Language of document : ECLI:EU:C:2022:86

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

10. Februar 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht – Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I) – Verbraucherverträge – Rechtswahl – Art. 6 Abs. 4 Buchst. c – Ausschluss von Verträgen, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben – Kaufverträge, die einen Pachtvertrag und einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen beinhalten und sich auf Bäume beziehen, die ausschließlich mit dem Ziel gepflanzt werden, sie zum Zwecke der Gewinnerzielung zu ernten“

In der Rechtssache C‑595/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 28. September 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 13. November 2020, in dem Verfahren

UE

gegen

ShareWood Switzerland AG,

VF

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Jääskinen sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und M. Gavalec,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von UE, vertreten durch Rechtsanwalt R. Mirfakhrai,

–        der ShareWood Switzerland AG und von VF, vertreten durch Rechtsanwalt S. Albiez,

–        der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch M. Wasmeier und M. Wilderspin, dann durch M. Wasmeier und W. Wils als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6, im Folgenden: Rom‑I-Verordnung).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen UE auf der einen Seite und der ShareWood Switzerland AG (im Folgenden: ShareWood) und VF auf der anderen Seite über deren Verpflichtung zur Zahlung eines Geldbetrags an UE aufgrund eines zwischen diesen Parteien geschlossenen Rahmenvertrags.

 Unionsrechtlicher Rahmen

3        Der siebte Erwägungsgrund der Rom‑I-Verordnung lautet:

„Der materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung sollten mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (‚Brüssel I‘) … [ABl. 2001, L 12, S. 1] und der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (‚Rom II‘) … [ABl. 2007, L 199, S. 40] im Einklang stehen.“

4        Art. 6 („Verbraucherverträge“) der Rom‑I-Verordnung bestimmt:

„(1)      Unbeschadet der Artikel 5 und 7 unterliegt ein Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (‚Verbraucher‘), mit einer anderen Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt (‚Unternehmer‘), dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer

a)      seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder

b)      eine solche Tätigkeit auf irgendeiner Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet

und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.

(2)      Ungeachtet des Absatzes 1 können die Parteien das auf einen Vertrag, der die Anforderungen des Absatzes 1 erfüllt, anzuwendende Recht nach Artikel 3 wählen. Die Rechtswahl darf jedoch nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Absatz 1 mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.

4.      Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für:

c)      Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben, mit Ausnahme der Verträge über Teilzeitnutzungsrechte an Immobilien im Sinne der Richtlinie 94/47/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien (ABl. 1994, L 280, S. 83)];

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

5        Zwischen Januar 2012 und Juni 2014 schloss UE, ein Verbraucher mit Wohnsitz in Österreich, mit ShareWood, einer Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz, einen Rahmenvertrag und vier Kaufverträge über den Erwerb von Teak- und Balsaholzbäumen in Brasilien.

6        Die vier Kaufverträge hatten 705 Teakbäume um 67 328,85 Euro, 2 690 Teakbäume um 101 716,53 Euro, 2 600 Teakbäume um 111 583,34 Euro und 1 860 Balsaholzbäume um 32 340 Euro zum Gegenstand. Der Rahmenvertrag enthielt ferner einen Pachtvertrag und einen Servicevertrag. Der Pachtvertrag vermittelte das Recht, die betreffenden Bäume wachsen zu lassen, der Pachtzins war im Kaufpreis enthalten. Der Servicevertrag sah vor, dass ShareWood die Bäume bewirtschaftet, verwaltet, erntet und verkauft und den Nettoerlös an UE überweist. Die Differenz zum Bruttoerlös bildete die als Prozentsatz des Erlöses definierte Vergütung für diese Leistungen von ShareWood.

7        Der Rahmenvertrag enthielt u. a. folgende Klauseln:

„3.1.      [ShareWood] verkauft die Bäume auf den Plantagen von [ShareWood] und [Sharewood do Brasil Reflorestadora Ltda] in eigenem Namen und auf eigene Rechnung an [UE]. Mit Bezahlung des Kaufpreises verpflichtet sich [ShareWood], das Eigentum an den Bäumen [UE] zu übertragen.

3.2.      [UE] kauft bereits gepflanzte und individualisierte Bäume. Die Individualisierung erfolgt bis zur Ernte und zum Verkauf mittels Bauminventar durch Baumnummer, Plotnummer, Parzellennummer und Plantagennummer.

4.2.      Als Bestätigung für den vollzogenen Kauf wird [UE] nach Zahlungseingang eine Baumurkunde mit den Individualisierungsmerkmalen der gekauften Bäume zugestellt.

7.      Landpacht

7.1.      Mit dem Kauf der Bäume pachtet [UE] gleichzeitig den entsprechenden Boden (vgl. Einzelvertrag)[,] solange die von [ShareWood] gekauften Bäume darauf stehen, längstens jedoch für die Dauer, die im Einzelvertrag spezifiziert ist. Die Pacht umfasst einzig das Recht, die gekauften Bäume wachsen zu lassen.

7.2.      Der Pachtzins ist im Kaufpreis inbegriffen.

7.3.      Die Pacht kann nur mit dem Weiterverkauf der Bäume übertragen werden. Die Unterverpachtung ist ausgeschlossen.

8.      Weiterverkauf der Bäume durch [UE]

8,1.      [UE] kann seine Bäume jederzeit mit oder ohne Servicevertrag einem Dritten verkaufen und diesem das Eigentum übertragen. [UE] verpflichtet sich, die entsprechende Landpacht dem Dritten zu übertragen und diese Verpflichtung dem Dritten zu überbinden.

9.      Werterhaltung der gekauften Bäume

9.1.      Zur Wertentwicklung und Werterhaltung empfiehlt [ShareWood] die Bäume regelmäßig zu pflegen. Diese Dienstleistung bietet [ShareWood] mit dem Servicevertrag an.

11.      Mit Servicevertrag

11.1.      Mit Abschluss eines Servicevertrags mit [ShareWood] erteilt [UE] [ShareWood] den Auftrag, die gekauften Bäume gemäß Plantagen-Management und unter Berücksichtigung der internationalen Standards über die nachhaltige Plantagenwirtschaft zu bewirtschaften, zu verwalten, zu pflegen, zu ernten, zu verkaufen und den Netto- Holzerlös aus dem Verkauf [UE] auf sein angegebenes Konto zu zahlen. [ShareWood] übernimmt zudem sämtliche Pflichten aus der Landpacht.

11.9.      Im Auftrag [von UE] entscheidet [ShareWood] unter Berücksichtigung des Plantagen-Managements, welche Bäume in welchem Jahre geerntet werden. Vor der Ernte informiert [ShareWood] [UE] entsprechend. Die vorgeschlagene Ausforstung gilt als akzeptiert, wenn [UE] nicht innerhalb von 10 Tagen nach Erhalt der Information per Post oder E‑Mail die vorgeschlagene Ausforstung ablehnt.

15.1.      [ShareWood] versichert für [UE] und für sich selbst in den ersten vier Jahren nach Pflanzung … Land und Teakbäume (nicht aber andere Bäume) gegen Feuer, Blitzschlag, starke Winde und Niederschläge sowie Frostschäden. [UE] nimmt zur Kenntnis, dass ein Ausfall von weniger als 10 % der Teakbäume nicht von der Versicherung gedeckt ist.

24.1.      Der Rahmenvertrag und jeder Einzelvertrag unterstehen materiellem Schweizer Recht, unter Ausschluss (i) internationaler Übereinkommen, auch dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge für den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980 (CISG) und (ii) der kollisionsrechtlichen Normen. …“

8        Der in Rn. 6 des vorliegenden Urteils genannte Kaufvertrag über 2 600 Teakbäume wurde von den Parteien einvernehmlich rückabgewickelt.

9        UE begehrte mit seiner beim Handelsgericht Wien (Österreich) erhobenen Klage die Feststellung, dass ShareWood ihrer Verpflichtung, ihm das Eigentum an den fraglichen Bäumen zu verschaffen, nicht nachgekommen sei und dass ShareWood und VF, der Geschäftsführer und Mitglied des Verwaltungsrats dieser Gesellschaft sei, als Gesamtschuldner den Betrag von 201 385,38 Euro zuzüglich Zinsen und Kosten an ihn zu zahlen hätten. Außerdem machte UE mit dieser Klage geltend, dass er als Verbraucher nach österreichischem Recht Anspruch auf Rückabwicklung der drei anderen in Rn. 6 des vorliegenden Urteils genannten Kaufverträge und auf Schadenersatz habe.

10      Mit Urteil vom 9. September 2019 wies das Handelsgericht Wien die Klage ab. Mit Urteil vom 25. Februar 2020 bestätigte das Oberlandesgericht Wien (Österreich) dieses Urteil.

11      Das von UE mit einer Revision gegen dieses Urteil befasste vorlegende Gericht, der Oberste Gerichtshof (Österreich), ist der Ansicht, dass das Vertragsverhältnis zwischen UE und ShareWood unter Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Rom‑I-Verordnung falle. Aus dem in Rn. 5 des vorliegenden Urteils angeführten Rahmenvertrag gehe hervor, dass diese Parteien die Anwendbarkeit des schweizerischen Rechts vereinbart hätten. Nach Art. 6 Abs. 2 dieser Verordnung dürfe diese Rechtswahl jedoch nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen werde, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt werde, von denen nach dem Recht, das nach Art. 6 Abs. 1 mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nämlich im vorliegenden Fall nach österreichischem Recht, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden dürfe.

12      Allerdings führt das vorlegende Gericht aus, dass im Rahmen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits solche zwingenden nationalen Bestimmungen zum Schutz des Verbrauchers nur unter der Voraussetzung geltend gemacht werden könnten, dass der in Rede stehende Rahmenvertrag nicht unter die in Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Rom‑I-Verordnung angeführte Kategorie von Verträgen falle, nämlich die der Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand hätten.

13      Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 6 Abs. 4 lit. c der Rom‑I-Verordnung dahin auszulegen, dass Kaufverträge über Teak- und Balsaholzbäume zwischen einem Unternehmen und einem Verbraucher, mit denen Eigentum an den Bäumen erworben werden soll, um sie nach Bewirtschaftung zu ernten und gewinnbringend zu verkaufen, und die zu diesem Zweck einen Pachtvertrag sowie einen Servicevertrag beinhalten, als „Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben“ im Sinn dieser Bestimmung anzusehen sind?

 Zur Vorlagefrage

14      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Rom‑I-Verordnung dahin auszulegen ist, dass Kaufverträge, die einen Pachtvertrag und einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen beinhalten und sich auf Bäume beziehen, die auf einem Grundstück gepflanzt wurden, das ausschließlich mit dem Ziel gepachtet wird, diese Bäume zum Zweck der Gewinnerzielung zu ernten, „Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben“ im Sinne dieser Bestimmung sind.

15      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 6 Abs. 2 der Rom‑I-Verordnung die Parteien eines Verbrauchervertrags, d. h. eines von einem Unternehmer mit einem Verbraucher geschlossenen Vertrags, das auf den Vertrag anzuwendende Recht wählen können, wobei diese Rechtswahl jedoch nicht dazu führen darf, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.

16      Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung, der nach Ansicht des vorlegenden Gerichts auf den Ausgangsrechtsstreit Anwendung findet, unterliegt ein Vertrag, den ein Verbraucher mit einem Unternehmer geschlossen hat, dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer seine Tätigkeit auf irgendeine Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.

17      Weiter nennt Art. 6 Abs. 4 der Rom‑I-Verordnung die Fälle, in denen die Abs. 1 und 2 dieses Art. 6 nicht gelten. Insbesondere sieht Art. 6 Abs. 4 Buchst. c vor, dass die Abs. 1 und 2 nicht für Verträge gelten, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben, mit Ausnahme der Verträge über Teilzeitnutzungsrechte an Immobilien im Sinne der Richtlinie 94/47.

18      Unter diesen Umständen hängt die Anwendung des österreichischen Rechts auf den Ausgangsrechtsstreit davon ab, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag in die Kategorie der „Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben“ im Sinne von Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Rom‑I-Verordnung fällt.

19      Im Licht dieser einleitenden Erwägungen ist zu prüfen, ob ein Vertrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen im Sinne dieser Bestimmung zum Gegenstand hat.

20      Insoweit ist festzustellen, dass die Rom‑I-Verordnung weder die Wendung „Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben“, noch die Begriffe „dingliches Recht“ und „unbewegliche Sache“ definiert.

21      Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus den Anforderungen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitsgrundsatzes, dass die Begriffe einer Bestimmung des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen (Urteil vom 18. Oktober 2016, Nikiforidis, C‑135/15, EU:C:2016:774, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Da Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Rom‑I-Verordnung nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, ist er somit autonom und einheitlich auszulegen.

23      Insoweit ist hinzuzufügen, dass es gänzlich ohne Belang ist, dass Bäume, die unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden gepflanzt wurden, möglicherweise in den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen mit unbeweglichen Sachen gleichgesetzt werden können.

24      Was erstens die Frage betrifft, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag ein „dingliches Recht an unbeweglichen Sachen“ zum Gegenstand hat, ist darauf hinzuweisen, dass sich der Unternehmer vertraglich verpflichtet, das Eigentum an Bäumen, die auf einem Grundstück nur mit dem Ziel gepflanzt wurden, sie zu ernten und das so gewonnene Holz zu verkaufen, dem Verbraucher zu übertragen.

25      Damit das Eigentumsrecht, das Gegenstand des Vertrags ist, unter die Wendung „dingliches Recht an unbeweglichen Sachen“ fallen kann, müssen diese Bäume für die Zwecke der Anwendung von Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Rom‑I-Verordnung vor ihrer Ernte mit Immobilien gleichgesetzt werden können.

26      Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Übertragung des Eigentumsrechts, zu dem der Unternehmer nach dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrag verpflichtet ist, nicht das Grundstück betrifft, auf dem die betreffenden Bäume gepflanzt sind, sondern nur die Bäume. Zwar werden diese Bäume auf dem genannten Grundstück gepflanzt, damit sie dort wachsen, doch geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass das vertragliche Hauptziel darin besteht, Erlöse aus dem Verkauf des nach der Ernte dieser Bäume gewonnenen Holzes zu erzielen, wobei das Eigentum an den Bäumen erst zum Zeitpunkt ihrer Individualisierung übertragen wird, die der Unternehmer bis zu ihrer Ernte und dem Verkauf des gewonnenen Holzes vornimmt.

27      Insbesondere wurde in diesem Vertrag zwischen den Parteien vereinbart, dass die fraglichen Bäume auf dem betreffenden Grundstück ausschließlich mit dem Ziel gepflanzt werden, sie nach Ablauf ihrer Wachstumsperiode zu ernten, um das so gewonnene Holz zu verkaufen.

28      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass diese Bäume als Früchte der Bewirtschaftung des Grundstücks anzusehen sind, auf dem die Bäume gepflanzt sind. Auch wenn solche Früchte in der Regel dem rechtlichen Schicksal des Grundstücks folgen, auf dem die betreffenden Bäume gepflanzt sind, können sie doch kraft vertraglicher Vereinbarung Gegenstand schuldrechtlicher Ansprüche sein, über die der Eigentümer oder Besitzer des Grundstücks getrennt verfügen kann, ohne das Eigentumsrecht oder die anderen dinglichen Rechte, die sich auf dieses Grundstück beziehen, zu beeinträchtigen. Ein Vertrag, dessen Gegenstand darin besteht, über die Früchte aus der Bewirtschaftung eines Grundstücks Verfügungen zu treffen, kann jedoch nicht einem Vertrag gleichgestellt werden, dessen Gegenstand ein „dingliches Recht an unbeweglichen Sachen“ im Sinne von Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Rom‑I-Verordnung ist.

29      Daraus folgt, dass Verträge über Bäume, die auf einem Grundstück ausschließlich mit dem Ziel gepflanzt wurden, sie zu ernten und das so gewonnene Holz zu verkaufen, kein „dingliches Recht an unbeweglichen Sachen“ im Sinne dieser Bestimmung zum Gegenstand haben.

30      Was zweitens die Frage betrifft, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag eine „Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen“ zum Gegenstand hat, ist darauf hinzuweisen, dass der Verbraucher nach diesem Vertrag das Grundstück, auf dem die betreffenden Bäume gepflanzt sind, so lange pachtet, wie sich die Bäume dort befinden.

31      Beim bloßen Bestehen eines Miet- oder Pachtvertrags über eine unbewegliche Sache wie z. B. ein Grundstück kann jedoch noch nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Vertrag unter Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Rom‑I-Verordnung fällt.

32      Zu Art. 16 Nr. 1 Buchst. a des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32), der für Klagen, die die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Vertragsstaats vorsah, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, hat der Gerichtshof entschieden, dass die Einstufung als Miet- oder Pachtvertrag im Sinne dieser Bestimmung das Bestehen eines hinreichend engen Zusammenhangs zwischen dem Vertrag und der betreffenden Immobilie erfordert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Oktober 2005, Klein, C‑73/04, EU:C:2005:607, Rn. 26).

33      Insbesondere hat der Gerichtshof entschieden, dass ein gemischter Vertrag, kraft dessen gegen einen vom Kunden gezahlten Gesamtpreis eine Gesamtheit von Dienstleistungen zu erbringen ist, wie etwa ein Vertrag, der die Erbringung von Dienstleistungen vorsieht, die über die Übertragung eines Nutzungsrechts hinausgehen, das den Gegenstand eines Miet- oder Pachtvertrags darstellt, außerhalb des Bereichs liegt, in dem der in dieser Bestimmung aufgestellte Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit seine Daseinsberechtigung hat, und kein eigentlicher Miet- oder Pachtvertrag im Sinne dieser Vorschrift ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Oktober 2005, Klein, C‑73/04, EU:C:2005:607, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Nach dem siebten Erwägungsgrund der Rom‑I-Verordnung sollten der materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung mit der Verordnung Nr. 44/2001 im Einklang stehen. Soweit die Verordnung Nr. 44/2001 durch die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1) aufgehoben und ersetzt wurde, gilt dieses Ziel der Kohärenz auch in Bezug auf diese Verordnung (Urteil vom 8. Mai 2019, Kerr, C‑25/18, EU:C:2019:376, Rn. 36).

35      Da die Verordnung Nr. 44/2001 überdies in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ersetzt hat, gilt dieses Ziel der Kohärenz auch in Bezug auf dieses Übereinkommen, sofern dessen Bestimmungen als denen der Verordnungen Nr. 44/2001 und Nr. 1215/2012 gleichwertig angesehen werden können.

36      In Anbetracht des in den beiden vorstehenden Randnummern des vorliegenden Urteils in Erinnerung gerufenen Ziels der Kohärenz sind die Erwägungen in den Rn. 32 und 33 des vorliegenden Urteils bei der Auslegung von Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Rom‑I-Verordnung ebenfalls zu berücksichtigen.

37      Im vorliegenden Fall besteht der Hauptgegenstand des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags nicht in der pachtvertraglichen Nutzung des Grundstücks, auf dem die betreffenden Bäume gepflanzt sind, sondern es sollen, wie in Rn. 26 des vorliegenden Urteils ausgeführt, Erlöse aus dem Verkauf des nach der Ernte dieser Bäume gewonnenen Holzes erzielt werden. Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, soll die in diesem Vertrag vorgesehene Pacht, die nur das Recht umfasst, die genannten Bäume wachsen zu lassen, und mit der kein vom Erwerb dieser Bäume getrennter Zweck verfolgt wird, lediglich die Erfüllung der Kauf- und Servicevertragselemente ermöglichen, die der genannte Vertrag vorsieht.

38      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass Verträge wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende keinen hinreichend engen Zusammenhang mit dem betreffenden Grundstück aufweisen, um als „Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen“ im Sinne von Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Rom‑I-Verordnung eingestuft werden zu können.

39      Nach alledem ist auf die Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Rom‑I-Verordnung dahin auszulegen ist, dass Kaufverträge, die einen Pachtvertrag und einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen beinhalten und sich auf Bäume beziehen, die auf einem Grundstück gepflanzt wurden, das ausschließlich mit dem Ziel gepachtet wird, diese Bäume zum Zweck der Gewinnerzielung zu ernten, keine „Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben“ im Sinne dieser Bestimmung sind.

 Kosten

40      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) ist dahin auszulegen, dass Kaufverträge, die einen Pachtvertrag und einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen beinhalten und sich auf Bäume beziehen, die auf einem Grundstück gepflanzt wurden, das ausschließlich mit dem Ziel gepachtet wird, diese Bäume zum Zweck der Gewinnerzielung zu ernten, keine „Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben“ im Sinne dieser Bestimmung sind.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Deutsch.