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Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Wiesbaden (Deutschland) eingereicht am 19 Mai 2020 - JV gegen Bundesrepublik Deutschland

(Rechtssache C-215/20)

Verfahrenssprache: Deutsch

Vorlegendes Gericht

Verwaltungsgericht Wiesbaden

Parteien des Ausgangsverfahrens

Kläger: JV

Beklagte: Bundesrepublik Deutschland

Vorlagefragen:

1.    Ist die Richtlinie (EU) 2016/6811 (im Folgenden als PNR-Richtlinie bezeichnet), nach der Luftfahrtunternehmen umfangreiche Datensätze hinsichtlich ausnahmslos aller Fluggäste an von den Mitgliedstaaten eingerichtete PNR-Zentralstellen übermitteln und die Datensätze dort anlasslos für den automatisierten Abgleich mit Datenbanken und Mustern verwendet und anschließend fünf Jahre lang gespeichert werden, unter Berücksichtigung des durch die PNR-Richtlinie angestrebten Zwecks und der Erfordernisse der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere mit deren Art. 7, 8 und 52, vereinbar?

2.    Insbesondere:

a)    Ist Art. 3 Nr. 9 PNR-Richtlinie in Verbindung mit Anhang II dieser Richtlinie, soweit hierin geregelt wird, dass der Begriff „schwere Kriminalität“ im Sinne der PNR-Richtlinie strafbare Handlungen bezeichnet, die im Anhang II aufgeführt werden und die nach dem nationalem Recht eines Mitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind, unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit und dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit mit den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte vereinbar?

b)    Sind die zu übermittelnden Fluggastdatensätze (im Folgenden: PNR-Daten), soweit sie die Übermittlung der Namen (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Anhang I Nr. 4 PNR-Richtlinie), des Vielflieger-Eintrags (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Anhang I Nr. 8 PNR-Richtlinie) und des Eintragens eines Freitextfelds mit allgemeinen Hinweisen (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Anhang I Nr. 12 PNR-Richtlinie) verlangen, hinreichend bestimmt, um einen Eingriff in die Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte rechtfertigen zu können?

c)    Ist es mit den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte sowie der Zweckrichtung der PNR-Richtlinie vereinbar, dass über die Daten von Fluggästen hinaus auch die Daten von Dritten, wie Reisebüro/Sachbearbeiter (Anhang I Nr. 9 PNR-Richtlinie), Begleitpersonen von Minderjährigen (Anhang I Nr. 12 PNR-Richtlinie) und Mitreisenden (Anhang I Nr. 17 PNR-Richtlinie), erfasst werden?

d)    Ist die PNR-Richtlinie, soweit nach ihr PNR-Daten minderjähriger Flugreisender übermittelt, verarbeitet und gespeichert werden, mit den Art. 7, 8 und 24 der Charta der Grundrechte vereinbar?

e)    Ist Art. 8 Abs. 2 PNR-Richtlinie in Verbindung mit Anhang I Nr. 18 dieser Richtlinie, wonach API-Daten, auch soweit sie mit PNR-Daten identisch sind, durch die Luftfahrtunternehmen an die PNR-Zentralstellen der Mitgliedstaaten übermittelt werden, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Datensparsamkeit mit den Art. 8 und 52 der Charta der Grundrechte vereinbar?

f)    Ist Art. 6 Abs. 4 PNR-Richtlinie als Rechtsgrundlage zur Bestimmung der Kriterien, mit denen die Datensätze abgeglichen werden (sog. Muster), eine ausreichende gesetzlich geregelte legitime Grundlage im Sinne von Art. 8 Abs. 2 und Art. 52 der Charta der Grundrechte sowie Art. 16 Abs. 2 AEUV?

g)    Beschränkt Art. 12 PNR-Richtlinie den Eingriff in die Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte noch auf das absolut notwendige Maß, wenn die übermittelten Daten bei den PNR-Zentralstellen der Mitgliedstaaten fünf Jahre lang gespeichert werden?

h)    Führt die Depersonalisierung nach Art. 12 Abs. 2 PNR-Richtlinie zu einer Reduzierung der personenbezogenen Daten auf das nach den Art. 8 und 52 der Charta der Grundrechte notwendige Maß, wenn es sich dabei um nichts anderes als eine jederzeit wieder umkehrbare Pseudonymisierung handelt?

i)    Sind die Art. 7, 8 und 47 der Charta der Grundrechte dahin gehend auszulegen, dass sie es erforderlich machen, dass Fluggäste, deren Daten im Rahmen der Fluggastdatenverarbeitung de-depersonalisiert werden (Art. 12 Abs. 3 PNR-Richtlinie), hierüber benachrichtigt werden und ihnen so die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung eröffnet wird?

3.    Ist Art. 11 PNR-Richtlinie, soweit er die Übermittlung von PNR-Daten an Drittstaaten erlaubt, die über kein angemessenes Datenschutzniveau verfügen, mit den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte vereinbar?

4.    Bietet Art. 6 Abs. 4 Satz 4 PNR-Richtlinie hinreichenden Schutz vor der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne von Art. 9 der Verordnung (EU) 2016/6792 (im Folgenden als DS-GVO bezeichnet) und Art. 10 der Richtlinie (EU) 2016/6803 , wenn im Rahmen des Freitextfelds „allgemeine Hinweise“ (Anhang I Nr. 12 PNR-Richtlinie) beispielsweise Essenswünsche übermittelt werden können, die Rückschlüsse auf solche besonderen Kategorien personenbezogener Daten zulassen?

5.    Ist es mit Art. 13 DS-GVO vereinbar, wenn Fluggäste durch die Luftfahrtunternehmen auf ihrer Webseite lediglich auf das nationale Umsetzungsgesetz (hier: Gesetz über die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie [EU] 2016/681 vom 6. Juni 2017, BGBl. I S. 1484) hingewiesen werden?

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1     Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 über die Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität (ABl. 2016, L 119 S. 132).

2     Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (ABl. 2016, L 119 S. 1).

3     Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (ABl. 2016, L 119 S. 89).