Language of document : ECLI:EU:C:2010:534

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

16. September 2010(*)

„Sozialpolitik – Richtlinie 96/34/EG – Rahmenvereinbarung über Elternurlaub – Auslegung von Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung – Inhaber des Rechts auf Elternurlaub – Elternurlaub bei der Geburt von Zwillingen – Begriff ‚Geburt‘ – Berücksichtigung der Zahl der geborenen Kinder – Grundsatz der Gleichbehandlung“

In der Rechtssache C‑149/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Dioikitiko Efeteio Thessalonikis (Griechenland) mit Entscheidung vom 15. März 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 29. März 2010, in dem Verfahren

Zoi Chatzi

gegen

Ypourgos Oikonomikon

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter E. Levits, M. Ilešič und M. Safjan sowie der Richterin M. Berger (Berichterstatterin),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des Beschlusses des Präsidenten vom 12. Mai 2010, das Vorabentscheidungsersuchen einem beschleunigten Verfahren gemäß Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 104a Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juli 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der griechischen Regierung, vertreten durch M. Apessos, E.‑M. Mamouna, G. Papagianni und G. Papadaki als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch C. Blaschke als Bevollmächtigten,

–        der estnischen Regierung, vertreten durch M. Linntam als Bevollmächtigte,

–        der zyprischen Regierung, vertreten durch D. Kallí als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar und J. Faldyga als Bevollmächtigte,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch E. Jenkinson und R. Palmer als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Patakia und M. van Beek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Generalanwältin

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Paragraf 2 Nr. 1 der am 14. Dezember 1995 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub (im Folgenden: Rahmenvereinbarung) im Anhang der Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung (ABl. L 145, S. 4) in der durch die Richtlinie 97/75/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 (ABl. 1998, L 10, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 96/34).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Chatzi und ihrem Dienstherrn, dem Ypourgos Oikonomikon (Finanzministerium), über eine Entscheidung des Direktors des Finanzamts Nr. 1 Thessaloniki (Griechenland), ihr keinen zusätzlichen Elternurlaub wegen der Geburt von Zwillingen zu gewähren.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Richtlinie 96/34 wurde gemäß dem Verfahren nach Art. 4 Abs. 2 des Abkommens über die Sozialpolitik im Anhang des Protokolls Nr. 14 über die Sozialpolitik, das dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im Folgenden: Abkommen über die Sozialpolitik) mit dem Vertrag über die Europäische Union beigefügt worden war, erlassen.

4        Der erste Absatz der Präambel der Rahmenvereinbarung, die mit der Richtlinie 96/34 durchgeführt wird, lautet:

„Die nachstehende Rahmenvereinbarung stellt ein Engagement von UNICE, CEEP und EGB im Hinblick auf Mindestvorschriften für den Elternurlaub und für das Fernbleiben von der Arbeit aus Gründen höherer Gewalt dar, weil sie dies als ein wichtiges Mittel ansehen, Berufs- und Familienleben zu vereinbaren und Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen zu fördern.“

5        Die Nrn. 4 bis 6 und 9 der Allgemeinen Erwägungen dieser Rahmenvereinbarung lauten:

„4.      Die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer fordert unter Nummer 16 über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen die Entwicklung von Maßnahmen, die es Männern und Frauen ermöglichen, ihren beruflichen und familiären Verpflichtungen gleichermaßen nachzukommen.

5.      Die Entschließung des Rates vom 6. Dezember 1994 erkennt an, dass eine effiziente Chancengleichheitspolitik eine globale und integrierte Strategie verlangt, die eine bessere Organisation der Arbeitszeit sowie eine größere Flexibilität ebenso wie eine leichtere Rückkehr ins Berufsleben ermöglicht; in der Entschließung wird die wichtige Rolle berücksichtigt, die den Sozialpartnern in diesem Bereich auch dann zukommt, wenn es darum geht, Männern und Frauen eine Gelegenheit zu bieten, ihre berufliche Verantwortung sowie ihre familiären Verpflichtungen miteinander zu vereinbaren.

6.      Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben sollten die Einführung neuer und flexibler Arten der Arbeitsorganisation und der Zeiteinteilung fördern, die den sich ändernden Bedürfnissen der Gesellschaft besser angepasst sind und die sowohl die Bedürfnisse der Unternehmen als auch die der Arbeitnehmer berücksichtigen sollten.

9.      Bei der vorliegenden Vereinbarung handelt es sich um eine Rahmenvereinbarung, welche die Mindestanforderungen und Vorschriften für einen vom Mutterschutz getrennten Elternurlaub und für Fernbleiben von der Arbeit aus Gründen höherer Gewalt festlegt und es den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern überlässt, die Voraussetzungen und die Modalitäten für die Inanspruchnahme dieses Rechts festzulegen, damit die Lage in jedem einzelnen Mitgliedstaat berücksichtigt werden kann.“

6        Paragraf 1 der Rahmenvereinbarung sieht vor:

„1.      In dieser Vereinbarung sind Mindestanforderungen niedergelegt, die darauf abzielen, die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben erwerbstätiger Eltern zu erleichtern.

2.      Diese Vereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer, Männer und Frauen, die nach den Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat über einen Arbeitsvertrag verfügen oder in einem Arbeitsverhältnis stehen.“

7        Paragraf 2 Nrn. 1, 3 und 5 der Rahmenvereinbarung legt Folgendes fest:

„1.      Nach dieser Vereinbarung haben erwerbstätige Männer und Frauen nach Maßgabe des Paragrafen 2 Nummer 2 ein individuelles Recht auf Elternurlaub im Fall der Geburt oder Adoption eines Kindes, damit sie sich bis zu einem bestimmten Alter des Kindes – das Alter kann bis zu acht Jahren gehen – für die Dauer von mindestens drei Monaten um dieses Kind kümmern können. Die genauen Bestimmungen sind von den Mitgliedstaaten und/oder Sozialpartnern festzulegen.

3.      Die Voraussetzungen und die Modalitäten für die Inanspruchnahme des Elternurlaubs werden in den Mitgliedstaaten gesetzlich und/oder tarifvertraglich unter Einhaltung der Mindestanforderungen dieser Vereinbarung geregelt. Die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner können insbesondere

a)      entscheiden, ob der Elternurlaub auf Vollzeit- oder Teilzeitbasis, in Teilen oder in Form von ‚Kreditstunden‘ gewährt wird;

c)      die Voraussetzungen und die Modalitäten für die Inanspruchnahme des Elternurlaubs an die besonderen Umstände der Adoption anpassen;

5.      Im Anschluss an den Elternurlaub hat der Arbeitnehmer das Recht, an seinen früheren Arbeitsplatz zurückzukehren oder, wenn das nicht möglich ist, entsprechend seinem Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis einer gleichwertigen oder ähnlichen Arbeit zugewiesen zu werden.“

8        Paragraf 4 Nr. 6 der Rahmenvereinbarung sieht vor:

„Unbeschadet der Rolle der Kommission, der einzelstaatlichen Gerichte und des Europäischen Gerichtshofs muss jede Frage, die die Auslegung dieser Vereinbarung auf europäischer Ebene betrifft, zunächst von der Kommission an die Unterzeichnerparteien zur Stellungnahme zurückverwiesen werden.“

9        Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 96/34 mussten die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen, die erforderlich waren, um dieser Richtlinie spätestens ab dem 3. Juni 1998 nachzukommen.

 Nationales Recht

10      Der Vorlageentscheidung zufolge wurden die Bestimmungen der Richtlinie 96/34 schrittweise in die griechische Rechtsordnung umgesetzt.

11      Die auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbare Vorschrift ist Art. 53 des neuen Gesetzbuchs über das Statut der Beamten der Zivilverwaltung und der Beamten juristischer Personen des öffentlichen Rechts in der Fassung durch das Gesetz 3528/2007.

12      Der genannte Art. 53 trägt die Überschrift „Erleichterungen für Beamte mit familiären Verpflichtungen“ und bestimmt in seinem Abs. 2:

„Die Arbeitszeit von Beamten, die Eltern sind, verringert sich um zwei Stunden täglich, wenn sie Kinder im Alter von weniger als zwei Jahren haben, und um eine Stunde, wenn sie Kinder im Alter zwischen zwei und vier Jahren haben. Beamte, die Eltern sind, haben Anspruch auf neun Monate bezahlten Elternurlaub, wenn sie sich nicht für die im vorstehenden Unterabsatz genannte Teilzeittätigkeit entscheiden. …“

13      Aus der Vorlageentscheidung geht außerdem hervor, dass die zuständigen griechischen Stellen diese Vorschrift dahin auslegen, dass Elternurlaub nur bis zum vierten Geburtstag des betreffenden Kindes in Anspruch genommen werden kann.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, Frau Chatzi, ist als Beamtin beim Finanzamt Nr. 1 von Thessaloniki (Griechenland) beschäftigt.

15      Am 21. Mai 2007 brachte sie Zwillinge zur Welt.

16      Mit Entscheidung des Direktors des Finanzamts Nr. 1 von Thessaloniki vom 27. Juni 2008 wurde ihr auf ihren Antrag ein neunmonatiger bezahlter Elternurlaub ab 20. September 2007 gewährt.

17      In der Folge beantragte die Klägerin am 30. Januar 2009 die Gewährung eines zweiten neunmonatigen bezahlten Elternurlaubs für das zweite ihrer Zwillingskinder ab dem 1. März 2009. Diesen Antrag lehnte der Direktor des Finanzamts Nr. 1 von Thessaloniki mit Entscheidung vom 14. Mai 2009 ab.

18      Frau Chatzi erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Dioikitiko Efeteio Thessalonikis (Berufungsgericht für Verwaltungsstreitigkeiten Thessaloniki).

19      Dem vorlegenden Gericht zufolge hatte der Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat) im Jahr 2008 entschieden, dass die Mehrfachschwangerschaft einer Beamtin keinen Anspruch auf eine der Zahl der geborenen Kinder entsprechende Zahl von Elternurlauben auslöst.

20      Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel, wie die Richtlinie 96/34 im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Grundrechtecharta) auszulegen ist, die mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 rechtlich verbindlich geworden ist.

21      Unter diesen Umständen hat der Dioikitiko Efeteio Thessalonikis das bei ihm anhängige Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Kann angenommen werden, dass durch Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung – ausgelegt in Verbindung mit Art. 24 der Grundrechtecharta über die Rechte des Kindes und unter Berücksichtigung der Erhöhung des durch die Grundrechtecharta eingeführten Niveaus des Schutzes dieser Rechte – parallel auch ein Recht auf Elternurlaub für das Kind geschaffen wird, so dass bei der Geburt von Zwillingen die Gewährung nur eines Elternurlaubs einen Verstoß gegen Art. 21 der Grundrechtecharta wegen Diskriminierung aufgrund der Geburt und eine mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbarende Beschränkung der Rechte der Zwillinge begründet?

2.      Bei Verneinung der ersten Frage: Ist der Begriff „Geburt“ in Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen, dass für erwerbstätige Eltern ein doppeltes Recht auf Gewährung von Elternurlaub geschaffen wird, das darauf gestützt ist, dass die Zwillingsschwangerschaft mit zwei aufeinanderfolgenden Geburten (der Zwillingskinder) endet, oder dahin, dass der Elternurlaub für eine einzige Geburt gewährt wird, unabhängig von der Zahl der bei dieser Geburt zur Welt gekommenen Kinder, ohne dass im letzteren Fall die Gleichheit vor dem Gesetz gemäß Art. 20 der Grundrechtecharta verletzt wird?

 Zu den Vorlagefragen

 Vorbemerkungen

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Auslegung der Rahmenvereinbarung

22      Die deutsche Regierung führt aus, dass das in Art. 28 der Grundrechtecharta verankerte Recht der Sozialpartner auf Kollektivverhandlungen und ihr nunmehr in Art. 155 AEUV normiertes Recht, Vereinbarungen zu sozialpolitischen Fragen abzuschließen, die vom Rat auf der Ebene der Europäischen Union durchgeführt werden könnten, impliziere, dass die Sozialpartner die Reichweite der getroffenen Vereinbarungen autonom festlegen könnten, ohne eine Ausdehnung über deren Wortlaut und Zielsetzung hinaus befürchten zu müssen.

23      Hierzu ist festzustellen, dass der Gedanke einer Beteiligung der Sozialpartner an der Auslegung der Rahmenvereinbarung seinen Ausdruck in deren Paragraf 4 Nr. 6 findet, wonach jede Frage, die die Auslegung dieser Vereinbarung auf europäischer Ebene betrifft, zunächst von der Kommission an die Unterzeichnerparteien zur Stellungnahme zurückverwiesen werden muss. Die Frage des Gerichtshofs, ob die Unterzeichnerparteien der Rahmenvereinbarung eine Stellungnahme zu den in dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfenen Fragen abgegeben haben, hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung verneint. Zum einen, so die Kommission, hätten die in einem beschleunigten Verfahren geltenden zeitlichen Vorgaben einer solchen Konsultation entgegengestanden; zum anderen wäre eine solche Konsultation weder effizient noch konstruktiv gewesen, da die Fragen, die Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens seien, auf europäischer Ebene nie untersucht worden seien.

24      Jedenfalls erfolgt die Konsultation der Unterzeichnerparteien der Rahmenvereinbarung, wie Paragraf 4 Nr. 6 dieser Vereinbarung ausdrücklich klarstellt, unbeschadet der Rolle der Kommission, der einzelstaatlichen Gerichte und des Gerichtshofs.

25      Die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Auslegung von Richtlinien ergibt sich aus Art. 267 AEUV. Gewiss ist die Rahmenvereinbarung aus einem aufgrund des Abkommens über die Sozialpolitik geführten Dialog zwischen Sozialpartnern auf europäischer Ebene hervorgegangen; durchgeführt wurde sie jedoch gemäß Art. 4 Abs. 2 des Abkommens über die Sozialpolitik durch eine Richtlinie des Rates der Europäischen Union, wodurch sie integraler Bestandteil dieser Richtlinie geworden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2009, Gómez-Limón Sánchez-Camacho, C‑537/07, Slg. 2009, I‑6525, Randnr. 34).

26      Folglich unterscheidet sich die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Auslegung der Rahmenvereinbarung nicht von seiner allgemeinen Zuständigkeit für die Auslegung anderer in Richtlinien enthaltener Bestimmungen.

 Zum Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung

27      Da Frau Chatzi Beamtin ist, muss vorab geprüft werden, ob die Richtlinie 96/34 und die Rahmenvereinbarung in ihrem Anhang auch auf Beamte anwendbar sind.

28      In den Bestimmungen dieser beiden Rechtsakte findet sich kein Hinweis, aus dem sich ableiten ließe, dass Beamte von ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen sind.

29      Wie im Gegenteil aus dem Wortlaut von Paragraf 1 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung unmittelbar hervorgeht, ist deren Anwendungsbereich weit gefasst und bezieht sich allgemein auf „alle Arbeitnehmer, die nach den Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat über einen Arbeitsvertrag verfügen oder in einem Arbeitsverhältnis stehen“. Zudem bezieht sich Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung auf „[E]rwerbstätige“, ohne danach zu unterscheiden, ob ihr Arbeitgeber privat oder öffentlich ist, und schließt somit alle Arbeitnehmer ein (vgl. in Bezug auf die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge [ABl. L 175, S. 43] Urteile vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a., C‑212/04, Slg. 2006, I‑6057, Randnrn. 54 ff. und vom 7. September 2006, Vassallo, C‑180/04, Slg. 2006, I‑7251, Randnr. 32).

30      Diese Auslegung wird überdies durch die Erwägung gestützt, dass die Rahmenvereinbarung, wie aus dem ersten Absatz ihrer Präambel und aus Nr. 4 ihrer Allgemeinen Erwägungen hervorgeht, u. a. die Gleichbehandlung von Männern und Frauen fördern soll. Der Gerichtshof hat entschieden, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, der zu den Sozialvorschriften des Vertrags gehört, allgemeine Geltung hat und dass die Richtlinie auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse anwendbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Oktober 1997, Gerster, C‑1/95, Slg. 1997, I‑5253, Randnr. 18, und vom 11. Januar 2000, Kreil, C‑285/98, Slg. 2000, I‑69, Randnr. 18).

 Zur ersten Frage

31      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht sinngemäß wissen, ob Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung dahin ausgelegt werden kann, dass er einem Kind ein individuelles Recht auf Elternurlaub verleiht und demzufolge die Nichtgewährung eines zweiten Elternurlaubs bei der Geburt von Zwillingen die Rechte beeinträchtigt, die den Zwillingen nach der Unionsrechtsordnung zustehen.

32      Wie alle Beteiligten, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, dargelegt haben, ist diese Frage sowohl in Anbetracht des Wortlauts der Rahmenvereinbarung als auch im Hinblick auf ihren Zweck zu verneinen.

33      Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung bestimmt nämlich ausdrücklich, dass „erwerbstätige Männer und Frauen“ ein individuelles Recht auf Elternurlaub haben. Ebenso stellt Paragraf 1 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung klar, dass diese „für alle Arbeitnehmer, Männer und Frauen, die … über einen Arbeitsvertrag verfügen oder in einem Arbeitsverhältnis stehen“, gilt.

34      Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich eindeutig, dass das Recht auf Elternurlaub den Eltern in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer – und nur ihnen – zusteht.

35      Diese Auslegung anhand des Wortlauts wird durch den Zweck des Elternurlaubs gestützt.

36      Dieser zielt nämlich nach Paragraf 1 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung darauf ab, „die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben erwerbstätiger Eltern zu erleichtern“, ein Ziel, das, wie Nr. 4 der Allgemeinen Erwägungen der Rahmenvereinbarung zum Ausdruck bringt, in Nr. 16 der auf der Tagung des Europäischen Rates in Straßburg am 9. Dezember 1989 verabschiedeten Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer festgelegt ist.

37      Mit demselben Ziel ist der Anspruch auf Elternurlaub in Art. 33 Abs. 2 der Grundrechtecharta unter den sozialen Grundrechten aufgenommen worden, die in Titel IV der Grundrechtecharta unter der Überschrift „Solidarität“ zusammengefasst werden.

38      Art. 24 der Grundrechtecharta, auf den das vorlegende Gericht Bezug nimmt, ändert nichts an diesem Befund.

39      Dieser Artikel, der in dem mit „Gleichheit“ überschriebenen Titel III der Grundrechtecharta enthalten ist, bestimmt, dass Kinder Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge haben, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Aus diesem Recht auf Schutz und Fürsorge folgt jedoch nicht zwingend die Anerkennung eines individuellen Rechts von Kindern darauf, dass ihren Eltern Elternurlaub gewährt wird. Es genügt, dass ein solches Recht den Eltern selbst eingeräumt wird. Denn den Eltern steht das Recht zu und obliegt zugleich die Pflicht, die Erziehung ihrer Kinder sicherzustellen, und sie können demgemäß entscheiden, wie sie ihre elterliche Verantwortung am besten wahrnehmen und ob sie hierfür Elternurlaub in Anspruch nehmen oder nicht.

40      Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er einem Kind ein individuelles Recht auf Elternurlaub verleiht.

 Zur zweiten Frage

41      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht sinngemäß wissen, ob Art. 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung dahin ausgelegt werden kann, dass die Geburt von Zwillingen ein Recht auf eine der Zahl der geborenen Kinder entsprechende Zahl von Elternurlauben eröffnet, oder ob er dahin auszulegen ist, dass eine solche Geburt, wie die Geburt eines einzelnen Kindes, nur ein Recht auf einen einzigen Elternurlaub eröffnet.

42      Nach gefestigter Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteile vom 7. Dezember 2006, SGAE, C‑306/05, Slg. 2006, I‑11519, Randnr. 34, und vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C‑432/07, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 41).

43      Zudem ist nach einem allgemeinen Auslegungsgrundsatz ein Gemeinschaftsrechtsakt so weit wie möglich in einer Weise, die seine Gültigkeit nicht in Frage stellt, und im Einklang mit dem gesamten Primärrecht auszulegen (vgl. u. a. Urteile vom 22. Mai 2008, Feinchemie Schwebda und Bayer CropScience, C‑361/06, Slg. 2008, I‑3865, Randnrn. 49 und 50, sowie Sturgeon u. a., Randnrn. 47 und 48), insbesondere im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung.

44      Diese Rechtsprechung lässt sich auf die Vereinbarungen übertragen, die wie die Rahmenvereinbarung mit einer Richtlinie des Rates der Europäischen Union durchgeführt werden, wodurch sie integraler Bestandteil dieser Richtlinie werden (vgl. Randnr. 25 des vorliegenden Urteils).

 Zum Wortlaut von Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung

45      Nach Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung haben erwerbstätige Männer und Frauen „ein individuelles Recht auf Elternurlaub im Fall der Geburt oder Adoption eines Kindes, damit sie sich … für die Dauer von mindestens drei Monaten um dieses Kind kümmern können“. Art. 33 Abs. 2 der Grundrechtecharta hat einen ähnlichen Wortlaut, da er u. a. vorsieht, dass „jede Person … Anspruch … auf einen Elternurlaub nach der Geburt oder Adoption eines Kindes [hat]“.

46      Nach Auffassung der zyprischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs spricht die Verwendung des Singulars („im Fall der Geburt … eines Kindes“, „damit sie sich … um dieses Kind kümmern können“) dafür, dass der Arbeitnehmer ein Recht auf einen gesonderten Elternurlaub für jedes Kind hat.

47      Der zyprischen Regierung zufolge wird die Auslegung, wonach das entscheidende Kriterium, das das Recht auf Elternurlaub begründet, das Kind und nicht die Geburt ist, durch das Urteil vom 14. April 2005, Kommission/Luxemburg (C‑519/03, Slg. 2005, I‑3067, Randnr. 47), bestätigt, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass die Formulierung, wonach Elternurlaub „im Falle der Geburt“ eines Kindes gewährt wird, nur zum Ausdruck bringt, dass das Recht auf Elternurlaub der Voraussetzung unterliegt, dass ein Kind geboren wurde.

48      Diese am Wortlaut orientierte Auslegung ist nicht zweifelsfrei.

49      Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Verwendung des Singulars in Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung keinen Zahlenwert, sondern einen Gattungsbegriff ausdrückt und dieser Singular keine Korrelation zwischen der Zahl der Kinder und der Zahl der Elternurlaube herstellt, sondern die Gesamtheit der Kinder als Kategorie von Personen bezeichnet, die ein Recht auf Elternurlaub begründen.

50      Was die Tragweite des angeführten Urteils Kommission/Luxemburg betrifft, ergibt sich aus dessen Randnr. 47, dass der Gerichtshof mit seiner Auslegung, dass die Gewährung von Elternurlaub nicht von der Geburt, sondern davon abhängt, dass ein Kind geboren wurde, zum Ausdruck bringen wollte, dass das Recht auf Elternurlaub nicht an den Zeitpunkt der Geburt des Kindes anknüpft und es nicht erforderlich ist, dass das Kind nach dem Inkrafttreten der Richtlinie in dem betreffenden Mitgliedstaat geboren worden ist. Der Gerichtshof hat somit eine Entscheidung zur zeitlichen Anwendbarkeit der Richtlinie 96/34 getroffen und nicht zu der Frage, ob bei einer Mehrfachgeburt eine der Zahl der geborenen Kinder entsprechende Zahl von Elternurlauben gewährt werden muss.

51      Daher ist festzustellen, dass der Wortlaut von Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung mehrdeutig ist und es für sich allein genommen nicht erlaubt, die Frage des vorlegenden Gerichts zu beantworten.

52      Demnach ist der Zweck der Regelung in Betracht zu ziehen, zu der diese Vorschrift gehört.

 Zum Zusammenhang und zu den Zielen der Richtlinie 96/34

53      Aus Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung geht hervor, dass der Elternurlaub den Eltern ermöglichen soll, sich um ihr Kind zu kümmern.

54      Nach Ansicht der zyprischen Regierung soll der Elternurlaub die Mutter oder den Vater in die Lage versetzen, sich vollständig dem Kind zu widmen. Bei Zwillingen rechtfertige das Erfordernis, dass jedes Kind der Betreuung bedürfe, die Gewährung eines gesonderten Urlaubs für jedes einzelne von ihnen.

55      Dieser Bewertung treten die griechische, die tschechische, die deutsche, die estnische und die polnische Regierung entgegen, nach deren Ansicht der Zweck des Elternurlaubs durch die Zahl der Kinder, um die sich der betreffende Elternteil während dieser Zeit kümmern muss, nicht berührt wird. Bei Zwillingen müsse der betreffende Elternteil die Bedürfnisse beider Kinder sofort und gleichzeitig befriedigen. Da sich die Lage der Mutter oder des Vaters von Zwillingen von der Lage der Mutter oder des Vaters eines einzelnen Kindes nur in der Intensität der zu erfüllenden Aufgabe und nicht in deren Dauer unterscheide, sei eine Verdopplung des Elternurlaubs nicht gerechtfertigt.

56      Wie sich aus dem ersten Absatz der Präambel der Rahmenvereinbarung und aus Nr. 5 ihrer Allgemeinen Erwägungen ergibt, stellt diese Rahmenvereinbarung ein Engagement der Sozialpartner dar, im Wege von Mindestvorschriften Maßnahmen zu schaffen, um die Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen zu fördern, indem ihnen Gelegenheit geboten wird, ihre berufliche Verantwortung und ihre familiären Verpflichtungen miteinander zu vereinbaren (Urteil vom 22. Oktober 2009, Meerts, C‑116/08, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 35).

57      Im Hinblick darauf ermöglicht es die Rahmenvereinbarung Personen, die gerade Eltern geworden sind, ihre Berufstätigkeit zu unterbrechen, um sich ihren familiären Verpflichtungen zu widmen, und gewährleistet ihnen, wie ihr Paragraf 2 Nr. 5 festlegt, die Rückkehr an ihren früheren Arbeitsplatz im Anschluss an diese Unterbrechung. Während eines Zeitraums, der von jedem Mitgliedstaat unter Beachtung einer Mindestdauer von drei Monaten frei festgelegt wird, und nach den im Ermessen der nationalen Gesetzgeber stehenden Modalitäten haben Personen, die gerade Eltern geworden sind, somit die Möglichkeit, ihrem Kind die aufgrund seines Alters erforderliche Unterstützung zu gewähren und Maßnahmen zur Organisation des Familienlebens im Hinblick auf ihre Rückkehr ins Berufsleben vorzusehen.

58      Zu der Frage, ob Eltern von Zwillingen in Anbetracht dieses Zwecks die Möglichkeit haben müssen, eine der Zahl der geborenen Kinder entsprechende Zahl von Elternurlauben in Anspruch zu nehmen, ist festzustellen, wie die griechische, die tschechische, die deutsche, die estnische und die polnische Regierung ausgeführt haben, dass die zusätzlichen Belastungen, die die Eltern von Zwillingen bewältigen müssen, quantitativer Art sind, denn diese Eltern müssen gleichzeitig die Bedürfnisse von zwei Kindern befriedigen, dass sich diese zusätzliche Beanspruchung aber nicht über einen längeren Zeitraum erstreckt, da Zwillinge grundsätzlich zur selben Zeit dieselben Entwicklungsphasen durchlaufen.

59      Daher stellt eine Verdopplung der Dauer des Elternurlaubs nicht unbedingt die einzige geeignete Maßnahme dar, die die Mitgliedstaaten ergreifen können, um Eltern von Zwillingen die Abstimmung zwischen Familien- und Berufsleben zu erleichtern; vielmehr muss das gesamte System betrachtet werden, zu dem die Maßnahmen gehören, mit denen den Belastungen, denen sich diese Eltern gegenübersehen, begegnet werden soll.

60      Diese Wertung wird durch die Erwägung gestützt, dass sich in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei den Bestimmungen der Rahmenvereinbarung um Mindestanforderungen handelt und die Mitgliedstaaten infolgedessen ein weites Ermessen bei der Durchführung des Elternurlaubs haben, die nationalen Umsetzungsmaßnahmen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat erheblich unterscheiden.

61      Unter diesen Umständen gebietet bei der Geburt von Zwillingen Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung in Anbetracht des Zusammenhangs, in dem er steht, und des mit der Rahmenvereinbarung verfolgten Zwecks nicht die automatische Zuerkennung eines Anspruchs auf eine der Zahl der geborenen Kinder entsprechende Zahl von Elternurlauben.

62      Gleichwohl bleibt zu prüfen, welche Bedeutung der Grundsatz der Gleichbehandlung für die Lage von Eltern von Zwillingen haben kann.

 Zum Grundsatz der Gleichbehandlung

63      Der Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört und dessen fundamentaler Charakter in Art. 20 der Grundrechtecharta verankert ist, kommt bei der Umsetzung des Rechts auf Elternurlaub umso größere Bedeutung zu, als der grundlegende Charakter dieses sozialen Rechts seinerseits in Art. 33 Abs. 2 der Charta anerkannt wird.

64      Dieser Grundsatz verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist (vgl. u. a. Urteile vom 5. Juni 2008, Wood, C‑164/07, Slg. 2008, I‑4143, Randnr. 13, sowie Sturgeon u. a., Randnr. 48).

65      Im Hinblick darauf trägt die Kommission vor, dass sich Eltern von Zwillingen in einer Lage befänden, die mit der Lage von Eltern vergleichbar sei, die Kinder mit einem geringen Altersunterschied hätten, denn beiden sei gemeinsam, dass sie ihre Kinder gleichzeitig großzögen. Ebenso wie die Letztgenannten müssten daher Erstere ein Recht auf einen eigenständigen Elternurlaub für jedes Kind haben.

66      Das von der Kommission herangezogene Vergleichskriterium zeigt, wie schwierig es ist, die Personengruppe zu bestimmen, mit denen Eltern von Zwillingen verglichen werden können. Denn dieses Kriterium beruht auf einem schwer zu quantifizierenden Merkmal, nämlich dem „geringen Altersabstand“.

67      Ferner lässt sich zwar nicht leugnen, dass die Erziehung von Zwillingen eine höhere Beanspruchung mit sich bringt und daher mit der Betreuung eines einzelnen Kindes nicht vergleichbar ist; es darf aber nicht verkannt werden, dass die Tatsache, dass Zwillinge parallel groß werden und sich entwickeln, Synergieeffekte mit sich bringt und demzufolge die Aufgabe, die die Erziehung von Zwillingen darstellt, nicht unbedingt der Aufgabe gleichkommt, die die Erziehung von zwei Kindern unterschiedlichen Alters darstellt.

68      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass sich Eltern von Zwillingen in einer besonderen Lage befinden, die in erster Linie vom nationalen Gesetzgeber zu berücksichtigen ist, wenn er Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 96/34 erlässt.

69      In diesem Zusammenhang ist noch einmal zu betonen, dass die Rahmenvereinbarung, wie in ihren Paragrafen 1 Nr. 1 und 2 Nr. 1 zum Ausdruck kommt, nur Mindestanforderungen aufstellt. Den Mitgliedstaaten steht es nicht nur frei, die Dauer des Elternurlaubs zu bestimmen, und sie müssen dabei nur eine Mindestdauer von drei Monaten beachten; auch die Festlegung der Voraussetzungen und der Modalitäten des Elternurlaubs steht vollkommen in ihrem Ermessen. Paragraf 2 Nr. 3 der Rahmenvereinbarung verweist insoweit auf die gesetzlichen und/oder tarifvertraglichen Regelungen in den Mitgliedstaaten, und diese Verweisung ist nach Nr. 9 der Allgemeinen Erwägungen der Rahmenvereinbarung dadurch begründet, dass die Lage in jedem einzelnen Mitgliedstaat berücksichtigt werden soll.

70      Die Mitgliedstaaten können somit – unter Beachtung der von der Rahmenvereinbarung vorgeschriebenen Mindestdauer des Elternurlaubs von drei Monaten – die zeitlichen Modalitäten für dessen Inanspruchnahme festlegen. Dieser Ermessensspielraum impliziert u. a., dass die Mitgliedstaaten, wenn sie einen längeren Elternurlaub beschließen als den nach der Rahmenvereinbarung vorgesehenen Mindesturlaub, spezielle Vorschriften für den Fall aufeinanderfolgender Geburten von Kindern vorsehen können.

71      Demzufolge besitzt der nationale Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Festlegung des Systems des Elternurlaubs, das auf Eltern von Zwillingen Anwendung findet und es ihnen ermöglicht, eine Regelung in Anspruch zu nehmen, die ihren besonderen Bedürfnissen gebührend Rechnung trägt.

72      Im Hinblick darauf ist festzustellen, dass im Allgemeinen eine deutlich längere Dauer als die von der Rahmenvereinbarung vorgesehene Mindestdauer und eine gewisse Flexibilität, die den Eltern eingeräumt wird, um den Elternurlaub dem Alter des Kindes entsprechend zu nehmen, geeignet sind, einen besseren Ausgleich der mit der Erziehung von Zwillingen verbundenen zusätzlichen Belastungen zu ermöglichen. Auch Modalitäten für die Inanspruchnahme des Elternurlaubs, die entsprechend Nr. 6 der Allgemeinen Erwägungen der Rahmenvereinbarung weiten Raum lassen für flexible Arten der Arbeitsorganisation, sind geeignet, die Vereinbarkeit der Erfordernisse des Berufslebens mit den besonderen Anforderungen, die die Erziehung von Zwillingen mit sich bringt, zu fördern.

73      Es ist jedoch auch möglich, andere geeignete Maßnahmen ins Auge zu fassen und zu erlassen, um den besonderen Bedürfnissen von Eltern von Zwillingen gerecht zu werden, wie eine materielle Unterstützung, z. B. in der Form eines Anspruchs auf Zugang zu Kinderbetreuungseinrichtungen, oder eine finanzielle Unterstützung, etwa in der Form spezieller Leistungen, die eine freie Wahl der Art der Betreuung ermöglichen.

74      Es ist Sache des nationalen Gerichts, das allein für die Würdigung des Sachverhalts des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zuständig ist, zu prüfen, ob die nationale Regelung in ihrer Gesamtheit ausreichende Möglichkeiten bietet, um in einem Fall wie dem vorliegenden den besonderen Bedürfnissen von Eltern von Zwillingen hinsichtlich ihres Berufs- und Familienlebens zu entsprechen.

75      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung nicht dahin auszulegen ist, dass die Geburt von Zwillingen ein Recht auf eine der Zahl der geborenen Kinder entsprechende Zahl von Elternurlauben eröffnet. Im Licht des Grundsatzes der Gleichbehandlung verpflichtet dieser Paragraf den nationalen Gesetzgeber jedoch, ein System des Elternurlaubs zu schaffen, das entsprechend der im betreffenden Mitgliedstaat bestehenden Situation Eltern von Zwillingen eine Behandlung gewährleistet, die ihren besonderen Bedürfnissen gebührend Rechnung trägt. Es ist Sache des nationalen Richters, zu prüfen, ob die nationale Regelung diesem Erfordernis entspricht, und diese nationale Regelung gegebenenfalls so weit wie möglich im Einklang mit dem Unionsrecht auszulegen.

 Kosten

76      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Paragraf 2 Nr. 1 der am 14. Dezember 1995 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub im Anhang der Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung in der durch die Richtlinie 97/75/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 geänderten Fassung kann nicht dahin ausgelegt werden, dass er einem Kind ein individuelles Recht auf Elternurlaub verleiht.

2.      Paragraf 2 Nr. 1 dieser Rahmenvereinbarung ist nicht dahin auszulegen, dass die Geburt von Zwillingen ein Recht auf eine der Zahl der geborenen Kinder entsprechende Zahl von Elternurlauben eröffnet. Im Licht des Grundsatzes der Gleichbehandlung verpflichtet dieser Paragraf den nationalen Gesetzgeber jedoch, ein System des Elternurlaubs zu schaffen, das entsprechend der im betreffenden Mitgliedstaat bestehenden Situation Eltern von Zwillingen eine Behandlung gewährleistet, die ihren besonderen Bedürfnissen gebührend Rechnung trägt. Es ist Sache des nationalen Richters, zu prüfen, ob die nationale Regelung diesem Erfordernis entspricht, und diese nationale Regelung gegebenenfalls so weit wie möglich im Einklang mit dem Unionsrecht auszulegen.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Griechisch.