Language of document : ECLI:EU:C:2014:6

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

16. Januar 2014(*)

„Vorabentscheidungsersuchen – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 – Insolvenzverfahren – Insolvenzanfechtungsklage – Anfechtungsgegner mit Wohnsitz in einem Drittstaat – Zuständigkeit des Gerichts des Mitgliedstaats, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat“

In der Rechtssache C‑328/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 21. Juni 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juli 2012, in dem Verfahren

Ralph Schmid als Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen von Aletta Zimmermann

gegen

Lilly Hertel

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Ersten Kammer, der Richter A. Borg Barthet und E. Levits sowie der Richterin M. Berger (Berichterstatterin),

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Schmid als Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen von Frau Zimmermann, vertreten durch Rechtsanwalt G. S. Mohnfeld,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Bogensberger und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. September 2013

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. L 160, S. 1, im Folgenden: Verordnung).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Schmid als Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen von Frau Zimmermann (im Folgenden: Schuldnerin) und Frau Hertel wegen einer Insolvenzanfechtungsklage.

 Rechtlicher Rahmen

3        In den Erwägungsgründen 2 bis 4, 8, 12 und 14 der Verordnung heißt es:

„(2)      Für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts sind effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren erforderlich …

(3)      Die Geschäftstätigkeit von Unternehmen greift mehr und mehr über die einzelstaatlichen Grenzen hinaus und unterliegt damit in zunehmendem Maß den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts. Da die Insolvenz solcher Unternehmen auch nachteilige Auswirkungen auf das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts hat, bedarf es eines gemeinschaftlichen Rechtsakts, der eine Koordinierung der Maßnahmen in Bezug auf das Vermögen eines zahlungsunfähigen Schuldners vorschreibt.

(4)      Im Interesse eines ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarkts muss verhindert werden, dass es für die Parteien vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um auf diese Weise eine verbesserte Rechtsstellung anzustreben (sog. ‚forum shopping‘).

(8)      Zur Verwirklichung des Ziels einer Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit der Insolvenzverfahren mit grenzüberschreitender Wirkung ist es notwendig und angemessen, die Bestimmungen über den Gerichtsstand, die Anerkennung und das anwendbare Recht in diesem Bereich in einem gemeinschaftlichen Rechtsakt zu bündeln, der in den Mitgliedstaaten verbindlich ist und unmittelbar gilt.

(12)      Diese Verordnung gestattet die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in dem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Dieses Verfahren hat universale Geltung mit dem Ziel, das gesamte Vermögen des Schuldners zu erfassen. …

(14)      Diese Verordnung gilt nur für Verfahren, bei denen der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners in der Gemeinschaft liegt.“

4        Art. 1 Abs. 1 der Verordnung lautet:

„Diese Verordnung gilt für Gesamtverfahren, welche die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben.“

5        Art. 3 („Internationale Zuständigkeit“) der Verordnung bestimmt in seinem Abs. 1:

„Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. …“

6        Art. 5 Abs. 1 der Verordnung sieht vor:

„Das dingliche Recht eines Gläubigers oder eines Dritten an körperlichen oder unkörperlichen, beweglichen oder unbeweglichen Gegenständen des Schuldners – sowohl an bestimmten Gegenständen als auch an einer Mehrheit von nicht bestimmten Gegenständen mit wechselnder Zusammensetzung –, die sich zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats befinden, wird von der Eröffnung des Verfahrens nicht berührt.“

7        Art. 6 Abs. 1 der Verordnung lautet:

„Die Befugnis eines Gläubigers, mit seiner Forderung gegen eine Forderung des Schuldners aufzurechnen, wird von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt, wenn diese Aufrechnung nach dem für die Forderung des insolventen Schuldners maßgeblichen Recht zulässig ist.“

8        Art. 14 der Verordnung hat folgenden Wortlaut:

„Verfügt der Schuldner durch eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Rechtshandlung gegen Entgelt

–        über einen unbeweglichen Gegenstand,

–        über ein Schiff oder ein Luftfahrzeug, das der Eintragung in ein öffentliches Register unterliegt,

oder

–        über Wertpapiere, deren Eintragung in ein gesetzlich vorgeschriebenes Register Voraussetzung für ihre Existenz ist,

so richtet sich die Wirksamkeit dieser Rechtshandlung [nach] dem Recht des Staates, in dessen Gebiet dieser unbewegliche Gegenstand belegen ist oder unter dessen Aufsicht das Register geführt wird.“

9        Art. 25 Abs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen eines Gerichts, dessen Eröffnungsentscheidung nach Artikel 16 anerkannt wird, sowie ein von einem solchen Gericht bestätigter Vergleich werden ebenfalls ohne weitere Förmlichkeiten anerkannt. Diese Entscheidungen werden nach den Artikeln 31 bis 51 (mit Ausnahme von Artikel 34 Absatz 2) des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der durch die Beitrittsübereinkommen zu diesem Übereinkommen geänderten Fassung vollstreckt.

Unterabsatz 1 gilt auch für Entscheidungen, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen, auch wenn diese Entscheidungen von einem anderen Gericht getroffen werden.

…“

10      Gemäß Art. 44 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung gilt diese nicht „in einem Mitgliedstaat, soweit es in Konkurssachen mit den Verpflichtungen aus einer Übereinkunft unvereinbar ist, die dieser Staat mit einem oder mehreren Drittstaaten vor Inkrafttreten dieser Verordnung geschlossen hat“.

11      Anhang A der Verordnung enthält eine Liste der in ihrem Art. 1 Abs. 1 genannten Insolvenzverfahren.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

12      Herr Schmid ist Verwalter in dem am 4. Mai 2007 in Deutschland eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Die Anfechtungsgegnerin, Frau Hertel, lebt in der Schweiz. Herr Schmid nimmt sie vor den deutschen Gerichten im Wege einer Insolvenzanfechtungsklage auf Rückgewähr eines Betrags von 8 015,08 Euro zuzüglich Zinsen in das Vermögen der Schuldnerin in Anspruch. Die Klage ist in der ersten und in der zweiten Instanz wegen fehlender internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte als unzulässig abgewiesen worden. Mit der Revision vor dem Bundesgerichtshof verfolgt Herr Schmid den Anfechtungsanspruch weiter.

13      Der Bundesgerichtshof weist darauf hin, dass der Ausgangsrechtsstreit in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung falle. Es verweist insoweit auf das Urteil vom 12. Februar 2009, Seagon (C‑339/07, Slg. 2009, I‑767), in dem der Gerichtshof für Recht erkannt habe, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig seien, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat habe.

14      Bisher ungeklärt sei indes die Frage, ob Art. 3 Abs. 1 der Verordnung auch dann eingreife, wenn das Insolvenzverfahren in einem Mitgliedstaat eröffnet worden sei, der Anfechtungsgegner seinen Wohnsitz oder satzungsmäßigen Sitz jedoch nicht in einem Mitgliedstaat, sondern in einem Drittstaat habe.

15      Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass für die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung nach dessen Wortlaut ausreiche, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners in einem Mitgliedstaat liege. Da die Anwendung dieser Verordnung jedoch einen grenzüberschreitenden Bezug voraussetze, sei nicht klar, ob dieser zu einem anderen Mitgliedstaat oder zu einem Drittstaat bestehen müsse.

16      Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig, der seinen Wohnsitz oder satzungsmäßigen Sitz nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats hat?

 Zur Vorlagefrage

17      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Abs. 1 der Verordnung dahin auszulegen ist, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig sind, der seinen Wohnsitz nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats hat.

18      Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 1 der Verordnung lediglich vorsieht, dass für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen einen Schuldner die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Im Ausgangsverfahren befindet sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Schuldnerin in Deutschland.

19      Vorab ist jedoch zu prüfen, ob, wenn der einzige grenzüberschreitende Bezug, den der fragliche Sachverhalt enthält, die Beziehung zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat betrifft, das Insolvenzverfahren gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung in die Zuständigkeit der Gerichte dieses Mitgliedstaats fällt oder ob diese Frage der internationalen Zuständigkeit vielmehr durch Anwendung des nationalen Rechts dieses Mitgliedstaats zu klären ist.

20      Zu der sich im Rahmen dieser Prüfung stellenden Frage, ob die Anwendung der Verordnung in jedem Fall das Vorliegen grenzüberschreitender Elemente in dem Sinne voraussetzt, dass in den Anwendungsbereich der Verordnung nur Sachverhalte fallen, die Anknüpfungspunkte zu zwei oder mehreren Mitgliedstaaten aufweisen, ist darauf hinzuweisen, dass eine solche allgemeine und absolute Voraussetzung dem Wortlaut der Verordnung nicht zu entnehmen ist.

21      Wie die Generalanwältin in Nr. 25 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, beschränken nämlich weder Art. 1 („Anwendungsbereich“) der Verordnung noch deren Anhang A, der eine Liste der Insolvenzverfahren nach diesem Artikel enthält, die Anwendbarkeit der Verordnung auf Verfahren mit einem grenzüberschreitenden Bezug in dem in der vorstehenden Randnummer dargestellten Sinne. Das Gleiche gilt für den 14. Erwägungsgrund der Verordnung, wonach ihre Anwendung nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners nicht in der Europäischen Union liegt.

22      Zwar setzt die Anwendung mehrerer Bestimmungen der Verordnung das Vorliegen von Elementen voraus, die an das Gebiet oder die Rechtsordnung von mindestens zwei Mitgliedstaaten anknüpfen. Dies ist z. B. der Fall bei Art. 5 Abs. 1 der Verordnung, der eine Regel für dingliche Rechte Dritter an Vermögensgegenständen des Schuldners aufstellt, die sich zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Gebiet „eines anderen Mitgliedstaats“ befinden, oder bei den Bestimmungen des Kapitels III („Sekundärinsolvenzverfahren“) der Verordnung, die nur Sekundärverfahren betreffen, die in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet worden sind.

23      Andere Bestimmungen der Verordnung wie die Art. 6 und 14 enthalten dagegen keine solchen ausdrücklichen Beschränkungen. Ferner bestimmt Art. 44 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung, dass diese in einem Mitgliedstaat nicht gilt, soweit es in Konkurssachen mit den Verpflichtungen aus einer Übereinkunft unvereinbar ist, die dieser Staat mit einem oder mehreren Drittstaaten vor Inkrafttreten dieser Verordnung geschlossen hat. Diese Bestimmung wäre grundsätzlich überflüssig, wenn die Verordnung nicht auf die Beziehungen zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat anwendbar wäre.

24      Was in diesem Zusammenhang die Bestimmungen der Verordnung angeht, die nicht ausdrücklich einen grenzüberschreitenden Bezug zu mindestens zwei Mitgliedstaaten vorsehen, ist festzustellen, dass die von der Verordnung verfolgten Ziele, wie sie sich insbesondere aus ihren Erwägungsgründen ergeben, auch nicht für eine enge Auslegung des Anwendungsbereichs der Verordnung sprechen, bei der das Vorliegen eines solchen Bezugs zwingend vorausgesetzt würde.

25      Denn aus den Erwägungsgründen 2 bis 4 der Verordnung geht zwar hervor, dass es u. a. ihr Ziel ist, das „ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts“ sicherzustellen, aus dem vierten Erwägungsgrund ergibt sich jedoch, dass zur Erreichung dieses Ziels insbesondere „verhindert werden [muss], dass es für die Parteien vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um auf diese Weise eine verbesserte Rechtsstellung anzustreben (sog. ‚forum shopping‘)“. Der achte Erwägungsgrund der Verordnung nennt das Ziel einer „Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit der Insolvenzverfahren mit grenzüberschreitender Wirkung“, und im zwölften Erwägungsgrund heißt es, dass die Insolvenzverfahren, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, „universale Geltung“ haben „mit dem Ziel, das gesamte Vermögen des Schuldners zu erfassen“. Diese letzteren Ziele können nicht allein die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten, sondern naturgemäß und ihrem Wortlaut nach jeden grenzüberschreitenden Sachverhalt umfassen.

26      Schließlich ergibt sich eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Verordnung auf Sachverhalte, in die notwendigerweise mindestens zwei Mitgliedstaaten einbezogen sind, auch nicht aus den spezifischen Zielen von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung.

27      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung lediglich eine Regel der internationalen Zuständigkeit enthält, wonach „[f]ür die Eröffnung des Insolvenzverfahrens … die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig [sind], in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat“. Demnach soll Art. 3 Abs. 1 der Verordnung im Licht ihres achten Erwägungsgrundes die Vorhersehbarkeit und mithin die Rechtssicherheit in Bezug auf die gerichtlichen Zuständigkeiten in Konkurssachen fördern.

28      Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass zur Bestimmung des für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständigen Gerichts darauf abzustellen ist, wo der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners zum Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegen hat (vgl. Urteil vom 17. Januar 2006, Staubitz-Schreiber, C‑1/04, Slg. 2006, I‑701, Rn. 29). Wie die Generalanwältin in Nr. 29 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, mag das Vorliegen eines eventuellen grenzüberschreitenden Bezugs in diesem Frühstadium noch nicht erkennbar sein. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts darf jedoch nicht so lange aufgeschoben werden, bis neben dem Ort, an dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, auch die für die verschiedenen Aspekte des Verfahrens maßgeblichen Orte, wie der Wohnsitz möglicher Beklagter in Annexverfahren, feststehen. Ein Abwarten bis zum Vorliegen vollständiger Erkenntnisse hierüber würde nämlich die Erreichung der Ziele der Effizienz und der Wirksamkeit des Insolvenzverfahrens gefährden.

29      Die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung kann daher generell nicht vom Vorliegen eines grenzüberschreitenden Bezugs zu einem anderen Mitgliedstaat abhängen.

30      Was unter diesen Umständen die spezifische Frage betrifft, ob die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig sind, der seinen Wohnsitz nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats hat, ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof in Rn. 21 des Urteils Seagon entschieden hat, dass Art. 3 Abs. 1 der Verordnung dahin auszulegen ist, dass er den Gerichten des für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zuständigen Mitgliedstaats eine internationale Zuständigkeit auch für Klagen zuweist, die unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen.

31      In Rn. 25 des Urteils Seagon hat der Gerichtshof zwar auch entschieden, dass diese Gerichte somit für die Entscheidung über eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig sind, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.

32      Allein der Umstand, dass sich der Gerichtshof im Urteil Seagon darauf beschränkt hat, die Zuständigkeit des Eröffnungsgerichts für Klagen gegen in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Beklagte festzustellen, erlaubt indessen nicht die Schlussfolgerung, dass eine solche Zuständigkeit von vornherein dann ausgeschlossen ist, wenn der betreffende Beklagte in einem Drittstaat ansässig ist, da der Gerichtshof über diese Frage nicht zu befinden hatte. Die Anfechtungsgegnerin in der dem Urteil Seagon zugrunde liegenden Rechtssache hatte nämlich ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat.

33      Darüber hinaus ist festzustellen, dass die von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung verfolgten Ziele, die, wie in Rn. 27 des vorliegenden Urteils ausgeführt, darin bestehen, die Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeit in Konkurssachen und mithin die Rechtssicherheit zu fördern, für eine Auslegung in dem Sinne sprechen, dass diese Bestimmung auch eine Zuständigkeit für eine Entscheidung über eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner begründet, der seinen Wohnsitz in einem Drittstaat hat. Eine Harmonisierung der Regeln über die gerichtliche Zuständigkeit für Insolvenzanfechtungsklagen in der Union trägt nämlich zur Verwirklichung dieser Ziele unabhängig davon bei, ob der Anfechtungsgegner seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat hat.

34      Diese Schlussfolgerung wird nicht durch den von der deutschen Regierung in der mündlichen Verhandlung hervorgehobenen Umstand in Frage gestellt, dass der Anfechtungsgegner im Rahmen einer solchen Anfechtungsklage vor einem Gericht verklagt würde, das seinen Sitz in einem anderen Staat hat als dem, in dem sich der Wohnsitz des Anfechtungsgegners befindet.

35      Das in der Verordnung aufgestellte Kriterium zur Bestimmung des für die Entscheidung über die Klage zuständigen Gerichts, d. h. das Kriterium des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners, ist nämlich normalerweise für den Anfechtungsgegner vorhersehbar, der dem zu dem Zeitpunkt Rechnung tragen kann, zu dem er zusammen mit dem Schuldner eine Rechtshandlung vornimmt, die im Rahmen eines Insolvenzanfechtungsverfahrens für ungültig erklärt werden könnte. Daher haben die aus dem achten Erwägungsgrund der Verordnung hervorgehenden Ziele der Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeit in Konkurssachen und der Rechtssicherheit sowie gegebenenfalls das im vierten Erwägungsgrund zum Ausdruck kommende Ziel, zu verhindern, dass es für die Parteien vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände von einem Staat in einen anderen zu verlagern oder einen besonderen Gerichtsstand zu wählen, um ihre Rechtsstellung zu verbessern, Vorrang vor dem Anliegen, zu vermeiden, dass der Beklagte vor einem ausländischen Gericht verklagt wird.

36      Ebenso wenig kann dem Argument gefolgt werden, wonach die Gerichte eines Drittstaats weder zur Anerkennung noch zur Vollstreckung einer von einem Gericht innerhalb der Union erlassenen Entscheidung verpflichtet seien, oder, anders gesagt, wonach die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung, wenn der Anfechtungsgegner seinen Wohnsitz in einem Drittstaat habe, ihre praktische Wirksamkeit verlöre.

37      Wie die Generalanwältin in den Nrn. 36 und 38 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, steht nämlich der Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung nicht entgegen, dass die Bestimmungen der Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des Gerichts, das das Insolvenzverfahren eröffnet hat, für Drittstaaten nicht bindend sein können. Außerdem ist es, selbst wenn in einem konkreten Fall eine Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen nicht auf die Verordnung selbst gestützt werden kann, unter Umständen möglich, die Anerkennung und Vollstreckung eines vom zuständigen Gericht erlassenen Urteils nach Maßgabe einer bilateralen Übereinkunft zu erwirken.

38      Im Übrigen kann ein solches Urteil, auch wenn es von dem Staat, in dem der Wohnsitz des Beklagten liegt, nicht auf der Grundlage einer bilateralen Übereinkunft anerkannt und vollstreckt wird, von den anderen Mitgliedstaaten gemäß Art. 25 der Verordnung anerkannt und vollstreckt werden, insbesondere wenn sich ein Teil des Vermögens des Beklagten im Gebiet eines dieser Staaten befindet.

39      Nach alledem ist auf die Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 der Verordnung dahin auszulegen ist, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig sind, der seinen Wohnsitz nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats hat.

 Kosten

40      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig sind, der seinen Wohnsitz nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats hat.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.