Vorabentscheidungsersuchen des Raad van State (Niederlande), eingereicht am 11. Juni 2018 – G.S., andere Partei: Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid
(Rechtssache C-381/18)
Verfahrenssprache: Niederländisch
Vorlegendes Gericht
Raad van State
Parteien des Ausgangsverfahrens
Rechtsmittelführer: G. S.
Andere Partei: Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid
Vorlagefragen
Ist Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86/EG1 dahin auszulegen, dass beim Entzug oder der Ablehnung der Verlängerung des Aufenthaltstitels eines Familienangehörigen aus Gründen der öffentlichen Ordnung begründet werden muss, dass das persönliche Verhalten des betreffenden Familienangehörigen eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt?
Wenn die erste Frage zu verneinen ist: Welche Begründungsanforderungen gelten nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86/EG für den Entzug oder die Ablehnung der Verlängerung des Aufenthaltstitels eines Familienangehörigen aus Gründen der öffentlichen Ordnung?
Ist Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86/EG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Praxis entgegensteht, nach der aus Gründen der öffentlichen Ordnung der Aufenthaltstitel eines Familienangehörigen entzogen oder seine Verlängerung abgelehnt werden kann, wenn die Strafe oder die Maßregel der Sicherung, die gegen den betreffenden Familienangehörigen verhängt wurde, angesichts der Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts in den Niederlanden hoch genug ist („gleitende Skala“), wobei anhand der Kriterien aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 2. August 2001, Boultif gegen Schweiz, ECLI:CE:ECHR:2001:0802JUD005427300, und vom 18. Oktober 2006, Üner gegen Niederlande, ECLI:CE:ECHR:2006:1018JUD004641099, eine Interessenabwägung zwischen dem Interesse des betreffenden Familienangehörigen an der Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung in den Niederlanden und dem Interesse des niederländischen Staats am Schutz der öffentlichen Ordnung vorgenommen wird?
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1 Richtlinie des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. 2003, L 251, S. 12).