Language of document : ECLI:EU:C:2012:583

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 20. September 2012(1)

Rechtssache C‑325/11

Krystyna Alder,

Ewald Alder

gegen

Sabina Orłowska,

Czeslaw Orłowski

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy w Koszalinie [Polen])

„Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke – Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 – Tragweite – Bestimmung der Fälle, in denen ein Schriftstück von einem in einen anderen Mitgliedstaat zu übermitteln ist – Nationale Vorschrift, die eine Zustellungsfiktion durch Belassen in der Gerichtsakte vorsieht, wenn die Partei, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats hat, keinen im nationalen Hoheitsgebiet ansässigen Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat“





1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates(2).

2.        Es geht insbesondere um die Frage, ob die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Fälle, in denen ein Schriftstück nach den in der Verordnung Nr. 1393/2007 vorgesehenen Modalitäten grenzüberschreitend zugestellt werden soll, über einen Handlungsspielraum verfügen.

3.        Da die einheitliche Anwendung der Vorschriften über die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke in allen Mitgliedstaaten eine bedeutende Rolle bei der Errichtung eines europäischen Rechtsraums spielt, dürfen der technische Gesichtspunkt und die Komplexität der Materie, die sowohl durch die Verflechtung von nationalen, internationalen und unionsrechtlichen Vorschriften als auch innerhalb der Rechtsordnung der Europäischen Union durch die Koexistenz von Regeln der Verordnung Nr. 1393/2007 und aus anderen Vorschriften folgenden Regeln gekennzeichnet ist, nicht den Blick auf die zweifellose Bedeutung dieser Frage verstellen, die dem Gerichtshof die Gelegenheit bietet, die Verknüpfung der nationalen Verfahrensrechte mit der Rechtsordnung der Union darzulegen.

4.        Die vorliegende Rechtssache beruht auf einer Zahlungsklage, die Frau und Herr Alder(3), beide in Deutschland ansässig, vor dem Sąd Rejonowy w Koszalinie (Polen) gegen Frau und Herrn Orłowski, die beide in Polen wohnen, am 20. November 2008 erhoben haben.

5.        Das Gericht belehrte die Eheleute Alder, dass sie nach Art. 11355 der polnischen Zivilprozessordnung (Kodeks postępowania cywilnego) innerhalb eines Monats eine zur Entgegennahme der zustellungsbedürftigen Schriftstücke bevollmächtigte Person benennen müssen, da anderenfalls, wenn die Partei, die ihren Wohnsitz im Ausland hat, keinen Prozessbevollmächtigten oder Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat, die für diese Partei bestimmten gerichtlichen Schriftstücke in der Gerichtsakte belassen werden und als zugestellt gelten.

6.        Da die Eheleute Alder weder einen Prozessbevollmächtigten noch einen Zustellungsbevollmächtigten bestellt hatten, wurde ihre Klage nach einer Verhandlung, zu der sie nicht erschienen waren, mit Urteil vom 5. Juni 2009 abgewiesen.

7.        Die Eheleute Alder reichten am 29. Oktober 2009 einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und Aufhebung des Urteils ein und machten geltend, ihnen sei mangels tatsächlicher Ladung zu dem Termin die Möglichkeit des prozessualen Handelns genommen worden. Durch die unterlassene Zustellung der gerichtlichen Schriftstücke an ihre Anschrift in Deutschland habe der Sąd Rejonowy w Koszalinie gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verstoßen. Das Gericht wies ihren Antrag am 23. Juni 2010 zurück.

8.        Auf die Berufung der Eheleute Alder hob der Sąd Okregowy w Koszalinie (Polen) dieses Urteil am 19. April 2011 auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das ursprünglich angerufene Gericht zurück, weil die Zustellungsfiktion im Widerspruch zu der Verordnung Nr. 1393/2007 stehe.

9.        Der Sąd Rejonowy w Koszalinie teilt diese Ansicht nicht. Er hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007 sowie Art. 18 AEUV dahin auszulegen, dass es zulässig ist, die für eine Person mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat bestimmten gerichtlichen Schreiben in der Gerichtsakte zu belassen, mit der Folge, dass diese als zugestellt gelten, wenn diese Person keinen Zustellungsbevollmächtigten benannt hat, der seinen Wohnsitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem das Gerichtsverfahren anhängig ist?

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

1.      Art. 18 AEUV

10.      Art. 18 AEUV bestimmt:

„Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.

Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Regelungen für das Verbot solcher Diskriminierungen treffen.“

2.      Verordnung Nr. 1393/2007

11.      Die Verordnung Nr. 1393/2007, die die Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten(4) aufgehoben und ersetzt hat, hat ein System zur Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Union errichtet. Diese Verordnung, mit der die Übermittlung von Schriftstücken beschleunigt und erleichtert werden soll, sieht vor, dass Schriftstücke unmittelbar und so schnell wie möglich(5) durch Übermittlungsstellen und Empfangsstellen übermittelt werden, die von den Mitgliedstaaten benannt werden(6), wobei sie andere Arten der Übermittlung zulässt(7), ohne eine Rangordnung zwischen ihnen aufzustellen(8), wie z. B. die Übermittlung auf konsularischem oder diplomatischem Weg in Ausnahmefällen(9), die Zustellung von Schriftstücken durch die diplomatischen oder konsularischen Vertretungen(10), die Zustellung durch Postdienste(11) oder die unmittelbare Zustellung durch Gerichtsvollzieher auf Antrag eines Beteiligten(12).

12.      In den Erwägungsgründen 6 bis 9 der Verordnung Nr. 1393/2007 heißt es:

„(6)      Die Wirksamkeit und Schnelligkeit der gerichtlichen Verfahren in Zivilsachen setzt voraus, dass die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke unmittelbar und auf schnellstmöglichem Wege zwischen den von den Mitgliedstaaten benannten örtlichen Stellen erfolgt. …

(7)      Eine schnelle Übermittlung erfordert den Einsatz aller geeigneten Mittel, wobei bestimmte Anforderungen an die Lesbarkeit und die Originaltreue des empfangenen Schriftstücks zu beachten sind. …

(8)      Diese Verordnung sollte nicht für die Zustellung eines Schriftstücks an den Bevollmächtigten einer Partei in dem Mitgliedstaat gelten, in dem das Verfahren anhängig ist, unabhängig davon, wo die Partei ihren Wohnsitz hat.

(9)      Die Zustellung eines Schriftstücks sollte so bald wie möglich, in jedem Fall aber innerhalb eines Monats nach Eingang bei der Empfangsstelle erfolgen.“

13.      Art. 1 der Verordnung sieht vor:

„(1)      Diese Verordnung ist in Zivil‑ oder Handelssachen anzuwenden, in denen ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück von einem in einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Zustellung zu übermitteln ist. Sie erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten sowie die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (‚acta jure imperii‘).

(2)      Diese Verordnung findet keine Anwendung, wenn die Anschrift des Empfängers des Schriftstücks unbekannt ist.

(3)      Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Begriff ‚Mitgliedstaat‘ alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks.“

14.      Nach Art. 26 letzter Absatz dieser Verordnung ist sie „in allen ihren Teilen verbindlich und gilt gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft unmittelbar in den Mitgliedstaaten“.

B –    Polnisches Recht

15.      Art. 11355 der polnischen Zivilprozessordnung lautet:

„§ 1. Die Partei, die ihren Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Ausland hat, ist, wenn sie keinen Prozessbevollmächtigten mit Wohnsitz in der Republik Polen bestellt hat, verpflichtet, einen Zustellungsbevollmächtigten in der Republik Polen zu benennen.

§ 2.      Wird kein Zustellungsbevollmächtigter benannt, sind die für diese Partei bestimmten gerichtlichen Schreiben in der Gerichtsakte zu belassen und gelten als zugestellt. Die Partei ist hierüber bei der ersten Zustellung zu belehren. Darüber hinaus muss die Partei über die Möglichkeit belehrt werden, auf den das Verfahren einleitenden Schriftsatz erwidern und schriftliche Stellungnahmen abgeben zu können, sowie darüber, wer zum Bevollmächtigten bestellt werden kann.“

II – Beurteilung

16.      Die vom Sąd Rejonowy w Koszalinie vorgelegte Frage verlangt die Prüfung der Vereinbarkeit von Art. 11355 der polnischen Zivilprozessordnung mit dem Unionsrecht unter zwei Gesichtspunkten. Zum einen ist zu prüfen, ob die Zustellungsfiktion im Hinblick auf die Verordnung Nr. 1393/2007 und insbesondere ihrem Art. 1 zulässig ist, wenn kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt wurde, zum anderen, ob die streitige Bestimmung mit dem in Art. 18 AEUV enthaltenen Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vereinbar ist.

17.      Der größeren Klarheit wegen werde ich diese beiden Aspekte der Frage getrennt untersuchen.

A –    Prüfung der streitigen Bestimmung im Hinblick auf Art. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007

18.      Nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007 ist sie „anzuwenden, [wenn] … ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück von einem in einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Zustellung zu übermitteln ist“.

19.      Die Verordnung Nr. 1393/2007, die auf der Grundlage von Art. 61 Buchst. c EG erlassen worden ist, der den Rat nur dann ermächtigt, Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen zu erlassen, wenn sie „grenzüberschreitende Bezüge“ haben, gilt nur für internationale Zustellungen, nicht für nationale.

20.      Art. 1 dieser Verordnung gibt nicht genau an, in welchen Fällen ein Schriftstück zum Zwecke der Zustellung ins Ausland „zu übermitteln ist“. Deshalb stellt sich die Frage, ob es jedem Mitgliedstaat überlassen ist, festzulegen, wann ein Schriftstück zum Zwecke der Zustellung ins Ausland übermittelt werden muss, oder ob der Artikel Anwendung findet, sobald sich die Anschrift des Empfängers des zuzustellenden Schriftstücks in einem anderen Mitgliedstaat befindet.

1.      Vorbringen der Parteien

21.      Die Beklagten des Ausgangsverfahrens, die polnische und die italienische Regierung äußern sich im Sinne der ersten der beiden Möglichkeiten und tragen vor, dass sich die Verordnung Nr. 1393/2007 nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie darauf beschränke, die Durchführung der nach den nationalen Verfahrensrechten erforderlichen Zustellungen zu organisieren.

22.      Die polnische und die italienische Regierung fügen hinzu, dass es im Unionsrecht entsprechende Verpflichtungen gibt, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen(13).

23.      Die polnische Regierung ist im Übrigen der Ansicht, dass das im polnischen Recht vorgesehene Institut des Zustellungsbevollmächtigten die gleichen Ziele der Wirksamkeit und Schnelligkeit der gerichtlichen Verfahren verwirklichen soll, wie sie von der Verordnung Nr. 1393/2007 verfolgt werden.

24.      Die Eheleute Alder, die portugiesische Regierung und die Europäische Kommission sind hingegen für die zweite Möglichkeit und machen geltend, dass die in der Verordnung Nr. 1393/2007 vorgesehenen Zustellungsmodalitäten gälten, sobald die Partei, der ein Schriftstück zugestellt werden solle, in einem anderen Mitgliedstaat ansässig und ihre Anschrift bekannt sei.

25.      Nach Ansicht der Eheleute Alder blockiere die polnische nationale Regelung den gemeinschaftlichen Verkehr von gerichtlichen Schriftstücken, indem diese Verordnung nur bei der ersten Benachrichtigung angewandt werde, obwohl Art. 14 dieser Verordnung die Zustellung von Schriftstücken durch Postdienste erlaube.

26.      Unter Berufung auf Art. 26 letzter Absatz der Verordnung Nr. 1393/2007 trägt die portugiesische Regierung in eben diesem Sinne vor, dass die Bestimmungen der polnischen Zivilprozessordnung nur für Bürger gelten könnten, die in einem Drittstaat ansässig seien, da die Pflicht zur Übermittlung nach der Verordnung nur davon abhänge, dass sich der Wohnsitz, der gewöhnliche Aufenthalt oder der Sitz einer der Parteien nicht in dem Mitgliedstaat befinde, in dem Klage erhoben worden sei, was der Rechtssache einen grenzüberschreitenden Charakter verleihe, unabhängig davon, was das nationale Prozessrecht vorsehe.

27.      Die Kommission, die zwar ebenfalls der Ansicht ist, dass die Verpflichtung, einen Bevollmächtigten in Polen zu bestellen, nicht mit der Verordnung Nr. 1393/2007 vereinbar sei, und darauf hinweist, dass die Vereinbarkeit von Art. 11355 der polnischen Zivilprozessordnung mit dem Unionsrecht aufgrund einer an das Parlament gerichteten Petition(14) Gegenstand eines Dialogs mit den polnischen Behörden sei, widmet den überwiegenden Teil ihrer Prüfung der Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit Art. 18 AEUV. Sie meint, die Verpflichtung, einen Bevollmächtigten in Polen zu bestellen, sei mit diesem Artikel unvereinbar, da sie eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstelle, weil sie im Allgemeinen die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten treffe, die in vielen Fällen keinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in Polen hätten.

2.      Beurteilung

28.      Gemeinsam mit den Eheleuten Alder, der portugiesischen Regierung und der Kommission bin ich der Ansicht, dass es mit der Verordnung Nr. 1393/2007 nicht vereinbar ist, das Versäumnis einer im Ausland ansässigen Partei, einen in Polen ansässigen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, mit einer Zustellungsfiktion zu sanktionieren.

29.      Diese Verordnung hat die Verordnung Nr. 1348/2000 aufgehoben und ersetzt, die sich ihrerseits an dem Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union(15) orientiert hat. Das Übereinkommen von 1997, das der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens zur Übermittlung von gerichtlichen und außergerichtlichen Schriftstücken zwischen den Mitgliedstaaten dienen sollte, trat nicht in Kraft, da es vor Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam nicht ratifiziert worden war.

30.      Obwohl das Übereinkommen von 1997 bestimmte Neuerungen(16) enthielt, um u. a. die Rechte der Parteien besser zu wahren, steht es in gerader Linie zum Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 zur Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen(17), das einen Mechanismus der Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen eingeführt hat, der die Zustellung eines Schriftstücks über eine zentrale Behörde ermöglicht, die mit der Entgegennahme der Anträge und ihrer Bearbeitung betraut ist. Außerdem wurde durch Art. IV des Protokolls im Anhang des Übereinkommens von Brüssel vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(18) in der durch das Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden(19) geänderten Fassung als fakultative Art der Übermittlung gerichtlicher Schriftstücke die Zustellung zwischen gerichtlichen Amtspersonen eingeführt.

31.      Das Haager Übereinkommen von 1965 wird in dem Sinne als unverbindlich angesehen, als es nur dann gilt, wenn nach dem nationalen Recht des Forumstaats ein Schriftstück zur Zustellung ins Ausland übermittelt werden muss. Ebenso wird in dem vom Ständigen Büro der Haager Konferenz für internationales Privatrecht verfassten Praktischen Handbuch zur Funktionsweise des Übereinkommens von 1965(20) erwähnt, dass ein kurzer Überblick über die Praxis der Vertragsstaaten, abgesehen von wenigen Ausnahmen, den unverbindlichen Charakter dieses Übereinkommens zu bestätigen scheint(21), und fast bedauernd hinzugefügt, dass das Haager Übereinkommen von 1965 zur vollständigen Erreichung seines Ziels, nämlich sicherzustellen, dass dem Empfänger das zugestellte Schriftstück tatsächlich zur Kenntnis gebracht wird, in das nationale Recht hätte eingreifen und selbst die Bedingungen für eine gültige Zustellung hätte festlegen müssen, was das einzige Mittel gewesen wäre, um fiktive Zustellungsarten wie die Zustellung an die Staatsanwaltschaft zu beseitigen.

32.      Allerdings bin ich der Meinung, dass die tief greifende Entwicklung, die dieser Bereich infolge u. a. seiner Vergemeinschaftung erfahren hat, ein neues Verständnis der Zusammenhänge zwischen der fortan geltenden Regelung der Verordnung Nr. 1393/2007 und den nationalen Verfahrensrechten verlangt.

33.      Es sind nämlich die Entwicklung der Ziele, die der Unionspolitik im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen zugewiesen wurden, und der Wille zu berücksichtigen, einen europäischen Rechtsraum zu errichten, der zum einen den freien Verkehr von gerichtlichen und außergerichtlichen Schriftstücken gewährleisten und zum anderen die Grundrechte fördern soll.

34.      Auf diese beiden untrennbaren Ziele möchte ich der Reihe nach eingehen.

35.      Die Verordnung Nr. 1393/2007 ist erstens im Zusammenhang mit der Errichtung eines europäischen Rechtsraums zu sehen, in dem der freie Verkehr von gerichtlichen und außergerichtlichen Schriftstücken sichergestellt werden soll.

36.      Wie der Gerichtshof in den Urteilen vom 8. November 2005, Leffler(22), und vom 25. Juni 2009, Roda Golf & Beach Resort(23), festgestellt hat, bezeugen das Ziel des Vertrags von Amsterdam, einen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und der Gerechtigkeit“ zu schaffen und der Europäischen Gemeinschaft eine „neue Dimension“ zu geben, und die Verlagerung der Regelung, die den Erlass von in den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit fallenden Maßnahmen in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Auswirkungen ermöglicht, aus dem EU-Vertrag in den EG-Vertrag den Willen der Mitgliedstaaten, solche Maßnahmen in der Unionsrechtsordnung zu „verankern“(24).

37.      Diese „Verankerung“ verleiht dem System der grenzüberschreitenden Zustellung, das zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beiträgt, indem es den freien Verkehr von gerichtlichen und außergerichtlichen Schriftstücken garantiert, eine neue Qualität.

38.      Der Wille, einen europäischen Rechtsraum zu errichten, hat den Unionsgesetzgeber im Übrigen veranlasst, über die bloße Koordinierung von nationalen Verfahren hinauszugehen und verschiedene Vorstöße in Richtung Einführung besonderer gemeinschaftlicher Verfahren zu unternehmen, die grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten schneller und effizienter erledigen sollen, wie z. B. der europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen(25), das Europäische Mahnverfahren(26) und das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen(27).

39.      Diese neuen Regelungen nehmen zwar keine Harmonisierung der Zustellungsformen auf europäischer Ebene vor, führen aber Mindestvorschriften ein, zu denen sowohl in der Verordnung Nr. 805/2004 als auch in der Verordnung Nr. 1896/2006 ausgeführt wird, dass eine Zustellungsform, die auf einer rechtlichen Fiktion beruht, nicht als ausreichend angesehen werden kann(28).

40.      Obwohl die Ausführung von Verfahrenshandlungen in dem Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats traditionell als Verletzung der staatlichen Souveränität angesehen wurde, führen diese verschiedenen Verordnungen durch die Einführung dieser Mindestvorschriften zu einer schrittweisen, wenn auch begrenzten Aufgabe bestimmter Merkmale dieser Souveränität, da sie die Durchführung der unmittelbaren grenzüberschreitenden Zustellung auf dem Postweg(29) vorsehen, ohne dass sich die Mitgliedstaaten dieser Übermittlungsform widersetzen können. Gleichermaßen ist dem Mitgliedstaat, in dem der Empfänger wohnt, nach der Verordnung Nr. 1393/2007 im Unterschied zum Haager Übereinkommen von 1965, wonach der Bestimmungsstaat der direkten Übermittlung von gerichtlichen Schriftstücken auf dem Postweg an in diesem Staat befindliche Personen widersprechen kann(30), nicht erlaubt, diese Übermittlungsform auszuschließen, und er darf nicht einmal die Voraussetzungen für ihre Anwendung festlegen(31).

41.      Die Schaffung eines europäischen Rechtsraums ist zweitens von dem allgemeinen Ziel einer Rechtsunion, das in der Förderung der Grundrechte besteht, nicht zu trennen.

42.      Dieser neue Raum hat u. a. das Ziel, die Verfahrensgarantien zu stärken, die Bestandteile des Rechts auf ein faires Verfahren sind, wie es sich aus den Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und aus Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, und sie dabei mit den Geboten der zügigen Behandlung und der Effizienz zivilgerichtlicher Verfahren in Einklang zu bringen.

43.      Nach dem Europäischen Rat von Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 und dem 2004 angenommenen Haager Programm verkündete der Europäische Rat in einem weiteren Schritt in dem 2010 angenommenen Stockholmer Programm(32), dass das wesentliche politische Ziel im Bereich des Zivilprozessrechts darin bestehe, dass die Grenzen zwischen Mitgliedstaaten kein Hindernis für die Beilegung von Streitigkeiten in Zivilsachen bzw. die Einleitung von Gerichtsverfahren oder die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilsachen darstellen sollten. Der Europäische Rat erklärte zudem, dass vorrangig Verfahren einzuführen seien, die den Zugang zur Justiz erleichterten, damit die Menschen ihre Rechte überall in der Union geltend machen könnten. Die Errichtung eines „Europa als Raum des Rechts und der Justiz“(33), die über die traditionelle justizielle Zusammenarbeit hinausgeht, hat somit unmittelbar das Ziel, die Bedürfnisse der Bürger zu erfüllen(34).

44.      Die Einsetzung wirksamer Zustellungsformen gehört zu den Verfahrensgarantien eines fairen Prozesses. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist nämlich der Ansicht, dass das „Recht auf ein Gericht“ und der Grundsatz der Waffengleichheit, die einem fairen Verfahren innewohnen, „… das gesamte Prozessrecht der Vertragsstaaten [betreffen] … und … auch in dem besonderen Bereich der Zustellung von gerichtlichen Schriftstücken an die Parteien [gelten]“(35) und dass die Verpflichtung der Vertragsstaaten, „ihre Justizsysteme so zu organisieren, dass die Gerichte jedem das Recht garantieren können, Streitigkeiten über seine zivilrechtlichen Rechte und Pflichten innerhalb angemessener Frist endgültig zu entscheiden, … auch die Einrichtung wirksamer Zustellungsverfahren umfasst, die die rechtzeitige Zustellung der Verhandlungstermine an die Parteien gewährleisten können“(36).

45.      In seinem Urteil vom 8. Mai 2008, Weiss und Partner(37), hat der Gerichtshof, für den die Verordnung Nr. 1348/2000 nicht losgelöst von der Entwicklung auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, unter das diese Verordnung fällt, ausgelegt werden kann, den Schwerpunkt auf den Schutz der Verteidigungsrechte gelegt und entsprechend der für die Auslegung der Verordnung Nr. 44/2001 dargelegten Lösung erläutert, dass die mit der Verordnung Nr. 1348/2000 verfolgten Ziele der Verbesserung und Beschleunigung der Übermittlung von Schriftstücken „nicht dadurch erreicht werden [dürfen], dass die Verteidigungsrechte in irgendeiner Weise beeinträchtigt werden“, die „aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgen, das in Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten … verankert ist“, und „ein Grundrecht [bilden], das zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört, deren Wahrung der Gerichtshof sicherstellt“(38).

46.      Mehrere Bestimmungen der Verordnung Nr. 1393/2007 zeugen vom Willen, ein Zustellungssystem für gerichtliche Schriftstücke zu schaffen, das geeignet ist, das Recht auf ein faires Verfahren zu garantieren. Das System des doppelten Datums, durch das bei der Zustellung eines Schriftstücks innerhalb einer bestimmten Frist das Recht des Übermittlungsmitgliedstaats für die Festsetzung des Datums im Verhältnis zum Kläger und gleichzeitig das Recht des Empfangsmitgliedstaats für die Festsetzung des Datums im Verhältnis zum Empfänger des Schriftstücks berücksichtigt wird, entspricht dem Bestreben, ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Parteien sicherzustellen. Der Schutz des Empfängers des Schriftstücks wird gewährleistet durch die ihm eingeräumte Möglichkeit, die Annahme des Schriftstücks zu verweigern, wenn es nicht in eine Sprache, die er versteht, oder in die Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats übersetzt ist, durch die Pflicht des Gerichts, das Verfahren auszusetzen, wenn sich der Beklagte nicht auf das Verfahren eingelassen hat oder auch durch die Wiedereinsetzung des Beklagten in den vorigen Stand in Bezug auf Rechtsmittelfristen, sofern er verspätet Kenntnis von dem Verfahren erlangt hat und seine Verteidigung nicht von vornherein aussichtslos scheint.

47.      Das Ziel des Schutzes der Verteidigungsrechte, dem bereits die Verordnung Nr. 1348/2000 Rechnung trug, wurde im Übrigen durch die Verordnung Nr. 1393/2007 verstärkt, die Änderungen an diesem Text vorgenommen hat. So ist z. B. die Aufklärung des Empfängers verbessert worden, weil er nun schriftlich unter Verwendung eines Formblatts darauf hingewiesen werden muss, dass er die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks verweigern darf, wenn es nicht in einer Sprache, die er versteht, oder in der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats abgefasst ist(39), oder die Gewissheit, dass das Schriftstück zugegangen ist, erhöht worden, weil jetzt als Zustellungsform das Einschreiben mit Rückschein oder ein gleichwertiges Verfahren durch Postdienste vorgeschrieben ist(40).

48.      Im Licht dieser Ziele und unter Beachtung des Gebots einer einheitlichen Anwendung ihrer Bestimmungen ist die Verordnung Nr. 1393/2007 auszulegen. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass die Kommission zunächst einen Vorschlag für eine Richtlinie vorgelegt hatte, um das Übereinkommen von 1997 in einen Gemeinschaftsrechtsakt umzuändern(41), dann aber der abweichenden Meinung des Parlaments folgte, das eine Regelung im Wege einer Verordnung(42) vorgeschlagen hatte, um zu gewährleisten, dass die neuen Bestimmungen „zügig, klar und einheitlich umgesetzt“ werden(43). Die Wahl der Form einer Verordnung statt der einer Richtlinie als Instrument zur Einführung dieses Systems zeigt den hohen Stellenwert, den der Unionsgesetzgeber der „unmittelbaren Anwendbarkeit“ der Verordnung Nr. 1393/2007 und ihrer „einheitlichen Anwendung“(44) beigemessen hat.

49.      Meiner Ansicht nach hat die Zustellung eines gerichtlichen Schriftstücks zwangsläufig gemäß den Vorschriften dieser Verordnung zu erfolgen, wenn der Empfänger des Schriftstücks in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist.

50.      Diese Auslegung wird sowohl durch den Wortlaut als auch durch die Ziele und die allgemeine Systematik dieser Verordnung untermauert.

51.      Erstens spricht dafür eine wörtliche Auslegung von Art. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007. Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung ist zwar nicht eindeutig, da er nicht genau angibt, in welchen Fällen ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück von einem Mitgliedstaat in einen anderen „zu übermitteln ist“, um dort zugestellt zu werden, diese Bestimmung ist aber in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung zu lesen, wo es heißt, dass die Verordnung „keine Anwendung [findet], wenn die Anschrift des Empfängers des Schriftstücks unbekannt ist“. Da das Fehlen eines bekannten Wohnsitzes des Empfängers der einzige Fall ist, in dem die Anwendung der Verordnung Nr. 1393/2007 ausdrücklich ausgeschlossen ist, kann im Umkehrschluss daraus abgeleitet werden, dass diese Verordnung in allen Fällen Anwendung findet, in denen die Anschrift des Empfängers in einem anderen Mitgliedstaat bekannt ist.

52.      Zweitens beeinträchtigt es meiner Ansicht nach die Ziele des freien Verkehrs von Schriftstücken und der Stärkung der Grundrechte, wenn den Mitgliedstaaten erlaubt wird, weiterhin nationale Vorschriften anzuwenden, die eine Zustellungsfiktion vorsehen, wenn der Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat wohnt. Insbesondere ist zu betonen, dass die Aufnahme der Zustellungsregeln für gerichtliche Schriftstücke als weiterer Bestandteil eines fairen Verfahrens, das dem Kläger das Recht auf Zugang zu den Gerichten und dem Beklagten das Recht auf rechtzeitige Unterrichtung über Gegenstand und Grundlage des Antrags, damit er sich verteidigen kann, garantieren soll, das Verbot jeder Form der fiktiven Zustellung impliziert, die dazu führt, dass den Parteien die Schutzbestimmungen der Verordnung Nr. 1393/2007 vorenthalten werden. Eine Zustellungsfiktion könnte z. B. dem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Beklagten die Möglichkeit nehmen, die Annahme eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks zu verweigern, das nicht in eine Sprache, die er versteht, oder in die Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats übersetzt ist(45).

53.      Drittens ergibt sich aus der allgemeinen Systematik der Verordnung Nr. 1393/2007, dass das durch diese Verordnung errichtete Zustellungssystem den tatsächlichen und wirksamen Empfang des gerichtlichen Schriftstücks durch den Empfänger sicherstellen soll, was den gemeinsamen Nenner der verschiedenen Zustellungsformen bildet, die den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt wurden. In diesem Sinne kann ein rein fiktiver Zugang, der auf einer gesetzlichen Vermutung aufgrund des Belassens der Schriftstücke in der Gerichtsakte beruht, nicht zulässig sein. Daher bin ich entgegen dem Vorbringen der polnischen Regierung nicht der Ansicht, dass der Verfahrenskunstgriff, den die Zustellungsfiktion durch Belassen in der Gerichtsakte darstellt, den durch diese Verordnung eingeführten Mechanismen für die Übermittlung von Schriftstücken wirklich gleichgestellt werden kann.

54.      Schließlich verstößt die Vermutung, die in dem im Ausgangsverfahren geltenden nationalen Recht im Bereich der Zustellung von gerichtlichen Schriftstücken vorgesehen ist und die von der Verpflichtung der Zustellung am tatsächlichen Wohnsitz der im Ausland wohnhaften Partei befreit, meiner Ansicht nach sowohl gegen den Wortlaut als auch gegen den Zweck und die allgemeine Systematik der Verordnung Nr. 1393/2007 und kann ihr dadurch, dass das durch die Verordnung eingeführte System für die Zustellung von gerichtlichen Schriftstücken umgangen wird, die praktische Wirksamkeit nehmen.

55.      Das Urteil vom 15. März 2012, G(46), bestätigt diese Auslegung.

56.      In diesem Urteil, in dem sich die Frage stellte, ob eine Bestimmung der deutschen Zivilprozessordnung, die bei unbekannter Anschrift des Beklagten die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks durch öffentliche Bekanntmachung vorsieht, mit dem Unionsrecht vereinbar war, hat der Gerichtshof die Bedingungen aufgeführt, unter denen ein Versäumnisurteil gegen einen Beklagten erlassen werden kann, dem mangels Ermittelbarkeit seines Aufenthalts die Klage nach nationalem Recht öffentlich zugestellt wird. Obwohl die Verordnung Nr. 1393/2007 aufgrund der Umstände des Ausgangsverfahrens keine Anwendung fand, da die Anschrift des Empfängers des Schriftstücks nicht bekannt war(47), lassen sich diesem Urteil zwei Lehren entnehmen, die für die Beantwortung der vorliegenden Vorlagefrage von Bedeutung sind.

57.      Erstens ist der Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten zur Festlegung der Verfahrensvorschriften für Klagen vor ihren Gerichten zwangsläufig durch die Verpflichtung zur Beachtung des Unionsrechts beschränkt. So hat der Gerichtshof festgestellt, dass „[d]ie innerstaatlichen Verfahren … zwar nicht systematisch durch das Unionsrecht geregelt [sind], und es … im Rahmen ihrer Verfahrensautonomie Sache der Mitgliedstaaten [ist], die Verfahrensvorschriften für Klagen vor ihren Gerichten festzulegen, … diese Vorschriften jedoch nicht gegen Unionsrecht … verstoßen [dürfen]“(48).

58.      Die zweite Lehre, die aus diesem Urteil zu ziehen ist, besagt, dass eine Zustellungsform, die nicht darauf abzielt, dem Empfänger den tatsächlichen Empfang des Schriftstücks zu ermöglichen, wie die öffentliche Zustellung, nur dann zulässig sein kann, wenn die Anschrift des Empfängers des Schriftstücks nicht bekannt ist und alle Nachforschungen, die der Sorgfaltsgrundsatz und der Grundsatz von Treu und Glauben gebieten, vorgenommen worden sind, um ihn ausfindig zu machen(49). Daraus folgt im Umkehrschluss, dass das Schriftstück, wenn die Anschrift des Empfängers bekannt ist, an diese Anschrift zuzustellen ist.

59.      Gegen die Schlussfolgerung, dass die Verordnung Nr. 1393/2007 einer fiktiven Zustellung wie der in der streitigen nationalen Bestimmung vorgesehenen entgegensteht, sind drei Einwände erhoben worden, die ich jetzt entkräften möchte.

60.      Der erste Einwand gegen dieses Ergebnis stützt sich auf Art. 11355 der polnischen Zivilprozessordnung, der zwar eine Zustellungsfiktion einführt, aber auch vorsieht, dass die Parteien bei der ersten Zustellung darüber zu belehren sind, dass sie einen Bevollmächtigten bestellen müssen und dass sie die Möglichkeit haben, eine Befreiung von den Prozesskosten und die Bestellung eines Prozessbevollmächtigten zu beantragen.

61.      Meiner Meinung nach kann diese Belehrung jedoch eine Abweichung von den Vorschriften der Verordnung Nr. 1393/2007 nicht rechtfertigen und nicht zu einer Billigung der Zustellungsfiktion, die den Anforderungen an ein faires Verfahren nicht genügt, führen. Abgesehen von dem Hinweis der polnischen Regierung, dass die erste Zustellung nur „meistens“ gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird, woraus sich ergibt, dass dies nicht systematisch geschieht, bin ich der Ansicht, dass die anfänglich erteilte Belehrung keinen kontradiktorischen Verfahrensablauf gewährleistet und demnach kein Ausgleich für das Fehlen einer späteren Zustellung gerichtlicher Schriftsätze sein kann.

62.      Außerdem entspricht es nicht dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, die verlangen, dass alle gerichtlichen Schriftstücke, die einem in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaften Empfänger zuzustellen sind, nach dem durch die Verordnung Nr. 1393/2007 eingeführten System erfolgen, eine Zustellungsfiktion unter dem Vorwand zuzulassen, dass der Empfänger über seine Pflicht belehrt wurde, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen.

63.      Der zweite Einwand beruht auf dem achten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1393/2007, wonach diese Verordnung nicht für die Zustellung eines Schriftstücks an den Bevollmächtigten einer Partei in dem Mitgliedstaat gelten sollte, in dem das Verfahren anhängig ist, unabhängig davon, wo die Partei ihren Wohnsitz hat.

64.      Meiner Ansicht nach ist diese Ausnahme, die im Übrigen nur in einem Erwägungsgrund genannt wird, ohne in einem bestimmten Artikel wiederholt oder erläutert zu werden, eng auszulegen und kann sich, abgesehen von der Bestellung eines Prozessbevollmächtigten, nur auf die freiwillige Begründung eines Wahldomizils für die Zustellung beziehen, die auf einer Willensbekundung beruht, mit der die Person, bei der das Wahldomizil eingerichtet wird, zum Empfang von Zustellungen gerichtlicher Schriftstücke ermächtigt wird.

65.      Der dritte Einwand, der auf unionsrechtlichen Bestimmungen über die Begründung eines Wahldomizils beruht, erscheint mir nicht stichhaltiger.

66.      Es ist zwar richtig, dass sowohl die Verordnung Nr. 44/2001 als auch die Verordnung Nr. 2201/2003 den Antragsteller, der die Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung in einem Mitgliedstaat beantragt, verpflichten, im Bezirk des angerufenen Gerichts ein Wahldomizil zu begründen oder einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, wenn das Wahldomizil im Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats nicht vorgesehen ist.

67.      Allerdings sehe ich nicht, wie diese auf europäischer Ebene vorgesehene Ausnahmeregelung zu den allgemeinen Rechtsvorschriften der Verordnung Nr. 1393/2007 den Mitgliedstaaten erlauben könnte, in ihren nationalen Rechtsordnungen Vorschriften über die grenzüberschreitende Zustellung einzuführen oder beizubehalten, die das Zustellungssystem dieser Verordnung ersetzen würden, obwohl die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Systems erfüllt sind.

68.      Im Übrigen gilt das Erfordernis, ein Wahldomizil zu begründen, das dem Vollstreckungsverfahren eigen ist und sowohl die Mitteilung der Entscheidung über den Antrag an den Antragsteller als auch die Einlegung eines Rechtsmittels durch den Schuldner vereinfachen soll, gleichermaßen für jeden Bürger der Union, unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit.

69.      Schließlich ist festzustellen, dass die Folgen einer Verletzung der Modalitäten hinsichtlich der Begründung eines Wahldomizils zwar durch das Recht des Empfangsmitgliedstaats bestimmt werden, der Gerichtshof aber den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten insoweit begrenzt hat, als er entschieden hat, dass „die Sanktion … weder die Gültigkeit der Entscheidung, mit der die Zwangsvollstreckung zugelassen wird, in Frage stellen, noch eine Beeinträchtigung der Rechte des Schuldners mit sich bringen [darf]“(50).

70.      Das Vorbringen zur Verfahrensordnung liegt meines Erachtens neben der Sache, da die Verfahrensordnung mit einer Regelung zur Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften, wie sie die Verordnung Nr. 1393/2007 darstellt, nicht vergleichbar ist. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die Angabe der Zustellungsanschrift nach Art. 38 § 2 der Verfahrensordnung bloß fakultativ ist(51). Außerdem werden in dem Fall, dass eine Partei keine Zustellungsanschrift angegeben hat oder nicht zugestimmt hat, dass Zustellungen durch ein technisches Kommunikationsmittel erfolgen, alle Zustellungen an die betreffende Partei auf dem Postweg durch Einschreiben an den Bevollmächtigten oder Anwalt dieser Partei durchgeführt.

71.      Aus diesen Gründen komme ich zu dem Ergebnis, dass die streitige Bestimmung als mit der Verordnung Nr. 1393/2007 unvereinbar anzusehen ist. Mag diese Verordnung auch Lücken und Unzulänglichkeiten aufweisen, insbesondere in Bezug auf die Zustellungsmodalitäten auf dem Postweg(52), stellt sie doch einen großen Fortschritt und eine notwendige Voraussetzung für die Errichtung eines europäischen Rechtsraums dar, in dem das „prozessrechtliche Fossil“(53), das die Zustellungsfiktion durch Belassen in den Gerichtsakten darstellt, keinen Platz hat.

72.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, festzustellen, dass Art. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, wonach die für eine Person mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat bestimmten gerichtlichen Schriftstücke in der Gerichtsakte belassen werden, mit der Folge, dass sie als zugestellt gelten, wenn diese Person keinen Zustellungsbevollmächtigten benannt hat, der seinen Wohnsitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem das Verfahren anhängig ist.

73.      Die vorstehenden Erwägungen sind für die Beantwortung der Vorlagefrage ausreichend. Dennoch erscheint es mir für den Fall, dass der Gerichtshof meinen Vorschlag zur Auslegung der Verordnung Nr. 1393/2007 nicht annimmt, nützlich, die Frage rasch in Bezug auf Art. 18 AEUV zu prüfen.

B –    Prüfung der streitigen Bestimmung im Hinblick auf Art. 18 AEUV

74.      Mit den Eheleuten Alder, der portugiesischen Regierung und der Kommission bin ich der Ansicht, dass die Verpflichtung zur Begründung eines Wahldomizils gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit des Art. 18 AEUV verstößt.

75.      Dieser Grundsatz hat im europäischen Rechtsraum die Verpflichtung zur Folge, die Gleichbehandlung aller Bürger der Union, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und ihrem Wohnsitz, zu beachten. Auf seiner Tagung in Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 hat der Europäische Rat festgestellt, dass „Freiheit nur in einem echten Raum des Rechts genossen werden [kann], in dem die Bürger sich in jedem anderen Mitgliedstaat genauso einfach wie in ihrem eigenen Staat an die Gerichte und Behörden wenden können“.

76.      Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass eine nationale zivilprozessrechtliche Vorschrift, die bei einer Klage die Leistung einer Prozesskostensicherheit (cautio judicatum solvi) vorschreibt, nicht zu einer Diskriminierung von Personen führen darf, denen das Gemeinschaftsrecht einen Anspruch auf Gleichbehandlung verleiht(54).

77.      In seinem Urteil vom 10. Februar 1994, Mund & Fester(55), hat der Gerichtshof festgestellt, dass eine nationale Verfahrensvorschrift, die bei einem Urteil, das in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt werden müsste, den dinglichen Arrest schon allein deshalb zulässt, weil die Vollstreckung im Ausland stattfinden müsste, während sie bei einem Urteil, das im Inland vollstreckt werden müsste, den Arrest nur zulässt, wenn ohne dessen Verhängung die Vollstreckung wahrscheinlich vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde, eine versteckte Form der Diskriminierung enthält, die nicht durch objektive Umstände gerechtfertigt ist.

78.      Im Licht dieser Entscheidungen meine ich, dass eine Verfahrensvorschrift, die die Parteien, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaft sind, verpflichtet, in dem Mitgliedstaat, in dem das Verfahren anhängig ist, einen Bevollmächtigten zur Entgegennahme der zuzustellenden gerichtlichen Schriftstücke zu bestellen, gegen das Diskriminierungsverbot verstößt.

79.      Wie die polnische Regierung bemerkt, enthält Art. 11355 der polnischen Zivilprozessordnung zwar keine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, da er in allen Fällen zur Anwendung kommt, in denen eine Partie, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaft ist, doch kommt diese Bestimmung, wie die Kommission zu Recht festgestellt hat, hauptsächlich bei Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, die meistens keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Polen haben, und weniger bei polnischen Bürgern zur Anwendung.

80.      Außerdem ist das Vorbringen der polnischen Regierung, dass die Zustellungsfiktion nicht diskriminierend sei, weil eine gleichartige Sanktion in Art. 136 Abs. 2 der Zivilprozessordnung gegenüber der in Polen wohnhaften Partei vorgesehen sei, meiner Ansicht nach unrichtig. Denn im Unterschied zu der im Ausland ansässigen Partei muss die in Polen wohnhafte Partei keinen Zustellungsbevollmächtigten benennen. Sie setzt sich der Sanktion der fiktiven Zustellung nur in dem besonderen Fall aus, dass sie dem Gericht ihre Änderung des Wohnsitzes oder des Sitzes während des Verfahrens nicht bekannt gegeben hat.

81.      Die von der polnischen Regierung vorgetragenen Argumente für die verpflichtende Begründung eines Wahldomizils in Polen, nämlich hauptsächlich die Notwendigkeit, die Effizienz des Gerichtsverfahrens zu garantieren, sind meiner Meinung nach keine Gründe, die das Beibehalten dieser Regelung rechtfertigen können, da es gerade das Ziel der Verordnung Nr. 1393/2007 ist, die grenzüberschreitende Übermittlung zu erleichtern und zu beschleunigen, indem verschiedene Formen für die Übermittlung der Schriftstücke vorgesehen werden.

82.      Demnach stellt Art. 11355 der polnischen Zivilprozessordnung meiner Ansicht nach eine Diskriminierung im Hinblick auf Art. 18 AEUV dar.

III – Ergebnis

83.      Ich schlage dem Gerichtshof folgende Antwort auf die vom Sąd Rejonowy w Koszalinie vorgelegte Frage vor:

Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, wonach die für eine Person mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat bestimmten gerichtlichen Schriftstücke in der Gerichtsakte belassen werden, mit der Folge, dass sie als zugestellt gelten, wenn diese Person keinen Zustellungsbevollmächtigten benannt hat, der seinen Wohnsitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem das Verfahren anhängig ist.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 –      ABl. L 324, S. 79.


3 – Im Folgenden: Eheleute Alder.


4 –      ABl. L 160, S. 37.


5 –      Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung.


6 –      Art. 2 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung.


7 – Abschnitt 2 der Verordnung Nr. 1393/2007.


8 –      Vgl. Urteil vom 9. Februar 2006, Plumex (C‑473/04, Slg. 2006, I‑1417, Randnrn. 19 bis 22).


9 – Art. 12 dieser Verordnung.


10 –      Art. 13 dieser Verordnung.


11 –      Art. 14 der Verordnung Nr. 1393/2007.


12 – Art. 15 dieser Verordnung.


13 –      Die polnische und die italienische Regierung zitieren die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1). Die polnische Regierung verweist außerdem auf die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1) und auf die Verfahrensordnung des Gerichtshofs.


14 – Petition 0277/2010, eingereicht von dem polnischen Staatsangehörigen A. K., zu der in Polen nicht vorhandenen Möglichkeit der Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke durch Postdienste auf elektronischem Wege.


15 – ABl. 1997, C 261, S. 2, im Folgenden: Übereinkommen von 1997.


16 – Vgl. Nr. 3 der Einleitung des Erläuternden Berichts zum Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. 1997, C 261, S. 26).


17 –      Im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1965.


18 –      ABl. 1972, L 299, S. 32.


19 –      ABl. 1997, C 15, S. 1.


20 –      Practical Handbook on the Operation of The Hague Service Convention, Permanent Bureau – Hague Conference, Wilson & Lafleur, Montreal, 2006.


21 – Nr. 41, S. 23.


22 –      C‑443/03, Slg. 2005, I‑9611.


23 –      C‑14/08, Slg. 2009, I‑5439.


24 –      Urteile Leffler (Randnr. 45) und Roda Golf & Beach Resort (Randnr. 48).


25 –      Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. L 143, S. 15).


26 –      Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. L 399, S. 1).


27 –      Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (ABl. L 199, S. 1).


28 –      Nach dem 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 805/2004 „kann … eine Zustellungsform, die auf einer juristischen Fiktion beruht, im Hinblick auf die Einhaltung der Mindestvorschriften nicht als ausreichend für die Bestätigung einer Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel angesehen werden“, und nach dem 19. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1896/2006 „sollte … eine Zustellungsform, die auf einer juristischen Fiktion beruht, … nicht als ausreichend für die Zustellung eines Europäischen Zahlungsbefehls angesehen werden“.


29 –      Art. 13 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 805/2004, Art. 14 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 1896/2006 und Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 861/2007.


30 –      Art. 10 Buchst. a dieses Übereinkommens.


31 –      Art. 14 der Verordnung Nr. 1393/2007 schreibt die Verwendung von Einschreiben mit Rückschein oder gleichwertigem Beleg vor.


32 –      Das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger (ABl. 2010, C 115, S. 1).


33 –      Vgl. Nr. 3 des Stockholmer Programms.


34 –      Vgl. in diesem Sinne, Hess, B., „Nouvelles techniques de la coopération judiciaire transfrontière en Europe“, Revue critique de droit international privé, 2003, S. 215. Dieser Autor weist auf eine „konzeptuelle Änderung“ im europäischen System der justiziellen Zusammenarbeit hin, die „sich nicht mehr nach dem Gesichtspunkt der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, sondern nach den Interessen und Bedürfnissen der Bürger definiert“ (S. 221 f.).


35 –      Vgl. EGMR, Urteil Övüs/Türkei vom 13. Oktober 2009, §§ 46 und 47 sowie die dort angeführte Rechtsprechung.


36 –      Vgl. EGMR, Urteil Gospodino/Bulgarien vom 10. Mai 2007, § 40.


37 –      C‑14/07, Slg. 2008, I‑3367.


38 –      Randnr. 47.


39 –      Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung.


40 –      Art. 14 dieser Verordnung.


41 –      Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (KOM[1999] 219 endg.).


42 –      Vgl. geänderten Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (KOM[2000] 75 endg.).


43 –      Vgl. Begründung des Änderungsantrags 1 im Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (A5-0060/1999 endg.).


44 –      Urteile Leffler (Randnr. 46) und Roda Golf & Beach Resort (Randnr. 49).


45 –      Vgl. in diesem Sinne, Schack, H., „Transnational Service of Process: A Call for Uniform and Mandatory Rules“, Revue de droit uniforme, April 2001, S. 827. Er ist der Ansicht, „[i]nsofar as national rules on service of process deny the defendant’s right to be heard, they infringe the fair proceeding requirement of Article 6 I ECHR“ (S. 836).


46 –      C‑292/10.


47 –      In dem Urteil G wird die in Art. 26 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 angeführte Regel angewandt, wonach das Gericht das Verfahren so lange auszusetzen hat, bis festgestellt ist, dass es dem Beklagten möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich verteidigen konnte oder dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen wurden. Eine identische Regel zur Aussetzung des Verfahrens enthält Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007, was leicht zu erklären ist, da die Vorschrift des Art. 26 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 unmittelbar von Art. 15 des Haager Übereinkommens von 1965 übernommen wurde, an das sich die Verordnung Nr. 1393/2007 anlehnt (vgl. in diesem Sinne Pataut, E., „Notifications internationales et règlement ‚Bruxelles I‘“, Vers de nouveaux équilibres entre ordres juridiquesMélanges en l’honneur d’Hélène Gaudemet-Tallon, Dalloz, Paris, 2008, S. 377, insbesondere S. 381).


48 –      Urteil G (Randnr. 45).


49 –      Ebd. (Randnr. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).


50 –      Urteil vom 10. Juli 1986, Carron (198/85, Slg. 1986, 2437, Randnr. 14).


51 –      Nach dieser Bestimmung kann zusätzlich zu oder „statt“ der Zustellungsanschrift in der Klageschrift angegeben werden, dass sich der Anwalt oder der Bevollmächtigte damit einverstanden erklärt, dass Zustellungen an ihn mittels Fernkopierer oder sonstiger technischer Kommunikationsmittel erfolgen.


52 –      Vgl. zu diesem Thema, Hess, B., a. a. O.


53 –      Der Ausdruck wird von Herbert Roth verwendet, um die fiktive Zustellung in Form der „remise au parquet“, die früher in mehreren Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in Kraft war, zu charakterisieren (vgl. Roth, H., „Remise au parquet und Auslandszustellung nach dem Haager Zustellungsübereinkommen von 1965“, Praxis des Internationalen Privat-und Verfahrensrechts, 2000, S. 497).


54 –      Urteile vom 26. September 1996, Data Delecta und Forsberg (C‑43/95, Slg. 1996, I‑4661, Randnr. 12), vom 20. März 1997, Hayes (C‑323/95, Slg. 1997, I‑1711, Randnr. 13), und vom 2. Oktober 1997, Saldanha und MTS (C‑122/96, Slg. 1997, I‑5325, Randnr. 19).


55 –      C‑398/92, Slg. 1994, I‑467.