Language of document : ECLI:EU:C:2010:403

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JÁN MAZÁK

vom 6. Juli 20101(1)

Rechtssache C‑565/08

Europäische Kommission

gegen

Italienische Republik

„Rechtsanwälte – Gebühren – Verpflichtung, zwingende Höchstsätze zu beachten“





1.        Das vorliegende Vertragsverletzungsverfahren betrifft eine italienische Regelung, die nach Auffassung der Kommission zwingende Höchstgebühren für anwaltliche Tätigkeiten vorsieht.

2.        Die Kommission vertritt die Auffassung, die Verpflichtung der Rechtsanwälte, bei den Gebühren Höchstsätze zu beachten, stelle eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 43 EG und eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 49 EG dar. Da diese Verpflichtung offensichtlich nicht geeignet sei, Ziele des Allgemeininteresses zu gewährleisten, und jedenfalls beschränkender sei, als es zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sei, handele es sich um eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung.

3.        Die Italienische Republik bringt zu ihrer Verteidigung vor, ihre Rechtsordnung kenne keinen Grundsatz, nach dem es verboten sei, die Höchstgebühren für anwaltliche Tätigkeiten zu überschreiten. Nur hilfsweise versucht sie, darzutun, dass mit den Obergrenzen für die Gebühren der Zugang zur Justiz, der Schutz der Dienstleistungsempfänger und eine geordnete Rechtspflege sichergestellt werden sollen.

 Nationales Recht

4.        Die Vergütung der freiberuflichen Tätigkeiten – zu denen auch die anwaltliche Tätigkeit gehört – im Rahmen eines Dienstvertrags ist allgemein in Art. 2233 des Codice civile (italienisches Zivilgesetzbuch) geregelt; diese Bestimmung lautet:

„Die Vergütung wird, wenn sie nicht von den Parteien vereinbart wurde und nicht nach den Tarifen oder den Gebräuchen bestimmt werden kann, allgemein vom Gericht nach Einholung der Stellungnahme der Berufsvereinigung, der der Berufstätige angehört, bestimmt.

In jedem Fall muss die Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Arbeit und der Würde des Berufs stehen.

Eine zwischen einem Rechtsanwalt oder einem ermächtigten Praktikanten mit dem Mandanten über die Vergütung anwaltlicher Tätigkeiten getroffene Vereinbarung ist nichtig, wenn sie nicht schriftlich niedergelegt ist.“

5.        Die Vorschriften speziell über die Vergütung der Rechtsanwälte sind enthalten im Real Decreto Legislativo Nr. 1578 vom 27. November 1933, umgewandelt in das Gesetz Nr. 36 vom 22. Januar 1934, mit späteren Änderungen (im Folgenden: Real Decreto Legislativo), in dem die Grundsätze des Berufsrechts der Rechtsanwälte in Italien niedergelegt sind.

6.        Art. 57 des Real Decreto Legislativo lautet:

„Die Maßstäbe für die Festsetzung der Honorare und Entgelte, die den Rechtsanwälten und den ‚procuratori‘ in Strafsachen sowie für außergerichtliche Tätigkeiten[(2)] zustehen, werden alle zwei Jahre durch Beschluss des Consiglio nazionale forense [Nationaler Rat der Rechtsanwälte] festgelegt. Der Consiglio nazionale forense ist auch für die Festsetzung der Honorare für Strafverfahren vor der Corte suprema di cassazione [Kassationsgerichtshof] und dem Tribunale supremo militare [Oberstes Militärgericht] zuständig.

Die Beschlüsse, mit denen die in Abs. 1 genannten Maßstäbe festgelegt werden, müssen vom Justizminister genehmigt werden.“

7.        Wie die in Art. 57 des Real Decreto Legislativo genannten Maßstäbe festzulegen sind, ist in dessen Art. 58 näher bestimmt, der wie folgt lautet:

„Die im vorstehenden Artikel genannten Maßstäbe werden anhand des Streitwerts und der mit der Sache befassten Instanz sowie bei Strafverfahren nach der Verfahrensdauer festgelegt.

Für jede Tätigkeit oder Abfolge von Tätigkeiten werden ein Mindest- und ein Höchstsatz bestimmt.

Bei außergerichtlichen Tätigkeiten ist der Bedeutung der Rechtssache Rechnung zu tragen.“

8.        Nachdem die Gebührenordnung vom Consiglio nazionale forense gemäß Art. 57 des Real Decreto Legislativo beschlossen ist, muss sie vom Justizminister genehmigt werden, der zuvor gemäß Art. 14 Abs. 20 des Gesetzes Nr. 887 vom 22. Dezember 1984 eine Stellungnahme des Comitato interministeriale dei prezzi (Interministerieller Preisausschuss) und gemäß Art. 17 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 400 vom 23. August 1988 ein Gutachten des Consiglio di Stato (Staatsrat) einzuholen hat. Das jüngste nach dem genannten Verfahren erlassene Ministerialdekret zur Regelung der Rechtsanwaltsgebühren ist das Dekret Nr. 127 vom 8. April 2004 (im Folgenden: Ministerialdekret Nr. 127/2004).

9.        Nach Art. 60 des Real Decreto Legislativo werden die Gebühren durch das Gericht anhand dieser Maßstäbe und unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und der Anzahl der behandelten Probleme festgesetzt. Die Festsetzung muss sich im Rahmen der zuvor festgelegten Mindest‑ und Höchstsätze bewegen. Das Gericht kann die festgelegten Höchstsätze aber überschreiten, wenn die Sache wegen des besonderen Charakters der Streitigkeit außergewöhnliche Bedeutung hat oder wenn der Wert der erbrachten Leistung dies rechtfertigt. Umgekehrt kann es eine Gebühr unter dem Mindestsatz festsetzen, wenn die Sache einfach gelagert ist. In beiden Fällen muss das Gericht seine Entscheidung begründen.

10.      Über die vom Rechtsanwalt seinem Mandanten in Rechnung gestellten Gebühren ist in Art. 61 des Real Decreto Legislativo bestimmt:

„Die vom Rechtsanwalt seinem Mandanten in Rechnung gestellten Gebühren werden sowohl bei gerichtlichen als auch bei außergerichtlichen Tätigkeiten mangels besonderer Vereinbarung auf der Grundlage der in Art. 57 aufgestellten Maßstäbe festgesetzt, unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und der Anzahl der behandelten Probleme.

Diese Honorare können wegen des besonderen Charakters des Rechtsstreits, des Werts oder des Ergebnisses der erbrachten Leistung diejenigen übersteigen, die zu Lasten der Partei, der die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden sind, festgesetzt worden sind.

…“

11.      Was die Vergütung der Rechtsanwälte in Zivilsachen angeht, ist in Art. 24 des Gesetzes Nr. 794 vom 13. Juni 1942 über die Vergütung der Rechtsanwälte für gerichtliche Tätigkeiten in Zivilsachen („onorari di avvocato e di procuratore per prestazioni giudiziali in materia civile“, im Folgenden: Gesetz Nr. 794/1942) bestimmt, dass von den in der Gebührenordnung für gerichtliche Tätigkeiten in Zivilsachen festgelegten Mindestsätzen nicht abgewichen werden darf und abweichende Vereinbarungen nichtig sind.

12.      In Art. 13 des Gesetzes Nr. 31 vom 9. Februar 1982 über den freien Dienstleistungsverkehr der Rechtsanwälte, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaften sind („relativa alla libera prestazione di servizi da parte degli avvocati cittadini degli Stati membri delle Comunità europee“), mit dem die Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte(3) umgesetzt wird, ist bestimmt, dass „[d]ie in Art. 1 aufgezählten Rechtsanwälte … wegen der von ihnen erbrachten anwaltlichen Leistungen Anspruch auf die in der jeweils gültigen Gebührenordnung für den gerichtlichen und außergerichtlichen Bereich festgelegten Gebühren und Auslagen“ haben.

13.      Es ist zu beachten, dass die italienischen Rechtsvorschriften über die Vergütung freiberuflicher Tätigkeiten – und damit auch der anwaltlichen Tätigkeiten – während des Vorverfahrens durch das Decreto-legge Nr. 223 vom 4. Juli 2006, umgewandelt in das Gesetz Nr. 248 vom 4. August 2006 (im Folgenden: Decreto-legge Nr. 223/2006), geändert worden sind. In dessen Art. 2 („Dringende Vorschriften zum Schutz des Wettbewerbs im Bereich der beruflichen Dienstleistungen“) ist bestimmt:

„1.      Um dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz des freien Wettbewerbs und dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz des freien Personen- und Dienstleistungsverkehrs Rechnung zu tragen und um zu gewährleisten, dass die Dienstleistungsempfänger bei der Ausübung ihrer Rechte eine echte Wahl- und hinsichtlich der auf dem Markt angebotenen Leistungen eine Vergleichsmöglichkeit haben, sind ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des vorliegenden Dekrets die Rechts- und Verwaltungsvorschriften aufgehoben, die für freie Berufe und geistige Tätigkeiten vorsehen:

a)      zwingende Fest- oder Mindestentgelte, also das Verbot, eine erfolgsabhängige Vergütung zu vereinbaren;

2.      Davon unberührt bleiben Vorschriften über die Berufsausübung im Rahmen des öffentlichen Gesundheitswesens oder im Rahmen eines Vertragsverhältnisses in diesem Zusammenhang sowie eventuelle im Voraus zum Schutze der Dienstleistungsempfänger festgesetzte Höchstentgelte. Bei der gerichtlichen Liquidation und der Prozesskostenhilfe setzt das Gericht die zu erstattenden Gerichtskosten und Gebühren nach den Gebührensätzen fest. Bei Ausschreibungsverfahren können die öffentlichen Auftraggeber die Gebührensätze – soweit diese objektiv angemessen sind – als Maßstab oder Ausgangspunkt für die Festsetzung der Gebühren heranziehen.

3.      Die berufsrechtlichen und vertraglichen Bestimmungen sowie die Verhaltenskodizes, die Bestimmungen im Sinne von Abs. 1 enthalten, sind spätestens bis zum 1. Januar 2007 anzupassen, auch durch Maßnahmen zur Sicherstellung der Qualität der beruflichen Leistungen. Werden sie nicht angepasst, sind ab diesem Zeitpunkt gegen Abs. 1 verstoßende Bestimmungen jedenfalls nichtig.“

 Vorverfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof

14.      Da die Kommission der Auffassung war, dass die italienische Regelung über die außergerichtliche anwaltliche Tätigkeit mit Art. 49 EG unvereinbar sein könnte, sandte sie am 13. Juli 2005 ein Mahnschreiben an die Italienische Republik. Die Italienische Republik antwortete mit Schreiben vom 19. September 2005.

15.      Die Kommission hat die in dem Mahnschreiben vorgenommene Analyse dann zweimal ergänzt. In einem ersten ergänzenden Mahnschreiben vom 23. Dezember 2005 hielt die Kommission die italienischen Bestimmungen, mit denen die Verpflichtung begründet wird, zwingende Sätze für die Vergütung der gerichtlichen und außergerichtlichen anwaltlichen Tätigkeiten zu beachten, für unvereinbar mit den Art. 43 EG und 49 EG. Die Italienische Republik antwortete mit Schreiben vom 9. März 2006, 10. Juli 2006 und 17. Oktober 2006.

16.      Mit einem zweiten ergänzenden Mahnschreiben vom 23. März 2007 reagierte die Kommission auf die neue italienische Regelung auf diesem Gebiet, nämlich das Decreto-legge Nr. 223/2006. Die Italienische Republik antwortete mit Schreiben vom 21. Mai 2007.

17.      Mit Schreiben vom 3. August 2007 bat die Kommission die italienischen Stellen dann um Auskunft über die Modalitäten des Systems der Erstattung der Auslagen der Rechtsanwälte. Die Italienische Republik antwortete mit Schreiben vom 28. September 2007.

18.      Da der Kommission die von der Italienischen Republik abgegebenen Erklärungen nicht genügten, richtete sie an diese eine mit Gründen versehene Stellungnahme vom 4. April 2008, in der sie rügte, dass die nationalen Bestimmungen, mit denen die Rechtsanwälte dazu verpflichtet würden, bei den Gebühren Höchstsätze zu beachten, mit den Art. 43 EG und 49 EG unvereinbar seien.

19.      Trotz der von den italienischen Stellen in ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme vom 9. Oktober 2008 vorgebrachten Argumente hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben, mit der sie beantragt, festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 49 EG verstoßen hat, dass sie Bestimmungen vorgesehen hat, nach denen die Rechtsanwälte bei den Gebühren Höchstsätze beachten müssen, und der Italienischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

20.      Mit Beschluss vom 5. Juni 2009 hat der Gerichtshof die Republik Slowenien als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen.

21.      Die Italienische Republik hat eine mündliche Verhandlung beantragt, die am 24. März 2010 unter Beteiligung der Bevollmächtigten der Italienischen Republik und der Kommission stattgefunden hat.

 Würdigung

22.      Die Kommission geht in ihrer Klageschrift davon aus, dass die italienische Regelung Bestimmungen enthält, nach denen die Rechtsanwälte verpflichtet sind, bei den Gebühren Höchstsätze zu beachten. Nach ihrem Vorbringen in der Klageschrift und in der mündlichen Verhandlung beanstandet die Kommission offensichtlich nicht das Bestehen zwingender Höchstgebühren im Zusammenhang mit der Festsetzung der zu erstattenden Kosten durch das Gericht, wie sie in Art. 60 des Real Decreto Legislativo ausdrücklich vorgesehen ist, sondern die Verpflichtung zur Beachtung solcher Höchstsätze im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant, da diese Verpflichtung im Hinblick auf die Vergütung der Rechtsanwälte die Vertragsfreiheit einschränke.

23.      Wenn dies der Fall wäre, d. h., wenn die italienische Regelung tatsächlich Bestimmungen enthielte, nach denen die Rechtsanwälte verpflichtet sind, im Verhältnis zu ihren Mandanten bei den Gebühren Höchstsätze zu beachten, könnte auf der Grundlage des Urteils Cippola u. a.(4), in dem der Gerichtshof eine entsprechende Verpflichtung zur Einhaltung von Mindestsätzen als Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs eingestuft hat, unschwer festgestellt werden, dass die fragliche Verpflichtung eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs und sogar der Niederlassungsfreiheit darstellt, so dass es dann Sache der Italienischen Republik wäre, nachzuweisen, dass diese Beschränkung durch Ziele des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann.

24.      Die Italienische Republik bestreitet aber gerade das Bestehen einer solchen Verpflichtung der Rechtsanwälte, im Verhältnis zu ihren Mandanten bei den Gebühren Höchstsätze zu beachten. Bevor ich nun prüfe, ob die Verpflichtung der Rechtsanwälte, Höchstsätze zu beachten, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 43 EG und eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 49 EG darstellt, befasse ich mich also zuerst mit der Frage, ob die italienische Rechtsordnung diese Verpflichtung tatsächlich enthält.

25.      Zunächst möchte ich daran erinnern, dass sich der Gerichtshof bereits dreimal mit der italienischen Gebührenordnung für Rechtsanwälte befasst hat, in der für jede Tätigkeit oder Abfolge von Tätigkeiten ein Mindest- und ein Höchstsatz bestimmt sind. Die erste Gelegenheit dazu bot das Urteil Arduino(5), in dem der Gerichtshof das Verfahren des Erlasses der Gebührenordnung mit Mindest‑ und Höchstsätzen im Hinblick auf die Art. 10 EG und 81 EG daraufhin geprüft hat, ob diese Gebührenordnung eine staatliche Maßnahme oder eine in die Wirtschaft eingreifende Entscheidung eines privaten Wirtschaftsteilnehmers darstellt. Der Gerichtshof hat in diesem Urteil festgestellt, dass es nicht gegen die genannten Bestimmungen des EG-Vertrags verstößt, wenn ein Mitgliedstaat eine Maßnahme in Form eines Gesetzes oder einer Verordnung erlässt, durch die auf der Grundlage eines von einer berufsständischen Vertretung von Rechtsanwälten erstellten Vorschlags eine Gebührenordnung mit Mindest‑ und Höchstsätzen für die Leistungen der Angehörigen des Berufsstands genehmigt wird(6).

26.      Dieselbe Feststellung enthält das Urteil Cipolla u. a.(7). In diesem Urteil hat der Gerichtshof neben der Frage der Vereinbarkeit der italienischen Rechtsanwaltsgebührenordnung mit dem gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht auch die Frage des Verhältnisses zwischen dem absoluten Verbot, von den in der Gebührenordnung festgelegten Mindestsätzen im Wege einer Vereinbarung abzuweichen, und dem Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit erörtert. Hierzu hat der Gerichtshof festgestellt, dass ein solches Verbot eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstelle, die grundsätzlich durch die Ziele des Verbraucherschutzes und der geordneten Rechtspflege gerechtfertigt werden könne. Der Gerichtshof hat es dem nationalen Gericht überlassen, zu prüfen, ob die streitige italienische Regelung tatsächlich diesen Zielen Rechnung trägt und ob die mit ihr auferlegten Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen(8).

27.      Mit dem Beschluss Hospital Consulting u. a.(9) hat der Gerichtshof seine Auffassung zur Vereinbarkeit der italienischen Rechtsanwaltsgebührenordnung mit dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft bekräftigt. In dieser Rechtssache betrafen die Vorlagefragen das für die Gerichte geltende Verbot, bei der Festsetzung der Kosten, die die unterliegende Partei der anderen zu erstatten hat, von den in dieser Gebührenordnung festlegten Mindestgebühren abzuweichen.

28.      Bemerkenswerterweise bezogen sich die Ausführungen des Gerichtshofs sowohl im Urteil Cipolla u. a. als auch im Beschluss Hospital Consulting u. a. nur auf das Verbot der Abweichung von den Mindestsätzen. In diesen Entscheidungen wird in keiner Weise auf ein mögliches Verbot der Abweichung von den Höchstsätzen eingegangen, obwohl das vorlegende Gericht in der Rechtssache Cipolla u. a. wissen wollte, ob der Grundsatz der absoluten Unabdingbarkeit der Rechtsanwaltsgebühren mit dem Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs vereinbar ist(10).

29.      Zu dem in den Rechtssachen Arduino, Cippola u. a. und Hospital Consulting u. a. maßgebenden Zeitpunkt stand dass Bestehen eines Verbots, von den Mindestgebühren abzuweichen, außer Frage. Dieses Verbot war ausdrücklich in Art. 24 des Gesetzes Nr. 794/1942 enthalten und mit der Nichtigkeit jeder abweichenden Vereinbarung bewehrt; außerdem war es in Art. 4 Abs. 1 des Ministerialdekrets Nr. 127/2004 enthalten, nach dem die für die Gebühren der Rechtsanwälte festgelegten Mindestsätze in keiner Weise abdingbar waren(11).

30.      Die Verpflichtung, Mindestsätze zu beachten, also der zwingende Charakter dieser Sätze, ist mit dem Decreto-legge Nr. 223/2006 aufgehoben worden, das somit als lex posterior dem Gesetz Nr. 794/1942 und dem Ministerialdekret Nr. 127/2004 vorgeht.

31.      Ebenso wie außer Frage steht, dass das Verbot, von den Mindestsätzen abzuweichen, zu dem in den Rechtssachen Arduino, Cippola u. a. und Hospital Consulting u. a. maßgebenden Zeitpunkt bestand, steht auch außer Frage, dass in der italienischen Regelung Höchstsätze für die Gebühren für anwaltliche Tätigkeiten vorgesehen sind.

32.      Das macht die Kommission der Italienischen Republik aber auch nicht zum Vorwurf. Vielmehr beanstandet die Kommission den zwingenden Charakter der Höchstsätze im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant; dadurch werde die Vertragsfreiheit dieser Personen beschränkt. Nach Auffassung der Kommission ist es den Rechtsanwälten nach der fraglichen italienischen Regelung verboten, vertraglich von den Höchstsätzen abzuweichen.

33.      Hierzu ist festzustellen, dass die Italienische Republik nicht der einzige Mitgliedstaat ist, dessen Rechtsordnung eine Gebührenordnung mit Mindest- und Höchstsätzen für Rechtsanwaltsgebühren kennt(12).

34.      Eine solche Gebührenordnung kann, indem sie den Bürger vor der Festsetzung einer überhöhten Vergütung schützt und es ihm ermöglicht, im Voraus die mit den von den Rechtsanwälten erbrachten Leistungen verbundenen Kosten zu kennen, durchaus eine mäßigende Rolle spielen, insbesondere im Hinblick auf das zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten bestehende Informationsgefälle.

35.      Wie bereits ausgeführt, richten sich die von der Kommission geäußerten Bedenken vor allem gegen den behaupteten zwingenden Charakter der Höchstsätze, die insbesondere gemäß den Art. 57 und 58 des Real Decreto Legislativo, Art. 24 des Gesetzes Nr. 794/194, Art. 13 des Gesetzes Nr. 31 vom 9. Februar 1982, den einschlägigen Bestimmungen des Minsterialdekrets Nr. 127/2004 und dem Decreto-legge Nr. 223/2006 für anwaltliche Tätigkeiten gelten sollen(13).

36.      Ausgehend von der italienischen Regelung, wie sie von der Kommission dargestellt worden ist und dann von der Italienischen Republik sowohl in ihren Schriftsätzen als auch in der mündlichen Verhandlung erläutert worden ist, ist meines Erachtens festzustellen, dass die von der Kommission aufgestellte Prämisse des Verbots der Abweichung von den Höchstsätzen unzutreffend ist.

37.      In Art. 223 des Codice civile als lex generalis und Art. 61 des Real Decreto Legislativo als lex specialis ist ausdrücklich bestimmt, dass die zwischen Rechtsanwalt und Mandant getroffene Vereinbarung der durch das Ministerialdekret Nr. 127/2004 festgelegten Gebührenordnung vorgeht. Nur wenn überhaupt keine Vereinbarung getroffen worden ist, wird die Vergütung des Rechtsanwalts im Einzelfall nach der Gebührenordnung festgesetzt. Folglich können Rechtsanwalt und Mandant die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten vertraglich bestimmen, z. B. nach der aufgewandten Zeit, pauschal oder erfolgsabhängig.

38.      Diese Feststellung wird auch nicht durch Art. 2 Abs. 2 des Decreto-legge Nr. 223/2006 in Frage gestellt, nach dem die Aufhebung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der beruflichen Dienstleistungen, die für Gebühren zwingende Fest- oder Mindestsätze vorsehen, mögliche Höchstsätze unberührt lässt. Meines Erachtens lässt sich dieser Bestimmung entnehmen, dass der Charakter möglicher Höchstsätze unverändert geblieben ist. Wenn die für Gebühren für anwaltliche Tätigkeiten geltenden Höchstsätze vor dem Erlass des Decreto-legge Nr. 223/2006 im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant also keinen zwingenden Charakter hatten, können sie ihn auch nicht nach dem Erlass des genannten Dekrets haben.

39.      Zudem kommt der Ausdruck „zwingend“ in Art. 2 Abs. 2 des Decreto-legge Nr. 223/2006 im Zusammenhang mit den Höchstsätzen – anders als in Abs. 1 dieser Bestimmung – nicht vor.

40.      In Anbetracht der Rechtsprechung, nach der die Bedeutung der nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften unter Berücksichtigung ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte zu beurteilen ist(14), müsste die Kommisssion, um mit ihrer Klage Erfolg haben zu können, nachweisen, dass die italienischen Gerichte den Höchstsätzen zwingenden Charakter beimessen.

41.      In ihrer Klageschrift behauptet die Kommission, ohne konkrete Beispiele anzuführen, dass sich aus einer ständigen Rechtsprechung der Corte suprema di cassazione ergebe, dass das Verbot der Abweichung von der Rechtsanwaltsgebührenordnung bedeute, dass jede abweichende Parteivereinbarung nichtig sei. Die Italienische Republik erwidert, dass die genannte Rechtsprechung nur die Mindestsätze betreffe.

42.      In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission die Urteile Nr. 12297/2001, Nr. 9514/96 und Nr. 19014/2007 der Corte suprema di cassazione angeführt, ohne dem Gerichtshof jedoch Kopien davon vorzulegen. Sie hat behauptet, die Corte suprema di cassazione habe in diesen Urteilen die Auffassung vertreten, dass mit den Höchst- und Mindestsätzen für die Gebühren die Vertragsfreiheit eingeschränkt werden solle. Die Italienische Republik hat erwidert, dass diese Urteile völlig andere Regelungen beträfen.

43.      Obwohl die genannten Urteile nicht vorgelegt worden sind, habe ich eines davon, das Urteil Nr. 12997/2001, das im Internet abrufbar ist, untersucht. Die Prüfung ergab, dass dieses Urteil nur die Festsetzung der zu erstattenden Prozesskosten betrifft und nicht die freie Vereinbarung der Vergütung zwischen Mandant und Rechtsanwalt.

44.      All dies lässt sich wie folgt zusammenfassen.

45.      Erstens ist es Sache der Kommission, nachzuweisen, dass eine Verpflichtung der Rechtsanwälte besteht, bei den Gebühren Höchstsätze zu beachten, aufgrund deren es diesen verboten ist, vertraglich von diesen Sätzen abzuweichen.

46.      Die Kommission hat nachgewiesen, dass in dem betreffenden Bereich Höchstsätze bestehen. Diese Tatsache wird von der Italienischen Republik nicht bestritten. Der Kommission ist es aber nicht gelungen, nachzuweisen, dass diese Höchstsätze insoweit zwingend sind, als sie den Rechtsanwälten verbieten, durch eine Vereinbarung mit ihren Mandanten davon abzuweichen. Aus der italienischen Regelung über die Vergütung der Rechtsanwälte ist nicht ersichtlich, dass ein solches ausdrückliches Verbot, von den Höchstsätzen abzuweichen, bestünde – so wie bis zu der durch das Decreto-legge Nr. 223/2006 erfolgten Änderung das Verbot bestand, von den Mindestsätzen abzuweichen.

47.      Zweitens hat die Kommission nicht nachgewiesen, dass, auch wenn es ein solches ausdrückliches Verbot nicht gibt, die nationalen Gerichte die fragliche Regelung dahin auslegen, dass durch die Höchstsätze für die Gebühren die Vertragsfreiheit der Rechtsanwälte und ihrer Mandanten begrenzt wird. Meines Wissens stützen die Urteile der Corte suprema di cassazione, die die Kommission in der mündlichen Verhandlung angeführt(15), aber nicht vorgelegt hat, die Behauptung der Kommission nicht. Ferner weist die Italienische Republik zu Recht darauf hin, dass diese Urteile andere Regelungen betreffen als diejenige, um die es im vorliegenden Fall geht.

48.      Aus dieser Zusammenfassung folgt, dass die Klage der Kommission als unbegründet abzuweisen ist.

49.      Was die Kosten angeht, so ist nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Italienische Republik keinen solchen Antrag gestellt hat, hat jede Partei ihre eigenen Kosten zu tragen.

50.      Nach Art. 69 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung trägt ein Mitgliedstaat, der dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten ist, seine eigenen Kosten. Folglich hat die Republik Slowenien ihre eigenen Kosten zu tragen.

 Ergebnis

51.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.         Die Klage wird abgewiesen.

2.         Die Italienische Republik trägt ihre eigenen Kosten.

3.         Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.

4.         Die Republik Slowenien trägt ihre eigenen Kosten.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 –      Obwohl in dieser Bestimmung ausdrücklich nur von den Gebühren und Auslagen in Strafsachen und für außergerichtliche Tätigkeiten die Rede ist, wird die Bestimmung in der Rechtsprechung des Gerichtshofs stets so zitiert, als betreffe sie auch die Gebühren und Auslagen in Zivilsachen (vgl. z. B. Urteile vom 19. Februar 2002, Arduino, C‑35/99, Slg. 2002, I‑1529, Randnr. 6, und vom 5. Dezember 2006, Cipolla u. a., C‑94/04 und C‑202/04, Slg. 2006, I‑11421, Randnr. 4, sowie Beschluss vom 5. Mai 2008, Hospital Consulting u. a., C‑386/07, Randnr. 5).


3 – ABl. L 78, S. 17.


4 – Angeführt in Fn. 2.


5 – Angeführt in Fn. 2.


6 – Hingegen hat der Gerichtshof bei einer für alle Zollspediteure verbindlichen Gebührenordnung die italienische Regelung, die einen Berufsverband verpflichtet, diese Gebührenordnung zu erlassen, als gegen Art. 85 EG verstoßend eingestuft, da es sich um den Beschluss einer Unternehmervereinigung, und nicht um eine staatliche Maßnahme handelt (Urteil vom 18. Juni 1998, Kommission/Italien, C‑35/96, Slg. 1998, I‑3851).


7 – Angeführt in Fn. 2.


8 – In ihrer Klageschrift weist die Kommission auf die Feststellung hin, die die Corte d’Appello di Torino, das vorlegende Gericht in der Rechtssache Cipolla, in ihrem Urteil vom 26. März 2008 (Rechtssache Cipolla gegen Portolese, verheiratete Fazari) getroffen hat, nämlich dass „die Festlegung zwingender Mindestsätze für Gebühren … keine Maßnahme zum Schutz der Verbraucher ist, bei denen die Kosten – normalerweise – nicht nach der Gebührenordnung berechnet werden und die – wegen des Informationsgefälles … nicht in der Lage sind, einzuschätzen, inwiefern die am Ende berechneten Kosten der qualitätsunabhängig vergüteten Leistung von dem Faktor der Aufgliederung der Gebührentatbestände je nach Dauer des Prozesses bestimmt wird, was letztlich nicht im Sinne einer geordneten Rechtspflege ist“.


9 – Angeführt in Fn. 2.


10 – Zwar hat Generalanwalt Maduro in Nr. 66 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Cipolla u. a. (Urteil angeführt in Fn. 2) festgestellt, dass die italienische Gebührenordnung auch Höchstsätze enthalte, die in Italien tätige Rechtsanwälte nicht überschreiten dürften. Vergleichbar hat sich Generalanwalt Léger in Nr. 94 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Arduino (Urteil angeführt in Fn. 2) zu dem dem Ministerialdekret Nr. 127/2004 vorausgegangenen Ministerialdekret Nr. 585 vom 5. Oktober 1994 geäußert. In Anbetracht der in diesen Schlussanträgen angeführten italienischen Regelung ist aber nicht klar, worauf diese Feststellungen genau gegründet sind und ob sie nur für die Festsetzung der zu erstattenden Kosten durch das Gericht oder auch für das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant gelten.


11 – Es trifft nicht zu, dass nach der genannten Bestimmung, wie die Kommission in ihrer Klageschrift behauptet, jegliche Abweichung von den für anwaltliche Tätigkeiten festgelegten Gebühren verboten ist. In Wirklichkeit gilt dieses Vebot nur für die Mindestsätze.


12 – Vgl. z. B. die deutsche Gebührenordnung, wie sie in Randnr. 7 des Urteils vom 11. Dezember 2003, AMOK (C‑289/02, Slg. 2003, I‑15059), beschrieben ist, sowie die tschechische (Vyhláška Ministerstva spravedlnosti, Nr. 177/1996, Sbírka zákonu, o odměnách advokátů a náhradách advokátů za poskytování právních služeb) und die slowakische Gebührenordnung (Vyhláška Ministerstva spravodlivosti Slovenskej republiky, Nr. 655/2004, Zbierka zákonov, o odmenách a náhradách advokátov za poskytovanie právnych služieb).


13 – In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, wie aus Art. 24 des Gesetzes Nr. 794/1942, in dem lediglich das Verbot aufgestellt wird, von den in der Gebührenordnung für die gerichtlichen Tätigkeiten in Zivilsachen festgelegten Mindestsätzen abzuweichen, mit der Folge der Nichtigkeit abweichender Vereinbarungen, der zwingende Charakter der Höchsttarife abgeleitet werden soll.


14 – Urteil vom 9. Dezember 2003, Kommission/Italien (C‑129/00, Slg. 2003, I‑14637, Randnr. 30).


15 – In der Klageschrift behauptet die Kommission lediglich – ohne ein konkretes Beispiel zu nennen –, dass sich aus einer ständigen Rechtsprechung der Corte suprema di cassazione ableiten lasse, dass „das Verbot, von der Rechtsanwaltsgebührenordnung abzuweichen, … die Nichtigkeit einer jeden abweichenden Vereinbarung der Parteien nach sich [zieht], gleich, welches Interesse diese an der Leistung haben“.