URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
14. Juli 1998 (1)
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie Anwendungsbereich Devisengeschäfte“
In der Rechtssache C-172/96
betreffend ein dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vom High Court
of Justice, Queen's Bench Division, (Vereinigtes Königreich), in dem bei diesem
anhängigen Rechtsstreit
Commissioners of Customs & Excise
gegen
First National Bank of Chicago
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl.
L 145, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann sowie der Richter
M. Wathelet, J. C. Moitinho de Almeida, P. Jann und L. Sevón (Berichterstatter),
Generalanwalt: C. O. Lenz
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der First National Bank of Chicago, vertreten durch Paul Lasok, QC,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch
Stephanie Ridley, Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigte,
Beistand: Nigel Pleming, QC, und Christopher Vajda, Barrister,
der französischen Regierung, vertreten durch Catherine de Salins,
Abteilungsleiterin in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für
Auswärtige Angelegenheiten, und Gautier Mignot, Sekretär für Auswärtige
Angelegenheiten in der gleichen Direktion, als Bevollmächtigte,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Peter
Oliver und Enrico Traversa, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der First National Bank of Chicago,
vertreten durch David Goy, QC, der Regierung des Vereinigten Königreichs,
vertreten durch John E. Collins, Assistant Treasury Solicitor, als Bevollmächtigten,
Beistand: Nigel Pleming und Christopher Vajda, und der Kommission, vertreten
durch Peter Oliver, in der Sitzung vom 25. Juni 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16.
September 1997,
folgendes
Urteil
- 1.
- Der High Court of Justice, Queen's Bench Division, hat mit Beschluß vom 13. Mai
1996, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Mai 1996, gemäß Artikel 177
EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG
des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern Gemeinsames Mehrwertsteuersystem:
einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; nachstehend:
Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der First National Bank
of Chicago (nachstehend: die Bank) und den Commissioners of Customs & Excise
(nachstehend: Commissioners) wegen des Vorsteuerabzugs für bestimmte
Devisengeschäfte.
- 3.
- Artikel 2 der Sechsten Richtlinie sieht vor:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen:
1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein
Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;
2. die Einfuhr von Gegenständen.“
- 4.
- Artikel 5 Absatz 1 definiert die Lieferung von Gegenständen wie folgt:
„(1) Als Lieferung eines Gegenstands gilt die Übertragung der Befähigung, wie
ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.“
- 5.
- Dienstleistungen werden in Artikel 6 Absatz 1 wie folgt definiert:
„(1) Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands
im Sinne des Artikels 5 ist.“
- 6.
- Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a lautet:
„Die Besteuerungsgrundlage ist:
a) bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die unter den
Buchstaben b), c) und d) genannt sind, alles, was den Wert der
Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese
Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem
Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem
Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“
- 7.
- Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 4 bestimmt:
„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten
unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen
Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von
Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen,
von der Steuer:
...
d) die folgenden Umsätze:
...
4. die Umsätze einschließlich der Vermittlung , die sich auf Devisen,
Banknoten und Münzen beziehen, die gesetzliches Zahlungsmittel sind, mit
Ausnahme von Sammlerstücken einschließlich der Banknoten; als
Sammlerstücke gelten Münzen aus Gold, Silber oder anderem Metall sowie
Banknoten, die normalerweise nicht als gesetzliches Zahlungsmittel
verwendet werden oder die von numismatischem Interesse sind.“
- 8.
- Nach Artikel 13 Teil C Buchstabe b können die Mitgliedstaaten ihren
Steuerpflichtigen jedoch das Recht einräumen, u. a. bei den Umsätzen nach Teil B
Buchstabe d dieser Bestimmung für eine Besteuerung zu optieren.
- 9.
- Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie lautet:
„3. Die Mitgliedstaaten gewähren jedem Steuerpflichtigen darüber hinaus den
Abzug oder die Erstattung der in Absatz 2 genannten Mehrwertsteuer, soweit die
Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden für Zwecke:
...
c) seiner nach Artikel 13 Teil B Buchstaben a) und d) Nummern 1 bis 5
befreiten Umsätze, wenn der Leistungsempfänger außerhalb der
Gemeinschaft ansässig ist oder wenn diese Umsätze unmittelbar mit zur
Ausfuhr in ein Land außerhalb der Gemeinschaft bestimmten Gegenständen
zusammenhängen.“
- 10.
- Wie sich aus dem Vorlagebeschluß ergibt, ist die Bank für Mehrwertsteuerzwecke
im Vereinigten Königreich registriert und betreibt zahlreiche Bankgeschäfte,
darunter Devisengeschäfte. Sie ist ein „market maker“ und jederzeit bereit,
Währungen, auf die sie sich spezialisiert hat, zu beschaffen und entgegenzunehmen.
- 11.
- Die Bank legt die Kurse, zu denen sie zum Abschluß von Devisengeschäften bereit
ist, als „Ankaufskurse“ („bid prices“) oder als „Angebotskurse“ („offer prices“)
fest. Sie bietet jederzeit den Ankauf von Devisen zu einem Preis in Form eines
Wechselkurses und gleichzeitig den Verkauf desselben Devisenbetrags zu einem als
Wechselkurs ausgedrückten etwas höheren Preis an. Der Unterschied zwischen den
beiden Kursen wird als „Spread“ bezeichnet.
- 12.
- Die Devisengeschäfte sind entweder „Kassageschäfte“ oder „Termingeschäfte“. Ein
Kassageschäft läßt sich als Kauf einer Devise gegen Verkauf einer anderen Devise
definieren, wobei Lieferung und Verkauf normalerweise am zweiten Werktag nach
ertragsschluß, dem sogenannten Abrechnungs- oder Wertstellungstag, erfolgen. Im
Gegensatz dazu erfolgen bei einem Termingeschäft Lieferung und Verkauf der
Devisen zu einem späteren Wertstellungszeitpunkt, doch liegen die Beträge
aufgrund des bei Vertragsschluß vereinbarten Wechselkurses fest.
- 13.
- Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts wurde in dem Fall, mit dem es befaßt
ist, im Rahmen der von der Bank getätigten Devisengeschäfte das Geld nicht
physisch in Form von Münzen, Banknoten oder sonstigen beweglichen Sachen
geliefert. Es wurde vielmehr die Möglichkeit eingeräumt, Geld in der „gelieferten“
Devise von einem bei einer Bank eröffneten Konto abzuheben.
- 14.
- Für Geschäfte wie die im Ausgangsverfahren streitigen werden von der Bank keine
Gebühren oder Provisionen erhoben oder in Rechnung gestellt. Die Bank ist
bestrebt, bei ihren Devisengeschäften einen Gewinn aufgrund des Spread zwischen
Ankaufs- und Angebotskursen zu erzielen. Jeder ihrer Händler hat sein eigenes
Devisenbuch, und es wird von ihm erwartet, daß er über bestimmte Zeiträume
einen Gewinn erzielt. Der Gewinn ist das Ergebnis aller seiner Geschäfte in einem
solchen Zeitraum.
- 15.
- Die Bank ist teilweise von der Mehrwertsteuer befreit. Sie macht jedoch ein Recht
auf Vorsteuerabzug für die Geschäfte mit Kunden geltend, die außerhalb der
Gemeinschaft ansässig sind. Zur Ermittlung des abzugsfähigen Betrages vereinbarte
sie mit den Commissioners eine besondere Methode der Teilbefreiung gemäß
Regulation 31 der Value Added Tax (General) Regulations 1985
(Mehrwertsteuerverordnung von 1985, SI 1985, Nr. 886). Der abzugsfähige Teil der
Vorsteuer, der der Bank nach der vereinbarten Methode eingeräumt wird,
bestimmt sich nach der Zahl der durchgeführten Devisengeschäfte und entspricht
einem Bruch, dessen Zähler die Zahl der Geschäfte mit den außerhalb der
Europäischen Union ansässigen Kunden und dessen Nenner die Gesamtzahl der
Geschäfte ist.
- 16.
- In ihrer Erklärung für den Zeitraum vom 1. Mai 1994 bis 31. Juli 1994, die auch
die jährliche Berichtigung für den Zeitraum von April 1993 bis April 1994 umfaßte,
berücksichtigte die Bank für die Bestimmung von Zähler und Nenner des Bruches
die Devisengeschäfte zwischen April 1993 und Juli 1994. Nach ihren Berechnungen
belief sich das Vorsteuerguthaben, auf das sie für diesen verlängerten Zeitraum von
fünfzehn Monaten aufgrund ihrer Devisengeschäfte mit den in Ländern außerhalb
der Gemeinschaft ansässigen Kunden Anspruch hatte, auf 251 454,90 UKL.
- 17.
- Mit Bescheid vom 26. September 1994 kürzten die Commissioners das von der
Bank geltend gemachte Vorsteuerguthaben, indem sie den Teil, der auf die
Devisengeschäfte mit den letztgenannten Kunden entfiel, nicht anerkannten.
- 18.
- Die Bank erhob Klage zum Value Added Tax Tribunal. Die Parteien beschränkten
den Streitgegenstand einvernehmlich auf die Frage, ob die streitigen
Devisengeschäfte mehrwertsteuerrechtlich Dienstleistungen oder Lieferungen von
Gegenständen waren. Das Value Added Tax Tribunal gab der Klage der Bank mit
Entscheidung vom 12. September 1995 statt.
- 19.
- Die Commissioners legten gegen diese Entscheidung Rechtsmittel beim High Court
of Justice ein.
- 20.
- Der High Court of Justice ist der Ansicht, daß die Entscheidung des Rechtsstreits
von der Auslegung der Sechsten Richtlinie abhängt, und hat daher beschlossen, das
Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen:
1. Stellen Devisengeschäfte im Sinne der (in Nr. 1 des Sachverhalts des
Vorlagebeschlusses wiedergegebenen) Definition der British Bankers'
Association bei zutreffender Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG des
Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie)
Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen dar, die gegen Entgelt
ausgeführt werden?
2. Wenn es sich um Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen
handelt, die gegen Entgelt ausgeführt werden, was für eine Art von Entgelt
wird dann bei einem solchen Geschäft entrichtet?
- 21.
- Die in der ersten Frage genannte Definition lautet:
Devisengeschäfte sind „Geschäfte, bei denen die eine Partei einen vereinbarten
Betrag in einer Währung kauft und als Gegenleistung an die andere Partei einen
vereinbarten Betrag in einer anderen Währung verkauft, wobei diese beiden
Geldbeträge am gleichen Wertstellungstag zu zahlen sind, und bei denen sich beide
Parteien (entweder mündlich, elektronisch oder schriftlich) über die betreffenden
Währungen, die zu kaufenden und die zu verkaufenden Beträge sowie darüber,
welche Partei welche Währung kauft, und über den Tag der Wertstellung geeinigt
haben“.
Zur ersten Frage
- 22.
- Mit der ersten Frage möchte der High Court of Justice wissen, ob Geschäfte, bei
denen die eine Partei einen vereinbarten Betrag in einer Währung kauft und als
Gegenleistung an die andere Partei einen vereinbarten Betrag in einer anderen
Währung verkauft, wobei diese beiden Geldbeträge am gleichen Wertstellungstag
zu zahlen sind, und bei denen sich die beiden Parteien (entweder mündlich,
elektronisch oder schriftlich) über die betreffenden Währungen, die zu kaufenden
und zu verkaufenden Beträge sowie darüber, welche Partei welche Währung kauft,und den Tag der Wertstellung geeinigt haben, Lieferungen von Gegenständen oder
Dienstleistungen gegen Entgelt im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 der Sechsten
Richtlinie darstellen.
- 23.
- Die Bank, die französische Regierung und die Kommission sind der Ansicht, daß
die Devisengeschäfte Dienstleistungen seien. Da sie entgeltlich seien, fielen sie
unter die Sechste Richtlinie.
- 24.
- Dagegen meint die Regierung des Vereinigten Königreichs, daß ein
Devisengeschäft, das ohne Provision oder Bankgebühren ausgeführt werde, wegen
des Fehlens eines Entgelts keine Lieferung von Gegenständen oder Dienstleistung
im Sinne der Sechsten Richtlinie, sondern ein bloßer Austausch von
Zahlungsmitteln sei.
- 25.
- Devisen, die im Rahmen eines Devisengeschäfts gegen andere Devisen gewechselt
werden, können nicht als „körperliche Gegenstände“ im Sinne des Artikels 5 der
Sechsten Richtlinie angesehen werden, da es sich um Geld handelt, das gesetzliches
Zahlungsmittel ist. Devisengeschäfte sind daher Dienstleistungen im Sinne des
Artikels 6 der Sechsten Richtlinie.
- 26.
- Zur Entgeltlichkeit einer Dienstleistung hat der Gerichtshof bereits festgestellt, daß
eine Dienstleistung nur dann im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten
Richtlinie „gegen Entgelt“ erbracht wird und somit steuerpflichtig ist, wenn
zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis
besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die
vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem
Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet (Urteil vom 3. März 1994 in
der Rechtssache C-16/93, Tolsma, Slg. 1994, I-743, Randnr. 14).
- 27.
- Nur wenn die Tätigkeit eines Dienstleistenden darin besteht, ausschließlich
Leistungen ohne unmittelbare Gegenleistung zu erbringen, gibt es keine
Besteuerungsgrundlage, und nur dann unterliegen diese Leistungen nicht der
Mehrwertsteuer (vgl. Urteil Tolsma, a. a. O., Randnr. 12).
- 28.
- Im vorliegenden Fall steht außer Frage, daß zwischen der Bank und ihrem
Vertragspartner ein synallagmatisches Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen
die beiden an dem Geschäft beteiligten Parteien sich gegenseitig verpflichten,
Beträge in einer bestimmten Währung zu übergeben und den Gegenwert in einer
anderen Währung entgegenzunehmen.
- 29.
- Neben dem eigentlichen Devisengeschäft ist die Leistung der Bank durch deren
Bereitschaft gekennzeichnet, solche Geschäfte in den Währungen abzuschließen,
auf die sie sich spezialisiert hat.
- 30.
- Daß die Bank für ein konkretes Devisengeschäft weder Gebühren noch Provisionen
erhebt, erlaubt allein noch nicht den Schluß, daß keine Gegenleistung erbracht
wird.
- 31.
- Eventuelle praktische Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Betrages der
Gegenleistung erlauben es darüber hinaus nicht, allein aus diesem Grund von dem
Fehlen einer Gegenleistung auszugehen.
- 32.
- Wie sich im übrigen aus den Akten ergibt, sind die Kurse, zu denen die Bank zum
An- oder Verkauf von Devisen bereit ist, unterschiedlich. Zwischen beiden liegt
eine bestimmte Spanne. Dies erlaubt den Schluß, daß die Bank sich ihre
Dienstleistung durch eine Gegenleistung vergüten läßt, die sie in diese Kurse mit
einrechnet.
- 33.
- Eine andere Lösung, nach der Devisengeschäfte nur steuerbar wären, wenn sie
gegen Zahlung einer Provision oder spezieller Gebühren durchgeführt werden, und
die einem Wirtschaftsteilnehmer damit die Möglichkeit böte, sich der Besteuerung
zu entziehen, wenn er sich seine Dienstleistungen nicht durch die Einbehaltungen
von Provisionen oder Gebühren, sondern durch die Festlegung einer Spanne
zwischen den von ihm vorgeschlagenen An- und Verkaufskursen vergüten läßt,
wäre mit dem von der Sechsten Richtlinie errichteten System unvereinbar und
könnte zu einer ungleichen steuerlichen Grundlage für die Wirtschaftsteilnehmer
führen.
- 34.
- Daraus folgt, daß Devisengeschäfte, auch wenn sie ohne Einbehaltung von
Provisionen oder unmittelbaren Gebühren durchgeführt werden, Dienstleistungen
sind, die gegen eine Gegenleistung erbracht werden, d. h. entgeltliche
Dienstleistungen im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie.
- 35.
- Somit ist auf die erste Frage zu antworten, daß Geschäfte, bei denen die eine
Partei einen vereinbarten Betrag in einer Währung kauft und als Gegenleistung an
die andere Partei einen vereinbarten Betrag in einer anderen Währung verkauft,
wobei diese beiden Geldbeträge am gleichen Wertstellungstag zu zahlen sind, und
bei denen sich beide Parteien (entweder mündlich, elektronisch oder schriftlich)
über die betreffenden Währungen, die zu kaufenden und zu verkaufenden Beträge
sowie darüber, welche Partei welche Währung kauft, und über den Tag der
Wertstellung geeinigt haben, Dienstleistungen gegen Entgelt im Sinne des Artikels
2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie sind.
Zur zweiten Frage
- 36.
- Mit seiner zweiten Frage möchte der High Court of Justice wissen, was die
Gegenleistung ist. Diese Frage ist somit als Frage nach der Bestimmung der
Besteuerungsgrundlage zu verstehen.
- 37.
- Nach Ansicht der Bank ist Gegenleistung all das, was ihr im Rahmen der
Devisengeschäfte zufließe, d. h. der Umsatz, den der Gesamtwert der im Rahmen
der Devisengeschäfte gelieferten Devisen darstelle.
- 38.
- Dagegen sehen die französische Regierung und die Kommission die Gegenleistung
in dem erzielten Kursgewinn und anderen Vergütungen, die der Dienstleistende
erhalten habe.
- 39.
- Die Kommission verweist dazu auf einen von ihr ausgearbeiteten
Richtlinienvorschlag, der eine Bestimmung speziell für Devisengeschäfte enthielt
(Vorschlag für eine Neunzehnte Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer zur Änderung der
Richtlinie 77/388/EWG gemeinsames Mehrwertsteuersystem, KOM[84] 648 endg.,
ABl. 1984, C 347, S. 5). Nach dem Änderungsvorschlag sollte Artikel 19 Absatz
1 zweiter Gedankenstrich um folgende Sätze ergänzt werden:
„Bei den nach Artikel 13 Teil B Buchstabe d) Ziffern 4 und 5 von der Steuer
befreiten Umsätzen von Devisen und Wertpapieren wird der im Nenner zu
berücksichtigende Betrag um den Anschaffungswert vermindert; dieser Betrag hat
gegebenenfalls die Provision und die dem Käufer belasteten Kosten zu umfassen.
Kann der Steuerpflichtige den Anschaffungswert nicht bestimmen, dann kann er
stattdessen den Anschaffungswert von Devisen oder Wertpapieren verwenden, die
im gleichen Zeitraum erworben wurden, wenn es sich um Devisen bzw.
Wertpapiere der gleichen Art wie der verkauften handelt.“
- 40.
- Die Kommission hat erklärt, diesen Vorschlag aus Gründen zurückgezogen zu
haben, die mit dieser Bestimmung nichts zu tun hätten.
- 41.
- Nach Ansicht der Regierung des Vereinigten Königreichs wäre, wenn der
Gerichtshof das streitige Devisengeschäft als eine entgeltliche Dienstleistung
ansehen sollte, jede Veranlagung auf der Grundlage des Spread zwischen dem Ankaufs- und dem Angebotskurs aus zwei Gründen fehlerhaft. Erstens stelle die Bank dem
Kunden diesen Spread nicht in Rechnung. Zweitens würde eine solche Veranlagung
bedeuten, die Mehrwertsteuer auf den Gewinn und nicht auf den Umsatz zu
erheben. Im übrigen lasse sich im Rahmen der Devisengeschäfte eine
Gegenleistung nicht bestimmen, da der Gewinn oder die Einnahmen der Bank aus
ihrer Beteiligung an einer Reihe von Geschäften herrührten, denen unterschiedliche
Wechselkurse zugrunde lägen, und nicht der Ertrag eines einzelnen Geschäfts
seien. Schließlich sei bei dem Währungsumtausch nicht die eine Währung das
Entgelt für die andere.
- 42.
- Nach Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie ist die
Besteuerungsgrundlage bei Dienstleistungen das, was den Wert der Gegenleistung
bildet, die der Dienstleistende für diese Umsätze vom Dienstleistungsempfänger
erhält oder erhalten soll.
- 43.
- Die einem Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen eines Devisengeschäfts von seinem
Vertragspartner übergebenen Devisen sind zwar Gegenstand eines Umsatzes,
können aber nicht als Vergütung für die Dienstleistung des Umtausches der
Devisen in andere angesehen werden und können damit keine Gegenleistung sein.
- 44.
- Zur Ermittlung der Gegenleistung ist somit zu ermitteln, welchen Betrag die Bank
für die Devisengeschäfte erhalten hat, d. h. die Vergütung für die Devisengeschäfte,
über die sie effektiv selbst verfügen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Mai
1994 in der Rechtssache C-38/93, Glawe, Slg. 1994, I-1679, Randnr. 9).
- 45.
- Der Spread als der Unterschied zwischen Ankaufs- und Angebotskurs ist nur der
hypothetische Preis, den die Bank erhalten würde, wenn sie zur gleichen Zeit und
zu gleichen Bedingungen über die gleichen Beträge und die gleichen Devisen zwei
Geschäfte tätigen würde, die dem Ankauf und dem Verkauf entsprächen.
- 46.
- Dies sind jedoch nur theoretische Erwägungen, da die Bank eine Vielzahl von
Geschäften über unterschiedliche Beträge in unterschiedlichen Devisen durchführt,
deren Kurse im Laufe der Zeit ständig variieren. Ein Wirtschaftsteilnehmer kann
normalerweise beim Abschluß eines einzelnen Geschäfts nicht vorhersehen, zu
welchem Zeitpunkt und zu welchem Kurs er später ein oder mehrere Geschäfte
abschließen kann, die es ihm erlauben, das Wechselkursrisiko, dem er nach dem
ersten Geschäft ausgesetzt ist, auszuschalten oder auf einen bestimmten Betrag zu
begrenzen.
- 47.
- Somit bildet der Bruttoertrag der von der Bank während eines bestimmten
Zeitraums getätigten Geschäfte die Gegenleistung, d. h. den Betrag, über den die
Bank effektiv selbst verfügen kann.
- 48.
- Im Rahmen von entgeltlichen Geschäften, bei denen die tatsächliche Gegenleistung
aber durch Faktoren bestimmt wird, die wie der Ablauf von Zeit in der Zukunft
liegen, hat der Gerichtshof bereits entschieden, daß die Besteuerungsgrundlage u. a.
nach Maßgabe der Zinsen zu bestimmen ist, die während der Zeit eines
Zahlungsaufschubs angefallen sind, die aber bei Abschluß des der Steuer
unterliegenden Geschäfts noch nicht bekannt waren (Urteil vom 27. Oktober 1993
in der Rechtssache C-281/91, Muy's en De Winter's Bouw- en Aannemingsbedrijf,
Slg. 1993, I-5405, Randnr. 18).
- 49.
- Zudem ist für die Möglichkeit, eine Transaktion zu besteuern, auch nicht
erforderlich, daß der Steuerpflichtige, der die Gegenstände liefert oder die
Dienstleistung erbringt, oder die andere an der Transaktion beteiligte Partei den
genauen Betrag der Gegenleistung kennt, der als Besteuerungsgrundlage dient
(Urteil vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-288/94, Argos Distributors, Slg.
1996, I-5311, Randnrn. 21 und 22). Daher ist es ohne Bedeutung, daß die Parteien
bei Abschluß des Geschäfts die Grundlage, auf der die Mehrwertsteuer festgesetzt
wird, nicht kennen und dem Empfänger der erbrachten Dienstleistung diese
Grundlage auch später unbekannt bleibt.
- 50.
- Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, daß Artikel 11 Teil A Absatz 1
Buchstabe a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, daß bei
Devisengeschäften, bei denen für bestimmte spezifische Geschäfte weder Gebühren
noch Provisionen berechnet werden, der Bruttoertrag der vom Dienstleistenden
während eines bestimmten Zeitraums getätigten Geschäfte die
Besteuerungsgrundlage darstellt.
Kosten
- 51.
- Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der französischen
Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem
Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die
Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei
dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist
daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom High Court of Justice, Queen's Bench Division, mit Beschluß vom
13. Mai 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Geschäfte, bei denen die eine Partei einen vereinbarten Betrag in einer
Währung kauft und als Gegenleistung an die andere Partei einen
vereinbarten Betrag in einer anderen Währung verkauft, wobei diese beiden
Geldbeträge am gleichen Wertstellungstag zu zahlen sind, und bei denen
sich beide Parteien (entweder mündlich, elektronisch oder schriftlich) über
die betreffenden Währungen, die zu kaufenden und zu verkaufenden
Beträge sowie darüber, welche Partei welche Währung kauft, und über den
Tag der Wertstellung geeinigt haben, sind Dienstleistungen gegen Entgelt
im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des
Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage.
2. Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie ist dahin
auszulegen ist, daß bei Devisengeschäften, bei denen für bestimmte
spezifische Geschäfte weder Gebühren noch Provisionen berechnet werden,
der Bruttoertrag der vom Dienstleistenden während eines bestimmten
Zeitraums getätigten Geschäfte die Besteuerungsgrundlage darstellt.
GulmannWathelet
Moitinho de Almeida
Jann Sevón
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Juli 1998.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
C. Gulmann