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Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy dla Warszawy-Woli w Warszawie (Polen), eingereicht am 11. Mai 2020 – MN, DN, JN, ZN/X Bank S.A.

(Rechtssache C-198/20)

Verfahrenssprache: Polnisch

Vorlegendes Gericht

Sąd Rejonowy dla Warszawy-Woli w Warszawie

Parteien des Ausgangsverfahrens

Kläger: MN, DN, JN, ZN

Beklagte: X Bank S.A.

Vorlagefragen

Sind Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13/EWG1 des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 4 sowie die folgenden Erwägungsgründe der Richtlinie 93/13:

–  Der Verbraucher muss bei mündlichen und bei schriftlichen Verträgen – bei letzteren unabhängig davon, ob die Klauseln in einem oder in mehreren Dokumenten enthalten sind – den gleichen Schutz genießen.

–  Die nach den generell festgelegten Kriterien erfolgende Beurteilung der Missbräuchlichkeit von Klauseln, insbesondere bei beruflichen Tätigkeiten des öffentlich-rechtlichen Bereichs, die ausgehend von einer Solidargemeinschaft der Dienstleistungsnehmer kollektive Dienste erbringen, muss durch die Möglichkeit einer globalen Bewertung der Interessenlagen der Parteien ergänzt werden. Diese stellt das Gebot von Treu und Glauben dar. Bei der Beurteilung von Treu und Glauben ist besonders zu berücksichtigen, welches Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien bestand, ob auf den Verbraucher in irgendeiner Weise eingewirkt wurde, seine Zustimmung zu der Klausel zu geben, und ob die Güter oder Dienstleistungen auf eine Sonderbestellung des Verbrauchers hin verkauft bzw. erbracht wurden. Dem Gebot von Treu und Glauben kann durch den Gewerbetreibenden Genüge getan werden, indem er sich gegenüber der anderen Partei, deren berechtigten Interessen er Rechnung tragen muss, loyal und billig verhält.

–  Die Verträge müssen in klarer und verständlicher Sprache abgefasst sein. Der Verbraucher muss tatsächlich die Möglichkeit haben, von allen Vertragsklauseln Kenntnis zu nehmen. Im Zweifelsfall ist die für den Verbraucher günstigste Auslegung anzuwenden.

im Licht der Rn. 16 und 21 des Urteils des Gerichtshofs vom 3. September 2015, Horațiu Ovidiu Costea/SC Volksbank România SA (C-110/14, ECLI:EU:C:2015:538), und der Nrn. 20 und 26 bis 33 der Schlussanträge des Generalanwalts Pedro Cruz Villalón vom 23. April 2015 [in dieser Rechtssache] (ECLI:EU:C:2015:271)

dahin auszulegen, dass der durch die Richtlinie 93/13 gewährte Verbraucherschutz jedem Verbraucher zugutekommt?

Oder kommt, wie Rn. 74 des Urteils des Gerichtshofs vom 30. April 2014, Árpád Kásler, Hajnalka Káslerné Rábai/OTP Jelzálogbank Zrt (C-26/13, ECLI:EU:C:2014:282), nahelegt, der Verbraucherschutz nur dem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher zugute? Mit anderen Worten: Kann ein nationales Gericht die Missbräuchlichkeit von Klauseln eines von jedwedem Verbraucher geschlossenen Vertrags feststellen oder kann es nur die Missbräuchlichkeit von Klauseln eines Vertrags feststellen, den ein Verbraucher geschlossen hat, der als normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher angesehen werden kann?

Für den Fall, dass die erste Frage dahin gehend beantwortet wird, dass der Verbraucherschutz nach der Richtlinie 93/13 nicht jedem Verbraucher zugutekommt, sondern nur dem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher: Kann ein Verbraucher, der einen Vertrag über ein an eine Fremdwährung gekoppeltes Hypothekendarlehen in Höhe von 150 000 PLN mit einer Laufzeit von 30 Jahren vor dem Vertragsschluss nicht gelesen hat, als normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher angesehen werden? Kann einem solchen Verbraucher der durch die Richtlinie 93/13 gewährte Verbraucherschutz zugutekommen?

Für den Fall, dass die erste Frage dahin gehend beantwortet wird, dass der Verbraucherschutz nach der Richtlinie 93/13 nicht jedem Verbraucher zugutekommt, sondern nur dem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher: Kann ein Verbraucher, der zwar den Entwurf eines Vertrags über ein an eine Fremdwährung gekoppeltes Hypothekendarlehen in Höhe von 150 000 PLN mit einer Laufzeit von 30 Jahren vor dem Vertragsschluss gelesen hat, diesen aber nicht ganz verstanden und trotzdem nicht versucht hat, seine Bedeutung vor dem Vertragsschluss zu verstehen, sich insbesondere nicht an die andere Vertragspartei – die Bank – mit der Bitte um Erklärung der Bedeutung des Vertrags bzw. einzelner Vertragsklauseln gewandt hat, als normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher angesehen werden? Kann einem solchen Verbraucher der durch die Richtlinie 93/13 gewährte Verbraucherschutz zugutekommen?

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1     ABl. 1993, L 95, S. 29.