Language of document : ECLI:EU:C:2016:848

Rechtssache C‑449/14 P

DTS Distribuidora de Televisión Digital SA

gegen

Europäische Kommission

„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Beihilferegelung zugunsten der nationalen Rundfunk- und Fernsehanstalt – Verpflichtungen aus einem öffentlichen Auftrag – Ausgleichszahlung – Art. 106 Abs. 2 AEUV – Beschluss, mit dem die Beihilferegelung für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird – Änderung der Finanzierungsweise – Steuerliche Maßnahmen – Abgabe der Betreiber von Bezahlfernsehangeboten – Beschluss, mit dem die geänderte Beihilferegelung für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird – Berücksichtigung der Finanzierungsweise – Vorliegen eines zwingenden Verwendungszusammenhangs zwischen der Abgabe und der Beihilferegelung – Unmittelbarer Einfluss des Aufkommens der Abgabe auf den Umfang der Beihilfe – Deckung der Nettokosten für die Erfüllung des öffentlichen Auftrags – Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Abgabenschuldner und dem Beihilfeempfänger – Verfälschung des nationalen Rechts“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 10. November 2016

1.        Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Beschränkung durch die Praktischen Anweisungen des Gerichtshofs für die Parteien – Hinweischarakter und fehlende Rechtsverbindlichkeit der Anweisungen

(Praktische Anweisungen des Gerichtshofs für die Parteien, Erwägungsgründe 1 und 3 sowie Nr. 20)

2.        Rechtsmittel – Gründe – Bloße Wiederholung der vor dem Gericht vorgetragenen Gründe und Argumente – Unzulässigkeit – Beanstandung der Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts durch das Gericht – Zulässigkeit

(Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV; Satzung des Gerichtshofs, Art. 58 Abs. 1; Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 168 Abs. 1 Buchst. d)

3.        Rechtsmittel – Gründe – Fehlerhafte Tatsachen- und Beweiswürdigung – Überprüfung der Beweiswürdigung durch den Gerichtshof – Ausschluss außer bei Verfälschung

(Art. 256 AEUV; Satzung des Gerichtshofs, Art. 58 Abs. 1)

4.        Staatliche Beihilfen – Bestimmungen des Vertrags – Geltungsbereich – Abgaben – Ausschluss außer für die eine Beihilfe finanzierenden Abgaben – Zur teilweisen Finanzierung einer Beihilfe dienende Abgabe, die den Konkurrenten des Begünstigten im Hinblick auf die Erfüllung eines öffentlichen Auftrags durch ihn auferlegt wird, nicht aber ihm selbst – Beweis für einen zwingenden Verwendungszusammenhang zwischen der Abgabe und der Finanzierung der betreffenden Beihilfe – Fehlen

(Art. 107 AEUV und 108 AEUV)

5.        Rechtsmittel – Anschlussrechtsmittel – Gegenstand – Erfordernis der Stützung auf andere als die in der Rechtsmittelbeantwortung geltend gemachten Gründe

(Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 178 Abs. 3 Satz 2)

6.        Gerichtliches Verfahren – Streithilfe – Andere Gründe als die der unterstützten Partei – Zulässigkeit – Voraussetzung – Anknüpfung an den Streitgegenstand

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 40; Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 129 und 132 Abs. 2 Buchst. b)

1.      Die Praktischen Anweisungen für die Parteien in den Rechtssachen vor dem Gerichtshof haben Hinweischarakter und sind nicht rechtsverbindlich. Wie sich nämlich aus ihren Erwägungsgründen 1 bis 3 ergibt, wurden sie erlassen, um die Vorschriften über den Ablauf des Verfahrens vor dem Gerichtshof im Interesse einer geordneten Rechtspflege zu ergänzen und zu präzisieren, und sollen die einschlägigen Bestimmungen der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und der Verfahrensordnung des Gerichtshofs nicht ersetzen.

Aus dem Wortlaut von Nr. 20 der Praktischen Anweisungen, wo es heißt, dass die „Rechtsmittelschrift …, sofern keine besonderen Umstände vorliegen, 25 Seiten nicht überschreiten sollte“, geht klar hervor, dass sie keine absolute Begrenzung der Seitenzahl vorschreibt, von der die Zulässigkeit eines Rechtsmittels abhängt, sondern den Parteien lediglich eine Empfehlung gibt.

Folglich kann ein Rechtsmittel nicht wegen Überschreitung einer bestimmten Seitenzahl als unzulässig zurückgewiesen werden.

(vgl. Rn. 24-26)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 27-29)

3.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 43-45, 49)

4.      Abgaben fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vorschriften des Vertrags über staatliche Beihilfen, es sei denn, dass sie die Art der Finanzierung einer Beihilfemaßnahme darstellen, so dass sie Bestandteil dieser Maßnahme sind.

Damit eine Abgabe als Bestandteil einer Beihilfemaßnahme angesehen werden kann, muss die einschlägige nationale Regelung einen zwingenden Verwendungszusammenhang zwischen der Abgabe und der Beihilfe in dem Sinne herstellen, dass das Aufkommen aus der Abgabe notwendig für die Finanzierung der Beihilfe verwendet wird und deren Umfang und folglich die Beurteilung ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt unmittelbar beeinflusst.

Im Rahmen steuerlicher Maßnahmen zur teilweisen Finanzierung einer Beihilfe, die den Konkurrenten des Begünstigten im Hinblick auf die Erfüllung eines öffentlichen Auftrags durch ihn auferlegt werden, nicht aber ihm selbst, sind diese steuerlichen Maßnahmen unter folgenden Voraussetzungen nicht Bestandteil der Beihilfe: Der Beihilfebetrag richtet sich nach den Nettokosten für die Erfüllung des öffentlichen Auftrags, falls die Steuereinnahmen die Kosten für die Erfüllung dieses Auftrags überschreiten, wird der Überschuss einem Rücklagenfonds zugewiesen oder fließt in die Staatskasse, und wenn die Einnahmen nicht zur Deckung der Kosten ausreichen, ist der Mitgliedstaat verpflichtet, die Differenz auszugleichen.

Da nämlich das Aufkommen aus den fraglichen steuerlichen Maßnahmen keinen unmittelbaren Einfluss auf den Umfang der Beihilfe hat, weil weder ihre Gewährung noch ihre Höhe von diesem Aufkommen abhängt und es insofern nicht notwendig für die Finanzierung der Beihilfe verwendet wird, als ein Teil des Aufkommens für andere Zwecke verwendet werden kann, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein zwingender Verwendungszusammenhang zwischen den steuerlichen Maßnahmen und der fraglichen Beihilfe besteht.

Überdies würde die etwaige Unanwendbarkeit der fraglichen steuerlichen Maßnahmen infolge ihrer etwaigen Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht nicht unmittelbar dazu führen, dass die Beihilfe in Frage gestellt würde, weil der Mitgliedstaat verpflichtet ist, die Differenz zwischen den Finanzierungsquellen, über die der Beihilfeempfänger verfügt, und seinen gesamten Kosten für die Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem öffentlichen Auftrag auszugleichen.

Zudem reicht der Umstand, dass anderen Gesellschaften durch die Pflicht zur Entrichtung der Abgabe ein zusätzlicher Wettbewerbsnachteil auf den Märkten entsteht, auf denen sie mit dem Begünstigten, der die Abgabe nicht zu entrichten hat, in Wettbewerb stehen, nicht zum Nachweis dafür aus, dass die Abgabe Bestandteil der Beihilfe ist. Ob eine Abgabe Bestandteil einer durch eine Abgabe finanzierten Beihilfe ist, hängt nämlich nicht davon ab, ob ein Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Schuldner der Abgabe und dem Empfänger der Beihilfe besteht, sondern allein davon, dass nach der einschlägigen nationalen Regelung zwischen der Abgabe und der betreffenden Beihilfe ein zwingender Verwendungszusammenhang besteht.

Würde man anders entscheiden, müsste jede auf sektorieller Ebene erhobene Abgabe, die in einem Wettbewerbsverhältnis zu dem Begünstigten einer durch die Abgabe finanzierten Beihilfe stehende Wirtschaftsteilnehmer trifft, anhand der Art. 107 und 108 AEUV geprüft werden.

(vgl. Rn. 65, 68-72, 77, 79-81, 83)

5.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 108, 110)

6.      Eine Partei, die gemäß Art. 40 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union in einem bei ihm anhängigen Rechtsstreit als Streithelfer zugelassen wird, kann den Streitgegenstand, wie er durch die Anträge und die Klage- und Verteidigungsgründe der Hauptparteien umschrieben wird, nicht ändern. Folglich ist nur Vorbringen eines Streithelfers zulässig, das sich in dem durch diese Anträge sowie Klage- und Verteidigungsgründe festgelegten Rahmen hält.

Überdies heißt es zwar in Art. 132 Abs. 2 Buchst. b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, dass der Streithilfeschriftsatz die vom Streithelfer geltend gemachten Gründe und Argumente enthalten muss, doch bedeutet dies nicht, dass es dem Streithelfer freistünde, neue Gründe geltend zu machen, die sich von den vom Kläger geltend gemachten unterscheiden. Denn diese Bestimmung fügt sich in den Rahmen der durch das Streithilfeverfahren festgelegten Beschränkungen ein und ist im Licht von Art. 129 der Verfahrensordnung auszulegen, wonach die Streithilfe nur die völlige oder teilweise Unterstützung der Anträge einer Partei zum Gegenstand haben kann, wonach sie akzessorisch zum Rechtsstreit zwischen den Hauptparteien ist und wonach der Streithelfer den Rechtsstreit in der Lage annehmen muss, in der er sich zum Zeitpunkt des Streitbeitritts befindet.

(vgl. Rn. 114, 121)