bulb beruht somit auf drei Leitgedanken: 1. Das Gemeinschaftsrecht darf Strafvorschriften einführen, die seine Wirksamkeit schützen; 2. bei Fehlen solcher Vorschriften können die Mitgliedstaaten derartige Mittel, die sie für angebracht halten, anwenden; 3. in diesem Fall steht es ihnen frei, die Modalitäten zu wählen, die ihnen am geeignetsten erscheinen, auch wenn dieses System zwangsläufig Divergenzen enthält.
33. Der erste Leitgedanke beruht auf der Annahme, dass die Gemeinschaftssanktion die gleiche Geltung beansprucht wie das verwendete Rechtsinstrument, also eine Verordnung oder eine Richtlinie. Da aber die Gemeinschaft keine Strafbefugnisse hat, muss sie sich darauf beschränken, zivil- oder verwaltungsrechtliche Sanktionen festzulegen. Dies ist den Worten des Generalanwalts Capotorti am Ende der erwähnten Nummer seiner Schlussanträge zu entnehmen, wo er sagt, dass ein Mitgliedstaat, der der Gemeinschaftsregelung Strafandrohungen hinzufügt, um ihre Einhaltung zu gewährleisten, nicht gegen die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verstößt, sofern, wie ich hinzufügen möchte, die Garantien beachtet werden, die für die Ausübung jeder Strafgewalt gelten, insbesondere die Regel ne bis in idem(20).
34. In der Rechtssache Kommission/Griechenland, bekannt unter dem Namen „Griechischer Mais“(21), hat der Gerichtshof die Formel in Randnummer 32 des Urteils Amsterdam Bulb aufgegriffen, ohne das Urteil zu zitieren (Randnr. 23), wobei er zwei Erfordernisse für die Rechtmäßigkeit nationaler Sanktionen zur Sicherung des Gemeinschaftsrechts hinzugefügt hat: 1. Die Verstöße werden nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht; 2. die Sanktion muss wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein (Randnr. 24). In seinen Schlussanträgen in dieser Rechtssache hat Generalanwalt Tesauro ausgeführt, dass Artikel 5 des Vertrages den Mitgliedstaaten aufgebe, die für die Verletzung des Gemeinschaftsrechts Verantwortlichen in angemessener Weise zu verfolgen, damit das Gemeinschaftsrecht in seiner Wirksamkeit nicht angetastet werde (Nr. 12, zweiter Absatz)(22).
35. Den Mitgliedstaaten ist somit der Weg eröffnet, um Verhaltensweisen zu beseitigen, die gegen die Gemeinschaftsrechtsordnung verstoßen, sowohl wenn diese in dem Punkt schweigt als auch wenn sie ausdrückliche Vorschriften enthält. Die nationale Regelung bedeutet ein Mehr an Schutz, jedoch zieht das Gemeinschaftsrecht, wie bereits in Randnummer 17 des Urteils Drexl(23) festgestellt, bestimmte Grenzen und verlangt, dass die Bestrafung derjenigen entspricht, die bei Verstößen gegen nationales Recht angewandt wird (Grundsatz der Gleichstellung oder der Gleichwertigkeit), und außerdem wirksam ist.
36. Der Beschluss vom 13. Juli 1990 (Zwartveld u. a.)(24), der im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens des Rechter-commissaris bei der Arrondissementsrechtbank Groningen ergangen ist, hat dem Urteil „Griechischer Mais“ eine Aussage beigelegt, die im Wortlaut dieses Urteils nicht enthalten ist, sich aber aus seinem Geist und dem des Urteils Amsterdam Bulb ergibt: Die Mitgliedstaaten können und müssen die Einhaltung des Vertrages gewährleisten, soweit erforderlich auch durch strafrechtliche Sanktionen (Randnr. 17).
37. Die Entwicklung erscheint mit dem Urteil vom 8. Juli 1999 (Nunes und de Matos)(25) abgeschlossen, in dem es um eine Vorabentscheidungsfrage des Tribunal de Círculo Porto ging, mit der geklärt werden sollte, ob ein Mitgliedstaat berechtigt ist, Verhaltensweisen, die gegen Vermögensinteressen der Gemeinschaft verstoßen, als Straftaten einzustufen, wenn die Gemeinschaftsregelung für sie nur eine zivilrechtliche Sanktion vorsieht. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Maßnahmen im Sinne des Artikels 10 EG strafrechtliche Sanktionen einschließen, und ausgeführt,
– dass, wenn das Gemeinschaftsrecht keine Maßnahmen enthalte, die die Beachtung seiner Vorschriften gewährleisten, die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, sie zu erlassen; enthalte es solche Maßnahmen, so nähmen die Mitgliedstaaten eine ergänzende Aufgabe wahr, die den Schutz dieser Vorschriften verstärken solle;
– dass die Wahl der Sanktionsart den nationalen Behörden zustehe, auch wenn die Sanktion derjenigen entsprechen müsse, die für einen nach Art und Schwere vergleichbaren Verstoß gegen nationales Recht gelte, und außerdem wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müsse.
38. Kurz gesagt, der Rat und seine Streithelfer vertreten nicht zu Unrecht die Auffassung, dass die Rechtsprechung nicht ausdrücklich eine Gemeinschaftsbefugnis anerkenne, von den Mitgliedstaaten zu verlangen, dass sie die Verhaltensweisen, die die Verwirklichung der in den Verträgen festgelegten Ziele beeinträchtigen, als Straftaten qualifizieren.
39. Eine Prüfung des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts führt zum selben Ergebnis.
C – Das abgeleitete Recht
40. Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2241/87 des Rates vom 23. Juli 1987 zur Festlegung bestimmter Maßnahmen zur Kontrolle der Fischereitätigkeit(26) sowie Artikel 31 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2847/93 des Rates vom 12. Oktober 1993 zur Einführung einer Kontrollregelung für die gemeinsame Fischereipolitik(27), die die erstgenannte Verordnung ersetzt, überlassen den Mitgliedstaaten die Wahl der Sanktion bei Verstößen gegen die Vorschriften, die diese Politik regeln. Diese Auslegung wird, was die erste dieser Verordnungen betrifft, durch das Urteil vom 1. Februar 2001 (Kommission/Frankreich)(28) bestätigt, in dem der Gerichtshof geprüft hat, ob die in der nationalen Regelung vorgesehenen Verfahren, einige verwaltungsrechtlicher, andere strafrechtlicher Natur, den Gemeinschaftsverpflichtungen auf dem Gebiet der Erhaltung und Kontrolle der Fischbestände entsprachen.
41. Die Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche(29) fordert nach der Feststellung, dass dieses Phänomen vor allem mit strafrechtlichen Mitteln zu bekämpfen ist (vierte Begründungserwägung), von den Mitgliedstaaten nur, dass sie die vollständige Anwendung des Inhalts der Richtlinie gewährleisten, indem sie festlegen, wie Verstöße zu ahnden sind (Artikel 14), unbeschadet strengerer Vorschriften zur Verhinderung solcher Verhaltensweisen (Artikel 15).
42. Die Richtlinie 2002/90/EG des Rates vom 28. November 2002 zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt(30) verlangt von den Mitgliedstaaten, dass sie mit „wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen“ die Begehung, die Beihilfe, die Anstiftung und den Versuch bestimmter Handlungen ahnden (Artikel 1 bis 3), wobei im Rahmenbeschluss 2002/946/JI(31) der strafrechtliche Charakter dieser Ahndung konkretisiert wird.
43. Gelegentlich wird die strafrechtliche Sanktion unumgänglich, weil sie die einzige ist, die die im Urteil „Griechischer Mais“ aufgestellten Erfordernisse erfüllt, nämlich „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ zu sein.
D – Der unbestimmte Rechtsbegriff der „wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktion“
44. Dieser Begriff, abstrakt betrachtet, weist einige vage Konturen auf, kann aber wie alle derartigen Begriffe eingegrenzt werden, wenn man ihn auf konkrete Fälle anwendet, hält man sich vor allem den Zweck vor Augen, dem er dient.
45. Die vom Gerichtshof verwendete Formel ist nicht zufällig gewählt, weil sie mit der Bezugnahme auf Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Abschreckung auf die Grunderfordernisse dafür abstellt, dass die Gemeinschaftsvorschrift ungeachtet ihrer Verletzung eine vollständige Anwendung erfährt. Da außerdem jede Verurteilung an einem doppelten Zweck, dem der General‑ und der Spezialprävention, ausgerichtet ist, indem sie den Täter mit dem angemessenen Rechtsinstrument bestraft und der Allgemeinheit eine gleichartige Strafe androht, wenn sie sich ebenfalls in vorwerfbarer Weise verhält, erscheint mir der Katalog möglicher Sanktionen sehr umfangreich.
46. In einigen Fällen reicht die Wiederherstellung der Lage, die vor dem Verstoß bestanden hat. Diese Folge, die nicht repressiv im engeren Sinne ist und die gewöhnlich als „zivile Sanktion“ bezeichnet wird, benötigt jedoch oft, um diese präventiven Zwecke zu erreichen, eine Ergänzung durch Strafen stricto sensu, deren Intensität je nach der Bedeutung des angegriffenen Rechtsguts und der sozialen Ächtung des strafbaren Verhaltens unterschiedlich ausfallen muss.
47. Je nach dem Ausmaß der Reaktion ist zwischen Strafsanktionen – dem schwereren Grad – und Verwaltungssanktionen zu unterscheiden. Die einen wie die anderen sind Ausprägungen des ius puniendi des Staates und folgen denselben ontologischen Grundsätzen(32); die geringere Strenge der Verwaltungssanktionen lockert allerdings die Garantien, die bei ihrer Anwendung gelten müssen, unbeschadet der Tatsache, dass, wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Griechenland(33) dargelegt habe, in beiden Fällen ähnliche Grundsätze zu beachten sind(34).
48. Es erscheint offensichtlich, dass, wie auch der Rat und einige seiner Streithelfer vortragen, niemand besser in der Lage ist, die Möglichkeit, Angemessenheit und Wirksamkeit einer strafrechtlichen Reaktion zu beurteilen, als die nationalen Gesetzgeber. Diese Auffassung habe ich vertreten, als es darum ging, im Licht des Effektivitätsgrundsatzes festzustellen, ob bestimmte nationale Verfahrensfristen für die Erhebung von Klagen zur Verteidigung der in der Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannten Rechte ausreichend sind(35), wenn auch unter dem Vorbehalt, dass diese allgemeine Regel in klaren Fällen zurücktritt(36), in denen die Gemeinschaft wegen dieser Offenkundigkeit berechtigt ist, die Beurteilung vorzunehmen.
49. Es darf nicht vergessen werden, dass der Schutz der Gemeinschaftsrechtsordnung den Organen der Gemeinschaft obliegt, auch wenn diese durch nichts daran gehindert sind, die Mitgliedstaaten aufzufordern, die gemeinschaftsrechtswidrigen Handlungen unter Strafe zu stellen. Nur soweit in Ermangelung der unentbehrlichen Beurteilungskriterien nicht die zweckmäßigste Reaktion zur Verfügung gestellt werden kann, wird diese Aufgabe den nationalen Gesetzgebern übertragen. A contrario gibt es, wenn die Bestimmung der „wirksamen, angemessenen und abschreckenden“ Strafe offenkundig ist, keinen wesentlichen Grund dafür, die Wahl dieser Sanktion nicht demjenigen zu überlassen, der die materielle Zuständigkeit besitzt(37).
50. Mit anderen Worten, es lässt sich leicht verstehen, dass die angemessene Sanktion z. B. für Angriffe auf das Leben oder den Missbrauch von Minderjährigen Strafcharakter haben muss, so dass, wenn die bei diesen Verstößen geschützten Rechtsgüter eines der Ziele der Gemeinschaft darstellten, niemand die Befugnis ihrer Rechtsetzungsorgane in Zweifel ziehen würde, von den Mitgliedstaaten die strafrechtliche Verfolgung zu verlangen.
51. Der nächste Schritt besteht also darin, festzustellen, ob der Umweltschutz, für den die Gemeinschaft nach dem, was ich oben in den Nummern 6 bis 9 ausgeführt habe, unzweifelhaft zuständig ist, eine strafrechtliche Verteidigung erfordert. In diese Prüfung ist der Prozess der „Vergemeinschaftlichung“ des Umweltschutzes einzubeziehen.
E – Der Umweltschutz in der Gemeinschaft
52. In meinen Schlussanträgen vom 30. November 2004 in der Rechtssache C‑6/03 (Deponiezweckverband Eiterköpfe), in der das Urteil am 14. April 2005 ergangen ist (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), habe ich darauf hingewiesen, dass für die Verfasser der Verträge die Umwelt und ihre Erhaltung zwar kein großes Anliegen waren, dass aber nicht lange gewartet werden musste, bis 1972 die Konferenz der Staats‑ und Regierungschefs, die in Paris stattfand, beschloss, eine eigene Politik für diesen Bereich einzuführen(38), und anregte, sich der Deckung zu bedienen, die die Artikel 100 und 235 EG-Vertrag(39) (jetzt Artikel 94 EG und 308 EG) boten.
53. Der Gerichtshof hat diese Anregung aufgegriffen und die Bestimmungen in diesem Bereich auf Artikel 100(40) gestützt, wobei er im Urteil ADBHU(41) ausgeführt hat, dass der Umweltschutz „ein wesentliches Ziel der Gemeinschaft“ sei (Randnr. 13), ein Gedanke, der Jahre später, nach Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte(42), im Urteil Kommission/Dänemark (Randnr. 8) wieder auftauchte(43).
54. Die Einheitliche Europäische Akte hat in den EG-Vertrag einen besonderen Abschnitt –Titel VII (jetzt Titel XIX)(44) – aufgenommen, der die Artikel 130r und 130s (nach Änderung jetzt Artikel 174 EG und 175 EG) sowie 130t (jetzt Artikel 176 EG) enthält, zu denen noch Artikel 100a Absatz 3 (nach Änderung jetzt Artikel 95 Absatz 3 EG) hinzukommt, wonach die Kommission verpflichtet ist, bei ihren Vorschlägen nach Absatz 1 von einem „hohen Schutzniveau“ für die Umwelt auszugehen.
55. Die neue Konfiguration rückte den Umweltschutz in das Zentrum der Gemeinschaftstätigkeit, der diese inspiriert und prägt, worauf der Gerichtshof im Urteil Kommission/Rat (Randnrn. 22 und 24)(45) hingewiesen hat, und mit der Unterzeichnung des EU-Vertrags in Maastricht ist der Umweltschutz zu einem Ziel der Gemeinschaft geworden.
56. Heute sind die Erreichung eines hohen Maßes an Erhaltung und Verbesserung des natürlichen Lebensraums sowie die Hebung der Lebensqualität als Gemeinschaftsziele verankert (Artikel 2 EG) und verlangen ein spezifisches Vorgehen (Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe l EG). Ferner müssen „[d]ie Erfordernisse des Umweltschutzes … bei der Festlegung und Durchführung der in Artikel 3 genannten Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen insbesondere zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einbezogen werden“ (Artikel 6 EG). Dieses Anliegen ist auch in anderen Bestimmungen des Vertrages erkennbar: im bereits genannten Artikel 95 EG oder in Artikel 161 EG, wonach die Errichtung eines Kohäsionsfonds vorgesehen ist, der „zu Vorhaben in den Bereichen Umwelt … finanziell bei[trägt]“.
57. Die Erhaltung der Umwelt hat einer normativen Anerkennung von Grundsätzen wie denen der Vorsorge und Vorbeugung (Artikel 174 Absatz 2 Unterabsatz 1 EG) den Weg bereitet, die für weite Bereiche des Gemeinschaftsrechts gelten, in denen die Natur, das Leben und die Unversehrtheit des Menschen wegen der Globalisierung der mit dem technologischen und industriellen Fortschritt verbundenen Bedrohungen eine universelle Dimension annehmen(46).
58. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa(47) folgt diesem Ansatz. Gemäß Artikel II‑97, der auf Artikel 2 EG beruht, müssen „[e]in hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität … in die Politik der Union einbezogen und nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung sichergestellt werden“; Artikel III‑119 wiederholt den Inhalt von Artikel 6 EG. Die Artikel III‑233 und III‑234 geben im Wesentlichen die Artikel 174 EG bis 176 EG wieder.
59. Es steht also außer Zweifel, dass, wie ich in Nummer 51 dieser Schlussanträge festgestellt habe, die „Umwelt“ eine Zuständigkeit der Gemeinschaft ist, die auch zu einem Rechtsgut geworden ist, dessen Verteidigung die anderen Politiken inspiriert und eine Schutztätigkeit darstellt, die außerdem als wesentliches Vorhaben des Gemeinschaftssystems bezeichnet werden kann.
60. Das Anliegen des Umweltschutzes ist nicht auf Europa beschränkt, sondern hat weltweite Dimension angenommen.
F – Die Globalisierung der „Umweltpolitik“
61. Zahlreiche internationale Pakte und Übereinkünfte suchen nach Antworten, um der ständigen Beschädigung der Ökosysteme und des Lebens auf dem Planeten Einhalt zu gebieten.
62. Ein Beispiel ist der Prozess innerhalb der Vereinten Nationen(48), der mit der Stockholmer Konferenz vom 5. bis 16. Juni 1972 begann und der wichtige Marksteine gesetzt hat. Diese Zusammenkunft wurde zu einem großen Ereignis, da sie mit einer Erklärung über die Umwelt des Menschen, in der 26 Grundsätze für die Erhaltung der natürlichen Ressourcen formuliert wurden, die Aufmerksamkeit der Welt auf den Ernst der Umweltsituation gelenkt hat.
63. Die Weltcharta für die Natur von 1982(49) ging weiter auf dem eingeschlagenen Weg und verstärkte die Verpflichtung in Bezug auf den Inhalt der Verhaltensregeln und deren Aufnahme in die nationalen Rechtsordnungen.
64. Die Erklärung von Rio, die von den Regierungen verabschiedet wurde, die am Gipfel der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung vom Juni 1992 in Rio teilnahmen, hat einen entscheidenden Impuls gegeben. Die Wichtigkeit des Kontextes, in den sie sich einfügt, und der für ihre Verabschiedung erzielte breite Konsens weisen ihr eine besondere Bedeutung als universale Übereinkunft zu, die die Frucht eines gemeinsamen Bewusstseins ist, das auf der Notwendigkeit beruht, den Planeten für die künftigen Generationen zu erhalten.
65. Das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen von 1992 und das Protokoll von Kyoto von 1997, das dieses Übereinkommen mit dem Ziel weiterentwickelt, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren(50), symbolisieren zwei weitere wichtige Glieder in dieser unzerreißbaren Kette, zu der auch das Protokoll zur Biosicherheit gehört, das am 28. Januar 2000 auf der Konferenz der Unterzeichnerstaaten des Übereinkommens über die biologische Vielfalt unterzeichnet wurde, die ebenfalls auf den Gipfel von Rio zurückgeht.
G – Das Recht auf eine angemessene Umwelt und die öffentliche Verantwortung für ihre Erhaltung
66. Die Begriffe „nachhaltige Entwicklung“ und „Lebensqualität“, die im EG-Vertrag verwendet werden, erscheinen eng mit dem Begriff „Umwelt“ verbunden und weisen auf eine persönliche Dimension hin, die nicht außer Acht gelassen werden darf, wenn es darum geht, die Umwelt zu schützen und zu verbessern. In dem geophysischen Kontext, den die natürliche Umgebung darstellt, wird die Lebensqualität als Recht der Bürger garantiert, das sich aus verschiedenen Faktoren ergibt, von denen einige materieller Natur (vernünftige Nutzung der Ressourcen und nachhaltige Entwicklung) und andere eher intellektueller Natur (Fortschritt und kulturelle Entwicklung) sind. Sobald die quantitative Grenze überschritten ist, die zum Überleben ausreicht, handelt es sich darum, zu einem auch in qualitativer Hinsicht würdigen Leben zu gelangen(51).
67. So zeichnet sich ein Recht darauf ab, eine angemessene Umwelt zu genießen, nicht für das Individuum als solches, sondern als Mitglied der Gesellschaft, in der es gemeinsame soziale Interessen teilt(52). Zu der Zeit, als der angefochtene Rahmenbeschluss angenommen wurde, erkannten einige Verfassungen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft dieses Recht an(53). So bestimmt Artikel 20a des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland(54), dass „[d]er Staat … auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung [schützt]“(55). In Spanien proklamiert Artikel 45 der Verfassung(56) unter den sozial- und wirtschaftspolitischen Grundsätzen das Recht aller, „eine der Entfaltung der Persönlichkeit förderliche Umwelt zu genießen“(57). Ähnlich drückt dies Artikel 66 Absatz 1 der Verfassung der Portugiesischen Republik(58) aus. In Schweden wiederholt Kapitel II Artikel 18 Absatz 3 des Gesetzes vom 24. November 1994 zur Änderung der Verfassung(59) das Recht auf Zugang zur Natur.
68. Dieses Recht wird durch die entsprechenden Pflichten der öffentlichen Stellen ergänzt. Ich habe bereits an den Wortlaut des Bonner Grundgesetzes erinnert. Nach Artikel 45 Absatz 2 der spanischen Verfassung hat die öffentliche Gewalt über die vernünftige Nutzung der natürlichen Ressourcen zu wachen, um „die Lebensqualität zu schützen und zu verbessern und die Umwelt zu erhalten und wiederherzustellen. Dabei stützt sie sich auf die unerlässliche Solidarität der Gesellschaft.“ In gleicher Weise weist die finnische Verfassung(60) auf die gemeinsame Verantwortung im Bereich der Natur und der Artenvielfalt sowie der Umwelt hin (Artikel 20), während die griechische (Artikel 24 Absatz 1)(61), die niederländische (Artikel 21)(62) und die portugiesische Verfassung (Artikel 9 Buchstabe e) den Staat zur Erhaltung der Umwelt verpflichten. In Italien ist die Verpflichtung der Republik zum Schutz der Landschaft, wie sie in Artikel 9 Absatz 2 der Verfassung verankert ist(63), auf den der Umwelt und des Landes ausgedehnt worden(64).
69. Die persönliche Dimension dieser Anliegen findet in der Europäischen Union implizit Berücksichtigung, deren Charta der Grundrechte vom 7. Dezember 2000(65) nach der Erklärung in ihrer Präambel, dass sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität gründet, im Kapitel über die Solidarität neben den Sozialrechten eine Bestimmung einführt, wonach die Politiken der Union ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität einbeziehen und nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung sicherstellen (Artikel 37). Diese Bestimmung ist, wie ich bereits gesagt habe, Teil des Vertrages über eine Verfassung für Europa (Artikel II‑97).
70. Ich möchte diese Ausführungen nicht abschließen, ohne zu betonen, dass unabhängig davon, wie das Recht auf eine angemessene natürliche Umwelt konzipiert ist(66), sein Zusammenhang mit dem Inhalt bestimmter Grundrechte leicht zu erkennen ist. Ich brauche nur zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu nennen, die diesen Gedanken bestätigen. Im Urteil vom 9. Dezember 1994 in der Sache López Ostra gegen Spanien(67) hat dieser Gerichtshof es für offensichtlich gehalten, dass schwere Umweltverschmutzungen das Wohl Einzelner beeinträchtigen und sie daran hindern können, sich in ihrer Wohnung wohlzufühlen, wodurch in ihr Privat- und Familienleben eingegriffen werde (Abschnitt 51)(68). Im Urteil vom 19. Februar 1998 in der Sache Guerra u. a. gegen Italien(69) ist entschieden worden, dass das Fehlen amtlicher Informationen über die angemessene Reaktion der Bürger auf kontaminierende Emissionen einer nahe gelegenen Fabrik gegen das erwähnte Grundrecht verstoße (Abschnitt 60).
H – Die strafrechtliche Reaktion auf schwere Beeinträchtigungen der Umwelt
71. Das beschriebene Panorama illustriert klar die Bedeutung, die das so genannte „ökologische Bewusstsein“ in den letzten Jahrzehnten erlangt hat. Weder steht die tatsächliche noch die potenzielle Auswirkung der Veränderungen fest, zu denen die Tätigkeit des Menschen in den Ökosystemen geführt hat, man ahnt aber, dass diese Veränderungen das Leben auf der Erde beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Die Tatsache, dass der Mensch und seine Eingriffe in die Natur sein Überleben als Spezies in Gefahr bringen, hat die Dringlichkeit vor Augen geführt, Verhaltensregeln zu entwickeln und eine „Umweltethik“ anzuwenden, deren Ziel darin besteht, den Menschen harmonisch in die Umwelt, in der er lebt, zu integrieren.
72. Die Staaten bedienen sich ihrer Strafgesetzbücher als ultima ratio, um sich gegen die Angriffe auf die Werte, auf denen das Zusammenleben beruht, zur Wehr zu setzen, und sie haben in letzter Zeit beschlossen, bestimmte Verhaltensweisen, die die Umwelt schädigen, unter Strafe zu stellen(70). Will man ein hohes Schutzniveau und eine Verbesserung der Lebensqualität erreichen (Artikel 2 EG), so erscheint der Gedanke logisch, dass sich das Gemeinschaftsrecht über die Befugnisse, die den Organen zur Verwirklichung dieser Ziele übertragen worden sind, in bestimmten Fällen der strafrechtlichen Sanktion als einziger „wirksamer, angemessener und abschreckender“ Reaktion bedienen muss.
73. Im Schrifttum hat sich ein gewisser Konsens über die Betrachtung der Ökosysteme als Rechtsgüter von besonderer Relevanz ergeben, deren Schutz für die menschliche Existenz wesentlich erscheint, weshalb ihre Bewahrung und Erhaltung es in vollem Umfang rechtfertigen, dass das Strafrecht mit einem spezifischen Schutz eingreift(71).
74. Administrative Sanktionen reichen häufig aus, sichern aber nicht in allen Fällen schwerer Schäden einen angemessenen Schutz. Die Strafe bedeutet dagegen einen zusätzlichen Druck, der in vielen Fällen zur Beachtung der Erfordernisse anhalten und zu einer raschen Zunahme der gesetzlichen Verbote im Zusammenhang mit der Ausübung von stark umweltgefährdenden Tätigkeiten führen kann. Der Einzug der Ökologie in die Gesetzbücher soll außerdem nicht nur die generalpräventive Wirkung erhöhen, sondern auch das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die „Sozialschädlichkeit“ der Eingriffe in die Natur schärfen, wobei bekräftigt wird, dass die autonomen Umweltrechtsgüter mit demselben Rang wie die strafrechtlich geschützten klassischen Werte anerkannt werden(72). Die ethische Dimension der strafrechtlichen Sanktion darf nicht außer Acht gelassen werden: Wird ein Verhalten strafrechtlich geahndet, so wird angenommen, dass es den schärfsten Tadel verdient, weil es gegen die Grundlagen der Rechtsordnung gerichtet ist.
75. Betrachtet man also den wesentlichen Inhalt der Rechtsprechung, die der Gemeinschaft eine Sanktionsgewalt mit der Befugnis zur Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften einräumt, und berücksichtigt man den ständigen Prozess der Übernahme von Gemeinschaftskompetenzen im Bereich des Umweltschutzes(73) sowie die Bedeutung oder die Fragilität der Umweltbelange, so gibt es hinreichende Gründe dafür, der Gemeinschaft die Befugnis zuzuerkennen, von den Mitgliedstaaten eine strafrechtliche Reaktion auf bestimmte, für den Planeten schädliche Verhaltensweisen zu verlangen(74).
76. Der Rat und diejenigen, die ihn in diesem Verfahren unterstützen, weisen diese Auffassung zurück, weil sie die Souveränität der Staaten beeinträchtige. Diese Rüge erscheint mir unbegründet. Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Gemeinschaft, wie im Urteil Van Gend & Loos(75) festgestellt, eine neue Rechtsordnung darstellt, zu deren Gunsten die Mitgliedstaaten ihre Befugnisse beschränkt haben, so dass das „Souveränitätsargument“ nichts Neues zur Diskussion beiträgt, nicht einmal im Bereich des Strafrechts. Ein guter Beleg dafür ist, dass das Gemeinschaftsrecht zahlreiche in den nationalen Gesetzbüchern tatbestandlich erfasste Verhaltensweisen entkriminalisiert hat, ohne dass diese „Einmischung“ irgendjemanden alarmiert hätte(76). Ich könnte hier eine lange Liste von Fällen anfügen, die alle kennen und in denen das Gemeinschaftsrecht die staatlichen Gesetzgebungskompetenzen eingeschränkt hat, und zwar nicht nur im Bereich des Strafrechts: Das Steuerrecht und das Verfahrensrecht sind hierfür zwei gute Beispiele.
77. Diese Kontroverse wirft eine andere Frage auf, die nicht so sehr die Staaten als vielmehr die Bürger betrifft: Es handelt sich um deren Recht darauf, dass die Straftatbestände von den demokratisch gewählten Repräsentanten festgelegt werden, was juristisch betrachtet im Grundsatz der Legalität des Strafrechts zum Ausdruck kommt, der eine doppelte Dimension hat, nämlich eine materielle, d. h. die vorherige normative Festlegung der Verhaltensweisen, und eine formelle, die im absoluten Vorbehalt für den Träger der Gesetzgebungsgewalt besteht. Bei der Position, die ich vertrete, bleibt der Grundsatz nullum crimen sine lege unangetastet, weil die Gemeinschaftsharmonisierung ein Tätigwerden der nationalen Parlamente für die endgültige Aufnahme der externen Vorschriften in ihre Rechtsordnung verlangt(77).
78. Diese Position wird auch nicht dadurch widerlegt, dass die Artikel 135 EG und 280 EG in den Bereichen des Zollwesens und der Bekämpfung von Betrügereien zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, bei denen die staatliche Zusammenarbeit enger und intensiver sein muss, „die Anwendung des Strafrechts“ und „die Strafrechtspflege“ unberührt lassen, beides Ausdrücke, die sich nicht auf die Befugnis, Normen zu erlassen, sondern auf die beziehen, sie anzuwenden, die aber in diesem Rechtsstreit nicht in Rede steht und eine Zuständigkeit betrifft, die ohne Zweifel bei den Richtern der Strafjustiz liegt.
79. Man könnte einwenden, dass angesichts der Tatsache, dass die Zusammenarbeit in Strafsachen dem dritten Pfeiler zugeordnet wird, jede Initiative auf diesem Gebiet, auch die der Gemeinschaft, unter Titel VI des EU-Vertrags fallen muss; für diesen Syllogismus fehlt es jedoch am Obersatz.
80. Artikel 29 EU sieht ein koordiniertes Vorgehen vor, um die Kriminalität auf dreierlei Wegen zu verhüten und zu bekämpfen. Die ersten beiden sind als polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit ausgestaltet, während der letzte auf eine Annäherung der Strafvorschriften der Mitgliedstaaten „nach Artikel 31 Buchstabe e“ abzielt, der sich auf die schrittweise Annahme von Mindestvorschriften „über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen in den Bereichen organisierte Kriminalität, Terrorismus und illegaler Drogenhandel“ bezieht. Es gibt daher, wie bereits gesagt(78), keine „Universalzuständigkeit“ der Europäischen Union dafür, das Strafrecht der Mitgliedstaaten durch die in Artikel 34 Absatz 2 Buchstabe b erwähnten Rahmenbeschlüsse zu harmonisieren, sondern nur eine auf bestimmte Straftaten von länderüberschreitender Bedeutung beschränkte Befugnis.
81. Der dritte Pfeiler sieht eine gegenseitige operative Unterstützung der Polizei‑ und Justizbehörden vor, um die Kriminalität wirksamer zu bekämpfen, aber die normative Annäherung, die über den Gedanken der Zusammenarbeit hinausgeht und einen radikaleren Schritt zur Integration bedeutet, bleibt auf solche Elemente beschränkt, die wegen ihrer „Internationalisierung“ eine einheitliche Reaktion verdienen.
82. Ebenso wie die Gemeinschaft keine allgemeine strafrechtliche Kompetenz hat, fehlt ihr auch eine „natürliche Fähigkeit“ des dritten Pfeilers, die wie eine Schwerkraft alle derartigen Fragen, die sich in der Union stellen, an sich ziehen würde. Die Lösung muss auf anderen Wegen gefunden werden, und zwar auf der Linie, die die Rechtsprechung bei der Entwicklung der Sanktionsgewalt zur Verteidigung der Gemeinschaftsrechtsordnung vorgezeichnet hat.
83. Nachdem die vom Rat und von den Mitgliedstaaten erhobenen Einwände zurückgewiesen sind, setze ich nun die Argumentation fort. Ohne auf die Gründe einzugehen, die für eine koordinierte Reaktion sprechen, da die Vorteile einer Harmonisierung(79) unbestritten sind(80), ist ihre Tragweite näher zu bestimmen. Das Ziel besteht, wie wir gesehen haben, darin, eine „wirksame, angemessene und abschreckende“ Sanktion für schwere Verstöße gegen die Umweltpolitik der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Die strafrechtliche Ahndung vereint diese Merkmale, weshalb die Gemeinschaft, um die Wirksamkeit ihrer Tätigkeit in diesem Bereich zu sichern, die Mitgliedstaaten zwingen kann, von ihr Gebrauch zu machen; sie ist aber nach meiner Ansicht nicht berechtigt, darüber hinauszugehen. Diese Feststellung stützt sich einmal auf die Grundlagen der Rechtsprechung, die diese Befugnis anerkennt, und zum anderen auf den Charakter ihrer Zuständigkeiten im Umweltbereich.
I – Die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts verlangt nur, dass es sich um eine strafrechtliche Sanktion handelt
84. Die zivil‑, verwaltungs‑ oder strafrechtliche Sanktionsgewalt ist als instrumentale Befugnis(81) im Dienst der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu betrachten(82). Wenn die Unversehrtheit dieses Rechtssystems eine Strafdimension erfordert, müssen die Mitgliedstaaten die dafür notwendigen Mechanismen festlegen, deren Charakter die Gemeinschaft zu bestimmen hat, sofern sie in der Lage ist, ihre Nützlichkeit für den verfolgten Zweck zu prüfen, weil andernfalls die Aufgabe den nationalen Legislativen obliegen würde. Was die Umwelt angeht, so dürfte es klar sein, dass die Reaktion auf Verhaltensweisen, die sie ernsthaft schädigen, Strafrechtscharakter haben muss, doch ist auf der Ebene der Bestrafung die Wahl der Strafe, mit der diese Verhaltensweisen bekämpft und dem Gemeinschaftsrecht Wirksamkeit verliehen werden soll, Sache der Mitgliedstaaten.
85. Sobald die Gemeinschaftsharmonisierung einheitliche Straftatbestände eingeführt hat, haben die nationalen Rechtsordnungen diese verbotenen Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen und dabei die konkreten Strafmaßnahmen anzugeben, die an das Fehlverhalten geknüpft sind, um auf diese Weise die tatsächliche Situation und die Rechtsordnung, die beeinträchtigt wurden, wiederherzustellen. Bei diesem Unternehmen ist niemand in einer besseren Lage als der nationale Gesetzgeber, der, weil er die rechtlichen und soziologischen Besonderheiten seiner Sozialordnung aus erster Hand kennt, in dem vorher von der Gemeinschaft abgegrenzten Rahmen die Reaktion zu wählen hat, die für den Fortbestand des Gemeinschaftsrechts am geeignetsten ist(83).
86. Das Strafrecht bietet die einzige „wirksame, angemessene und abschreckende“ Lösung bei Verhaltensweisen, die wie die in Artikel 2 des Rahmenbeschlusses genannten die Umwelt schwer beeinträchtigen, doch sind diese einmal unter Strafe gestellt, so kann die konkrete Sanktion nur in der nationalen Rechtsordnung bestimmt werden, die die für diese Aufgabe unerlässlichen Parameter enthält, da die Gemeinschaft gegenwärtig nicht über die erforderlichen Instrumente verfügt, um beurteilen zu können, wie die Umweltbelange in jedem Mitgliedstaat am besten verteidigt werden, ob durch Freiheitsentzug oder durch die Beschränkung von Rechten oder durch eine finanzielle Sanktion.
87. Dieses Schema weist der Gemeinschaft die Befugnis zu, das geschützte Rechtsgut und die Art des Vorwurfs genau zu definieren, während die Mitgliedstaaten die Ausarbeitung der Strafvorschrift übernehmen(84), entweder individuell oder koordiniert im Wege der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, die im dritten Pfeiler des EU-Vertrags geregelt ist.
J – Die Art der Gemeinschaftszuständigkeiten in Bezug auf die Umwelt
88. Die Befugnisse in diesem Bereich teilt die Gemeinschaft mit den Mitgliedstaaten(85), wobei zugelassen wird, dass die nationalen Rechtsvorschriften strenger sind.
89. Nach Artikel 176 EG dürfen die Mitgliedstaaten, wie bereits gesagt, verstärkte Schutzmaßnahmen beibehalten oder ergreifen, sofern diese mit dem Vertrag vereinbar sind und der Kommission notifiziert werden. Außerdem erlaubt ihnen Artikel 95 EG, auch bei Vorhandensein von Harmonisierungserfordernissen, eigene Vorschriften beizubehalten (Absatz 4) oder einzuführen (Absatz 5), wenn diese durch den Umweltschutz gerechtfertigt sind und der Kommission mitgeteilt werden. Schließlich sieht Artikel 174 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG eine Schutzklausel vor, „mit der die Mitgliedstaaten ermächtigt werden, aus nicht wirtschaftlich bedingten umweltpolitischen Gründen vorläufige Maßnahmen zu treffen, die einem gemeinschaftlichen Kontrollverfahren unterliegen“.
90. In meinen bereits erwähnten Schlussanträgen in der Rechtssache Deponiezweckverband Eiterköpfe habe ich darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten deshalb eine wichtige Rolle zu spielen haben, was dazu führt, dass europäische Normen neben nationalen Normen bestehen, die die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften konkretisieren oder von ihnen abweichen, um einen stärkeren Schutz zu gewähren, so dass es absolut kohärent erscheint, wenn die nationalen Rechtsordnungen, nachdem die Gemeinschaft die Mindestschwelle (die strafrechtliche Reaktion auf die Verstöße) bestimmt hat, diese Rechtsvorschriften spezifizieren, präzisieren und mit der Kraft versehen, die für die Erreichung des festgelegten Zieles unerlässlich ist.
K – Die Artikel 1 bis 7 des Rahmenbeschlusses als Grundlage der Gemeinschaftszuständigkeit
91. Die vorstehenden Erwägungen lassen es ratsam erscheinen, die Artikel 1 bis 7 des Rahmenbeschlusses daraufhin zu prüfen, ob ihr Inhalt in den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, weil sie in diesem Fall, da der Rat der Union sie auf der Grundlage der Artikel 29 EU, 31 Buchstabe e EU und 34 Absatz 2 Buchstabe b EU erlassen hat, gegen Artikel 47 EU verstießen und damit nichtig wären.
92. Gemäß den Artikeln 2 und 3 ist die vorsätzliche und zumindest grob fahrlässige Begehung von sieben Gruppen umweltschädigender Handlungen unter Strafe zu stellen, die durch ihre Bedeutung gekennzeichnet sind, und zwar sowohl aufgrund ihrer Eignung, den Tod oder eine schwere Körperverletzung von Personen oder erhebliche Schäden an Bestandteilen der natürlichen und kulturellen Umgebung sowie an Pflanzen und Tieren herbeizuführen, als auch aufgrund der Beeinträchtigung geschützter Arten oder der Ozonschicht. Nach dem bisher Ausgeführten ist klar, dass die Zuständigkeit für die Wahl der Sanktionsart für derartige Verhaltensweisen bei der Gemeinschaft liegt. Das Gleiche gilt für Artikel 4, soweit er die strafrechtliche Erfassung anderer Beteiligungsformen als der Täterschaft sowie der Anstiftung vorschreibt. Die einen wie die anderen Bestimmungen gehören zum „gemeinschaftlichen Harmonisierungsminimum“, da sie sich mit der Abgrenzung des persönlichen Bereichs der strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf deren Natur auswirken.
93. Artikel 5 Absatz 1, wonach die in den Artikeln 2 und 3 genannten Handlungen mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen zu bedrohen sind, ist in gleicher Weise zu beurteilen wie die vorerwähnten Bestimmungen, weil in diesen Fällen die Wahl des Sanktionsmodells – das straf-, verwaltungs- oder zivilrechtlich sein kann – aus den dargelegten Gründen der Gemeinschaft zusteht.
94. Jedoch geht die Bestimmung dieses Artikels 5 Absatz 1, wonach die schwerwiegenden Fälle mit Freiheitsstrafen belegt werden, die zu einer Auslieferung führen können, über die eigentlichen Grenzen des ersten Pfeilers hinaus, weil im Bereich des Strafrechts die Wahl der angemessenen Sanktion zur staatlichen Zuständigkeit gehört. Aus den gleichen Gründen ist die Berücksichtigung ergänzender Sanktionen in Artikel 5 Absatz 2 nicht zu beanstanden.
95. Artikel 6 regelt die Verantwortlichkeit juristischer Personen für Handlungen und Unterlassungen in Bezug auf die in den Artikeln 2 bis 4 genannten Verhaltensweisen, während Artikel 7 für ihre Bestrafung „wirksame, angemessene und abschreckende“ Sanktionen vorsieht, ohne deren Charakter näher zu bezeichnen; beide Bestimmungen weisen den gleichen Defekt auf wie die Artikel 2 bis 4 und 5 Absatz 1. Die Klarstellung, dass nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen zu verfolgen sind, betrifft die Ausgestaltung des Grundmodells der Reaktion auf Umweltverstöße, die eine Gemeinschaftsaufgabe ist. Jedoch fällt Artikel 7, soweit er fünf konkrete Sanktionen anführt, nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts.
96. Artikel 1 schließlich beschränkt sich auf die Definition dreier Begriffe, die in den Artikeln 2 und 6 verwendet werden.
97. Ich meine demnach, dass aufgrund der Tatsache, dass die Wahl der strafrechtlichen Reaktion auf schwere Umweltverstöße zur Zuständigkeit der Gemeinschaft gehört, der Rat der Union nicht befugt ist, die Artikel 1 bis 4, 5 Absatz 1 – mit Ausnahme der Bezugnahme auf die Freiheitsstrafen und die Auslieferung –, 6 und 7 Absatz 1 des Rahmenbeschlusses zu erlassen. Folglich ist die Klage der Kommission begründet, weshalb ihr stattzugeben ist und die genannten Vorschriften für nichtig zu erklären sind.
V – Kosten
98. Da der Klage der Kommission stattzugeben ist, sind dem Rat der Europäischen Union nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung die Verfahrenskosten aufzuerlegen.
99. Die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament und der Wirtschafts- und Sozialausschuss, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, haben nach Artikel 69 § 3 ihre eigenen Kosten zu tragen.
VI – Ergebnis
100. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,
1. der Nichtigkeitsklage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen den Rahmenbeschluss 2003/80/JI des Rates vom 27. Januar 2003 über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht stattzugeben und diesen Rahmenbeschluss in dem sich aus der vorstehenden Nummer 97 ergebenden Umfang für nichtig zu erklären;
2. dem Rat der Europäischen Union die Verfahrenskosten aufzuerlegen und festzustellen, dass die Streithelfer ihre eigenen Kosten tragen.