Language of document : ECLI:EU:C:2017:472

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

15. Juni 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Art. 7 Nr. 1 – Begriffe ‚Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag‘ und ‚Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen‘ – Regressklage eines Gesamtschuldners eines Kreditvertrags gegen einen anderen Gesamtschuldner – Bestimmung des Ortes, an dem die Verpflichtung aus dem Kreditvertrag erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre“

In der Rechtssache C‑249/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 31. März 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Mai 2016, in dem Verfahren

Saale Kareda

gegen

Stefan Benkö

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter M. Vilaras, J. Malenovský, M. Safjan (Berichterstatter) und D. Šváby,


Generalanwalt : Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau Kareda, vertreten durch Rechtsanwalt C. Függer,

–        von Herrn Benkö, vertreten durch Rechtsanwalt S. Alessandro,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. April 2017

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Stefan Benkö und Frau Saale Kareda über die Erstattung von Raten aufgrund eines gemeinsamen Kreditvertrags, die Herr Benkö wegen Nichtleistung durch Frau Kareda gezahlt hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Verordnung Nr. 1215/2012

3        Nach ihrem vierten Erwägungsgrund sollen mit der Verordnung Nr. 1215/2012 im Interesse des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts „Bestimmungen [eingeführt werden], um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zu gewährleisten, die in einem Mitgliedstaat ergangen sind“.

4        In den Erwägungsgründen 15 und 16 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:

„(15)      Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

(16)  Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Dies ist besonders wichtig bei Rechtsstreitigkeiten, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich Verleumdung betreffen.“

5        Die Zuständigkeitsregeln sind in Kapitel II der Verordnung Nr. 1215/2012 enthalten. Dieses Kapitel umfasst u. a. die Abschnitte 1 („Allgemeine Bestimmungen“), 2 („Besondere Zuständigkeiten“) und 4 („Zuständigkeit bei Verbrauchersachen“).

6        Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012, der zu Kapitel II Abschnitt 1 gehört, lautet:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

7        Art. 7 in Kapitel II Abschnitt 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 bestimmt:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

1.      a)      wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;


b)      im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung

–        für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;

–        für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;

c)      ist Buchstabe b nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a;

…“

8        Der Wortlaut von Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 ist identisch mit dem von Art. 5 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12 S. 1), die durch die Verordnung Nr. 1215/2012 aufgehoben wurde. Darüber hinaus entspricht Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 Art. 5 Nr. 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der aufeinanderfolgenden Übereinkommen über den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen).

9        Art. 17 Abs. 1 in Kapitel II Abschnitt 4 der Verordnung Nr. 1215/2012 bestimmt:

„Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 6 und des Artikels 7 Nummer 5 nach diesem Abschnitt,

a)       wenn es sich um den Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung handelt,

b)       wenn es sich um ein in Raten zurückzuzahlendes Darlehen oder ein anderes Kreditgeschäft handelt, das zur Finanzierung eines Kaufs derartiger Sachen bestimmt ist, oder

c)       in allen anderen Fällen, wenn der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.“

10      Art. 18 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1215/2012, der auch in Abschnitt 4 steht, sieht vor:

„(1)      Die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner kann entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.

(2)      Die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher kann nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.“

11      Der Wortlaut der Art. 17 und 18 der Verordnung Nr. 1215/2012 entspricht dem der Art. 15 und 16 der Verordnung Nr. 44/2001.

 Verordnung (EG) Nr. 593/2008

12      In den Erwägungsgründen 7 und 17 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6, und Berichtigung ABl. 2009, L 309, S. 87) heißt es:

„(7)      Der materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung sollten mit der Verordnung [Nr. 44/2001] und der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) … im Einklang stehen.

(17)      Soweit es das mangels einer Rechtswahl anzuwendende Recht betrifft, sollten die Begriffe ‚Erbringung von Dienstleistungen‘ und ‚Verkauf beweglicher Sachen‘ so ausgelegt werden wie bei der Anwendung von Artikel 5 der Verordnung [Nr. 44/2001], soweit der Verkauf beweglicher Sachen und die Erbringung von Dienstleistungen unter jene Verordnung fallen. Franchiseverträge und Vertriebsverträge sind zwar Dienstleistungsverträge, unterliegen jedoch besonderen Regeln.“

13      Art. 15 („Gesetzlicher Forderungsübergang“) der Verordnung Nr. 593/2008 lautet:

„Hat eine Person (‚Gläubiger‘) eine vertragliche Forderung gegen eine andere Person (‚Schuldner‘) und ist ein Dritter verpflichtet, den Gläubiger zu befriedigen, oder hat er den Gläubiger aufgrund dieser Verpflichtung befriedigt, so bestimmt das für die Verpflichtung des Dritten gegenüber dem Gläubiger maßgebende Recht, ob und in welchem Umfang der Dritte die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner nach dem für deren Beziehung maßgebenden Recht geltend zu machen berechtigt ist.“

14      Art. 16 („Mehrfache Haftung“) der Verordnung Nr. 593/2008 sieht vor:

„Hat ein Gläubiger eine Forderung gegen mehrere für dieselbe Forderung haftende Schuldner und ist er von einem der Schuldner ganz oder teilweise befriedigt worden, so ist für das Recht dieses Schuldners, von den übrigen Schuldnern Ausgleich zu verlangen, das Recht maßgebend, das auf die Verpflichtung dieses Schuldners gegenüber dem Gläubiger anzuwenden ist. Die übrigen Schuldner sind berechtigt, diesem Schuldner diejenigen Verteidigungsmittel entgegenzuhalten, die ihnen gegenüber dem Gläubiger zugestanden haben, soweit dies gemäß dem auf ihre Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger anzuwendenden Recht zulässig wäre.“

 Österreichisches Recht

15      In § 896 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) heißt es:

„Ein Mitschuldner zur ungetheilten Hand, welcher die ganze Schuld aus dem Seinigen abgetragen hat, ist berechtiget, auch ohne geschehene Rechtsabtretung, von den übrigen den Ersatz, und zwar, wenn kein anderes besonderes Verhältniß unter ihnen besteht, zu gleichen Theilen zu fordern.“

16      § 905 Abs. 2 ABGB in der Fassung vor dem Zahlungsverzugsgesetz (BGBl. I, 50/2013) sah vor, dass „… der Schuldner [Geldzahlungen] im Zweifel auf seine Gefahr und Kosten dem Gläubiger an dessen Wohnsitz (Niederlassung) zu übermachen [hat]“.

17      § 1042 ABGB sieht vor:

„Wer für einen Andern einen Aufwand macht, den dieser nach dem Gesetze selbst hätte machen müssen, hat das Recht, den Ersatz zu fordern.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

18      Herr Benkö, ein österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Österreich, erhob gegen seine ehemalige Lebensgefährtin, Frau Kareda, die die estnische Staatsangehörigkeit besitzt und sich an unbekannter Anschrift in Estland aufhält, vor dem Landesgericht St. Pölten (Österreich) Klage auf Erstattung von 17 145,41 Euro nebst Zinsen und Kosten. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Herr Benkö und Frau Kareda 2007, als sie noch zusammen in Österreich lebten, ein Einfamilienhaus zum Preis von 190 000 Euro erwarben und dementsprechend jeweils Hälfteeigentümer sind. Mangels Eigenmitteln hätten sie als Darlehensnehmer den Kaufpreis und die erforderlichen Maßnahmen an der Immobilie im März 2007 mit drei Darlehen über 150 000 Euro, 100 000 Euro und 50 000 Euro bei einer österreichischen Bank fremdfinanziert. Sowohl Herr Benkö als auch Frau Kareda seien Darlehensnehmer.

19      Frau Kareda habe die Lebensgemeinschaft mit Herrn Benkö Ende 2011 beendet und ihren Lebensmittelpunkt nach Estland – an einen diesem unbekannten Ort – verlegt. Ab Juni 2012 habe sie sich an der Rückzahlung der Darlehen nicht mehr beteiligt, weshalb Herr Benkö die Darlehensraten seitdem alleine trage. Die von Herrn Benkö erhobene Klage sei daher darauf gerichtet, Frau Kareda gemäß § 1042 ABGB zur Erstattung der Beträge zu verurteilen, die den von ihm für sie bis einschließlich Juni 2014 geleisteten Zahlungen entsprechen.

20      Das erstinstanzliche Gericht, das Landesgericht St. Pölten (Österreich), wandte sich an die Botschaft Estlands in Österreich, um die Anschrift des Wohnsitzes von Frau Kareda herauszufinden, allerdings ohne Ergebnis.

21      Der für Frau Kareda bestellte Zustellkurator erhob die Einrede der Unzuständigkeit und machte geltend, sie habe ihren Wohnsitz in Estland. Zum einen sei der von Herrn Benkö geschilderte Sachverhalt nicht unter die Vorschriften in den Abschnitten 2 bis 7 des Kapitels II der Verordnung Nr. 1215/2012 zu subsumieren. Zum anderen mangle es an der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, zumal der Ort, an dem die Bank, bei der die in Rede stehenden Darlehen aufgenommen worden seien, ihren Sitz habe und der dem Erfüllungsort der Verpflichtung zur Darlehensrückzahlung entspreche, nicht im Bezirk des Landesgerichts St. Pölten liege.

22      Das Landesgericht St. Pölten folgte dieser Argumentation und verneinte seine internationale Zuständigkeit für die Entscheidung des Rechtsstreits.

23      Das mit einem Rekurs von Herrn Benkö gegen diesen Beschluss befasste Oberlandesgericht Wien (Österreich) entschied, dass sich die Zuständigkeit gemäß Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 nach dem Erfüllungsort der vertraglichen Rückzahlungsverpflichtung – nach Auffassung dieses Gerichts am Wohnsitz des Schuldners – bestimme. Das Landesgericht St. Pölten sei somit international und örtlich zuständig.

24      Der Zustellkurator von Frau Kareda erhob gegen diesen Beschluss des Rekursgerichts beim vorlegenden Gericht, dem Obersten Gerichtshof (Österreich) Revisionsrekurs, um feststellen zu lassen, dass die österreichischen Gerichte unzuständig sind.

25      Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass ein Rückerstattungsanspruch (Ausgleichs‑/Regressanspruch) eines Schuldners aus einem (gemeinsamen) Kreditvertrag mit einer Bank, der die Kreditraten alleine getragen hat, gegen den weiteren Schuldner aus diesem Kreditvertrag ein abgeleiteter (sekundärer) vertraglicher Anspruch aus dem Kreditvertrag ist?

2.      Für den Fall, dass Frage 1 bejaht wird:

Bestimmt sich der Erfüllungsort des Rückerstattungsanspruchs (Ausgleichs-/Regressanspruchs) eines Schuldners gegen den anderen Schuldner aus dem zugrunde liegenden Kreditvertrag

a)      nach Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 („Erbringung von Dienstleistungen“) oder

b)      gemäß Art. 7 Nr. 1 Buchst. c in Verbindung mit Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 nach der lex causae?

3.      Für den Fall, dass Frage 2 Buchst. a bejaht wird:

Ist die Gewährung des Kredits durch die Bank die vertragscharakteristische Leistung aus dem Kreditvertrag, und bestimmt sich daher der Erfüllungsort für die Erbringung dieser Dienstleistung gemäß Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 nach dem Sitz der Bank, wenn die Hingabe des Kredits ausschließlich dort erfolgt ist?

4.      Für den Fall, dass Frage 2 Buchst. b bejaht wird:

Ist für die Bestimmung des Erfüllungsorts für die verletzte Vertragsleistung nach Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012

a)      der Zeitpunkt der Kreditaufnahme durch beide Schuldner (März 2007) maßgeblich oder

b)      der jeweilige Zeitpunkt, zu dem der regressberechtigte Kreditschuldner die Zahlungen, aus denen er den Regressanspruch ableitet, an die Bank geleistet hat (Juni 2012 bis Juni 2014)?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

26      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass Gegenstand einer von einem Gesamtschuldner eines Kreditvertrags gegen einen anderen Gesamtschuldner erhobenen Regressklage „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne dieser Vorschrift sind.


27      Zur Beantwortung dieser Frage ist auf die Auslegung von Art. 5 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 sowie von Art. 5 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens durch den Gerichtshof zu verweisen, die auch für Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 gilt, soweit diese Bestimmungen als gleichbedeutend angesehen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2013, ÖFAB, C‑147/12, EU:C:2013:490, Rn. 28).

28      Nach dieser Rechtsprechung ist der Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 autonom auszulegen, um die einheitliche Anwendung der Verordnung in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten, und muss eine Klage, um einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag zum Gegenstand zu haben, eine von einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung betreffen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. März 2013, Česká spořitelna, C‑419/11, EU:C:2013:165, Rn. 45 bis 47, und vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 37 und 39).

29      Dabei sind zunächst die in Art. 5 Nr. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 genannten Anknüpfungskriterien auf sämtliche Klagen aus ein- und demselben Vertrag anwendbar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2009, Rehder, C‑204/08, EU:C:2009:439, Rn. 33).

30      Ferner fallen alle Verpflichtungen, die sich aus dem Vertrag ergeben, auf dessen Nichterfüllung die Klage gestützt wird, unter den Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Oktober 1976, De Bloos, 14/76, EU:C:1976:134, Rn. 16 und 17, sowie vom 8. März 1988, Arcado, 9/87, EU:C:1988:127, Rn. 13).

31      Dies gilt auch für die zwischen zwei Gesamtschuldnern wie den Parteien des Ausgangsverfahrens entstandenen Verpflichtungen und insbesondere für die Möglichkeit eines Gesamtschuldners, der den Anteil des anderen an der gemeinsamen Schuld ganz oder teilweise gezahlt hat, diesen Betrag zurückzuerlangen, indem er eine Regressklage erhebt (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Oktober 2016, Kostanjevec, C‑185/15, EU:C:2016:763, Rn. 38). Wie der Generalanwalt in Nr. 31 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wäre es, da eine solche Klage auf dem Bestehen des Vertrags beruht, nämlich künstlich, für die Zwecke der Anwendung der Verordnung Nr. 1215/2012 das Rechtsverhältnis zwischen den Gesamtschuldnern von dem Vertrag zu trennen, der dieses Rechtsverhältnis begründet hat und ihm zugrunde liegt.

32      Schließlich sind die Vorschriften der Verordnung Nr. 1215/2012 zwar im Licht der durch diese Verordnung eingeführten Systematik sowie ihrer tragenden Zielsetzungen auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Januar 2014, Kainz, C‑45/13, EU:C:2014:7, Rn. 19), doch ist das Ziel der Anwendungskohärenz, insbesondere der Verordnung Nr. 1215/2012 und der Rom-I-Verordnung, zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2016, ERGO Insurance und Gjensidige Baltic, C‑359/14 und C‑475/14, EU:C:2016:40, Rn. 43). Die Auslegung, wonach Gegenstand einer Regressklage wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne der Verordnung Nr. 1215/2012 sind, steht auch im Einklang mit dem Ziel der Kohärenz. Durch Art. 16 der Rom-I-Verordnung wird nämlich das Verhältnis zwischen mehreren Schuldnern ausdrücklich mit dem zwischen Schuldner und Gläubiger bestehenden verknüpft.

33      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass Gegenstand einer von einem Gesamtschuldner eines Kreditvertrags gegen einen anderen Gesamtschuldner erhobenen Regressklage „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne dieser Vorschrift sind.

 Zur zweiten Frage

34      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass ein Kreditvertrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, den zwei Gesamtschuldner mit einem Kreditinstitut schließen, als „Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen“ im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren ist.

35      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bedeutet der Begriff „Dienstleistungen“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001, dessen Wortlaut mit dem von Art. 7 Nr. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 identisch ist, zumindest, dass die Partei, die sie erbringt, eine bestimmte Tätigkeit gegen Entgelt durchführt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 2016, Granarolo, C‑196/15, EU:C:2016:559, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Wie der Generalanwalt in Nr. 40 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, besteht die Dienstleistung bei einem Kreditvertrag, den ein Darlehensnehmer mit einem Kreditinstitut schließt, darin, dass das Kreditinstitut dem Darlehensnehmer gegen eine Vergütung, die dieser grundsätzlich in Form von Zinsen entrichtet, einen Geldbetrag überlässt.

37      Somit ist ein solcher Kreditvertrag als „Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 zu qualifizieren.


38      Deshalb ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass ein Kreditvertrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, den zwei Gesamtschuldner mit einem Kreditinstitut schließen, als „Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen“ im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren ist.

 Zur dritten Frage

39      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass in dem Fall, in dem ein Kreditinstitut zwei Gesamtschuldnern einen Kredit gewährt, der „Ort in einem Mitgliedstaat, an dem [die Dienstleistungen] nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen“ im Sinne dieser Vorschrift, sofern nichts anderes vereinbart worden ist – auch für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Richters, der über die Regressklage eines Gesamtschuldners gegen den anderen zu entscheiden hat –, der Ort des Sitzes des Kreditinstituts ist.

40      Hierzu ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die für den Vertrag charakteristische Verpflichtung zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 2016, Granarolo, C‑196/15, EU:C:2016:559, Rn. 33).

41      Wie der Generalanwalt in Nr. 45 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist bei einem Kreditvertrag die charakteristische Verpflichtung die Gewährung des Darlehens, wohingegen die Verpflichtung des Darlehensnehmers, dieses Darlehen zurückzuzahlen, nur die Folge der Leistung des Darlehensgebers ist.

42      Daher ist – außer in dem vom vorlegenden Gericht in seiner Frage angesprochenen Fall einer anderweitigen Vereinbarung – der Ort, an dem die Dienstleistungen erbracht worden sind, im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 bei Gewährung eines Kredits durch ein Kreditinstitut der Ort, an dem sich der Sitz des Kreditinstituts befindet.

43      Was die Frage anbelangt, ob diese Erwägung auch für die Bestimmung des Richters relevant ist, der für die Entscheidung über eine von einem Gesamtschuldner der Rückzahlungsverpflichtung gegen einen anderen Gesamtschuldner erhobene Regressklage örtlich zuständig ist, ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Klage, wie aus Rn. 31 des vorliegenden Urteils hervorgeht, auf dem Kreditvertrag beruht, den die Gesamtschuldner mit dem Kreditinstitut geschlossen haben.

44      Aus den vorstehenden Ausführungen sowie den nach ihren Erwägungsgründen 15 und 16 mit der Verordnung Nr. 1215/2012 verfolgten Zielen der Vorhersehbarkeit, der Vereinheitlichung und der geordneten Rechtspflege ergibt sich, dass Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass für die Entscheidung über eine solche Regressklage der Richter an dem Ort des Mitgliedstaats, an dem sich der Sitz des Kreditinstituts befindet, als Erfüllungsort der dieser Klage zugrunde liegenden Verpflichtung zuständig ist.

45      Insoweit ist das jeweilige Vorbringen der Parteien des Ausgangsverfahrens, sie seien beide Verbraucher und müssten deshalb in den Genuss der für Verbrauchersachen durch die Art. 17 und 18 der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehenen Zuständigkeitsregeln kommen, nicht relevant. Wie der Gerichtshof in Bezug auf die Art. 15 und 16 der Verordnung Nr. 44/2001 festgestellt hat, können diese Vorschriften auf das Verhältnis zwischen zwei Verbrauchern nämlich keine Anwendung finden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Dezember 2013, Vapenik, C‑508/12, EU:C:2013:790, Rn. 34).

46      Demnach ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass in dem Fall, in dem ein Kreditinstitut zwei Gesamtschuldnern einen Kredit gewährt hat, der „Ort in einem Mitgliedstaat, an dem [die Dienstleistungen] nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen“ im Sinne dieser Vorschrift, sofern nichts anderes vereinbart worden ist – auch für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Richters, der über die Regressklage eines Gesamtschuldners gegen den anderen zu entscheiden hat –, der Ort des Sitzes des Kreditinstituts ist.

 Zur vierten Frage

47      In Anbetracht der Antwort auf die dritte Frage braucht die vierte Frage nicht beantwortet werden.

 Kosten

48      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 7 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass Gegenstand einer von einem Gesamtschuldner eines Kreditvertrags gegen einen anderen Gesamtschuldner erhobenen Regressklage „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne dieser Vorschrift sind.

2.      Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 ist dahin auszulegen, dass ein Kreditvertrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, den zwei Gesamtschuldner mit einem Kreditinstitut schließen, als „Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen“ im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren ist.

3.      Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 ist dahin auszulegen, dass in dem Fall, in dem ein Kreditinstitut zwei Gesamtschuldnern einen Kredit gewährt hat, der „Ort in einem Mitgliedstaat, an dem [die Dienstleistungen] nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen“ im Sinne dieser Vorschrift, sofern nichts anderes vereinbart worden ist – auch für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Richters, der über die Regressklage eines Gesamtschuldners gegen den anderen zu entscheiden hat –, der Ort des Sitzes des Kreditinstituts ist.

Bay Larsen Vilaras Malenovský

Safjan          Šváby

Verkündet in Luxemburg in öffentlicher Sitzung am 15. Juni 2017.

Der Kanzler

 

      Der Präsident der Dritten Kammer

A.Calot Escobar

 

      L. Bay Larsen


*      Verfahrenssprache: Deutsch.