Language of document : ECLI:EU:F:2015:64

BESCHLUSS DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
DER EUROPÄISCHEN UNION
(Dritte Kammer)

22. Juni 2015

Rechtssache F‑139/14

Annetje Elisabeth van Oudenaarden

gegen

Europäisches Parlament

„Öffentlicher Dienst – Beamte – Jahresurlaub – Begrenzung der Übertragung auf zwölf Tage – Ausgleich – Ruhegehaltsabrechnung – Keine fristgerechte Beanstandung – Keine neuen wesentlichen Tatsachen – Art. 81 der Verfahrensordnung – Offensichtlich unzulässige Klage“

Gegenstand:      Klage nach Art. 270 AEUV, der gemäß Art. 106a EA auch für den EAG-Vertrag gilt, auf Aufhebung der Entscheidung des Europäischen Parlaments, mit der es sich geweigert hat, den Anträgen der Klägerin auf Übertragung von im Jahr 2012 nicht genommenen Jahresurlaubstagen über zwölf Tage hinaus stattzugeben, und auf Zahlung eines entsprechenden finanziellen Ausgleichs

Entscheidung:      Die Klage wird als offensichtlich unzulässig abgewiesen. Frau van Oudenaarden und das Europäische Parlament tragen jeweils ihre eigenen Kosten.

Leitsätze

1.      Beamtenklage – Vorherige Verwaltungsbeschwerde – Fristen – Zwingendes Recht – Ausschlusswirkung – Neubeginn – Voraussetzung – Neue wesentliche Tatsache – Begriff – Urteil über eine Überprüfung, das im Rahmen eines Verfahrens ergangen ist, das die Klägerin nicht unmittelbar betraf – Ausschluss

(Beamtenstatut, Art. 90 und 91)

2.      Beamtenklage – Antrag gemäß Art. 90 Abs. 1 des Statuts – Begriff – Antrag, der an eine andere Stelle als die Anstellungsbehörde gerichtet wurde – Ausschluss

(Beamtenstatut, Art. 90 Abs. 1)

3.      Beamtenklage – Beschwerende Maßnahme – Begriff – Ruhegehaltsabrechnung – Für die Zwecke der Ausübung der Rechte auf Einlegung von Rechtsmitteln gemeinhin akzeptierte Einbeziehung – Voraussetzung – Berufung auf die mangelnde Klarheit der Abrechnung durch einen erfahrenen Beamten – Zurückweisung

(Beamtenstatut, Art. 90 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 1)

4.      Beamtenklage – Beschwerende Maßnahme – Begriff – Keine schriftliche Mitteilung der Entscheidung – Keine Auswirkung

(Beamtenstatut, Art. 25, Art. 90 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 1)

5.      Beamtenklage – Fristen – Beginn – Zustellung – Fehlen oder Unzulänglichkeit der Begründung einer ordnungsgemäß zugestellten Entscheidung – Keine Auswirkung – Ausnahme – Entscheidung über einen wesentlichen Aspekt des Beschäftigungsverhältnisses

(Beamtenstatut, Art. 25, 26, 90 und 91)

1.      Die Beschwerde- und die Klagefristen – die zwingend sind und nicht zur Disposition der Parteien oder des Gerichts stehen – zielen darauf ab, innerhalb der Organe der Union die für deren ordnungsgemäßes Funktionieren unerlässliche Rechtssicherheit zu gewährleisten, indem verhindert wird, dass Handlungen der Union mit Rechtswirkungen zeitlich unbegrenzt in Frage gestellt werden können, und darauf, jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz zu vermeiden. Das Vorliegen neuer wesentlicher Tatsachen kann jedoch einen Antrag auf Überprüfung einer bestandskräftig gewordenen Entscheidung rechtfertigen.

Ein Urteil über eine Überprüfung, das in einer Rechtssache ergangen ist, in der der Betroffene nicht Partei war, und eine Verwaltungsentscheidung zum Gegenstand hat, die den Betroffenen nicht unmittelbar betrifft, kann nicht als neue wesentliche Tatsache angesehen werden, die es ermöglicht, die Lage des Betroffenen nach Ablauf der statutarischen Fristen für die Einreichung einer Beschwerde gegen eine Verwaltungsentscheidung erneut zu prüfen. Die rechtlichen Wirkungen eines Urteils im Rahmen einer Aufhebungsklage treffen nämlich außer den Parteien nur die Personen, die von dem aufgehobenen Akt unmittelbar betroffen sind, und ein solches Urteil kann nur für diese Personen eine neue Tatsache darstellen.

(vgl. Rn. 24, 25 und 41 bis 43)

Verweisung auf:

Gerichtshof: Urteil vom 8. März 1988, Brown/Gerichtshof, 125/87, EU:C:1988:136, Rn. 13

Gericht erster Instanz: Urteile vom 7. Februar 2001, Inpesca/Kommission, T‑186/98, EU:T:2001:42, Rn. 47, und vom 5. März 2008, Combescot/Kommission, T‑414/06 P, EU:T:2008:58, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Beschluss vom 24. März 1998, Meyer u. a./Gerichtshof, T‑181/97, EU:T:1998:64, Rn. 36

Gericht für den öffentlichen Dienst: Beschlüsse vom 12. September 2011, Cervelli/Kommission, F‑98/10, EU:F:2011:131, Rn. 19 und 23; vom 22. November 2012, Barthel u. a./Gerichtshof, F‑84/11, EU:F:2012:160, Rn. 25, und vom 20. März 2014, Michel/Kommission, F‑44/13, EU:F:2014:40, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung

2.      Ein Schreiben, das ein Beamter an seinen Referatsleiter schickt, stellt keinen Antrag gemäß Art. 90 Abs. 1 des Beamtenstatuts dar, da es sich bei dem Referatsleiter nicht um die Anstellungsbehörde handelt. Wird dieses Schreiben nicht innerhalb von vier Monaten beantwortet, kann dies folglich nicht der stillschweigenden Ablehnung eines Antrags gleichgestellt werden, mit der die statutarischen Beschwerdefristen zu laufen beginnen.

(vgl. Rn. 27)

Verweisung auf:

Gericht für den öffentlichen Dienst: Beschluss vom 30. September 2014, Ojamaa/Parlament, F‑37/14, EU:F:2014:230, Rn. 21

3.      Eine Ruhegehaltsabrechnung weist ihrer Natur und ihrem Zweck nach nicht die Merkmale einer beschwerenden Maßnahme auf, da sie nur die Tragweite vorhergehender rechtlicher Entscheidungen, die die Lage des Beamten betreffen, in finanzieller Hinsicht zum Ausdruck bringt. So werden die Ruhegehaltsabrechnungen zwar gemeinhin als beschwerende Maßnahmen betrachtet, soweit sich daraus ergibt, dass die finanziellen Ansprüche eines Beamten nachteilig beeinflusst wurden, doch ist in Wirklichkeit die beschwerende Maßnahme die Entscheidung der Anstellungsbehörde, eine Zahlung, die der Beamte bisher bezog und die in seinen Gehaltsmitteilungen aufgeführt war, zu kürzen oder einzustellen.

Dennoch behält die Ruhegehaltsabrechnung in vollem Umfang ihre Bedeutung für die Bestimmung der Verfahrensrechte des Beamten, wie sie im Statut vorgesehen sind. Insbesondere erfüllt die Übermittlung der Ruhegehaltsabrechnung an den Beamten eine doppelte Aufgabe: eine Aufgabe der Information in Bezug auf die von der Anstellungsbehörde getroffene Entscheidung und eine Aufgabe im Hinblick auf die Fristen dahin gehend, dass ihre Übermittlung, vorbehaltlich dessen, dass der Abrechnungsbogen das Vorliegen und die Bedeutung der von dieser Behörde getroffenen Entscheidung klar erkennen lässt, die Beschwerdefrist in Gang setzt.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass von jedem die normale Sorgfalt beachtenden Beamten die Kenntnis des Statuts und insbesondere der Vorschriften über seine Dienstbezüge erwartet werden kann. Außerdem wird die normale Sorgfalt, die von einem Beamten erwartet werden kann, im Hinblick auf seine Ausbildung, seine Besoldungsgruppe und seine Berufserfahrung beurteilt. Ein Beamter der Besoldungsgruppe AST 8 mit langer Berufserfahrung bei einem Organ kann sich somit, auch wenn er die Statutsvorschriften im Rahmen seiner Aufgaben nicht anzuwenden hat, nicht mit Erfolg darauf berufen, dass seine Ruhegehaltsabrechnung, aus der die Entscheidung hervorgeht, die Übertragung von Jahresurlaubstagen zu verweigern, nicht hinreichend klar gewesen sei, weil die genaue Zahl der Urlaubstage, der betroffene Zeitraum und die Modalitäten der Berechnung des gezahlten Betrags nicht angegeben worden seien, da er bei Erhalt des Abrechnungsbogens hätte feststellen können, dass nicht alle seine Urlaubtage übertragen wurden. Jedenfalls hätte er als sorgfältiger Beamter zumindest seine Verwaltung fragen können, ob der als Ausgleich gezahlte Betrag die beantragte Übertragung berücksichtigt.

(vgl. Rn. 29, 30, 32, 33 und 36)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: Urteil vom 27. Oktober 1994, Benzler/Kommission, T‑536/93, EU:T:1994:264, Rn. 15

Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteile vom 28. Juni 2006, Grünheid/Kommission, F‑101/05, EU:F:2006:58, Rn. 42, und vom 23. April 2008, Pickering/Kommission, F‑103/05, EU:F:2008:45, Rn. 72, sowie Beschluss vom 20. März 2014, Michel/Kommission, EU:F:2014:40, Rn. 53 und 58 und die dort angeführte Rechtsprechung

4.      Auch wenn das Statut die unverzügliche schriftliche Mitteilung jeder Verfügung an den betroffenen Beamten vorschreibt, ist die Mitteilung doch eine Handlung, die der bereits bestehenden Entscheidung zeitlich nachfolgt. Die Mitteilung einer Entscheidung ist daher nicht entscheidend für die Beurteilung, ob es sich bei dieser Entscheidung um eine beschwerende Maßnahme handelt.

(vgl. Rn. 37)

Verweisung auf:

Gericht der Europäischen Union: Beschluss vom 13. September 2013, Conticchio/Kommission, T‑358/12 P, EU:T:2013:525, Rn. 22

Gericht für den öffentlichen Dienst: Beschluss vom 22. April 2015, ED/ENISA, F‑105/14, EU:F:2015:33, Rn. 42

5.      Die fehlende Begründung einer Entscheidung hat, da die Verwaltung diesen Mangel bis zum Erlass ihrer Entscheidung über die Beschwerde beheben kann, keine Auswirkungen auf die Berechnung der Frist für die Einreichung einer – gegebenenfalls nicht mit einer Begründung versehenen – Beschwerde gegen diese Entscheidung, sofern sie ordnungsgemäß zugestellt oder dem Betroffenen in anderer zweckdienlicher Weise zur Kenntnis gebracht wurde. Dies ist jedoch nicht der Fall bei einer Entscheidung über einen wesentlichen Aspekt des Beschäftigungsverhältnisses eines Beamten, wie einer Gehaltsabrechnung, deren Empfang nicht zur Folge hat, dass ein Organ seiner Verpflichtung gemäß den Art. 25 und 26 des Statuts enthoben wäre, dem fraglichen Beamten eine Entscheidung zuzustellen, in der die wesentlichen Bedingungen seiner Einstellung festgelegt sind.

Eine Entscheidung über finanzielle Fragen, wie eine Ruhegehaltsabrechnung, aus der eine Entscheidung ersichtlich ist, mit der der Antrag eines ehemaligen Beamten auf Übertragung von Jahresurlaubstagen abgelehnt wird, kann jedoch nicht mit einer Entscheidung über einen wesentlichen Aspekt des Beschäftigungsverhältnisses des Beamten gleichgesetzt werden, die eine Nichteinhaltung der Beschwerde‑ und Klagefristen rechtfertigen würde, die zwingendes Recht darstellen.

(vgl. Rn. 37 und 38)

Verweisung auf:

Gericht der Europäischen Union: Beschluss Conticchio/Kommission, EU:T:2013:525, Rn. 22

Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteil vom 28. Juni 2006, Grünheid/Kommission, EU:F:2006:58, Rn. 50, und Beschluss ED/ENISA, EU:F:2015:33, Rn. 42