Language of document : ECLI:EU:C:2019:384

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

8. Mai 2019(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinie 2008/98/EG – Verwertung bzw. Beseitigung von Abfällen – Einrichtung eines integrierten Abfallbewirtschaftungssystems zur Sicherstellung der nationalen Entsorgungsautarkie – Errichtung von Verbrennungsanlagen bzw. Erhöhung der Kapazität bestehender Anlagen – Einstufung der Verbrennungsanlagen als ‚strategische Infrastrukturen und Einrichtungen von vorrangigem nationalem Interesse‘ – Einhaltung des Grundsatzes der ‚Abfallhierarchie‘– Richtlinie 2001/42/EG – Erfordernis der Vornahme einer ‚Umweltprüfung‘“

In der Rechtssache C‑305/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionalverwaltungsgericht Latium, Italien) mit Entscheidung vom 28. Februar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Mai 2018, in dem Verfahren

Verdi Ambiente e Società (VAS) – Aps Onlus,

Movimento Legge Rifiuti Zero per l’Economia Circolare Aps

gegen

Presidenza del Consiglio dei Ministri,

Ministero dell’Ambiente e della Tutela del Territorio e del Mare,

Regione Lazio,

Regione Toscana,

Regione Lombardia,

Beteiligte:

Associazione Mamme per la Salute e l’Ambiente Onlus,

Comitato Donne 29 Agosto,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Rosas und M. Safjan,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Verdi Ambiente e Società (VAS) – Aps Onlus und des Movimento Legge Rifiuti Zero per l’Economia Circolare Aps, vertreten durch F. Pernazza und A. Ciervo, avvocati,

–        der Mamme per la Salute e l’Ambiente Onlus und des Comitato Donne 29 Agosto, vertreten durch C. Auriemma, avvocatessa,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Santoro, avvocato dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara, M. Noll-Ehlers und F. Thiran als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. 2001, L 197, S. 30; im Folgenden: SUP-Richtlinie) sowie der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (ABl. 2008, L 312, S. 3; im Folgenden: Abfallrichtlinie).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Umweltschutzvereinigungen Verdi Ambiente e Società (VAS) – Aps Onlus und Movimento Legge Rifiuti Zero per l’Economia Circolare Aps einerseits und der Presidenza del Consiglio dei Ministri (Präsidium des Ministerrats, Italien) u. a. andererseits über eine Klage auf Nichtigerklärung des Decreto del Presidente del Consiglio dei Ministri – Individuazione della capacità complessiva di trattamento degli impianti di incenerimento di rifiuti urbani e assimilabili in esercizio o autorizzati a livello nazionale, nonché individuazione del fabbisogno residuo da coprire mediante la realizzazione di impianti di incenerimento con recupero di rifiuti urbani e assimilati (Dekret des Präsidenten des Ministerrats zur Bestimmung der Gesamtbehandlungskapazität der Verbrennungsanlagen für Siedlungsabfälle und vergleichbare Abfälle, die im Inland in Betrieb oder genehmigt sind, sowie zur Bestimmung des durch die Errichtung von Verbrennungsanlagen mit Verwertung von Siedlungsabfällen und vergleichbaren Abfällen zu deckenden verbleibenden Bedarfs) vom 10. August 2016 (GURI Nr. 233 vom 5. Oktober 2016; im Folgenden: Dekret vom 10. August 2016).

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 SUP-Richtlinie

3        Die Erwägungsgründe 4 und 15 bis 18 der SUP-Richtlinie lauten:

„(4)      Die Umweltprüfung ist ein wichtiges Werkzeug zur Einbeziehung von Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme bestimmter Pläne und Programme, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt in den Mitgliedstaaten haben können. Denn sie gewährleistet, dass derartige Auswirkungen aus der Durchführung von Plänen und Programmen bei der Ausarbeitung und vor der Annahme berücksichtigt werden.

(15)      Um zu einer transparenteren Entscheidungsfindung beizutragen und die Vollständigkeit und Zuverlässigkeit der für die Prüfung bereitgestellten Informationen zu gewährleisten, ist es notwendig, die in ihrem umweltbezogenen Aufgabenbereich betroffenen Behörden und die Öffentlichkeit während der Prüfung von Plänen oder Programmen zu konsultieren und angemessene Fristen festzulegen, die genügend Zeit für Konsultationen, einschließlich der Abgabe von Stellungnahmen, lassen.

(16)      Hat die Durchführung eines in einem Mitgliedstaat ausgearbeiteten Plans oder Programms voraussichtlich erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt anderer Mitgliedstaaten, so sollte dafür gesorgt werden, dass die betreffenden Mitgliedstaaten Konsultationen aufnehmen und dass die betroffenen Behörden und die Öffentlichkeit informiert werden und die Möglichkeit erhalten, Stellung zu nehmen.

(17)      Der Umweltbericht und die Stellungnahmen der betroffenen Behörden und der Öffentlichkeit sowie die Ergebnisse einer grenzüberschreitenden Konsultation sollten bei der Ausarbeitung des Plans oder Programms und vor dessen Annahme oder vor dessen Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren Berücksichtigung finden.

(18)      Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass die betroffenen Behörden und die Öffentlichkeit von der Annahme eines Plans oder Programms in Kenntnis gesetzt und ihnen relevante Informationen zugänglich gemacht werden.“

4        Art. 1 („Ziele“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Ziel dieser Richtlinie ist es, im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und dazu beizutragen, dass Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme von Plänen und Programmen einbezogen werden, indem dafür gesorgt wird, dass bestimmte Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, entsprechend dieser Richtlinie einer Umweltprüfung unterzogen werden.“

5        Art. 2 der Richtlinie lautet:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚Pläne und Programme‘ Pläne und Programme, einschließlich der von der Europäischen [Union] mitfinanzierten, sowie deren Änderungen,

–        die von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und/oder angenommen werden oder die von einer Behörde für die Annahme durch das Parlament oder die Regierung im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden und

–        die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen;

b)      ‚Umweltprüfung‘ die Ausarbeitung eines Umweltberichts, die Durchführung von Konsultationen, die Berücksichtigung des Umweltberichts und der Ergebnisse der Konsultationen bei der Entscheidungsfindung und die Unterrichtung über die Entscheidung gemäß den Artikeln 4 bis 9;

…“

6        In Art. 3 („Geltungsbereich“) der SUP-Richtlinie heißt es:

„(1)      Die unter die Absätze 2 bis 4 fallenden Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, werden einer Umweltprüfung nach den Artikeln 4 bis 9 unterzogen.

(2)      Vorbehaltlich des Absatzes 3 wird eine Umweltprüfung bei allen Plänen und Programmen vorgenommen,

a)      die in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energie, Industrie, Verkehr, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommunikation, Fremdenverkehr, Raumordnung oder Bodennutzung ausgearbeitet werden und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der Richtlinie [85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 1985, L 175, S. 40)] aufgeführten Projekte gesetzt wird oder

b)      bei denen angesichts ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf Gebiete eine Prüfung nach Artikel 6 oder 7 der Richtlinie 92/43/EWG für erforderlich erachtet wird.

…“

7        Art. 4 Abs. 1 der SUP-Richtlinie sieht vor:

„Die Umweltprüfung nach Artikel 3 wird während der Ausarbeitung und vor der Annahme eines Plans oder Programms oder dessen Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren durchgeführt.“

8        Art. 6 („Konsultationen“) Abs. 2 der Richtlinie bestimmt:

„Den Behörden … und der Öffentlichkeit … wird innerhalb ausreichend bemessener Fristen frühzeitig und effektiv Gelegenheit gegeben, vor der Annahme des Plans oder Programms oder seiner Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren zum Entwurf des Plans oder Programms sowie zum begleitenden Umweltbericht Stellung zu nehmen.“

 Abfallrichtlinie

9        Die Erwägungsgründe 6, 8, 28 und 31 der Abfallrichtlinie lauten:

„(6)      Das oberste Ziel jeder Abfallpolitik sollte darin bestehen, die nachteiligen Auswirkungen der Abfallerzeugung und ‑bewirtschaftung auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu minimieren. Die Abfallpolitik sollte auch auf die Verringerung der Nutzung von Ressourcen abzielen und die praktische Umsetzung der Abfallhierarchie fördern.

(8)      Es ist somit notwendig, die Richtlinie 2006/12/EG zu überarbeiten, um die Definition von Schlüsselbegriffen wie Abfall, Verwertung und Beseitigung zu klären, die Maßnahmen zur Abfallvermeidung zu stärken, ein Konzept einzuführen, das den gesamten Lebenszyklus von Produkten und Stoffen und nicht nur die Abfallphase berücksichtigt, sowie den Schwerpunkt auf die Reduzierung der Umweltauswirkungen von Abfallerzeugung und ‑bewirtschaftung zu setzen, wodurch der wirtschaftliche Wert von Abfall erhöht wird. Darüber hinaus sollten die Verwertung von Abfällen sowie die Verwendung verwerteter Materialien zur Erhaltung der natürlichen Rohstoffquellen gefördert werden. Im Interesse der Klarheit und Lesbarkeit sollte die Richtlinie 2006/12/EG aufgehoben und durch eine neue Richtlinie ersetzt werden.

(28)      Diese Richtlinie sollte dazu beitragen, die EU dem Ziel einer ‚Recycling-Gesellschaft‘ näher zu bringen, indem die Erzeugung von Abfall vermieden und Abfall als Ressource verwendet wird. Insbesondere werden in dem Sechsten Umweltaktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft Maßnahmen zur Sicherstellung der Getrennthaltung am Anfallort, der Sammlung und des Recyclings vorrangiger Abfallströme gefordert. Im Einklang mit diesem Ziel und zur Erleichterung oder Verbesserung des Verwertungspotenzials von Abfällen sollten diese getrennt gesammelt werden, falls dies technisch, ökologisch und wirtschaftlich durchführbar ist, bevor sie Verwertungsverfahren unterzogen werden, die insgesamt das beste Ergebnis hinsichtlich des Umweltschutzes erbringen. Die Mitgliedstaaten sollten die Trennung gefährlicher Bestandteile von Abfallströmen fördern, wenn das notwendig ist, um eine umweltverträgliche Bewirtschaftung zu erreichen.

(31)      Die Abfallhierarchie legt im Allgemeinen eine Prioritätenfolge dafür fest, was ökologisch gesehen die insgesamt beste abfallrechtliche und abfallpolitische Option ist; bei bestimmten Abfallströmen kann jedoch ein Abweichen von dieser Hierarchie erforderlich sein, wenn Gründe wie etwa die technische Durchführbarkeit oder wirtschaftliche Vertretbarkeit und der Umweltschutz dies rechtfertigen.“

10      Kapitel I („Gegenstand, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie enthält deren Art. 1 bis 7. Art. 1 hat folgenden Wortlaut:

„Mit dieser Richtlinie werden Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit festgelegt, indem die schädlichen Auswirkungen der Erzeugung und Bewirtschaftung von Abfällen vermieden oder verringert, die Gesamtauswirkungen der Ressourcennutzung reduziert und die Effizienz der Ressourcennutzung verbessert werden.“

11      Art. 4 („Abfallhierarchie“) der Abfallrichtlinie bestimmt:

„(1)      Folgende Abfallhierarchie liegt den Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen im Bereich der Abfallvermeidung und ‑bewirtschaftung als Prioritätenfolge zugrunde:

a)      Vermeidung[,]

b)      Vorbereitung zur Wiederverwendung,

c)      Recycling,

d)      sonstige Verwertung, z. B. energetische Verwertung,

e)      Beseitigung.

(2)      Bei Anwendung der Abfallhierarchie nach Absatz 1 treffen die Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Förderung derjenigen Optionen, die insgesamt das beste Ergebnis unter dem Aspekt des Umweltschutzes erbringen. Dies kann erfordern, dass bestimmte Abfallströme von der Abfallhierarchie abweichen, sofern dies durch Lebenszyklusdenken hinsichtlich der gesamten Auswirkungen der Erzeugung und Bewirtschaftung dieser Abfälle gerechtfertigt ist.

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Entwicklung von Abfallrecht und Abfallpolitik vollkommen transparent durchgeführt wird, wobei die bestehenden nationalen Regeln über die Konsultation und Beteiligung der Bürger und der beteiligten Kreise beachtet werden.

Die Mitgliedstaaten berücksichtigen die allgemeinen Umweltschutzgrundsätze der Vorsorge und der Nachhaltigkeit, der technischen Durchführbarkeit und der wirtschaftlichen Vertretbarkeit, des Schutzes von Ressourcen, und die Gesamtauswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit sowie die wirtschaftlichen und sozialen Folgen gemäß den Artikeln 1 und 13.“

12      Kapitel II („Allgemeine Vorschriften“) dieser Richtlinie enthält u. a. deren Art. 13 („Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt“), der Folgendes vorsieht:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Abfallbewirtschaftung ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung der Umwelt erfolgt und insbesondere

a)      ohne Gefährdung von Wasser, Luft, Boden, Tieren und Pflanzen,

b)      ohne Verursachung von Geräusch- oder Geruchsbelästigungen und

c)      ohne Beeinträchtigung der Landschaft oder von Orten von besonderem Interesse.“

 Italienisches Recht

13      Das Decreto-legge n. 133 (Gesetzesdekret Nr. 133) vom 12. September 2014 (GURI Nr. 212 vom 12. September 2014), durch das Gesetz Nr. 164 vom 11. November 2014 (GURI Nr. 262 vom 11. November 2014) mit Änderungen in ein Gesetz umgewandelt (im Folgenden: Gesetzesdekret Nr. 133/2014), bestimmt in Art. 35 Abs.1:

„Innerhalb von 90 Tagen ab dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umwandlung des vorliegenden Dekrets bestimmt der Präsident des Ministerrats auf Vorschlag des Ministers für Umwelt und Landschafts- und Meeresschutz nach Anhörung des ständigen Ausschusses für die Beziehungen zwischen dem Staat, den Regionen und den autonomen Provinzen Trient und Bozen mit eigenem Dekret auf nationaler Ebene die Gesamtbehandlungskapazität der Verbrennungsanlagen für Siedlungsabfälle und vergleichbare Abfälle, die im Inland in Betrieb oder genehmigt sind, mit ausdrücklicher Angabe der Kapazität jeder Anlage, sowie die Verbrennungsanlagen mit energetischer Verwertung von Siedlungsabfällen und vergleichbaren Abfällen, die zur Deckung des festgestellten verbleibenden Bedarfs zu errichten sind, mit dem Zweck der schrittweisen Wiederherstellung des sozioökonomischen Gleichgewichts zwischen den Gebieten des Landes, im Einklang mit den Zielen der getrennten Sammlung und des Recyclings von Abfällen und unter Berücksichtigung der regionalen Planung. Die auf diese Weise bestimmten Anlagen stellen strategische Infrastrukturen und Einrichtungen von vorrangigem nationalem Interesse dar, setzen ein integriertes und modernes System der Bewirtschaftung von Siedlungsabfällen und vergleichbaren Abfällen um, stellen die nationale Sicherheit sowie die Entsorgungsautarkie sicher, gestatten es, Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung der Unionsvorschriften in dem Bereich abzuschließen bzw. die Einleitung weiterer solcher Verfahren zu verhindern, und beschränken die Ablagerung von Abfällen auf Deponien“.

14      Auf der Grundlage dieser Bestimmung wurde das Dekret vom 10. August 2016 erlassen.

15      Art. 1 („Gegenstand“) des Dekrets vom 10. August 2016 lautet wie folgt:

„Im Sinne von Art. 35 Abs. 1 des [Gesetzesdekrets Nr. 133/2014] hat das vorliegende Dekret folgenden Gegenstand:

a)      die Bestimmung der tatsächlichen nationalen Behandlungskapazität der Verbrennungsanlagen für Siedlungsabfälle und vergleichbare Abfälle, die im November 2015 in Betrieb sind;

b)      die Bestimmung der potenziellen nationalen Behandlungskapazität der Verbrennungsanlagen für Siedlungsabfälle und vergleichbare Abfälle, die im November 2015 genehmigt, aber nicht in Betrieb sind;

c)      die Bestimmung der Verbrennungsanlagen mit energetischer Verwertung von Siedlungsabfällen und vergleichbaren Abfällen für Großräume und für Regionen, die zur Deckung des nationalen verbleibenden Bedarfs hinsichtlich der Behandlung dieser Abfälle zu errichten oder auszubauen sind.“

16      Die Art. 3 bis 5 des Dekrets vom 10. August 2016 enthalten Tabellen zur Bestimmung von drei Anlagenkategorien, nämlich die in Betrieb befindlichen Verbrennungsanlagen mit Angabe der genehmigten Behandlungskapazität und derjenigen für die Behandlung der Siedlungsabfälle und vergleichbaren Abfälle (Tabelle A), die nicht in Betrieb befindlichen genehmigten Verbrennungsanlagen mit Angabe der potenziellen Behandlungskapazität und des Standorts nach Regionen (Tabelle B) sowie die unter Berücksichtigung der regionalen Planung zu errichtenden oder auszubauenden Anlagen (Tabelle C). Für jede dieser drei Kategorien sind in der jeweiligen Tabelle auch die nationale Gesamtbehandlungskapazität der im November 2015 betriebenen Verbrennungsanlagen für Abfälle (Tabelle A), die potenzielle nationale Behandlungskapazität der zu diesem Zeitpunkt genehmigten, aber nicht betriebenen Verbrennungsanlagen (Tabelle B) sowie die Regionen, in denen die zur Deckung des nationalen Bedarfs erforderlichen Anlagen zu errichten oder auszubauen sind, samt der jeweiligen Kapazitäten (Tabelle C) angegeben.

17      Art. 6 („Schlussbestimmungen“) des Dekrets vom 10. August 2016 lautet:

„(1)      … stellen die in den Tabellen A, B und C angeführten Anlagen strategische Infrastrukturen und Einrichtungen von vorrangigem nationalem Interesse dar und verwirklichen ein integriertes und modernes System der Bewirtschaftung von Siedlungsabfällen und vergleichbaren Abfällen, wobei sie die nationale Sicherheit durch die Entsorgungsautarkie des integrierten Abfallbewirtschaftungszyklus, wie von Art. 16 der [Abfallrichtlinie] vorgeschrieben, sicherstellen.

(2)      Zur Sicherstellung der nationalen Sicherheit und der Entsorgungsautarkie sowie in Einhaltung der Ziele der schrittweisen Wiederherstellung des sozioökonomischen Gleichgewichts zwischen den Gebieten des Landes … werden die geringeren Kapazitäten zur Behandlung von Siedlungsabfällen und vergleichbaren Abfällen der Verbrennungsanlagen aufgrund der in Abs. 6 vorgesehenen Maßnahmen innerhalb eines Großraums nach den in Anhang III angeführten allgemeinen Kriterien und Bestimmungsverfahren umverteilt.“

18      In den drei Anhängen des Dekrets vom 10. August 2016 werden die Modalitäten zur Bestimmung der in den drei Tabellen A, B und C angeführten Kategorien angegeben. Im Detail enthält Anhang I die Kriterien zur Bestimmung der tatsächlichen nationalen Behandlungskapazität der im November 2015 betriebenen bzw. zu diesem Zeitpunkt genehmigten, aber nicht betriebenen Verbrennungsanlagen für Siedlungsabfälle und vergleichbare Abfälle. Anhang II enthält die Bedingungen für die Bestimmung des verbleibenden Bedarfs hinsichtlich der Verbrennung von Siedlungsabfällen und vergleichbaren Abfällen samt Erläuterung der Berechnung für jede einzelne Region. In Anhang III finden sich ferner die in Art. 35 Abs. 1 des Gesetzesdekrets Nr. 133/2014 vorgesehenen „allgemeinen Kriterien“ zur Bestimmung der zur Deckung des nationalen verbleibenden Bedarfs hinsichtlich der Verbrennung von Siedlungsabfällen und vergleichbaren Abfällen zu errichtenden oder auszubauenden Anlagen.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

19      Der Vorlageentscheidung lässt sich entnehmen, dass die Vereinigungen VAS und Movimento Legge Rifiuti Zero per l’Economia Circolare beim vorlegenden Gericht, dem Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionalverwaltungsgericht Latium, Italien), Klage auf Nichtigerklärung des Dekrets vom 10. August 2016 erhoben haben, mit der sie fünf Klagegründe geltend machen.

20      Diese Gründe können im Wesentlichen in zwei Hauptrügen zusammengefasst werden. Erstens sei gegen den in den Art. 4 und 13 der Abfallrichtlinie vorgesehenen Grundsatz der „Abfallhierarchie“ verstoßen worden, weil das Dekret vom 10. August 2016 Verbrennungsanlagen als „strategische Infrastrukturen und Einrichtungen von vorrangigem nationalem Interesse“ eingestuft habe. Auf eine Verbrennung der Abfälle dürfe aber nur als ultima ratio zurückgegriffen werden, wenn keine Verwertungs- oder Recyclingtechnik möglich sei. Zweitens sei gegen die SUP-Richtlinie verstoßen worden, weil dem Erlass des genannten Dekrets keine Umweltauswirkungsprüfung vorangegangen sei.

21      Das vorlegende Gericht verweist darauf, dass die Beklagten des Ausgangsverfahrens im Stadium der Beweiserhebung lediglich Unterlagen und einen Bericht vorgelegt hätten, ohne Schriftsätze einzureichen. Demzufolge hätten sie sich zu ihrer Verteidigung darauf beschränkt, die Vereinbarkeit der innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht geltend zu machen.

22      Das vorlegende Gericht hält zum einen eine Auslegung des Grundsatzes der „Abfallhierarchie“ im Sinne der Abfallrichtlinie durch den Gerichtshof für erforderlich. Zum anderen stellt es die Frage, ob die nationale Behörde ohne vorherige Umweltprüfung die Kapazitäten der Abfallverbrennungsanlagen erhöhen durfte.

23      In diesem Zusammenhang hat das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionalverwaltungsgericht Latium) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stehen die Art. 4 und 13 der Abfallrichtlinie in Verbindung mit ihren Erwägungsgründen 6, 8, 28 und 31 einer primären nationalen Rechtsvorschrift und der mit ihr zusammenhängenden sekundären Umsetzungsvorschrift – wie Art. 35 Abs. 1 des Gesetzesdekrets Nr. 133/2014 und das Dekret vom 10. August 2016 – entgegen, soweit diese nur die dort angeführten Verbrennungsanlagen nach den Anhängen und Tabellen des Dekrets vom 10. August 2016 als strategische Infrastrukturen und Einrichtungen von vorrangigem nationalem Interesse einstufen, die ein integriertes und modernes System der Bewirtschaftung von Siedlungsabfällen und vergleichbaren Abfällen umsetzen und die die nationale Sicherheit durch die Entsorgungsautarkie sicherstellen, da eine ähnliche Einstufung vom nationalen Gesetzgeber nicht auch den Abfallbehandlungsanlagen zuerkannt wurde, die dem Recycling und der Wiederverwendung dienen, obwohl diese beiden Modalitäten in der Abfallhierarchie nach der Abfallrichtlinie vorrangig sind?

2.      Hilfsweise, wenn die vorige Frage verneint wird: Stehen die Art. 4 und 13 der Abfallrichtlinie einer primären nationalen Rechtsvorschrift und der mit ihr zusammenhängenden sekundären Umsetzungsvorschrift – wie Art. 35 Abs. 1 des Gesetzesdekrets Nr. 133/2014 und das Dekret vom 10. August 2016 – entgegen, soweit diese die Verbrennungsanlagen für Siedlungsabfälle als strategische Infrastrukturen und Einrichtungen von vorrangigem nationalem Interesse einstufen, um weitere Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung der Unionsvorschriften in dem Bereich zu überwinden und zu verhindern und um die Ablagerung von Abfällen auf Deponien zu beschränken?

3.      Stehen die Art. 2 bis 4 und 6 bis 12 der SUP-Richtlinie, auch in Verbindung miteinander, der Anwendung einer primären nationalen Rechtsvorschrift und der mit ihr zusammenhängenden sekundären Umsetzungsvorschrift – wie Art. 35 Abs. 1 des Gesetzesdekrets Nr. 133/2014 und das Dekret vom 10. August 2016 – entgegen, nach denen der Präsident des Ministerrats mit eigenem Dekret die Kapazität der bestehenden Verbrennungsanlagen erhöhen sowie die Anzahl, die Kapazität und den regionalen Standort der Verbrennungsanlagen mit energetischer Verwertung von Siedlungsabfällen und vergleichbaren Abfällen bestimmen kann, die zur Deckung des festgestellten verbleibenden Bedarfs zu errichten sind, mit dem Zweck der schrittweisen Wiederherstellung des sozioökonomischen Gleichgewichts zwischen den Gebieten des Landes und im Einklang mit den Zielen der getrennten Sammlung und des Recyclings von Abfällen, ohne dass nach dieser nationalen Vorschrift in der Phase der Erstellung dieses aus dem Dekret des Ministerratspräsidenten hervorgehenden Plans die Regelung über die strategische Umweltprüfung, wie von der angeführten SUP-Richtlinie vorgesehen, anzuwenden ist?

24      Mit Beschluss vom 3. Juli 2018, Associazione Verdi Ambiente e Società – Aps Onlus u. a. (C‑305/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:549), hat der Präsident des Gerichtshofs den Antrag des vorlegenden Gerichts auf Behandlung der vorliegenden Rechtssache im beschleunigten Verfahren nach Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zurückgewiesen.

 Zu den Vorlagefragen

 Zu den ersten beiden Fragen

25      Mit seinen ersten beiden Fragen, die im Folgenden gemeinsam behandelt werden, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Grundsatz der „Abfallhierarchie“ nach Art. 4 der Abfallrichtlinie im Licht ihres Art. 13 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie jener im Ausgangsverfahren entgegensteht, die Abfallverbrennungsanlagen als „strategische Infrastrukturen und Einrichtungen von vorrangigem nationalem Interesse“ einstuft.

26      Die Zweifel des vorlegenden Gerichts scheinen dem Umstand geschuldet zu sein, dass im Dekret vom 10. August 2016 keine derartige Einstufung für Abfallbehandlungsanlagen vorgenommen wurde, die dem Recycling und der Wiederverwendung dienen, während Art. 4 der Abfallrichtlinie die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, in ihren Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen im Bereich der Abfallvermeidung und ‑bewirtschaftung eine Hierarchie der Behandlungsarten anzuwenden.

27      Art. 4 Abs. 1 der Abfallrichtlinie bestimmt, dass „[f]olgende Abfallhierarchie … den Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen im Bereich der Abfallvermeidung und ‑bewirtschaftung als Prioritätenfolge zugrunde [liegt]: a) Vermeidung[,] b) Vorbereitung zur Wiederverwendung, c) Recycling, d) sonstige Verwertung, z. B. energetische Verwertung, e) Beseitigung“.

28      Dieser Bestimmung, die die Abfallhierarchie festlegt, die den Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen im Bereich der Abfallvermeidung und ‑bewirtschaftung zugrunde zu legen ist, ist nicht zu entnehmen, dass einem System, das es Abfallerzeugern ermöglicht, die Abfallbeseitigung selbst durchzuführen, Vorrang einzuräumen wäre. Die Abfallbeseitigung steht in dieser Hierarchie nämlich erst an letzter Stelle (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2014, SETAR, C‑551/13, EU:C:2014:2467, Rn. 44).

29      Dem ist hinzuzufügen, dass die Abfallhierarchie ein Ziel darstellt, das den Mitgliedstaaten insofern ein Ermessen belässt, als diese nicht zur Auswahl einer bestimmten Vermeidungs- und Bewirtschaftungslösung verpflichtet werden.

30      So treffen die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 2 der Abfallrichtlinie bei der Umsetzung des Grundsatzes der „Abfallhierarchie“ Maßnahmen zur Förderung derjenigen Optionen, die insgesamt das beste Ergebnis unter dem Aspekt des Umweltschutzes erbringen. Dies kann erfordern, dass bestimmte Abfallströme von der Abfallhierarchie abweichen, sofern dies durch Lebenszyklusdenken hinsichtlich der gesamten Auswirkungen der Erzeugung und Bewirtschaftung dieser Abfälle gerechtfertigt ist.

31      Im Übrigen treffen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 13 der Abfallrichtlinie die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Abfallbewirtschaftung ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung der Umwelt und insbesondere ohne Gefährdung von Wasser, Luft, Boden, Tieren und Pflanzen erfolgt.

32      Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass dieser Art. 13 die Maßnahmen, die getroffen werden müssen, um sicherzustellen, dass Abfälle ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung der Umwelt bewirtschaftet werden, zwar inhaltlich nicht genau festlegt, er aber für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, wobei er ihnen allerdings ein Ermessen bei der Beurteilung der Erforderlichkeit solcher Maßnahmen belässt (Urteil vom 6. April 2017, Kommission/Slowenien, C‑153/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:275, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Im vorliegenden Fall bedeutet der Umstand, dass eine nationale Regelung wie jene im Ausgangsverfahren Abfallverbrennungsanlagen als „strategische Infrastrukturen und Einrichtungen von vorrangigem nationalem Interesse“ einstuft, nicht, dass der nationale Gesetzgeber die Absicht gehabt hätte, den aus dem in der Abfallrichtlinie vorgesehenen Grundsatz der „Abfallhierarchie“ resultierenden Vorgaben nicht zu folgen.

34      Zum einen gilt nämlich diese innerstaatliche Einstufung nach den Ausführungen der Kläger des Ausgangsverfahrens nur für diese Anlagen.

35      Aus dem Umstand, dass eine nationale Rechtsvorschrift Abfallverbrennungsanlagen als „vorrangig“ einstuft, kann nicht geschlossen werden, dass den dort stattfindenden Behandlungsvorgängen dieselbe Eigenschaft zukommen würde und dass diesen Vorgängen folglich irgendeine Art von Vorrang gegenüber den anderen Abfallvermeidungs- und ‑bewirtschaftungsmethoden eingeräumt würde.

36      Zum anderen zielt diese Einstufung, wie die italienische Regierung geltend macht, auf die Rationalisierung und Vereinfachung des Ablaufs des Zulassungsverfahrens ab, um das in früheren Urteilen des Gerichtshofs vom 26. April 2007, Kommission/Italien (C‑135/05, EU:C:2007:250), vom 14. Juni 2007, Kommission/Italien (C‑82/06, nicht veröffentlicht, EU:C:2007:349), vom 4. März 2010, Kommission/Italien (C‑297/08, EU:C:2010:115), vom 15. Oktober 2014, Kommission/Italien (C‑323/13, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:2290), vom 2. Dezember 2014, Kommission/Italien (C‑196/13, EU:C:2014:2407), sowie vom 16. Juli 2015, Kommission/Italien (C‑653/13, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:478), festgestellte Fehlen eines geeigneten nationalen Abfallbewirtschaftungsnetzes abzumildern.

37      Nach Art. 260 Abs. 1 AEUV hat nämlich ein Mitgliedstaat, wenn der Gerichtshof der Europäischen Union feststellt, dass er gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat, die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben.

38      Ferner steht es zwar den Mitgliedstaaten frei, die geeignetsten Mittel zur Umsetzung des Grundsatzes der „Abfallhierarchie“ zu wählen, jedoch müssen sie sich an die übrigen Bestimmungen der Abfallrichtlinie halten, die speziellere Verpflichtungen vorsehen.

39      Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die ersten beiden Fragen zu antworten, dass der Grundsatz der „Abfallhierarchie“ nach Art. 4 der Abfallrichtlinie im Licht ihres Art. 13 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie jener im Ausgangsverfahren nicht entgegensteht, die Abfallverbrennungsanlagen als „strategische Infrastrukturen und Einrichtungen von vorrangigem nationalem Interesse“ einstuft, sofern diese Regelung mit den übrigen Bestimmungen dieser Richtlinie im Einklang steht, die speziellere Verpflichtungen vorsehen.

 Zur dritten Frage

40      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die SUP-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass eine aus einer Grundregelung und einer Durchführungsregelung bestehende nationale Regelung wie jene im Ausgangsverfahren, die eine Erhöhung der Kapazität der bestehenden Abfallverbrennungsanlagen festlegt und die Errichtung neuer derartiger Anlagen vorsieht, unter den Begriff der „Pläne und Programme“ im Sinne dieser Richtlinie, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, fällt und folglich einer vorherigen Umweltprüfung zu unterziehen ist.

41      Im vorliegenden Fall lässt sich der Vorlageentscheidung entnehmen, dass die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung die Erhöhung der Betriebskapazitäten von 40 der 42 bestehenden und in Betrieb befindlichen Abfallverbrennungsanlagen im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats sowie die Errichtung neuer derartiger Anlagen zum Gegenstand hat. Mit dieser nationalen Regelung werden die strategischen Entscheidungen eines Mitgliedstaats im Bereich der Abfallverwertung bzw. ‑beseitigung wie die Berechnung des verbleibenden nationalen Bedarfs mit 1 818 000 Tonnen pro Jahr und dessen Verteilung auf die Großräume, die Erhöhung der Aktivität der bestehenden Anlagen bis zur Erschöpfung ihrer jeweiligen genehmigten Kapazität sowie die regionalen Standorte der neuen Anlagen umgesetzt.

42      Festzustellen ist, ob diese Regelung in den Geltungsbereich der SUP-Richtlinie fällt.

43      Diesbezüglich sieht Art. 3 der Richtlinie vor, dass bestimmte Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, einer Umweltprüfung zu unterziehen sind.

44      Art. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie definiert diese „Pläne und Programme“ als solche, die zwei kumulative Bedingungen erfüllen. Zum einen müssen sie von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und/oder angenommen werden oder von einer Behörde für die Annahme durch das Parlament oder die Regierung im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden, und zum anderen müssen sie aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden.

45      Der Gerichtshof hat diese Bestimmung dahin ausgelegt, dass im Sinne und zur Anwendung der SUP-Richtlinie als Pläne und Programme, die „erstellt werden müssen“ und deren Umweltauswirkungen somit unter den in der Richtlinie festgelegten Voraussetzungen einer Prüfung zu unterziehen sind, jene Pläne und Programme anzusehen sind, deren Erlass in nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften geregelt ist, die die insoweit zuständigen Behörden und das Ausarbeitungsverfahren festlegen (Urteil vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass das Dekret vom 10. August 2016 diese beiden Bedingungen erfüllt, da es vom Präsidenten des Ministerrats auf der Grundlage von Art. 35 des Gesetzesdekrets Nr. 133/2014 erlassen wurde.

47      Ferner werden gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie Pläne und Programme einer systematischen Umweltprüfung unterzogen, die in bestimmten Bereichen ausgearbeitet werden und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der die Richtlinie 85/337 aufhebenden Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1; im Folgenden: UVP-Richtlinie) aufgeführten Projekte gesetzt wird.

48      Erstens findet sich die Abfallwirtschaft unter den in dieser Bestimmung aufgezählten Bereichen, so dass das erste dieser Kriterien erfüllt ist.

49      Zweitens werden Abfallbeseitigungsanlagen zur Verbrennung von Abfällen und ihre Änderungen oder Erweiterungen in den Nrn. 9, 10 und 24 des Anhangs I der UVP-Richtlinie sowie, wenn sie nicht von den soeben genannten Kategorien erfasst werden, in Nr. 11 Buchst. b des Anhangs II der UVP-Richtlinie genannt.

50      Hinsichtlich der Frage, ob eine nationale Regelung wie jene im Ausgangsverfahren den Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten setzt, ist darauf hinzuweisen, dass sich der Begriff „Pläne und Programme“ nach ständiger Rechtsprechung auf jeden Rechtsakt bezieht, der dadurch, dass er die in dem betreffenden Bereich anwendbaren Regeln und Verfahren zur Kontrolle festlegt, eine signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten für die Genehmigung und Durchführung eines oder mehrerer Projekte aufstellt, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben (Urteile vom 27. Oktober 2016, D’Oultremont u. a., C‑290/15, EU:C:2016:816, Rn. 49, vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 53, sowie vom 7. Juni 2018, Thybaut u. a., C‑160/17, EU:C:2018:401, Rn. 54).

51      Der Begriff „signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten“ ist dabei qualitativ zu verstehen. Es sollen nämlich mögliche Strategien zur Umgehung der in der SUP-Richtlinie genannten Verpflichtungen, die die Maßnahmen zerstückeln könnten und so die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie verringern, vermieden werden (Urteile vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 55, sowie vom 7. Juni 2018, Thybaut u. a., C‑160/17, EU:C:2018:401, Rn. 55).

52      Diese Auslegung des Begriffspaars „Pläne und Programme“, die nicht nur ihre Ausarbeitung, sondern auch ihre Änderung einschließt, soll die Umweltprüfung von Vorgaben sicherstellen, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 54 und 58).

53      Es obliegt dem vorlegenden Gericht, anhand der in den Rn. 50 bis 52 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zu prüfen, ob eine nationale Regelung wie jene im Ausgangsverfahren den Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten setzt.

54      Sollte dies der Fall sein, wäre festzustellen, dass diese Regelung, deren Gegenstand in Rn. 41 des vorliegenden Urteils wiedergegeben wurde, voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen hat, was vom vorlegenden Gericht zu überprüfen wäre.

55      Darüber hinaus lässt die Erhöhung der Betriebskapazitäten der Abfallverbrennungsanlagen bezweifeln, dass die zuvor zur Genehmigung der Inbetriebnahme der bestehenden Verbrennungsanlagen vorgenommenen Prüfungen ausreichten, worauf auch das vorlegende Gericht hinweist.

56      Der Umstand, dass später im Stadium der Planung auf regionaler Ebene eine Umweltprüfung im Sinne der SUP-Richtlinie erfolgt, hat keine Auswirkung auf die Anwendbarkeit der Bestimmungen über eine solche Prüfung. Eine Prüfung der Umweltauswirkungen nach der UVP-Richtlinie kann nämlich nicht von der Pflicht zur Vornahme der Umweltprüfung entbinden, die die SUP-Richtlinie verlangt, damit ihren spezifischen Umweltaspekten Rechnung getragen wird (Urteil vom 7. Juni 2018, Thybaut u. a., C‑160/17, EU:C:2018:401, Rn. 64).

57      Des Weiteren kann jedenfalls dem Einwand der italienischen Regierung nicht gefolgt werden, dass die im Ausgangsverfahren fragliche innerstaatliche Regelung nur einen Referenzrahmen bilde und daher die zweite Bedingung des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie nicht erfüllt sei. Der Umstand, dass eine nationale Regelung ein gewisses Abstraktionsniveau aufweist und das Ziel einer Umgestaltung des bestehenden Rahmens verfolgt, zeugt nämlich von ihrer programmatischen bzw. planerischen Dimension und hindert ihre Einbeziehung in den Begriff „Pläne und Programme“ nicht (Urteil vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 60 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Diese Auslegung findet zum einen eine Stütze in den aus Art. 6 der SUP-Richtlinie im Licht ihrer Erwägungsgründe 15 bis 18 resultierenden Anforderungen, da diese Richtlinie nicht nur auf einen Beitrag zum Umweltschutz abzielt, sondern auch auf die Ermöglichung der Teilnahme der Öffentlichkeit an der Entscheidungsfindung. Zum anderen lässt sich Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie entnehmen, dass „[d]ie Umweltprüfung … während der Ausarbeitung und vor der Annahme eines Plans oder Programms oder dessen Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren durchgeführt [wird]“. Ebenso folgt aus Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie, dass die Umweltprüfung so früh wie möglich durchgeführt werden sollte, damit ihre Ergebnisse etwaige Entscheidungen noch beeinflussen können. In diesem Stadium können nämlich die verschiedenen Optionen analysiert und die strategischen Entscheidungen getroffen werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Oktober 2011, Seaport [NI] u. a., C‑474/10, EU:C:2011:681, Rn. 45, sowie vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 63).

59      Angesichts dieser Umstände, deren Vorliegen und Tragweite im Hinblick auf die betreffende Regelung vom vorlegenden Gericht zu beurteilen sein werden, ist davon auszugehen, dass eine nationale Regelung zur Erhöhung der Kapazität der bestehenden Abfallverbrennungsanlagen und Schaffung neuer derartiger Anlagen wie jene im Ausgangsverfahren unter den Begriff der „Pläne und Programme“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und 2 der SUP-Richtlinie fallen kann, die einer Umweltprüfung zu unterziehen sind.

60      Folglich ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. a sowie Art. 3 Abs. 1 und 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie dahin auszulegen sind, dass eine aus einer Grundregelung und einer Durchführungsregelung bestehende nationale Regelung wie jene im Ausgangsverfahren, die eine Erhöhung der Kapazität der bestehenden Abfallverbrennungsanlagen festlegt und die Errichtung neuer derartiger Anlagen vorsieht, unter den Begriff der „Pläne und Programme“ im Sinne dieser Richtlinie fällt, wenn sie voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen hat, und somit einer vorherigen Umweltprüfung zu unterziehen ist.

 Kosten

61      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Der Grundsatz der „Abfallhierarchie“ nach Art. 4 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien ist im Licht ihres Art. 13 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie jener im Ausgangsverfahren nicht entgegensteht, die Abfallverbrennungsanlagen als „strategische Infrastrukturen und Einrichtungen von vorrangigem nationalem Interesse“ einstuft, sofern diese Regelung mit den übrigen Bestimmungen dieser Richtlinie im Einklang steht, die speziellere Verpflichtungen vorsehen.

2.      Art. 2 Buchst. a sowie Art. 3 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme sind dahin auszulegen, dass eine aus einer Grundregelung und einer Durchführungsregelung bestehende nationale Regelung wie jene im Ausgangsverfahren, die eine Erhöhung der Kapazität der bestehenden Abfallverbrennungsanlagen festlegt und die Errichtung neuer derartiger Anlagen vorsieht, unter den Begriff der „Pläne und Programme“ im Sinne dieser Richtlinie fällt, wenn sie voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen hat, und somit einer vorherigen Umweltprüfung zu unterziehen ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.