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Vorabentscheidungsersuchen des Giudice di pace di L’Aquila (Italien), eingereicht am 1. Oktober 2018 – Gabriele Di Girolamo/Ministero della Giustizia

(Rechtssache C-618/18)

Verfahrenssprache: Italienisch

Vorlegendes Gericht

Giudice di pace di L’Aquila

Parteien des Ausgangsverfahrens

Kläger: Gabriele Di Girolamo

Beklagter: Ministero della Giustizia

Vorlagefrage

Sind die als allgemeine Grundsätze des geltenden Unionsrechts anerkannten Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts, der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes, der prozessualen Waffengleichheit und des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes sowie des Rechts auf ein unabhängiges Gericht und allgemeiner auf ein faires Verfahren nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Verbindung mit Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Bereich der Haftung des italienischen Staats wegen offenkundigen Verstoßes gegen das Unionsrecht durch ein letztinstanzliches Gericht nach den Urteilen [vom 30. September 2003, Köbler, C-224/01, EU:C:2003:513, vom 13. Juni 2006, Traghetti del Mediterraneo, C-173/03, EU:C:2006:391, und vom 24. November 2011, Kommission/Italien, C-379/10, EU:C:2011:775] dahin auszulegen, dass diese Bestimmungen und die angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs einer Regelung entgegenstehen, die ein Mitgliedstaat wie im vorliegenden Fall erlässt, um sich selbst und seine öffentlichen Verwaltungen zu begünstigen, wie sie mit dem Gesetz Nr. 18/2015 – mit der erklärten Absicht, die angeführten Entscheidungen des Gerichtshofs umzusetzen, jedoch im Wesentlichen mit dem Ziel, ihnen die Wirkung zu nehmen und die innerstaatliche Gerichtsbarkeit zu beeinflussen – eingeführt worden ist, die mit dem neuen Wortlaut von Art. 2 Abs. 3 und 3bis des Gesetzes Nr. 117 vom 13. April 1988 über die zivilrechtliche Haftung der Richter einen Begriff der Haftung für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit „im Fall eines offenkundigen Verstoßes gegen das Gesetz oder gegen das Unionsrecht“ schafft? Diese nationale Regelung stellt das nationale Gericht nämlich vor die Wahl – die jedoch, wird sie ausgeübt, zu einer zivilrechtlichen und disziplinären Haftung gegenüber dem Staat in den Sachen führt, in denen im Wesentlichen dieselbe öffentliche Verwaltung Partei ist –, wie im vorliegenden Fall, entweder gegen die nationale Regelung zu verstoßen, sie unangewendet zu lassen und das Unionsrecht, wie es der Gerichtshof ausgelegt hat, anzuwenden oder gegen das Unionsrecht zu verstoßen, indem es die nationalen Bestimmungen anwendet, die der Zuerkennung effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes entgegenstehen und gegen Art. 1 Abs. 3 und Art. 7 der Richtlinie 2003/88, die Paragrafen 2 und 4 der mit der Richtlinie 1999/70 durchgeführten Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge sowie Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in der Auslegung durch den Gerichtshof in den Urteilen [vom 1. März 2012, O’Brien, C-393/10, EU:C:2012:110, und vom 29. November 2017, King, C-214/16, EU:C:2017:914] verstoßen.

Nur bei Bejahung der Frage 1: Kann unter Berücksichtigung der Auffassung der Corte costituzionale im Urteil Nr. 269/2017 vom 14. Dezember 2017 nach dem Urteil [des Gerichtshofs vom 5. Dezember 2010, M.A.S. und M.B., C-42/17, EU:C:2017:936] und im Licht von Art. 31 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 267 AEUV und Art. 4 EUV ein vom Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache erlassenes Urteil, in dem festgestellt wird, dass Art. 2 Abs. 3 und 3bis des Gesetzes Nr. 117 vom 13. April 1988 gegen das Unionsrecht verstößt, in einem Ausgangsrechtsstreit, in dem der Beklagte eine staatliche öffentliche Verwaltung ist, einer Bestimmung des Unionsrechts gleichgestellt werden, die unmittelbar wirksam und vom nationalen Gericht unmittelbar anzuwenden ist und die es erlaubt, die unionsrechtswidrige nationale Bestimmung unangewendet zu lassen?

Nur bei Bejahung der Frage 1: Können ordentliche oder Berufsrichter für die Zwecke der Anwendung von Paragraf 4 der mit der Richtlinie 1999/701 durchgeführten Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge als dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer „Friedensrichter“ – bei gleichem Dienstalter – vergleichbare Dauerbeschäftigte angesehen werden, wenn die ausgeübten Rechtsprechungsaufgaben dieselben sind, aber die Auswahlverfahren im Hinblick auf die Verrichtung der Aufgaben von ordentlichen Richtern (aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen, mit dauerhafter Einstellung und im Wesentlichen Unversetzbarkeit der dauerhaft Eingestellten, ausgenommen die seltenen Fälle von schweren Verstößen gegen die Dienstpflichten) und Friedensrichtern (aufgrund von Befähigungsnachweisen, bei befristeter Einstellung, die je nach Ergebnis einer wiederkehrenden positiven Beurteilung durch den Consiglio superiore della magistratura aufgrund einer Ermessensentscheidung erneuert und im Fall einer negativen Beurteilung der Tätigkeit des ehrenamtlichen Richters sofort widerrufen werden kann) verschieden sind?

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1     Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43).