Language of document : ECLI:EU:C:2008:30

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

POIARES MADURO

vom 23. Januar 20081(1)

Rechtssache C‑415/05 P

Al Barakaat International Foundation

gegen

Rat der Europäischen Union

und

Kommission der Europäischen Gemeinschaften






1.        Die Rechtsmittelführerin des vorliegenden Verfahrens wurde vom Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen als Organisation bezeichnet, die im Verdacht steht, Terrorismus zu unterstützen, und deren Gelder und andere Finanzmittel einzufrieren sind. Vor dem Gericht erster Instanz focht die Rechtsmittelführerin die Rechtmäßigkeit der Verordnung an, mit der der Rat den Einfrierbeschluss in der Gemeinschaft umgesetzt hat. Ihre Klage mit der Begründung, dass die Gemeinschaft für den Erlass der Verordnung nicht zuständig gewesen sei, dass die Verordnung entgegen Art. 249 EG erlassen worden sei und dass die Verordnung im Übrigen eine Reihe von Grundrechten der Rechtsmittelführerin verletze, wurde abgewiesen. Mit im Wesentlichen gleicher Begründung beantragt sie jetzt beim Gerichtshof die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz. Der Rat und die Kommission treten der Rechtsmittelführerin in allen drei Rechtsmittelgründen entgegen. In erster Linie machen sie jedoch geltend, dass die Verordnung zur Umsetzung bindender Resolutionen des Sicherheitsrats erforderlich sei und dementsprechend ihre Vereinbarkeit mit Grundrechten von den Gemeinschaftsgerichten nicht überprüft werden dürfe. Ihr Argument lautet im Wesentlichen: Wenn der Sicherheitsrat gesprochen hat, muss der Gerichtshof schweigen.

I –    Vorgeschichte des Rechtsmittels

2.        Die Al Barakaat International Foundation (im Folgenden: Rechtsmittelführerin) ist in Spånga (Schweden) ansässig. Am 12. November 2001 wurde sie als eine Institution, die im Verdacht steht, Terrorismus zu unterstützen, in die Liste in Anhang I der Verordnung Nr. 467/2001(2) aufgenommen. Demgemäß sollten ihre gesamten Gelder und anderen Finanzmittel eingefroren werden. Am 27. Mai 2002 wurde die genannte Verordnung aufgehoben und ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates(3) (im Folgenden: angefochtene Verordnung). Die Rechtsmittelführerin wurde jedoch weiterhin – in Anhang I der angefochtenen Verordnung – als eine Organisation aufgeführt, die im Verdacht steht, Terrorismus zu unterstützen, und deren Gelder einzufrieren waren.

3.        Die angefochtene Verordnung wurde auf der Grundlage der Art. 60 EG, 301 EG und 308 EG zur Durchführung des Gemeinsamen Standpunkts 2002/402/GASP(4) in der Gemeinschaft erlassen. Dieser Gemeinsame Standpunkt war seinerseits zurückzuführen auf die Resolutionen 1267(1999)(5), 1333(2000)(6) und 1390(2002)(7) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Der Sicherheitsrat hatte diese Resolutionen in der Erwägung, dass die Unterbindung des internationalen Terrorismus für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit unerlässlich sei, gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen verabschiedet.

4.        Die Resolutionen sehen u. a. vor, dass alle Staaten Maßnahmen zum Einfrieren der Gelder und anderen finanziellen Vermögenswerte von Personen und Einrichtungen zu ergreifen haben, die mit Osama bin Laden, der Al-Qaida-Organisation und den Taliban verbündet sind und die von einem aus allen Ratsmitgliedern bestehenden Ausschuss des Sicherheitsrats (im Folgenden: Sanktionsausschuss) benannt werden. Am 8. März 2001 veröffentlichte der Sanktionsausschuss eine erste konsolidierte Liste der vom Einfrieren der Gelder betroffenen Personen und Einrichtungen. Diese Liste wurde seitdem mehrfach geändert und ergänzt. Am 9. November 2001 nahm der Sanktionsausschuss den Namen der Rechtsmittelführerin in die Liste auf.

5.        Am 20. Dezember 2002 verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution 1452(2002), um die Erfüllung der Verpflichtungen zur Bekämpfung des Terrorismus zu erleichtern. Diese Resolution sieht eine Reihe von Ausnahmen von dem nach den Resolutionen 1267(1999), 1333(2000) und 1390(2002) vorgeschriebenen Einfrieren von Geldern vor; sie können von den Staaten aus humanitären Gründen zugelassen werden, wenn sie dem Sanktionsausschuss anzeigt wurden und dieser keine Einwände erhebt bzw. in bestimmten Fällen seine Zustimmung erteilt hat. Darüber hinaus verabschiedete der Sicherheitsrat am 17. Januar 2003 die Resolution 1455(2003), um die Durchführung der Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern zu verbessern.

6.        Aufgrund dieser Resolutionen nahm der Rat den Gemeinsamen Standpunkt 2003/140/GASP(8) an, um die vom Sicherheitsrat gestatteten Ausnahmen vorzusehen. Darüber hinaus änderte der Rat am 27. März 2003 die angefochtene Verordnung im Hinblick auf Ausnahmen vom Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen ab.(9)

7.        In ihrer geänderten Fassung bestimmt die angefochtene Verordnung in Art. 2, dass „[a]lle Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die einer vom Sanktionsausschuss benannten und in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Person, Gruppe oder Organisation gehören oder in deren Eigentum stehen oder von ihr verwahrt werden, … eingefroren [werden]“. Art. 2a sieht bestimmte Ausnahmen beispielsweise für angemessene Honorare für rechtliche Dienste vor, vorausgesetzt, der Sanktionsausschuss wurde in Kenntnis gesetzt und erhebt keinen Einspruch.

8.        Mit am 10. Dezember 2001 eingegangener Klageschrift erhob die Rechtsmittelführerin gemeinsam mit Herrn Abdirisak Aden, Herrn Abdulaziz Ali und Herrn Ahmed Yusuf beim Gericht eine Klage gegen den Rat und die Kommission, mit der sie u. a. beantragte, die Verordnungen Nrn. 2062/2001 und 467/2001 für nichtig zu erklären. Das Vereinigte Königreich wurde als Streithelfer der Beklagten zugelassen. Nach Aufhebung der Verordnung Nr. 467/2001 ging das Gericht davon aus, dass die Klage die Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung zum Gegenstand hatte und allein gegen den – von der Kommission und vom Vereinigten Königreich unterstützten – Rat gerichtet war. Noch während das Verfahren beim Gericht anhängig war, beschloss der Sanktionsausschuss, die Personen namens „Abdi Abdulaziz Ali“ und „Abdirisak Aden“ von der Liste der Personen, Gruppen und Organisationen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden müssen, zu streichen. Diese Namen wurden daraufhin von Anhang I der angefochtenen Verordnung gestrichen. Herr Abdirisak Aden und Herr Adbulaziz Ali teilten dem Gericht mit, dass sie ihre Klagen zurücknehmen. Dementsprechend wurden die Namen dieser beiden Kläger aus dem Register gestrichen.

9.        Im Verfahren vor dem Gericht führten die Al Barakaat International Foundation und Herr Yusuf drei Nichtigkeitsgründe an, von denen sich der erste auf die Unzuständigkeit des Rates für den Erlass der angefochtenen Verordnung, der zweite auf die Verletzung von Artikel 249 EG und der dritte auf die Verletzung ihrer Grundrechte stützte. Mit Urteil vom 21. September 2005 in der Rechtssache Yusuf und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (T‑306/01)(10) (im Folgenden: angefochtenes Urteil) bestätigte das Gericht die Gültigkeit der angefochtenen Verordnung. Am 21. November 2005 legten die Rechtsmittelführerin und Herr Yusuf das vorliegende Rechtsmittel gegen das angefochtene Urteil ein. Noch während das Rechtsmittelverfahren beim Gerichtshof anhängig war, beschloss der Sanktionsausschuss, Herrn Yusuf von der Liste der Personen, Gruppen und Organisationen, deren Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren werden müssen, zu streichen. Sein Name wurde daraufhin in Anhang I der angefochtenen Verordnung gestrichen. Herr Yusuf hat dem Gerichtshof mitgeteilt, dass er sein Rechtsmittel zurücknimmt. Dementsprechend ist sein Name im Register gestrichen worden. Verfahrensbeteiligte des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens sind außer der Al Barakaat International Foundation noch der Rat, die Kommission und das Vereinigte Königreich sowie Spanien, Frankreich und die Niederlande als Streithelfer. Der Kürze halber werde ich im Folgenden den Rat, die Kommission und das Vereinigte Königreich gelegentlich als „Rechtsmittelgegner“ bezeichnen.

10.      Zur Begründung ihres Antrags auf Aufhebung des angefochtenen Urteils macht die Rechtsmittelführerin drei Rechtsmittelgründe geltend. Der erste betrifft die Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung. Mit dem zweiten, auf Art. 249 EG gestützten Rechtsmittelgrund rügt die Rechtsmittelführerin, dass der Rechtsakt, der das Einfrieren ihrer Vermögensgüter anordnet, in Form einer Verordnung anstatt einer Entscheidung erlassen wurde. Der dritte Rechtsmittelgrund betrifft die Grundrechte der Rechtsmittelführerin. Ich werde mich zuerst der Frage der Rechtsgrundlage zuwenden.

II – Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung

11.      Der erste Rechtsmittelgrund der Rechtsmittelführerin betrifft die Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung. Das angefochtene Urteil befasst sich recht ausführlich mit diesem Punkt. Nach Prüfung verschiedener Alternativen kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Art. 60 EG, 301 EG und 308 EG im Zusammenwirken der Gemeinschaft die Befugnis zum Erlass der angefochtenen Verordnung verleihen(11). Die Rechtsmittelführerin hält diese Feststellung für rechtsfehlerhaft und macht geltend, dass die Gemeinschaft überhaupt keine Zuständigkeit zum Erlass der angefochtenen Verordnung besitze. Der Rat und das Vereinigte Königreich stimmen – wenn auch mit leicht abweichender Begründung – dem Gericht zu, dass die Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung in den Art. 60 EG, 301 EG und 308 EG zu finden sei. Die Kommission hingegen ist anderer Ansicht und kommt zu dem Ergebnis, dass die Art. 60 EG und 301 EG allein eine ausreichende Rechtsgrundlage darstellten.

12.      Ich schließe mich diesem Argument an. Das Gericht führt aus, die in den Art. 60 EG und 301 EG vorgesehenen Befugnisse zur Verhängung wirtschaftlicher und finanzieller Sanktionen in Form der Aussetzung oder Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern erstreckten sich nicht auf die Aussetzung oder Einschränkung von Wirtschaftsbeziehungen zu den Personen in diesen Ländern, sondern lediglich zu dem Regime eines Drittlands. Diese Auffassung lässt sich nur schwer mit Wortlaut und Zweck der genannten Bestimmungen in Einklang bringen. Nach Art. 301 EG kann der Rat tätig werden, „um die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren dritten Ländern auszusetzen [oder] einzuschränken“, indem er nicht näher bezeichnete „Sofortmaßnahmen“ trifft, die zur Durchführung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (im Folgenden: GASP) der Union erforderlich sind. Regelungsgegenstand von Art. 301 sind also im Wesentlichen die Ziele dieser Maßnahmen, d. h. die Ziele der GASP, die durch Beeinträchtigung der Wirtschaftsbeziehungen der Gemeinschaft zu Drittländern verwirklicht werden sollen. Gemäß Art. 60 Abs. 1 EG kann der Rat solche Maßnahmen auf dem Gebiet des „Kapital- und Zahlungsverkehrs mit den betroffenen dritten Ländern“ ergreifen. Diese Vorschrift bezeichnet daher die Mittel zur Erreichung der vorgenannten Ziele; diese Mittel bestehen in der Beschränkung der Geldströme in die und aus der Gemeinschaft. Über diese beiden Bestimmungen hinaus ist im EG-Vertrag weder die Form der Maßnahmen geregelt noch, gegen wen sie sich richten oder zu wessen Lasten sie gehen sollen. Einzige Voraussetzung ist vielmehr, dass die Maßnahmen die Wirtschaftsbeziehungen zu Drittländern im Bereich des Kapital- und Zahlungsverkehrs „aussetzen oder einschränken“.

13.      Die in der angefochtenen Verordnung vorgesehenen finanziellen Sanktionen erfüllen diese Voraussetzung: Sie sind in erster Linie gegen Personen und Gruppen in Drittländern gerichtet. Durch ihre Auswirkungen auf die Wirtschaftsbeziehungen zu Einrichtungen eines bestimmten Landes wirken sich die Sanktionen zwangsläufig auch auf die gesamten Wirtschaftsbeziehungen der Gemeinschaft zu diesem Land aus. Die Wirtschaftsbeziehungen zu Personen und Gruppen in einem Drittland sind Bestandteil der Wirtschaftsbeziehungen zu diesem Land; werden die erstgenannten Beziehungen beeinträchtigt, sind notwendigerweise auch die letztgenannten Beziehungen betroffen. Würden die Wirtschaftsbeziehungen zu Personen oder Gruppen nicht zu den „Wirtschaftsbeziehungen zu … dritten Ländern“ gezählt, würde damit eine grundlegende Tatsache des internationalen Wirtschaftslebens ignoriert: dass nämlich die Regierungen der meisten Länder nicht als Wächter der wirtschaftlichen Beziehungen und Tätigkeiten der einzelnen Einrichtungen innerhalb ihrer Landesgrenzen fungieren.

14.      Außerdem büßt Art. 301 EG durch die restriktive Auslegung des Gerichts viel von seinem praktischen Nutzen ein. Im Rahmen der GASP kann die Union zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen gegen nichtstaatliche Akteure in Drittländern beschließen. Mir leuchtet nicht ein, warum Art. 301 EG enger ausgelegt werden sollte. Wie das Gericht selbst erkennt, „können … die Union und ihr Gemeinschaftspfeiler [nicht] daran gehindert sein, sich [den Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit] dadurch anzupassen, dass wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen nicht nur gegen Drittländer, sondern auch gegen verbündete Personen, Gruppen, Unternehmen oder Organisationen, die im Bereich des internationalen Terrorismus tätig sind oder in anderer Weise den Weltfrieden und die internationale Sicherheit gefährden, verhängt werden“(12).

15.      Das Gericht entschied, dass Art. 308 EG ins Spiel gebracht werden müsse, um Sanktionen gegen Personen verhängen zu können, die keine staatliche Gewalt ausübten. Die vom Gericht bemühte Differenzierung anhand des Begriffs der staatlichen Gewalt weist jedoch auf Schwierigkeiten in der zugrunde liegenden Argumentation hin. Das Gericht legt Art. 308 EG als „Bindeglied“ zwischen der GASP und dem Gemeinschaftspfeiler aus. Es mag zwar noch angehen, Art. 301 EG als ein solches Bindeglied zu betrachten, jedoch kann Art. 308 EG diese Funktion sicherlich nicht erfüllen. Art. 308 EG ist ebenso wie Art. 60 Abs. 1 EG eine strikte Ermächtigungsnorm: Er bestimmt die Mittel, nicht den Zweck. Auch wenn darin von „Gemeinschaft“ und „ihren Zielen“ die Rede ist, so sind diese Ziele bezüglich Art. 308 EG doch exogen und können durch diese Vorschrift selbst nicht festgelegt werden. Wenn man daher die Aussetzung der Wirtschaftsbeziehungen zu nichtstaatlichen Akteuren aus dem Bereich zulässiger Mittel zur Erreichung der durch Art. 301 EG erlaubten Ziele ausklammert, kann man sie nicht mit Hilfe des Art. 308 EG wieder einbeziehen. Entweder dient eine Maßnahme gegen nichtstaatliche Akteure einem Ziel der GASP, das die Gemeinschaft nach Art. 301 EG verfolgen darf, oder nicht; wenn nicht, hilft Art. 308 auch nicht weiter.

16.      Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass das Urteil des Gerichts mit einem Rechtsfehler behaftet ist. Sollte der Gerichtshof meinen Überlegungen zur Rechtsgrundlage folgen, hätte er damit bereits genügend Grund zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Infolgedessen werde ich den zweiten Rechtsmittelgrund der Rechtsmittelführerin nicht behandeln. Da jedoch als Rechtsmittelgrund auch die Verletzung von Grundrechten geltend gemacht wird, sollte meiner Meinung nach der Gerichtshof wohl besser die Gelegenheit nutzen, diesen Punkt ebenfalls zu prüfen, und zwar sowohl aus Gründen der Rechtssicherheit als auch, um zu verhindern, dass in der Rechtsordnung der Gemeinschaft gegebenenfalls Grundrechtsverletzungen – wenngleich in Form einer Maßnahme mit lediglich anderer Rechtsgrundlage – auftreten. Dementsprechend prüfe ich im Weiteren auch den von der Rechtsmittelführerin vorgetragenen dritten Rechtsmittelgrund.

III – Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichte zur Entscheidung der Frage, ob die angefochtene Verordnung Grundrechte verletzt

17.      Im Verfahren vor dem Gericht machte die Rechtsmittelführerin geltend, die angefochtene Verordnung verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör, das Verfügungsrecht über ihr Eigentum und das Recht auf eine effektive gerichtliche Kontrolle(13). Vor Eintritt in die materielle Prüfung dieser Klagegründe untersuchte das Gericht jedoch zunächst den Umfang seiner eigenen Zuständigkeit zur Entscheidung über die Vereinbarkeit der angefochtenen Verordnung mit den Grundrechten(14). Zur Ermittlung des angemessenen Umfangs der gerichtlichen Kontrolle befasst sich das Gericht mit der Verknüpfung der gemeinschaftlichen Rechtsordnung und der durch die VN-Charta entstandenen Rechtsordnung. Die Ausführungen des Gerichts sind umfangreich und differenziert, lassen sich aber wie folgt zusammenfassen.

18.      Zunächst konstatierte das Gericht im Wesentlichen eine sich aus dem EG-Vertrag ergebende Vorrangregelung, wonach Resolutionen, die der Sicherheitsrat nach Kapitel VII der VN-Charta beschließe, Vorrang vor den Gemeinschaftsrechtsvorschriften hätten. Das Gericht kam letztendlich zu dem Ergebnis, in Einklang mit Art. 103 der VN-Charta(15) erkenne und akzeptiere das Gemeinschaftsrecht den Vorrang der Resolutionen des Sicherheitsrats gegenüber dem Vertrag. Zweitens sei das Gericht dementsprechend nicht zuständig, Resolutionen des Sicherheitsrats – und sei es auch nur mittelbar – auf ihre Vereinbarkeit mit den durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten zu prüfen. Die fraglichen Resolutionen des Sicherheitsrats – so das Gericht – ließen keinen Ermessensspielraum, so dass es die angefochtene Verordnung ohne eine solche inzidente Prüfung nicht beurteilen könne. Gleichwohl hielt sich das Gericht drittens für befugt, die fraglichen Resolutionen des Sicherheitsrats auf ihre Vereinbarkeit mit dem Schutz von Grundrechten zu prüfen, soweit diese Bestandteil des ius cogens seien.

19.      Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe bei seiner Beurteilung der gerügten Grundrechtsverletzungen den falschen Prüfungsmaßstab angelegt. Bei Anwendung des richtigen Prüfungsmaßstabs wäre insbesondere auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Rechts auf effektive gerichtliche Kontrolle erkannt worden. Die Rechtsmittelführerin führt aus, dass das Gericht sich nicht zur Vereinbarkeit der angefochtenen Verordnung mit den sich aus den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts ergebenden Grundrechten geäußert habe. Stattdessen habe es sich auf die Prüfung der Frage beschränkt, ob die Resolutionen des Sicherheitsrats, deren Umsetzung die angefochtene Verordnung bezwecke, mit dem ius cogens vereinbar seien(16). Die Rechtsmittelführerin ist der Auffassung, dass sich im Gemeinschaftsrecht keine Grundlage dafür finde, die gerichtliche Kontrolle der angefochtenen Verordnung in dieser Weise zu beschränken.

20.      Das Argument der Rechtsmittelführerin lautet im Wesentlichen, dass das Gericht seine eigene Rechtsprechungsbefugnis verkannt habe, weil es das Verhältnis zwischen der Völkerrechtsordnung und der Gemeinschaftsrechtsordnung unzutreffend charakterisiert habe. Dies führt uns zu der Frage, wie das Verhältnis zwischen der Völkerrechtsordnung und der Gemeinschaftsrechtsordnung zu verstehen ist.

21.      Der logische Ausgangspunkt unserer Erörterungen sollte selbstverständlich das Grundsatzurteil in der Rechtssache Van Gend en Loos sein, in dem der Gerichtshof die Eigenständigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung festgestellt hat(17). Der Gerichtshof führte aus, dass der Vertrag nicht nur ein Abkommen zwischen Staaten, sondern ein Abkommen zwischen den Völkern Europas sei. Mit dem Vertrag sei eine „neue Rechtsordnung“ geschaffen worden, die zwar mit der vorhandenen Völkerrechtsordnung in einer Verbindung zusammengeschlossen sei, sich aber dennoch von dieser unterscheide. Mit anderen Worten, durch den Vertrag wurde eine eigene Rechtsordnung transnationalen Umfangs geschaffen, deren „Verfassungsurkunde“(18) er ist.

22.      Dies bedeutet jedoch nicht, dass die eigene Rechtsordnung der Gemeinschaft und die Völkerrechtsordnung wie Schiffe in der Nacht aneinander vorbeisegeln, ohne voneinander Notiz zu nehmen. Die Gemeinschaft hat im Gegenteil auf dem internationalen Parkett seit jeher eine aktive und konstruktive Rolle übernommen. Für die Anwendung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts gilt daher die Vermutung, dass die Gemeinschaft ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen will(19). Die Gemeinschaftsgerichte prüfen daher sorgfältig die völkerrechtlichen Verpflichtungen, an die die Gemeinschaft gebunden ist, und beziehen sie in ihre rechtliche Würdigung ein(20).

23.      Letztendlich nehmen die Gemeinschaftsgerichte aber bei der Entscheidung über die Rechtswirkungen völkerrechtlicher Verpflichtungen innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung gemeinschaftsrechtliche Vorschriften zum Maßstab. In der Rechtsprechung gibt es eine Reihe von Beispielen hierfür. In einigen Fällen hat der Gerichtshof die Rechtswirkung eines völkerrechtlichen Vertrags innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung verneint, weil er auf der falschen Rechtsgrundlage abgeschlossen wurde. In jüngerer Zeit hat der Gerichtshof in der Rechtssache Parlament/Rat und Kommission(21) in diesem Sinne entschieden. Die Überlegung des Gerichtshofs wird ohne Weiteres verständlich, wenn man die „grundlegende[n] institutionelle[n] Auswirkungen sowohl auf die Gemeinschaft als auch auf die Mitgliedstaaten“(22) bedenkt, die einträten, wenn ein ohne ausreichende Rechtsgrundlage – oder nach dem falschen Entscheidungsverfahren – geschlossenes Abkommen Wirkung innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung entfalten würde. Ähnliche Bedenken liegen den Fällen zugrunde, in denen der Gerichtshof entschieden hat, dass die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaftsorgane, wenn sie auf völkerrechtlicher Ebene Verpflichtungen eingehen, einer Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit unterliegen(23). Wird ein völkerrechtlicher Vertrag unter Verstoß gegen diese Pflicht abgeschlossen, kann ihm die Rechtswirkung in der Gemeinschaftsrechtsordnung versagt werden. Im Kontext des vorliegenden Falls noch bedeutsamer ist die Tatsache, dass der Gerichtshof gelegentlich geprüft hat, ob Rechtsakte der Gemeinschaft, mit denen völkerrechtlichen Verpflichtungen im Innenverhältnis Rechtswirkung verliehen werden soll, mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts vereinbar sind. Beispielsweise hat der Gerichtshof in der Rechtssache Deutschland/Rat einen Beschluss des Rates über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen des WHO-Übereinkommens insoweit für nichtig erklärt, als der Rat darin dem Abschluss des Rahmenabkommens über Bananen zugestimmt hat(24). Der Gerichtshof war der Ansicht, dass die Bestimmungen des Rahmenabkommens gegen einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts verstießen, nämlich gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung.

24.      Allen diesen Fällen ist gemeinsam, dass der Gerichtshof, auch wenn er sehr darauf bedacht ist, die der Gemeinschaft obliegenden völkerrechtlichen Verpflichtungen zu achten, in erster Linie bestrebt ist, den durch den Vertrag geschaffenen Verfassungsrahmen zu wahren(25). Deshalb wäre die Schlussfolgerung falsch, dass die Gemeinschaftsgerichte, wenn die Gemeinschaft an eine völkerrechtliche Regelung gebunden sei, sich dieser Regelung in fraglosem Einverständnis beugen und sie bedingungslos in der Gemeinschaftsrechtsordnung anwenden müssten. Für das Verhältnis zwischen Völkerrecht und der Gemeinschaftsrechtsordnung ist die Gemeinschaftsrechtsordnung selbst maßgeblich, und das Völkerrecht kann diese Rechtsordnung nur unter den durch die Verfassungsgrundsätze der Gemeinschaft aufgestellten Voraussetzungen durchdringen.

25.      Folglich geht es im vorliegenden Rechtsmittelverfahren im Wesentlichen um folgende Frage: Findet sich im Vertrag eine Grundlage dafür, die angefochtene Verordnung von den üblichen durch das Gemeinschaftsrecht auferlegten Verfassungsbeschränkungen auszunehmen, weil mit ihr eine Sanktionsregelung durchgeführt werden soll, die durch Resolutionen des Sicherheitsrats vorgegeben ist? Oder anders formuliert: Billigt die Gemeinschaftsrechtsordnung Maßnahmen, die zur Durchführung von Resolutionen des Sicherheitsrats erforderlich sind, einen überkonstitutionellen Rang zu?

26.      Bei dieser Frage ist zunächst an die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Bosphorus(26) zu denken. Darin prüfte der Gerichtshof, ob eine Verordnung, mit der eine Resolution des Sicherheitsrats zur Verhängung eines Handelsembargos gegen die Bundesrepublik Jugoslawien umgesetzt wurde, Grundrechte und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzte. Der Gerichtshof entschied, das Interesse, „den Kriegszustand in der Region und die massiven Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts in der Republik Bosnien-Herzegowina zu beenden“, überwiege das Interesse eines vollkommen Unschuldigen, sich durch Einsatz seiner Vermögensgüter, die er von einem Unternehmen in der benachbarten Bundesrepublik Jugoslawien geleast hatte, wirtschaftlich betätigen zu können(27). Mit keinem Wort deutet der Gerichtshof an, dass er keine Nachprüfungsbefugnis besitzen könnte, weil die Verordnung zur Umsetzung einer vom Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionsregelung(28) erforderlich sei.

27.      Gleichwohl machen der Rat, die Kommission und das Vereinigte Königreich geltend, das Urteil Bosphorus äußere sich deshalb nicht zum Umfang der Zuständigkeit des Gerichtshofs, weil mit der Verordnung ohnehin keine Grundrechte verletzt worden seien. Ich finde diese Argumentation nicht sehr überzeugend. Es trifft zwar zu, dass der Gerichtshof sich nicht ausdrücklich zu der Frage äußert, ob die Verordnung seiner gerichtlichen Kontrolle entzogen sein könnte, weil sie der Umsetzung einer Resolution des Sicherheitsrats dient, während der Generalanwalt diese These beiläufig verwirft. Ich gehe jedoch trotzdem davon aus, dass der Gerichtshof diesen Punkt nicht absichtlich offen gelassen hat, sondern es vielmehr als selbstverständlich betrachtet hat, was ausdrücklich zu erwähnen der Generalanwalt für sachdienlich befunden hatte, nämlich dass „die Achtung der Grundrechte … eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaft“ ist(29).

28.      Selbst wenn man annehmen wollte, dass der Gerichtshof im Urteil Bosphorus der Frage seiner Zuständigkeit aus dem Weg gegangen ist, so bleibt jedenfalls festzuhalten, dass der Rat, die Kommission und das Vereinigte Königreich keine Grundlage im Vertrag genannt haben, aus der logisch zu folgern wäre, dass Maßnahmen zur Umsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrats einen überkonstitutionellen Rang einnehmen und daher von der gerichtlichen Kontrolle befreit sind.

29.      Das Vereinigte Königreich trägt vor, eine solche Befreiung von der Kontrolle lasse sich aus Art. 307 EG herleiten. In Abs. 1 dieser Vorschrift heißt es: „Die Rechte und Pflichten aus Übereinkünften, die vor dem 1. Januar 1958 oder, im Fall später beigetretener Staaten, vor dem Zeitpunkt ihres Beitritts zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits und einem oder mehreren dritten Ländern andererseits geschlossen wurden, werden durch diesen Vertrag nicht berührt.“ Nach Auffassung des Vereinigten Königreichs ergibt sich aus dieser Vorschrift in Verbindung mit Art. 10 EG eine Verpflichtung der Gemeinschaft, den Mitgliedstaaten die Einhaltung von Resolutionen des Sicherheitsrats nicht zu erschweren. Infolgedessen habe sich der Gerichtshof einer gerichtlichen Kontrolle der angefochtenen Verordnung zu enthalten. Ich will vorweg klarstellen, dass mich dieses Argument nicht überzeugt, aber es lohnt trotzdem, sich näher mit der Problematik zu befassen, insbesondere da Art. 307 EG in der Gedankenführung des Gerichts einen wichtigen Platz einnimmt(30).

30.      Auf den ersten Blick mag nicht gleich erkennbar sein, inwieweit Mitgliedstaaten an der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus der VN-Charta gehindert wären, wenn der Gerichtshof die angefochtene Verordnung für nichtig erklärte. Mangels einer Gemeinschaftsmaßnahme stände es den Mitgliedstaaten nämlich grundsätzlich frei, eigene Durchführungsmaßnahmen zu treffen, da sie nach dem Vertrag Maßnahmen erlassen dürfen, die zur Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit erforderlich sind, auch wenn sie das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigen(31). Die Mitgliedstaaten müssen die ihnen vorbehaltenen Befugnisse jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben(32). Angesichts des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache ERT(33) kann vorausgesetzt werden, dass die Mitgliedstaaten, soweit ihre Handlungen in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, den gleichen gemeinschaftlichen Regeln zum Schutz der Grundrechte unterliegen wie die Gemeinschaftsorgane selbst. Sollte der Gerichtshof die angefochtene Verordnung daher für nichtig erklären, weil sie gegen gemeinschaftliche Regeln zum Schutz der Grundrechte verstößt, ergibt sich aus der oben genannten Voraussetzung implizit, dass dann die Mitgliedstaaten keinesfalls die gleichen Maßnahmen, soweit diese in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fielen, erlassen könnten, ohne dabei die vom Gerichtshof geschützten Grundrechte zu verletzen. Somit ist das auf Art. 307 EG gestützte Argument nur indirekt relevant.

31.      Die entscheidende Problematik hinsichtlich des vom Vereinigten Königreich vorgetragenen Arguments besteht jedoch darin, dass Art. 307 EG als Norm für eine mögliche Abweichung von Art. 6 Abs. 1 EU herangezogen wird, der bestimmt, dass „[d]ie Union … auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit [beruht]“. Ich sehe keine Grundlage für eine dahin gehende Auslegung von Art. 307 EG. Sie wäre außerdem auch mit Art. 49 EU unvereinbar, wonach die Achtung der in Art. 6 Abs. 1 EU genannten Grundsätze Voraussetzung für einen Beitritt zur Union ist. Ferner hätten die nationalen Behörden dann u. U. die Möglichkeit, Grundrechte, die in ihren nationalen Rechtsordnungen auch bei Maßnahmen zur Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen garantiert sind, dadurch zu umgehen, dass sie im Rahmen der Gemeinschaft tätig werden(34). Dies würde eindeutig der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs zuwiderlaufen, nach der die Gemeinschaft ein umfassendes Rechtsschutzsystem garantiert, innerhalb dessen die Grundrechte in Einklang mit den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten gewahrt werden. Der Gerichtshof hat im Urteil Les Verts ausgeführt, dass „die Europäische […]Gemeinschaft eine Rechtsgemeinschaft der Art ist, dass weder die Mitgliedstaaten noch die Gemeinschaftsorgane der Kontrolle darüber entzogen sind, ob ihre Handlungen in Einklang mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem Vertrag, stehen“(35). Noch direkter hat der Gerichtshof im Urteil Schmidberger bekräftigt, dass „in der Gemeinschaft keine Maßnahmen als rechtens anerkannt werden können, die mit der Beachtung der … Menschenrechte unvereinbar sind“(36). Kurz gesagt, die vom Vereinigten Königreich befürwortete Auslegung von Art. 307 EG würde einen Bruch mit genau den Grundsätzen bedeuten, auf die sich die Union gründet, wobei der Vertrag keine Anhaltspunkte dafür liefert, dass Art. 307 eine Sonderstellung – geschweige denn eine Sonderstellung dieser Größenordnung – im Verfassungsrahmen der Gemeinschaft einnimmt.

32.      Im Übrigen wirken die Pflichten aus Art. 307 EG und die damit verbundene Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit in beide Richtungen: Sie gelten für die Gemeinschaft, aber auch für die Mitgliedstaaten(37). Nach Art. 307 Abs. 2 EG „wenden der oder die betreffenden Mitgliedstaaten alle geeigneten Mittel an, um … Unvereinbarkeiten zu beheben“, die zwischen ihren Pflichten aus früher abgeschlossenen Übereinkünften und ihren Pflichten aus dem Gemeinschaftsrecht festgestellt werden. Zu diesem Zweck „leisten die Mitgliedstaaten … einander Hilfe; sie nehmen gegebenenfalls eine gemeinsame Haltung ein“. Danach haben die Mitgliedstaaten ihre Befugnisse und Aufgaben in völkerrechtlichen Organisationen wie den Vereinten Nationen in einer Weise wahrzunehmen, die mit den Voraussetzungen vereinbar sind, die in den primären Normen und den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts festgelegt sind(38). Als Mitglieder der Vereinten Nationen müssen die Mitgliedstaaten und insbesondere – im Kontext des vorliegenden Falls – diejenigen, die dem Sicherheitsrat angehören, soweit wie möglich darauf hinwirken, dass die Organe der Vereinten Nationen keine Entscheidungen erlassen, die mit den zentralen Grundsätzen der Gemeinschaftsrechtsordnung kollidieren können. Die Mitgliedstaaten selbst tragen daher die Verantwortung dafür, die Gefahr von Kollisionen zwischen der Gemeinschaftsrechtsordnung und dem Völkerrecht zu minimieren.

33.      Wenn also Art. 307 EG die angefochtene Verordnung nicht der gerichtlichen Kontrolle entziehen kann, ergibt sich die Frage, ob dies vielleicht aufgrund anderer Gemeinschaftsrechtsvorschriften möglich ist. Nach Auffassung des Rates, der Kommission und des Vereinigten Königreichs darf der Gerichtshof grundsätzlich keine Gemeinschaftsmaßnahmen zur Umsetzung von Resolutionen anzweifeln, die der Sicherheitsrat zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für notwendig erachtet habe. In diesem Zusammenhang beruft sich die Kommission auf den Begriff der politischen Frage(39). Die Kommission, der Rat und das Vereinigte Königreich machen kurz gesagt geltend, der spezielle Gegenstand des vorliegenden Verfahrens eigne sich nicht für eine gerichtliche Kontrolle. Eine ähnliche Auffassung vertrete auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

34.      Die sich daraus ergebende Ansicht, der vorliegende Fall betreffe eine „politische Frage“, bei der ein gerichtlicher Eingriff selbst bescheidensten Ausmaßes unangemessen wäre, ist meines Erachtens unhaltbar. Die Behauptung, eine Maßnahme sei zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich, kann nicht dazu führen, die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts auszuschalten und dem Einzelnen seine Grundrechte zu entziehen. Damit wird dem Interesse an der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit keineswegs die Bedeutung abgesprochen; es wird lediglich gesagt, dass die Gerichte zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen verpflichtet bleiben, die mit anderen Interessen kollidieren können, die von ebenso großer Bedeutung sind und mit deren Schutz die Gerichte betraut sind. Wie Richter Murphy in seinem Sondervotum in der vom Supreme Court der Vereinigten Staaten entschiedenen Rechtssache Korematsu zutreffend ausgeführt hat:

„Wie andere Forderungen, die mit den geltend gemachten Verfassungsrechten des Einzelnen kollidieren, muss auch [diese] Forderung im gerichtlichen Verfahren auf ihre Angemessenheit geprüft und ihre Kollision mit anderen Interessen ausgeglichen werden. Wo die zulässigen Grenzen des [Ermessens] zu ziehen sind und ob diese im Einzelfall überschritten worden sind, sind Fragen, die vom Gericht zu entscheiden sind.“(40)

35.      Gewiss können außergewöhnliche Umstände Einschränkungen der Individualfreiheit rechtfertigen, die im Normalfall unzulässig wären. Das sollte uns aber nicht zu der Aussage verleiten, dass „es Fälle gibt, in denen einen Moment lang ein Schleier über die Freiheit geworfen werden sollte, so wie man Statuen der Götter zu verhüllen pflegt“(41). Es bedeutet auch nicht, wie das Vereinigte Königreich vorträgt, dass in solchen Fällen die gerichtliche Kontrolle „nur marginalster Art“ sein dürfte. Im Gegenteil, wenn die Risiken für die öffentliche Sicherheit so außergewöhnlich hoch eingeschätzt werden, entsteht ein besonders starker Druck zum Ergreifen von Maßnahmen, die Individualrechte außer Acht lassen, vor allem zu Lasten von Personen, die an politischen Mechanismen kaum oder gar nicht beteiligt sind. In derartigen Fällen haben die Gerichte daher ihre Aufgabe, den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten, mit erhöhter Wachsamkeit zu erfüllen. In genau den Fällen, in denen ausnahmsweise Grundrechtseinschränkungen gerechtfertigt sein mögen, müssen die Gerichte daher sorgfältig prüfen, ob diese Einschränkungen über das Maß des Erforderlichen hinausgehen. Wie ich unten noch ausführen werde, hat der Gerichtshof zu überprüfen, ob die Behauptung, es bestünden außergewöhnlich hohe Sicherheitsrisiken, begründet ist, und er hat darauf zu achten, dass bei den erlassenen Maßnahmen das erforderliche Gleichgewicht zwischen der Art des Sicherheitsrisikos und dem Umfang, in dem die Maßnahmen in die Grundrechte der Einzelnen eingreifen, gewahrt ist.

36.      Nach Darstellung des Rates, der Kommission und des Vereinigten Königreichs gibt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Kontrollbefugnis auf, wenn eine streitige Maßnahme zur Umsetzung einer Resolution des Sicherheitsrats erforderlich ist. Allerdings bezweifle ich stark, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine eigene Zuständigkeit in dieser Weise beschneidet(42). Aber selbst wenn das der Fall sein sollte, wäre dies meines Erachtens für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung.

37.      Sicherlich trifft es zu, dass sich der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften bezüglich der Grundrechte, deren Wahrung in der Gemeinschaft er zu sichern hat, von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte leiten lässt(43). Gleichwohl bestehen zwischen den beiden Gerichtshöfen bedeutende Unterschiede. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Aufgabe, die Einhaltung der von den Vertragsstaaten eingegangenen Verpflichtungen aus der Konvention zu sichern. Die Konvention bezweckt zwar die Wahrung und Fortentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten der Einzelnen, sie ist aber in erster Linie als Regierungsübereinkunft ausgestaltet, die Verpflichtungen der Vertragsstaaten auf völkerrechtlicher Ebene begründet(44). Dies wird an den zwischenstaatlichen Durchführungsmechanismen der Konvention deutlich(45). Mit dem EG-Vertrag wurde hingegen eine autonome Rechtsordnung geschaffen, innerhalb deren sowohl Staaten als auch der Einzelne unmittelbare Rechte und Pflichten besitzen. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften fungiert als Verfassungsgericht der mit ihrer eigenen Rechtsordnung ausgestatteten Gemeinschaft. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sind daher, was ihre Zuständigkeit ratione personae und das Verhältnis ihres jeweiligen Rechtssystems zum Völkerrecht anbelangt, nicht miteinander zu vergleichen. Der Rat, die Kommission und das Vereinigte Königreich versuchen also eine Parallele genau dort zu ziehen, wo die Entsprechung zwischen den beiden Gerichtshöfen endet.

38.      In der mündlichen Verhandlung hat der Rat die Ansicht vertreten, durch Ausübung seiner Rechtsprechungstätigkeit bezüglich Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane, die sich aus Resolutionen des Sicherheitsrats herleiteten, gehe der Gerichtshof über die ihm zugewiesene Aufgabe hinaus und „spreche im Namen der Völkergemeinschaft“. Diese Aussage geht jedoch eindeutig zu weit. Selbstverständlich hätte eine Entscheidung des Gerichtshofs dahin, dass die angefochtene Verordnung in der Gemeinschaftsrechtsordnung keine Anwendung finden könne, wohl bestimmte Auswirkungen auf internationaler Ebene. Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese Auswirkungen nicht unbedingt negativ sein müssen. Sie sind unmittelbare Folge der Tatsache, dass so, wie die Funktionsweise der Vereinten Nationen derzeit geregelt ist, dem Einzelnen, der eine unabhängige Instanz anrufen will, um angemessenen Schutz seiner Grundrechte zu erwirken, als einziger Weg die Anfechtung innerstaatlicher Umsetzungsmaßnahmen bei einem nationalen Gericht offensteht(46). Die Möglichkeit einer erfolgreichen Anfechtung dürfte den Sicherheitsrat übrigens kaum überraschen, wurde sie doch vom Analytical Support and Sanctions Monitoring Team des Sanktionsausschusses ausdrücklich in Betracht gezogen(47).

39.      Außerdem beschränken sich die Rechtswirkungen einer Entscheidung des Gerichtshofs auf die eigene Rechtsordnung der Gemeinschaft. Soweit die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten durch eine solche Entscheidung an der Umsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrats gehindert wären, müssen die rechtlichen Folgen innerhalb der Völkerrechtsordnung nach Völkerrechtssätzen bestimmt werden. Es trifft zwar zu, dass die Beschränkungen, denen die Handlungen der Organe aufgrund der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts unterliegen, für die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten auf dem internationalen Parkett unbequem sein mögen, die Anwendung dieser Grundsätze durch den Gerichtshof lässt jedoch die Anwendung der völkerrechtlichen Normen zur staatlichen Verantwortung oder der in Art. 103 der VN-Charta niedergelegten Regel unberührt. Die Auffassung des Rates, der Gerichtshof würde sich durch Überprüfung der angefochtenen Verordnung eine über die Grenzen der Gemeinschaftsrechtsordnung hinausgehende Zuständigkeit anmaßen, geht daher fehl.

40.      Demnach komme ich zu dem Ergebnis, dass das Gericht bei seiner Entscheidung, es besitze keine Zuständigkeit zur Überprüfung der angefochtenen Verordnung im Licht der Grundrechte, die Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts sind, einen Rechtsfehler begangen hat. Demzufolge sollte der Gerichtshof den dritten Rechtsmittelgrund der Rechtsmittelführerin für begründet erachten und das angefochtene Urteil aufheben.

IV – Zum Vorwurf der Grundrechtsverletzung

41.      Ich schlage vor, dass der Gerichtshof, anstatt die Sache an das Gericht zurückzuverweisen, von der Möglichkeit Gebrauch macht, den Rechtsstreit selbst endgültig zu entscheiden(48). Meines Erachtens ist es dabei aus Zweckmäßigkeitsgründen angebracht, sich auf den wesentlichen Aspekt des Falls zu konzentrieren, nämlich die Frage, ob die Rechtsmittelführerin durch die angefochtene Verordnung in ihren Grundrechten verletzt ist.

42.      Die Rechtsmittelführerin macht geltend, die angefochtene Verordnung verletze mehrere ihrer Grundrechte, und beantragt mit dieser Begründung die Nichtigerklärung der Verordnung. Die Rechtsmittelgegner, insbesondere die Kommission und das Vereinigte Königreich, sind der Auffassung, dass – soweit die angefochtene Verordnung gegebenenfalls in die Grundrechte der Rechtsmittelführerin eingreife – dies aus Gründen der Unterbindung des internationalen Terrorismus gerechtfertigt sei. In diesem Zusammenhang tragen sie auch vor, der Gerichtshof habe nicht die üblichen Kontrollmaßstäbe, sondern angesichts der auf dem Spiel stehenden internationalen Sicherheitsinteressen weniger strenge Kriterien für den Grundrechtsschutz anzuwenden.

43.      Ich stimme den Rechtsmittelgegnern nicht zu. Sie befürworten eine Art von richterlicher Kontrolle, die im Kern sehr der These des Gerichts unter der Überschrift ius cogens ähnelt. In gewissem Sinne bringen sie mit dieser Argumentation einmal mehr ihre Meinung zum Ausdruck, dass der vorliegende Fall eine „politische Frage“ betreffe und dass der Gerichtshof im Gegensatz zu den politischen Organen nicht in der Lage sei, derartige Fragen angemessen zu behandeln. Die Begründung lautet, die in Rede stehenden Angelegenheiten seien von internationaler Bedeutung, und jeder Eingriff des Gerichtshofs könne sich negativ auf die weltweit koordinierten Bemühungen zur Bekämpfung des Terrorismus auswirken. Die Argumentation hängt auch eng mit der Auffassung zusammen, dass Gerichte schwerlich beurteilen könnten, welche Maßnahmen zur Verhinderung des internationalen Terrorismus erforderlich seien. Dem Sicherheitsrat hingegen wird die Sachkunde zu einer solchen Beurteilung unterstellt. Daher kommen die Rechtsmittelgegner zu dem Ergebnis, der Gerichtshof habe vom Sicherheitsrat vorgenommene Einschätzungen mit äußerster Zurückhaltung zu behandeln und dürfe, wenn er überhaupt tätig werde, Gemeinschaftsakte, die auf diesen Einschätzungen beruhten, nur einer minimalen gerichtlichen Kontrolle unterziehen.

44.      Es trifft zu, dass Gerichte nicht institutionell blind sein dürfen. Der Gerichtshof hat daher den internationalen Kontext zu berücksichtigen, in dem er tätig wird, und muss sich seiner eigenen Grenzen bewusst sein. Er muss die Folgen erkennen, die seine Entscheidungen außerhalb der Gemeinschaft haben mögen. In einer immer enger verflochtenen Welt werden sich die unterschiedlichen Rechtsordnungen um eine Unterbringung ihrer gegenseitigen Zuständigkeitsansprüche zu bemühen haben. Der Gerichtshof kann deshalb nicht immer ein Monopol für die Entscheidung über den Ausgleich grundlegender Interessen für sich in Anspruch nehmen. Er muss, wenn möglich, die Autorität von Organen wie dem Sicherheitsrat anerkennen, die nach einer anderen Rechtsordnung als seiner eigenen eingerichtet worden sind und die diese Interessen mitunter besser abzuwägen vermögen. Der Gerichtshof darf jedoch nicht aus Rücksicht gegenüber den Ansichten dieser Organe den Grundwerten den Rücken kehren, die der Gemeinschaftsrechtsordnung zugrunde liegen und zu deren Schutz er verpflichtet ist. Respekt gegenüber anderen Organen ist nur dann sinnvoll, wenn er auf einem gemeinsamen Verständnis dieser Werte und einem gegenseitigen Willen, sie zu schützen, aufbaut. In Situationen, in denen es um die Grundwerte der Gemeinschaft geht, kann der Gerichtshof daher verpflichtet sein, von den Gemeinschaftsorganen erlassene Maßnahmen zu überprüfen und gegebenenfalls für nichtig zu erklären, selbst wenn solche Maßnahmen den Wünschen des Sicherheitsrats entsprechen.

45.      Die Tatsache, dass die streitigen Maßnahmen zur Unterbindung des internationalen Terrorismus bestimmt sind, sollte den Gerichtshof nicht von der Erfüllung seiner Pflicht zur Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit abhalten. Damit greift der Gerichtshof keineswegs auf den Bereich der Politik über, sondern er bestätigt die Grenzen, die das Recht bestimmten politischen Entscheidungen setzt. Diese Aufgabe ist niemals einfach, und in der Tat stellt es eine große Herausforderung für ein Gericht dar, in Fragen der Bedrohung durch den Terrorismus Weisheit walten zu lassen. Allerdings gilt das Gleiche auch für die politischen Institutionen. Gerade wenn es um die öffentliche Sicherheit geht, neigt die Politik dazu, zu stark auf unmittelbare populäre Anliegen zu reagieren und die Behörden zu veranlassen, die Ängste Vieler auf Kosten der Rechte einiger Weniger zu besänftigen. An eben diesem Punkt müssen die Gerichte eingeschaltet werden, damit gewährleistet ist, dass die politischen Notwendigkeiten von heute nicht die rechtlichen Realitäten von morgen werden. Den Gerichten obliegt die Verantwortung, sicherzustellen, dass Maßnahmen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt politisch zweckmäßig sein mögen, auch dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit entsprechen, ohne den auf lange Sicht keine demokratische Gesellschaft wirklich gedeihen kann. Um es mit den Worten von Aharon Barak, dem ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichts Israels, auszudrücken:

„Gerade wenn die Kanonen dröhnen, brauchen wir die Gesetze ganz besonders … Jeder Kampf des Staats – gegen Terrorismus oder gegen einen anderen Feind – wird nach Recht und Gesetz geführt. Es gibt immer Recht, das der Staat einzuhalten hat. Es gibt keine ‚schwarzen Löcher‘. … Das Prinzip, das diesem Ansatz zugrunde liegt, ist nicht nur eine pragmatische Konsequenz politischer und normativer Realität. Seine Wurzeln reichen viel tiefer. Es ist Ausdruck des Unterschieds zwischen einem demokratischen Staat, der um sein Leben kämpft, und dem Kampf von Terroristen, die sich gegen ihn auflehnen. Der Staat kämpft im Namen des Rechts und im Namen der Aufrechterhaltung des Rechts. Die Terroristen kämpfen gegen das Recht und verletzen es gleichzeitig. Der Kampf gegen den Terrorismus ist auch der Kampf des Rechts gegen diejenigen, die sich gegen das Recht auflehnen.“(49)

46.      Der Gerichtshof hat daher keinen Grund, im vorliegenden Fall hinsichtlich der von der Rechtsmittelführerin in Anspruch genommenen Grundrechte von seiner üblichen Auslegung abzuweichen. Neu ist lediglich die Frage, ob die konkreten Erfordernisse, die bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auftreten, Einschränkungen der Grundrechte der Rechtsmittelführerin rechtfertigen, die andernfalls unzulässig wären. Das führt nicht zu einer abweichenden Auslegung dieser Grundrechte und der anzuwendenden Prüfungsmaßstäbe. Es bedeutet lediglich, dass die Interessen, die bei der Anwendung der streitigen Grundrechte stets gegeneinander abzuwägen sind, aufgrund der speziellen Erfordernisse, die bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auftreten, möglicherweise anders gewichtet werden müssen. Diese Frage ist jedoch im Rahmen der üblichen gerichtlichen Kontrolle vom Gerichtshof zu beurteilen. Die gegenwärtigen Umstände mögen dazu führen, dass bei den Werten, um die es beim Grundrechtsschutz geht, eine andere Gewichtung vorgenommen werden muss, das Niveau des Grundrechtsschutzes aber darf sich nicht ändern.

47.      Die Rechtsmittelführerin steht vor dem Problem, dass ihre gesamten finanziellen Werte innerhalb der Gemeinschaft seit mehreren Jahren unbefristet aufgrund einer Regelung eingefroren sind, in deren Rahmen ihr offenbar keine adäquaten Mittel zur Verfügung stehen, der Behauptung, sie sei an der Unterstützung des Terrorismus beteiligt, entgegenzutreten. Die Rechtsmittelführerin beruft sich auf das Eigentumsrecht, den Anspruch auf rechtliches Gehör sowie den Anspruch auf eine effektive gerichtliche Kontrolle. Im vorliegenden Fall sind diese Rechte eng miteinander verknüpft. Unbestreitbar stellt das unbefristete Einfrieren von Vermögenswerten einen weitreichenden Eingriff in das Recht auf ungestörte Nutzung des Eigentums dar. Die Folgen für die betroffene Person oder Organisation sind potenziell vernichtend, selbst wenn für die Deckung von Grundausgaben gesorgt ist. Genau darin besteht natürlich die Zwangswirkung der Maßnahme und der Grund dafür, dass „intelligente Sanktionen“ dieser Art als geeignetes oder sogar notwendiges Mittel zur Verhinderung terroristischer Handlungen betrachtet werden. Es zeigt aber auch deutlich, warum verfahrensrechtliche Garantien notwendig sind, die von den Behörden verlangen, solche Maßnahmen zu rechtfertigen und ihre Verhältnismäßigkeit nicht lediglich abstrakt, sondern auch im konkreten Einzelfall nachzuweisen. Die Kommission weist zutreffend darauf hin, dass die Bekämpfung des internationalen Terrorismus Beschränkungen des Eigentumsrechts rechtfertigen kann. Das allein entbindet die Behörden aber nicht von der Pflicht zu begründen, dass diese Beschränkungen auch im Fall der betroffenen Person oder Organisation gerechtfertigt sind. Gerade um sicherzustellen, dass dies tatsächlich der Fall ist, werden Verfahrensgarantien benötigt. Ohne solche Garantien stellt das unbefristete Einfrieren von Vermögenswerten eine Verletzung des Eigentumsrechts dar.

48.      Die Rechtsmittelführerin führt aus, dass bei den streitigen Sanktionen derartige Garantien nicht gegeben seien. Insoweit beruft sie sich auf den Anspruch auf rechtliches Gehör vor den Verwaltungsbehörden wie auch auf den Anspruch auf effektive gerichtliche Kontrolle durch eine unabhängige Instanz.

49.      Sowohl der Anspruch auf rechtliches Gehör als auch der Anspruch auf effektive gerichtliche Kontrolle sind Grundrechte, die zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehören. Nach ständiger Rechtsprechung „[ist] die Beachtung der Verteidigungsrechte in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts …, der auch dann sichergestellt werden muss, wenn eine Regelung für das betreffende Verfahren fehlt … Dieser Grundsatz gebietet es, dass die Adressaten von Entscheidungen, die ihre Interessen spürbar beeinträchtigen, in die Lage versetzt werden, ihren Standpunkt in sachdienlicher Weise vorzutragen“(50). Zum Anspruch auf effektive gerichtliche Kontrolle hat der Gerichtshof ausgeführt: „Die Europäische Gemeinschaft ist … eine Rechtsgemeinschaft, in der die Handlungen ihrer Organe daraufhin kontrolliert werden, ob sie mit dem EG-Vertrag und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, zu denen auch die Grundrechte gehören, vereinbar sind. … Die Einzelnen müssen daher einen effektiven gerichtlichen Schutz der Rechte in Anspruch nehmen können, die sie aus der Gemeinschaftsrechtsordnung herleiten, wobei das Recht auf einen solchen Schutz zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört, die sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben.“(51) Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich ferner, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör und auf effektive gerichtliche Kontrolle sowohl natürlichen als auch juristischen Personen zusteht.

50.      Die Rechtsmittelgegner machen allerdings gelten, dass etwaige Einschränkungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Anspruchs auf effektive gerichtliche Kontrolle gerechtfertigt seien. Jede Bereitstellung von Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren seitens der Gemeinschaft oder ihrer Mitgliedstaaten, mit denen die Rechtmäßigkeit der durch die angefochtene Verordnung verhängten Sanktionen bestritten werden könne, würde – so die Rechtsmittelgegner – den zugrundeliegenden Resolutionen des Sicherheitsrats zuwiderlaufen und daher den Kampf gegen den internationalen Terrorismus gefährden. Entsprechend dieser Auffassung enthält der Vortrag der Rechtsmittelgegner nichts, was dem Gerichtshof eine gerichtliche Kontrolle hinsichtlich der konkreten Lage der Rechtsmittelführerin ermöglichen würde.

51.      Ich werde mich nicht allzu lange mit der gerügten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beschäftigen. Es genügt der Hinweis, dass zwar bestimmte Einschränkungen dieses Anspruchs aus Gründen der öffentlichen Sicherheit vorstellbar sein mögen, dass die Gemeinschaftsorgane im vorliegenden Fall der Rechtsmittelführerin jedoch keine Gelegenheit gegeben haben, ihren Standpunkt zu der Frage vorzutragen, ob die Sanktionen gegen sie gerechtfertigt sind und ob sie in Kraft bleiben sollen. Dass auf der Ebene der Vereinten Nationen ein Verfahren zur Streichung von der Liste existiert, ist insoweit kein Trost. In diesem Verfahren hat ein Betroffener die Möglichkeit, beim Sanktionsausschuss oder bei seiner Regierung ein Ersuchen auf Streichung seines Namens von der Liste zu stellen(52). Die Bearbeitung dieses Ersuchens erfolgt im Wege einer rein zwischenstaatlichen Konsultation. Der Sanktionsausschuss ist nicht verpflichtet, die Stellungnahmen des Ersuchenden auch tatsächlich zu berücksichtigen. Ferner gestattet das Streichungsverfahren nicht einmal minimalen Zugang zu den Informationen, auf denen die Entscheidung, den Ersuchenden in die Liste aufzunehmen, beruht. Der Zugang zu diesen Informationen wird sogar unabhängig davon verwehrt, ob die Erforderlichkeit ihrer Geheimhaltung substantiiert dargetan wurde. Ein wesentlicher Zweck des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist, den Betroffenen die Möglichkeit zu verschaffen, ihre Rechte wirksam zu verteidigen, insbesondere in gerichtlichen Verfahren, die nach Abschluss des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens gegebenenfalls eingeleitet werden. In dieser Hinsicht ist die Achtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör unmittelbare Voraussetzung für die Gewährleistung des Anspruchs auf effektive gerichtliche Kontrolle. Verfahrensgarantien auf Verwaltungsebene können niemals die anschließende gerichtliche Kontrolle überflüssig machen. Das Fehlen solcher administrativen Garantien beeinträchtigt somit in erheblicher Weise das Recht der Rechtsmittelführerin auf effektiven gerichtlichen Schutz.

52.      Das Recht auf effektiven gerichtlichen Schutz steht im Spektrum der Grundrechte an prominenter Stelle. Auch wenn bestimmte Beschränkungen dieses Rechts aus zwingenden Gründen zulässig sein mögen, kann doch in einer demokratischen Gesellschaft nicht hingenommen werden, dass der Kernbereich dieses Rechts angetastet wird. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil Klass u. a. ausgeführt hat, „ergibt sich aus dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit u. a., dass ein Eingriff der Exekutive in die Rechte eines Einzelnen einer effektiven Kontrolle unterliegen müssen, die im Regelfall von der Judikative – zumindest in letzter Instanz – ausgeübt werden sollte, da Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Verfahrenssicherheit am besten im Rahmen einer gerichtlichen Kontrolle gewährleistet sind“(53).

53.      Die Rechtsmittelführerin ist seit mehreren Jahren in Anhang I der angefochtenen Verordnung aufgeführt, und die Gemeinschaftsorgane verwehren ihr immer noch die Möglichkeit, die Gründe für ihre fortbestehende Führung in der Liste anzufechten. Sie haben letztlich äußerst schwere Vorwürfe gegen die Rechtsmittelführerin erhoben und auf dieser Grundlage einschneidende Sanktionen gegen sie verhängt. Trotzdem weisen sie die Forderung, die Berechtigung dieser Vorwürfe und die Angemessenheit dieser Sanktionen von einer unabhängigen Instanz überprüfen zu lassen, rundweg zurück. Angesichts dieser Weigerung ist nicht auszuschließen, dass die in der Gemeinschaft gegen die Rechtsmittelführerin verhängten Sanktionen tatsächlich unverhältnismäßig oder sogar gegen den falschen Adressaten gerichtet sind und trotzdem unbefristet in Kraft bleiben können. Der Gerichtshof vermag nicht in Erfahrung zu bringen, ob dies tatsächlich der Fall ist, aber allein das Bestehen einer solchen Möglichkeit ist ein Anathema für eine Gesellschaft, die den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit achtet.

54.      Hätte es auf Ebene der Vereinten Nationen einen genuinen und effektiven Mechanismus gerichtlicher Kontrolle durch eine unabhängige Instanz gegeben, hätte dies die Gemeinschaft vielleicht von ihrer Pflicht entbinden können, eine gerichtliche Kontrolle der in der Gemeinschaftsrechtsordnung geltenden Umsetzungsmaßnahmen zu ermöglichen. Ein derartiger Mechanismus besteht zurzeit jedoch nicht. Wie die Kommission und der Rat selbst in ihren Ausführungen hervorgehoben haben, liegt die Entscheidung, ob eine Person von der Sanktionsliste der Vereinten Nationen gestrichen wird, weiterhin im uneingeschränkten Ermessen des Sanktionsausschusses – eines Organs der Diplomatie. Es ist daher festzustellen, dass auf der Ebene der Vereinten Nationen der Anspruch auf gerichtliche Kontrolle durch eine unabhängige Instanz nicht sichergestellt ist. Demzufolge dürfen die Gemeinschaftsorgane bei der Umsetzung der fraglichen Resolutionen des Sicherheitsrats in die Gemeinschaftsrechtsordnung nicht darauf verzichten, ein ordnungsgemäßes gerichtliches Kontrollverfahren vorzusehen.

55.      Der von der Rechtsmittelführerin vorgebrachte Rechtsmittelgrund, dass die angefochtene Verordnung den Anspruch auf rechtliches Gehör, den Anspruch auf effektive gerichtliche Kontrolle und das Eigentumsrecht verletze, ist demnach begründet. Der Gerichtshof sollte die angefochtene Verordnung für nichtig erklären, soweit sie die Rechtsmittelführerin betrifft.

V –    Ergebnis

56.      Ich schlage dem Gerichtshof vor,

1.         das Urteil des Gerichts vom 21. September 2005, Yusuf und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (T‑306/01), aufzuheben;

2.         die Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 des Rates über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan für nichtig zu erklären, soweit sie die Rechtsmittelführerin betrifft.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Verordnung (EG) Nr. 467/2001 des Rates vom 6. März 2001 über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 337/2000 (ABl. L 67, S. 1). Die Verordnung wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 2062/2001 der Kommission vom 19. Oktober 2001 zur drittmaligen Änderung der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 (ABl. L 277, S. 25) um den Namen der Rechtsmittelführerin ergänzt.


3 – Über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 (ABl. 2002, L 139, S. 9).


4 – Betreffend restriktive Maßnahmen gegen Osama bin Laden, Mitglieder der Al-Qaida-Organisation und die Taliban sowie andere mit ihnen verbündete Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen und zur Aufhebung der Gemeinsamen Standpunkte 96/746/GASP, 1999/727/GASP, 2001/154/GASP und 2001/771/GASP (ABl. 2002, L 139, S. 4). Vgl. insbesondere Art. 3 und den neunten Erwägungsgrund.


5 – S/RES/1267(1999) vom 15. Oktober 1999.


6 – S/RES/1333(2000) vom 19. Dezember 2000.


7 – S/RES/1390(2002) vom 16. Januar 2002.


8 – Betreffend Ausnahmen zu den restriktiven Maßnahmen aufgrund des Gemeinsamen Standpunkts 2002/402/GASP (ABl. 2003, L 53, S. 62).


9 – Verordnung (EG) Nr. 561/2003 des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 im Hinblick auf Ausnahmen vom Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen (ABl. L 82, S. 1).


10 – Slg. 2005, II‑3533.


11 – Randnrn. 107 bis 171 des angefochtenen Urteils.


12 – Randnr. 169 des angefochtenen Urteils.


13 – Randnrn. 190 ff. des angefochtenen Urteils.


14 – In den Randnrn. 226 bis 283 des angefochtenen Urteils.


15 – Diese Bestimmung lautet: „Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser Charta Vorrang“. Es ist allgemein anerkannt, dass diese Bestimmung auch für bindende Entscheidungen des Sicherheitsrats gilt. Vgl. Beschluss des Internationalen Gerichtshofs vom 14. April 1992, Fragen der Auslegung und Anwendung des Montrealer Übereinkommens von 1971 aufgrund des Luftzwischenfalls von Lockerbie (Libysch-Arabische Dschamahirija/Vereinigtes Königreich, I.C.J. Reports 1992, S. 3, Randnr. 39).


16 – Vgl. Randnrn. 286 bis 346 des angefochtenen Urteils.


17 – Urteil vom 5. Februar 1963 (26/62, Slg. 1963, 1, S. 25).


18 – Urteil vom 23. April 1986, Les Verts (294/83, Slg. 1986, 1339, Randnr. 23).


19 – Vgl. z. B. Urteile vom 4. Dezember 1974, Van Duyn (41/74, Slg. 1974, 1337, Randnr. 22), und vom 24. November 1992, Poulsen und Diva Navigation (C‑286/90, Slg. 1992, I‑6019, Randnrn. 9 bis 11).


20 – Vgl. z. B. Urteile vom 11. September 2007, Merck Genéricos‑Produtos Farmacêuticos (C‑431/05, Slg. 2007, I‑0000), vom 14. Dezember 2000, Dior u. a. (C‑300/98 und C‑392/98, Slg. 2000, I‑11307, Randnr. 33), vom 16. Juni 1998, Racke (C‑162/96, Slg. 1998, I‑3655), vom 12. Dezember 1972, International Fruit Company u. a. (21/72 bis 24/72, Slg. 1972, 1219), sowie Urteil Poulsen und Diva Navigation, in Fn. 19 angeführt).


21 – Urteil vom 30. Mai 2006 (C‑317/04 und C‑318/04, Slg. 2006, I‑4721). Vgl. auch Urteil vom 9. August 1994, Frankreich/Kommission (C‑327/91, Slg. 1994, I‑3641).


22 – Gutachten 2/94 vom 28. März 1996, (Slg. 1996, I‑1759, Randnr. 35).


23 – Vgl. z. B. Beschluss 1/78 vom 14. November 1978 (Slg. 1978, 2151, Randnr. 33), Gutachten 2/91 vom 19. März 1993 (Slg. 1993, I‑1061, Randnrn. 36 bis 38), und Urteil vom 19. März 1996, Kommission/Rat (C‑25/94, Slg. 1996, I‑1469, Randnrn. 40 bis 51).


24 – Urteil vom 10. März 1998 (C‑122/95, Slg. 1998, I‑973).


25 – Vgl. z. B. Gutachten 2/94, in Fn. 22 angeführt, Randnrn. 30, 34 und 35.


26 – Urteil vom 30. Juli 1996 (C‑84/95, Slg. 1996, I‑3953).


27 – Ebd., Randnr. 26.


28 – Die Beschlagnahme des Flugzeugs der Bosphorus Airways erfolgte gemäß der Resolution 820(1993) des Sicherheitsrats. Der Sanktionsausschuss der Vereinten Nationen hatte beschlossen, dass eine Nichtbeschlagnahme seitens der Behörden einen Verstoß gegen die Resolution darstellt.


29 – Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs in der Rechtssache Bosphorus (Urteil in Fn. 26 angeführt), Nr. 53. Vgl. auch Gutachten 2/94, in Fn. 22 angeführt, Randnr. 34.


30 – Randnrn. 235 bis 241 des angefochtenen Urteils.


31 – Art. 297 EG und 60 Abs. 2 EG. Vgl. auch Urteile vom 17. Oktober 1995, Werner (C‑70/94, Slg. 1995, I‑3189), Leifer u. a. (C‑83/94, Slg. 1995, I‑3231), und die Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs in der Rechtssache Kommission/Griechenland (C‑120/94, Beschluss vom 19. März 1996, Slg. 1996, I‑1513).


32 – Urteil vom 14. Januar 1997, Centro‑Com (C‑124/95, Slg. 1997, I‑81, Randnr. 25).


33 – Urteil vom 18. Juni 1991 (C‑260/89, Slg. 1991, I‑2925). Vgl. auch Urteile vom 26. Juni 1997, Familiapress (C‑368/95, Slg. 1997, I‑3689), und vom 11. Juli 2002, Carpenter (C‑60/00, Slg. 2002, I‑6279).


34 – In bestimmten Rechtssystemen wäre es wohl sehr unwahrscheinlich, dass nationale Maßnahmen zur Durchführung von Resolutionen des Sicherheitsrats der gerichtlichen Kontrolle entzogen wären (was übrigens zeigt, dass eine Entscheidung des Gerichtshofs, Maßnahmen wie die angefochtene Verordnung von der gerichtlichen Kontrolle auszunehmen, in einigen nationalen Rechtsordnungen Schwierigkeiten für die Rezeption des Gemeinschaftsrechts bereiten würde). Vgl. z. B. die nachstehenden Nachweise. Deutschland: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14. Oktober 2004 (Görgülü), 2 BvR 1481/04, veröffentlicht in NJW 2004, S. 3407‑3412. Tschechische Republik: Ústavní soud, 15 April 2003 (I. ÚS 752/02); Ústavní soud, 21. Februar 2007 (I. ÚS 604/04). Italien: Corte Costituzionale, 19. März 2001, Nr. 73. Ungarn: 4/1997 (I. 22.) AB határozat. Polen: Orzecznictwo Trybunału Konstytucyjnego (zbiór urzędowy), 27. April 2005, P 1/05, pkt 5.5, Serie A, 2005 Nr. 4, poz. 42, und Orzecznictwo Trybunału Konstytucyjnego (zbiór urzędowy), 2. Juli 2007, K 41/05, Serie A, 2007 Nr. 7, poz. 72.


35 – In Fn. 18 angeführt, Randnr. 23.


36 – Urteil vom 12. Juni 2003 (C‑112/00, Slg. 2003, I‑5659, Randnr. 73).


37 – Als Beispielsfall aus jüngerer Zeit zu den Pflichten der Mitgliedstaaten aus Art. 307 EG vgl. Urteil vom 1. Februar 2005, Kommission/Österreich (C‑203/03, Slg. 2005, I‑935, Randnr. 59).


38 – Vgl. in diesem Sinne zur Notwendigkeit einer einheitlichen völkerrechtlichen Vertretung der Gemeinschaft Gutachten 1/94 vom 15. November 1994 (Slg. 1994, I‑5267, Randnrn. 106 bis 109), und Urteil Kommission/Rat, in Fn. 23 angeführt, Randnrn. 40 bis 51.


39 – Der Ausdruck „politische Frage“ wurde von Chief Justice Taney vom Supreme Court der Vereinigten Staaten in der Rechtssache Luther v. Borden, 48 U.S. 1 (1849), S. 46 und 47, geprägt. Die genaue Bedeutung dieses Begriffs – bezogen auf die Gemeinschaft – ist keineswegs klar. Die Kommission hat das von ihr in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Argument nicht weiter vertieft, aber die These lautet wohl, dass der Gerichtshof sich der Ausübung der gerichtlichen Kontrolle zu enthalten habe, da es keine rechtlichen Kriterien gebe, anhand deren die hier erörterten Angelegenheiten beurteilt werden könnten.


40 –      United States Supreme Court, Korematsu v. United States, 323 U.S. 214, 233‑234 (1944) (Murphy, J., dissenting) (Anführungszeichen innerhalb des Zitats ausgelassen).


41 – Montesquieu, De l’Esprit des Lois, Buch XII („Il y a des cas où il faut mettre, pour un moment, un voile sur la liberté, comme l’on cache les statues des dieux“).


42 – Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte „dürfen die Vertragsstaaten im Namen des Kampfes gegen … den Terrorismus nicht alle beliebigen Maßnahmen treffen, die sie für angemessen halten“ (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil Klass u. a. vom 6. September 1978, Serie A Nr. 28, § 49). Ferner hat der genannte Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Bosphorus Airways die Frage seiner Zuständigkeit ausführlich behandelt, ohne auch nur die Möglichkeit anzudeuten, dass ihm die Ausübung gerichtlicher Kontrolle verwehrt sein könnte, weil die gerügten Maßnahmen zur Umsetzung einer Resolution des Sicherheitsrats erlassen worden waren (Urteil Bosphorus Hava Yolları Turizm ve Ticaret Anonim Şirketi [Bosphorus Airways]/Irland vom 30. Juni 2005, Nr. 45036/98, EuGMR 2005-VI). Das Urteil Bosphorus Airways scheint daher für die Ausübung gerichtlicher Kontrolle zu sprechen. Trotzdem soll nach Ansicht des Rates, der Kommission und des Vereinigten Königreichs aus der Zulässigkeitsentscheidung in der Rechtssache Behrami hervorgehen, dass Maßnahmen, die zur Umsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrats erforderlich seien, automatisch außerhalb des Geltungsbereichs der Konvention fielen (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Entscheidung Behrami und Behrami/Frankreich und Saramati/Frankreich, Deutschland und Norwegen vom 2. Mai 2007, Nrn. 71412/01 und 78166/01; vgl. auch die Zulässigkeitsentscheidungen Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Entscheidung Kasumaj/Griechenland vom 5. Juli 2007, Nr. 6974/05, und Entscheidung Gajic/Deutschland vom 28. August 2007, Nr. 31446/02). Das scheint jedoch eine allzu weitgehende Auslegung der Entscheidung des Gerichtshofs zu sein. In der Rechtssache Behrami ging es um den Vorwurf einer Grundrechtsverletzung durch eine im Kosovo eingesetzte Sicherheitstruppe, die unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen tätig geworden war. Die beschwerdegegnerischen Staaten hatten Streitkräfte für diese Sicherheitstruppe gestellt. Gleichwohl lehnte der Gerichtshof die Zuständigkeit ratione personae im Wesentlichen deshalb ab, weil die letzte Hoheitsgewalt und Kontrolle über den Sicherheitseinsatz beim Sicherheitsrat verblieben und daher die streitgegenständlichen Handlungen und Unterlassungen den Vereinten Nationen und nicht den beschwerdegegnerischen Staaten zuzurechnen seien (vgl. §§ 121 und 133 bis 135 der Entscheidung). Dabei grenzte der Gerichtshof die Rechtssache übrigens sorgfältig von der Rechtssache Bosphorus Airways ab (vgl. insbesondere § 151 der Entscheidung). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte scheint daher den Standpunkt einzunehmen, dass er in Fällen, in denen die streitigen Handlungen nach Völkerrechtssätzen den Vereinten Nationen zuzurechnen sind, keine Zuständigkeit ratione personae besitzt, weil die Vereinten Nationen keine Vertragspartei der Konvention sind. Wenn hingegen die Behörden eines Vertragsstaats Verfahrensschritte ergriffen haben, um eine Resolution des Sicherheitsrats in die nationale Rechtsordnung umzusetzen, sind die daraufhin erlassenen Maßnahmen dem Staat zuzurechnen und unterliegen daher der gerichtlichen Kontrolle gemäß der Konvention (vgl. auch die Zulässigkeitsentscheidung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Entscheidung Beric u. a./Bosnien und Herzegowina vom 16. Oktober 2007, Nrn. 36357/04, 36360/04, 38346/04, 41705/04, 45190/04, 45578/04, 45579/04, 45580/04, 91/05, 97/05, 100/05, 101/05, 1121/05, 1123/05, 1125/05, 1129/05, 1132/05, 1133/05, 1169/05, 1172/05, 1175/05, 1177/05, 1180/05, 1185/05, 20793/05 und 25496/05, §§ 27 bis 29).


43 – Vgl. z. B. Urteil vom 14. Oktober 2004, Omega Spielhallen (C‑36/02, 2004, I‑9609, Randnr. 33).


44 – Vgl. die Präambel der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) sowie Art. 19 EMRK und Art. 46 Abs. 1 EMRK.


45 – Vgl. Art. 46 Abs. 2 EMRK.


46 – Bericht vom 16. August 2006 des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus (A/61/267), Nr. 39: „Da die Aufnahme [in die Liste] das Einfrieren von Vermögenswerten zur Folge hat, ist das Recht, die Aufnahme anzufechten, eine Notwendigkeit. Auf internationaler Ebene existieren solche Verfahren gegenwärtig nicht. Es gibt sie in einigen Fällen auf nationaler Ebene. Der Sonderberichterstatter ist der Ansicht, dass, wenn keine sachgerechten oder angemessenen internationalen Kontrollen zur Verfügung stehen, nationale Kontrollverfahren – selbst für internationale Listen – notwendig sind. Diese sollten in den Staaten verfügbar sein, die die Sanktionen anwenden.“


47 – Vgl. insbesondere den Zweiten Bericht des Analytical Support and Sanctions Monitoring Team (S/2005/83), wo es in Nr. 54 heißt: „Die Art und Weise, wie Einrichtungen und Personen in die vom Rat geführte Liste aufgenommen werden, und das Fehlen von Kontrollen oder Rechtsmitteln zugunsten derjenigen, die in der Liste genannt sind, werfen ernsthafte Fragen zur Verantwortlichkeit auf und verletzen möglicherweise Grundrechtsnormen und -konventionen“, und in Nr. 58: „Durch ein revidiertes Verfahren ließe sich die Gefahr einer oder mehrerer möglicherweise negativer Gerichtsentscheidungen reduzieren.“ In diesem Zusammenhang erwähnt der Bericht ausdrücklich den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften. Vgl. auch Anhang I zum Sechsten Bericht des Analytical Support and Sanctions Monitoring Team (S/2007/132) mit einem Überblick über gerichtliche Klagen gegen bestimmte Aspekte des Sanktionsprogramms.


48 – Gemäß Art. 61 der Satzung des Gerichtshofs.


49 –      Oberstes Gericht Israels, HCJ 769/02 [2006], Öffentlicher Ausschuss gegen Folter in Israel u. a./Israelische Regierung, Randnrn. 61 f. (Anführungszeichen innerhalb des Zitats ausgelassen).


50 – Urteil vom 24. Oktober 1996, Lisrestal u. a. (C‑32/95 P, Slg. 1996, I‑5373, Randnr. 21). Vgl. auch Art. 41 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.


51 – Urteil vom 25. Juli 2002, Unión de Pequeños Agricultores/Rat (C‑50/00 P, Slg. 2002, I‑6677, Randnrn. 38 f.). Vgl. auch Art. 47 der Charta der Grundrechte sowie Art. 6 EMRK und 13 EMRK.


52 – Das Verfahren zur Streichung von der Liste hat sich seit dem erstmaligen Erlass der Maßnahmen gegen die Rechtsmittelführerin mehrfach geändert. Nach der ursprünglichen Regelung konnte der Betroffene das Ersuchen auf Streichung von der Liste nur an den Staat, dessen Angehöriger er ist, oder an den Staat seines Wohnsitzes richten. Nach dem derzeit geltenden Verfahren können Personen ein Ersuchen auf Streichung von der Liste entweder über einen sogenannten „Focal Point“ der Vereinten Nationen oder über ihren Wohnsitzstaat oder den Staat, dessen Angehörige sie sind, stellen. Der im Wesentlichen zwischenstaatliche Charakter des Streichungsverfahrens hat sich indessen nicht geändert. Vgl. Resolution 1730(2006) des Sicherheitsrats vom 19. Dezember 2006 sowie die Arbeitsrichtlinien des Sanktionsausschusses (Guidelines of the Committee for the Conduct of its Work), die über das Internetportal http://www.un.org/sc/committees/1267/index.shtml abgerufen werden können.


53 – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil Klass u. a., in Fn. 42 angeführt, § 55.