Language of document : ECLI:EU:C:2018:836

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 17. Oktober 2018(1)

Rechtssache C444/17

Préfet des Pyrénées-Orientales

gegen

Abdelaziz Arib,

Procureur de la République,

Procureur général près la cour d’appel de Montpellier

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Kassationsgerichtshof, Frankreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Schengener Grenzkodex – Art. 32 – Kontrolle an den Binnengrenzen – Richtlinie 2008/115/EG – Anwendungsbereich – Art. 2 Abs. 2 Buchst. a – Illegale Einreise eines Drittstaatsangehörigen – Keine Gleichstellung der Binnengrenzen mit den Außengrenzen“






 Einleitung

1.        Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs steht die Richtlinie 2008/115/EG(2) grundsätzlich dem entgegen, dass gegen einen Drittstaatsangehörigen allein wegen der Rechtswidrigkeit seines Aufenthalts in einem Mitgliedstaat eine Freiheitsstrafe verhängt wird. Die beiden einzigen – von der Rechtsprechung entwickelten – Ausnahmen sind der Fall, dass ein durch die Richtlinie 2008/115 festgelegtes Rückführungsverfahren angewandt wurde und der Drittstaatsangehörige sich ohne einen Rechtfertigungsgrund für seine Nichtrückkehr illegal im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufhält(3), und der Fall, dass ein Rückführungsverfahren angewandt wurde und der Betreffende unter Verstoß gegen ein Einreiseverbot erneut in dieses Gebiet einreist(4).

2.        Die zentrale Frage, die sich im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen der Cour de Cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) stellt, ist, ob in dem Fall, dass ein illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger in der Nähe einer Binnengrenze aufgegriffen wurde, eine dritte Ausnahme zugelassen werden sollte. Es geht also nicht um die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen, sondern allein um die Prüfung der Folgen einer solchen Wiedereinführung.

3.        Somit wird der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache wieder einmal ersucht, sich dazu zu äußern, ob mit der Richtlinie 2008/115 eine nationale Rechtsvorschrift vereinbar ist, nach der gegen einen Drittstaatsangehörigen allein deshalb eine Freiheitsstrafe verhängt werden kann, weil er sich aufenthaltsrechtlich in einer illegalen Situation befindet.

4.        Als Ergebnis meiner Untersuchung werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, diese Frage zu verneinen. Nach der Richtlinie 2008/115 macht es keinen Unterschied, ob ein Aufgriff in der Nähe der französisch-spanischen Grenze oder in der Avenue des Champs-Élysées in Paris erfolgt. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die vorläufige Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen nach dem Schengener Grenzkodex(5) an dieser Feststellung nichts ändert.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Schengener Grenzkodex

5.        Art. 5 des Schengener Grenzkodex bestimmt:

„(1)      Die Außengrenzen dürfen nur an den Grenzübergangsstellen und während der festgesetzten Verkehrsstunden überschritten werden. Die Verkehrsstunden sind an den Grenzübergangsstellen, die nicht rund um die Uhr geöffnet sind, deutlich anzugeben.

Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission gemäß Artikel 39 die Liste ihrer Grenzübergangsstellen.

(3)      Unbeschadet der Ausnahmen des Absatzes 2 und der internationalen Schutzverpflichtungen der Mitgliedstaaten sehen die Mitgliedstaaten nach nationalem Recht Sanktionen für das unbefugte Überschreiten der Außengrenzen außerhalb der Grenzübergangsstellen oder der festgesetzten Verkehrsstunden vor. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“

6.        Art. 13 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex lautet:

„Die Grenzüberwachung dient insbesondere der Verhinderung des unbefugten Grenzübertritts, der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und der Veranlassung von Maßnahmen gegen Personen, die die Grenze unerlaubt überschreiten. Personen, die eine Grenze unerlaubt überschritten haben und die über kein Aufenthaltsrecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates verfügen, sind aufzugreifen und Verfahren zu unterziehen, die mit der Richtlinie 2008/115/EG in Einklang stehen.“

7.        Art. 14 des Schengener Grenzkodex bestimmt:

„(1)      Einem Drittstaatsangehörigen, der nicht alle Einreisevoraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1 erfüllt und der nicht zu dem in Artikel 6 Absatz 5 genannten Personenkreis gehört, wird die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verweigert. Davon unberührt bleibt die Anwendung besonderer Bestimmungen zum Asylrecht und zum internationalen Schutz oder zur Ausstellung von Visa für längerfristige Aufenthalte.

(2)      Die Einreiseverweigerung kann nur mittels einer begründeten Entscheidung unter genauer Angabe der Gründe für die Einreiseverweigerung erfolgen. Die Entscheidung wird von einer nach nationalem Recht zuständigen Behörde erlassen. Die Entscheidung tritt unmittelbar in Kraft.

Die begründete Entscheidung mit genauer Angabe der Gründe für die Einreiseverweigerung wird mit dem Standardformular nach Anhang V Teil B erteilt, das von der nach nationalem Recht zur Einreiseverweigerung berechtigten Behörde ausgefüllt wird. Das ausgefüllte Standardformular wird dem betreffenden Drittstaatsangehörigen ausgehändigt, der den Empfang der Entscheidung über die Einreiseverweigerung auf diesem Standardformular bestätigt.

(3)      Personen, denen die Einreise verweigert wird, steht ein Rechtsmittel zu. Die Verfahren für die Einlegung des Rechtsmittels bestimmen sich nach nationalem Recht. Dem Drittstaatsangehörigen werden auch schriftliche Angaben zu Kontaktstellen gemacht, die ihn über eine rechtliche Vertretung unterrichten können, die entsprechend dem nationalen Recht in seinem Namen vorgehen kann.

Die Einlegung eines solchen Rechtsmittels hat keine aufschiebende Wirkung im Hinblick auf die Entscheidung über die Einreiseverweigerung.

Wird im Rechtsmittelverfahren festgestellt, dass die Entscheidung über die Einreiseverweigerung unbegründet war, so hat der betreffende Drittstaatsangehörige unbeschadet einer nach nationalem Recht gewährten Entschädigung einen Anspruch auf Berichtigung des ungültig gemachten Einreisestempels und anderer Streichungen oder Vermerke durch den Mitgliedstaat, der ihm die Einreise verweigert hat.

(4)      Die Grenzschutzbeamten stellen sicher, dass ein Drittstaatsangehöriger, dem die Einreise verweigert wurde, das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats nicht betritt.

(5)      Die Mitgliedstaaten erheben statistische Daten über die Anzahl der Personen, denen sie die Einreise verweigern, die Gründe für die Einreiseverweigerung, die Staatsangehörigkeit der betreffenden Personen und die Art der Grenze (Land‑, Luft‑ oder Seegrenze), an der ihnen die Einreise verweigert wurde, und legen sie gemäß der Verordnung (EG) Nr. 862/2007[(6)] jährlich der Kommission (Eurostat) vor.

(6)      Die Modalitäten der Einreiseverweigerung sind in Anhang V Teil A festgelegt.“

8.        Art. 23 („Kontrollen innerhalb des Hoheitsgebiets“) des Schengener Grenzkodex lautet:

„Das Ausbleiben der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen berührt nicht

a)      die Ausübung der polizeilichen Befugnisse durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nach Maßgabe des nationalen Rechts, sofern die Ausübung solcher Befugnisse nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen hat; dies gilt auch in Grenzgebieten. Im Sinne von Satz 1 darf die Ausübung der polizeilichen Befugnisse insbesondere nicht der Durchführung von Grenzübertrittskontrollen gleichgestellt werden, wenn die polizeilichen Maßnahmen

i)      keine Grenzkontrollen zum Ziel haben;

ii)      auf allgemeinen polizeilichen Informationen und Erfahrungen in Bezug auf mögliche Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit beruhen und insbesondere auf die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität abzielen;

iii)      in einer Weise konzipiert sind und durchgeführt werden, die sich eindeutig von systematischen Personenkontrollen an den Außengrenzen unterscheidet;

iv)      auf der Grundlage von Stichproben durchgeführt werden;

…“

9.        Art. 25 dieses Kodex bestimmt:

„(1)      Ist im Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit in einem Mitgliedstaat ernsthaft bedroht, so ist diesem Mitgliedstaat unter außergewöhnlichen Umständen die Wiedereinführung von Kontrollen an allen oder bestimmten Abschnitten seiner Binnengrenzen für einen begrenzten Zeitraum von höchstens 30 Tagen oder für die vorhersehbare Dauer der ernsthaften Bedrohung, wenn ihre Dauer den Zeitraum von 30 Tagen überschreitet, gestattet. Die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen darf in Umfang und Dauer nicht über das Maß hinausgehen, das zur Bewältigung der ernsthaften Bedrohung unbedingt erforderlich ist.

(2)      Kontrollen an den Binnengrenzen werden nur als letztes Mittel und im Einklang mit den Artikeln 27, 28 und 29 wiedereingeführt. Wird ein Beschluss zur Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen nach Artikel 27, 28 oder 29 in Betracht gezogen, so sind die in Artikel 26 beziehungsweise 30 genannten Kriterien in jedem einzelnen Fall zu Grunde zu legen.

(3)      Hält die ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit in dem betreffenden Mitgliedstaat über den in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Zeitraum hinaus an, so kann dieser Mitgliedstaat die Kontrollen an seinen Binnengrenzen unter Zugrundelegung der in Artikel 26 genannten Kriterien und gemäß Artikel 27 aus den in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Gründen und unter Berücksichtigung neuer Umstände für weitere Zeiträume von höchstens 30 Tagen verlängern.

(4)      Der Gesamtzeitraum, innerhalb dessen Kontrollen an den Binnengrenzen wiedereingeführt werden können, einschließlich etwaiger Verlängerungen nach Absatz 3 dieses Artikels, beträgt höchstens sechs Monate. Liegen außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 29 vor, so kann dieser Gesamtzeitraum gemäß Artikel 29 Absatz 1 auf eine Höchstdauer von zwei Jahren verlängert werden.“

10.      Art. 32 dieses Kodex lautet:

„Bei Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen finden die einschlägigen Bestimmungen des Titels II entsprechend Anwendung.“

11.      Die Art. 5, 13 und 14 des genannten Kodex stehen unter Titel II („Außengrenzen“), und die Art. 23, 25 und 32 unter Titel III („Binnengrenzen“).

 Richtlinie 2008/115

12.      Der Gegenstand der Richtlinie 2008/115 wird in ihrem Art. 1 wie folgt beschrieben:

„Diese Richtlinie enthält gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Einklang mit den Grundrechten als allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschafts‑ und des Völkerrechts, einschließlich der Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen und zur Achtung der Menschenrechte, anzuwenden sind.“

13.      Art. 2 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2008/115 bestimmt:

„(1)      Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.

(2)      Die Mitgliedstaaten können beschließen, diese Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden,

a)      die einem Einreiseverbot nach Artikel 13 des Schengener Grenzkodex unterliegen oder die von den zuständigen Behörden in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten der Außengrenze eines Mitgliedstaats auf dem Land‑, See- oder Luftwege aufgegriffen bzw. abgefangen werden und die nicht anschließend die Genehmigung oder das Recht erhalten haben, sich in diesem Mitgliedstaat aufzuhalten;

b)      die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist.

…“

14.      Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke

2.      ,illegaler Aufenthalt‘: die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats;

3.      ‚Rückkehr‘: die Rückreise von Drittstaatsangehörigen – in freiwilliger Erfüllung einer Rückkehrverpflichtung oder erzwungener Rückführung – in

–        deren Herkunftsland oder

–        ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder

–        ein anderes Drittland, in das der betreffende Drittstaatsangehörige freiwillig zurückkehren will und in dem er aufgenommen wird;

4.      ‚Rückkehrentscheidung‘: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird;

5.      ‚Abschiebung‘: die Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung, d. h. die tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedsstaat;

…“

15.      Art. 4 Abs. 4 der genannten Richtlinie sieht vor:

„In Bezug auf die nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommenen Drittstaatsangehörigen verfahren die Mitgliedstaaten wie folgt; sie

a)      stellen sicher, dass diese nicht eine weniger günstige Behandlung erfahren oder ihnen nicht ein geringeres Maß an Schutz gewährt wird, als dies in Artikel 8 Absätze 4 und 5 (Beschränkung der Anwendung von Zwangsmaßnahmen), Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a (Aufschub der Abschiebung), Artikel 14 Absatz 1 Buchstaben b und d (medizinische Notversorgung und Berücksichtigung der Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen) und Artikel 16 und 17 (Haftbedingungen) vorgesehen ist, und

b)      halten den Grundsatz der Nichtzurückweisung ein.“

16.      Art. 6 („Rückkehrentscheidung“) Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor, dass „[u]nbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5 … die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung [erlassen]“.

17.      Art. 16 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Inhaftierung erfolgt grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht.

(2)      In Haft genommenen Drittstaatsangehörigen wird auf Wunsch gestattet, zu gegebener Zeit mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen und den zuständigen Konsularbehörden Kontakt aufzunehmen.

(3)      Besondere Aufmerksamkeit gilt der Situation schutzbedürftiger Personen. Medizinische Notfallversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten wird gewährt.

(4)      Einschlägig tätigen zuständigen nationalen und internationalen Organisationen sowie nicht-staatlichen Organisationen wird ermöglicht, in Absatz 1 genannte Hafteinrichtungen zu besuchen, soweit diese Einrichtungen für die Inhaftnahme von Drittstaatsangehörigen gemäß diesem Kapitel genutzt werden. Solche Besuche können von einer Genehmigung abhängig gemacht werden.

(5)      In Haft genommene Drittstaatsangehörige müssen systematisch Informationen erhalten, in denen die in der Einrichtung geltenden Regeln erläutert und ihre Rechte und Pflichten dargelegt werden. Diese Information schließt eine Unterrichtung über ihren nach einzelstaatlichem Recht geltenden Anspruch auf Kontaktaufnahme mit den in Absatz 4 genannten Organisationen und Stellen ein.“

 Französisches Recht

18.      Art. L. 621-2 des Code de l’entrée et du séjour des étrangers et du droit d’asile (Gesetzbuch über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern und über das Asylrecht) in der durch die Loi n° 2012‑1560 relative à la retenue pour vérification du droit au séjour et modifiant le délit d’aide au séjour irrégulier pour en exclure les actions humanitaires et désintéressées (Gesetz Nr. 2012‑1560 über den Gewahrsam zur Überprüfung des Aufenthaltsrechts und zur Änderung der Strafvorschriften über die Beihilfe zum illegalen Aufenthalt, um davon humanitäre und uneigennützige Handlungen auszuschließen) vom 31. Dezember 2012 geänderten Fassung(7) (im Folgenden: CESEDA) sieht vor:

„Ein Ausländer, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ist, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr und mit einer Geldstrafe von 3 750 Euro bestraft,

1.      wenn er in den europäischen Teil des französischem Hoheitsgebiets eingereist ist, ohne die Voraussetzungen gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, b oder c der Verordnung (EG) Nr. 562/2006[(8)] des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex)[(9)] zu erfüllen und ohne dass ihm die Einreise gemäß Art. 5 Abs. 4 Buchst. a und c dieser Verordnung gestattet worden ist[(10)]; das Gleiche gilt, wenn der Ausländer durch eine vollziehbare Entscheidung eines anderen Vertragsstaats des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben worden ist;

2.      oder wenn er unmittelbar aus dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats dieses Übereinkommens in den europäischen Teil des französischen Hoheitsgebiets eingereist ist, ohne die Regelungen von dessen Art. 19 Abs. 1 oder 2, Art. 20 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 oder 2 – mit Ausnahme der in Art. 5 Abs. 1 Buchst. e des [Schengener Grenzkodex] und, wenn sich die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung nicht aus einer von einem anderen Vertragsstaat des [SDÜ] getroffenen vollziehbaren Entscheidung ergibt, in Buchst. d dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen – zu beachten;

Gemäß diesem Artikel darf die öffentliche Klage nur erhoben werden, wenn die Tatsachen unter den in Art. 53 Code de procédure pénale [(Strafprozessordnung)] genannten Umständen festgestellt wurden.“

19.      Art. 53 Strafprozessordnung bestimmt:

„Als auf frischer Tat festgestellt gilt ein Verbrechen oder Vergehen, das gerade verübt wird oder verübt worden ist. Als auf frischer Tat festgestellt gilt auch ein Verbrechen oder Vergehen, wenn in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zur Tathandlung dem Verdächtigen in der Öffentlichkeit nachgesetzt oder er im Besitz von Gegenständen oder mit Spuren oder unter Anhaltspunkten angetroffen wird, die auf seine Beteiligung an dem Verbrechen oder Vergehen schließen lassen.

Wird ein Verbrechen oder Vergehen auf frischer Tat festgestellt, dürfen die Ermittlungen unter Leitung des Staatsanwalts unter den in diesem Kapitel festgelegten Voraussetzungen ununterbrochen acht Tage lang fortgesetzt werden.

Wenn die Ermittlungen, die bei einem Verbrechen oder einem Vergehen, das mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren oder mehr bedroht ist, zur Wahrheitsfindung erforderlich sind, nicht aufgeschoben werden können, so kann der Staatsanwalt beschließen, die Ermittlungen unter den gleichen Bedingungen um höchstens acht Tage zu verlängern.“

20.      Art. 62-2 Strafprozessordnung sieht vor:

„Der Polizeigewahrsam ist eine Zwangsmaßnahme, die von einem Beamten der Kriminalpolizei unter richterlicher Aufsicht angeordnet wird und mit der eine Person, gegen die ein oder mehrere Verdachtsgründe für die Begehung oder den Versuch der Begehung eines Verbrechens oder eines mit einer Freiheitsstrafe bedrohten Vergehens vorliegen, zur Verfügung der Ermittlungspersonen gehalten wird.

…“

21.      Art. 78-2 Strafprozessordnung bestimmt:

„Die Beamten der Kriminalpolizei sowie unter ihrer Aufsicht die Hilfsbeamten und beigeordneten Hilfsbeamten der Kriminalpolizei, die in den Artikeln 20 und 21-1 genannt sind, können jede Person auffordern, auf beliebige Weise ihre Identität zu belegen, wenn ein oder mehrere plausible Gründe für den Verdacht bestehen, dass sie

–        eine Straftat begangen hat oder versucht hat, eine Straftat zu begehen, oder

–        ein Verbrechen oder Vergehen vorbereitet oder

–        sachdienliche Angaben im Rahmen von Ermittlungen wegen eines Verbrechens oder Vergehens machen kann oder

–        gegen die Verpflichtungen oder Verbote verstoßen hat, denen sie im Rahmen der richterlichen Aufsicht, einer Hausarrestmaßnahme mit elektronischer Überwachung, einer Strafe oder einer vom Haftrichter überprüften Maßnahme unterliegt, oder

–        Gegenstand einer von einer Justizbehörde angeordneten Fahndung ist.

Auf schriftliche Aufforderung des Oberstaatsanwalts zum Zweck der Untersuchung und Verfolgung der von ihm angegebenen Straftaten kann die Identität jeder Person nach denselben Modalitäten auch an den Orten und in dem Zeitraum kontrolliert werden, die dieser Staatsanwalt festlegt. Die Tatsache, dass bei einer Identitätskontrolle andere Straftaten als die in der Aufforderung des Oberstaatsanwalts genannten festgestellt werden, bildet keinen Grund für die Nichtigkeit der Zwischenverfahren.

Die Identität jeder Person kann unabhängig von deren Verhalten ebenfalls nach den in Absatz 1 festgelegten Modalitäten kontrolliert werden, um eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung, insbesondere der Sicherheit von Personen oder Gütern, zu verhindern.

In einem Gebiet zwischen der Landgrenze von Frankreich zu den Staaten, die dem am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten Übereinkommen beigetreten sind, und einer diesseits im Abstand von 20 km zu ihr gezogenen Linie sowie in den öffentlich zugänglichen Bereichen der Häfen, Flughäfen und Eisenbahn‑ oder Busbahnhöfe, die für den internationalen Verkehr geöffnet und durch Erlass bestimmt sind, kann zur Verhütung und Ermittlung von Straftaten im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Kriminalität die Identität jeder Person nach den in Absatz 1 festgelegten Modalitäten auch kontrolliert werden, um die Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen in Bezug auf den Besitz, das Mitführen und das Vorzeigen von Urkunden und Bescheinigungen zu überprüfen. Findet die Kontrolle in einem Zug auf einer internationalen Strecke statt, kann sie auf dem Streckenabschnitt zwischen der Grenze und dem ersten Haltepunkt, der mehr als 20 km von der Grenze entfernt ist, durchgeführt werden. Auf internationalen Eisenbahnstrecken, die besondere Anschlussmerkmale aufweisen, kann die Kontrolle jedoch auch zwischen diesem Haltepunkt und einem Haltepunkt durchgeführt werden, der hiervon bis zu 50 km entfernt liegt. Diese Strecken und diese Haltepunkte werden durch Ministerialerlass bestimmt. Außerdem kann bei einem Autobahnabschnitt, der in dem in Satz 1 dieses Absatzes genannten Gebiet beginnt, dann, wenn die erste Autobahnzahlstelle jenseits der 20‑km-Linie liegt, die Kontrolle bis zu dieser ersten Zahlstelle auf den Parkplätzen sowie am Ort dieser Zahlstelle und auf den daran angrenzenden Parkplätzen erfolgen. Die Zahlstellen im Sinne dieser Vorschrift werden durch Erlass bestimmt. Die Tatsache, dass bei einer Identitätskontrolle eine andere Straftat als die Nichteinhaltung der oben genannten Verpflichtungen festgestellt wird, bildet keinen Grund für die Nichtigkeit der Zwischenverfahren. Die Kontrolle der Verpflichtungen zum Besitz, Mitführen und Vorzeigen der gesetzlich vorgeschriebenen Urkunden und Bescheinigungen im Sinne dieses Absatzes darf nur für eine Dauer von bis zu sechs aufeinanderfolgenden Stunden am selben Ort durchgeführt werden und darf nicht aus einer systematischen Kontrolle von Personen bestehen, die sich in den in demselben Absatz genannten Gebieten oder Orten aufhalten oder dort reisen.

…“

 Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

22.      Nachdem der marokkanische Staatsangehörige Abdelaziz Arib zu einem unbekannten Zeitpunkt in das französische Hoheitsgebiet eingereist war, verließ er Frankreich aufgrund einer ihm am 10. August 2013 zugestellten Abschiebungsanordnung.

23.      Am 15. Juni 2016 wurde Herr Arib in Boulou (Departement Pyrénées-Orientales, Frankreich) in einem Gebiet zwischen der französischen Landgrenze zu Spanien und einer Linie, die 20 km von dieser Grenze entfernt im Landesinneren verläuft, gemäß Art. 78‑2 Abs. 9 der Strafprozessordnung kontrolliert, als er in einem Bus aus Marokko saß. Er konnte kein Visum oder anderes Dokument vorweisen, das ihn zum Aufenthalt im französischen Hoheitsgebiet berechtigt.

24.      Er wurde aufgrund des Verdachts auf illegale Einreise in französisches Hoheitsgebiet, eine Straftat nach Art. L. 621‑2 CESEDA, in Polizeigewahrsam genommen.

25.      Am 16. Juni 2016 erließ der Präfekt des Departements Pyrénées-Orientales (Frankreich) eine Anordnung, mit der Herr Arib aufgefordert wurde, das französische Hoheitsgebiet zu verlassen, und ordnete seine Abschiebehaft an.

26.      Mit Beschluss vom 21. Juni 2016 erklärte der Haftrichter des Tribunal de Grande Instance de Perpignan (Landgericht Perpignan, Frankreich) den Polizeigewahrsam von Herrn Arib und das gesamte nachfolgende Verfahren, einschließlich der Abschiebehaft, mit der Begründung für nichtig, dass der Polizeigewahrsam nicht durchgeführt werden könne. Herr Arib, ein illegal aufhältiger Ausländer, habe die Binnengrenze zwischen Frankreich und Spanien überschritten. Deshalb, so meinte der Haftrichter, sei die Richtlinie 2008/115 anzuwenden, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht zulasse.

27.      Der Präfekt des Departements Pyrénées-Orientales legte Rechtsmittel ein.

28.      Mit Beschluss vom 22. Juni 2016 bestätigte der Erste Präsident der Cour d’appel de Montpellier (Berufungsgericht Montpellier, Frankreich) die erstinstanzliche Entscheidung des Haftrichters des Tribunal de grande instance de Perpignan (Landgericht Perpignan).

29.      Der Präfekt des Departements Pyrénées-Orientales legte gegen diesen Beschluss Kassationsbeschwerde beim vorlegenden Gericht ein. Er beruft sich zur Stützung seines Rechtsmittels auf einen Verstoß gegen die Art. 2, 14, 25, 27 und 32 des Schengener Grenzkodex und gegen Art. 2 Abs. 2 Buchst. a sowie die Art. 8 und 15 der Richtlinie 2008/115. Er macht insbesondere geltend, dass ein Mitgliedstaat im Fall einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit ausnahmsweise wieder Kontrollen an seinen Binnengrenzen einführen könne, wodurch die Anwendung der Richtlinie 2008/115 teilweise verhindert werde, und da unter diesen Umständen die in der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Schutzmaßnahmen nicht zur Anwendung kämen, könne eine illegal nach Frankreich eingereiste Person nach Art. 78-2 Abs. 9 Strafprozessordnung kontrolliert werden. Da sie illegal aufhältig sei, könne gegen sie eine Freiheitsstrafe verhängt werden, und sie könne in Polizeigewahrsam genommen werden.

30.      Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob die an einer Binnengrenze eines Mitgliedstaats wieder eingeführte Kontrolle der Kontrolle an einer Außengrenze gleichzustellen ist, wenn ein nicht zur Einreise berechtigter Drittstaatsangehöriger diese Außengrenze überschreitet und dabei auf frischer Tat aufgegriffen wird. Es stelle sich daher die Frage, ob sich ein Mitgliedstaat, der an seinen Binnengrenzen die Kontrollen wieder aufgenommen hat, auf Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 berufen kann, um diesen Drittstaatsangehörigen von dieser Richtlinie auszunehmen. Falls das zu bejahen sei, stelle sich darüber hinaus die Frage, ob Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass er unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen der Inhaftierung eines Drittstaatsangehörigen nicht entgegensteht.

31.      Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 32 des Schengener Grenzkodex, wonach bei Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen die einschlägigen Bestimmungen des Titels II (über die Außengrenzen) entsprechend Anwendung finden, dahin auszulegen, dass die wiedereingeführten Kontrollen an einer Binnengrenze eines Mitgliedstaats den an einer Außengrenze durchgeführten Kontrollen bei ihrer Überschreitung durch einen nicht zur Einreise berechtigten Drittstaatsangehörigen gleichzustellen sind?

2.      Erlauben es unter den gleichen Umständen der Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen dieser Kodex und die Richtlinie 2008/115, die in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 vorgesehene Befugnis für die Mitgliedstaaten, an ihren Außengrenzen weiterhin vereinfachte nationale Rückführungsverfahren durchzuführen, auf den Fall eines Drittstaatsangehörigen anzuwenden, der eine Grenze überschreitet, an der die Kontrollen wiedereingeführt wurden?

3.      Falls die letztgenannte Frage bejaht wird, stehen dann die Bestimmungen von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 einer nationalen Regelung wie Art. L. 621‑2 CESEDA entgegen, wonach die illegale Einreise eines Drittstaatsangehörigen, für den das mit dieser Richtlinie geschaffene Rückführungsverfahren noch nicht abgeschlossen worden ist, in das Inland mit Freiheitsstrafe bedroht ist?

32.      Der Präfekt des Departements Pyrénées-Orientales, die deutsche und die französische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die deutsche und die französische Regierung sowie die Kommission haben in der Sitzung vom 12. Juni 2018 mündliche Ausführungen gemacht.

 Würdigung

33.      Dies ist nun die dritte Rechtssache, bei der es im Ausgangsverfahren um die Vereinbarkeit von Art. L. 621 CESEDA mit der Richtlinie 2008/115 geht(11), wobei die Besonderheit in der Verknüpfung der Bestimmungen dieser Richtlinie mit denen des Schengener Grenzkodex liegt.

 Erste und zweite Frage

34.      Mit der ersten und der zweiten Frage, die zusammen behandelt werden sollten, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Behörden eines Mitgliedstaats gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 und Art. 32 des Schengener Grenzkodex festlegen können, dass die Richtlinie 2008/115 auf den Fall eines Drittstaatsangehörigen, der beim illegalen Überschreiten einer Binnengrenze, an der die Kontrollen in Anwendung von Art. 25 des Schengener Grenzkodex wieder eingeführt worden sind, aufgegriffen oder abgefangen wurde, nicht anzuwenden ist(12).

35.      Die Frage, die sich stellt, lautet also wie folgt: Wenn ein Mitgliedstaat gemäß Art. 25 des Schengener Grenzkodex an den Binnengrenzen vorübergehend die Kontrollen wieder eingeführt hat, sind dann die Bestimmungen der Richtlinie 2008/115 zwingend anzuwenden?

36.      Die Mitgliedstaaten können gemäß der zweiten Alternative(13) des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 beschließen, diese Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die von den zuständigen Behörden in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten der Außengrenze eines Mitgliedstaats auf dem Land‑, See‑ oder Luftwege aufgegriffen bzw. abgefangen worden sind und anschließend nicht die Genehmigung oder das Recht erhalten haben, sich in diesem Mitgliedstaat aufzuhalten.

 Überschreiten einer Grenze

37.      Herr Arib wurde bei einer Kontrolle in Boulou (Pyrénées-Orientales) festgenommen, d. h. weniger als 20 Kilometer von der französisch-spanischen Grenze entfernt(14). Da diese Kontrolle physisch innerhalb des französischen Hoheitsgebiets stattfand, ist es fraglich, ob Herr Arib beim Überschreiten einer Grenze verhaftet wurde.

38.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs setzt die Wendung „in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten“ einer (Außen‑)Grenze einen unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zu dem Grenzübertritt voraus und betrifft somit Drittstaatsangehörige, die von den zuständigen Behörden zum Zeitpunkt des illegalen Überschreitens der (Außen‑)Grenze selbst oder nach dem Übertritt in der Nähe dieser Grenze aufgegriffen oder abgefangen worden sind(15).

39.      Im vorliegenden Fall besteht meiner Ansicht nach durchaus ein unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Zusammenhang mit dem Überschreiten der französisch-spanischen Grenze(16).

40.      Damit stellt sich die Frage, ob es sich im vorliegenden Fall auch um eine Außengrenze im Sinne der Richtlinie 2008/115, genauer gesagt, im Sinne ihres Art. 2 Abs. 2 Buchst. a, handelt.

 Zu Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 – eine Außengrenze?

41.      Die Richtlinie 2008/115 selbst enthält keine Definition der Begriffe „Binnengrenze“ und „Außengrenze“. Da der Schengener Grenzkodex in ihr jedoch mehrfach erwähnt wird, ist es für mich klar, dass die in diesem Kodex enthaltene Definition anwendbar ist(17).

42.      So bezeichnet der Ausdruck „Binnengrenzen“ gemäß Art. 2 Nr. 1 des Schengener Grenzkodex die gemeinsamen Landgrenzen(18) der Mitgliedstaaten (Buchst. a), die Flughäfen der Mitgliedstaaten für Binnenflüge (Buchst. b) und die See‑, Flussschifffahrts‑ und Binnenseehäfen der Mitgliedstaaten für regelmäßige interne Fährverbindungen. „Außengrenzen“ sind definiert als die Landgrenzen der Mitgliedstaaten(19), einschließlich der Seegrenzen und der Flughäfen sowie der Flussschifffahrts‑, See- und Binnenseehäfen, soweit sie nicht Binnengrenzen sind.

43.      Es ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Mitgliedstaaten“ nur diejenigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union umfasst, die den Schengen-Besitzstand anwenden, sowie Drittstaaten, die diesen ebenfalls anwenden(20).

44.      Die fragliche französisch-spanische Grenze ist in der Tat eine Binnengrenze im Sinne dieser Definitionen.

45.      Angesichts des Wortlauts von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 müsste die rechtliche Würdigung damit abgeschlossen sein. Die Französische Republik kann nicht beschließen, die Richtlinie 2008/115 auf Herrn Arib nicht anzuwenden.

46.      Das ergibt sich auch eindeutig aus der vom Gerichtshof in der Rechtssache Affum vorgenommenen Auslegung von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115(21). Der Gerichtshof hat in jenem Urteil nämlich darauf hingewiesen, dass sich die beiden in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie genannten Sachverhalte ausschließlich auf das Überschreiten einer Außengrenze eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 2 Nr. 2 des Schengener Grenzkodex beziehen und somit nicht auf das Überschreiten einer gemeinsamen Grenze von Mitgliedstaaten, die zum Schengen-Raum gehören. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass diese Vorschrift es den Mitgliedstaaten daher nicht gestattet, illegal aufhältige Drittstaatsangehörige wegen ihrer illegalen Einreise über eine Binnengrenze vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115 auszunehmen(22).

 Zur Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen

47.      Es ist zu prüfen, welche Folgen die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/115 haben könnte.

48.      Nach Ansicht der Französischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich in diesem Zusammenhang aus Art. 32 des Schengener Grenzkodex, dass die französisch-spanische Grenze im vorliegenden Fall wie eine Außengrenze zu behandeln ist.

49.      Ich kann dieser Auffassung nicht zustimmen.

50.      Zwar gelten gemäß Art. 32 des Schengener Grenzkodex bei der Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen die einschlägigen Bestimmungen des Titels II dieses Kodex (Außengrenzen) sinngemäß, doch bedeutet das gerade nicht, dass der Begriff „Außengrenze“ in vollem Umfang den Begriff „Binnengrenze“ (im Sinne des Schengener Grenzkodex oder anderer Rechtsinstrumente wie der Richtlinie 2008/15) ersetzt.

51.      Titel III des Schengener Grenzkodex regelt die Binnengrenzen. Die allgemeine Regel, die diesem Kodex zugrunde liegt und dessen wichtigste Bestimmung darstellt, ist in Titel III Art. 22 festgelegt: Binnengrenzen dürfen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden(23). Titel III des Schengener Grenzkodex behandelt neben dem Ausbleiben der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen (Kapitel I – Art. 22 bis 24) die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen (Kapitel II – Art. 25 bis 35).

52.      In diesem Zusammenhang sieht Art. 32 des Schengener Grenzkodex vor, dass bei der Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen die einschlägigen Bestimmungen des Titels II entsprechend Anwendung finden. Diese Bestimmung bezieht sich also eindeutig auf die übrigen Bestimmungen des Schengener Grenzkodex. Die Richtlinie 2008/115 wird dabei überhaupt nicht erwähnt.

53.      Der Wortlaut von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 ist klar: In dieser Vorschrift ist von einer Außengrenze die Rede.

54.      Der Sinn und Zweck dieser Vorschrift weisen meines Erachtens in dieselbe Richtung wie ihr Wortlaut. Die in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 vorgesehene Ausnahme wird auch vom übergeordneten Ziel dieser Richtlinie erfasst, das gemäß ihrem Art. 1 darin besteht, gemeinsame Normen und Verfahren festzulegen, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger anzuwenden sind(24). Wenn daher die Mitgliedstaaten beschließen können, die Richtlinie 2008/115 nicht anzuwenden, so zu dem Zweck, Drittstaatsangehörige (noch) wirksamer zurückweisen zu können.

55.      Die Mitgliedstaaten machen von dieser in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Möglichkeit(25), diese Richtlinie auf sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats illegal aufhältige Drittstaatsangehörige nicht anzuwenden, Gebrauch, weil es viel einfacher ist, einen Drittstaatsangehörigen an einer Außengrenze zurückzuweisen.

56.      Wie nämlich das vorlegende Gericht ausgeführt und der Gerichtshof bereits festgestellt hat(26), ermöglicht Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 es den Mitgliedstaaten, an ihren Außengrenzen weiterhin vereinfachte nationale Rückführungsverfahren durchzuführen, ohne alle von der Richtlinie vorgesehenen Verfahrensschritte befolgen zu müssen, um die beim Überschreiten dieser Grenzen aufgegriffenen Drittstaatsangehörigen schneller abschieben zu können.

57.      Allerdings besteht ein erheblicher Unterschied zwischen der Situation eines Drittstaatsangehörigen, der sich bereits im Schengen-Raum befindet, und der in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Situation.

58.      Außerdem schützen die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen und den Binnengrenzen nicht die gleichen Rechtsgüter.

59.      Ein Mitgliedstaat, der im Rahmen des Schengener Grenzkodex für die Kontrolle der Außengrenzen dieses Raums zuständig ist, handelt im Interesse aller Mitgliedstaaten des Schengen-Raums. Ein Mitgliedstaat, der beschließt, die Kontrollen an den Binnengrenzen wiederherzustellen, tut dies demgegenüber aus eigenem Interesse.

60.      Deshalb schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 und Art. 32 des Schengener Grenzkodex dahin auszulegen sind, dass die Behörden eines Mitgliedstaats nicht festlegen können, dass die Richtlinie 2008/115 auf den Fall eines Drittstaatsangehörigen, der beim illegalen Überschreiten einer Binnengrenze, an der die Kontrollen in Anwendung von Art. 25 des Schengener Grenzkodex wieder eingeführt worden sind, aufgegriffen oder abgefangen wurde, nicht anzuwenden ist.

 Dritte Frage

61.      Mit der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob, falls die zweite Frage zu bejahen ist, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 einer nationalen Regelung wie Art. L. 621-2 CESEDA entgegenstehen, wonach die illegale Einreise eines Drittstaatsangehörigen, für den das mit dieser Richtlinie geschaffene Rückführungsverfahren noch nicht abgeschlossen worden ist, in das Inland mit Freiheitsstrafe bedroht ist.

62.      In Anbetracht meiner Antwort auf die erste und die zweite Frage ist diese Frage hypothetisch. Deshalb werde ich sie nur für den Fall prüfen, dass der Gerichtshof meine Auffassung hinsichtlich der Antwort auf die ersten beiden Fragen nicht teilen sollte.

63.      Zunächst ist zu betonen, dass die Richtlinie 2008/115 gemäß ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. a in einem Fall wie dem in dieser Frage dargelegten auf einen Drittstaatsangehörigen grundsätzlich keine Anwendung findet. Die Mitgliedstaaten sind jedoch gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Behandlung und das Schutzniveau von Drittstaatsangehörigen nicht schlechter sind, als insbesondere in den Art. 16 und 17 (Haftbedingungen) vorgesehen ist(27).

64.      Wie der Gerichtshof im Urteil Affum festgestellt hat, besteht der Zweck von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115, wie er sich aus ihrer Entstehungsgeschichte ergibt, darin, es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, an ihren Außengrenzen weiterhin vereinfachte nationale Rückführungsverfahren durchzuführen, ohne alle von der Richtlinie vorgesehenen Verfahrensschritte befolgen zu müssen, um die beim Überschreiten dieser Grenzen aufgegriffenen Drittstaatsangehörigen schneller abschieben zu können(28). Daraus resultiert im Übrigen der Zweck von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115, der, so der Gerichtshof, „in detaillierter Weise einen Rahmen für die Ausübung der in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie vorgesehenen Befugnis durch die Mitgliedstaaten schafft“(29) und „in diesem Zusammenhang [sicherstellen soll], dass die vereinfachten nationalen Verfahren die Mindestgarantien der Richtlinie 2008/115 gewähren“(30).

65.      Meiner Meinung nach zeigt diese Analyse, dass die Ausübung der in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/15 vorgesehenen Option durch einen Mitgliedstaat nach Ansicht des Unionsgesetzgebers logischerweise voraussetzt, dass dieser Mitgliedstaat ein vereinfachtes nationales Rückführungsverfahren anwendet.

66.      Es ist daher verlockend, die mit dem Urteil Affum begründete Rechtsprechung auf einen Fall im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 zu übertragen und zu der Feststellung zu gelangen, dass die Inhaftierung eines Drittstaatsangehörigen unzulässig ist.

67.      Dennoch meine ich, dass eine solche Auslegung keinen Erfolg haben kann, da sie über den Wortlaut von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 hinausgeht, indem sie eine zusätzliche Bedingung aufstellt. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Entziehung der Freiheit eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen(31), die sich im Wesentlichen an Erwägungen zur praktischen Wirksamkeit der Richtlinie 2008/115(32), insbesondere von Art. 6 Abs. 1(33) und von Art. 8 Abs. 1(34), orientiert, stellt nämlich gerade auf den Anwendungsbereich dieser Richtlinie ab. Sobald daher ein Mitgliedstaat Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 anwendet, fällt die Situation des Betroffenen nicht mehr unter diese Richtlinie, und auf Erwägungen zur praktischen Wirksamkeit dieser Richtlinie kann dann nicht mehr zurückgegriffen werden.

68.      Diese Frage stellt sich daher nicht, weil der Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115 nicht eröffnet ist, auch wenn man berechtigte Zweifel hegen mag, ob ein Polizeigewahrsam zu einer schnelleren Abschiebung der betroffenen Person beitragen kann.

69.      Deshalb würde ich auf die dritte (hypothetische) Frage antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 einer nationalen Regelung wie Art. L. 621‑2 CESEDA nicht entgegenstehen, wonach die illegale Einreise eines Drittstaatsangehörigen, für den das mit dieser Richtlinie geschaffene Rückführungsverfahren noch nicht abgeschlossen worden ist, in das Inland mit Freiheitsstrafe bedroht ist.

 Ergebnis

70.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger und Art. 32 der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) sind dahin auszulegen, dass die Behörden eines Mitgliedstaats nicht festlegen können, dass die Richtlinie 2008/115 auf den Fall eines Drittstaatsangehörigen, der beim illegalen Überschreiten einer Binnengrenze, an der die Kontrollen in Anwendung von Art. 25 des Schengener Grenzkodex wieder eingeführt worden sind, aufgegriffen oder abgefangen wurde, nicht anzuwenden ist.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98).


3      Vgl. Urteil vom 6. Dezember 2011, Achughbabian (C‑329/11, EU:C:2011:807, Rn. 50 und zweiter Gedankenstrich des Tenors).


4      Vgl. Urteil vom 1. Oktober 2015, Celaj (C‑290/14, EU:C:2015:640, Rn. 28 und Tenor).


5      Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2016, L 77, S. 1).


6      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zu Gemeinschaftsstatistiken über Wanderung und internationalen Schutz und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 311/76 des Rates über die Erstellung von Statistiken über ausländische Arbeitnehmer (ABl. 2007, L 199, S. 23).


7      JORF vom 1. Januar 2013, S. 48.


8      Entspricht Art. 6 Abs. 1 Buchst. a, b und c des Schengener Grenzkodex.


9      ABl. 2006, L 105, S. 1.


10      Entspricht Art. 6 Abs. 5 Buchst. a und c des Schengener Grenzkodex.


11      Vgl. Urteile vom 6. Dezember 2011, Achughbabian (C‑329/11, EU:C:2011:807), und vom 7. Juni 2016, Affum (C‑47/15, EU:C:2016:408).


12      Die erste Frage scheint mir, isoliert betrachtet, über den Ausgangsrechtsstreit hinauszugehen, da sie sich auf eine Reihe von hypothetischen Situationen bezieht.


13      Die erste Alternative, die auf Drittstaatsangehörige Anwendung findet, die einem Einreiseverbot nach Art. 13 des Schengener Grenzkodex unterliegen, kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht, da kein derartiges Einreiseverbot erlassen wurde.


14      Gestützt auf Art. 78-2 Abs. 4 (alte Fassung) Strafprozessordnung, jetzt Art. 78-2 Abs. 9 Strafprozessordnung.


15      Vgl. Urteil vom 7. Juni 2016, Affum (C‑47/15, EU:C:2016:408, Rn. 72), und meine Schlussanträge in derselben Rechtssache (C‑47/15, EU:C:2016:68, Nr. 71).


16      Darüber hinaus hat der Gerichtshof nach der alten Fassung des Schengener Grenzkodex (Verordnung Nr. 562/2006) für Recht erkannt, dass auf Art. 78‑2 Abs. 4 der Strafprozessordnung (jetzt Art. 78‑2 Abs. 9 der Strafprozessordnung) gestützte Identitätskontrollen die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben können (vgl. Urteil vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli, C‑188/10 und C‑189/10, EU:C:2010:363, Rn. 71 bis 75). Da der Gerichtshof jedoch die Wendung „in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten“ einer Grenze bereits im Rahmen der Richtlinie 2008/115 ausgelegt hat, ist es nicht mehr erforderlich, auf diese Rechtsprechung im Rahmen von Art. 23 des Schengener Grenzkodex (früher Art. 21 der Verordnung Nr. 562/2006) zurückzugreifen.


17      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Affum (C‑47/15, EU:C:2016:68, Nr. 42).


18      Einschließlich Flüsse und Seen.


19      Einschließlich der Fluss‑ und Binnenseegrenzen.


20      Vgl. Erwägungsgründe 37 bis 44 des Schengener Grenzkodex.


21      Urteil vom 7. Juni 2016 (C‑47/15, EU:C:2016:408).


22      Vgl. Urteil vom 7. Juni 2016, Affum (C‑47/15, EU:C:2016:408, Rn. 69).


23      „[U]nabhängig von der Staatsangehörigkeit“, wie in dieser Vorschrift mit unbestreitbarer Logik klargestellt wird. Das Überschreiten von Grenzen ohne jegliche Kontrolle ist nämlich nur möglich, wenn das für alle gilt. Die Abschaffung von Kontrollen an den Binnengrenzen, die durch diese Vorschrift erreicht werden soll, erstreckt sich angesichts des Ausbleibens von Kontrollen zwangsläufig auch auf Drittstaatsangehörige. Vgl. in diesem Sinne auch Hoppe, M., in Lenz, C. O., und Borchardt, K.‑D. (Hrsg.), EU-Verträge, Kommentar, Bundeanzeiger Verlag, 6. Aufl., Köln 2013, Art. 77 AEUV, Nr. 5, und Müller-Graff, P.‑C., in Pechstein, M., Nowak, C., Häde, U. (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV, Band II, Mohr Siebeck, Tübingen 2017, Art. 77 AEUV, Nr. 1.


24      In Übereinstimmung mit den Grundrechten und dem Völkerrecht, einschließlich der Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz von Flüchtlingen und die Menschenrechte.


25      Der Gerichtshof spricht wohlgemerkt von einer „Ausnahme“ (vgl. Urteil vom 7. Juni 2016, Affum, C‑47/15, EU:C:2016:408, Rn. 73), was meiner Meinung nach bedeutet, dass die fragliche Bestimmung eng auszulegen ist. Vgl. in diesem Sinne auch Peers, S., EU Justice and Home Affairs Law (Volume I: EU Justice and Home Affairs Law), 4. Aufl., OUP, Oxford 2016, S. 504.


26      Vgl. Urteil vom 7. Juni 2016, Affum (C‑47/15, EU:C:2016:408, Rn. 74).


27      Desgleichen in Art. 8 Abs. 4 und 5 (Beschränkung der Anwendung von Zwangsmaßnahmen), Art. 9 Abs. 2 Buchst. a (Aufschub der Abschiebung) sowie Art. 14 Abs. 1 Buchst. b und d (medizinische Notfallversorgung und Berücksichtigung der Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen).


28      Vgl. Urteil vom 7. Juni 2016, Affum (C‑47/15, EU:C:2016:408, Rn. 74).


29      Vgl. Urteil vom 7. Juni 2016, Affum (C‑47/15, EU:C:2016:408, Rn. 74).


30      Ebd.


31      Für eine Übersicht über die Rechtsprechung des Gerichtshofs siehe meine Schlussanträge in der Rechtssache Affum (C‑47/15, EU:C:2016:68, Nrn. 48 bis 56).


32      Vgl. insbesondere Urteil Achughbabian (C‑329/11, EU:C:2011:807, Rn. 33). Siehe auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Celaj (C‑290/14, EU:C:2015:285, Nr. 60) sowie Bartolini, S., Bombois, Th., „Immigration Detention before the CJEU: The Interrelationship between the Returns Directive and the Recast Reception Conditions Directive and their Impact on the Rights of Third Country Nationals“, European Human Rights Law Review, 2016, S. 518 bis 529 und insbesondere S. 523.


33      Wonach die Mitgliedstaaten gegen jeden Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung treffen, der sich illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhält, unbeschadet bestimmter Ausnahmen.


34      Wonach die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung treffen (wenn nach Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder wenn die betreffende Person ihrer Rückkehrverpflichtung nicht innerhalb der nach Art. 7 dieser Richtlinie eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nachgekommen ist).