Language of document : ECLI:EU:F:2013:68

BESCHLUSS DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST DER EUROPÄISCHEN UNION
(Dritte Kammer)

30. Mai 2013

Rechtssache F‑141/11

Luigi Marcuccio

gegen

Europäische Kommission

„Öffentlicher Dienst – Art. 34 Abs. 1 und 6 der Verfahrensordnung – Innerhalb der Klagefrist per Telefax eingereichte Klageschrift – Handschriftliche Unterschrift des Rechtsanwalts, die von jener auf der per Post versandten Urschrift der Klageschrift abweicht – Verspätung der Klage – Offensichtliche Unzulässigkeit“

Gegenstand:      Klage nach Art. 270 AEUV, der gemäß Art. 106a EA auch für den EAG-Vertrag gilt, u. a. auf Aufhebung der Entscheidungen, mit denen die Europäische Kommission die Anträge des Klägers vom 5. Oktober 2010, vom 2. November 2010, vom 6. Dezember 2010, vom 3. Januar 2011 und vom 3. Februar 2011 abgelehnt hat; vor der Einreichung der Urschrift der Klageschrift per Post wurde am 23. Dezember 2011 per Telefax an die Kanzlei des Gerichts ein Dokument versandt, das bei der Kanzlei am selben Tag einging und als Kopie der per Post eingereichten Urschrift der Klageschrift bezeichnet wurde

Entscheidung:      Die Klage wird als offensichtlich unzulässig abgewiesen. Herr Marcuccio trägt seine eigenen Kosten und wird verurteilt, die Kosten der Europäischen Kommission zu tragen.

Leitsätze

1.      Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Handschriftliche Unterschrift eines Rechtsanwalts – Wesentliche Vorschrift, die strikt anzuwenden ist – Fehlen – Unzulässigkeit

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 19 Abs. 3 und Art. 21 Abs. 1 sowie Anhang I Art. 7 Abs. 1; Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst, Art. 34 Abs. 1)

2.      Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Innerhalb der Klagefrist per Telefax eingereichte Klageschrift – Handschriftliche Unterschrift des Rechtsanwalts, die von jener auf der per Post versandten Urschrift der Klageschrift abweicht – Folge – Keine Berücksichtigung des Eingangsdatums des Telefax für die Beurteilung der Einhaltung der Klagefrist

(Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst, Art. 34; Beamtenstatut, Art. 91 Abs. 3)

3.      Beamtenklage – Antrag auf Feststellung der Inexistenz eines Verwaltungsakts – Zulässigkeitsvoraussetzungen

(Art. 288 AEUV; Beamtenstatut, Art. 90 und 91)

1.      Aus Art. 19 Abs. 3 und Art. 21 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs geht hervor, dass sich jeder Kläger durch eine hierzu berechtigte Person vertreten lassen muss und dass somit die Unionsgerichte nur mittels einer von dieser Person unterzeichneten Klageschrift wirksam angerufen werden können. Gemäß Art. 7 Abs. 1 des Anhangs I der Satzung des Gerichtshofs gelten diese Bestimmungen auch für das Verfahren vor dem Gericht für den öffentlichen Dienst. Weder die Satzung des Gerichtshofs noch die Verfahrensordnung des Gerichts sehen eine Abweichung oder Ausnahme von diesem Erfordernis vor.

Das Erfordernis der handschriftlichen Unterzeichnung durch den Vertreter des Klägers gewährleistet nämlich im Interesse der Rechtssicherheit die Echtheit der Klageschrift und schließt das Risiko aus, dass der Schriftsatz nicht von dem zu seiner Abfassung berechtigten Rechtsanwalt oder Beistand stammt. Auf diese Weise erfüllt dieser als Organ der Rechtspflege die ihm durch die Satzung des Gerichtshofs und die Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst zugewiesene wesentliche Rolle, durch die Ausübung seiner Tätigkeit dem Kläger den Zugang zu diesem Gericht zu ermöglichen. Dieses Erfordernis ist daher als eine wesentliche Formvorschrift anzusehen und strikt anzuwenden, so dass seine Nichtbeachtung zur Unzulässigkeit der Klage führt.

(vgl. Randnrn. 20 und 21)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 5. Dezember 1996, Lopes/Gerichtshof, C‑174/96 P, Randnr. 8 und die dort angeführte Rechtsprechung

Gericht erster Instanz: 23. Mai 2007, Parlament/Eistrup, T‑223/06 P, Randnrn. 50 bis 52

2.      Im Rahmen der Streitsachen des öffentlichen Dienstes der Union gestattet es Art. 34 der Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst dem Vertreter der betroffenen Partei für die Zwecke der fristgerechten Einreichung der Urschrift eines Schriftsatzes nicht, auf dem der Kanzlei dieses Gerichts per Telefax übermittelten Dokument und auf der per Post an die Kanzlei versandten oder ihr persönlich ausgehändigten Urschrift jeweils eine andere, wenn auch echte handschriftliche Unterschrift anzubringen.

Wenn die innerhalb von zehn Tagen, nachdem dem Gericht für den öffentlichen Dienst über ein Faxgerät eine Kopie übermittelt wurde, physisch bei der Kanzlei eingereichte Urschrift eines Schriftsatzes offensichtlich nicht dieselbe Unterschrift wie das gefaxte Dokument trägt, ist vor diesem Hintergrund festzustellen, dass bei der Kanzlei dieses Gerichts zwei unterschiedliche Schriftsätze eingegangen sind, die jeweils eine eigene Unterschrift tragen, auch wenn die Unterschriften von derselben Person angebracht wurden. Da die Übermittlung des per Telefax versandten Textes nicht den in Art. 34 der Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst aufgestellten Bedingungen der Rechtssicherheit genügt, kann das Datum der Übermittlung des per Telefax versandten Dokuments für die Einhaltung der Klagefrist nicht berücksichtigt werden.

Im Übrigen wird die Klagefrist durch Art. 91 Abs. 3 des Statuts festgelegt, von dem die Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst nicht abweichen darf. Daher ist es wichtig, dass die Urschrift der Klageschrift spätestens zum Ende dieser Frist erstellt wird. Insofern ist die Versendung per Telefax nicht nur eine Art der Übermittlung, sondern ermöglicht auch den Nachweis, dass die Urschrift der Klageschrift, die nach Fristablauf bei der Kanzlei dieses Gerichts eingegangen ist, bereits innerhalb der Klagefrist erstellt worden war.

(vgl. Randnrn. 23 bis 25)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 22. September 2011, Bell & Ross/HABM, C‑426/10 P, Randnrn. 37 bis 43

3.      Um die Zulässigkeit eines Antrags zu rechtfertigen, der so weit reicht wie der Antrag auf Feststellung der Inexistenz eines Verwaltungsakts, muss das Vorbringen des Klägers dem ersten Anschein nach entweder einen extrem schwerwiegenden Fall oder einen Fehler belegen können, dessen Schwere so offensichtlich ist, dass er von der Unionsrechtsordnung nicht geduldet werden kann.

(vgl. Randnr. 32)

Verweisung auf:

Gericht der Europäischen Union: 24. November 2010, T‑9/09 P, Marcuccio/Kommission, Randnrn. 37 ff.