Language of document : ECLI:EU:C:2013:228

Rechtssache C‑645/11

Land Berlin

gegen

Ellen Mirjam Sapir u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs)

„Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Art. 1 Abs. 1 und Art. 6 Nr. 1 – Begriff ‚Zivil- und Handelssache‘ – Rechtsgrundlos geleistete Zahlung einer staatlichen Stelle – Rückforderung der Zahlung in einem Gerichtsverfahren – Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit im Fall der Konnexität – Enger Zusammenhang zwischen den Klagen – Beklagter mit Wohnsitz in einem Drittstaat“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 11. April 2013

1.        Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Geltungsbereich – Zivil- und Handelssachen – Begriff – Klage, mit der eine ohne Rechtsgrund geleistete Zahlung zurückgefordert wird, die eine staatliche Stelle im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens zur Wiedergutmachung eines durch ein totalitäres Regime verursachten Schadens geleistet hat – Einbeziehung

(Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 1 Abs. 1)

2.        Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Mehrere Beklagte – Zuständigkeit des Gerichts eines der Beklagten – Enge Auslegung – Voraussetzung – Zusammenhang – Begriff des Zusammenhangs

(Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 6 Nr. 1)

3.        Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Mehrere Beklagte – Zuständigkeit des Gerichts eines der Beklagten – Voraussetzung – Zusammenhang – Klagen gegen mehrere Beklagte, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten haben und sich auf weiter gehende Wiedergutmachungsansprüche berufen, über die einheitlich entschieden werden muss – Einbeziehung – Unterschiede zwischen den Rechtsgrundlagen der Klagen – Keine Auswirkung

(Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 6 Nr. 1)

4.        Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Mehrere Beklagte – Zuständigkeit des Gerichts eines der Beklagten – Unanwendbarkeit auf Beklagte, die ihren Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben

(Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 6 Nr. 1)

1.        Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Zivil- und Handelssache“ eine Klage auf Erstattung einer ohne Rechtsgrund geleisteten Zahlung umfasst, wenn eine öffentliche Stelle durch eine Behörde, die durch ein Gesetz zur Wiedergutmachung von Verfolgungen seitens eines totalitären Regimes geschaffen wurde, angewiesen worden ist, einem Geschädigten zur Wiedergutmachung einen Teil des Erlöses aus einem Grundstückskaufvertrag auszuzahlen, stattdessen aber versehentlich den gesamten Kaufpreis an diese Person überwiesen hat und anschließend die ohne Rechtsgrund geleistete Zahlung gerichtlich zurückfordert.

(vgl. Randnr. 38, Tenor 1)

2.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 40-43, 53)

3.        Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass zwischen den Klagen gegen mehrere Beklagte, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten haben, eine enge Beziehung im Sinne dieser Bestimmung besteht, wenn sich diese Beklagten auf weiter gehende Wiedergutmachungsansprüche berufen, über die einheitlich entschieden werden muss.

Auch wenn sich die Klage im Fall eines Beklagten auf eine andere Rechtsgrundlage stützt als im Fall der anderen Beklagten, besteht die Notwendigkeit, einheitlich zu entscheiden, wenn die in den verschiedenen Klagen geltend gemachten Ansprüche auf dasselbe Interesse gerichtet sind.

Dem Wortlaut von Art. 6 Nr. 1 der Verordnung lässt sich nicht entnehmen, dass die Übereinstimmung der Rechtsgrundlagen von Klagen gegen verschiedene Beklagte zu den Anwendungsvoraussetzungen dieser Vorschrift gehört. Eine solche Übereinstimmung ist nur einer von mehreren relevanten Faktoren.

(vgl. Randnrn. 44, 47, 48, Tenor 2)

4.        Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er auf Beklagte, die ihren Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben und die im Rahmen einer gegen mehrere Beklagte, zu denen auch Personen mit Wohnsitz in der Europäischen Union gehören, gerichteten Klage verklagt werden, nicht anwendbar ist.

(vgl. Randnr. 56, Tenor 3)