Language of document : ECLI:EU:F:2010:165

URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
DER EUROPÄISCHEN UNION (Erste Kammer)

14. Dezember 2010(*)

„Öffentlicher Dienst – Beamte – Soziale Sicherheit – Übernahme der Kosten der von einem ‚Heilpraktiker‘ vorgenommenen Heilbehandlung – Diskriminierungsverbot“

In der Rechtssache F‑80/09

betreffend eine Klage nach den Art. 236 EG und 152 EA,

Erika Lenz, ehemalige Beamtin der Europäischen Kommission, wohnhaft in Osnabrück (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte V. Lenz und J. Römer, dann Rechtsanwälte V. Lenz, J. Römer und P. Birden,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch J. Currall und B. Eggers, als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
(Erste Kammer),

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Gervasoni, des Richters H. Kreppel (Berichterstatter) und der Richterin M. I. Rofes i Pujol,

Kanzler: J. Tomac, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. September 2010

folgendes

Urteil

1        Mit Klageschrift, die am 26. September 2009 per Telefax bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist (Eingang der Urschrift am 30. September 2009), beantragt Frau Lenz die Aufhebung der Entscheidung, mit der das Gemeinsame Krankheitsfürsorgesystem der Organe der Europäischen Union (im Folgenden: Gemeinsames Krankheitsfürsorgesystem) es abgelehnt hat, ihr die Kosten zu erstatten, die aufgrund der Heilbehandlung entstanden sind, die ein in Deutschland niedergelassener Heilpraktiker vorgenommen hat, der nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügt.

 Rechtlicher Rahmen

2        Art. 72 Abs. 1 des Statuts der Beamten der Europäischen Union (im Folgenden: Statut) bestimmt:

„In Krankheitsfällen wird dem Beamten, seinem Ehegatten – sofern dieser nicht nach anderen Rechts- und Verwaltungsvorschriften Leistungen derselben Art und in derselben Höhe erhalten kann –, seinen Kindern und den sonstigen unterhaltsberechtigten Personen im Sinne von Anhang VII Artikel 2 [des Statuts] nach einer von den Organen der [Union] im gegenseitigen Einvernehmen nach Stellungnahme des Statutsbeirats beschlossenen Regelung Ersatz der Aufwendungen bis zu 80 v. H. gewährleistet. Dieser Satz wird für die folgenden Leistungen auf 85 % angehoben: Beratungen und Besuche, chirurgische Eingriffe, Krankenhausbehandlung, Arzneimittel, Röntgenuntersuchungen, Analysen, Laboruntersuchungen und ärztlich verordnete prothetische Apparate mit Ausnahme von Zahnprothesen. Im Falle von Tuberkulose, Kinderlähmung, Krebs, Geisteskrankheiten und anderen von der Anstellungsbehörde als vergleichbar schwer anerkannten Krankheiten sowie für Untersuchungen zur Früherkennung und im Falle der Entbindung erhöht er sich auf 100 v. H. Der Erstattungssatz von 100 v. H. gilt jedoch nicht, wenn im Fall von Berufskrankheiten und Unfällen Artikel 73 [des Statuts] zur Anwendung gekommen ist.

Im Rahmen der in Unterabsatz 1 genannten Regelung können die Organe nach dem Verfahren des Artikels 110 einem von ihnen die Zuständigkeit dafür übertragen, die Vorschriften für die Kostenerstattung festzulegen.

…“

3        Zur Festlegung der Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 72 des Statuts haben die Organe eine gemeinsame Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge für die Beamten der Europäischen Union (im Folgenden: Gemeinsame Regelung) erlassen.

4        Nach Art. 1 der Gemeinsamen Regelung in seiner auf den Sachverhalt des vorliegenden Falles anwendbaren Fassung „gewährleistet [das Gemeinsame Krankheitsfürsorgesystem] den Krankheitsfürsorge-Berechtigten im Rahmen der Grenzen und Bedingungen, die in [der Gemeinsamen Regelung] und in den auf der Grundlage des Artikels 52 dieser Regelung erlassenen allgemeinen Durchführungsbestimmungen festgelegt wurden, die Erstattung der ihnen durch Krankheit, Unfall oder Mutterschaft entstandenen Kosten sowie die Zahlung eines Bestattungskostenzuschusses“.

5        Nach Art. 52 der Gemeinsamen Regelung übertragen die Organe der Europäischen Kommission gemäß Art. 72 Abs. 1 Unterabs. 3 des Statuts die Befugnis, durch allgemeine Durchführungsbestimmungen nach Stellungnahme des Verwaltungsausschusses und nach Anhörung des Statutsbeirats die Vorschriften für die Kostenerstattungen festzulegen, mit dem Ziel, das finanzielle Gleichgewicht des Krankheitsfürsorgesystems zu erhalten und dem in Art. 72 Abs. 1 Unterabs. 1 des Statuts verankerten Grundsatz der sozialen Sicherung zu entsprechen.

6        Die in Art. 52 der Gemeinsamen Regelung vorgesehenen allgemeinen Durchführungsbestimmungen für die Erstattung der Krankheitskosten (im Folgenden: ADB) wurden von der Kommission mit Beschluss vom 2. Juli 2007 erlassen.

7        Titel II („Vorschriften über die Kostenerstattung“) Kapitel 1 („Ärztliche Konsultationen und Besuche“) der ADB besteht aus drei Teilen, die die Überschriften „Allgemeines und Begriffsbestimmungen“, „Erstattungsmodalitäten“ und „Nicht erstattungsfähige Leistungen“ tragen.

8        Der zweite Teil („Erstattungsmodalitäten“) der in der vorstehenden Randnummer erwähnten Teile enthält eine Ziff. 2.1, in der Folgendes bestimmt ist:

„Die Kosten für ärztliche Konsultationen/Besuche eines praktischen Arztes werden zu 85 % bis höchstens 35 [Euro] und bei schwerer Krankheit zu 100 % erstattet.

Die Kosten für fachärztliche Konsultationen/Besuche eines Facharztes werden zu 85 % bis höchstens 50 [Euro] und bei schwerer Krankheit zu 100 % erstattet.

Die Honorare für Notfallbesuche, Nachtbesuche sowie Besuche an Wochenenden und gesetzlichen oder landestypischen Feiertagen werden zu 85 % und bei schwerer Krankheit zu 100 % erstattet.

Die von einem homöopathischen Arzt beim ersten Besuch durchgeführte und getrennt berechnete Anamnese wird zu 85 % bis höchstens 35 [Euro] erstattet.

Die per Telefon, Post oder E-Mail durchgeführten Konsultationen und Stellungnahmen des behandelnden Arztes werden zu 85 % bis höchstens 10 [Euro] erstattet.“

9        Der zweite Teil der in Randnr. 7 des vorliegenden Urteils erwähnten Teile enthält auch eine Ziff. 2.2, in der u. a. bestimmt ist, dass „[d]ie Konsultation einer medizinischen Kapazität …, sofern vom Vertrauensarzt für notwendig befunden, zu 85 % mit dem Dreifachen des für die Konsultation eines Facharztes vorgesehenen Höchstbetrags und zu 100 % bei schwerer Krankheit erstattet [wird].“

10      Titel II Kapitel 4 („Arzneimittel“) der ADB besteht aus sechs Teilen, in dessen zweitem Teil („Erstattungsbedingungen“) es heißt:

„…

Darf kraft der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auch eine andere Person als ein Arzt (beispielsweise Zahnarzt, Hebamme, Krankenschwester, Heilpraktiker etc.) Arzneimittel verschreiben, so sind diese gemäß den Bedingungen des gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystems in den Ländern, in denen dies offiziell anerkannt und rechtlich zulässig ist, ebenfalls erstattungsfähig.

…“

11      In Titel II Kapitel 1 dritter Teil der ADB ist Folgendes vorgesehen:

„Nicht erstattungsfähig sind:

–        die Kosten für Konsultationen auf einer Internetseite

–        die Honorare für vom Anspruchsberechtigten nicht eingehaltene Termine

–        die getrennt berechneten Versandkosten für ärztliche Gutachten

–        die nicht zu Therapiezwecken beziehungsweise aus verwaltungstechnischen Gründen durchgeführten Konsultationen, Untersuchungen und fachlichen Leistungen, beispielsweise:

–        Rechtsgutachten,

–        Untersuchung im Rahmen einer Versicherung,

–        berufliche Eignungsprüfung,

–        Eignungsprüfung zur Erlangung eines Pilotenscheins,

–        im Rahmen der Arbeitsmedizin durchgeführte Untersuchungen (Einstellungsuntersuchung und ärztliche Jahresuntersuchung).“

 Sachverhalt

12      Mit Schreiben vom 8. April 2009 beantragte die Klägerin, die Beamtin der Europäischen Kommission im Ruhestand ist, die Erstattung der Kosten von Heilbehandlungen, die ihr am 4. September 2008, 29. Dezember 2008 und 26. Februar 2009 in Deutschland von einem Heilpraktiker erbracht wurden, der nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügt. Der Gesamtbetrag der Leistungen betrug 297 Euro.

13      Dieser Antrag wurde vom Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem mit Entscheidung vom 4. Mai 2009 (im Folgenden: streitige Entscheidung) abgelehnt.

14      Mit Schreiben vom 2. Juni 2009 legte die Klägerin gegen die streitige Entscheidung Beschwerde ein.

15      Der nach Art. 35 Abs. 2 der Gemeinsamen Regelung angerufene Verwaltungsausschuss des Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem gab eine Stellungnahme ab, wonach die Beschwerde zurückzuweisen sei.

16      Mit Entscheidung vom 7. Juli 2009 wies die Anstellungsbehörde die Beschwerde zurück.

 Anträge der Parteien und Verfahren

17      Die vorliegende Klage wurde am 26. September 2009 erhoben.

18      Die Klägerin beantragt,

–        die streitige Entscheidung aufzuheben;

–        die Kommission zu verurteilen, ihr 85 % der Kosten zu erstatten, die durch die am 4. September 2008, 29. Dezember 2008 und 26. Februar 2009 von einem Heilpraktiker erbrachten Leistungen entstanden sind, hier also einen Betrag in Höhe von 253 Euro;

–        festzustellen, dass die Kommission verpflichtet ist, ihr die nach dem 1. April 2009 entstandenen Kosten für Heilpraktikerleistungen zu erstatten;

–        der Kommission die Kosten des Rechtsstreits sowie die der Klägerin entstandenen vorgerichtlichen und gerichtlichen Rechtsanwaltskosten aufzuerlegen.

19      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

20      Die Klägerin hat in ihren Schriftsätzen außerdem beantragt, eine Person als Zeugen zu vernehmen, der gegenüber das Gemeinsame Krankheitsfürsorgesystem Heilpraktikerhonorare als erstattungsfähig anerkannt habe.

 Rechtliche Würdigung

 Zum Antrag auf Feststellung der Verpflichtung der Kommission, der Klägerin die nach dem 1. April 2009 entstandenen Kosten für Heilpraktikerleistungen zu erstatten

21      Es ist darauf hinzuweisen, dass es dem Unionsrichter im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 91 des Statuts nicht zusteht, der Verwaltung Anordnungen zu erteilen (Urteil des Gerichts erster Instanz vom 2. März 2004, Di Marzio/Kommission, T‑14/03, Slg. ÖD 2004, I‑A‑43 und II‑167, Randnr. 63). Daraus folgt, dass dieser Antrag als unzulässig zurückzuweisen ist.

 Zum Antrag auf Aufhebung der streitigen Entscheidung und zum Antrag auf Verurteilung der Kommission, der Klägerin 85 % der Kosten zu erstatten, die durch die am 4. September 2008, 29. Dezember 2008 und 26. Februar 2009 von einem Heilpraktiker erbrachten Leistungen entstanden sind, hier also einen Betrag in Höhe von 253 Euro

 Vorbringen der Parteien

22      Die Klägerin macht gegen die streitige Entscheidung im Wesentlichen drei Klagegründe geltend.

23      Erstens sei die Weigerung des Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem, die Kosten der Heilbehandlung zu übernehmen, deren Erstattung sie beantragt hat, unzureichend begründet, da sich die streitige Entscheidung darauf beschränke, dies damit zu rechtfertigen, dass die von einem Heilpraktiker erbrachten Leistungen unter den „Code 900“ fielen.

24      Zweitens gehe aus den ADB keineswegs hervor, dass die Leistungen, die ein Heilpraktiker erbringe, der nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfüge, nicht erstattungsfähig seien, zumal das Gemeinsame Krankheitsfürsorgesystem auch die Kosten für Leistungen übernehme, die von Nicht-Medizinern erbracht würden, wie die von einem Optiker durchgeführten Untersuchungen. Darüber hinaus erkenne das Gemeinsame Krankheitsfürsorgesystem die von einem Heilpraktiker verschriebenen Arzneimittel als erstattungsfähig an. Konsultationen und Besuche bei einem Heilpraktiker seien nicht unter den „nicht erstattungsfähigen Leistungen“ aufgeführt, die in Titel II Kapitel 1 („Ärztliche Konsultationen und Besuche“) dritter Teil der ADB aufgelistet seien. Die Klägerin betont schließlich, dass das Gemeinsame Krankheitsfürsorgesystem seit dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union die ADB zu Unrecht im Licht des österreichischen Rechts auslege, das die Erstattung der von einem Heilpraktiker erbrachten Leistungen nur unter der Voraussetzung erlaube, dass dieser auch Arzt sei.

25      Drittens, sollte das Gericht der Ansicht sein, die Kommission habe die ADB zutreffend angewandt, seien diese jedenfalls rechtswidrig, da sie in zweifacher Hinsicht zu einer Diskriminierung führten, von der die in Deutschland ansässigen EU‑Beamten und ehemaligen EU‑Beamten betroffen seien. Diese würden nämlich zum einen gegenüber den in Österreich ansässigen EU‑Beamten und ehemaligen EU‑Beamten diskriminiert, da sie sich im Gegensatz zu den Letztgenannten die Kosten der von Heilpraktikern erbrachten Behandlungsleistungen nicht erstatten lassen könnten. Zum anderen würden sie gegenüber den Beamten und ehemaligen Beamten des deutschen öffentlichen Dienstes diskriminiert, da diesen die Möglichkeit offenstehe, sich vom Beihilfesystem der Beamten und von privaten Krankenkassen – die beide mit dem Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem vergleichbar seien – die Kosten der von einem Heilpraktiker erbrachten Leistungen erstatten zu lassen.

26      Die Kommission hält dem entgegen, dass alle Klagegründe zurückzuweisen seien, da die ADB keineswegs die Erstattung der Kosten vorsähen, die durch Behandlungsleistungen entstanden seien, die ein Heilpraktiker erbracht habe, der nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfüge.

27      Im Übrigen weist die Kommission zur angeblichen Diskriminierung der in Deutschland ansässigen EU‑Beamten und ehemaligen EU‑Beamten gegenüber den in Österreich ansässigen Beamten und ehemaligen Beamten darauf hin, dass diese Rüge in der Beschwerde nicht enthalten gewesen sei; jedenfalls befänden sich die beiden von der Klägerin erwähnten Kategorien nicht in vergleichbaren Situationen, da in Österreich von einem Heilpraktiker eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verlangt werde, was in Deutschland nicht der Fall sei.

28      Was die angebliche Diskriminierung angehe, von der in Deutschland ansässige EU‑Beamte und ehemalige EU‑Beamte gegenüber den Beamten und ehemaligen Beamten des deutschen öffentlichen Dienstes betroffen seien, da diesen angeblich von privaten Krankenversicherungen die Kosten der Leistungen erstattet werden könnten, die ein Heilpraktiker erbringe, betont die Kommission, dass es sich beim Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem um eine gesetzliche Krankenversicherung handele, die im Hinblick auf die geringen Beiträge nicht mit einer privaten Krankenversicherung vergleichbar sei.

 Würdigung durch das Gericht

–       Zum ersten Klagegrund: Begründungsmangel

29      Aus Art. 25 Abs. 2 des Statuts geht hervor, dass jede beschwerende Verfügung aufgrund des Statuts mit Gründen versehen sein muss. Nach ständiger Rechtsprechung soll die Verpflichtung, eine beschwerende Entscheidung mit Gründen zu versehen, zum einen dem Betroffenen die notwendigen Hinweise für die Feststellung geben, ob die Entscheidung begründet ist, und zum anderen deren richterliche Kontrolle ermöglichen (Urteile des Gerichts erster Instanz vom 23. Januar 2003, Angioli/Kommission, T‑53/00, Slg. ÖD 2003, I‑A‑13 und II‑73, Randnr. 67, und vom 27. März 2003, Martínez Páramo u. a./Kommission, T‑33/00, Slg. ÖD 2003, I‑A‑105 und II‑541, Randnr. 43). Im vorliegenden Fall geht aus den Akten hervor, dass sich zwar das Gemeinsame Krankheitsfürsorgesystem in der streitigen Entscheidung darauf beschränkt hat, die Erstattungsanträge der Klägerin ohne Begründung abzulehnen, doch hat die Anstellungsbehörde in der Antwort auf die Beschwerde die dieser Entscheidung zugrunde liegenden rechtlichen und tatsächlichen Gründe erläutert, wobei sie insbesondere darauf hingewiesen hat, dass, wie sich aus Titel II Kapitel 1 Ziff. 2.1 der ADB ergebe, ausschließlich die von einem Arzt in dieser Eigenschaft erbrachten Leistungen erstattungsfähig seien. Nach ständiger Rechtsprechung erfüllt aber die Verwaltung ihre Verpflichtung zur Begründung einer Entscheidung, mit der eine Erstattung verweigert wird, dadurch, dass sie die Entscheidung begründet, mit der die Beschwerde zurückgewiesen wird, da die Begründung der letztgenannten Entscheidung auch für die Entscheidung maßgebend ist, gegen die die Beschwerde gerichtet war (vgl. Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 9. Dezember 2009, Kommission/Birkhoff, T‑377/08 P, Slg. ÖD 2009, I‑B‑1‑133 und II‑B‑1‑807, Randnrn. 55 und 56).

30      Unter diesen Umständen ist der Klagegrund, mit dem eine Verletzung der Begründungspflicht durch die Kommission gerügt wird, zurückzuweisen.

–       Zum zweiten Klagegrund: falsche Auslegung der ADB

31      Es ist darauf hinzuweisen, dass die ADB einen Titel II mit der Überschrift „Vorschriften über die Kostenerstattung“ enthalten. Dieser Titel ist in dreizehn Kapitel unterteilt, wovon die ersten zwölf die verschiedenen Kategorien erstattungsfähiger Krankheitskosten regeln und das dreizehnte die Bestattungskosten, für die ein pauschaler Zuschuss vorgesehen ist.

32      Während die ADB ausdrücklich – in Titel II Kapitel 1 zweiter Teil – die Übernahme der an einen Arzt gezahlten Honorare für ärztliche Konsultationen oder Besuche vorsehen, geht aus keiner Bestimmung der ADB hervor, dass die Kosten für Leistungen, die ein Heilpraktiker erbracht hat, der nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügt, vom Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem zu erstatten sind.

33      Die Klägerin macht jedoch geltend, dass die ADB so zu verstehen seien, dass sie die Übernahme der Kosten für solche Leistungen implizit anerkennten. Dies ergebe sich daraus, dass das Gemeinsame Krankheitsfürsorgesystem die Kosten für Leistungen übernehme, die von Personen erbracht würden, die nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügten.

34      Insoweit trifft es zu, dass die ADB in ihrem Titel II die Erstattung in folgenden Fällen vorsehen: bei Krankenpflegeleistungen, wenn eine vorherige Genehmigung eingeholt wurde und die Leistungen von Personen erbracht werden, die von Rechts wegen zur Ausübung dieses Berufs befugt sind (Kapitel 3 zweiter Teil), bei Kosten für die präventive Mund- und Zahnpflege, für Röntgenuntersuchungen, Zahnbehandlungen und chirurgische Eingriffe, „sofern die Leistungen durch dazu von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden befugte Personen erbracht werden“ (Kapitel 5 erster Teil), bei Honoraren für die Hebamme und bei Kosten für eine Krankenschwester und für sonstiges medizinisches Hilfspersonal, die unmittelbar mit der Entbindung zusammenhängende Leistungen betreffen (Kapitel 7 zweiter Teil Ziff. 2.2 und 2.3), bei Kosten für verschiedene Behandlungen, für die eine ärztliche Verordnung oder sogar eine vorherige Genehmigung erforderlich sind, wie Leistungen der Heilgymnastik, Konsultationen eines Ernährungsspezialisten, psychologische Untersuchungen oder Leistungen der Orthophonie (Kapitel 8 zweiter Teil), bei Kosten für Leistungen durch Krankenschwestern, wenn sie von einem behandelnden Arzt verordnet und von einer zur Ausübung des Berufs befugten Person erbracht worden sind (Kapitel 9) oder schließlich bei Kosten für die Untersuchung durch einen geprüften Optiker bei fehlender Verordnung und/oder Untersuchung durch einen Augenfacharzt (Kapitel 11 erster Teil Ziff. 1.1).

35      Ebenso wird in Titel II Kapitel 4 zweiter Teil der ADB u. a. bestimmt, dass in dem Fall, dass „kraft der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auch eine andere Person als ein Arzt (beispielsweise Zahnarzt, Hebamme, Krankenschwester, Heilpraktiker etc.) Arzneimittel verschreiben [darf], … diese gemäß den Bedingungen des gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystems in den Ländern, in denen dies offiziell anerkannt und rechtlich zulässig ist, ebenfalls erstattungsfähig [sind]“.

36      Gleichwohl kann die Klägerin aus diesen ausdrücklichen Bestimmungen nicht auf einen Anspruch der Beamten und sonstigen Bediensteten auf Erstattung der Kosten der Behandlung durch einen Heilpraktiker, der nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügt, schließen, wenn, wie oben ausgeführt, keine Bestimmung der ADB eine solche Erstattung vorsieht.

37      Die Klägerin weist sodann darauf hin, dass die von einem Heilpraktiker erbrachten Behandlungsleistungen nicht auf der Liste „Nicht erstattungsfähige Leistungen“ in Titel II Kapitel 1 dritter Teil der ADB stünden.

38      Diese Bestimmung, die im Licht des in Titel II Kapitel 1 zweiter Teil der ADB aufgeführten Grundsatzes zu sehen ist, wonach ausschließlich ärztliche Konsultationen und Besuche erstattungsfähig sind, ist jedoch so zu verstehen, dass darin die Liste der Konsultationen und Besuche aufgestellt wird, die, obwohl sie von einem Arzt vorgenommen werden, aufgrund ihres Gegenstands vom Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem nicht erstattet werden können.

39      Daraus folgt, dass entgegen dem Vorbringen der Klägerin das Gemeinsame Krankheitsfürsorgesystem es aufgrund einer zutreffenden Anwendung der ADB, die ihm in diesem Bereich keinen Entscheidungsspielraum gelassen haben, und nicht aufgrund einer Bezugnahme auf das österreichische Recht abgelehnt hat, der Klägerin die Behandlungsleistungen zu erstatten, die ein Heilpraktiker, der nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügt, erbracht hatte.

–       Zum dritten Klagegrund: Rechtswidrigkeit der ADB

40      Die Klägerin macht geltend, dass die ADB, falls sie die Erstattung von Kosten der Leistungen eines Heilpraktikers, der nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfüge, tatsächlich ausschließen sollten, rechtswidrig seien, da sie in zweifacher Hinsicht zu einer Diskriminierung führten, von der die in Deutschland ansässigen EU‑Beamten und ehemaligen EU‑Beamten betroffen seien, und zwar sowohl gegenüber den in Österreich ansässigen EU‑Beamten und ehemaligen EU‑Beamten als auch gegenüber den Beamten und ehemaligen Beamten des deutschen öffentlichen Dienstes.

41      In dieser Hinsicht verbietet nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz der Gleichbehandlung insbesondere, vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleichzubehandeln, es sei denn, eine solche unterschiedliche bzw. gleiche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 28. April 2009, Balieu-Steinmetz und Noworyta/Parlament, F‑115/07, Slg. ÖD 2009, I‑A‑1‑97 und II‑A‑1‑541, Randnr. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Gleiche gilt für das Diskriminierungsverbot, das nur eine Ausprägung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes ist und gemeinsam mit diesem eines der Grundprinzipien des Unionsrechts darstellt, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat (vgl. Urteil des Gerichts vom 23. Januar 2007, Chassagne/Kommission, F‑43/05, Slg. ÖD 2007, I‑A‑1‑27 und II‑A‑1‑139, Randnr. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Was erstens die geltend gemachte Diskriminierung angeht, von der die in Deutschland ansässigen EU‑Beamten und ehemaligen EU‑Beamten gegenüber den in Österreich ansässigen EU‑Beamten und ehemaligen EU‑Beamten betroffen sein sollen, ist unstreitig, dass die in Österreich ausgeübte Tätigkeit eines Heilpraktikers nach dem Recht dieses Staates ausschließlich Personen vorbehalten ist, die über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügen, wohingegen dieselbe Tätigkeit in Deutschland nach deutschem Recht von Personen ausgeübt werden kann, die nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügen. Hieraus ergibt sich, da die ADB nicht die Erstattung von Leistungen vorsehen, die von Personen erbracht werden, die nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügen, dass die in Österreich ansässigen Beamten oder ehemaligen Beamten, die in diesem Staat Behandlungsleistungen von einem Heilpraktiker erhalten haben, vom Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem die Erstattung der Kosten dieser Leistungen erhalten können, da dieser Heilpraktiker zwangsläufig Arzt ist. Dagegen können die in Deutschland ansässigen Beamten oder ehemaligen Beamten, die dort Behandlungsleistungen von einem Heilpraktiker erhalten haben, der nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügt, keine derartige Erstattung erhalten.

43      Gleichwohl kann die Klägerin keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung rügen. Die beiden Personengruppen, von denen sie behauptet, dass sie zu Unrecht unterschiedlich behandelt würden, befinden sich nämlich nicht in vergleichbaren Situationen. Die in Österreich ansässigen Beamten und ehemaligen Beamten haben Anspruch auf Erstattung der Kosten der Leistungen eines Heilpraktikers, weil dieser über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügt. Dagegen haben die in Deutschland ansässigen Beamten und ehemaligen Beamten keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der Leistungen eines Heilpraktikers, wenn dieser nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügt, wie dies vorliegend der Fall ist.

44      Was zweitens die geltend gemachte Diskriminierung angeht, von der die in Deutschland ansässigen EU‑Beamten und ehemaligen EU‑Beamten gegenüber den Beamten und ehemaligen Beamten des deutschen öffentlichen Dienstes betroffen sein sollen, da Letzteren die Möglichkeit offenstehe, sich vom deutschen Beihilfesystem sowie von privaten Krankenkassen die Kosten der Leistungen erstatten zu lassen, die von einem Heilpraktiker, der nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügt, erbracht werden, kann auch dieser Auffassung der Klägerin nicht gefolgt werden. Diese beiden Gruppen gehören nämlich verschiedenen Systemen der sozialen Sicherheit an und befinden sich daher nicht in vergleichbaren Situationen. Da im Übrigen die Festlegung des Anwendungsbereichs des Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem in die alleinige Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers fällt (Urteil des Gerichts erster Instanz vom 16. April 1997, Kuchlenz-Winter/Kommission, T‑66/95, Slg. 1997, II‑637, Randnr. 64), kann der Umstand, dass den Beamten und ehemaligen Beamten des deutschen öffentlichen Dienstes eine solche Erstattungsmöglichkeit offensteht, für sich allein nicht zur Folge haben, dass den EU‑Beamten und ehemaligen EU‑Beamten eine solche Möglichkeit gewährt werden müsste; insbesondere erscheint der Ausschluss der Erstattung von Kosten für Heilbehandlungen, die ein Heilpraktiker, der nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügt, vorgenommen hat, im Hinblick auf den Grundsatz des sozialen Schutzes, der Art. 72 Abs. 1 Unterabs. 1 des Statuts zugrunde liegt, weder grundsätzlich noch in seiner Handhabung offensichtlich unangemessen.

45      Schließlich kann das Gericht dem Antrag der Klägerin nicht stattgeben, eine Person als Zeugen zu vernehmen, der gegenüber das Gemeinsame Krankheitsfürsorgesystem Heilpraktikerhonorare als erstattungsfähig anerkannt habe. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung mit der Beachtung des Gebots rechtmäßigen Handelns in Einklang gebracht werden muss, das besagt, dass sich niemand zu seinen Gunsten darauf berufen kann, das Recht sei zugunsten eines anderen fehlerhaft angewandt worden (Urteil des Gerichts vom 21. Februar 2008, Skoulidi/Kommission, F‑4/07, Slg. ÖD 2008, I‑A‑1‑47 und II‑A‑1‑229, Randnr. 81). Denn ein etwaiges rechtswidriges Handeln gegenüber einer anderen, dem Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem angeschlossenen Person kann nicht dazu führen, dass das Gericht eine Diskriminierung und damit ein rechtswidriges Handeln gegenüber dem Kläger feststellt. Eine solche Vorgehensweise liefe darauf hinaus, den Grundsatz der „Gleichbehandlung im Unrecht“ aufzustellen. Daher kann der Umstand allein, dass eine Person entgegen den in den ADB aufgestellten Vorschriften vom Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem die Kosten der Heilbehandlung durch einen Heilpraktiker, der nicht über eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung verfügt, erstattet bekommen hat, keinen derartigen Anspruch für die Klägerin begründen.

46      Infolgedessen ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen, ohne dass es erforderlich wäre, dessen Zulässigkeit zu prüfen.

47      Da die drei Klagegründe, mit denen die Klägerin die Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung in Zweifel zieht, zurückgewiesen worden sind, besteht weder Anlass, die streitige Entscheidung aufzuheben, noch infolgedessen die Kommission zu verurteilen, der Klägerin die Kosten zu erstatten, die dieser für die am 4. September 2008, 29. Dezember 2008 und 26. Februar 2009 von einem Heilpraktiker erbrachten Leistungen entstanden sind.

48      Nach alledem ist die Klage abzuweisen.

 Kosten

49      Nach Art. 87 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist vorbehaltlich der übrigen Bestimmungen des Achten Kapitels des Zweiten Titels der Verfahrensordnung die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemäß Art. 87 Abs. 2 der Verfahrensordnung kann das Gericht aus Gründen der Billigkeit entscheiden, dass eine unterliegende Partei zur Tragung nur eines Teils der Kosten oder gar nicht zur Tragung der Kosten zu verurteilen ist.

50      Aus den oben ausgeführten Gründen ergibt sich, dass die Klägerin die unterliegende Partei ist. Zudem hat die Kommission ausdrücklich beantragt, sie zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Umstände des vorliegenden Falles nicht die Anwendung von Art. 87 Abs. 2 der Verfahrensordnung rechtfertigen, ist die Klägerin zur Tragung der Kosten der Kommission zu verurteilen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
(Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage von Frau Lenz wird abgewiesen.

2.      Frau Lenz trägt die gesamten Kosten.

Gervasoni

Kreppel

Rofes i Pujol

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Dezember 2010.

Die Kanzlerin

 

      Der Präsident

W. Hakenberg

 

      S. Gervasoni


* Verfahrenssprache: Deutsch.