Language of document : ECLI:EU:C:2011:277

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

5. Mai 2011(*)

„Freizügigkeit – Art. 21 AEUV – Richtlinie 2004/38/EG – Begriff ‚Berechtigter‘ – Art. 3 Abs. 1 – Staatsangehöriger, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich stets in dem Mitgliedstaat aufgehalten hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt – Auswirkungen des Besitzes der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats – Rein interner Sachverhalt“

In der Rechtssache C‑434/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Supreme Court of the United Kingdom, vormals House of Lords (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 5. Mai 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 5. November 2009, in dem Verfahren

Shirley McCarthy

gegen

Secretary of State for the Home Department

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters D. Šváby, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Juhász und J. Malenovský,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau McCarthy, vertreten durch S. Cox, Barrister, und K. Lewis, Solicitor,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ossowski als Bevollmächtigten im Beistand von T. Ward, Barrister,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch C. Vang als Bevollmächtigten,

–        der estnischen Regierung, vertreten durch M. Linntam als Bevollmächtigte,

–        Irlands, vertreten durch D. O’Hagan und D. Conlan Smyth als Bevollmächtigte im Beistand von B. Lennon, Barrister,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. de Ree als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Maidani und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 25. November 2010

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 3 Abs. 1 und 16 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigte Fassung: ABl. 2004, L 229, S. 35).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau McCarthy und dem Secretary of State for the Home Department (Innenminister; im Folgenden: Secretary of State) über einen von Frau McCarthy gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Erwägungsgründe 1 bis 3 der Richtlinie 2004/38 lauten:

„(1)      Die Unionsbürgerschaft verleiht jedem Bürger der Union das elementare und persönliche Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der im Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.

(2)      Die Freizügigkeit von Personen stellt eine der Grundfreiheiten des Binnenmarkts dar, der einen Raum ohne Binnengrenzen umfasst, in dem diese Freiheit gemäß den Bestimmungen des Vertrags gewährleistet ist.

(3)      Die Unionsbürgerschaft sollte der grundsätzliche Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sein, wenn sie ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt wahrnehmen. Daher müssen die bestehenden Gemeinschaftsinstrumente, die Arbeitnehmer und Selbständige sowie Studierende und andere beschäftigungslose Personen getrennt behandeln, kodifiziert und überarbeitet werden, um das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu vereinfachen und zu verstärken.“

4        Kapitel I der Richtlinie 2004/38 mit der Überschrift „Allgemeine Bestimmungen“ umfasst die Art. 1 bis 3 dieser Richtlinie.

5        Art. 1 („Gegenstand“) lautet:

„Diese Richtlinie regelt

a)      die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten genießen;

b)      das Recht auf Daueraufenthalt der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten;

c)      die Beschränkungen der in den Buchstaben a) und b) genannten Rechte aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit.“

6        Art. 2 („Definitionen“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1.      ‚Unionsbürger‘ jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;

2.      ‚Familienangehöriger‘:

a)      den Ehegatten;

b)      den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind;

c)      die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

d)      die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

3.      ‚Aufnahmemitgliedstaat‘ den Mitgliedstaat, in den sich der Unionsbürger begibt, um dort sein Recht auf Freizügigkeit oder Aufenthalt auszuüben.“

7        Art. 3 („Berechtigte“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt in Abs. 1:

„Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.“

8        Kapitel III der Richtlinie 2004/38 mit der Überschrift „Aufenthaltsrecht“ umfasst die Art. 6 bis 15 dieser Richtlinie.

9        Art. 6 bestimmt:

„(1)      Ein Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht.

(2)      Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige im Besitz eines gültigen Reisepasses, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.“

10      Art. 7 der Richtlinie 2004/38 sieht vor:

„(1)      Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a)      Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b)      für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c)      –       bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

         –       über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d)      ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstabens a), b) oder c) erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.

(2)      Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a), b) oder c) erfüllt.

(3)      Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe a) bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft dem Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger nicht mehr ausübt, in folgenden Fällen erhalten:

(4)      Abweichend von Absatz 1 Buchstabe d) und Absatz 2 haben nur der Ehegatte, der eingetragene Lebenspartner im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b) und Kinder, denen Unterhalt gewährt wird, das Recht auf Aufenthalt als Familienangehörige eines Unionsbürgers, der die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe c) erfüllt. Artikel 3 Absatz 2 findet Anwendung auf die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners, denen Unterhalt gewährt wird.“

11      In Kapitel IV der Richtlinie 2004/38 mit der Überschrift „Recht auf Daueraufenthalt“ bestimmt Art. 16 („Allgemeine Regel für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen“):

„(1)      Jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, hat das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft.

(2)      Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben.

(4)      Wenn das Recht auf Daueraufenthalt erworben wurde, führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zu seinem Verlust.“

12      Kapitel V dieser Richtlinie mit der Überschrift „Gemeinsame Bestimmungen über das Aufenthaltsrecht und das Recht auf Daueraufenthalt“ enthält Art. 22 („Räumlicher Geltungsbereich“), der bestimmt:

„Das Recht auf Aufenthalt und das Recht auf Daueraufenthalt erstrecken sich auf das gesamte Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats. Die Mitgliedstaaten können das Aufenthaltsrecht und das Recht auf Daueraufenthalt nur in den Fällen räumlich beschränken, in denen sie dieselben Beschränkungen auch für ihre eigenen Staatsangehörigen vorsehen.“

 Nationales Recht

13      Nach den zuwanderungsrechtlichen Vorschriften des Vereinigten Königreichs erfüllen die Drittstaatsangehörigen, die im Vereinigten Königreich nicht im Sinne dieser Vorschriften aufenthaltsberechtigt sind, auch als Ehegatte einer im Vereinigten Königreich ansässigen Person nicht die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach diesen Bestimmungen.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

14      Frau McCarthy, eine Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs, besitzt auch die irische Staatsangehörigkeit. Sie ist im Vereinigten Königreich geboren und hat stets dort gelebt, ohne jemals geltend gemacht zu haben, eine Arbeitnehmerin, Selbständige oder wirtschaftlich unabhängige Person zu sein. Sie bezieht staatliche Sozialleistungen.

15      Am 15. November 2002 schloss Frau McCarthy die Ehe mit einem jamaikanischen Staatsangehörigen, der nach den zuwanderungsrechtlichen Vorschriften des Vereinigten Königreichs in diesem Mitgliedstaat nicht aufenthaltsberechtigt ist.

16      Nach der Eheschließung beantragte Frau McCarthy zum ersten Mal überhaupt einen irischen Reisepass, der ihr ausgestellt wurde.

17      Am 23. Juli 2004 beantragten Frau McCarthy und ihr Ehegatte beim Secretary of State eine Aufenthaltserlaubnis und eine Aufenthaltsurkunde nach Unionsrecht als Unionsbürgerin bzw. als Ehegatte einer Unionsbürgerin. Der Secretary of State wies ihre Anträge mit der Begründung zurück, dass es sich bei Frau McCarthy nicht um eine Person handele, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt (zu diesem Personenkreis gehören im Wesentlichen Arbeitnehmer, Selbständige und wirtschaftlich unabhängige Personen), und dass Herr McCarthy folglich auch nicht der Ehegatte einer Person sei, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt.

18      Frau McCarthy legte gegen den sie betreffenden Bescheid des Secretary of State beim Asylum and Immigration Tribunal (im Folgenden: Tribunal) einen Rechtsbehelf ein, den dieses am 17. Oktober 2006 zurückwies. Nachdem der High Court of Justice (England & Wales) die erneute Prüfung dieses Rechtsbehelfs angeordnet hatte, bestätigte das Tribunal am 16. August 2007 seine Entscheidung.

19      Die von Frau McCarthy eingelegte Berufung gegen die Entscheidung des Tribunals wies der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) ab. Gegen dessen Entscheidung legte Frau McCarthy ein Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein.

20      Herr McCarthy seinerseits legte keinen Rechtsbehelf gegen den ihn betreffenden Bescheid des Secretary of State ein, stellte jedoch einen neuen Antrag, der gleichfalls abgelehnt wurde. Daraufhin legte Herr McCarthy gegen diesen zweiten Bescheid Rechtsbehelf beim Tribunal ein, das die Verhandlung bis zu einer Entscheidung über den von Frau McCarthy eingelegten Rechtsbehelf vertagte.

21      Vor diesem Hintergrund hat der Supreme Court of the United Kingdom beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist eine Person mit irischer und britischer Doppelstaatsangehörigkeit, die sich ihr Leben lang im Vereinigten Königreich aufgehalten hat, ein „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2004/38?

2.      Hat sich eine solche Person im Sinne von Art. 16 der Richtlinie 2004/38 „rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten“, wenn sie die Erfordernisse von Art. 7 dieser Richtlinie nicht erfüllen konnte?

 Zu den Vorlagefragen

22      Wie sich aus den Randnrn. 14 bis 19 des vorliegenden Urteils ergibt, geht es im Ausgangsrechtsstreit um einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Unionsrecht, den Frau McCarthy, eine Unionsbürgerin, in einem Mitgliedstaat gestellt hat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und in dem sie stets gelebt hat.

23      Dieser Antrag zielt in Wirklichkeit darauf ab, Herrn McCarthy, einem Drittstaatsangehörigen, als Familienangehörigem von Frau McCarthy zu einer Aufenthaltserlaubnis nach der Richtlinie 2004/38 zu verhelfen, da sich eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis nicht aus der Anwendung der zuwanderungsrechtlichen Vorschriften des Vereinigten Königreichs ergibt.

 Zur ersten Frage

24      Auch wenn das vorlegende Gericht seine Fragen der Form nach auf die Auslegung der Art. 3 Abs. 1 und 16 der Richtlinie 2004/38 beschränkt hat, ist vorab darauf hinzuweisen, dass dies den Gerichtshof nicht daran hindert, diesem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei dieser Fragestellung darauf Bezug genommen hat (vgl. Urteil vom 8. November 2007, ING. AUER, C‑251/06, Slg. 2007, I‑9689, Randnr. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Hierzu ist festzustellen, dass weder aus der Vorlageentscheidung noch aus der Akte, noch aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen hervorgeht, dass Frau McCarthy jemals von ihrem Recht auf Freizügigkeit im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten Gebrauch gemacht hat, sei es aus persönlichem Recht, sei es als Familienangehörige eines Unionsbürgers, der dieses Recht ausgeübt hat. Ferner ist festzustellen, dass Frau McCarthy eine Aufenthaltserlaubnis nach Unionsrecht beantragt, während sie nicht geltend macht, eine Arbeitnehmerin, Selbständige oder wirtschaftlich unabhängige Person zu sein.

26      Daher ist die erste Frage des vorlegenden Gerichts so zu verstehen, dass sie im Wesentlichen dahin geht, ob Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 oder Art. 21 AEUV auf den Fall eines Unionsbürgers anwendbar ist, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet.

 Vorbemerkungen

27      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Unionsbürgerschaft jedem Bürger der Union das elementare und persönliche Recht verleiht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten, wobei die Freizügigkeit von Personen im Übrigen eine der Grundfreiheiten des Binnenmarkts ist, die auch in Art. 45 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nochmals bekräftigt wurde (Urteil vom 7. Oktober 2010, Lassal, C‑162/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 29).

28      Zur Richtlinie 2004/38 hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass diese die Ausübung des den Unionsbürgern unmittelbar aus dem Vertrag erwachsenden elementaren und persönlichen Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, erleichtern soll und insbesondere bezweckt, dieses Recht zu verstärken (vgl. Urteile vom 25. Juli 2008, Metock u. a., C‑127/08, Slg. 2008, I‑6241, Randnrn. 82 und 59, sowie Lassal, Randnr. 30).

29      Der Gerichtshof hat darüber hinaus auch festgestellt, dass ein völkerrechtlicher Grundsatz, der durch Art. 3 des Protokolls Nr. 4 zu der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bekräftigt wurde und von dem nicht anzunehmen ist, dass ihn das Unionsrecht in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten außer Acht lässt, es einem Mitgliedstaat verwehrt, seinen eigenen Staatsangehörigen die Einreise und den Aufenthalt im Inland zu untersagen, worauf auch immer sie gestützt werden (vgl. Urteile vom 4. Dezember 1974, van Duyn, 41/74, Slg. 1974, 1337, Randnr. 22, und vom 27. September 2001, Barkoci und Malik, C‑257/99, Slg. 2001, I‑6557, Randnr. 81), wobei es dieser Grundsatz diesem Mitgliedstaat auch verwehrt, seine Staatsangehörigen aus seinem Hoheitsgebiet auszuweisen oder ihnen den Aufenthalt dort zu versagen oder ihn Bedingungen zu unterwerfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Juli 1992, Singh, C‑370/90, Slg. 1992, I‑4265, Randnr. 22, und vom 11. Dezember 2007, Eind, C‑291/05, Slg. 2007, I‑10719, Randnr. 31).

 Zur Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/38

30      Im ersten Teil der vorliegenden, vom Gerichtshof umformulierten Frage geht es darum, ob Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass diese Richtlinie auf einen Bürger in der Lage von Frau McCarthy anwendbar ist, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet.

31      Eine grammatikalische, teleologische und systematische Auslegung dieser Bestimmung führt dazu, diese Frage zu verneinen.

32      Erstens nämlich ist Berechtigter im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 jeder Unionsbürger, der sich in einen „anderen“ als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, „begibt“ oder sich dort aufhält.

33      Zweitens trifft zwar zu, dass – wie in Randnr. 28 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist – die Richtlinie 2004/38 die Ausübung des jedem Unionsbürger unmittelbar verliehenen elementaren und persönlichen Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, erleichtern und verstärken soll, doch betrifft ihr Gegenstand – wie aus ihrem Art. 1 Buchst. a hervorgeht – die Bedingungen, unter denen dieses Recht ausgeübt wird.

34      Da – wie in Randnr. 29 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist – der Aufenthalt einer Person, die in dem Mitgliedstaat wohnt, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, keinen Bedingungen unterworfen werden kann, kann die Richtlinie 2004/38, die die Bedingungen für die Ausübung des Rechts betrifft, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht dazu bestimmt sein, auf einen Unionsbürger Anwendung zu finden, der aufgrund der Tatsache, dass er sich in dem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, über ein nicht an Bedingungen geknüpftes Aufenthaltsrecht verfügt.

35      Drittens geht aus der Richtlinie 2004/38 als Ganzes hervor, dass der Aufenthalt im Sinne der Richtlinie mit der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit in Zusammenhang steht.

36      So definiert zunächst Art. 1 Buchst. a dieser Richtlinie deren Gegenstand unter Bezugnahme auf „das“ Recht „auf Freizügigkeit und Aufenthalt“ innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten, das Unionsbürger genießen. Eine solche Wechselbeziehung zwischen Aufenthalt und Freizügigkeit ergibt sich zudem sowohl aus dem Titel dieser Richtlinie als auch aus den meisten ihrer Erwägungsgründe, deren zweiter im Übrigen ausschließlich auf die Freizügigkeit Bezug nimmt.

37      Ferner betreffen die Aufenthaltsrechte im Sinne der Richtlinie 2004/38, also sowohl das in deren Art. 6 und 7 vorgesehene Aufenthaltsrecht als auch das Recht auf Daueraufenthalt nach ihrem Art. 16, den Aufenthalt eines Unionsbürgers entweder im Gebiet „eines anderen Mitgliedstaats“ oder „im Aufnahmemitgliedstaat“ und regeln somit die Rechtsstellung eines Unionsbürgers in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt.

38      Schließlich bezeichnet zwar – wie in Randnr. 32 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist – Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 als „Berechtigten“ im Sinne dieser Richtlinie jeden Unionsbürger, der sich in einen Mitgliedstaat begibt oder sich dort aufhält, doch ist ihrem Art. 22 zu entnehmen, dass sich der räumliche Geltungsbereich des Rechts auf Aufenthalt und des Rechts auf Daueraufenthalt im Sinne dieser Richtlinie auf das gesamte Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats erstreckt, der in deren Art. 2 Nr. 3 als der Mitgliedstaat definiert wird, in den sich der Unionsbürger „begibt“, um dort „sein“ Recht auf Freizügigkeit oder Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten auszuüben.

39      Daher fällt ein Unionsbürger in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens, soweit er noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich stets in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht unter den Begriff „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, so dass diese auf ihn nicht anwendbar ist.

40      Auf diese Feststellung kann es keinen Einfluss haben, dass dieser Bürger auch die Staatsangehörigkeit eines anderen als des Mitgliedstaats besitzt, in dem er sich aufhält.

41      Dass ein Bürger die Staatsangehörigkeit mehr als eines Mitgliedstaats besitzt, bedeutet insoweit nämlich nicht, dass er von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätte.

42      Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass, da ein Unionsbürger wie Frau McCarthy nicht unter den Begriff „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 fällt, auch sein Ehegatte nicht unter diesen Begriff fällt, da die durch diese Richtlinie den Familienangehörigen eines nach ihr Berechtigten verliehenen Rechte keine eigenen Rechte dieser Angehörigen, sondern abgeleitete Rechte sind, die sie als Familienangehörige des Berechtigten erworben haben (vgl. in Bezug auf die vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38 geltenden Rechtsvorschriften der Union Urteile vom 8. Juli 1992, Taghavi, C‑243/91, Slg. 1992, I‑4401, Randnr. 7, und Eind, Randnr. 23).

43      Folglich ist Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen, dass diese Richtlinie auf einen Unionsbürger, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet, nicht anwendbar ist.

 Zur Anwendbarkeit von Art. 21 AEUV

44      Im zweiten Teil der vorliegenden, vom Gerichtshof umformulierten Frage geht es darum, ob Art. 21 AEUV auf einen Unionsbürger anwendbar ist, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet.

45      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit und die zur Durchführung dieser Bestimmungen erlassenen Maßnahmen nicht auf Sachverhalte anwendbar sind, die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Unionsrecht abstellt, und die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C‑212/06, Slg. 2008, I‑1683, Randnr. 33, sowie Metock u. a., Randnr. 77).

46      Allerdings kann die Lage eines Unionsbürgers, der wie Frau McCarthy vom Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, nicht allein aus diesem Grund einer rein internen Situation gleichgestellt werden (vgl. Urteil vom 12. Juli 2005, Schempp, C‑403/03, Slg. 2005, I‑6421, Randnr. 22).

47      Der Gerichtshof hat nämlich mehrfach hervorgehoben, dass der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein (vgl. Urteil vom 8. März 2011, Ruiz Zambrano, C‑34/09, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung). Er hat ferner entschieden, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird (vgl. Urteil Ruiz Zambrano, Randnr. 42).

48      Als Staatsangehörige mindestens eines Mitgliedstaats genießt eine Person wie Frau McCarthy den Unionsbürgerstatus gemäß Art. 20 Abs. 1 AEUV und kann sich daher auch gegenüber ihrem Herkunftsmitgliedstaat auf die mit diesem Status verbundenen Rechte berufen, insbesondere auf das Recht aus Art. 21 AEUV, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (vgl. Urteil vom 10. Juli 2008, Jipa, C‑33/07, Slg. 2008, I‑5157, Randnr. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Allerdings lässt nichts an der Lage von Frau McCarthy, wie sie das vorlegende Gericht dargestellt hat, erkennen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Maßnahme bewirkte, dass ihr der tatsächliche Genuss des Kernbestands der mit ihrem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte verwehrt oder die Ausübung des Rechts, sich gemäß Art. 21 AEUV im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindert würde. Dass die Behörden des Vereinigten Königreichs die irische Staatsangehörigkeit von Frau McCarthy für die Zwecke außer Acht gelassen haben, ihr ein Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich zuzuerkennen, berührt diese nämlich weder in ihrem Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, noch im Übrigen in irgendeinem anderen Recht, das ihr durch den Unionsbürgerstatus verliehen wird.

50      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Maßnahme, anders als es für die Rechtssache kennzeichnend war, in der das Urteil Ruiz Zambrano ergangen ist, nicht bewirkt, dass Frau McCarthy verpflichtet wäre, das Hoheitsgebiet der Union zu verlassen. Wie aus Randnr. 29 des vorliegenden Urteils hervorgeht, steht ihr nach einem völkerrechtlichen Grundsatz im Vereinigten Königreich nämlich ein nicht an Bedingungen geknüpftes Aufenthaltsrecht zu, da sie die Staatsangehörigkeit des Vereinigten Königreichs besitzt.

51      Das Ausgangsverfahren unterscheidet sich auch von demjenigen, das dem Urteil vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello (C‑148/02, Slg. 2003, I‑11613), zugrunde lag. In diesem Urteil hat der Gerichtshof nämlich entschieden, dass die Anwendung der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats auf Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats, die auch die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats haben, bewirkte, dass diese Unionsbürger nach den beiden betreffenden Rechtssystemen unterschiedliche Familiennamen führten und dass diese Situation für sie zu schwerwiegenden Nachteilen beruflicher wie auch privater Art führen konnte, die insbesondere aus den Schwierigkeiten resultieren können, in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, rechtliche Wirkungen von Urkunden oder Schriftstücken in Anspruch zu nehmen, die auf den Namen ausgestellt wurden, der in dem anderen Mitgliedstaat anerkannt ist, dessen Staatsangehörigkeit sie ebenfalls besitzen.

52      Wie der Gerichtshof im Urteil vom 14. Oktober 2008, Grunkin und Paul (C‑353/06, Slg. 2008, I‑7639), in einem Kontext wie dem im Urteil Garcia Avello geprüften ausgeführt hat, kommt es nicht darauf an, ob die Unterschiedlichkeit der Nachnamen aus der doppelten Staatsangehörigkeit der Betroffenen folgt, sondern vielmehr darauf, dass diese Unterschiedlichkeit für die Unionsbürger zu schwerwiegenden Nachteilen führen konnte, die eine Behinderung der Freizügigkeit darstellten, die allenfalls dann gerechtfertigt wäre, wenn sie auf objektiven Erwägungen beruhte und in einem angemessenen Verhältnis zum legitimerweise verfolgten Zweck stünde (vgl. in diesem Sinne Urteil Grunkin und Paul, Randnrn. 23, 24 und 29).

53      So hatte die in den Rechtssachen Ruiz Zambrano und Garcia Avello in Rede stehende nationale Maßnahme bewirkt, dass Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der durch diesen Status verliehenen Rechte verwehrt oder die Ausübung ihres Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindert wurde.

54      Wie in Randnr. 49 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, führt aber im Kontext des Ausgangsverfahrens der Umstand, dass Frau McCarthy neben der Staatsangehörigkeit des Vereinigten Königreichs auch die irische Staatsangehörigkeit besitzt, nicht zur Anwendung von Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die bewirkten, dass ihr der tatsächliche Genuss des Kernbestands der ihr durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte verwehrt oder dass die Ausübung ihres Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindert würde. In einem solchen Kontext kann ein derartiger Umstand für sich genommen daher nicht ausreichen, um die Situation der betroffenen Person als von Art. 21 AEUV erfasst anzusehen.

55      Demnach ist festzustellen, dass die Situation einer Person wie Frau McCarthy keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweist, auf die das Unionsrecht abstellt, und dass diese Situation mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist.

56      Folglich ist Art. 21 AEUV auf einen Unionsbürger, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet, nicht anwendbar, sofern die Situation dieses Bürgers nicht von der Anwendung von Maßnahmen eines Mitgliedstaats begleitet ist, die bewirkten, dass ihm der tatsächliche Genuss des Kernbestands der durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte verwehrt oder die Ausübung seines Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindert würde.

57      Nach alledem ist die erste Vorlagefrage wie folgt zu beantworten:

–        Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ist dahin auszulegen, dass diese Richtlinie auf einen Unionsbürger, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet, nicht anwendbar ist.

–        Art. 21 AEUV ist auf einen Unionsbürger, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet, nicht anwendbar, sofern die Situation dieses Bürgers nicht von der Anwendung von Maßnahmen eines Mitgliedstaats begleitet ist, die bewirkten, dass ihm der tatsächliche Genuss des Kernbestands der durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte verwehrt oder die Ausübung seines Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindert würde.

 Zur zweiten Frage

58      Angesichts der Antwort auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

 Kosten

59      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin auszulegen, dass diese Richtlinie auf einen Unionsbürger, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet, nicht anwendbar ist.

2.      Art. 21 AEUV ist auf einen Unionsbürger, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet, nicht anwendbar, sofern die Situation dieses Bürgers nicht von der Anwendung von Maßnahmen eines Mitgliedstaats begleitet ist, die bewirkten, dass ihm der tatsächliche Genuss des Kernbestands der durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte verwehrt oder die Ausübung seines Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindert würde.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.