Language of document : ECLI:EU:C:2020:533

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

9. Juli 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Umwelthaftung – Richtlinie 2004/35/EG – Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich – Schädigung, die nicht als ‚erhebliche Schädigung‘ eingestuft werden kann – Begriff ‚Bewirtschaftung der betreffenden Gebiete, die den Aufzeichnungen über den Lebensraum oder den Dokumenten über die Erhaltungsziele zufolge als normal anzusehen ist oder der früheren Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber entspricht‘ – Art. 2 Nr. 7 – Begriff ‚berufliche Tätigkeit‘ – Aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübte Tätigkeit – Einbeziehung oder Nichteinbeziehung“

In der Rechtssache C‑297/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 26. Februar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 11. April 2019, in dem Verfahren

Naturschutzbund Deutschland Landesverband Schleswig-Holstein eV

gegen

Kreis Nordfriesland,

Beteiligte:

Deich- und Hauptsielverband Eiderstedt, Körperschaft des öffentlichen Rechts,

Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht,


erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot (Berichterstatter), der Richter M. Safjan und L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie des Richters N. Jääskinen,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des Naturschutzbund Deutschland – Landesverband Schleswig-Holstein eV, vertreten durch Rechtsanwalt J. Mittelstein,

–        des Kreises Nordfriesland, vertreten durch Rechtsanwalt G. Koukakis,

–        des Deich- und Hauptsielverbands Eiderstedt, Körperschaft des öffentlichen Rechts, vertreten durch Rechtsanwältin C. Brandt,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und S. Eisenberg als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. C. Becker und G. Gattinara als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Nr. 7 und von Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (ABl. 2004, L 143, S. 56).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Naturschutzbund Deutschland – Landesverband Schleswig-Holstein eV (im Folgenden: Naturschutzbund Deutschland) und dem Kreis Nordfriesland (Deutschland) über vom Naturschutzbund Deutschland beantragte Maßnahmen zur Begrenzung und Sanierung von Umweltschäden.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2004/35

3        In den Erwägungsgründen 1 bis 3, 8 und 9 der Richtlinie 2004/35 heißt es:

„(1)      Es gibt in der Gemeinschaft heute zahlreiche kontaminierte Standorte, die ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellen, und der Verlust an biologischer Vielfalt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch beschleunigt. Werden keine entsprechenden Maßnahmen ergriffen, könnte in Zukunft die Anzahl kontaminierter Standorte weiter ansteigen und der Verlust an biologischer Vielfalt noch stärker zunehmen. Die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, soweit dies möglich ist, trägt zur Umsetzung der im Vertrag genannten Ziele und Grundsätze der Umweltpolitik der Gemeinschaft bei. Bei Entscheidungen darüber, wie die Schäden saniert werden sollen, sollten die örtlichen Gegebenheiten berücksichtigt werden.

(2)      Die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden sollte durch eine verstärkte Orientierung an dem im Vertrag genannten Verursacherprinzip und gemäß dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung erfolgen. Grundlegendes Prinzip dieser Richtlinie sollte es deshalb sein, dass ein Betreiber, der durch seine Tätigkeit einen Umweltschaden oder die unmittelbare Gefahr eines solchen Schadens verursacht hat, dafür finanziell verantwortlich ist; hierdurch sollen die Betreiber dazu veranlasst werden, Maßnahmen zu treffen und Praktiken zu entwickeln, mit denen die Gefahr von Umweltschäden auf ein Minimum beschränkt werden kann, damit das Risiko ihrer finanziellen Inanspruchnahme verringert wird.

(3)      Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Schaffung eines gemeinsamen Ordnungsrahmens zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden zu vertretbaren Kosten für die Gesellschaft, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden kann und daher wegen des Umfangs dieser Richtlinie und ihrer Verflechtung mit anderen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, insbesondere der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten [(ABl. 1979, L 103, S. 1)], der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen [(ABl. 1992, L 206, S. 7)] und der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik [(ABl. 2000, L 327, S. 1)], besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des [EG-Vertrags] niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.

(8)      Diese Richtlinie sollte in Bezug auf Umweltschäden für berufliche Tätigkeiten gelten, die eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellen. Bei der Bestimmung dieser Tätigkeiten sollte generell auf das einschlägige Gemeinschaftsrecht Bezug genommen werden, in dem ordnungsrechtliche Vorschriften für bestimmte Tätigkeiten oder Praktiken festgelegt sind, bei denen von einer potenziellen oder tatsächlichen Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt ausgegangen wird.

(9)      Diese Richtlinie sollte im Hinblick auf Schäden an geschützten Arten und natürlichen Lebensräumen auch für sämtliche berufliche Tätigkeiten gelten, die nicht bereits durch Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht direkt oder indirekt als Tätigkeiten ausgewiesen sind, die eine potenzielle oder tatsächliche Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellen. In diesen Fällen sollte der Betreiber gemäß dieser Richtlinie nur dann haften, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.“

4        Art. 1 dieser Richtlinie lautet:

„Ziel dieser Richtlinie ist, auf der Grundlage des Verursacherprinzips einen Rahmen für die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden zu schaffen.“

5        Art. 2 der Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Begriff

1.      ‚Umweltschaden‘

a)      eine Schädigung geschützter Arten und natürlicher Lebensräume, d. h. jeden Schaden, der erhebliche nachteilige Auswirkungen in Bezug auf die Erreichung oder Beibehaltung des günstigen Erhaltungszustands dieser Lebensräume oder Arten hat. Die Erheblichkeit dieser Auswirkungen ist mit Bezug auf den Ausgangszustand unter Berücksichtigung der Kriterien gemäß Anhang I zu ermitteln;

Schädigungen geschützter Arten und natürlicher Lebensräume umfassen nicht die zuvor ermittelten nachteiligen Auswirkungen, die aufgrund von Tätigkeiten eines Betreibers entstehen, die von den zuständigen Behörden gemäß den Vorschriften zur Umsetzung von Artikel 6 Absätze 3 und 4 oder Artikel 16 der Richtlinie 92/43… oder Artikel 9 der Richtlinie 79/409… oder im Falle von nicht unter das Gemeinschaftsrecht fallenden Lebensräumen und Arten gemäß gleichwertigen nationalen Naturschutzvorschriften ausdrücklich genehmigt wurden;

3.      ‚geschützte Arten und natürliche Lebensräume‘

a)      die Arten, die in Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 79/409… genannt oder in Anhang I jener Richtlinie aufgelistet sind oder in den Anhängen II und IV der Richtlinie 92/43… aufgelistet sind,

b)      die Lebensräume der in Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 79/409… genannten oder in Anhang I jener Richtlinie aufgelisteten oder in Anhang II der Richtlinie 92/43… aufgelisteten Arten und die in Anhang I der Richtlinie 92/43… aufgelisteten natürlichen Lebensräume sowie die Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der in Anhang IV der Richtlinie 92/43… aufgelisteten Arten und,

c)      wenn ein Mitgliedstaat dies vorsieht, Lebensräume oder Arten, die nicht in diesen Anhängen aufgelistet sind, aber von dem betreffenden Mitgliedstaat für gleichartige Zwecke wie in diesen beiden Richtlinien ausgewiesen werden;

6.      ‚Betreiber‘ jede natürliche oder juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts, die die berufliche Tätigkeit ausübt oder bestimmt oder der – sofern dies in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist – die ausschlaggebende wirtschaftliche Verfügungsmacht über die technische Durchführung einer solchen Tätigkeit übertragen wurde, einschließlich des Inhabers einer Zulassung oder Genehmigung für eine solche Tätigkeit oder der Person, die die Anmeldung oder Notifizierung einer solchen Tätigkeit vornimmt;

7.      ‚berufliche Tätigkeit‘ jede Tätigkeit, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit, einer Geschäftstätigkeit oder eines Unternehmens ausgeübt wird, unabhängig davon, ob sie privat oder öffentlich und mit oder ohne Erwerbszweck ausgeübt wird;

…“

6        Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Diese Richtlinie gilt für

a)      Umweltschäden, die durch die Ausübung einer der in Anhang III aufgeführten beruflichen Tätigkeiten verursacht werden, und jede unmittelbare Gefahr solcher Schäden, die aufgrund dieser Tätigkeiten eintritt;

b)      Schädigungen geschützter Arten und natürlicher Lebensräume, die durch die Ausübung einer anderen als der in Anhang III aufgeführten beruflichen Tätigkeiten verursacht werden, und jede unmittelbare Gefahr solcher Schäden, die aufgrund dieser Tätigkeiten eintritt, sofern der Betreiber vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.“

7        Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2004/35 legt das Ende der Frist für deren Umsetzung auf den 30. April 2007 fest, und ihr Art. 20 sieht vor, dass die Richtlinie am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft tritt; diese erfolgte am 30. April 2004.

8        Anhang I („Kriterien im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 Buchstabe a“) der Richtlinie sieht vor:

„Ob eine Schädigung, die nachteilige Auswirkungen in Bezug auf die Erreichung oder Beibehaltung des günstigen Erhaltungszustands von Lebensräumen und Arten hat, erheblich ist, wird anhand des zum Zeitpunkt der Schädigung gegebenen Erhaltungszustands, der Funktionen, die von den Annehmlichkeiten, die diese Arten und Lebensräume bieten, erfüllt werden, sowie ihrer natürlichen Regenerationsfähigkeit festgestellt. Erhebliche nachteilige Veränderungen gegenüber dem Ausgangszustand sollten mit Hilfe u. a. der folgenden feststellbaren Daten ermittelt werden:

–        Anzahl der Exemplare, ihre Bestandsdichte oder ihr Vorkommensgebiet;

–        Rolle der einzelnen Exemplare oder des geschädigten Gebiets in Bezug auf die Erhaltung der Art oder des Lebensraums, Seltenheit der Art oder des Lebensraums (auf örtlicher, regionaler und höherer Ebene einschließlich der Gemeinschaftsebene);

–        die Fortpflanzungsfähigkeit der Art (entsprechend der Dynamik der betreffenden Art oder Population), ihre Lebensfähigkeit oder die natürliche Regenerationsfähigkeit des Lebensraums (entsprechend der Dynamik der für ihn charakteristischen Arten oder seiner Populationen);

–        die Fähigkeit der Art bzw. des Lebensraums, sich nach einer Schädigung ohne äußere Einwirkung lediglich mit Hilfe verstärkter Schutzmaßnahmen in kurzer Zeit so weit zu regenerieren, dass allein aufgrund der Dynamik der betreffenden Art oder des betreffenden Lebensraums ein Zustand erreicht wird, der im Vergleich zum Ausgangszustand als gleichwertig oder besser zu bewerten ist.


Eine Schädigung, die sich nachweislich auf die menschliche Gesundheit auswirkt, ist als erhebliche Schädigung einzustufen.

Folgende Schädigungen müssen nicht als erheblich eingestuft werden:

–        nachteilige Abweichungen, die geringer sind als die natürlichen Fluktuationen, die für den betreffenden Lebensraum oder die betreffende Art als normal gelten;

–        nachteilige Abweichungen, die auf natürliche Ursachen zurückzuführen sind oder aber auf äußere Einwirkung im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung der betreffenden Gebiete, die den Aufzeichnungen über den Lebensraum oder den Dokumenten über die Erhaltungsziele zufolge als normal anzusehen ist oder der früheren Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber entspricht;

–        eine Schädigung von Arten bzw. Lebensräumen, die sich nachweislich ohne äußere Einwirkung in kurzer Zeit so weit regenerieren werden, dass entweder der Ausgangzustand erreicht wird oder aber allein aufgrund der Dynamik der betreffenden Art oder des betreffenden Lebensraums ein Zustand erreicht wird, der im Vergleich zum Ausgangszustand als gleichwertig oder besser zu bewerten ist.“

 Habitatrichtlinie

9        Art. 1 Buchst. j der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7, im Folgenden: Habitatrichtlinie) bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

j)      ‚Gebiet‘: ein geographisch definierter Bereich mit klar abgegrenzter Fläche.“

10      Art. 2 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Diese Richtlinie hat zum Ziel, zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, beizutragen.


(2)      Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.

(3)      Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen tragen den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung.“

 Vogelschutzrichtlinie

11      Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 2010, L 20, S. 7, im Folgenden: Vogelschutzrichtlinie) lautet:

„Diese Richtlinie betrifft die Erhaltung sämtlicher wildlebenden Vogelarten, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf welches der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind. Sie hat den Schutz, die Bewirtschaftung und die Regulierung dieser Arten zum Ziel und regelt die Nutzung dieser Arten.“

12      Art. 2 dieser Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die Bestände aller unter Artikel 1 fallenden Vogelarten auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, wobei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung getragen wird.“

 Deutsches Recht

13      § 19 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege vom 29. Juli 2009 (BGBl. 2009 I S. 2542) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: BNatSchG) bestimmt:

„Eine erhebliche Schädigung liegt dabei in der Regel nicht vor bei … nachteiligen Abweichungen, die auf natürliche Ursachen zurückzuführen sind oder aber auf eine äußere Einwirkung im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung der betreffenden Gebiete, die den Aufzeichnungen über den Lebensraum oder den Dokumenten über die Erhaltungsziele zufolge als normal anzusehen ist oder der früheren Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber entspricht.“

14      In § 5 Abs. 2 BNatSchG heißt es:

„Bei der landwirtschaftlichen Nutzung sind neben den Anforderungen, die sich aus den für die Landwirtschaft geltenden Vorschriften und aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes [vom 17. März 1998 (BGBl. 1998 I S. 502)] ergeben, insbesondere die folgenden Grundsätze der guten fachlichen Praxis zu beachten:

1.      [D]ie Bewirtschaftung muss standortangepasst erfolgen und die nachhaltige Bodenfruchtbarkeit und langfristige Nutzbarkeit der Flächen muss gewährleistet werden;

2.      die natürliche Ausstattung der Nutzfläche (Boden, Wasser, Flora, Fauna) darf nicht über das zur Erzielung eines nachhaltigen Ertrages erforderliche Maß hinaus beeinträchtigt werden;

3.      die zur Vernetzung von Biotopen erforderlichen Landschaftselemente sind zu erhalten und nach Möglichkeit zu vermehren;

4.      die Tierhaltung hat in einem ausgewogenen Verhältnis zum Pflanzenbau zu stehen[,] und schädliche Umweltauswirkungen sind zu vermeiden;

5.      auf erosionsgefährdeten Hängen, in Überschwemmungsgebieten, auf Standorten mit hohem Grundwasserstand sowie auf Moorstandorten ist ein Grünlandumbruch zu unterlassen;

6.      die Anwendung von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln hat nach Maßgabe des landwirtschaftlichen Fachrechtes zu erfolgen; es sind eine Dokumentation über die Anwendung von Düngemitteln nach Maßgabe des § 10 der Düngeverordnung vom 26. Mai 2017 (BGBl. [2017] I S. 1305) in der jeweils geltenden Fassung sowie eine Dokumentation über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln nach Maßgabe des Artikels 67 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (ABl. [2009] L 309 …, S. 1) zu führen.“

15      § 2 Nr. 4 des Gesetzes über die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden vom 10. Mai 2007 (BGBl. 2007 I S. 666) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: USchadG) lautet:

„berufliche Tätigkeit: jede Tätigkeit, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit, einer Geschäftstätigkeit oder eines Unternehmens ausgeübt wird, unabhängig davon, ob sie privat oder öffentlich und mit oder ohne Erwerbscharakter ausgeübt wird“.

16      § 39 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts vom 31. Juli 2009 (BGBl. 2009 I S. 2585) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: WHG) sieht vor:


„Die Unterhaltung eines oberirdischen Gewässers umfasst seine Pflege und Entwicklung als öffentlich-rechtliche Verpflichtung (Unterhaltungslast).“

17      § 40 Abs. 1 Satz 1 WHG lautet:

„Die Unterhaltung oberirdischer Gewässer obliegt den Eigentümern der Gewässer, soweit sie nicht nach landesrechtlichen Vorschriften Aufgabe von Gebietskörperschaften, Wasser- und Bodenverbänden, gemeindlichen Zweckverbänden oder sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts ist.“

18      § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Wassergesetzes des Landes Schleswig-Holstein vom 11. Februar 2008 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein 2008, S. 91) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung bestimmt:

„Die Gewässerunterhaltung umfasst neben den in § 39 Abs. 1 Satz 2 WHG genannten Maßnahmen insbesondere auch: … die Erhaltung und Sicherung eines ordnungsgemäßen Wasserabflusses, …“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

19      In den Jahren 2006 bis 2009 wurde ein Teil der Halbinsel Eiderstedt, die im westlichen Teil des Bundeslands Schleswig-Holstein (Deutschland) liegt, u. a. aufgrund des Vorkommens der Trauerseeschwalbe (Chlidonias niger), eines geschützten Wasservogels mit einer Größe von 15 bis 30 cm, blaugrauem Gefieder und schwarzem Kopf, der hauptsächlich in den Sümpfen der Atlantikküste lebt, als „Schutzgebiet“ ausgewiesen. Nach dem Managementplan wird das Schutzgebiet für diese Art noch immer überwiegend als Grünlandgebiet großflächig traditionell bewirtschaftet und ist insbesondere wegen seiner Größe das wichtigste Brutgebiet in diesem Bundesland.

20      Die Halbinsel Eiderstedt bedarf zur Besiedlung und landwirtschaftlichen Nutzung der Entwässerung. Diese erfolgt über Gräben, die zwischen den Parzellen liegen, in ein Netz mit Sielzügen münden und von den jeweiligen Nutzern der anliegenden Flächen unterhalten werden. Die Unterhaltungslast für die Sielzüge als Vorfluter liegt bei insgesamt 17 auf Eiderstedt ansässigen Wasser- und Bodenverbänden.

21      Der Deich- und Hauptsielverband Eiderstedt, Körperschaft des öffentlichen Rechts, ist ein Wasser- und Bodenverband und Oberverband dieser 17 Verbände. Zu seinen kraft Gesetzes übertragenen Aufgaben gehört die Unterhaltung oberirdischer Gewässer als öffentlich-rechtliche Verpflichtung. In Erfüllung dieser Aufgabe betreibt der Deich- und Hauptsielverband Eiderstedt u. a. das Siel- und Schöpfwerk Adamsiel. Dieses entwässert das gesamte Verbandsgebiet mittels einer ab einem bestimmten Pegelstand automatisiert in Betrieb gesetzten Pumpe. Die in Gang gesetzten Pumpvorgänge bewirken dann, dass der Wasserstand wieder reduziert wird.

22      Da der Naturschutzbund Deutschland der Ansicht war, dass der Deich- und Hauptsielverband Eiderstedt durch den Betrieb dieses Schöpfwerks Umweltschäden zulasten der Trauerseeschwalbe zu vertreten habe, stellte er gemäß dem zur Umsetzung der Richtlinie 2004/35 erlassenen USchadG beim Kreis Nordfriesland einen Antrag auf Anordnung von Maßnahmen zur Begrenzung und Sanierung dieser Schäden, der jedoch abgelehnt wurde.

23      Nachdem der Naturschutzbund Deutschland diese zurückweisende Entscheidung vor dem Verwaltungsgericht (Deutschland) erfolglos angefochten hatte, legte er gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil Berufung beim Oberverwaltungsgericht (Deutschland) ein, das dieses Urteil aufhob und den Kreis Nordfriesland zum Erlass einer neuen Entscheidung verpflichtete.

24      Der Kreis Nordfriesland sowie der Deich- und Hauptsielverband Eiderstedt legten daraufhin Revision beim Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) ein.

25      Um zu bestimmen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umweltschäden nicht als „erheblich“ im Sinne von § 19 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BNatSchG, mit dem Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 umgesetzt wird, anzusehen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, wie die in diesem Anhang enthaltene Wendung „Bewirtschaftung der betreffenden Gebiete, die den Aufzeichnungen über den Lebensraum oder den Dokumenten über die Erhaltungsziele zufolge als normal anzusehen ist oder der früheren Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber entspricht“, auszulegen ist.

26      Konkret möchte das vorlegende Gericht erstens wissen, ob der Begriff „Bewirtschaftung“ dahin zu verstehen ist, dass er sich nur auf landwirtschaftliche Tätigkeiten bezieht, oder ob er auch den Betrieb eines Schöpfwerks zur Be- und Entwässerung landwirtschaftlicher Flächen umfasst, zweitens, ob die „Normalität“ der Bewirtschaftung ausschließlich unter Bezugnahme auf die Aufzeichnungen über den Lebensraum oder die Dokumente über die Erhaltungsziele zu beurteilen ist oder ob er auch unter Bezugnahme auf andere allgemeine Grundsätze des nationalen Rechts wie die in § 5 Abs. 2 BNatSchG genannte gute fachliche Praxis beurteilt werden kann, drittens, ob die frühere Bewirtschaftungsweise des jeweiligen Eigentümers oder Betreibers in zeitlicher Hinsicht lediglich impliziert, dass diese Bewirtschaftung zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie 2004/35, d. h. dem 30. April 2007, ausgeübt worden sein muss, oder ob sie zu diesem Zeitpunkt auch weiterhin ausgeübt worden sein muss, und viertens, ob eine solche frühere Bewirtschaftung unabhängig von den Aufzeichnungen über den Lebensraum oder den Dokumenten über die Erhaltungsziele vorliegen muss oder nicht.


27      Um zu bestimmen, ob der Deich- und Hauptsielverband Eiderstedt im Rahmen des Betriebs des Schöpfwerks eine „berufliche Tätigkeit“ im Sinne von § 2 Nr. 4 USchadG, mit dem Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2004/35 umgesetzt wird, ausübte, möchte das vorlegende Gericht des Weiteren für den Fall der Bejahung seiner ersten Reihe von Fragen wissen, ob eine aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübte Tätigkeit als beruflicher Art im Sinne der letztgenannten Vorschrift angesehen werden kann.

28      Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.a)      Umfasst der Begriff der „Bewirtschaftung“ im Sinne von Anhang I Abs. 3 Spiegelstrich 2 der Richtlinie 2004/35 Tätigkeiten, die mit einer unmittelbaren Bodenertragsnutzung in untrennbarem Zusammenhang stehen?

Falls ja:

b)      Unter welchen Voraussetzungen ist eine Bewirtschaftungsweise den Aufzeichnungen über den Lebensraum oder den Dokumenten über die Erhaltungsziele zufolge als „normal“ im Sinne der Richtlinie 2004/35 anzusehen?

c)      Welcher zeitliche Maßstab gilt für die Frage, ob eine Bewirtschaftung der „früheren“ Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber im Sinne der Richtlinie 2004/35 entspricht?

d)      Bestimmt sich die Beantwortung der Frage, ob eine Bewirtschaftung der früheren Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber im Sinne der Richtlinie 2004/35 entspricht, unabhängig von den Aufzeichnungen über den Lebensraum bzw. den Dokumenten über die Erhaltungsziele?

2.      Stellt eine Tätigkeit, die aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübt wird, eine „berufliche Tätigkeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2004/35 dar?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

29      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, wie die Wendung „Bewirtschaftung der betreffenden Gebiete, die den Aufzeichnungen über den Lebensraum oder den Dokumenten über die Erhaltungsziele zufolge als normal anzusehen ist oder der früheren Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber entspricht“ in Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 auszulegen ist.

30      Vorab ist festzustellen, dass die erste Frage mit einem „Umweltschaden“ in Zusammenhang steht, der zulasten einer Vogelart, der Trauerseeschwalbe (Chlidonias niger), entstanden sein soll.

31      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Ziel der Richtlinie 2004/35 ist, auf der Grundlage eines hohen Umweltschutzniveaus sowie des Vorsorgegrundsatzes und des Verursacherprinzips einen Rahmen für die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von durch die Betreiber verursachte Umweltschäden zu schaffen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 2017, Túrkevei Tejtermelő Kft., C‑129/16, EU:C:2017:547, Rn. 47 und 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Zu den drei Kategorien von Schädigungen, die unter den Begriff „Umweltschaden“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2004/35 fallen, gehört nach Buchst. a dieser Vorschrift eine Schädigung geschützter Arten und natürlicher Lebensräume, die den Anwendungsbereich dieser Richtlinie sowohl nach Buchst. a als auch nach Buchst. b ihres Art. 3 Abs. 1 eröffnen kann.

33      Während der Begriff „geschützte Arten und natürliche Lebensräume“ nach Art. 2 Nr. 3 der Richtlinie 2004/35 dahin zu verstehen ist, dass er u. a. auf die in der Habitat- und in der Vogelschutzrichtlinie genannten Arten und Lebensräume verweist, zu denen nach Anhang I der letztgenannten Richtlinie die Trauerseeschwalbe (Chlidonias niger) gehört, ist die Schädigung solcher Arten und Lebensräume nach Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Abs. 1 der Richtlinie 2004/35 definiert als jeder Schaden, der erhebliche nachteilige Auswirkungen in Bezug auf die Erreichung oder Beibehaltung des günstigen Erhaltungszustands dieser Arten oder Lebensräume hat.

34      Aus der Verwendung des Adjektivs „erheblich“ in Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Abs. 1 der Richtlinie 2004/35 ergibt sich, dass nur ein Schaden einer gewissen Schwere, der in Anhang I dieser Richtlinie als „erhebliche Schädigung“ eingestuft wird, als Schädigung geschützter Arten und natürlicher Lebensräume angesehen werden kann, was die Notwendigkeit impliziert, in jedem Einzelfall die Erheblichkeit der Auswirkungen des betreffenden Schadens zu ermitteln.

35      Nach Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Abs. 1 der Richtlinie 2004/35 hat diese Ermittlung mit Bezug auf den Ausgangszustand der betroffenen Arten und Lebensräume unter Berücksichtigung der Kriterien gemäß Anhang I dieser Richtlinie zu erfolgen. Die ersten beiden Absätze dieses Anhangs geben insoweit die Kriterien an, die bei der Feststellung zu berücksichtigen sind, ob die nachteiligen Veränderungen gegenüber diesem Ausgangszustand erheblich sind oder nicht, wobei aber auch klargestellt wird, dass eine Schädigung, die sich nachweislich auf die menschliche Gesundheit auswirkt, zwingend als „erhebliche Schädigung“ einzustufen ist.

36      In Anhang I Abs. 3 der Richtlinie 2004/35 heißt es jedoch, dass die dort aufgeführten Schädigungen nicht als „erheblich“ eingestuft werden müssen. Aus der Verwendung des Verbs „nicht müssen“ ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie die Möglichkeit haben, diese Schäden als im Sinne von Anhang I dieser Richtlinie erheblich oder nicht erheblich anzusehen.

37      Im Übrigen bestimmt Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Abs. 2 der Richtlinie 2004/35, dass Schädigungen geschützter Arten und natürlicher Lebensräume nicht die nachteiligen Auswirkungen umfassen, die aufgrund von Tätigkeiten eines Betreibers entstehen, die von den zuständigen Behörden gemäß den Vorschriften zur Umsetzung von Art. 6 Abs. 3 und 4 oder Art. 16 der Habitatrichtlinie oder Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie oder im Fall von nicht unter das Unionsrecht fallenden Lebensräumen und Arten gemäß gleichwertigen nationalen Naturschutzvorschriften ausdrücklich genehmigt wurden. Folglich ist jede unter Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Abs. 2 der Richtlinie 2004/35 fallende Schädigung zwangsläufig vom Begriff „Schädigung geschützter Arten und natürlicher Lebensräume“ ausgenommen.

38      Unter diesen Umständen ist die erste Frage, die den Fall einer behaupteten Schädigung einer geschützten Art im Sinne von Anhang I der Vogelschutzrichtlinie betrifft, nur dann erheblich, wenn der Ausschluss nach Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Abs. 2 erste Alternative der Richtlinie 2004/35 nicht anwendbar ist.

39      Folglich könnte ein durch den Betrieb eines von den zuständigen Behörden auf der Grundlage der in Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Abs. 2 der Richtlinie 2004/35 genannten Bestimmungen der Habitat- oder der Vogelschutzrichtlinie genehmigten Schöpfwerks verursachter Schaden nicht als „Schädigung geschützter Arten und natürlicher Lebensräume“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/35 eingestuft werden und weder gemäß Buchst. a noch gemäß Buchst. b von Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie in deren Anwendungsbereich fallen.

40      Ebenfalls vorab ist darauf hinzuweisen, dass unter den Schädigungen, die die Mitgliedstaaten nach Anhang I Abs. 3 der Richtlinie 2004/35 nicht als „erheblich“ einstufen müssen, der zweite Gedankenstrich dieses Absatzes nachteilige Abweichungen nennt, die entweder auf natürliche Ursachen zurückzuführen sind oder aber auf äußere Einwirkung im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung der betreffenden Gebiete, die den Aufzeichnungen über den Lebensraum oder den Dokumenten über die Erhaltungsziele zufolge als normal anzusehen ist oder der früheren Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber entspricht. Dieser Gedankenstrich sieht somit zwei Fallkonstellationen vor, in denen Schädigungen nicht als „erheblich“ eingestuft werden müssen, nämlich zum einen Schädigungen, die auf natürliche Ursachen zurückzuführen sind, und zum anderen Schädigungen, die auf äußere Einwirkung im Zusammenhang mit der normalen Bewirtschaftung der betreffenden Gebiete zurückzuführen sind, wobei die zweite Fallkonstellation, die Gegenstand der ersten Frage ist, zwei Alternativen umfasst.

41      Hierzu ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland die beiden in Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 genannten Fallkonstellationen in § 19 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BNatSchG umgesetzt und zu diesem Zweck den Inhalt dieses zweiten Gedankenstrichs wörtlich aus der deutschen Sprachfassung der Richtlinie 2004/35 übernommen hat.

42      Allerdings ist, wie der Kreis Nordfriesland in seinen schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, festzustellen, dass im Wortlaut der zweiten Fallkonstellation von Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 eine Abweichung zwischen der deutschen Sprachfassung einerseits und den übrigen Sprachfassungen andererseits besteht. Während nämlich alle Sprachfassungen dieser Richtlinie mit Ausnahme der deutschen Sprachfassung das Wort „normal“ unmittelbar auf das Wort „Bewirtschaftung“ beziehen, so dass die beiden Alternativen der zweiten Fallkonstellation in Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 von der Wendung „Bewirtschaftung, die als normal anzusehen ist“, abhängig gemacht werden, bezieht die deutsche Sprachfassung nur das Wort „Bewirtschaftung“ auf diese beiden Alternativen, wohingegen sich das Wort „normal“ nur auf die erste dieser beiden Alternativen bezieht.

43      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann die in einer der Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder insoweit Vorrang vor den anderen Sprachfassungen beanspruchen. Ein solcher Ansatz wäre nämlich mit dem Erfordernis einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts unvereinbar. Weichen die verschiedenen Sprachfassungen voneinander ab, muss die fragliche Vorschrift daher nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (Urteil vom 9. März 2017, GE Healthcare, C‑173/15, EU:C:2017:195, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2004/35, wie sich aus den Rn. 34 bis 37 des vorliegenden Urteils ergibt, eine weite Definition der Schädigung geschützter Arten und natürlicher Lebensräume zugrunde legt, indem sie vorsieht, dass die Betreiber für jede erhebliche Schädigung haften müssen, mit Ausnahme der in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Abs. 2 der Richtlinie 2004/35 abschließend aufgezählten Schädigungen und mit Ausnahme derjenigen, die von den Mitgliedstaaten gemäß Anhang I Abs. 3 dieser Richtlinie nicht als erhebliche Schädigungen angesehen werden.


45      Daher sind diese Vorschriften, soweit sie für bestimmte Schädigungen, die die geschützten Arten und natürlichen Lebensräume beeinträchtigen können, grundsätzlich zur Unanwendbarkeit des Mechanismus der Umwelthaftung führen und damit vom der Richtlinie 2004/35 zugrunde liegenden Hauptziel abweichen, nämlich der Schaffung eines gemeinsamen Ordnungsrahmens zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, um die Zunahme der Verschmutzung der Gebiete und die Erhöhung des Verlusts an biologischer Vielfalt wirksam zu bekämpfen, zwingend eng auszulegen (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Mai 2019, Plessers, C‑509/17, EU:C:2019:424, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Was konkret die in Anhang I Abs. 3 der Richtlinie 2004/35 genannten Schädigungen anbelangt, ist festzustellen, dass sich der erste und der dritte Gedankenstrich dieses Absatzes zwar auf geringfügige Schädigungen der betreffenden Art oder des betreffenden Lebensraums beziehen, der zweite Gedankenstrich dieses Absatzes jedoch Schädigungen betrifft, deren Umfang je nach den natürlichen Ursachen, die die betreffende Art oder den betreffenden Lebensraum beeinträchtigen, oder den vom Betreiber ergriffenen Bewirtschaftungsmaßnahmen erheblich sein kann.

47      Nähme man aber an, dass die Mitgliedstaaten, wie sich aus der deutschen Sprachfassung von Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 ergibt, die Möglichkeit haben, Betreiber und Eigentümer allein deshalb von jeder Haftung zu befreien, weil eine Schädigung durch frühere Bewirtschaftungsmaßnahmen verursacht wurde, und damit unabhängig davon, ob diese Maßnahmen normal sind, könnte dies sowohl die Grundsätze als auch die Ziele beeinträchtigen, die dieser Richtlinie zugrunde liegen.

48      Ein solcher Ansatz liefe nämlich darauf hinaus, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zuzuerkennen, entgegen den Anforderungen, die sich aus dem Vorsorgegrundsatz und dem Verursacherprinzip ergeben, Bewirtschaftungsmaßnahmen, die für Gebiete, in denen geschützte Arten oder natürliche Lebensräume vorkommen, übermäßig schädlich und ungeeignet sein könnten und somit geeignet wären, diese Arten oder Lebensräume zu gefährden oder gar zu zerstören und die Gefahr eines Verlusts an biologischer Vielfalt unter Verstoß gegen die den Mitgliedstaaten nach der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie obliegenden Erhaltungsverpflichtungen zu erhöhen, allein deshalb zuzulassen, weil sie sich aus einer früheren Praxis ergeben. Dieser Ansatz hätte zur Folge, dass der Umfang der in Anhang I Abs. 3 der Richtlinie 2004/35 vorgesehenen Ausnahmen übermäßig ausgeweitet würde, und nähme dem mit dieser Richtlinie geschaffenen Mechanismus der Umwelthaftung einen Teil seiner praktischen Wirksamkeit, indem potenziell erhebliche, durch ein bewusstes, unnormales Handeln des Betreibers verursachte Schädigungen von diesem Mechanismus ausgenommen würden.


49      Daraus folgt, dass die deutsche Sprachfassung von Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 dahin zu verstehen ist, dass sich das Wort „normal“ wie bei den anderen Sprachfassungen unmittelbar auf das Wort „Bewirtschaftung“ beziehen muss und dass sich die Wendung „Bewirtschaftung, die als normal anzusehen ist“ auf beide Alternativen der zweiten Fallkonstellation dieses zweiten Gedankenstrichs beziehen muss.

50      Im Licht dieser einleitenden Erwägungen ist die erste Frage zu beantworten.

51      Nach dem Wortlaut von Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 muss sich die darin genannte „Bewirtschaftung“ auf ein Gebiet beziehen. Insoweit ist klarzustellen, dass sich der letztgenannte Begriff u. a. auf Gebiete beziehen kann, in denen geschützte Arten oder natürliche Lebensräume im Sinne der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie vorhanden sind. Zum einen nämlich fügt sich Anhang I der Richtlinie 2004/35, auf den deren Art. 2 Nr. 1 Buchst. a verweist, ausschließlich in den Rahmen der Schädigung geschützter Arten und natürlicher Lebensräume ein, und zum anderen entsprechen die geschützten Arten und natürlichen Lebensräume, wie in Rn. 33 des vorliegenden Urteils ausgeführt, u. a. den in der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie genannten Arten und Lebensräumen.

52      Was das Wort „normal“ betrifft, so entspricht es den Wörtern „gewöhnlich“, „üblich“ oder „geläufig“, die aus verschiedenen Sprachfassungen von Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 hervorgehen, wie z. B. der spanischen Sprachfassung („corriente“) oder der griechischen Sprachfassung („συνήθη“). Um dem Wort „normal“ nicht seine praktische Wirksamkeit im Rahmen des Umweltschutzes zu nehmen, ist jedoch hinzuzufügen, dass eine Bewirtschaftung nur dann als normal angesehen werden kann, wenn sie der guten Praxis wie u. a. der guten landwirtschaftlichen Praxis entspricht.

53      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Begriff „Bewirtschaftung der betreffenden Gebiete, die als normal anzusehen ist“ in Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 dahin zu verstehen ist, dass er jede Maßnahme erfasst, die eine gute Verwaltung bzw. Organisation der Gebiete, in denen geschützte Arten oder natürliche Lebensräume vorhanden sind, u. a. im Einklang mit der allgemein anerkannten landwirtschaftlichen Praxis ermöglicht.

54      In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass aufgrund dessen, dass die Bewirtschaftung eines Gebiets, in dem geschützte Arten und natürliche Lebensräume im Sinne der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie vorhanden sind, zwingend alle Bewirtschaftungsmaßnahmen umfasst, die zur Erhaltung der in diesem Gebiet vorhandenen Arten und Lebensräume ergriffen werden, die normale Bewirtschaftung eines solchen Gebiets unter Bezugnahme auf die erforderlichen Maßnahmen zu ermitteln ist, die die Mitgliedstaaten gemäß Art. 2 Abs. 2 der Habitatrichtlinie und Art. 2 der Vogelschutzrichtlinie für die Erhaltung der in diesem Gebiet vorhandenen Arten und Lebensräume ergreifen müssen, und insbesondere unter Bezugnahme auf die Bewirtschaftungsmaßnahmen, die in den Art. 6 und 12 bis 16 der Habitatrichtlinie und in den Art. 3 bis 9 der Vogelschutzrichtlinie im Einzelnen vorgesehen sind.

55      Daraus folgt, dass die Bewirtschaftung eines von der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie erfassten Gebiets nur dann als normal angesehen werden kann, wenn sie die Ziele und Verpflichtungen achtet, die in diesen Richtlinien vorgesehen sind.

56      Insoweit ist klarzustellen, dass die Bewirtschaftungsmaßnahmen, die die Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie ergreifen müssen, um den nach diesen Richtlinien vorgesehenen Zielen und Verpflichtungen nachzukommen, angesichts der Wechselwirkung zwischen einem Gebiet und den dort vorhandenen Arten und Lebensräumen und insbesondere der Auswirkung der verschiedenen Formen der Bewirtschaftung des Gebiets auf diese Arten und Lebensräume unabhängig davon, ob diese sich speziell auf diese Arten und Lebensräume beziehen, zwingend die charakteristischen Merkmale des Gebiets wie insbesondere das Vorhandensein einer menschlichen Tätigkeit berücksichtigen müssen.

57      Speziell im Hinblick auf die Beantwortung von Frage 1 Buchst. a, wie sie sich aus dem vom vorlegenden Gericht dargestellten Kontext ergibt, ist klarzustellen, dass der Begriff „Bewirtschaftung, die als normal anzusehen ist“ u. a. landwirtschaftliche Tätigkeiten, die in einem Gebiet ausgeübt werden, in dem geschützte Arten und natürliche Lebensräume vorhanden sind, in ihrer Gesamtheit umfassen kann, d. h. einschließlich der Tätigkeiten, die wie die Be- und Entwässerung und damit der Betrieb eines Schöpfwerks die notwendige Ergänzung dazu sein können.

58      Diese Auslegung wird durch die erste Alternative der zweiten in Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 genannten Fallkonstellation bestätigt. Indem diese erste Alternative nämlich klarstellt, dass die normale Bewirtschaftung der Gebiete in dem in den Aufzeichnungen über den Lebensraum und den Dokumenten über die Erhaltungsziele definierten Sinne zu verstehen ist, bestätigt sie, dass eine solche Bewirtschaftung unter Bezugnahme auf sämtliche Bewirtschaftungsmaßnahmen zu ermitteln ist, die die Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie ergreifen, um ihre Verpflichtungen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der durch diese Richtlinien geschützten Arten und Lebensräume zu erfüllen.

59      Insoweit erwähnen zwar weder die Habitat- noch die Vogelschutzrichtlinie in irgendeiner ihrer Bestimmungen die Begriffe „Aufzeichnungen über den Lebensraum“ und „Dokumente über die Erhaltungsziele“, doch ergibt sich aus der Praxis bestimmter Mitgliedstaaten, wie u. a. im Bericht der Kommission über die Umsetzung der Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (SEK[2003] 1478) und in Anhang 2 des Leitfadens der Kommission zum Thema „Aquakultur und Natura 2000“ dargelegt ist, dass sowohl die Aufzeichnungen über den Lebensraum als auch die Dokumente über die Erhaltungsziele den Dokumenten entsprechen, die die Mitgliedstaaten gemäß der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie verabschieden müssen, um die Ziele dieser Richtlinien und die ihnen gemäß diesen Richtlinien obliegenden Erhaltungsverpflichtungen zu erfüllen. Aus diesem Bericht und diesem Leitfaden geht insbesondere hervor, dass diese Dokumente genau die für die Bewirtschaftung der geschützten Arten und natürlichen Lebensräume erforderlichen Maßnahmen enthalten.

60      Des Weiteren ist für die Zwecke der Beantwortung von Frage 1 Buchst. b, wie in Rn. 26 des vorliegenden Urteils erläutert, klarzustellen, dass zwar im Rahmen der ersten Alternative der zweiten in Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 genannten Fallkonstellation die Normalität der Bewirtschaftung anhand der Bewirtschaftungsdokumente zu ermitteln ist, die die Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie verabschiedet haben, ein Gericht eines Mitgliedstaats, das aufgerufen ist, konkret zu beurteilen, ob eine Bewirtschaftungsmaßnahme normal ist oder nicht, aber nicht daran gehindert sein darf, in dem Fall, in dem zum einen diese Bewirtschaftungsdokumente keine ausreichenden Angaben enthalten, um diese Beurteilung vorzunehmen, und zum anderen die Normalität der Maßnahme auch nicht gemäß der zweiten Alternative bestimmt werden kann, diese Dokumente unter Bezugnahme auf die in der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie festgelegten Ziele und Verpflichtungen oder mit Hilfe von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, die zur Umsetzung dieser Richtlinien erlassen wurden oder mit dem Sinn und Zweck dieser Richtlinien in Einklang stehen, zu beurteilen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, insoweit festzustellen, ob die gute fachliche Praxis im Sinne von § 5 Abs. 2 BNatSchG, die es zur Beurteilung der Normalität der Bewirtschaftung des Gebiets Eiderstedt heranzuziehen beabsichtigt, diese Voraussetzungen erfüllt.

61      Ferner kann sich die normale Bewirtschaftung eines Gebiets, wie sich aus der zweiten Alternative der zweiten in Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 genannten Fallkonstellation ergibt, auch aus einer früheren Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber ergeben. Diese zweite Alternative erfasst somit Bewirtschaftungsmaßnahmen, die, weil sie über einen gewissen Zeitraum praktiziert wurden, als für das betreffende Gebiet üblich angesehen werden können, allerdings unter dem Vorbehalt, dass sie, wie in Rn. 55 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Erfüllung der in der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie vorgesehenen Ziele und Verpflichtungen nicht in Frage stellen.

62      Für die Zwecke der Beantwortung von Frage 1 Buchst. d ist klarzustellen, dass sich diese zweite Alternative auf Bewirtschaftungsmaßnahmen bezieht, die in den von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie verabschiedeten Bewirtschaftungsdokumenten möglicherweise nicht definiert sind. Auch wenn nämlich grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine frühere Bewirtschaftungsmaßnahme auch in den von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie verabschiedeten Bewirtschaftungsdokumenten vorgesehen ist und somit sowohl unter die erste als auch unter die zweite Alternative der zweiten Fallkonstellation des Anhangs I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 fallen kann, geht aus der nebenordnenden Konjunktion „oder“, die diese beiden Alternativen voneinander trennt, hervor, dass diese unabhängig voneinander angewandt werden können. Dies kann u. a. dann der Fall sein, wenn noch keine Bewirtschaftungsdokumente erstellt worden sind oder wenn in diesen Dokumenten keine frühere Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber erwähnt wird.

63      Was den zeitlichen Aspekt der früheren Bewirtschaftung, der Gegenstand von Frage 1 Buchst. c ist, anbelangt, ist zu betonen, dass dieser in Anbetracht dessen, dass eine Bewirtschaftungsmaßnahme ebenso gut unter die eine wie unter die andere der genannten Alternativen fallen kann, nicht allein in Bezug auf den Zeitpunkt der Verabschiedung der Bewirtschaftungsdokumente ermittelt werden kann.

64      Da der Unionsgesetzgeber zudem im Wortlaut von Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 den zeitlichen Bezugspunkt nicht präzisiert hat, von dem aus der zeitliche Aspekt der früheren Bewirtschaftung zu beurteilen ist, ist davon auszugehen, dass dieser nicht unter Bezugnahme auf den in Art. 20 bzw. Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2004/35 genannten Zeitpunkt des Inkrafttretens bzw. Zeitpunkt der Umsetzung dieser Richtlinie beurteilt werden kann. Eine solche Auslegung hätte zudem zur Folge, dass die zweite Alternative der zweiten in Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 genannten Fallkonstellation auf Praktiken beschränkt würde, die vor einem dieser Zeitpunkte begonnen hätten, und würde damit diese zweite Alternative weitgehend ihres Inhalts berauben, indem es den Mitgliedstaaten damit untersagt wäre, auf diese Alternative hinsichtlich der von den Eigentümern oder Betreibern nach diesen Zeitpunkten praktizierten Bewirtschaftungsmaßnahmen zurückzugreifen. Damit würde ein vom Unionsgesetzgeber gewolltes wichtiges Gleichgewicht zerstört.

65      Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung dessen, dass die zweite Fallkonstellation von Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 es den Mitgliedstaaten ermöglichen soll, eine Befreiung der Eigentümer und der Betreiber für durch eine normale Bewirtschaftung des betreffenden Gebiets verursachte Schädigungen geschützter Arten und natürlicher Lebensräume vorzusehen, ist festzustellen, dass der zeitliche Aspekt der früheren Praxis nur unter Bezugnahme auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts bestimmt werden kann. Somit kann eine Schädigung nur dann als nicht erheblich angesehen werden, wenn eine Maßnahme der normalen Bewirtschaftung während eines hinreichend langen Zeitraums bis zum Eintritt dieses Schadens praktiziert wurde sowie allgemein anerkannt ist und feststeht.

66      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass der Begriff der „Bewirtschaftung der betreffenden Gebiete, die den Aufzeichnungen über den Lebensraum oder den Dokumenten über die Erhaltungsziele zufolge als normal anzusehen ist oder der früheren Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber entspricht“, in Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 dahin zu verstehen ist, dass er zum einen jede Verwaltungs- oder Organisationsmaßnahme, die Auswirkungen auf die geschützten Arten und natürlichen Lebensräume in einem Gebiet haben kann, erfasst, wie sie sich aus den von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie verabschiedeten Bewirtschaftungsdokumenten – erforderlichenfalls ausgelegt unter Bezugnahme auf jede innerstaatliche Rechtsvorschrift, die die beiden letztgenannten Richtlinien umsetzt oder mit dem Sinn und Zweck dieser Richtlinien in Einklang steht – ergibt, und zum anderen jede Verwaltungs- oder Organisationsmaßnahme, die als üblich anzusehen sowie allgemein anerkannt ist und feststeht und von den Eigentümern oder Betreibern während eines hinreichend langen Zeitraums bis zum Eintritt eines durch die Auswirkungen dieser Maßnahme verursachten Schadens an den geschützten Arten und natürlichen Lebensräumen praktiziert worden ist, wobei alle diese Maßnahmen außerdem mit den der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie zugrunde liegenden Zielen und insbesondere mit der allgemein anerkannten landwirtschaftlichen Praxis vereinbar sein müssen.

 Zur zweiten Frage

67      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2004/35 dahin auszulegen ist, dass der dort definierte Begriff „berufliche Tätigkeit“ auch aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübte Tätigkeiten erfasst.

68      Hierzu ist festzustellen, dass nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/35 nur die durch eine „berufliche Tätigkeit“ verursachten Schäden in deren Anwendungsbereich fallen, wobei dieser Begriff in Art. 2 Nr. 7 dieser Richtlinie definiert ist.

69      Nach dieser letztgenannten Bestimmung bezeichnet der Begriff „berufliche Tätigkeit“ jede Tätigkeit, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit, einer Geschäftstätigkeit oder eines Unternehmens ausgeübt wird, unabhängig davon, ob sie privat oder öffentlich und mit oder ohne Erwerbszweck ausgeübt wird.

70      Insoweit mag zwar der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ darauf hindeuten, dass die berufliche Tätigkeit einen Bezug zum Markt oder Wettbewerbscharakter haben muss, doch können, entsprechend den verschiedenen Sprachfassungen, entweder eines der Wörter „Geschäftstätigkeit“ und „Unternehmen“ oder sogar beide sowohl im wirtschaftlichen, gewerblichen oder industriellen Sinne als auch in einem allgemeineren Sinne von „Beschäftigung“, „Vorhaben“, „Werk“ oder „Arbeit“ verstanden werden. Diese Auslegung wird durch den Wortlaut von Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2004/35 gestützt, der klarstellt, dass die berufliche Tätigkeit sowohl mit als auch ohne Erwerbszweck ausgeübt werden kann.

71      Bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift ist jedoch nicht nur der Wortlaut der betreffenden Vorschrift, sondern es sind auch ihr Kontext und die allgemeine Systematik der Regelung, zu der sie gehört, sowie die von dieser verfolgten Ziele zu berücksichtigen (Urteil vom 30. Januar 2020, Tim, C‑395/18, EU:C:2020:58, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

72      Was als Erstes den Kontext betrifft, in dem Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2004/35 steht, ist festzustellen, dass deren Anhang III eine Auflistung der von ihr erfassten beruflichen Tätigkeiten enthält. In diesem Anhang sind aber Tätigkeiten erwähnt, die, wie die Abfallbewirtschaftungsmaßnahmen, im Allgemeinen aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübt werden.

73      Des Weiteren ist hervorzuheben, dass nach der allgemeinen Systematik der Richtlinie 2004/35 die beruflichen Tätigkeiten im Sinne von Art. 2 Nr. 7 dieser Richtlinie nur von den in deren Anwendungsbereich fallenden Personen ausgeübt werden dürfen, d. h. den Betreibern, die in Art. 2 Nr. 6 der Richtlinie definiert sind als jede natürliche oder juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts, die die berufliche Tätigkeit ausübt oder bestimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. März 2015, Fipa Group u. a., C‑534/13, EU:C:2015:140, Rn. 52). Aus einer Zusammenschau der Nrn. 6 und 7 von Art. 2 der Richtlinie 2004/35 ergibt sich somit, dass der Begriff „berufliche Tätigkeit“ ein weit gefasstes Konzept umfasst und auch von juristischen Personen des öffentlichen Rechts ausgeübte öffentliche Tätigkeiten ohne Erwerbszweck einschließt. Solche Tätigkeiten weisen aber im Allgemeinen keinen Bezug zum Markt auf und haben keinen Wettbewerbscharakter, so dass, würde man den in Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2004/35 genannten Begriffen „Geschäftstätigkeit“ und „Unternehmen“ eine rein wirtschaftliche, gewerbliche oder industrielle Bedeutung beimessen, dies darauf hinausliefe, nahezu die Gesamtheit dieser Tätigkeiten vom Begriff „berufliche Tätigkeit“ auszuschließen.

74      Was als Zweites die mit der Richtlinie 2004/35 verfolgten Ziele betrifft, ergibt sich aus einer Zusammenschau ihrer Erwägungsgründe 2, 8 und 9, dass mit dieser Richtlinie in Anwendung des Verursacherprinzips diejenigen Betreiber, die aufgrund beruflicher Tätigkeiten, von denen eine potenzielle oder tatsächliche Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt ausgeht, Umweltschäden verursacht haben, finanziell zur Verantwortung gezogen werden sollen, um sie dazu zu veranlassen, Maßnahmen zu ergreifen und Praktiken zu entwickeln, mit denen die Gefahr von Umweltschäden auf ein Minimum beschränkt werden kann.

75      Eine Auslegung, die, obwohl die Begriffe „Geschäftstätigkeit“ und „Unternehmen“ in Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2004/35 in allen Sprachfassungen nicht zwingend eine rein wirtschaftliche Bedeutung haben, vom Begriff „berufliche Tätigkeit“ die aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübten Tätigkeiten mit der Begründung ausnähme, dass sie keinen Bezug zum Markt oder keinen Wettbewerbscharakter haben, nähme der Richtlinie 2004/35 einen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit, indem sie eine ganze Reihe von Tätigkeiten wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die eine tatsächliche Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellen, von ihrem Anwendungsbereich ausnähme.

76      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Begriff „berufliche Tätigkeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2004/35 nicht auf Tätigkeiten beschränkt ist, die einen Bezug zum Markt oder Wettbewerbscharakter haben, sondern sämtliche in einem beruflichen Rahmen – im Gegensatz zu einem rein persönlichen oder häuslichen Rahmen – ausgeübten Tätigkeiten und damit die aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübten Tätigkeiten umfasst.

77      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2004/35 dahin auszulegen ist, dass der dort definierte Begriff „berufliche Tätigkeit“ auch aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübte Tätigkeiten erfasst.

 Kosten

78      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Der Begriff „Bewirtschaftung der betreffenden Gebiete, die den Aufzeichnungen über den Lebensraum oder den Dokumenten über die Erhaltungsziele zufolge als normal anzusehen ist oder der früheren Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber entspricht“ in Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden ist dahin zu verstehen, dass er zum einen jede Verwaltungs- oder Organisationsmaßnahme, die Auswirkungen auf die geschützten Arten und natürlichen Lebensräume in einem Gebiet haben kann, erfasst, wie sie sich aus den von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen und der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten verabschiedeten Bewirtschaftungsdokumenten – erforderlichenfalls ausgelegt unter Bezugnahme auf jede innerstaatliche Rechtsvorschrift, die die beiden letztgenannten Richtlinien umsetzt oder mit dem Sinn und Zweck dieser Richtlinien in Einklang steht – ergibt, und zum anderen jede Verwaltungs- oder Organisationsmaßnahme, die als üblich anzusehen sowie allgemein anerkannt ist und feststeht und von den Eigentümern oder Betreibern während eines hinreichend langen Zeitraums bis zum Eintritt eines durch die Auswirkungen dieser Maßnahme verursachten Schadens an den geschützten Arten und natürlichen Lebensräumen praktiziert worden ist, wobei alle diese Maßnahmen außerdem mit den der Richtlinie 92/43 und der Richtlinie 2009/147 zugrunde liegenden Zielen und insbesondere mit der allgemein anerkannten landwirtschaftlichen Praxis vereinbar sein müssen.

2.      Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2004/35 ist dahin auszulegen, dass der dort definierte Begriff „berufliche Tätigkeit“ auch aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübte Tätigkeiten erfasst.

Bonichot

Safjan

Bay Larsen

Toader

 

Jääskinen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. Juli 2020.

Der Kanzler

 

Der Präsident der Ersten Kammer

A. Calot Escobar

 

J.-C. Bonichot


*      Verfahrenssprache: Deutsch.