Language of document : ECLI:EU:C:2017:613

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 26. Juli 2017(1)

Rechtssache C557/15

Europäische Kommission

gegen

Republik Malta

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Erhaltung der wildlebenden Vogelarten – Richtlinie 2009/147/EG – Abweichende Regelung für den Fang bestimmter Singvogelarten“






1.        Die Kommission macht in diesem Vertragsverletzungsverfahren geltend, dass Rechtsvorschriften der Republik Malta, mit denen der Fang von sieben wildlebenden Finkenarten(2) erlaubt wird, gegen die Richtlinie 2009/147/EG(3) (im Folgenden: Vogelschutzrichtlinie) verstoßen; die betreffenden nationalen Rechtsvorschriften erfüllten nicht die Bedingungen für die Abweichung nach Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie, nach der der Fang bestimmter Vogelarten in bestimmten Fällen gestattet ist. Einem Ersuchen des Gerichtshofs entsprechend beschränke ich meine Prüfung in diesen Schlussanträgen auf die Auslegung der Bedingung, dass „es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt“, und des Begriffs „vernünftige Nutzung“ in Art. 9 Abs. 1 Buchst. c, die einen neuen Rechtsaspekt aufwirft.

 Die Vogelschutzrichtlinie

2.        Die Erwägungsgründe 3 bis 5, 7 und 12 lauten:

„(3)      Bei vielen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten wildlebenden Vogelarten ist ein Rückgang der Bestände festzustellen, der in bestimmten Fällen sehr rasch vonstattengeht. Dieser Rückgang bildet eine ernsthafte Gefahr für die Erhaltung der natürlichen Umwelt, da durch diese Entwicklung insbesondere das biologische Gleichgewicht bedroht wird.

(4)      Bei den im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten wildlebenden Vogelarten handelt es sich zum großen Teil um Zugvogelarten. Diese Arten stellen ein gemeinsames Erbe dar; daher ist der wirksame Schutz dieser Vogelarten ein typisch grenzübergreifendes Umweltproblem, das gemeinsame Verantwortlichkeiten mit sich bringt.

(5)      Die Erhaltung der im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten wildlebenden Vogelarten ist für die Verwirklichung der [Unions-]ziele auf den Gebieten der Verbesserung der Lebensbedingungen und der nachhaltigen Entwicklung erforderlich.

(7)      Bei der Erhaltung der Vogelarten geht es um den langfristigen Schutz und die Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen als Bestandteil des gemeinsamen Erbes der europäischen Völker. …

(12)      Wegen der Bedeutung, die bestimmte besondere Situationen haben können, sollte die Möglichkeit einer Abweichung von der Richtlinie unter bestimmten Bedingungen in Verbindung mit einer Überwachung durch die Kommission vorgesehen werden.“

3.        Nach Art. 1 betrifft die Richtlinie „die Erhaltung sämtlicher wildlebenden Vogelarten, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf welches der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind. Sie hat den Schutz, die Bewirtschaftung und die Regulierung dieser Arten zum Ziel und regelt die Nutzung dieser Arten.“

4.        Art. 2 sieht vor, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … die erforderlichen Maßnahmen [treffen], um die Bestände aller unter Artikel 1 fallenden Vogelarten auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, wobei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung getragen wird“.

5.        Art. 5 hat folgenden Wortlaut:

„Unbeschadet der Artikel 7 und 9 erlassen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung einer allgemeinen Regelung zum Schutz aller unter Artikel 1 fallenden Vogelarten, insbesondere das Verbot

a)      des absichtlichen Tötens oder Fangens, ungeachtet der angewandten Methode;

e)      des Haltens von Vögeln der Arten, die nicht bejagt oder gefangen werden dürfen.“

6.        Art. 8 untersagt, was die Jagd, den Fang oder die Tötung von Vögeln im Rahmen dieser Richtlinie betrifft, „sämtliche Mittel, Einrichtungen oder Methoden, mit denen Vögel in Mengen oder wahllos gefangen oder getötet werden oder die gebietsweise das Verschwinden einer Vogelart nach sich ziehen können, insbesondere die in Anhang IV Buchstabe a aufgeführten Mittel, Einrichtungen und Methoden“.

7.        Zu den nach Anhang IV Buchst. a vierter Gedankenstrich verbotenen Mitteln, Einrichtungen oder Methoden gehören „Netze, Fangfallen, vergiftete oder betäubende Köder“.

8.        Art. 9 Abs. 1 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können, sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt, aus den nachstehenden Gründen von den Artikeln 5 bis 8 abweichen:

a)      im Interesse der Gesundheit und der öffentlichen Sicherheit,

–      im Interesse der Sicherheit der Luftfahrt,

–      zur Abwendung erheblicher Schäden an Kulturen, Viehbeständen, Wäldern, Fischereigebieten und Gewässern,

–      zum Schutz der Pflanzen- und Tierwelt;

b)      zu Forschungs- und Unterrichtszwecken, zur Aufstockung der Bestände, zur Wiederansiedlung und zur Aufzucht im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen;

c)      um unter streng überwachten Bedingungen selektiv den Fang, die Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung bestimmter Vogelarten in geringen Mengen zu ermöglichen.“

9.        Gemäß Art. 9 Abs. 2 ist in den in Art. 9 Abs. 1 genannten Abweichungen anzugeben,

„a)      für welche Vogelarten die Abweichungen gelten;

b)      die zugelassenen Fang- oder Tötungsmittel, ‑einrichtungen und ‑methoden;

c)      die Art der Risiken und die zeitlichen und örtlichen Umstände, unter denen diese Abweichungen getroffen werden können;

d)      die Stelle, die befugt ist, zu erklären, dass die erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind, und zu beschließen, welche Mittel, Einrichtungen und Methoden in welchem Rahmen von wem angewandt werden können;

e)      welche Kontrollen vorzunehmen sind“.

10.      Nach Art. 9 Abs. 3 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission jährlich einen Bericht über die Anwendung der Abs. 1 und 2 des Art. 9.

11.      Nach Art. 9 Abs. 4 achtet die Kommission anhand der ihr vorliegenden Informationen, insbesondere der Informationen, die ihr nach Art. 9 Abs. 3 mitgeteilt werden, „ständig darauf, dass die Auswirkungen der in Absatz 1 [von Art. 9] genannten Abweichungen mit dieser Richtlinie vereinbar sind“. Die Kommission trifft zu diesem Zweck „entsprechende Maßnahmen“.

 Anwendbares nationales Recht

 Legal Notice 253 von 2014

12.      Die Legal Notice 253 von 2014(4) über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten ist eine allgemeine Rechtsetzungsmaßnahme. Sie enthält die Rahmenbedingungen für eine abweichende Regelung zur Eröffnung einer Herbstsaison für den Lebendfang von Finken.

13.      Regulation 2 (2) dieser Legal Notice definiert eine „Lebendfang-Station“ als „die Standfläche innerhalb eines Areals für den Fang lebender Vögel, die je Lebendfang-Station mit nicht mehr als zwei Paaren von horizontalen Klappnetzen ausgerüstet ist, wobei jedes Netz höchstens 38 m2 groß ist. Eine Lebendfang-Station kann für einen oder mehrere Lizenzinhaber und für jedes in dem genehmigten Stationsplan eingezeichnete Paar an Klappnetzen zugelassen werden.“

14.      Regulation 3 (1) bestimmt, dass „Finken nur mit den als Klappnetzen bekannten traditionellen Netzen gefangen werden dürfen, und zwar zum ausschließlichen Zweck ihrer Haltung in Gefangenschaft[(5)], wie z. B. für Jahrmärkte oder Ausstellungen, zur Zucht und, oder[(6)] als lebende Lockvögel, gemäß den Bestimmungen dieser Regulations“. Weiterhin regelt Regulation 3 bestimmte Anforderungen an die Klappnetze und die Pflicht, gefangene Vögel mit Einmalringen zu „beringen“.

15.      Regulation 4 lautet:

„… die Herbstsaison für den Lebendfang von Finken dauert bis zu dreiundsiebzig (73) Tage vom Oktober bis zum Dezember desjenigen Jahres, für das der Minister durch Bekanntmachung im Amtsblatt die Entscheidung zur Eröffnung einer Herbstsaison für den Lebendfang von Finken verkündet.

Voraussetzung für die Eröffnung einer Herbstsaison für den Lebendfang von Finken ist die Feststellung des Ministers, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der [Vogelschutzrichtlinie] gibt. Er hat dabei sowohl die Erhaltung des Bestands der betreffenden Vogelarten auf einem zufriedenstellenden Stand als auch die im Anhang II festgelegten Obergrenzen zu berücksichtigen.

Voraussetzung ist ferner, dass der Minister bei der Bestimmung der Dauer einer Herbstsaison für den Lebendfang von Finken für jede Finkenart die für die Saison geltende Gesamtfangobergrenze und die individuelle Fangobergrenze für jede Fanglizenz festlegt. Er entscheidet auch darüber, ob die individuelle tägliche Fangobergrenze für die einzelne Fanglizenz für diese besondere Abweichung für den Lebendfang im Herbst festgesetzt werden soll.“

16.      Regulation 5 regelt die Voraussetzungen für eine von der zuständigen Behörde, der Wild Birds Regulation Unit (Abteilung für wildlebende Vögel), als Teilnahmeberechtigung am Fang der sieben Vogelarten auszustellende „Lizenz zum Lebendfang von Finken im Herbst“. Die Inhaberschaft einer Fanglizenz ist von der Erteilung der erforderlichen Genehmigungen für die Lebendfang-Areale und ‑Stationen abhängig.

17.      Regulation 8 regelt die Durchführung der Finkenfangsaison. Sie sieht vor, dass die Polizei vor Ort Kontrollen durchführt und dass für diese Aufgabe mindestens sieben Polizeibeamte je 1 000 Fanglizenzen eingesetzt werden.

18.      Anhang I enthält die Liste der sieben Finkenarten, auf die die Legal Notice 253 von 2014 Anwendung findet(7).

19.      Anhang II bestimmt:

„Bei der Festlegung der Gesamtzahl der Finken, die während einer Herbstsaison für den Lebendfang gefangen werden dürfen, setzt der Minister auf der Grundlage der jüngsten verfügbaren wissenschaftlichen Daten über Ringfunde die Gesamtfangobergrenze auf weniger als 1 % der jährlichen Sterblichkeitsrate des Referenzbestands der einzelnen Vogelarten innerhalb des Unionsgebiets fest.

Voraussetzung ist, dass die maximale Fangobergrenze der Herbstabweichung für den Lebendfang von Finken die folgenden Zahlen nicht überschreitet …“

20.      Unmittelbar daran anschließend werden in einer Tabelle die „Nationalen Fangobergrenzen nach Vogelarten“ wie folgt festgelegt: Bluthänfling 12 000, Stieglitz 800, Grünfink 4 500, Erlenzeisig 2 350, Kernbeißer 500, Buchfink 5 000 und Girlitz 2 350.

21.      Im letzten Absatz des Anhangs II wird darauf hingewiesen, dass diese maximalen Zahlen „vom Minister unter Berücksichtigung des Erhaltungszustands der betreffenden sieben Vogelarten und der Erhaltung der Bestände der Arten auf einem ausreichenden Stand im Wege einer Bekanntmachung im Amtsblatt überarbeitet und aktualisiert werden“.

 Legal Notices 250 von 2014, 330 von 2015 und 322 von 2016

22.      Die Legal Notices 250 von 2014(8), 330 von 2015(9) und 322 von 2016(10) wurden vom maltesischen Minister for Sustainable Development, the Environment and Climate Change (Minister für nachhaltige Entwicklung, Umwelt und Klimawandel) zur Durchführung der Legal Notice 253 von 2014 erlassen; der Erlass der ersten Legal Notice erfolgte an demselben Tag, an dem die dazu ermächtigende Legal Notice erlassen wurde. Mit Regulation 3 der Legal Notice 250 von 2014 wurde als Zeitraum der Herbstsaison für den Lebendfang die Zeit vom 20. Oktober 2014 bis zum 31. Dezember 2014, einschließlich der genannten Tage (73 Tage), festgesetzt.

23.      In Regulation 5 (1) dieser Legal Notice wurde die saisonale Gesamtfangobergrenze für die Herbstsaison für den Lebendfang im Jahre 2014 (das ist „die Gesamtzahl der Vögel, die aufgrund aller erteilten Lizenzen gefangen werden können“) für die einzelnen Arten auf genau dieselbe Zahl festgesetzt wie die maximale nationale Gesamtfangobergrenze, die in der Legal Notice 253 von 2014 festgelegt worden war.

24.      Regulation 5 (2) der Legal Notice 250 von 2014 bestimmt, dass für die Erlaubnis zum Lebendfang im Herbst 2014 „die saisonale Lebendfang-Obergrenze je Lizenz für den Herbst-Lebendfang auf zehn (10) Finken bzw. die geringere Zahl an Finken, die vor Ende der Saison gefangen werden, festgesetzt“ wird.

25.      Die Legal Notices 330 von 2015 und 322 von 2016 wurden zwecks Eröffnung der Herbstsaison für den Lebendfang in den Jahren 2015 und 2016 zur Durchführung der Legal Notice 253 von 2014 erlassen. Ihre Struktur, die nationale Gesamtfangobergrenze und die darin enthaltenen sonstigen Regelungen entsprechen im Wesentlichen denjenigen der Legal Notice 250 von 2014.

 Sachverhalt und Verfahren

26.      Vor dem Beitritt Maltas zur Europäischen Union im Jahr 2004 war es in diesem Mitgliedstaat Tradition, Finken zu fangen, um sie in Gefangenschaft zu halten. Während der Verhandlungen über den Beitritt beanspruchte und erhielt Malta eine bis zum 31. Dezember 2008 befristete abweichende Regelung für den Finkenfang. Seit 2009 ist der Finkenfang in Malta verboten. Dem Gerichtshof liegen keine Informationen darüber vor, ob die Praxis des Finkenfangs in diesem Zeitraum tatsächlich beendet wurde. Unstreitig ist, dass Malta ein begrenztes Zuchtprogramm mit gefangenen Finken begann, dieses Zuchtprogramm aber am Ende des in der Beitrittsakte festgelegten Übergangszeitraums(11) beendete.

27.      Vor den Wahlen im März 2013 veröffentlichten die damalige Oppositionspartei (Partit Laburista, im Folgenden: PL) und die Federation for Hunting and Conservation – Malta (Verband für Jagd und Wildtiererhaltung – Malta) (im Folgenden: FKNK) eine gemeinsame Erklärung mit dem Versprechen, dass sie im Fall der Regierungsübernahme durch die PL u. a. bei der Ermöglichung einer „korrekten abweichenden Regelung“ für den traditionellen Finkenfang in Malta zusammenarbeiten würden. Die PL gewann dann die Wahlen von 2013. Im August 2013 übermittelte die FKNK dem maltesischem Ornis-Ausschuss (Beratungsausschuss des Ministers zu Fragen der Erhaltung der wildlebenden Tiere) einen Vorschlag, mit dem das Fangen von Finken gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie erlaubt werden sollte. Im Anschluss daran nahm Malta Gespräche mit der Kommission auf.

28.      Die Kommission und Malta hielten in der ersten Hälfte des Jahres 2014 mehrere bilaterale Sitzungen ab. Im April 2014 reichte Malta ein Technisches Memorandum mit den Rahmenbedingungen für die beabsichtigte abweichende Regelung ein.

29.      Am 16. Juni 2014 schickte die Kommission an Malta eine EU‑Pilotanfrage, in der sie ihre Haltung zusammenfasste. Die Kommission brachte ihre Ansicht zum Ausdruck, dass die beabsichtigte abweichende Regelung die Bedingungen des Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie nicht erfülle. Trotzdem erließ Malta am 15. Juli 2014 die Legal Notices 250 und 253 von 2014 über die Gestattung des Finkenfangs. Malta beantwortete die EU-Pilotanfrage am 25. August 2014 und machte geltend, dass die Abweichung gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. c gerechtfertigt sei.

30.      Am 17. Oktober 2014 übersandte die Kommission Malta ein Aufforderungsschreiben. Am 14. November 2014 antwortete Malta, dass es bei seiner Haltung bleibe.

31.      Am 15. Mai 2015 übermittelte Malta der Kommission einen Bericht über das Ergebnis der Herbstsaison für den „Lebendfang“ im Jahr 2014. Diese Information bestärkte die Kommission in ihrer Auffassung, dass die maltesische abweichende Regelung mangels Erfüllung der Bedingungen des Art. 9 mit der Vogelschutzrichtlinie unvereinbar sei. Malta verstoße daher gegen die Verbote in den Art. 5 und 8. Am 28. Mai 2015 erließ die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme. Am 28. Juli 2015 antwortete Malta und wiederholte seine in Beantwortung des Aufforderungsschreibens abgegebene Stellungnahme.

32.      Mit der vorliegenden, am 30. Oktober 2015 eingereichten Klage beantragt die Kommission,

–      festzustellen, dass die Republik Malta mit dem Erlass einer abweichenden Regelung, die den Lebendfang von sieben wildlebenden Finkenarten(12) erlaubt, ihre sich aus Art. 5 Buchst. a und e und Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang IV Buchst. a und Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie ergebenden Verpflichtungen verletzt hat;

–      der Republik Malta die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

33.      In der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2017 haben die Kommission und Malta mündliche Ausführungen gemacht.

 Vorbringen der Parteien

34.      Die Kommission stützt ihre Klage auf fünf Gründe, von denen zwei für diese Schlussanträge relevant sind. Erstens habe Malta nicht dargetan, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung gebe, wie dies gemäß den einleitenden Worten des Art. 9 Abs. 1 erforderlich sei. Zweitens habe Malta nicht dargetan, dass die erlaubte Tätigkeit eine „vernünftige Nutzung“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie darstelle.

35.      Malta ist der Ansicht, dass seine abweichende Regelung Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie zur Grundlage habe und dass sie in vollem Umfang mit dieser Bestimmung vereinbar sei.

 Bewertung

 Vorbemerkungen

36.      Auch wenn diese Schlussanträge nicht alle fünf Klagegründe erfassen, so erscheint es mir doch wichtig, auf einige unstreitige Tatsachen hinsichtlich der maltesischen Erlaubnis zum Lebendfang der sieben Finkenarten hinzuweisen.

37.      Erstens wird die saisonale Gesamtfangobergrenze für die einzelnen Finkenarten jeweils zu Beginn der Herbstsaison für den Lebendfang festgesetzt und ist in den Jahren 2014, 2015 und 2016 immer genau auf demselben Niveau festgesetzt worden. Dass es aber von einem Jahr zum anderen keinerlei Veränderungen in der Zahl der sieben Finkenarten, die als Zugvögel über Malta wandern, gegeben haben soll, ist von der Sache her unwahrscheinlich(13). Zweitens beläuft sich die saisonale Gesamtfangobergrenze nach den maltesischen Rechtsvorschriften auf 27 500 Finken(14). Da aber mehr als 4 000 Fanglizenzen zur Verfügung stehen und jede Lizenz den Inhaber zum Fang von 10 Finken berechtigt, beträgt der insgesamt mögliche Fangumfang je Saison – sofern nicht bei Erreichen der saisonalen Fangobergrenze der Fang eingestellt und dies wirksam durchgesetzt wird – eher 40 000 als 27 500 Finken.

38.      Drittens ist jeder Lizenzinhaber berechtigt, eine „Lebendfang-Station“ anzumelden, die „je Lebendfang-Station mit nicht mehr als zwei Paaren von horizontalen Klappnetzen ausgerüstet ist, wobei jedes Netz höchstens 38 m2 groß ist“(15). Die für den Fang eingesetzte Gesamtfläche beträgt somit 152 m2 (16). Die Herbstsaison für den Lebendfang dauert 73 Tage(17). Da je Lizenz der Fang von insgesamt 10 Finken erlaubt ist, würde dies bedeuten, dass eine Gesamtnetzfläche von 152 m2 erlaubt wird, um im Laufe der 73 Tage der Herbstsaison für den Lebendfang im Durchschnitt nur einen Finken pro Woche zu fangen.

39.      Schließlich wird als ausschließlicher Zweck des Finkenfangs in den maltesischem Rechtsvorschriften die Haltung der Vögel in Gefangenschaft genannt; demgegenüber geht ein wesentlicher Teil des maltesischen Vorbringens dahin, dass es keine Notwendigkeit dafür gebe, wildlebende Finken zu fangen, um die genetische Vielfalt der in Gefangenschaft gezüchteten Vögel zu erhalten. Aus wissenschaftlichen Gründen sei es offensichtlich besser, für diesen Zweck zusätzliche in Gefangenschaft gezüchtete Finken einzuführen(18). Malta erklärt damit ausdrücklich, dass es die Abweichung nach Art. 9 Abs. 1 für den spezifischen, begrenzten Zweck, wie er in ihrer Beitrittsakte vorgesehen ist(19), nicht anwenden will.

40.      Die maltesischen Rechtsvorschriften erlauben somit offenkundig den Fang wildlebender Vögel mit Klappnetzen und deren anschließende Haltung in Gefangenschaft. Jedes dieser Elemente ist gemäß Art. 5 Buchst. a und e und Art. 8 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie in Verbindung mit deren Anhang IV untersagt. Ob Malta tatsächlich gegen diese Bestimmungen verstößt, hängt davon ab, ob seine Rechtsvorschriften die strikten Bedingungen für die Abweichung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. c erfüllen.

41.      Diese Bedingungen sind die folgenden: i) Es darf für die Tätigkeit, für die diese Abweichung in Anspruch genommen wird, keine zufriedenstellende Alternativlösung geben, ii) diese Abweichung muss „den Fang, die Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung“ ermöglichen, iii) der Fang muss unter streng überwachten Bedingungen durchgeführt werden, iv) er muss selektiv erfolgen, und v) er darf nur geringe Mengen von Vögeln betreffen.

42.      Ich möchte bereits zu Beginn sagen, dass die soeben dargelegten Umstände meines Erachtens klar erkennen lassen, dass die maltesischen Rechtsvorschriften die Bedingungen des Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie nicht erfüllen.

 Die Vogelschutzrichtlinie – Auslegungsgrundsätze

43.      Wie Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer dargelegt hat, geht die Vogelschutzrichtlinie von einer besorgniserregenden Prämisse aus, nämlich dem Rückgang der Bestände einer Reihe wildlebender Vogelarten, die normalerweise im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten leben(20). Diese Situation bildet „eine ernsthafte Gefahr für die Erhaltung der natürlichen Umwelt, da durch diese Entwicklung insbesondere das biologische Gleichgewicht bedroht wird“(21), und „[d]ie Erhaltung der im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten wildlebenden Vogelarten ist für die Verwirklichung der [Unions-]ziele auf den Gebieten der Verbesserung der Lebensbedingungen und der nachhaltigen Entwicklung erforderlich“(22).

44.      Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 ist „ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“ gemäß Art. 3 Abs. 3 EUV zu einem übergeordneten Ziel der Union geworden. Derselbe Grundsatz ist in Art. 37 der Charta(23) verankert, die ebenfalls seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zum primären Unionsrecht gehört und als Auslegungshilfe für das Sekundärrecht heranzuziehen ist(24).

45.      Nach ständiger Rechtsprechung fällt eine Maßnahme, für die ein Mitgliedstaat eine unionsrechtliche Abweichung in Anspruch nimmt, in den Anwendungsbereich des Unionsrechts im Sinne des Art. 51 der Charta, so dass die Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit den Grundrechten unter Rückgriff auf die allgemeinen unionsrechtlichen Prinzipien sowie auf die Grundrechte und Grundsätze der Charta geprüft werden muss(25).

46.      Ziel der Vogelschutzrichtlinie ist es, die Vögel zu schützen, und nicht etwa, deren Jagd oder Einfangen zu regeln. Man muss sich dieser einfachen Wahrheit bewusst sein, wenn man den Umweltschutz – das Hauptziel der Richtlinie – und die verschiedenen anderen Interessen (insbesondere wirtschaftlicher und freizeitbedingter Natur), auf die in Art. 2 der Richtlinie hingewiesen wird, zum Ausgleich bringen will.

47.      Art. 9 Abs. 1 gibt den Mitgliedstaaten keinen Blankoscheck für nationale Abweichungen. Nach dieser Bestimmung sind Abweichungen nur insoweit erlaubt, als sie wirklich notwendig sind, und nur unter der Voraussetzung, dass die anderen Ziele, die mit der Richtlinie verfolgt werden, nicht gefährdet werden(26). Zudem kann Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie nicht so ausgelegt werden, dass die Ausnahme zur Regel wird. Dadurch würde die grundsätzliche Verpflichtung, die in den Art. 1 und 2 niedergelegt ist, weitgehend ausgehöhlt(27).

48.      Daraus ergibt sich, dass als Ausgangspunkt für die beiden Schlüsselwendungen „sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt“ und „den Fang, die Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung“ eine Auslegung gewählt werden muss, die für den Schutzzweck am günstigsten ist(28).

49.      Die einzelnen Abweichungstatbestände in den Buchst. a, b und c von Art. 9 Abs. 1 können meines Erachtens nicht als Grundlage für eine weitgehende, allgemeine Praxis für Abweichungen vom Schutzgrundsatz dienen. Vielmehr sollen sie den Mitgliedstaaten ermöglichen, bestimmten Erfordernissen und besonderen Situationen Rechnung zu tragen(29), wenn es dem Allgemeininteresse entspricht, dass die generelle Regelung (Schutz wildlebender Vögel) anderen drängenden Anforderungen weichen muss. Der Wortlaut des zwölften Erwägungsgrundes bestätigt diese Auslegung.

50.      Als eine Abweichung von dem in der Vogelschutzrichtlinie aufgestellten allgemeinen Schutzgrundsatz ist Art. 9 eng auszulegen(30), und es ist Sache des Mitgliedstaats, der sich auf diese Bestimmung beruft, nachzuweisen, dass die Bedingungen für ihre Anwendung erfüllt sind(31). Es obliegt daher Malta, die notwendigen Nachweise zu erbringen, die die Inanspruchnahme dieser Abweichung rechtfertigen(32).

51.      Hier ist auch darauf hinzuweisen, dass jeder Mitgliedstaat sicherzustellen hat, dass jeder Eingriff, der die geschützten Arten betrifft, nur auf der Grundlage von Entscheidungen genehmigt wird, die mit einer genauen und angemessenen Begründung versehen sind, in der auf die in Art. 9 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie vorgesehenen Gründe, Bedingungen und Anforderungen Bezug genommen wird(33). Ohne eine solche ins Einzelne gehende Information über alle relevanten Umstände einer abweichenden Regelung wäre die Kommission nicht, wie gemäß Art. 9 Abs. 4 erforderlich, in der Lage, „ständig“ darauf zu achten, dass der Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit dieser Richtlinie handelt.

52.      Wie sich ohne Weiteres aus Art. 9 (mit den detaillierten und sehr restriktiven Bedingungen für die Handhabung der Abweichung) sowie aus dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt, muss die beabsichtigte Abweichung im rechten Verhältnis zu den Bedürfnissen stehen, die sie rechtfertigen(34). Nach ständiger Rechtsprechung muss daher die in Art. 9 vorgesehene Möglichkeit, von den Einschränkungen der Jagd (und auch von anderen Einschränkungen und Verboten nach den Art. 5, 6 und 8 der Vogelschutzrichtlinie) abzuweichen, den in Art. 9 Abs. 2 genannten strengen Formkriterien entsprechen, die die Abweichungen auf das unbedingt Notwendige beschränken und ihre Überwachung durch die Kommission ermöglichen sollen(35).

53.      Vor diesem Hintergrund werde ich nun den ersten und den dritten Klagegrund der Kommission prüfen.

 Erster Klagegrund: „keine andere zufriedenstellende Lösung“

54.      Die Kommission trägt vor, Malta habe nicht nachgewiesen, dass es für das „Problem“ oder die „besondere Situation“, das bzw. die mit den maltesischen Rechtsvorschriften gelöst werden solle, nämlich Finken für die Haltung in Gefangenschaft zu beschaffen, „keine andere zufriedenstellende Lösung“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie gebe als den Fang wildlebender Finken. Insbesondere habe Malta nicht dargetan, dass eine Vogelzucht in Gefangenschaft keine zufriedenstellende Alternativlösung sei.

55.      Malta ist dagegen der Ansicht, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung gebe.

56.      Die Kommission und Malta streiten in diesem Vertragsverletzungsverfahren über den tatsächlichen Zweck, der der maltesischen abweichenden Regelung für den Finkenfang zugrunde liegt. Während die Kommission der Ansicht ist, dass mit dieser Regelung die Haltung von Finken ausschließlich für verschiedene Freizeitzwecke erlaubt werde, macht Malta geltend, es gehe dabei auch um die Tätigkeit des Einfangens von Finken als Selbstzweck.

57.      Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vermeidet es der Gerichtshof, darüber zu entscheiden, wie nationale Vorschriften auszulegen sind(36). Das Wesen eines Vertragsverletzungsverfahrens macht es jedoch erforderlich, dass der Gerichtshof prüft, ob der Mitgliedstaat durch die Einführung oder Aufrechterhaltung bestimmter Rechtsvorschriften gegen seine unionsrechtlichen Verpflichtungen verstößt.

58.      Der Wortlaut der maltesischen Rechtsvorschriften spricht dafür, dass die abweichende Regelung den von der Kommission dargelegten Zweck hat.

59.      Erstens ist nach ständiger Rechtsprechung die Frage, ob ein Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde(37). Maßgebend ist daher das nationale Recht, wie es sich aufgrund der Gesetze und Verordnungen, die in diesem Zeitpunkt in Kraft sind, darstellt.

60.      Zweitens stützt der Gerichtshof in einem Vertragsverletzungsverfahren seine Würdigung in erster Linie auf den Wortlaut des nationalen Rechts(38). Hier ist unstreitig, dass die Legal Notice 253 von 2014, die die Grundlage für die Abweichung bildet, dazu erlassen wurde, den Fang von Finken zu erlauben, und zwar „zum ausschließlichen Zweck ihrer Haltung in Gefangenschaft[(39)], wie z. B. für Jahrmärkte oder Ausstellungen, zur Zucht und/oder als lebende Lockvögel, gemäß den Bestimmungen dieser Regulations“.

61.      Eine im Wesentlichen gleiche Formulierung findet sich in dem amtlichen Technischen Memorandum von 2014, das von der maltesischen Abteilung für die Regelung wildlebender Vögel verfasst wurde. Diese Formulierung entspricht auch im Wesentlichen dem Beginn von Nr. 10 („Umwelt“) Buchst. D („Naturschutz“) in Anhang XI der Beitrittsakte(40). Schließlich fällt auf, dass die FKNK, einer der beiden Befürworter einer Wiedereinführung des Finkenfangs(41), in ihrem Memorandum on Trapping (Memorandum zum Fallenstellen) vom Juli 2012 bestätigte, die Praxis des Finkenfangs erfolge „allein um die Vögel wegen ihres Gesangs, als Lockvogel und zur Zucht in Gefangenschaft zu halten“. Nichts in diesen zitierten Dokumenten deutet also darauf hin, dass die maltesischen Rechtsvorschriften zu dem Zweck eingeführt wurden, das Einfangen als Selbstzweck zu erlauben.

62.      Drittens darf der Gerichtshof nach der Rechtsprechung nur ausnahmsweise über den Wortlaut der nationalen Rechtsvorschriften hinausgehen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn sich aus der Rechtsprechung der nationalen Gerichte ergibt, dass Begriffe des nationalen Rechts in einer bestimmten Weise auszulegen sind(42). Um einen solchen Fall handelt es sich hier jedoch nicht.

63.      Die von Malta zur Frage der Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften vorgebrachten Erläuterungen lassen sich offenbar nicht mit dem Wortlaut der betreffenden Bestimmungen dieser Rechtsvorschriften in Einklang bringen. Es scheint sich dabei im Gegenteil um eine Auslegung contra legem zu handeln.

64.      Bei der Prüfung des ersten Klagegrundes lege ich daher den Wortlaut der maltesischen Rechtsvorschriften zugrunde, wonach mit ihnen der Lebendfang von Finken „zum ausschließlichen Zweck ihrer Haltung in Gefangenschaft, wie z. B. für Jahrmärkte oder Ausstellungen, zur Zucht und/oder als lebende Lockvögel“ erlaubt werden soll. Der Vollständigkeit halber werde ich den ersten Klagegrund dann aber auch kurz unter Zugrundelegung der nun von Malta vorgetragenen Auslegung prüfen.

 Finkenfang ausschließlich zur Haltung der Vögel in Gefangenschaft

65.      Aus den einleitenden Worten des Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie folgt, dass eine Abweichung nach dieser Bestimmung nur erlaubt ist, „wenn es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt“ für die Tätigkeit, die mit der Abweichung erfasst werden soll(43). Mit dieser Formulierung in der Einleitung des Art. 9 Abs. 1 soll die Möglichkeit der Inanspruchnahme der besonderen Abweichungsgründe in den Buchst. a, b und c eingegrenzt werden.

66.      Der Ausdruck „zufriedenstellende Lösung“ ist ein unionsrechtlicher Begriff, der autonom auszulegen ist. Hier pflichte ich Generalanwalt Fennelly bei, dass „das Wort ‚zufriedenstellend‘ so ausgelegt werden [kann], dass damit eine Lösung bezeichnet wird, die das spezielle Problem löst, dem sich die nationalen Behörden gegenübersehen, und die zugleich so weit wie möglich die in der Richtlinie geregelten Verbote beachtet. Eine Abweichung kann nur erlaubt sein, wenn eine andere Lösung, die die Aufhebung dieser Verbote nicht zur Folge hat, nicht möglich ist.“(44)

67.      Der Mitgliedstaat muss ernsthaft prüfen und bewerten, ob es „keine andere zufriedenstellende Lösung“ für die betreffende Tätigkeit gibt. Insoweit teile ich die Auffassung der Kommission, dass der Mitgliedstaat zunächst einmal das Vorhandensein eines bestimmten Zwecks dartun muss, aus dem sich die Notwendigkeit einer Abweichung ergibt. Hierzu verweise ich auf die nützliche Prüfmethodik, die die Kommission in Bezug auf abweichende Regelungen für die Vogeljagd in ihrem (unverbindlichen) Leitfaden zu den Jagdbestimmungen der Richtlinie 79/409/EWG des Rates über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten(45) entwickelt hat – eine Methodik, mit der sich Malta, wie es in seiner Klageerwiderung ausdrücklich vorträgt, einverstanden erklärt.

68.      Meines Erachtens darf ein Mitgliedstaat das Problem, das er lösen will, nicht künstlich so formulieren, dass andere mögliche zufriedenstellende Lösungen ausscheiden. Vielmehr muss er das Fehlen solcher Alternativlösungen durch den Rückgriff auf objektive Daten, die der Kontrolle durch die Kommission und danach der rechtlichen Überprüfung durch den Gerichtshof zugänglich sind, dartun(46). Nur wenn es unter Berücksichtigung aller Umstände des betreffenden Falles und unter Achtung der Ziele der Vogelschutzrichtlinie wirklich keine Alternativlösung gibt, um den legitimen Zweck, den der Mitgliedstaat feststellt, zu erreichen, kann er eine der Abweichungskategorien des Art. 9 Abs. 1 in Anspruch nehmen.

69.      Die Verwendung des Ausdrucks „zufriedenstellend“ bedeutet, dass Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie nicht verlangt, dass die Lösung perfekt oder unbedingt der historischen, traditionellen Lösung der zu regelnden Situation gleichwertig ist. Die neue Lösung kann ein gewisses Maß an Nachteilen oder die Notwendigkeit beinhalten, dass die Betroffenen ihr Verhalten anpassen.

70.      Diese Auffassung wird durch die Rechtsprechung bestätigt.

71.      So hatte der belgische Conseil d’État in der Rechtssache LRBPO und AVES(47) zwei Vorlagefragen gestellt, die auch für das vorliegende Verfahren unmittelbar von Belang sind. Er fragte, ob es die Art. 5, 9 und 18 der Vogelschutzrichtlinie einem Mitgliedstaat gestatten, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das Verbot des Fangens von Vögeln zu Freizeitzwecken zahlreiche Vogelliebhaber zwingen würde, ihre Einrichtungen zu ändern und bestimmte Gewohnheiten aufzugeben, wenn dieser Staat anerkennt, dass die Aufzucht sich als möglich erweist, jedoch noch nicht in großem Umfang durchführbar ist.

72.      Aus den dem Gerichtshof in jener Rechtssache vorliegenden Unterlagen ergab sich, dass Aufzucht und Fortpflanzung der betreffenden Vogelarten in Gefangenschaft nicht nur wissenschaftlich und technisch durchführbar waren, sondern dass sie auch von bestimmten Züchtern erfolgreich betrieben wurden. Unter diesen Umständen hat der Gerichtshof festgestellt hat, dass „nur dann angenommen werden [könnte], dass Aufzucht und Fortpflanzung in der Gefangenschaft keine ,andere zufriedenstellende Lösung‘ darstellen, wenn dargetan wäre, dass sie ohne die Entnahme von Vögeln in der Natur nicht erfolgreich sein können. Deshalb kann der Umstand, dass Aufzucht und Fortpflanzung der betroffenen Arten in der Gefangenschaft wegen der bestehenden Einrichtungen und der eingewurzelten Gewohnheiten der Vogelliebhaber – die übrigens durch eine von der allgemeinen Regelung der Richtlinie abweichende interne Regelung gefördert worden sind – noch nicht in großem Umfang durchführbar sind, für sich allein nicht in Frage stellen, dass es sich bei dieser Alternative zur Entnahme in der Natur um eine zufriedenstellende Lösung handelt.“(48)

73.      Angesichts des Sachverhalts, der dem Gerichtshof vorliegt, ist es offensichtlich, dass das Urteil LRBPO und AVES(49) auf das vorliegende Vertragsverletzungsverfahren übertragen werden kann. Meines Erachtens kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Feststellungen des Gerichtshofs bezüglich der Vogelliebhaber, die Vögel für ihre Volieren beschaffen wollen, in gleicher Weise für die Haltung von sieben Finkenarten „in Gefangenschaft (d. h. als Singvögel), wie z. B. für Jahrmärkte oder Ausstellungen, zur Zucht und/oder als lebende Lockvögel“ gemäß der Legal Notice 253 von 2014 gilt. Ein Programm zur Vogelzucht in Gefangenschaft ist eine Alternativlösung (d. h. eine alternative Art und Weise, um Finken für die Haltung in Gefangenschaft bereitzustellen). Malta kann sich daher nicht auf die Abweichung nach Art. 9 Abs. 1 berufen.

74.      Ich möchte noch kurz auf verschiedene spezifische Argumente eingehen, die Malta zu seiner Verteidigung vorbringt.

75.      Der Einwand Maltas, es habe niemals anerkannt, dass das in Anhang XI der Beitrittsakte beschriebene Programm zur Vogelzucht in Gefangenschaft eine zufriedenstellende Lösung sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach ständiger Rechtsprechung können weder individuelle Stellungnahmen noch eine gemeinsame Erklärung der Mitgliedstaaten bei der Auslegung einer Bestimmung berücksichtigt werden, wenn ihr Inhalt im Wortlaut dieser Bestimmung keinen Niederschlag gefunden hat und ihm somit keine rechtliche Bedeutung zukommt(50). Genau das ist hier der Fall.

76.      Malta macht weiterhin geltend, dass die Vogelzucht in Gefangenschaft keine zufriedenstellende Alternativlösung darstelle, da das Einbringen wildlebender Finken in das Zuchtprogramm zwecks Erhaltung der genetischen Vielfalt durch das Zusammenwirken biogeografischer Faktoren tatsächlich ausgeschlossen werde (es wird also anerkannt, dass für das maltesische Zuchtprogramm keine auch nur begrenzte Zahl von in der Natur gefangenen Finken mehr erforderlich ist). Aus dem Vorbringen von Malta selbst folgt somit, dass die erforderliche genetische Vielfalt des in Gefangenschaft gezüchteten Bestands auch durch Maßnahmen gewährleistet werden kann, die keine Abweichung von der Vogelschutzrichtlinie notwendig machen.

77.      Die von Malta in Bezug genommene Rn. 56 des früheren Urteils Kommission/Malta(51) enthält nichts, was zu einer Änderung meiner Schlussfolgerung führen würde.

 Finkenfang als Selbstzweck

78.      Der Ordnung halber befasse ich mich nun noch kurz mit dem ersten Klagegrund auf der Grundlage des maltesischen Vorbringens, dass Zweck der Abweichung „das Fangen als Selbstzweck“ sei und dass „das Programm der Vogelzucht in Gefangenschaft … keine zufriedenstellende Alternativlösung für das bei dieser Tätigkeit unverzichtbare Element des Einfangens lebender Vögel“ biete. Malta zufolge handelt es sich bei dieser Tätigkeit um eine tief in der Tradition verwurzelte Lebensform der Finkenfänger, deren Leidenschaft nicht durch den Erwerb von in Gefangenschaft gezüchteten Finken befriedigt werden könne.

79.      Wichtig ist erstens die Feststellung, dass nicht vorgetragen wird, es sei notwendig gewesen, die Abweichung von den strikten Schutzbestimmungen der Vogelschutzrichtlinie so zu fassen, dass jeder in Gefangenschaft gehaltene Fink ein in der Natur von einem traditionellen Finkenfänger mit Klappnetzen gefangener Vogel sein müsse. Da es um eine relativ große Zahl von Finken geht, läge es als Alternativlösung nahe, den Bedarf an in Gefangenschaft gehaltenen Finken aus einem Zuchtprogramm bereitzustellen und das Fangen (zur Befriedigung des traditionellen Wunsches, wildlebende Finken zu fangen) auf eine erheblich geringere Zahl von Vögel zu begrenzen. Zweitens geht schon aus der ständigen Rechtsprechung klar hervor, dass die Abweichung in Art. 9 Abs. 1 nicht dafür in Anspruch genommen werden darf, ein erlaubtes Jagen unnötig auszuweiten(52).

80.      Drittens käme, soweit die Tätigkeit des Einfangens als Selbstzweck der Zweck der Rechtsvorschriften sein soll, als eine weitere Alternativlösung ein (viel) begrenzteres Fangprogramm mit wissenschaftlicher Beringung und Freisetzung der lebenden Vögel in Betracht. Malta gesteht zu, dass diese Lösung den Aspekt des Fangens in der doppelten Zielsetzung der Rechtsvorschriften berücksichtigen würde, verwirft sie aber, weil „Fangen, Beringen und Freisetzen“ zusammen nicht den Aspekt der Vogelhaltung berücksichtigen würden(53). Das Element der Vogelhaltung könnte jedoch, wie ich bereits gesagt habe, ohne Weiteres durch ein Zuchtprogramm in Gefangenschaft berücksichtigt werden(54).

81.      Viertens liegen dem Gerichtshof keinerlei Unterlagen vor, aus denen sich ergibt, dass „Fangen, Beringen und Freisetzen“ keine zufriedenstellende Alternativlösung wären. Es erscheint objektiv plausibel, dass „Fangen, Beringen und Freisetzen“ einer sehr viel begrenzteren Zahl von Vögeln für rein wissenschaftliche Zwecke den Fallenstellern die Möglichkeit geben würden, sich an der Ausübung ihrer Fähigkeiten zum Vogelfang zu erfreuen, während zugleich die negativen Auswirkungen auf den Vogelschutz erheblich vermindert würden. Dass dabei für die Fallensteller der finanzielle Anreiz, insbesondere aus dem Weiterverkauf der gefangenen Vögel, entfiele, ist unbeachtlich. In seinen Schriftsätzen hat Malta ausgeführt, dass bereits jetzt jeder gefangene Vogel beringt werden müsse. Vor diesem Hintergrund erscheint es also durchaus möglich, den Fallenstellern die notwendigen Fähigkeiten für die wissenschaftliche Beringung beizubringen. Zu betonen ist allerdings, dass die traditionellen Klappnetze bei einem solchen Verfahren wohl keine Verwendung finden könnten(55).

82.      Eine weitere Alternativlösung wäre vielleicht der begrenzte Lebendfang (mit anderen Methoden) von Vogelarten, die in Anhang II der Vogelschutzrichtlinie aufgeführt sind, d. h. von Vögeln, die unter den in Art. 7 der Richtlinie genannten Voraussetzungen gejagt werden dürfen. Hierzu belasse ich es bei dem Hinweis, dass für die Frage, ob es eine andere Lösung gibt, objektive Kriterien maßgebend sind(56), dass dem Gerichtshof keine Nachweise dafür vorliegen, dass ein erlaubter Fang unter streng überwachten Bedingungen keine Alternativlösung darstellt(57) und dass sich dem Urteil Kommission/Finnlandmeines Erachtens nichts zugunsten des Standpunkts von Malta, Finken müssten lebend gefangen werden, entnehmen lässt(58).

83.      Es gibt schließlich auch keine Rechtfertigung für die Annahme, eine Alternativlösung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie könne nur eine Lösung sein, die nicht von der jetzigen Gemeinde der Lebendfänger abgelehnt werde. Das Gegenteil ist richtig: Die ständige Rechtsprechung besagt eindeutig, dass „eingewurzelte Gewohnheiten“ als solche die Inanspruchnahme einer Abweichung nach Art. 9 Abs. 1 nicht rechtfertigen können(59).

84.      Ich komme zu dem Ergebnis, dass Malta nicht dargetan hat, dass es keine andere Lösung gibt, und dass die Kommission mit ihrem ersten Klagegrund durchdringt.

 Dritter Klagegrund: „vernünftige Nutzung“

85.      Die Kommission trägt vor, die maltesische abweichende Regelung erfülle nicht den Begriff „vernünftige Nutzung“ im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie.

86.      Der in der englischen Sprachfassung an dieser Stelle verwendete Ausdruck „judicious“ wird im Oxford Dictionary(60) definiert als „having, showing or done with good judgement or sense, careful and sensible“ (mit gutem Urteil oder Sinn, sorgfältig und vernünftig). Das Langenscheidt Wörterbuch(61) gibt für den in der deutschen Sprachfassung der Vogelschutzrichtlinie verwendeten Begriff „vernünftig“ eine ähnliche Definition. In vielen Sprachfassungen hat das dem Begriff „Nutzung“ in dem Ausdruck Begriff „vernünftige Nutzung“ entsprechende Wort die Konnotation von Ausnutzung(62). Die Kommission bemerkt jedoch in dem Leitfaden zu den Jagdbestimmungen der Vogelschutzrichtlinie zu Recht, dass „[j]ede Konnotation von Ausnutzung bei dem Begriff ,use‘ [Nutzung] … durch die Konnotation von Verantwortung, Beschränkung und Vernunft, die in dem Begriff ,vernünftig‘ zum Ausdruck kommt, ausgeglichen werden [muss]“(63).

87.      Sodann ist klar, dass zwar in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b konkrete (man könnte sagen: offensichtliche) Situationen angesprochen werden, in denen eine Abweichung von dem sonst strikten Verbot des Tötens oder Fangs wildlebender Vögel angemessen ist, dass aber Art. 9 Abs. 1 Buchst. c, der „den Fang, die Haltung oder jede andere Nutzung“ erlaubt, zweifellos weniger normativ formuliert ist. Man könnte versucht sein, die Bedeutung dieser Formulierung auszudehnen, und darin eine willkommene Öffnungsklausel sehen. Es gibt aber keinen stichhaltigen Grund, Buchst. c in einer anderen Weise als die Buchst. a oder b zu verstehen, so dass man dieser Versuchung nicht erliegen darf. Es kann nicht die Absicht des Unionsgesetzgebers gewesen sein, jede bestehende Praxis einfach unter „den Fang, die Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung“ fassen zu lassen, da sonst der gesamte Zweck der Vogelschutzrichtlinie untergraben würde.

88.      Gelegentlich steht eine abweichende Regelung „ihrer Natur und Tragweite nach … nicht mit den Schutzzielen der Richtlinie im Einklang“(64). Nicht alles, was ein Mitgliedstaat erlauben möchte, kann somit ohne Weiteres unter den Begriff „Fang,... Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung“ und damit unter die Abweichung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. c gefasst werden.

89.      Auf verschiedene Aspekte der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung der Abweichung nach Art. 9 Abs. 1 habe ich bereits hingewiesen. Hierzu ist noch Folgendes auszuführen.

90.      Erstens hat der Gerichtshof bereits 1987 festgestellt, dass „der Fang und die Veräußerung von Vögeln … im Hinblick auf ihre Haltung zur Benutzung als lebende Lockvögel oder zu Liebhaberzwecken auf traditionellen Messen und Märkten eine durch Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c gestattete vernünftige Nutzung sein kann“(65) (wobei er allerdings nicht erklärt hat, warum dem so sein soll). In späteren Rechtssachen hat der Gerichtshof in ähnlicher Weise ohne weitere Prüfung entweder stillschweigend(66) oder ausdrücklich anerkannt, dass „die als Freizeitbeschäftigung ausgeübte Jagd auf wildlebende Vögel während der in Artikel 7 Absatz 4 der Richtlinie genannten Zeiten“(67)oder der Fang, um den Vogelliebhabern zu ermöglichen, sich Vögel für ihre Volieren zu beschaffen und bei Züchtung von Vögeln für Freizeitzwecke die Nachteile der Inzucht zu vermeiden(68), auch eine vernünftige Nutzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. c darstellen kann.

91.      Zweitens dürfen nach ständiger Rechtsprechung die zuständigen Behörden nur den Fang der Anzahl von Vögeln gestatten, die „objektiv notwendig“ ist, um den verfolgten Zweck sicherzustellen, wobei auf jeden Fall die in Art. 9 Abs. 1 Buchst. c genannte Höchstgrenze der „geringen Mengen“ zu beachten ist(69).

92.      Drittens hat der Gerichtshof in zwei Rechtssachen, die Vogelarten nach Anhang II betrafen, entschieden, dass Abweichungen gemäß Art. 9 der Richtlinie nur gewährt werden dürfen, wenn gewährleistet ist, dass die Bestände der betroffenen Arten auf ausreichendem Niveau gehalten werden. Andernfalls kann die Entnahme von Vögeln jedenfalls nicht als vernünftig und somit als eine zulässige Nutzung im Sinne des elften Erwägungsgrundes der Vogelschutzrichtlinie angesehen werden(70). Diese Rechtsprechung ist im vorliegenden Fall, in dem es sich nicht um Vögel nach Anhang II handelt, erst recht relevant.

93.      Viertens hat der Gerichtshof schon 1987 hervorgehoben, dass die „wesentlichen Aspekte“ des Art. 9 nicht erfüllt sind, wenn„nicht gewährleistet ist, dass der Fang bestimmter Vogelarten auf ein striktes Minimum begrenzt wird … und dass die Fangmittel, einrichtungen oder methoden nicht massiv und nicht selektiv oder geeignet sind, örtlich das Verschwinden einer Vogelart herbeizuführen“(71).

94.      Alle angeführten Urteile bezogen sich auf die Zeit vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, in dem ein „hohes Maß“ an Umweltschutz hervorgehoben wird – ein Grundsatz, der auch in Art. 37 der Charta zum Ausdruck kommt und der nun Teil des Primärrechts ist. Dies aber ist der (neue) Hintergrund, vor dem das vorliegende Verfahren zu entscheiden ist.

95.      Bei Übertragung dieser Rechtsprechung auf die maltesischen Rechtsvorschriften komme ich zu dem Ergebnis, dass diese Vorschriften die Bedingungen für eine „vernünftige Nutzung“ offenkundig nicht erfüllen.

96.      Mit dem Vorbringen, eine saisonale Fangobergrenze von 27 500 Finken stelle eine „vernünftige Nutzung“ dar, vermischt Malta zwei Zwecke miteinander. Soweit der Zweck, wie es in den Rechtsvorschriften ausdrücklich heißt, darin besteht, Finken „ausschließlich“ für die Haltung „in Gefangenschaft [d. h. als Singvögel], wie z. B. auf Jahrmärkten und Ausstellungen, für die Zucht und/oder als lebende Lockvögel“ zu beschaffen, kann dieser Nutzung – wie ich bei der Prüfung des ersten Klagegrundes erläutert habe – mittels eines Zuchtprogramms in Gefangenschaft Rechnung getragen werden, was eine andere zufriedenstellende Lösung ist.

97.      Unstreitig liegt die geschätzte Gesamtzahl der bereits gegenwärtig in Gefangenschaft lebenden Finken zwischen 20 000 und 40 000. In Anbetracht der natürlichen Sterblichkeit der Vögel in Gefangenschaft wird es notwendig sein, kontinuierlich eine gewisse Zahl von Vögeln zu beschaffen, um diesen Bestand zu halten, sei es durch Einfangen oder durch ein ausreichend großes Zuchtprogramm in Gefangenschaft. Es bedarf keines großen Scharfsinns, um zu erkennen, dass das Problem der Aufrechterhaltung der gewünschten Zahl von Vögeln in Gefangenschaft im Lauf der Zeit dringlicher werden wird.

98.      Nichts davon kann es aber für sich allein rechtfertigen, den Finkenfang wieder zu erlauben, wenn die Durchführung eines groß angelegten Zuchtprogramms in Gefangenschaft zufriedenstellend den Zweck erfüllen würde, die Tradition aufrechtzuerhalten, die durch die maltesischen Rechtsvorschriften offenbar gewährleistet werden soll, nämlich die Haltung von Finken für verschiedene Freizeitaktivitäten. Obwohl dies offenkundig ist, hat Malta das nationale Zuchtprogramm in Gefangenschaft, das in Übereinstimmung mit der Beitrittsakte eingerichtet worden war, zu einem Fehlschlag erklärt und 2009 eingestellt.

99.      Es erscheint auch in sich nicht plausibel, dass es notwendig sein soll, den vorhandenen „Bestand“ jährlich um 27 500 Finken zu „ergänzen“, um Vögel zu ersetzen, die während des Jahres sterben, und die zusätzliche Nachfrage nach gefangenen Finken für Freizeitzwecke zu befriedigen. Dies gilt unabhängig davon, ob die zusätzlichen Finken durch ein Zuchtprogramm in der Gefangenschaft oder durch Einfangen bereitgestellt werden. Ich will mich nicht zu der Frage äußern, was mit den gefangenen Finken geschieht, die tatsächlich nicht für die behaupteten ausschließlichen Zwecke erforderlich sind, für die die Rechtsvorschriften das Fallenstellen erlauben.

100. Soweit sowohl Fang als auch Haltung als Zweck anzusehen sind, mache ich darauf aufmerksam, dass dem Gerichtshof keinerlei Unterlagen vorliegen, die erklären würden, warum es „vernünftige Nutzung“ – also objektiv notwendig – sein sollte, den Fang der in der saisonalen Gesamtobergrenze angegebenen Zahl (27 500 Finken) zu erlauben, wenn in den Rechtsvorschriften als ausschließliche nachfolgende Nutzung der gefangenen Finken eine Nutzung angegeben wird, von der sehr zweifelhaft ist, dass für sie tatsächlich so viele Finken jährlich benötigt werden, und für die es zudem eine andere zufriedenstellende Lösung gibt. Als derjenige Mitgliedstaat, der die Abweichung nach Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie in Anspruch nimmt, obliegt es Malta, zu begründen, dass es sich darauf stützen kann. Dies muss vor dem Hintergrund des jetzt geltenden Grundsatzes geschehen, dass ein hohes Maß an Umweltschutz gewährleistet sein muss. Meines Erachtens ist Malta dieser Beweispflicht nicht nachgekommen.

101. Es gibt eine weitere Frage, die nicht unerwähnt bleiben sollte.

102. Wenn der Zweck darin besteht, Vögel lebend zu fangen, so wird man wahrscheinlich irgendeine Art von Netz dafür verwenden müssen. Es ist zwar zutreffend, dass Art. 9 eine Abweichung von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie und damit von dem sonst absoluten Verbot der Verwendung von Netzen in Buchst. a von Anhang IV(72) enthält. In den maltesischen Rechtsvorschriften wird jedoch tatsächlich eine Fangmethode erlaubt, bei der Klappnetze verwendet werden. Diese Netze habe ich zu Beginn dieser Schlussanträge beschrieben(73). Auf den ersten Blick kann man erkennen, dass es sich bei der Verwendung dieser Netze um eine Fangmethode handelt, bei der Vögel sowohl in Mengen als auch wahllos gefangen werden. Da Finken meist in Schwärmen fliegen, liegt es nahe, dass eine große Zahl von Finken auf einmal im Netz gefangen wird(74). Selbst wenn die „überschüssigen“ Vögel sofort freigelassen werden, wie Malta vorträgt, lässt sich damit meines Erachtens noch nicht die Feststellung rechtfertigen, dass mit dieser Fangmethode damit nicht mehr „in Mengen“ oder „wahllos“ gefangen wird. Es ist auch wahrscheinlich, dass zumindest einige Vögel durch den erlittenen Stress nicht überleben(75). Unter diesen Umständen habe ich erhebliche Zweifel, dass Malta dartun kann, dass der Bestand der sieben Finkenarten auf einem zufriedenstellenden Stand erhalten werden kann, wie dies nach der Rechtsprechung erforderlich ist. Es mag sogar die Gefahr bestehen – ich sehe davon ab, deren mögliches Ausmaß näher zu prüfen –, dass solche Netze, die von 4 000 Lizenzinhabern während einer Fangsaison von 73 Tagen verwendet werden, möglicherweise „gebietsweise das Verschwinden einer Vogelart nach sich ziehen können“.

103. Es wird in den dem Gerichtshof von Malta vorgelegten Unterlagen kein Versuch unternommen, auch nur einen dieser Punkte anzusprechen; es wird lediglich betont, dass die Verwendung von Klappnetzen der „Tradition“ entspreche. Aber das geht am Kern der Sache vorbei. Wenn es so ist, dass die Verwendung von Klappnetzen zu diesem Ergebnis führt – und Malta müsste nachweisen, dass dies nicht der Fall ist – dann sind „die wesentlichen Aspekte“ des Art. 9 (vgl. Urteil Kommission/Italien(76)) nicht erfüllt. Auch aus rein sprachlicher Sicht kann ich kaum erkennen, wie man die Verwendung einer Methode, bei der Vögel in Mengen und wahllos gefangen werden, unter den Begriff „vernünftige Nutzung“ fassen kann.

 Schlussbemerkungen

104. Zum Abschluss möchte ich zwei Punkte hervorheben, die sich aus der Prüfung der Schriftsätze in dieser Rechtssache ergeben und die für gewisse andere Gesichtspunkte des Art. 9 Abs. 1 Buchst. c von Bedeutung sind, und danach eine abschließende Überlegung anstellen.

105. Erstens bestehen erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Methode, die Malta angewandt hat, um den Referenzbestand für die Berechnung der Bedingung „geringe Mengen“ zu ermitteln. Statt auf ein systematisches Überwachungssystem stützt Malta seine Berechnungen auf eine einzige Studie aus dem Jahr 2007(77), die sich auf eine sehr kleine Probe (112) von Ringfunden bezieht. Es wurden also sehr begrenzte Ringfunde in Malta von den sieben Vogelarten aus anderen Mitgliedstaaten verwendet, um als Referenzbestand für die saisonale Gesamtfangobergrenze(78) den gesamten Brutbestand für jede der Vogelarten in diesen Mitgliedstaaten (der in manchen Fällen eine Million beträgt) zu berechnen, ohne jeglichen weiteren Nachweis, inwieweit diese Bestände tatsächlich über Malta wandern. Dies ist kaum als ein solider wissenschaftlicher Ansatz für die Ermittlung der Auswirkungen anzusehen, die die Gestattung des Lebendfangs in Malta auf diese Bestände als Ganzes oder auf Teilbestände der über Malta wandernden Zugvögel haben oder nicht haben können; auch ist dieser Ansatz nur schwerlich mit dem Vorsorgeprinzip vereinbar(79).

106. Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass es den Mitgliedstaaten nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. c gestattet ist, den Fang, die Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung „bestimmter Vogelarten“ in „geringen Mengen“ und „unter streng überwachten Bedingungen“ zu ermöglichen. Die Prüfung der Frage, ob diese wesentlichen ergänzenden Bedingungen, die sich auf die Frage der Verhältnismäßigkeit der abweichenden Regelung beziehen, erfüllt sind, geht über den Bereich dieser Schlussanträge hinaus. Es sei nur gesagt, dass ich erhebliche Zweifel habe, ob die streitigen Rechtsvorschriften (insbesondere angesichts ihrer oben in Nr. 38 beschriebenen Merkmale) diesen zusätzlichen Anforderungen entsprechen und verhältnismäßig sind. Wie ich bereits ausgeführt habe, greifen der erste und der dritte Klagegrund der Kommission durch. Sofern der Gerichtshof dieser Bewertung folgt, bedarf es keiner weiteren detaillierten tatsächlichen Analyse der Verhältnismäßigkeit der streitigen Rechtsvorschriften.

107. Schließlich war in diesem Verfahren viel davon die Rede, dass es sich beim Finkenfang um eine Tradition handele und dass es notwendig sei, Traditionen zu respektieren. Vielleicht hilft es, zum Abschluss hypothetisch zu veranschaulichen, wie sich kulturelle Vielfalt und unionsrechtliche Erfordernisse miteinander vereinbaren lassen, statt in Konflikt miteinander zu geraten.

108. Angenommen, es gäbe in einem Kandidatenstaat für den Beitritt zur Europäischen Union eine tief verwurzelte Tradition, dass jedes junge Mädchen am Sonntag vor ihrem 18. Geburtstag beim Kirchgang eine Halskette mit Federn eines bestimmten Vogels trägt. Sechs Vögel würden benötigt, um genügend Federn für eine solche Halskette zu liefern. Vor dem Beitritt zur Union hätte keine Rechtsvorschrift diesen Brauch verboten. Nach dem Beitritt wären die Vögel grundsätzlich gemäß der Vogelschutzrichtlinie geschützt. Könnte der neue Mitgliedstaat eine abweichende Regelung aufgrund des Art. 9 Abs. 1 erlassen, indem er diesen Brauch als „vernünftige Nutzung“ klassifiziert, um den Status quo festzuschreiben?

109. Erstens ist klar, dass es allgemein gesehen eine andere zufriedenstellende Lösung gibt. Die traditionelle Federhalskette kann von einem jungen Mädchen an ein anderes Mädchen weitergegeben werden, statt dass sie für jedes 18 Jahre alte Mädchen neu angefertigt wird. Zweitens würden Halsketten aus Federn, die in dieser Weise weitergegeben werden, sich wahrscheinlich mit der Zeit abnutzen und unansehnlich werden, so dass sie gelegentlich ersetzt werden müssten. Es wäre möglich, von Zeit zu Zeit eine Abweichung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. c in Anspruch zu nehmen, um eine geringe Menge von Vögeln zu fangen, um neue Federhalsketten als Ersatz anzufertigen.

110. Meine Auffassung, dass der erste und der dritte Klagegrund der Kommission begründet sind, bedeutet nicht, dass ich mich für eine Lösung ausspreche, die sich rücksichtslos über Traditionen oder kulturelle Vielfalt innerhalb der Union hinwegsetzt. Soweit Malteser singende Finken halten möchten, kann man diesem Wunsch durch ein Zuchtprogramm in Gefangenschaft als Alternativlösung Rechnung tragen. Soweit maltesische Fallensteller ihre Fähigkeiten als Jäger von Vögeln ausüben und unter Beweis stellen möchten, kann man den Fang geringer Mengen von einzelnen Vögeln erlauben, und zwar mit Fangmethoden ohne Klappnetze, die bewährten ornithologischen Verfahren entsprechen und bei denen die damit gefangenen Vögel beringt und dann wieder freigelassen werden. Sofern sich Traditionen weiterentwickeln, gibt es keine unüberwindbaren Konflikte. Es ist jedoch meine volle Überzeugung, dass Malta mit den gegenwärtigen Rechtsvorschriften gegen seine unionsrechtlichen Verpflichtungen verstößt.

 Ergebnis

111. Nach alledem bin ich der Auffassung, dass die Kommission mit dem ersten und dem dritten Klagegrund Erfolg hat. Demgemäß schlage ich dem Gerichtshof unabhängig vom Ergebnis hinsichtlich des ersten, des vierten und des fünften Klagegrundes vor,

1.      festzustellen, dass die Republik Malta dadurch, dass sie zum Zweck des Lebendfangs von sieben Finkenarten eine abweichende Regelung erlassen hat, die die Bedingungen des Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten nicht erfüllt, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Buchst. a und e und Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang IV Buchst. a dieser Richtlinie verstoßen hat;

2.      der Republik Malta die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Es handelt sich um folgende Finkenarten: Buchfink (Fringilla coelebs), Bluthänfling (Carduelis cannabina), Stieglitz (Carduelis carduelis), Grünfink (Carduelis chloris), Kernbeißer (Coccothraustes coccothraustes), Girlitz (Serinus serinus) und Erlenzeisig (Carduelis spinus), im Folgenden zusammen: die sieben Finkenarten.


3      Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 2010, L 20, S. 7). Diese Richtlinie kodifiziert die Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 1979, L 103, S. 1) in geänderter Fassung, die in Kraft war, als die Bedingungen für den Beitritt der Republik Malta zur Europäischen Union und die befristete abweichende Regelung in Anhang XI der Beitrittsakte ausgearbeitet wurden (siehe unten, Nr. 26).


4      Legal Notice 253 of 15 July 2014 on the Conservation of Wild Birds (Framework for Allowing a Derogation Opening an Autumn Live-Capturing Season for Finches) Regulations (Legal Notice 253 vom 15. Juli 2014 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten [Rahmenregelung für eine Abweichung zur Eröffnung einer Herbstsaison für den Lebendfang von Finken]) in geänderter Fassung.


5      Die englische Sprachfassung dieser Vorschrift spricht vom „Zweck der Haltung [der Vögel] in Gefangenschaft“; die maltesische Sprachfassung spricht dagegen vom „Zweck der Vogelzucht“. Nach Art. 74 der maltesischen Verfassung „sind die Gesetze, sofern vom Parlament nicht anders entschieden, sowohl in maltesischer als auch in englischer Sprache zu erlassen; im Fall eines Widerspruchs zwischen dem maltesischem und dem englischen Wortlaut gilt der maltesische Text“.


6      Sic: Dieselbe Wortfolge findet sich sowohl in der maltesischen als auch in der englischen Fassung. Wahrscheinlich meinte der Verfasser entweder „und für“ („and for“ statt „and, or“) oder „und/oder“. Dieser Punkt ist nicht von materieller Bedeutung. Nachfolgend werde ich der Einfachheit halber „und/oder“ verwenden.


7      Diese Liste entspricht den sieben Vogelarten, die in Fn. 2 aufgeführt sind.


8      Legal Notice 250 of 15 July 2014: Conservation of Wild Birds (Declaration on a Derogation for a 2014 Autumn live-capturing season for Finches) Regulations (Legal Notice 250 vom 15. Juli 2014: Erhaltung der wildlebenden Vogelarten [Bekanntmachung über eine Abweichung für eine Herbstsaison 2014 für den Lebendfang von Finken]). Unerklärlich bleibt, wie eine Legal Notice mit der Nummer „250“ „zur Durchführung“ einer Legal Notice mit der Nummer „253“ vom selben Tag erlassen werden konnte.


9      Legal Notice 330 of 16 October 2015: Conservation of Wild Birds (Declaration on a Derogation for a 2015 Autumn live-capturing season for Finches) Regulations (Legal Notice 330 vom 16. Oktober 2015: Erhaltung der wildlebenden Vogelarten [Bekanntmachung über eine Abweichung für eine Herbstsaison 2015 für den Lebendfang von Finken]).


10      Legal Notice 322 of 7 October 2016: Conservation of Wild Birds (Declaration on a Derogation for an Autumn 2016 live-capturing Season for Finches) Regulations (Legal Notice 322 vom 7. Oktober 2016: Erhaltung der wildlebenden Vogelarten [Bekanntmachung über eine Abweichung für eine Herbstsaison 2016 für den Lebendfang von Finken]).


11      Ziff. 10 („Umwelt“) Buchst. D („Naturschutz“) des Anhangs XI der Akte über den Beitritt von Malta zur Europäischen Union (ABl. 2003, L 236, S. 33) bestimmt, dass „abweichend“ von Art. 5 Buchst. a und e, von Art. 8 Abs. 1 und von Anhang IV Buchst. a der Richtlinie 79/409/EWG (der Vorgängerin der Vogelschutzrichtlinie) der Fang der sieben Finkenarten auf den maltesischen Inseln „zum ausschließlichen Zwecke ihrer Haltung in Gefangenschaft“ für einen Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2008 gestattet ist. Diese Bestimmung enthält eine detaillierte Regelung für die allmähliche Einstellung dieser Aktivität und deren Ersatz durch die Einführung eines Programms zur Vogelzucht in Gefangenschaft. Nach dem Auslaufen der Übergangsfrist war nur noch der Fang einer begrenzten Anzahl von wildlebenden Vögeln „zur Gewährleistung einer ausreichenden genetischen Vielfalt“ erlaubt. Es wurde „erwartet, dass sich die Anzahl der gefangenen Vögel während der Übergangsfrist wesentlich verringert“.


12      Angeführt in Fn. 2.


13      So hat die Kommission z. B. darauf hingewiesen, dass die saisonale Fangobergrenze für Stieglitze 2014 (800) erheblich über der Gesamtzahl dieser Finkenart gelegen habe, die während der Herbstsaison für den Lebendfang 2014 über Malta gewandert sei.


14      Vgl. Regulation 5 (1) der Legal Notice 250 von 2014 und die entsprechenden Bestimmungen der nachfolgenden Legal Notices für 2015 und 2016.


15      Vgl. Regulation 2 (2) der Legal Notice 253 von 2014.


16      Das errechnet sich wie folgt: 38 m2 (Fläche eines Netzes) x 2 (die Netze arbeiten paarweise) x 2 (es gibt zwei Paar Netze je Lebendfang-Station).


17      Vgl. Regulation 3 der Legal Notice 250 von 2014 und die entsprechenden Bestimmungen der nachfolgenden Legal Notices für 2015 und 2016.


18      Malta trägt vor, dass sich für die Gewährleistung der genetischen Vielfalt innerhalb des in Gefangenschaft gehaltenen Finkenbestands die Verwendung eingeführter, in Gefangenschaft gezüchteter Vögel als einfacher und effektiver erwiesen habe und dass für das Programm zur Vogelzucht in Gefangenschaft daher ein auch nur begrenzter Finkenfang in der Natur nicht mehr notwendig sei. Malta führt für diese Bewertung verschiedene wissenschaftliche Berichte an, insbesondere einen Bericht eines Unterausschusses des maltesischen Ornis Committee aus dem Jahr 2010. Die Kommission folgt insoweit der Auffassung Maltas.


19      Siehe oben, Nr. 26 und Fn. 9.


20      Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Ligue pour la protection des oiseaux u. a. (C‑182/02, EU:C:2003:248, Nr. 5).


21      Dritter Erwägungsgrund der Vogelschutzrichtlinie.


22      Fünfter Erwägungsgrund.


23      Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2012 C 326, S. 2; im Folgenden: Charta). Dieser Artikel enthält die Verpflichtung, „[e]in hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität“ sicherzustellen und in die Politiken der Union einzubeziehen.


24      Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen in der Rechtssache Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (C‑461/13, EU:C:2014:2324, Nr. 6).


25      Vgl. Urteile vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 21), und vom 21. Dezember 2016, Tele2 Sverige und Watson u. a. (C‑203/15 und C‑698/15, EU:C:2016:970, Rn. 74).


26      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2009, Kommission/Malta (C‑76/08, EU:C:2009:535, Rn. 58).


27      Vgl. entsprechend Urteil vom 21. Dezember 2016, Tele2 Sverige und Watson u. a. (C‑203/15 und C‑698/15, EU:C:2016:970, Rn. 89).


28      Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Ligue pour la protection des oiseaux u. a. (C‑182/02, EU:C:2003:248, Nr. 26).


29      Vgl. Urteile vom 8. Juli 1987, Kommission/Belgien (247/85, EU:C:1987:339, Rn. 7), und vom 7. März 1996, Associazione Italiana per il WWF u. a. (C‑118/94, EU:C:1996:86, Rn. 21).


30      Vgl. Urteil vom 17. Februar 2011, The Number (UK) und Conduit Enterprises (C‑16/10, EU:C:2011:92, Rn. 31).


31      Vgl. Urteil vom 10. September 2009, Kommission/Malta (C‑76/08, EU:C:2009:535, Rn. 48).


32      Vgl. Urteil vom 16. September 1999, Kommission/Spanien (C‑414/97, EU:C:1999:417, Rn. 22).


33      Vgl. Urteil vom 8. Juni 2006, WWF Italia u. a. (C‑60/05, EU:C:2006:378, Rn. 34).


34      Vgl. Urteil vom 10. September 2009, Kommission/Malta (C‑76/08, EU:C:2009:535, Rn. 57).


35      Vgl. Urteil vom 7. März 1996, Associazione Italiana per il WWF u. a. (C‑118/94, EU:C:1996:86, Rn. 21).


36      Vgl. hierzu Urteil vom 23. April 2009, Angelidaki u. a. (C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 48).


37      Vgl. z. B. Urteil vom 26. April 2005, Kommission/Irland (C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 29).


38      Vgl. Urteil vom 13. Dezember 2007, Kommission/Irland (C‑418/04, EU:C:2007:780, Rn. 269 f.).


39      In der maltesischen Sprachfassung „Vogelzucht“, siehe oben, Fn. 5.


40      Während die englische Sprachfassung der Legal Notice 253 und das Technische Memorandum insoweit die Formulierung von Ziff. 10 („Umwelt“) Buchst. G („Umweltschutz“) Wort für Wort wiedergeben, enthält die maltesische Sprachfassung der Legal Notice 253 eine etwas andere Wortwahl (siehe Fn. 5). Dieser geringfügige Unterschied hat jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, keine Auswirkungen auf meine Schlussfolgerungen.


41      Siehe oben, Nr. 27; der andere Befürworter war die PL, die danach im Jahr 2013 die Wahl gewann und die Regierung bildete.


42      Nach dieser Rechtsprechung ist die Bedeutung der nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften unter Berücksichtigung ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte zu beurteilen (vgl. insbesondere Urteil vom 9. Dezember 2003, Kommission/Italien, C‑129/00, EU:C:2003:656, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Können unterschiedliche gerichtliche Auslegungen einer nationalen Regelung berücksichtigt werden, von denen die einen zu einer mit dem Unionsrecht vereinbaren, die anderen zu einer damit unvereinbaren Anwendung dieser Regelung führen, so ist festzustellen, dass diese Regelung zumindest nicht hinreichend klar ist, um eine mit dem Unionsrecht vereinbare Anwendung zu gewährleisten (vgl. Rn. 33).


43      Vgl. hierzu Urteile vom 16. Oktober 2003, Ligue pour la protection des oiseaux u. a. (C‑182/02, EU:C:2003:558, Rn. 15), und vom 9. Juni 2005, Kommission/Spanien (C‑135/04, EU:C:2005:374, Rn. 18).


44      Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Fennelly in der Rechtssache LRBPO und AVES (C‑10/96, EU:C:1996:430, Nr. 33) (Hervorhebung nur hier).


45      Vgl. Kapitel 3, S. 43 ff. Nach dieser Methodik muss ein konkretes Problem, für das eine Lösung gesucht wird, als Vorbedingung für eine Abweichung festgestellt werden. Sie enthält folgende Stufen: i) Ermittlung und Definition des konkreten Problems, für das eine Lösung gesucht wird, ii) Ermittlung möglicher Alternativlösungen für das in Rede stehende Problem, iii) Prüfung der Anwendbarkeit von Art. 9 der Richtlinie auf derartige Lösungen und iv) Prüfung, ob mögliche Alternativlösungen als „zufriedenstellende Lösung“ in Frage kommen. Der Leitfaden zu den Jagdbestimmungen der Vogelschutzrichtlinie ist verfügbar im Internet unter: http://ec.europa.eu/environment/nature/conservation/wildbirds/hunting/docs/hunting_guide_de.pdf.


46      Siehe oben, Nrn. 49 bis 52.


47      Urteil vom 12. Dezember 1996 (C‑10/96, EU:C:1996:504).


48      Rn. 20 und 21 (Hervorhebung nur hier).


49      Urteil vom 12. Dezember 1996 (C‑10/96, EU:C:1996:504).


50      Vgl. hierzu Urteile vom 26. Februar 1991, Antonissen (C‑292/89, EU:C:1991:80, Rn. 18), vom 13. Februar 1996, Bautiaa und Société française maritime (C‑197/94 und C‑252/94, EU:C:1996:47, Rn. 51), und vom 3. Dezember 1998, KappAhl (C‑233/97, EU:C:1998:585, Rn. 23).


51      Urteil vom 10. September 2009 (C‑76/08, EU:C:2009:535). In diesem Fall bot die von der Kommission ermittelte Alternativlösung so begrenzte Möglichkeiten, die gewünschte Tätigkeit (Jagd) auszuüben, dass nach Auffassung des Gerichtshofs „das von der Richtlinie angestrebte Gleichgewicht von Artenschutz und bestimmten Freizeitaktivitäten gestört wird“. Im vorliegenden Fall ist jedoch klar, dass die Vogelhaltung erfolgreich weiter betrieben werden kann, wenn in ausreichendem Maße ein Programm zur Vogelzucht in Gefangenschaft durchgeführt wird.


52      Vgl. Urteile vom 16. Oktober 2003, Ligue pour la protection des oiseaux u. a. (C‑182/02, EU:C:2003:558, Rn. 16), vom 9. Juni 2005, Kommission/Spanien (C‑135/04, EU:C:2005:374, Rn. 19), und vom 10. September 2009, Kommission/Malta (C‑76/08, EU:C:2009:535, Rn. 50).


53      Vgl. Technical Memorandum, Abschnitt B, S. 3. Maltas Vertreter wiederholte diesen Standpunkt in der mündlichen Verhandlung.


54      Siehe oben, Nr. 73.


55      Siehe oben, Nr. 38; siehe auch unten, Nr. 102 und Fn. 72.


56      Siehe oben, Nrn. 66 bis 69.


57      Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass dem Gerichtshof keine Unterlagen darüber vorliegen, aus denen sich ergibt, dass irgendeine dieser Vogelarten tatsächlich in Malta in ausreichender Zahl für eine nach der Vogelschutzrichtlinie gestattete jagdrechtliche Abweichung vorkommt.


58      Vgl. Urteil vom 15. Dezember 2005 (C‑344/03, EU:C:2005:770, Rn. 44). In dieser Rechtssache hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Jagd auf in Anhang II aufgeführte Vögel als Ersatz für die Jagd auf andere dort genannte Vögel Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie zumindest zum Teil inhaltlich auszuhöhlen droht. Dieser Fall betraf eindeutig eine besondere Sachlage und ist hier nicht einschlägig.


59      Urteil vom 12. Dezember 1996, LRBPO und AVES (C‑10/96, EU:C:1996:504, Rn. 21). Allgemein kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf den Widerstand der örtlichen Bevölkerung berufen, um die Nichtbeachtung unionsrechtlicher Verpflichtungen zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. März 2010, Kommission/Italien, C‑297/08, EU:C:2010:115, Rn. 81 bis 85).


60      Verfügbar unter: https://en.oxforddictionaries.com/.


61      Verfügbar unter: https://de.langenscheidt.com/.


62      Vgl. die folgenden Sprachfassungen: SK: využívanie, PL: wykorzystywania, NL: gebruik, FR: exploitation, DE: Nutzung, ES: explotación; DE: Nutzung; CZ: využívání; RO: utilizări.


63      Vgl. Kapitel 3.5.25.


64      Vgl. Urteil vom 12. Juli 2007, Kommission/Österreich (C‑507/04, EU:C:2007:427, Rn. 187).


65      Vgl. Urteil vom 8. Juli 1987, Kommission/Italien (262/85 EU:C:1987:340, Rn. 38).


66      Vgl. Urteil vom 7. März 1996, Associazione Italiana per il WWF u. a. (C‑118/94, EU:C:1996:86), in dem der Gerichtshof offenbar ohne weitere Prüfung stillschweigend die Auffassung vertreten hat, dass ein Mitgliedstaat die Abweichung in Art. 9 in Anspruch nehmen kann, um den Fang von Vögeln nach Anhang II und von dort nicht aufgeführten Vögeln zu erlauben, wenn die Abweichung in seinen nationalen Rechtsvorschriftenhinreichend detailliert definiert ist. Tatsächlich hat der Gerichtshof ausgeführt, dass „Artikel 9 … den Mitgliedstaaten die Abweichung von dem … allgemeinen Verbot der Bejagung geschützter Arten nur durch Maßnahmen gestattet, die eine hinreichend ausführliche Bezugnahme auf die in Artikel 9 Absätze 1 und 2 vorgesehenen Angaben enthalten“ (Hervorhebung nur hier).


67      Vgl. Urteil vom 16. Oktober 2003, Ligue pour la protection des oiseaux u. a. (C‑182/02, EU:C:2003:558, Rn. 10). In diesem Urteil stützte der Gerichtshof diesen Schluss mit den Worten „nach alledem“ auf eine Kombination aus dem Urteil Kommission/Belgien (vom 8. Juli 1987, 247/85, EU:C:1987:339, der parallelen Rechtssache zum Urteil vom 8. Juli 1987, Kommission/Italien, 262/85, EU:C:1987:340; die Ausführungen in diesen beiden Urteilen sind nicht identisch, aber die Argumentation ist weitgehend gleich) sowie dem Urteil Associazione Italiana per il WWF u. a. (vom 7. März 1996, C‑118/94, EU:C:1996:86) und dem Urteil Kommission/Italien (vom 8. Juli 1987, 262/85, EU:C:1987:340). Ich gestehe, dass es mir nicht ganz leichtfällt, diese Aussage des Urteils nachzuvollziehen.


68      Urteil vom 12. Dezember 1996, LRBPO und AVES (C‑10/96, EU:C:1996:504, Rn. 22).


69      Urteil vom 12. Dezember 1996, LRBPO und AVES (C‑10/96, EU:C:1996:504, Rn. 26).


70      Vgl. Urteile vom 8. Juni 2006, WWF Italia u. a. (C‑60/05, EU:C:2006:378, Rn. 32), und vom 10. September 2009, Kommission/Malta (C‑76/08, EU:C:2009:535, Rn. 59).


71      Urteil vom 8. Juli 1987, Kommission/Italien (262/85, EU:C:1987:340, Rn. 39).


72      Anhang IV führt Mittel, Einrichtungen und Methoden auf, „mit denen Vögel in Mengen oder wahllos gefangen oder getötet werden oder die gebietsweise das Verschwinden einer Vogelart nach sich ziehen können“.


73      Siehe oben, Nr. 38.


74      Vgl. hierzu die wissenschaftliche Arbeit von Raine, A. F., The international impact of hunting and trapping in the Maltese islands, Mai 2007, S. 22.


75      Die wissenschaftliche Forschung hat nachgewiesen, dass Fang und Gefangenschaft bei Vögeln eine Form von chronischem Stress auslösen können und dass Vögel den Wirkungen dieser Stressfaktoren auch dann ausgesetzt bleiben, wenn sie schnell wieder in ihren natürlichen Lebensraum entlassen werden, vgl. hierzu Dickens, M., Delehanty, D., und Romero, L., „Stress and translocation: alterations in the stress physiology of translocated birds“, Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 276, 2009, S. 2051 bis 2056; verfügbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2677253/.


76      Urteil vom 8. Juli 1987, Kommission/Italien (262/85, EU:C:1987:340, Rn. 39).


77      Vgl. Raine, A. F., The international impact of hunting and trapping in the Maltese islands, Mai 2007.


78      Anhang II der Legal Notice 253 von 2014 verpflichtete den Minister, „die Gesamtfangobergrenze auf weniger als 1 % der jährlichen Sterblichkeitsrate des Referenzbestands der einzelnen Vogelarten innerhalb des Unionsgebiets auf der Grundlage der jüngsten verfügbaren wissenschaftlichen Daten über Ringfunde [festzusetzen]“ (Hervorhebung nur hier; siehe oben, Nr. 19).


79      Gemäß Art. 191 Abs. 2 AEUV zielt die Umweltpolitik der Union auf ein hohes Schutzniveau und beruht auf dem Grundsatz der Vorsorge.