Language of document : ECLI:EU:F:2013:61

BESCHLUSS DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST DER EUROPÄISCHEN UNION

(Erste Kammer)

14. Mai 2013

Rechtssache F‑4/12

Luigi Marcuccio

gegen

Europäische Kommission

„Öffentlicher Dienst – Art. 34 Abs. 1 und 6 der Verfahrensordnung – Innerhalb der Klagefrist per Telefax eingegangene Klageschrift – Eigenhändige Unterschrift des Rechtsanwalts weicht von jener auf der per Post versandten Urschrift der Klageschrift ab – Verspätung der Klage – Offensichtliche Unzulässigkeit – Inexistenz“

Gegenstand:      Klage nach Art. 270 AEUV, der gemäß Art. 106a EA auch für den EAG-Vertrag gilt, u. a. auf Aufhebung der Entscheidung, mit der die Europäische Kommission dem Kläger den Zugang zum Intranet verweigert hat. Dem Eingang der Urschrift der Klageschrift per Post ging die am 4. Januar 2012 erfolgte Übersendung eines Dokuments, das als Kopie der per Post eingereichten Urschrift der Klageschrift vorgelegt wurde, per Telefax an die Kanzlei des Gerichts voraus, bei der das Dokument noch am selben Tag einging

Entscheidung:      Die Klage wird als offensichtlich unzulässig abgewiesen. Herr Marcuccio trägt seine eigenen Kosten und wird verurteilt, die der Kommission entstandenen Kosten zu tragen.

Leitsätze

1.     Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Eigenhändige Unterschrift eines Rechtsanwalts – Wesentliche Vorschrift, die strikt anzuwenden ist – Fehlen – Unzulässigkeit

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 19 Abs. 3, Art. 21 Abs. 1 und Anhang I, Art. 7 Abs. 1; Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst, Art. 34 Abs. 1)

2.     Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Innerhalb der Klagefrist per Telefax eingegangene Klageschrift – Eigenhändige Unterschrift des Rechtsanwalts weicht von jener auf der per Post versandten Urschrift der Klageschrift ab – Folge – Keine Berücksichtigung des Eingangsdatums des Telefax bei der Beurteilung der Wahrung der Klagefrist

(Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst, Art. 34; Beamtenstatut, Art. 91 Abs. 3)

1.      Aus Art. 19 Abs. 3 und Art. 21 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs geht hervor, dass sich jeder Kläger durch eine hierzu berechtigte Person vertreten lassen muss und die Unionsgerichte deshalb nur durch eine von dieser Person unterzeichnete Klageschrift wirksam angerufen werden können. Nach Art. 7 Abs. 1 des Anhangs I der Satzung des Gerichtshofs finden diese Bestimmungen auch auf das Verfahren vor dem Gericht für den öffentlichen Dienst Anwendung. In der Satzung des Gerichtshofs und in der Verfahrensordnung des Gerichts ist keine Abweichung oder Ausnahme von dieser Pflicht vorgesehen.

Das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift des Vertreters des Klägers gewährleistet nämlich im Interesse der Rechtssicherheit die Echtheit der Klageschrift und schließt das Risiko aus, dass der Schriftsatz nicht von dem zu seiner Abfassung bevollmächtigten Rechtsanwalt oder Beistand stammt. Dieser erfüllt somit als Organ der Rechtspflege die wesentliche Aufgabe, die ihm in der Satzung des Gerichtshofs und der Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst übertragen wird, indem er durch die Ausübung seines Amtes den Zugang des Klägers zum Gericht ermöglicht. Das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift ist daher als eine wesentliche Formvorschrift anzusehen und strikt anzuwenden; die Nichtbeachtung führt zur Unzulässigkeit der Klage.

(vgl. Randnrn. 24 und 25)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 5. Dezember 1996, Lopes/Gerichtshof, C‑174/96 P, Randnr. 8 und die dort angeführte Rechtsprechung

Gericht erster Instanz: 23. Mai 2007, Parlament/Eistrup, T‑223/06 P, Randnrn. 50 bis 52

2.      Im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten des öffentlichen Dienstes der Union erlaubt Art. 34 der Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst für die fristgerechte Einreichung der Urschrift sämtlicher Schriftsätze dem Vertreter der betroffenen Partei nicht, zwei verschiedene handschriftliche Unterschriften zu leisten, eine auf dem per Fax an die Kanzlei des Gerichts übermittelten Dokument und die andere auf der Urschrift, die per Post versandt oder persönlich bei der Kanzlei übergeben wird, selbst wenn beide echt sind.

Trägt die Urschrift des Schriftsatzes, die zehn Tage nach Übermittlung seiner Kopie an ein Faxgerät beim Gericht für den öffentlichen Dienst tatsächlich bei der Kanzlei eingereicht wird, nicht dieselbe Unterschrift wie das per Fax eingereichte Dokument, ist daher festzustellen, dass bei der Kanzlei des Gerichts zwei verschiedene Schriftsätze eingegangen sind, die jeder mit einer eigenen Unterschrift versehen sind, auch wenn beide von derselben Person unterzeichnet wurden. Da die Übermittlung des per Fax übersandten Textes nicht die von Art. 34 der Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst vorgesehenen Voraussetzungen der Rechtssicherheit erfüllt, kann das Datum der Übermittlung des per Fax übersandten Dokuments für die Wahrung der Klagefrist nicht berücksichtigt werden.

Darüber hinaus wird die Klagefrist durch Art. 91 Abs. 3 des Statuts festgelegt, von dem die Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst nicht abweichen kann. Folglich kommt es darauf an, dass die Urschrift der Klage spätestens bei Ablauf dieser Frist erstellt wurde. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Übersendung per Fax nicht nur eine Art der Übermittlung, sondern erlaubt auch den Nachweis, dass die Urschrift der nicht fristgerecht bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift bereits innerhalb der Klagefrist erstellt worden war.

(vgl. Randnrn. 27 bis 29)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 22. September 2011, Bell & Ross BV/HABM, C‑426/10 P, Randnrn. 37 bis 43

Gericht für den öffentlichen Dienst: 21. Februar 2013, Marcuccio/Kommission, F‑113/11, Randnr. 22