Language of document : ECLI:EU:F:2016:140

BESCHLUSS DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST DER EUROPÄISCHEN UNION

(Dritte Kammer)

30. Juni 2016

Rechtssache F‑69/15

Sandra Kaufmann

gegen

Europäische Kommission

„Öffentlicher Dienst – Soziale Sicherheit – Gemeinsames Krankheitsfürsorgesystem – Krankenpflegeleistungen – Vorherige Genehmigung – Voraussetzungen – Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Dienstleistern, die gesetzlich zur Erbringung von Krankenpflegeleistungen oder Pflegeleistungen befugt sind – Diskriminierungsverbot – Grundsatz des Vertrauensschutzes – Fürsorgepflicht – Grenzen – Offensichtlich unbegründete Klage – Anordnung an die Verwaltung – Offensichtliche Unzulässigkeit – Art. 81 der Verfahrensordnung“

Gegenstand:      Klage nach Art. 270 AEUV, der gemäß Art. 106a EA auch für den EAG-Vertrag gilt, auf Aufhebung der Entscheidung der Europäischen Kommission, mit der diese den Antrag der Klägerin auf vorherige Genehmigung von wegen Hilfsbedürftigkeit benötigter häuslicher Pflegeleistungen für die am 31. Oktober 2014 verstorbene ehemalige Kommissionsbeamtin M. Thiele, deren einzige Rechtsnachfolgerin die Klägerin ist, abgelehnt hat, und auf Erteilung dieser Genehmigung mit Wirkung vom 1. Januar 2014

Entscheidung:      Die Klage wird als teilweise offensichtlich unzulässig und teilweise offensichtlich unbegründet abgewiesen. Frau Sandra Kaufmann trägt ihre eigenen Kosten und wird verurteilt, die der Europäischen Kommission entstandenen Kosten zu tragen.

Leitsätze

1.      Beamte – Soziale Sicherheit – Krankenversicherung – Krankenpflegeleistungskosten – Erstattung – Voraussetzungen – Vorherige Genehmigung – Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Dienstleistern, die gesetzlich zur Erbringung von Krankenpflegeleistungen oder Pflegeleistungen befugt sind – Umfang

(Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge, Art. 27 und 52)

2.      Beamte – Grundsätze – Vertrauensschutz – Voraussetzungen – Verweigerung einer vorherigen Genehmigung für in der Vergangenheit gewährte Krankenpflegeleistungen – Verstoß – Fehlen

(Beamtenstatut, Art. 85; Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge, Art. 27)

1.      Nach Nr. 2.1 Buchst. b in Titel II Kapitel 3 der von der Kommission erlassenen Allgemeinen Durchführungsbestimmungen für die Erstattung der Krankheitskosten ist nicht in jedem Fall eine staatliche Anerkennung des Krankenpflegers erforderlich. Vielmehr heißt es dort ausdrücklich, dass der Versicherte in Ländern, in denen der Krankenpflegeberuf nicht reguliert ist, oder in Fällen, in denen kein amtlich zugelassener Krankenpfleger verfügbar ist, der Abrechnungsstelle eine Verordnung seines behandelnden Arztes vorlegen kann, die den Namen des Krankenpflegers anführt und bestätigt, dass diese Person die für die Erbringung der fraglichen Leistungen erforderlichen Qualifikationen besitzt. Ein Versicherter, der Pflegeleistungen im Sinne von Titel II Kapitel 3 Nr. 2.1 Buchst. a dieser Allgemeinen Durchführungsbestimmungen benötigt, ist somit nicht verpflichtet, auf die Dienste eines staatlich anerkannten Krankenpflegers zurückzugreifen, wenn die einschlägige innerstaatliche Regelung keine solche Anerkennung vorsieht.

Mit anderen Worten muss die zuständige Abrechnungsstelle, wenn ein Versicherter einen Antrag auf vorherige Genehmigung von Krankenpflegeleistungen stellt, die in den Anwendungsbereich der Gemeinsamen Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge für die Beamten der Europäischen Union (wie er in den Allgemeinen Durchführungsbestimmungen präzisiert ist) fallen, überprüfen, ob diese Leistungen hinsichtlich der Personen, die im Interesse des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zu ihrer Erbringung berechtigt sind, einer spezifischen innerstaatlichen Regelung unterliegen.

Somit hat Titel II Kapitel 3 Nr. 2.1 Buchst. b der Allgemeinen Durchführungsbestimmungen keinerlei Auswirkung auf die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Festlegung der Bedingungen, die natürliche Personen oder Einrichtungen, die Krankenpflegeleistungen oder Pflegeleistungen erbringen, erfüllen müssen. Vielmehr tragen diese Bestimmungen gerade den unterschiedlichen Regelungen, die in diesem Bereich in den Mitgliedstaaten bestehen können, Rechnung, indem keine Gleichbehandlung unterschiedlicher Rechtslagen vorgeschrieben wird.

(vgl. Rn. 46 bis 48)

2.      Das Recht auf Vertrauensschutz ist an drei Voraussetzungen gebunden. Erstens muss die Unionsverwaltung dem Betroffenen präzise, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Zusicherungen von zuständiger und zuverlässiger Seite gegeben haben. Zweitens müssen diese Zusicherungen geeignet sein, bei dem Adressaten begründete Erwartungen zu wecken. Drittens müssen die gegebenen Zusicherungen den geltenden Vorschriften entsprechen. Da diese Voraussetzungen kumulativ sind, stellt bereits die Nichterfüllung einer von ihnen ein Hindernis für das Recht auf Vertrauensschutz dar.

Allein daraus, dass die Abrechnungsstelle in der Vergangenheit den Anträgen des Betroffenen auf vorherige Genehmigung von Krankenpflegeleistungen stattgegeben hat, lässt sich jedoch keine Zusage, dass auch für die Zukunft einer solche Genehmigung erteilt wird, ableiten, die präzisen, nicht an Bedingungen geknüpften und übereinstimmenden Zusicherungen der Abrechnungsstelle gleichzusetzen wäre.

Nach Art. 27 der Gemeinsamen Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge für die Beamten der Europäischen Union in Verbindung mit Titel II Kapitel 3 Nr. 2 der von der Kommission erlassenen Allgemeinen Durchführungsbestimmungen für die Erstattung der Krankheitskosten ist nämlich jeder Antrag auf vorherige Genehmigung für Krankenpflegeleistungen einzeln zu prüfen. Dabei sind sämtliche in Titel II Kapitel 3 Nr. 2 der Allgemeinen Durchführungsbestimmungen aufgestellten Voraussetzungen zu prüfen, insbesondere jene, dass die dem Genehmigungsantrag beigefügten Unterlagen vollständig sein und alle erforderlichen Angaben über den Gesundheitszustand des Versicherten und über die die fraglichen Leistungen erbringende Einrichtung oder Person enthalten müssen. Darüber hinaus ist Titel II Kapitel 3 Nr. 2.2 der Allgemeinen Durchführungsbestimmungen zu entnehmen, dass die Abrechnungsstelle eine vorherige Genehmigung für langfristige Krankenpflegeleistungen nur für einen begrenzten Zeitraum von höchstens zwölf Monaten erteilen kann.

Schließlich kann die Leistung von Geldzahlungen durch die Verwaltung, selbst über mehrere Jahre hinweg, für sich allein nicht als präzise, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Zusicherung im Sinne der Rechtsprechung angesehen werden. Andernfalls würde nämlich jede Entscheidung der Verwaltung, mit der eine dem Betroffenen über mehrere Jahre ungerechtfertigt gezahlte Geldleistung für die Zukunft und unter Umständen rückwirkend versagt wird, vom Unionsrichter systematisch wegen Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes aufgehoben, was zur Folge hätte, dass Art. 85 des Statuts über die Rückforderung zu viel gezahlter Beträge einen großen Teil seiner praktischen Wirksamkeit verlöre.

(vgl. Rn. 53 bis 55 und 57)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: Urteil vom 7. November 2002, G/Kommission, T‑199/01, EU:T:2002:271, Rn. 38

Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteile vom 1. März 2007, Neirinck/Kommission, F‑84/05, EU:F:2007:33, Rn. 79, vom 1. Juli 2010, Mandt/Parlament, F‑45/07, EU:F:2010:72, Rn. 125, vom 5. Juni 2012, AW/Kommission, F‑14/11, EU:F:2012:74, Rn. 58, und vom 7. Juli 2015, Kur/Kommission, F‑53/14, EU:F:2015:81, Rn. 64