Language of document : ECLI:EU:C:2018:596

Verbundene Rechtssachen C84/17 P, C85/17 P und C95/17 P

Société des produits Nestlé SA u. a.

gegen

Mondelez UK Holdings & Services Ltd

„Rechtsmittel – Unionsmarke – Dreidimensionale Marke in Form einer vierfach gerippten Schokoladentafel – Gegen die Urteilsbegründung gerichtetes Rechtsmittel – Unzulässigkeit – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Art. 7 Abs. 3 – Nachweis der infolge Benutzung erlangten Unterscheidungskraft“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 25. Juli 2018

1.        Rechtsmittel – Gründe – Anträge, die auf eine Auswechslung der Begründung abzielen – Unzulässigkeit

(Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 169 Abs. 1)

2.        Gerichtliches Verfahren – Rechtskraft – Tragweite

3.        Unionsmarke – Bemerkungen Dritter und Widerspruch – Prüfung des Widerspruchs – Nachweis der Benutzung der älteren Marke – Ernsthafte Benutzung – Begriff – Beurteilungskriterien – Größe des Gebiets der Benutzung

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1)

4.        Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken ohne Unterscheidungskraft – Ausnahme – Erwerb der Unterscheidungskraft durch Benutzung – Marke, der in der gesamten Union die Unterscheidungskraft fehlt – Erwerb durch Benutzung ebenfalls in der gesamten Union

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 7 Abs. 3)

5.        Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken ohne Unterscheidungskraft – Ausnahme – Erwerb der Unterscheidungskraft durch Benutzung – Beweiskraft der Beweismittel

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 7 Abs. 3)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 40-42)

2.      Die Rechtskraft eines Urteils erstreckt sich lediglich auf die Gründe eines Urteils, die den Tenor tragen und von ihm daher nicht zu trennen sind. Infolgedessen erlangen bei einer Aufhebung einer Entscheidung des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) durch das Gericht die Gründe, aufgrund derer es bestimmte von den Parteien vorgebrachten Argumente zurückgewiesen hat, keine Rechtskraft.

(vgl. Rn. 52, 53)

3.      Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Anforderungen an die Prüfung der ernsthaften Benutzung einer Marke im Sinne von Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke, der unverändert als Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 in die Verordnung Nr. 207/2009 über die Unionsmarke übernommen wurde, denen entsprechen, die für den Erwerb der Unterscheidungskraft eines Zeichens infolge seiner Benutzung im Hinblick auf dessen Eintragung im Sinne von Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung gelten.

Jedoch betrifft, anders als in der Rechtssache, in der das Urteil vom 19. Dezember 2012, Leno Merken, C‑149/11, ergangen ist – in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass für die Beurteilung, ob eine „ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 vorliegt, die Grenzen der Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten außer Betracht zu lassen sind – das Urteil vom 18. April 2013, Colloseum Holding, C‑12/12, nicht die zur Beurteilung der ernsthaften Benutzung im Sinne dieser Bestimmung maßgebliche geografische Ausdehnung, sondern die Frage, ob die Voraussetzung der ernsthaften Benutzung einer Marke im Sinne dieser Bestimmung als erfüllt angesehen werden kann, wenn eine eingetragene Marke, die ihre Unterscheidungskraft infolge der Benutzung einer anderen, zusammengesetzten Marke erlangt hat, deren Bestandteil sie ist, nur vermittels dieser anderen zusammengesetzten Marke benutzt wird oder wenn sie nur in Verbindung mit einer anderen Marke benutzt wird und beide Marken zusammen zusätzlich als Marke eingetragen sind.

Rn. 34 des Urteils vom 18. April 2013, Colloseum Holding, C‑12/12, ist somit nicht so zu verstehen, dass die Anforderungen an die Beurteilung der Größe des Gebiets, von deren Einhaltung die Eintragung einer Marke wegen ihrer Verkehrsdurchsetzung abhängt, denen entsprechen, von deren Einhaltung die Erhaltung der Rechte des Inhabers einer eingetragenen Marke abhängt.

Zudem gibt es im Bereich der ernsthaften Benutzung einer bereits eingetragenen Unionsmarke keine Bestimmung, die Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 entspricht, so dass nicht ohne weiteres davon auszugehen ist, dass eine solche Benutzung nur deswegen nicht vorliegt, weil die betreffende Marke in einem Teil der Union nicht benutzt worden ist.

So ist es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, auch wenn die Erwartung berechtigt ist, dass eine Unionsmarke in einem größeren Gebiet als dem eines einzigen Mitgliedstaats benutzt wird, um diese Benutzung als „ernsthafte Benutzung“ qualifizieren zu können, doch nicht ausgeschlossen, dass der Markt der Waren oder Dienstleistungen, für die eine Unionsmarke eingetragen wurde, unter bestimmten Umständen faktisch auf das Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats begrenzt ist, so dass eine Benutzung der Marke in diesem Gebiet die Voraussetzung der ernsthaften Benutzung einer Unionsmarke erfüllen könnte.

(vgl. Rn. 70-74)

4.      Was den infolge Benutzung erfolgten Erwerb von Unterscheidungskraft durch eine Marke angeht, hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass ein Zeichen nur dann als Unionsmarke gemäß Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 über die Unionsmarke eingetragen werden kann, wenn der Nachweis erbracht wird, dass es infolge seiner Benutzung in dem Teil der Union Unterscheidungskraft erlangt hat, in dem es im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b keine originäre Unterscheidungskraft von Anfang an hatte. Der Gerichtshof hat auch klargestellt, dass der Teil der Union, um den es in Art. 7 Abs. 2 geht, gegebenenfalls aus nur einem einzigen Mitgliedstaat bestehen kann.

Daraus folgt, dass eine Marke, die keine originäre Unterscheidungskraft in allen Mitgliedstaaten hat, nach dieser Bestimmung nur eingetragen werden kann, wenn nachgewiesen wird, dass sie durch Benutzung im gesamten Hoheitsgebiet der Union Unterscheidungskraft erlangt hat.

Gewiss hat der Gerichtshof in Rn. 62 des Urteils vom 24. Mai 2012, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli/HABM, C‑98/11 P, auf das sich Nestlé und das EUIPO berufen, festgestellt, dass zwar der infolge Benutzung erfolgte Erwerb von Unterscheidungskraft durch eine Marke für den Teil der Union nachgewiesen werden muss, in dem die Marke keine originäre Unterscheidungskraft besaß, es aber zu weit ginge, zu verlangen, dass der Nachweis eines solchen Erwerbs für jeden Mitgliedstaat einzeln erbracht werden muss.

Daraus folgt jedoch nicht, dass es, wenn eine Marke keine originäre Unterscheidungskraft in der gesamten Union hat, für die Eintragung als Unionsmarke gemäß Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 der Nachweis ausreicht, dass sie infolge ihrer Benutzung in einem bedeutenden Teil der Union Unterscheidungskraft erlangt hat, obwohl dieser Nachweis nicht für jeden Mitgliedstaat erbracht wurde.

(vgl. Rn. 75-78)

5.      Keine Bestimmung der Verordnung Nr. 207/2009 über die Unionsmarke schreibt vor, dass die Verkehrsdurchsetzung im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung mit unterschiedlichen Beweisen für jeden einzelnen Mitgliedstaat nachgewiesen wird. Daher ist nicht auszuschließen, dass Beweismittel dafür, dass ein bestimmtes Zeichen infolge der Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, für mehrere Mitgliedstaaten, ja sogar die gesamte Union, einen Aussagewert hat.

Es kann insbesondere sein, dass die Wirtschaftsbeteiligten im Hinblick auf bestimmte Waren oder Dienstleistungen mehrere Mitgliedstaaten im gleichen Vertriebsnetz zusammengefasst und diese Mitgliedstaaten besonders aus der Sicht ihrer Marketingstrategien behandelt haben, als ob sie einen einzigen und einheitlichen nationalen Markt darstellen würden. In einem solchen Fall können die Beweise für die Benutzung eines Zeichens auf einem solchen grenzüberschreitenden Markt für alle betreffenden Mitgliedstaaten aussagekräftig sein.

Dies gilt auch dann, wenn aufgrund der geografischen, kulturellen oder sprachlichen Nähe zweier Mitgliedstaaten die maßgeblichen Verkehrskreise des einen Mitgliedstaats über ausreichende Kenntnisse der Waren oder Dienstleistungen verfügen, die es auf dem nationalen Markt des anderen Mitgliedstaats gibt.

Nach diesen Erwägungen ist es zwar nicht erforderlich, dass für die Eintragung einer Marke gemäß Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009, die keine originäre Unterscheidungskraft in allen Mitgliedstaaten der Union hat, für jeden einzelnen Mitgliedstaat nachgewiesen wird, dass sie durch Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, jedoch müssen die vorgebrachten Beweismittel den Nachweis ermöglichen, dass die Unterscheidungskraft in allen Mitgliedstaaten der Union erlangt wurde.

Somit ist die Frage, ob die vorgelegten Beweismittel für den Nachweis ausreichen, dass ein bestimmtes Zeichen infolge seiner Benutzung in einem bestimmten Teil des Unionsgebiets Unterscheidungskraft erlangt hat, in dem es über keine originäre Unterscheidungskraft verfügte, Teil der Beweiswürdigung ist, die in erster Linie den Stellen des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) obliegt.

Diese Würdigung unterliegt der Kontrolle des Gerichts, das bei einer bei ihm erhobenen Klage gegen eine Entscheidung der Beschwerdekammer allein zuständig ist, diese Tatsachen festzustellen und somit zu würdigen. Die Tatsachenwürdigung stellt hingegen, vorbehaltlich dessen, dass das Gericht den ihm unterbreiteten Sachvortrag entstellt, keine Rechtsfrage dar, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs im Rechtsmittelverfahren unterläge.

Davon bleibt unberührt, dass die Stellen des Amts bzw. die Instanzen des Gerichts, wenn sie nach der Würdigung der ihnen unterbreiteten Beweismittel feststellen, dass bestimmte Beweismittel ausreichen, um nachzuweisen, dass ein bestimmtes Zeichen infolge seiner Benutzung in dem Teil des Unionsgebiets Unterscheidungskraft erlangt hat, in dem es über keine originäre Unterscheidungskraft verfügte, und somit ausreichen, seine Eintragung als Unionsmarke zu rechtfertigen, diese Feststellung in ihren jeweiligen Entscheidungen klar zum Ausdruck bringen müssen.

(vgl. Rn. 80-86)