Language of document : ECLI:EU:F:2011:55

URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
(Erste Kammer)

12. Mai 2011

Rechtssache F‑50/09

Livio Missir Mamachi di Lusignano

gegen

Europäische Kommission

„Öffentlicher Dienst – Beamte – Schadensersatzklage – Grundsatz der Übereinstimmung zwischen Antrag, Beschwerde und Klage in Schadensersatzsachen – Kontradiktorischer Charakter des Verfahrens – Beiziehung eines als Verschlusssache ‚EU – Nur für den Dienstgebrauch‘ klassifizierten vertraulichen Dokuments vor Gericht – Außervertragliche Haftung der Organe – Verschuldenshaftung – Kausalzusammenhang – Mehrfachkausalität für den Schaden – Handlung eines Dritten – Verschuldensunabhängige Haftung – Beistandspflicht – Pflicht eines Organs, für den Schutz seines Personals zu sorgen – Tötung eines Beamten und seiner Ehefrau durch einen Dritten – Verlust einer Überlebenschance“

Gegenstand:      Klage nach Art. 236 EG und Art. 152 EA auf u. a. Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 3. Februar 2009, mit der der Antrag des Klägers auf Ersatz des durch die Tötung seines Sohnes und seiner Schwiegertochter am 18. September 2006 in Rabat (Marokko) erlittenen materiellen und immateriellen Schadens abgelehnt wurde, und auf Verurteilung der Kommission, an ihn und die Hinterbliebenen seines Sohnes verschiedene Beträge zum Ersatz des aus den Tötungen resultierenden Vermögensschadens und Nichtvermögensschadens zu zahlen

Entscheidung:      Die Klage wird abgewiesen. Die dem Gericht im Verfahren von der Kommission übermittelten Auszüge aus dem Dokument von 2006 über die Sicherheitsnormen und ‑kriterien werden der Kommission unverzüglich als vertrauliche Verschlusssache mit dem Vermerk „EU – Nur für den Dienstgebrauch“ rückübermittelt. Die Europäische Kommission trägt die gesamten Kosten.

Leitsätze

1.      Beamte – Klage – Schadensersatzklage, die ohne Durchführung eines Vorverfahrens nach dem Statut erhoben wurde – Unzulässigkeit

(Beamtenstatut, Art. 90 und 91)

2.      Beamte – Klage – Schadensersatzklage – Anpassung des Schadensbetrags im Vergleich zu dem Betrag, der im vorgerichtlichen Antrag enthalten ist – Zulässigkeit – Voraussetzungen

3.      Beamte – Soziale Sicherheit – Arbeitsunfall – Pauschale Entschädigung nach dem Statut – Antrag auf ergänzende Entschädigung nach allgemeinem Recht – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Beamtenstatut, Art. 73)

4.      Beamte – Klage – Schadensersatzklage – Ursprung – Dienstverhältnis

(Art. 236 EG; Beamtenstatut, Art. 90 und 91)

5.      Beamte – Außervertragliche Haftung der Organe – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit

(Art. 236 EG)

6.      Beamte – Außervertragliche Haftung der Organe – Voraussetzungen – Ersatz des einem Beamten oder sonstigen Bediensteten entstandenen Schadens – Fürsorgepflicht der Verwaltung – Umfang

(Art. 236 EG; Beamtenstatut, Art. 90 und 91)

7.       Beamte – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit – Verpflichtungen der Organe – Umfang – Richtlinie 89/391 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 31 Abs. 1; Beamtenstatut, Art. 1e Abs. 2; Richtlinie 89/391 des Rates)

8.      Verfahren – Prozessleitende Maßnahmen – Aufforderung zur Vorlage eines Schriftstücks – Prüfung der Vertraulichkeit

(Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst, Art. 44 Abs. 1 und 2)

9.      Beamte – Außervertragliche Haftung der Organe – Unterbliebenes Ergreifen der Mindestsicherheitsmaßnahmen für die Wohnungen des in Drittländern Dienst tuenden Personals – Amtsfehler

10.    Beamte – Außervertragliche Haftung der Organe – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit – Schaden – Kausalzusammenhang

11.    Beamte – Außervertragliche Haftung der Organe – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit – Schaden – Kausalzusammenhang

12.    Beamte – Außervertragliche Haftung der Organe – Haftung für rechtmäßiges Handeln – Im Unionsrecht nicht anerkannter Grundsatz

(Art. 288 EG)

13.    Beamte – Beistandspflicht der Verwaltung – Umfang

(Beamtenstatut, Art. 24)

14.    Verfahren – Kosten – Ohne angemessenen Grund oder böswillig verursachte Kosten

(Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst, Art. 87 Abs. 2 und Art. 88)

1.      Im Rahmen der Klage eines Beamten, die ausschließlich auf den Ersatz verschiedener Schäden gerichtet ist, die angeblich durch eine Reihe rechtswidriger Handlungen oder Unterlassungen, die mangels jeglicher Rechtswirkungen nicht als beschwerende Maßnahmen angesehen werden können, verursacht wurden, sind die Anträge auf Schadensersatz vor dem Gericht nur zulässig, wenn ihnen zunächst ein an die Verwaltung gerichteter Antrag, der denselben Gegenstand hat und auf dieselben Schäden gestützt ist, und sodann eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Verwaltung, die ausdrücklich oder stillschweigend über den genannten Antrag entschieden hat, voranging. Im Rechtsschutzsystem der Art. 90 und 91 des Statuts muss nämlich, wenn mit einer Klage ausschließlich Schadensersatz begehrt wird, das Verwaltungsverfahren zwingend durch einen Antrag, mit dem der Betroffene die Anstellungsbehörde zum Ersatz der behaupteten Schäden auffordert, eingeleitet und gegebenenfalls durch Einlegung einer Beschwerde gegen die den Antrag ablehnende Entscheidung fortgeführt werden; andernfalls ist die spätere Klage unzulässig.

Außerdem müssen die beim Unionsrichter gestellten Anträge denselben Gegenstand haben wie die in der Beschwerde enthaltenen Anträge, und mit ihnen können nur solche Rügen erhoben werden, die auf demselben Grund beruhen wie die in der Beschwerde genannten Rügen; diese Rügen können jedoch im gerichtlichen Verfahren durch Klagegründe und Argumente weiterentwickelt werden, die nicht notwendigerweise in der Beschwerde enthalten sind, sich aber eng an diese anlehnen. Im Bereich der reinen Schadensersatzklage wird der Begriff des Grundes, der weit auszulegen ist, unter Bezugnahme auf Schäden definiert, die der betroffene Beamte in seinem Schadensersatzantrag geltend macht. Diese Schäden bestimmen den Gegenstand des vom Beamten begehrten Schadensersatzes und folglich den Gegenstand des Antrags, über den die Verwaltung zu entscheiden hat.

(vgl. Randnrn. 82 bis 85)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 23. April 2002, Campogrande/Kommission, C‑62/01 P, Randnr. 34

Gericht erster Instanz: 13. Juli 1995, Saby/Kommission, T‑44/93, Randnr. 31

Gericht für den öffentlichen Dienst: 1. Juli 2010, Mandt/Parlament, F‑45/07, Randnr. 119

2.      Im Rahmen einer Schadensersatzklage kann ein Beamter in seiner Klageschrift die Höhe der in seinem Antrag an die Verwaltung enthaltenen Ansprüche anpassen, insbesondere wenn seine Schäden später größer werden oder der Umfang seiner Schäden nicht bekannt ist oder erst nach Einreichung des Antrags ermittelt werden kann; Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Schäden, deren Ersatz er begehrt, in diesem Antrag enthalten waren.

(vgl. Randnr. 86)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 23. September 2004, Hectors/Parlament, C‑150/03 P, Randnr. 62

3.      Wegen des pauschalen Charakters der Leistungen, die nach dem Statut für die Hinterbliebenen eines verstorbenen Beamten vorgesehen sind, haben die Hinterbliebenen gegenüber dem Organ Anspruch auf eine ergänzende Entschädigung für den Fall, dass das Organ für den Tod des Beamten haftbar gemacht werden kann und die Leistungen nach dem Statut nicht ausreichen, um den vollen Ersatz des erlittenen Schadens sicherzustellen.

(vgl. Randnr. 106)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 8. Oktober 1986, Leussink/Kommission, 169/83 und 136/84, Randnr. 13; 9. September 1999, Lucaccioni/Kommission, C‑257/98 P, Randnrn. 22 und 23

4.      Ein auf Schadensersatz gerichteter Rechtsstreit zwischen einem Beamten und seinem derzeitigen oder früheren Dienstherrn fällt, wenn er seinen Ursprung in einem bestehenden oder früheren Dienstverhältnis zwischen dem Betroffenen und dem Dienstherrn hat, unter Art. 236 EG und die Art. 90 und 91 des Statuts und liegt außerhalb des Anwendungsbereichs der Art. 235 EG und 288 EG. Gleiches gilt für einen Rechtsstreit zwischen den Hinterbliebenen eines verstorbenen Beamten oder deren gesetzlichem Vertreter und dem früheren Dienstherrn des Beamten, da ein solcher Rechtsstreit seinen Ursprung in dem Dienstverhältnis zwischen dem Beamten und dem Dienstherrn hat.

(vgl. Randnr. 116)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 22. Oktober 1975, Meyer-Burckhardt/Kommission, 9/75, Randnr. 7; 17. Februar 1977, Reinarz/Kommission und Rat, 48/76, Randnr. 10; 10. Juni 1987, Pomar/Kommission, 317/85, Randnr. 7; 7. Oktober 1987, Schina/Kommission, 401/85, Randnr. 9

Gericht erster Instanz: 26. Juni 2009, Marcuccio/Kommission, T‑114/08 P, Randnrn. 12, 13 und 24

Gericht für den öffentlichen Dienst: 11. Mai 2010, Nanopoulos/Kommission, F‑30/08, Randnrn. 130 bis 133, Rechtsmittel beim Gericht der Europäischen Union anhängig, Rechtssache T‑308/10 P

5.      Die Haftung eines Organs im Rahmen des Art. 236 EG ist an das Zusammentreffen mehrerer Voraussetzungen geknüpft, nämlich daran, dass das Organ einen Amtsfehler oder einen Rechtsverstoß begangen hat, dass tatsächlich ein bestimmter und messbarer Schaden entstanden ist und dass zwischen der Pflichtverletzung und dem behaupteten Schaden ein Kausalzusammenhang besteht.

Was die erste dieser Voraussetzungen betrifft, so hat der Unionsrichter aus dem Kreis der relevanten Umstände des ihm vorgelegten Falles das Ermessen zu berücksichtigen, über das die Verwaltung im Zeitpunkt der streitigen Ereignisse verfügte.

Verfügt das Organ über ein weites Ermessen und ist es insbesondere nicht verpflichtet, aufgrund des geltenden rechtlichen Rahmens in einer bestimmten Weise tätig zu werden, so ist insoweit das entscheidende Kriterium für die Bejahung der ersten Voraussetzung, dass das Organ die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat. Hat die Verwaltung keinen offensichtlichen Irrtum begangen, kann ihr ein rechtswidriges Handeln nicht zur Last gelegt werden, und ihre Haftung ist demnach ausgeschlossen.

Ist dagegen der Ermessensspielraum der Verwaltung erheblich verringert oder gar auf null reduziert, kann die bloße Verletzung des Unionsrechts ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen, der geeignet ist, die Haftung des Organs auszulösen. Ist daher die Verwaltung zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, das ihr durch die geltenden Rechtsvorschriften, die Beachtung der allgemeinen Grundsätze oder der Grundrechte oder aber durch Vorschriften, die sie für sich selbst aufgestellt hat, vorgegeben wird, kann der bloße Verstoß gegen eine solche Verpflichtung die Haftung des betreffenden Organs auslösen.

(vgl. Randnrn. 117 bis 120)

Verweisung auf:

Gerichtshof: Lucaccioni/Kommission, Randnr. 14; 4. Juli 2000, Bergaderm und Goupil/Kommission, C‑352/98 P, Randnr. 44

Gericht erster Instanz: 13. Dezember 1990, Moritz/Kommission, T‑20/89, Randnr. 19; 9. Februar 1994, Latham/Kommission, T‑82/91, Randnr. 72; 21. Februar 1995, Moat/Kommission, T‑506/93, Randnr. 46

Gericht für den öffentlichen Dienst: 2. Mai 2007, Giraudy/Kommission, F‑23/05, Randnrn. 104, 105 und 167

6.      Die Rechtsstreitigkeiten im Bereich des öffentlichen Dienstes gemäß Art. 236 EG und den Art. 90 und 91 des Statuts einschließlich der Rechtsstreitigkeiten, in denen es um den Ersatz des einem Beamten oder Bediensteten entstandenen Schadens geht, unterliegen besonderen und speziellen Regeln, die sich von denen absetzen, die sich aus den für die außervertragliche Haftung der Union im Rahmen der Art. 235 EG und 288 Abs. 2 EG geltenden allgemeinen Grundsätzen ergeben. Insbesondere aus dem Statut ergibt sich nämlich, dass der Beamte oder sonstige Bedienstete der Union im Unterschied zu jeder anderen Privatperson an seinen Dienstherrn durch ein Dienstverhältnis gebunden ist, das ein durch die Fürsorgepflicht des Organs gegenüber dem Betroffenen widergespiegeltes Gleichgewicht zwischen den wechselseitigen besonderen Rechten und Pflichten umfasst. Dieses Gleichgewicht ist hauptsächlich dazu bestimmt, das Vertrauensverhältnis aufrechtzuerhalten, das zwischen den Organen und ihren Beamten bestehen muss, um dem Bürger die ordnungsgemäße Erfüllung der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben zu garantieren, mit denen die Organe betraut sind. Handelt daher die Union als Arbeitgeber, unterliegt sie einer größeren Verantwortung, was sich in der Verpflichtung zeigt, die Schäden zu ersetzen, die ihrem Personal durch jedweden von ihr als Arbeitgeber begangenen Rechtsverstoß entstanden sind.

(vgl. Randnr. 123)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 29. Juni 1994, Klinke/Gerichtshof, C‑298/93 P, Randnr. 38; 6. März 2001, Connolly/Kommission, C‑274/99 P, Randnrn. 44 bis 47

Gericht erster Instanz: 12. Juni 2002, Mellone/Kommission, T‑187/01, Randnr. 74; 14. Oktober 2004, Polinsky/Gerichtshof, T‑1/02, Randnr. 47

7.      Was die Sicherheit der Arbeitsbedingungen seines Personals angeht, unterliegt ein Organ wie jeder öffentliche oder private Arbeitgeber einer Pflicht zum Handeln. Das Personal kann sich nämlich auf das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen berufen, wie es im Übrigen in Art. 31 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorgesehen ist.

Auch ergibt sich aus Art. 1e Abs. 2 des Statuts und einer Reihe europäischer Richtlinien, insbesondere der Richtlinie 89/391 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz des Personals in Bezug auf alle die Arbeit betreffenden Aspekte zu sorgen. In diesem Bereich gilt die Pflicht eines Organs, als Arbeitgeber für die Sicherheit seines Personals zu sorgen, in besonderem Maß, und das Ermessen der Verwaltung ist zwar nicht auf null reduziert, aber verringert.

Diese Pflicht, für die Sicherheit seines Personals zu sorgen, kann jedoch, so umfassend sie auch sein mag, nicht so weit gehen, dass das betreffende Organ eine absolute Erfolgspflicht trifft. Es dürfen insbesondere nicht die budgetären, administrativen oder technischen Zwänge außer Acht gelassen werden, denen die Verwaltung ausgesetzt ist und die die kurzfristige Durchsetzung auch dringender und notwendiger Maßnahmen trotz der Bemühungen der zuständigen Behörden manchmal erschweren oder auch unmöglich machen. Ferner ist diese Verpflichtung heikel, wenn der betreffende Beamte im Unterschied zu einem Arbeitnehmer, der einen festen Arbeitsplatz an einem bestimmten Ort innehat, seinen Dienst in einem Drittland auszuüben hat und eine – mit einem diplomatischen Amt vergleichbare – Aufgabe wahrzunehmen hat, die unterschiedlichen und weniger leicht feststellbaren und beherrschbaren Risiken ausgesetzt ist.

Insoweit kann die Wohnung eines solchen Beamten, selbst wenn sie ihm aus dienstlichen Gründen zur Verfügung gestellt wurde und Gegenstand spezifischer, bei bestimmten Drittlanddelegationen geltender Schutzmaßnahmen ist, nicht völlig einem Arbeitsplatz im Sinne der Richtlinie 89/391 gleichgestellt werden. In einem solchen Zusammenhang impliziert die dem Organ obliegende Sicherheitspflicht zunächst, dass es die Risiken bewertet, denen sein Personal ausgesetzt ist, und einen integrierten präventiven Ansatz auf allen Dienstebenen verfolgt, ferner, dass es das betreffende Personal über die festgestellten Risiken informiert und sich vergewissert, dass das Personal die geeigneten Instruktionen bezüglich der für seine Sicherheit bestehenden Risiken erhalten hat, und schließlich, dass es angemessene Schutzmaßnahmen ergreift und die Organisation und die Mittel bereitstellt, die es für erforderlich hält.

(vgl. Randnrn. 126 und 127, 130 bis 132)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 14. Juni 2007, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑127/05

Gericht für den öffentlichen Dienst: 30. April 2009, Aayhan u. a./Parlament, F‑65/07, Randnr. 116

8.      Wird ein Dokument dem Gericht für den öffentlichen Dienst von einer Partei übermittelt, damit das Gericht prüfen kann, ob das Dokument im Sinne von Art. 44 Abs. 2. seiner Verfahrensordnung als vertraulich zu behandeln ist, kann der Schutz der Vertraulichkeit des Dokuments bedeuten, dass die Gegenpartei Zugang zu diesem Dokument nur in Form einer vom Gericht erstellten Zusammenfassung erhält und dass folglich das Verfahren nicht vollständig kontradiktorisch ist. Dennoch kann das Recht der Gegenpartei auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in einer solchen Lage nur sichergestellt werden, wenn das Gericht in Abweichung von Art. 44 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung sich selbst auf die relevanten Auszüge aus dem Dokument stützt, um in voller Kenntnis der Umstände entscheiden zu können, auch wenn das Organ die Auszüge dem Gericht nur vorgelegt hat, damit dieses die Vertraulichkeit des Dokuments prüft.

(vgl. Randnr. 156)

9.      Ein Organ, das die Mindestsicherheitsanforderungen an die Wohnungen seines in Drittländer abgeordneten Personals nicht einhält, begeht einen Amtsfehler, der seine Haftung auslösen kann. Auch wenn nämlich unter besonderen Umständen, insbesondere im Fall von Dringlichkeit, der Bezug einer vorläufigen Wohnung, die nicht dieselben Sicherheitsvorrichtungen wie eine endgültige Wohnung aufweist, für eine begrenzte Zeit in Frage kommen kann, darf die Verwaltung nicht auf die Vornahme von Mindestmaßnahmen verzichten, mit denen unter budgetär und administrativ vertretbaren Bedingungen den Hauptrisiken für die Sicherheit der Bewohner der vorläufigen Wohnung begegnet oder die Wahrscheinlichkeit von deren Eintritt beschränkt werden kann. Dies gilt umso mehr, wenn dem betreffenden Organ besondere Umstände zur Kenntnis gebracht wurden.

(vgl. Randnrn. 173, 174 und 176)

10.    Nur eine Pflichtverletzung, die aufgrund eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zu einem Schaden geführt hat, löst die Haftung des Organs aus. Die Union kann aber nur für die Schäden haftbar gemacht werden, die sich mit hinreichender Unmittelbarkeit aus dem fehlerhaften Verhalten des betreffenden Organs ergeben. Der Kläger muss insoweit nachweisen, dass der Schaden ohne das schuldhafte Verhalten nicht eingetreten wäre und dass das schuldhafte Verhalten der ausschlaggebende Grund für den Schaden ist. Wenn der Schaden die unmittelbare und unvermeidbare Folge des begangenen Fehlers ist, ist der Kausalzusammenhang dargetan. Darüber hinaus kann der Schaden unmittelbar und sicher nicht nur durch eine Ursache ausgelöst worden sein, sondern durch mehrere Ursachen, die ausschlaggebend zum Schadenseintritt beigetragen haben.

Bei einem Fehlverhalten, das darin besteht, dass ein Organ gegen seine Pflicht verstoßen hat, die Mindestsicherheitsanforderungen an die Wohnung eines in ein Drittland abgeordneten Beamten einzuhalten, ist der Kausalzusammenhang zwischen diesem Fehlverhalten und der Tötung des Beamten dargetan, wenn rechtlich hinreichend nachgewiesen wird, dass die Tötung nicht geschehen wäre, wenn das Organ seiner Pflicht, für den Schutz seines Beamten zu sorgen, nachgekommen wäre. Gleiches gilt für den Kausalzusammenhang zwischen dem Fehlverhalten und dem Verlust einer Überlebenschance des Beamten.

(vgl. Randnrn. 179-181, 183, 190)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 12. Juni 1986, Sommerlatte/Kommission, 229/84, Randnrn. 24 bis 27; 27. März 1990, Grifoni/EWGA, C‑308/87, Randnrn. 17 und 18

Gericht erster Instanz: 30. September 1998, Coldiretti u. a./Rat und Kommission, T‑149/96, Randnrn. 116 und 122; 9. Juli 1999, New Europe Consulting und Brown/Kommission, T‑231/97, Randnrn. 57 bis 60; 24. Oktober 2000, Fresh Marine/Kommission, T‑178/98, Randnr. 118 und die dort angeführte Rechtsprechung

Gericht der Europäischen Union: 19. März 2010, Gollnisch/Parlament, T‑42/06, Randnr. 110 und die dort angeführte Rechtsprechung

11.    Ein Schaden kann unmittelbar und sicher nicht nur durch eine Ursache ausgelöst worden sein, sondern durch mehrere Ursachen, die ausschlaggebend zu seinem Eintritt beigetragen haben. Nach der Rechtsprechung ist für eine Haftung der Verwaltung nicht zwingend erforderlich, dass das Organ die alleinige Verantwortung für den Schaden trägt. Verteilt sich das schuldhafte Verhalten auf ein Organ und einen Dritten, so hat das Organ nur einen Teil des vom Opfer erlittenen Schadens zu ersetzen.

Dies ist der Fall, wenn ein Organ die Voraussetzungen für den Schadenseintritt schafft, indem es keine hinreichenden Sicherheitsmaßnahmen trifft, um das Eindringen eines Täters in die Privatwohnung eines Beamten einer Delegation zu verhindern. Da diese Pflichtverletzung jedoch nicht unmittelbar und unvermeidlich dazu geführt hat, dass der Mord verübt wurde, und das Organ deshalb nicht die Hauptverantwortung für den Schaden trägt, ist sein Teil der Haftung auf 30 % des erlittenen Schadens beschränkt.

(vgl. Randnrn. 181, 192 bis 194)

Verweisung auf:

Gerichtshof: Sommerlatte/Kommission, Randnrn. 24 bis 27, und Grifoni/EWGA, Randnrn. 17 und 18

12.    Beim derzeitigen Stand des Unionsrechts kann Art. 288 EG, der auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, verweist, nicht dahin ausgelegt werden, dass danach die Union für rechtmäßiges Handeln oder Unterlassen verschuldensunabhängig haftet.

Für den Unionsrichter ist deshalb nicht ersichtlich, weshalb – abweichend von den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind – die Unionsorgane in den Beziehungen zu ihrem Personal aufgrund von Voraussetzungen haften können sollen, die sich grundlegend von denen unterscheiden, die im Rahmen des Art. 288 EG gelten.

(vgl. Randnrn. 209 und 212)

13.    Art. 24 des Statuts soll den Beamten und sonstigen Bediensteten im aktiven Dienst Sicherheit für die Gegenwart und die Zukunft geben, damit sie ihre Aufgaben im allgemeinen dienstlichen Interesse besser erfüllen können. Nach diesem Artikel und nach der Rechtsprechung dazu trifft die Organe der Union die Beistandspflicht gegenüber ihren Beamten aufgrund dieser Vorschrift nur bei Handlungen Dritter, die gegen die Beamten wegen ihrer Dienststellung oder ihres Amtes gerichtet werden.

Deshalb kann sich ein Hinterbliebener eines Beamten, wenn dieser nicht wegen seiner Dienststellung oder seines Amtes getötet wurde, nicht mit Erfolg auf Art. 24 des Statuts berufen.

(vgl. Randnrn. 220, 221, 224 und 225)

Verweisung auf:

Gerichtshof: Sommerlatte/Kommission, Randnr. 19; 5. Oktober 1988, Hamill/Kommission, 180/87, Randnr. 15

Gericht erster Instanz: 27. Juni 2000, K/Kommission, T‑67/99, Randnr. 32

14.    Nach Art. 87 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht für den öffentlichen Dienst aus Gründen der Billigkeit entscheiden, dass eine unterliegende Partei zur Tragung nur eines Teils der Kosten oder gar nicht zur Tragung der Kosten zu verurteilen ist. Außerdem kann nach Art. 88 der Verfahrensordnung eine Partei, auch wenn sie obsiegt, zur Tragung eines Teils der Kosten oder sämtlicher Kosten verurteilt werden, wenn dies wegen ihres Verhaltens, auch vor Klageerhebung, gerechtfertigt erscheint; dies gilt insbesondere, wenn sie der Gegenpartei Kosten ohne angemessenen Grund oder böswillig verursacht hat.

Insoweit erscheint es, wenn ein Organ den Verfahrensablauf erheblich verzögert hat, indem es sich zunächst geweigert hat, dem Gericht bestimmte Dokumente und Informationen zu übermitteln, und das Gericht gezwungen hat, eine zweite mündliche Verhandlung anzuberaumen, und indem es dem Gericht unzutreffende Antworten gegeben hat, bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles geboten, dem Organ neben seinen eigenen Kosten die angemessenen und gebührend begründeten Kosten der Gegenpartei aufzuerlegen.

(vgl. Randnrn. 229, 230 und 232)