Language of document : ECLI:EU:C:2019:1012

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 26. November 2019(1)

Verbundene Rechtssachen C566/19 PPU und C626/19 PPU

Parquet général du Grand-Duché de Luxembourg

gegen

JR

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour d’appel [Chambre du conseil] [Spezialkammer des Berufungsgerichts, Luxemburg])

und

Openbaar Ministerie

gegen

YC

(Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Amsterdam [Gericht erster Instanz Amsterdam, Niederlande])

„Vorlagefrage – Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Rahmenbeschluss 2002/584/JI – Europäischer Haftbefehl – Ausstellende Justizbehörde – Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft – Von einem französischen Staatsanwalt ausgestellter Europäischer Haftbefehl – Staatsanwaltschaft, die einerseits für die Strafverfolgung und andererseits für die Kontrolle der Ausstellungsvoraussetzungen und der Verhältnismäßigkeit eines Europäischen Haftbefehls zuständig ist – Voraussetzung des Bestehens eines wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung über den Erlass eines Europäischen Haftbefehls“






1.        Der Gerichtshof hat sich erneut mit Vorabentscheidungsersuchen zu befassen, in denen er klären muss, ob die Staatsanwaltschaft (in diesem Fall die Staatsanwaltschaft der Französischen Republik) als „ausstellende Justizbehörde“ eines Europäischen Haftbefehls (EHB) im Sinn von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI(2) angesehen werden kann.

2.        Die von einem luxemburgischen (Rechtssache C‑566/19 PPU) und einem niederländischen Gericht (Rechtssache C‑626/19 PPU) vorgelegten Fragen beziehen sich insbesondere darauf, wie das Urteil des Gerichtshofs OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau)(3) auszulegen ist.

3.        Dieselben Fragen haben sich im Hinblick auf die Staatsanwaltschaften Schwedens (Rechtssache C‑625/19 PPU) und Belgiens (Rechtssache C‑627/19 PPU) gestellt, zu denen ich heute ebenfalls meine Schlussanträge vorlege.

4.        Auch wenn mein grundsätzlicher Standpunkt derselbe ist wie der, den ich in den Rechtssachen OG (Staatsanwaltschaft Lübeck) und PI (Staatsanwaltschaft Zwickau)(4) und in der Rechtssache PF (Generalstaatsanwalt von Litauen)(5) vertreten habe, habe ich mich jetzt mit der Auslegung dieses Urteils sowie des Urteils vom 9. Oktober 2019(6) in einer ähnlich gelagerten Rechtssache zu befassen.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

5.        Ich verweise diesbezüglich auf die Wiedergabe der Erwägungsgründe 5, 6, 8, 10 und 12 sowie der Art. 1 bis 9 des Rahmenbeschlusses in den Schlussanträgen OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau).

B.      Nationales Recht. Code de procédure pénale(7)

6.        Der in Kapitel Ibis („Zuständigkeiten des Justizministers“) des Ersten Titels („Behörden, denen die Durchführung der Strafrechtspolitik, der Strafverfolgung und der strafrechtlichen Ermittlungen obliegt“) des ersten Buchs des CPP enthaltene Art. 30 bestimmt:

„Der Justizminister führt die von der Regierung festgelegte Strafrechtspolitik durch. Er wacht über ihre kohärente Umsetzung im Hoheitsgebiet der Republik.

Hierfür erteilt er den Beamten der Staatsanwaltschaft allgemeine Weisungen.

Er kann ihnen jedoch keine Weisungen in Einzelfällen erteilen.

Er veröffentlicht jedes Jahr einen Bericht über die Umsetzung der von der Regierung festgelegten Strafrechtspolitik, in dem er erläutert, wie diese Politik und die in Anwendung von Abs. 2 von ihm erteilten allgemeinen Weisungen ausgeführt worden sind. Dieser Bericht ist dem Parlament zu übermitteln und kann in der Nationalversammlung und im Senat zum Gegenstand einer Debatte gemacht werden.“

7.        In Art. 36 der französischen Strafprozessordnung, der in Kapitel II des Ersten Titels des Ersten Buchs, konkret im zweiten Abschnitt („Zuständigkeiten des Generalstaatsanwalts bei den Berufungsgerichten“) dieses Kapitels, enthalten ist, heißt es:

„Der Generalstaatsanwalt [bei den Berufungsgerichten] kann durch schriftliche Weisungen an die Staatsanwälte der Republik, die zu den Verfahrensakten zu reichen sind, anordnen, Ermittlungen durchzuführen bzw. durchführen zu lassen oder dem zuständigen Gericht die schriftlichen Anträge zu übermitteln, die er für angebracht hält.“

II.    Verfahren und Vorlagefragen

A.      Rechtssache C566/19 PPU

8.        Am 24. April 2019 stellte die stellvertretende Staatsanwältin beim Tribunal de Grande Instance de Lyon (Landgericht Lyon, Frankreich) einen Europäischen Haftbefehl zum Zweck der Strafverfolgung gegen JR aus.

9.        Mit einer Entscheidung vom 19. Juni 2019 beschloss die Spezialkammer des Tribunal d’arrondissement (Bezirksgericht) Luxemburg, dass JR den französischen Behörden zu übergeben sei.

10.      JR legte gegen diese Entscheidung einen Rechtsbehelf beim vorlegenden Gericht ein und beantragte, soweit hier von Interesse, die Feststellung, dass der EHB nichtig sei, da die ausstellende Behörde keine „Justizbehörde“ im Sinn von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses sei. Die französische Staatsanwaltschaft könne mittelbaren Weisungen der Exekutive unterliegen, was mit den vom Gerichtshof für diese Materie festgelegten Kriterien nicht vereinbar sei.

11.      Unter diesen Umständen hat die Cour d’appel (Chambre du conseil) (Spezialkammer des Berufungsgerichts, Luxemburg) beschlossen, dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist die französische Staatsanwaltschaft beim untersuchenden oder erkennenden Gericht, die in Frankreich nach dem Recht dieses Mitgliedstaats für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls zuständig ist, auch dann als im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 autonome ausstellende Justizbehörde anzusehen, wenn sie die Wahrung der notwendigen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls und die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die in der Strafakte gegebenen Umstände überwachen soll und gleichzeitig die Strafverfolgungsbehörde in dieser Sache ist?

B.      Rechtssache C626/19 PPU

12.      Am 27. März 2019 stellte der Staatsanwalt beim Tribunal de grande instance de Tours (Landgericht Tours, Frankreich) einen EHB zum Zweck der Strafverfolgung gegen YC aus, der am 5. April 2019 in den Niederlanden festgenommen wurde.

13.      Die Rechtbank Amsterdam (Gericht erster Instanz Amsterdam, Niederlande), die mit der Entscheidung über die Vollstreckung des EHB befasst ist, legt folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1.      Ist ein Staatsanwalt, der an der Rechtspflege im Ausstellungsmitgliedstaat mitwirkt, bei der Wahrnehmung seiner mit der Ausstellung eines EHB unmittelbar zusammenhängenden Aufgaben unabhängig handelt und einen EHB ausgestellt hat, als ausstellende Justizbehörde im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses anzusehen, wenn ein Richter im Ausstellungsmitgliedstaat die Voraussetzungen für die Ausstellung eines EHB und insbesondere seine Verhältnismäßigkeit im Vorfeld der tatsächlichen Entscheidung dieses Staatsanwalts über die Ausstellung des EHB geprüft hat?

2.      Sofern die erste Frage verneint wird: Ist die Voraussetzung, dass im Sinne von Rn. 75 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) die Entscheidung des Staatsanwalts über die Ausstellung eines EHB und insbesondere ihre Verhältnismäßigkeit in einer Weise gerichtlich überprüfbar sein müssen, die den Erfordernissen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes voll und ganz genügt, erfüllt, wenn der gesuchten Person nach ihrer tatsächlichen Übergabe ein Verfahren offensteht, in dem beim Richter im Ausstellungsmitgliedstaat die Nichtigkeit des EHB geltend gemacht werden kann und dieser Richter u. a. die Verhältnismäßigkeit der Entscheidung über die Ausstellung des EHB prüft?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof und Standpunkte der Parteien

14.      Die Rechtssache C‑566/19 ist am 25. Juli 2019 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen worden; ein Antrag auf Entscheidung im Wege des Eilvorabentscheidungsverfahrens wurde vom vorlegenden Gericht nicht gestellt.

15.      Die Rechtssache C‑626/19 PPU ist am 22. August 2019 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen worden. Aufgrund der im Ausgangsverfahren angeordneten Haft hat das vorlegende Gericht beantragt, das Eilvorabentscheidungsverfahren anzuwenden.

16.      Der Gerichtshof verfügte hinsichtlich beider Rechtssachen die Durchführung des Eilverfahrens und verband sie zu gemeinsamem Verfahren und gemeinsamem Endurteil.

17.      JR, die französische und die niederländische Regierung, der Generalstaatsanwalt von Luxemburg, die niederländische Staatsanwaltschaft und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

18.      Die öffentliche Verhandlung fand am 24. Oktober 2019 statt und wurde zusammen mit den Verhandlungen in den Rechtssachen C‑625/19 PPU und C‑627/19 PPU abgehalten. An ihr nahmen JR, YC, XD, ZB, der Generalstaatsanwalt von Luxemburg, die niederländische Staatsanwaltschaft, die niederländische, die französische, die schwedische, die belgische, die irische, die spanische, die italienische und die finnische Regierung sowie die Kommission teil.

IV.    Analyse

A.      Vorbemerkungen

19.      In beiden Vorabentscheidungsersuchen geht es darum, festzustellen, ob die französische Staatsanwaltschaft eine „ausstellende Justizbehörde“ im Sinn von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses ist. In jeder von ihnen wird diese Frage jedoch aus einem anderen Blickwinkel formuliert:

–        Das luxemburgische Gericht möchte wissen, ob die französische Staatsanwaltschaft die Voraussetzung der Unabhängigkeit erfüllt, die bei der Behörde, die einen EHB ausstellt, vorliegen muss.

–        Das niederländische Gericht legt die Unabhängigkeit der französischen Staatsanwaltschaft als Prämisse zugrunde, zieht jedoch in Zweifel, dass die von ihr ausgestellten EHB einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen.

20.      Wie schon vorausgeschickt, ergeben sich diese Fragen im Zusammenhang mit den Unklarheiten, die das Urteil OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) bei den vorlegenden Gerichten aufwirft, insbesondere, wenn dort festgestellt wird, dass unter den Begriff „ausstellende Justizbehörde“ in Art. 6 Abs. 1 „nicht die Staatsanwaltschaften … fallen, die der Gefahr ausgesetzt sind, … unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive … unterworfen zu werden“(8).

21.      Folglich ist zu klären:

–        ob die französische Staatsanwaltschaft eine unabhängige Einrichtung ist, was bei jeder Justizbehörde, die einen EHB ausstellt, der Fall sein muss (Rechtssache C‑566/19);

–        falls dies bejaht wird, ob die gerichtliche Prüfung der Voraussetzungen eines EHB bereits vor der „tatsächlichen Entscheidung“ der Staatsanwaltschaft über die Ausstellung erfolgen kann (erste Frage in der Rechtssache C‑626/19 PPU);

–        schließlich, ob es, falls diese Prüfung im Wege eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft stattfinden muss, ausreicht, wenn dieser Rechtsbehelf erst eingelegt werden kann, nachdem die Überhabe stattgefunden hat (zweite Frage in der Rechtssache C‑626/19 PPU).

22.      Um dem luxemburgischen Gericht (Rechtssache C‑566/19) zu antworten, ist es notwendig, sich mit der Argumentation der Urteile OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) und NJ (Staatsanwaltschaft Wien) auseinanderzusetzen. Für die Antwort in der Rechtssache C‑626/19 PPU muss eine Auslegung erarbeitet werden, die die Rn. 68 und 75 des erstgenannten Urteils miteinander in Einklang bringt.

B.      Zur Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft in Frankreich

23.      Nach meiner Auffassung kann die Staatsanwaltschaft aus den bereits an anderer Stelle dargestellten Gründen nicht als „ausstellende Justizbehörde“ im Sinn von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses angesehen werden. Diese Gründe beziehen sich, kurz gesagt, auf den Schutz der Freiheit der Bürger, der Einschränkungen nur dann erfahren darf, wenn dies von einem Richter entschieden wird(9). Folglich könnten weder deutsche Staatsanwälte noch der Generalstaatsanwalt von Litauen noch im vorliegenden Fall die französische Staatsanwaltschaft einen EHB erlassen.

24.      Der Gerichtshof geht zwar ebenfalls davon aus, dass die Behörde, die einen EHB ausstellt, unabhängig sein muss, hat aber ein anderes Konzept befürwortet, das meines Erachtens variiert, je nachdem, ob man das Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems)(10), oder die Urteile vom 27. Mai 2019 in den Rechtssachen OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) bzw. PF (Generalstaatsanwalt von Litauen)(11) betrachtet.

25.      Es ist daher angebracht, die Einzelheiten dieser Rechtsprechung darzustellen.

1.      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu dieser Frage

26.      Für den Gerichtshof reicht aus, „dass die ‚ausstellende Justizbehörde‘ … in der Lage sein muss, diese Aufgabe in objektiver Weise wahrzunehmen, unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Gesichtspunkte und ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Entscheidungsbefugnis Gegenstand externer Anordnungen oder Weisungen, insbesondere seitens der Exekutive, ist, so dass kein Zweifel daran besteht, dass die Entscheidung, den Europäischen Haftbefehl auszustellen, von dieser Behörde getroffen wurde und nicht letzten Endes von der Exekutive“(12).

27.      Aus den gleichen Gründen gilt:

–        Die ausstellende Justizbehörde muss „der vollstreckenden Justizbehörde die Gewähr bieten können, dass sie angesichts der nach der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats bestehenden Garantien bei der Ausübung ihrer der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls innewohnenden Aufgaben unabhängig handelt“.

–        Es ist zudem erforderlich, „dass es Rechts- und Organisationsvorschriften gibt, die zu gewährleisten vermögen, dass die ausstellende Justizbehörde, wenn sie die Entscheidung trifft, einen solchen Haftbefehl auszustellen, nicht der Gefahr ausgesetzt ist, etwa einer Einzelweisung seitens der Exekutive unterworfen zu werden“(13).

–        Die Gefahr, gegebenenfalls Einzelanweisungen der Exekutive befolgen zu müssen, erscheint als Schlüsselelement zur Beurteilung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft als ausstellender Justizbehörde.

28.      Im Urteil OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) war entscheidend, dass der Justizminister der Bundesrepublik Deutschland bzw. die Justizminister der Bundesländer den Staatsanwaltschaften Weisungen erteilen können(14). Dieser Umstand wog schwerer als die Feststellung, „dass die deutschen Staatsanwaltschaften zur Objektivität verpflichtet sind und nicht nur belastende, sondern auch entlastende Umstände zu ermitteln haben“(15).

29.      Im Urteil NJ (Staatsanwaltschaft Wien) wurde aus analogen Gründen festgestellt, dass österreichische Staatsanwälte die Anforderungen an die für die Ausstellung eines EHB erforderliche Unabhängigkeit nicht erfüllen(16).

30.      Demgegenüber war der Generalstaatsanwalt von Litauen für den Gerichtshof als eine „ausstellende Justizbehörde“ anzusehen, da ihm die Verantwortung für die Ausstellung des EHB obliegt und er diesbezüglich über Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive verfügt, die sogar von der nationalen Verfassung garantiert wird(17).

31.      Es ist zu unterstreichen, dass sich die Rechtsprechung bisher zur Abhängigkeit oder Unabhängigkeit einzelner Staatsanwälte, die den Weisungen ihrer Vorgesetzten unterliegen, noch nicht klar geäußert hat(18).

2.      Die Staatsanwaltschaft in Frankreich

32.      Nach den aktenkundig gemachten Informationen konnte in Frankreich der Justizminister bis zum Jahr 2013 den Staatsanwälten Weisungen für Einzelfälle erteilen. Damit würde die Rechtsprechung aus den Urteilen OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) bzw. NJ (Staatsanwaltschaft Wien) dazu führen, dass im davor liegenden Zeitraum die Staatsanwaltschaft Frankreichs nicht als „ausstellende Justizbehörde“ anzusehen war.

33.      Die Abhängigkeit der französischen Staatsanwaltschaft von möglichen Einzelweisungen der Exekutive ist jedoch seit der Reform der französischen Strafprozessordnung im Jahr 2014 nicht mehr gegeben. Jedoch besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass der Justizminister allgemeine Weisungen erteilt (Art. 30 der französischen Strafprozessordnung). Und selbstverständlich besteht auch weiterhin die für die Staatsanwaltschaft charakteristische hierarchische Struktur, so dass deren Mitglieder sowohl im Rahmen der behördlichen Organisation als auch funktional dem Generalstaatsanwalt bei den jeweiligen Gerichten untergeordnet sind. Jeder Staatsanwalt unterliegt damit „der Leitung und Kontrolle seiner Vorgesetzten“(19).

34.      Hieraus ergeben sich zwei Probleme:

–        erstens die Frage, ob die Möglichkeit der Exekutive, den Staatsanwälten allgemeine Weisungen zu erteilen, deren Unabhängigkeit beeinträchtigen kann;

–        zweitens, ob die charakteristischerweise hierarchische Struktur der Staatsanwaltschaften unschädlich ist, was die Unabhängigkeit ihrer Mitglieder anbelangt.

a)      Weisungen im Einzelfall und allgemeine Weisungen

35.      Im verfügenden Teil des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) hat der Gerichtshof sich ausdrücklich nur auf Einzelweisungen bezogen. Allerdings hat er in Rn. 73 ausgeschlossen, dass die Entscheidungsbefugnis des Staatsanwalts „Gegenstand externer Anordnungen oder Weisungen“ sein darf, ohne dies weiter zu präzisieren.

36.      In diesem Fall war es – angesichts der offensichtlichen Möglichkeit, dass der Justizminister deutschen Staatsanwälten Einzelweisungen erteilt – unnötig, sich zum Einfluss von allgemeinen Weisungen auf ihr Handeln zu äußern.

37.      Allerdings glaube ich, dass auch allgemeine Weisungen relevant sein können. In meinen Schlussanträgen OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) habe ich auf die treffenden Formulierungen hingewiesen, mit denen sich der Gerichtshof im Urteil Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) zur Unabhängigkeit der Justizbehörde geäußert hat, die den EHB ausstellt. Diese Unabhängigkeit setzt voraus, „dass die betreffende Einrichtung ihre Funktionen in völliger Autonomie ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, so dass sie auf diese Weise vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten“(20).

38.      Es ist unvorstellbar, dass ein (unabhängiger) Richter sich an Weisungen der Exekutive, so allgemein diese auch sein mögen, halten muss, wenn er über ein so wertvolles Gut wie die Freiheit seiner Mitbürger zu entscheiden hat. Der Richter ist allein dem Gesetz und nicht den strafrechtspolitischen Leitlinien unterworfen, die eine Regierung (durch den Justizminister) vorgibt.

39.      Diese Leitlinien sind für Staatsanwälte in den Mitgliedstaaten von Gesetzes wegen verbindlich, wenn sich diese Mitgliedstaaten dazu entschlossen haben, solche allgemeinen Weisungen zuzulassen. Gerade dies – d. h. die Beschränkung der Fähigkeit, autonom zu handeln, ohne etwas anderem als dem Gesetz unterworfen zu sein – ist der Grund, weshalb den Mitgliedern der Staatsanwaltschaft, die bei der Entscheidung, ob sie den EHB ausstellen oder nicht, den allgemeinen Weisungen der Regierung folgen müssen, nicht der Status einer ausstellenden Justizbehörde zuzuerkennen ist.

40.      Es ist nicht auszuschließen, dass diese allgemeinen Weisungen die Strafrechtspolitik einer bestimmten Regierung konkretisieren(21), indem sie die Mitglieder der Staatsanwaltschaft beispielsweise verpflichten, für einige Delikte oder zumindest für bestimmte Arten von Straftätern EHB auszustellen. Wie kann man jedoch von Entscheidungsunabhängigkeit sprechen, wenn jemand bei der Ausstellung eines Haftbefehls zwingend, sogar gegen seine eigene Überzeugung, diese (allgemeinen) Weisungen der Regierung zu befolgen hat?

41.      Man könnte dem entgegenhalten, dass dies nicht das übliche Szenario darstellt. Ich möchte jedoch wiederholen, dass, wenn es um Freiheitsentziehung geht, der Schutz gegenüber verbindlichen Weisungen der Exekutive (sowohl Weisungen allgemeiner Art als auch, a fortiori, Einzelweisungen) im Bereich des EHB verlangt, dass die Stelle, die über die Freiheit einer Person entscheidet, dies von einer absolut unabhängigen Position aus tut und dass sie nur dem Gesetz und nicht den Hinweisen oder Leitlinien der Exekutive, gleichgültig ob im Einzelfall oder allgemein, unterworfen sein darf.

42.      Ich bin deshalb der Auffassung, dass der Gerichtshof zu der These zurückkehren sollte, die er in Rn. 63 des Urteils Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) aufgestellt hat, wo er bekräftigt hat, dass die Behörde, die den EHB ausstellen muss, nicht mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet sein oder „von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen … erhalten“ darf.

b)      Die hierarchische Unterordnung der Staatsanwaltschaft in Frankreich

43.      Wie ich bereits in den Schlussanträgen OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau), wiederum mit einem Zitat aus dem Urteil Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) vertreten habe, ist „die Unabhängigkeit unvereinbar damit, mit irgendeiner Stelle ‚hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet‘ zu sein“. Mit Blick auf die Gerichte bedeutet dies, dass „d[ie] Träger der rechtsprechenden Gewalt … auch gegenüber den übergeordneten gerichtlichen Instanzen unabhängig [sind], die – auch wenn sie Entscheidungen der Instanzgerichte nachträglich überprüfen und aufheben können – ihnen aber keine Anweisungen erteilen können, wie sie zu entscheiden haben“(22).

44.      Meiner Ansicht nach ist dieses Merkmal der Unabhängigkeit auch für die Staatsanwaltschaft als „ausstellende Justizbehörde“ im Sinn des Rahmenbeschlusses anzuwenden. Folglich können die französischen Staatsanwälte, die, wie es den Anschein hat, außer den allgemeinen Weisungen des Justizministers auch die Anordnungen ihrer Vorgesetzten innerhalb der behördlichen Hierarchie der Staatsanwaltschaft befolgen müssen(23), schwerlich als unabhängig angesehen werden, um als „ausstellende Justizbehörde“ eines EHB tätig werden zu können.

45.      Dies ist im Übrigen auch der Ansatz, den der Gerichtshof im Urteil vom 16. Februar 2017, Margarit Panicello, Rn. 41 und 42, aufgenommen hat, in dem er verneint hat, dass ein anderer an der Rechtspflege mitwirkender Beamter (ein Justizsekretär) dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen kann. Dessen mangelnde Unabhängigkeit ergab sich gerade daraus, dass er „Anweisungen von seinen Vorgesetzten erhält und zu befolgen hat“(24).

46.      Obwohl die Kriterien zur Auslegung von Art. 267 AEUV(25) nicht ganz mit denen in Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses übereinstimmen, glaube ich, dass sie im Grunde dieselbe Besorgnis ausdrücken.

47.      Ich möchte diesbezüglich nochmals auf Rn. 63 des Urteils Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) hinweisen, wonach das Fehlen „hierarchischer Verbindung und Unterordnung“ ein wesentlicher und untrennbarer Bestandteil der Unabhängigkeit ist.

48.      In der Rechtssache, die zum Urteil PF (Generalstaatsanwalt von Litauen) geführt hat, hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Generalstaatsanwalt von Litauen als „ausstellende Justizbehörde“ angesehen werden kann, weil er über einen verfassungsrechtlichen Status verfügt, der ihm, was die Ausstellung des EHB betrifft, Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive gewährt. In der Französischen Republik existiert jedoch keine dem entsprechende verfassungsrechtliche Garantie.

c)      Zur Unparteilichkeit der Staatsanwaltschaft

49.      Das vorlegende luxemburgische Gericht gibt als Grund für seine Zweifel über der Einordnung der französischen Staatsanwaltschaft als „ausstellende Justizbehörde“ eines EHB nicht nur den Status dieser Institution an, sondern auch, dass die Staatsanwälte „die Wahrung der notwendigen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls und die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die in der Strafakte gegebenen Umstände überwachen soll[en] und gleichzeitig in dieser Sache die Strafverfolgungsbehörde [sind]“.

50.      Meines Erachtens haben diese Einwände des vorlegenden Gerichts mehr mit der Unparteilichkeit der Staatsanwaltschaft als mit ihrer Unabhängigkeit zu tun.

51.      Die Staatsanwaltschaft ist definitionsgemäß die „Prozesspartei, die die Strafklage erhebt“(26). Angesichts ihrer Eigenschaft als Partei, die in einem Strafverfahren gegen die andere Partei (den Beschuldigten oder Angeklagten) agiert, müsste es nicht ihr, sondern dem im Verfahren erkennenden Gericht obliegen, die persönliche Situation der gegnerischen Partei bis zu dem Extrem zu bestimmen, ihr die Freiheit zu entziehen.

52.      Diese Prämisse könnte allerdings nuanciert werden, wenn das Gesetz die Staatsanwaltschaft verpflichtet, mit absoluter Objektivität vorzugehen und sowohl die be- als auch die entlastenden Gesichtspunkte, die gegen den bzw. zugunsten des Verdächtigen oder Angeklagten sprechen, zu bewerten und dem Richter darzulegen.

53.      Konkret heißt dies, wenn die Staatsanwaltschaft sich während des Ermittlungsverfahrens an diese Objektivitätspflicht halten muss, entspricht ihre Position der eines Ermittlungsrichters (in den Ländern, in denen diese Einrichtung existiert), zu dessen Befugnissen normalerweise die Ausstellung von EHB gehört, wenn ihr nationales Recht dies vorsieht.

54.      Folglich gehe ich davon aus, dass die Parteieigenschaft der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren nicht damit unvereinbar ist, dass ihr als (nicht nur deontologische, sondern auch rechtliche) Verhaltensregel im Prozess ein unparteiischer Status zuerkannt wird. In diesem Sinn kann das nationale Gesetz – was in Frankreich der Fall ist – klarstellen, dass die Staatsanwaltschaft die öffentliche Anklage erhebt und dass sie „unter Einhaltung des Grundsatzes der Unparteilichkeit, zu der sie verpflichtet ist“, die Anwendung des Strafgesetzes einfordert(27).

55.      Auf jeden Fall meine ich, dass, weil nach dem Vorstehenden und in Anbetracht des institutionellen Zuschnitts der französischen Staatsanwaltschaft nicht gewährleistet ist, dass ihr Handeln bei der Ausstellung eines EHB von jedem Einfluss der Exekutive frei ist, die Frage des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache C‑566/19 zu verneinen ist.

56.      Sollte dies zutreffen, würde es durch diese Antwort unnötig, auf die Fragen des niederländischen Gerichts in der Rechtssache C‑626/19 PPU zu antworten, zumal dieses Gericht von der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft in Frankreich ausgeht, die ich ausschließe. Hilfsweise werde ich diese Fragen jedoch ebenfalls prüfen.

C.      Zur gerichtlichen Überprüfung des EHB der Staatsanwaltschaft

1.      Einleitende Erwägungen

57.      Die Rechtbank Amsterdam (Gericht erster Instanz Amsterdam) hegt Zweifel hinsichtlich der Erfüllung der dritten im Urteil OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) genannten Voraussetzung dafür, dass eine Behörde, die, ohne Richter oder Gericht zu sein, an der Rechtspflege mitwirkt und unabhängig handelt, einen EHB ausstellen kann, dass nämlich gegen ihre Entscheidung ein gerichtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung stehen muss.

58.      Nach Rn. 75 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) müssen, „wenn nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls eine Behörde zuständig ist, die in diesem Mitgliedstaat an der Rechtspflege mitwirkt, aber selbst kein Gericht ist, in dem Mitgliedstaat die Entscheidung über die Ausstellung eines solchen Haftbefehls und insbesondere ihre Verhältnismäßigkeit in einer Weise gerichtlich überprüfbar sein, die den einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen voll und ganz genügt“.

59.      Die Staatsanwaltschaft der Niederlande vertritt die Auffassung, dass der Rechtsbehelf, auf den sich Rn. 75 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) bezieht, nicht zum Tragen komme, wenn auf der ersten der beiden Schutzstufen des im Rahmenbeschluss geregelten Systems eine Entscheidung getroffen worden sei, die den Erfordernissen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes genüge(28).

60.      Nach diesem Verständnis schlössen die in den Rn. 68 und 75 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) vorgesehenen Anforderungen einander aus. Das vorlegende Gericht dagegen ist der Ansicht, beide Anforderungen bestünden nebeneinander und seien daher kumulativ anzuwenden. Ich teile diese Auffassung.

61.      Die in den Rn. 68 und 75 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) enthaltenen Ausführungen werfen in der Tat einige Fragen auf.

62.      In Rn. 68 wird gesagt, dass der zweistufige Schutz im System des EHB „impliziert …, dass zumindest auf einer seiner beiden Stufen eine Entscheidung erlassen wird, die den einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen genügt“(29). Diese Schutzstufen sind:

–        der Schutz „beim Erlass einer nationalen Entscheidung wie eines nationalen Haftbefehls [NHB]“(30);

–        der Schutz bei der Ausstellung eines EHB an sich(31).

63.      Der richtige Sinn der in Rn. 68 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) verwendeten Formulierung „zumindest auf einer seiner beiden Stufen“ erschließt sich erst durch die Lektüre der darauf folgenden Abschnitte.

64.      Nach Rn. 69 muss sich „folglich“, wenn nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats für die Ausstellung eines EHB eine Behörde zuständig ist, die, wie die Staatsanwaltschaft, in diesem Mitgliedstaat an der Rechtspflege mitwirkt, aber kein Richter oder Gericht ist, der EHB auf eine „nationale justizielle Entscheidung – wie ein[en] nationale[n] Haftbefehl –“ stützen. Dieser NHB muss die in Rn. 68 genannten Anforderungen erfüllen, also „die einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen“.

65.      Der von einem Staatsanwalt ausgestellte EHB muss somit auf einen NHB gestützt sein, der von einem Richter oder Gericht, mit anderen Worten, von einer Justizbehörde im engeren Sinn, ausgestellt worden ist. Folglich ist davon auszugehen dass „eine Entscheidung …, die den einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen genügt“, im Sinn von Rn. 68 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) von einem Richter oder Gericht erlassen worden sein muss.

66.      Die zweite Schutzstufe impliziert nach Rn. 71 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau), dass die für die Ausstellung des EHB zuständige Behörde „überprüft, ob die für seine Ausstellung erforderlichen Voraussetzungen eingehalten wurden und ob seine Ausstellung in Anbetracht der Besonderheiten des Einzelfalls verhältnismäßig war“.

67.      Folglich kann ein EHB, der auf einen von einem Richter oder Gericht erlassenen NHB gestützt ist, von einer Staatsanwaltschaft in Mitgliedstaaten ausgestellt werden, in denen diese Behörde an der Rechtspflege mitwirkt und dabei in vollkommener Unabhängigkeit handelt.

68.      Bei dieser Konstellation waren die „einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen“ (d. h. auch die Anforderung, dass eine Justizbehörde im engeren Sinn mitwirkt) bereits auf dem ersten Schutzniveau, nämlich beim Erlass des NHB, auf den der EHB gestützt ist, gewährleistet.

69.      Nach Rn. 75 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) muss die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, den EHB zu erlassen, „in einer Weise gerichtlich überprüfbar sein, die den Erfordernissen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes voll und ganz genügt“.

70.      Die Erforderlichkeit dieses Rechtsbehelfs stellt keine Bedingung dafür dar, dass die Staatsanwaltschaft einen EHB ausstellen kann, d. h. dafür, sie als „ausstellende Justizbehörde“ im Sinn von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses anzusehen. Vielmehr handelt es sich um eine Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Ausstellung des EHB durch die Staatsanwaltschaft und damit um eine Wirksamkeitsvoraussetzung(32).

71.      Dies ergibt sich aus dem Urteil PF (Generalstaatsanwalt von Litauen), in dem der Gerichtshof nach der Feststellung, dass der Generalstaatsanwalt von Litauen als „ausstellende Justizbehörde“ angesehen werden kann, weil er an der Rechtspflege mitwirkt und seine Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive gewährleistet ist, darauf hingewiesen hat, dass nicht zu eruieren sei, ob die Entscheidungen des Generalstaatsanwalts über die Ausstellung eines EHB Gegenstand eines Rechtsbehelfs sein könnten(33). Dieser Umstand hat den Gerichtshof nicht daran gehindert festzustellen, dass dieser Generalstaatsanwalt dem Begriff der „ausstellenden Justizbehörde“ in Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses unterfällt.

72.      Mit anderen Worten ist der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft „ausstellende Justizbehörde“ im Sinn von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses sein kann, wenn bei ihr zwei Merkmale gegeben sind: a) an der Rechtspflege mitzuwirken und b) in der behördlichen Organisation wie auch funktional über einen Status zu verfügen, der ihre Unabhängigkeit gewährleistet.

73.      Erfüllt sie beide Merkmale, kann die Staatsanwaltschaft einen EHB ausstellen. Allerdings muss der EHB auch bei einem Richter oder Gericht im eigentlichen Sinn mit einem Rechtsbehelf angefochten werden können. Existiert ein solcher Rechtsbehelf nicht, beeinträchtigt dies nicht ihre Eigenschaft als „ausstellende Justizbehörde“, sondern vielmehr die Wirksamkeit des von ihr ausgestellten EHB.

2.      Zur ersten Vorlagefrage in der Rechtssache C626/19 PPU

74.      Ist diese Auslegung richtig, dann muss die erste Frage des vorlegenden Gerichts umformuliert werden.

75.      Die Rechtbank Amsterdam (Gericht erster Instanz Amsterdam) fragt, ob „ausstellende Justizbehörde“ im Sinn von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses ein Staatsanwalt sein kann, der im Ausstellungsmitgliedstaat an der Rechtspflege mitwirkt und unabhängig handelt, wenn seine Entscheidung, einen EHB auszustellen, im Vorfeld (und nicht im Nachhinein) von einem Gericht geprüft worden ist.

76.      Aus den dargestellten Gründen glaube ich, dass es nicht darauf ankommt, ob der Staatsanwalt unter den geschilderten Umständen eine „ausstellende Justizbehörde“ ist, sondern darauf, ob der EHB, den er ausgestellt hat, im Vollstreckungsmitgliedstaat Wirksamkeit entfalten kann. Die Prüfung muss sich folglich darauf konzentrieren, ob das Verfahren für den Erlass des EHB fehlerfrei war, nicht darauf, wer ihn ausgestellt hat.

77.      Die Frage wäre daher wie folgt umzuformulieren: „Kann die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Ausstellung eines EHB, der von einem Staatsanwalt erlassen wurde, der als ‚ausstellende Justizbehörde‘ im Sinn von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses anzusehen ist, auch vor der Ausstellung des EHB erfolgt sein?“

78.      Nach den vom vorlegenden Gericht in dieser Rechtssache übermittelten Informationen ist der EHB von einem französischen Staatsanwalt auf Antrag eines Gerichts ausgestellt worden, das kurz zuvor einen NHB erlassen hatte. Im Zusammenhang mit der Ausstellung dieses NHB wird dieses Gericht daher das Vorliegen der Voraussetzungen für die Ausstellung des EHB, insbesondere die Verhältnismäßigkeit, geprüft haben.

79.      Dass das den NHB erlassende Gericht bereits zu diesem Zeitpunkt beurteilt, ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass der Staatsanwalt gleichzeitig einen EHB anordnet (insbesondere, ob dessen Ausstellung verhältnismäßig ist), stellt eine wichtige Garantie für die richtige Anwendung des im Rahmenbeschluss geregelten Mechanismus dar.

80.      Werden NHB und EHB gleichzeitig oder fast unmittelbar nacheinander erlassen, kann man die Gefahr einer zeitlich falschen Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des EHB ausschließen. Diese Gefahr besteht dagegen dann, wenn der EHB sehr viel später angeordnet wird als der NHB: Es ist möglich, dass vor diesem Hintergrund die seinerzeit vom Gericht vorgenommene Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im Nachhinein unrichtig wird und spätere Umstände hinzutreten, die diese Beurteilung abändern können.

81.      Auf diese Möglichkeit nimmt der Gerichtshof in seinem Urteil NJ (Staatsanwaltschaft Wien) Bezug, wenn er unterstreicht, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung, die der Richter vornimmt(34), sich auch auf die Beeinträchtigung der Rechte des Betroffenen erstrecken muss, die über die bereits geprüfte Verletzung seines Rechts auf Freiheit hinausgeht, wofür das Gericht die Auswirkungen des EHB auf die sozialen und familiären Beziehungen des Betroffenen berücksichtigen muss, der sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem Ausstellungsstaat befindet.

82.      Neben dieser von Amts wegen erfolgenden Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Ausstellung eines EHB vorliegen, erwähnt Rn. 75 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) ausdrücklich, dass eine „gerichtliche Überprüfbarkeit“ gegeben sein, d. h. dass auf Antrag der Person, gegen die sich der EHB richtet, eine Überprüfung stattfinden muss.

83.      Zum Zeitpunkt des Erlasses des NHB nimmt der Richter (von Amts wegen) eine eigene Beurteilung auf der Grundlage der Umstände vor, die dazu führen, dass er einen NHB ausstellt, auf den möglicherweise noch ein EHB folgt. Wie die luxemburgische Generalstaatsanwaltschaft hervorgehoben hat, war im dortigen Verfahren die gesuchte Person aus naheliegenden Gründen nicht beteiligt(35).

84.      Allerdings kann diese gerichtliche Tätigkeit naturgemäß den in Rn. 75 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) angeführten „Erfordernissen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes“ nicht genügen. Dieser Schutz hängt stets vom Antrag des Betroffenen ab und spiegelt sich in einem Verfahren wider, in dem er mitwirken und teilnehmen und so sein Recht auf Verteidigung wahrnehmen konnte.

85.      Deshalb kann der in Rn. 75 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) angeführte Rechtsbehelf nicht durch eine gerichtliche Kontrolle wie diejenige ersetzt werden, die zum Zeitpunkt des Erlasses des NHB erfolgt. Da es sich um einen „Rechtsbehelf“ handelt, kann Gegenstand dieser Kontrolle erst der erlassene EHB sein, was zu der Frage führt, wann es möglich sein muss, den Rechtsbehelf einzulegen. Hierum geht es in der zweiten Frage der Rechtssache C‑626/19 PPU.

3.      Zur zweiten Frage in der Rechtssache C626/19 PPU

86.      Das vorlegende Gericht geht als Prämisse davon aus, dass die Möglichkeit bestehen muss, einen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Ausstellung des EHB einzulegen. Auf dieser Grundlage möchte es wissen, ob die Einlegung dieses Rechtsbehelfs möglich sein muss, bevor der EHB vollstreckt wird, oder ob es genügt, dass dieser nach der tatsächlichen Übergabe der gesuchten Person eingelegt werden kann.

87.      Das Urteil OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) äußert sich zu dieser Frage nicht ausdrücklich. Allerdings bin ich diesbezüglich mit der Kommission einer Meinung, dass wegen der Gefahr einer Beeinträchtigung des Rechts auf Freiheit, die die Ausstellung eines EHB impliziert, die Möglichkeit, ihn mit einem gerichtlichen Rechtsbehelf anzufechten, bestehen muss, sobald seine Ausstellung beschlossen worden ist(36). Hiervon sind die Fälle auszunehmen, in denen es aufgrund des Untersuchungsgeheimnisses oder wegen Fluchtgefahr nicht angebracht ist, den EHB dem Betroffenen bekannt zu geben, bis dieser festgenommen worden ist.

88.      Selbstverständlich bietet auch ein von der gesuchten Person nach der Übergabe eingelegter Rechtsbehelf dieser einen gerichtlichen Schutz, allerdings mit geringerer Reichweite als der, den sie gehabt hätte, wenn sie die Maßnahme hätte anfechten und die Beeinträchtigungen (insbesondere die Freiheitsentziehung), die mit der Vollstreckung eines EHB einhergehen, vermeiden können.

89.      Auf jeden Fall ergibt sich, wie der Generalstaatsanwalt von Luxemburg(37) ausgeführt hat, aus Art. 10 Abs. 5 der Richtlinie 2013/48/EU(38), dass der den EHB ausstellende Mitgliedstaat verpflichtet ist, der gesuchten Person vom Vollstreckungsmitgliedstaat aus die Mandatierung eines Rechtsanwalts zu ermöglichen, naheliegenderweise, um ihr die Möglichkeit zur Wahrnehmung ihres Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei den Gerichten des Ausstellungsmitgliedstaats zu geben, ohne bis zu ihrer Übergabe warten zu müssen.

90.      Dass in Rn. 75 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) nichts über den Zeitpunkt gesagt wird, in dem man im Ausstellungsmitgliedstaat gegen den EHB vorgehen können muss, darf deshalb nicht dahin ausgelegt werden, dass es für die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht ausreicht, dass lediglich nach der aufgrund des EHB erfolgten Übergabe des Betroffenen ein Rechtsbehelf zur Verfügung steht.

91.      Nach meiner Beurteilung genügt ein nationales System, das ausschließlich diesen zeitlich nachgelagerten Rechtsbehelf zur Anfechtung des EHB vorsieht und nicht gestattet, den EHB unmittelbar anzufechten(39), nicht „[voll und ganz] den Erfordernissen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes“ im Ausstellungsstaat, auf die der Gerichtshof Bezug nimmt. Der Betroffene muss über einen Rechtsbehelf verfügen, mit dem ein umfassender gerichtlicher Schutz gewährleistet werden kann, da sein Recht auf Freiheit in hohem Maße beeinträchtigt ist.

92.      Dabei ist allerdings – im Sinn des von der Kommission(40) vertretenen Standpunkts – wichtig, hervorzuheben, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs im Ausstellungsmitgliedstaat die Bearbeitung des EHB im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht behindern darf, da dessen Gericht sich an die Bedingungen des Rahmenbeschlusses halten und die dort festgelegten Fristen beachten muss. All dies wirkt sich im Übrigen auch zugunsten der gesuchten Person aus, der während der Durchführung des Übergabeverfahrens ihre Freiheit entzogen ist.

93.      Insgesamt sollten die beiden Vorlagefragen des niederländischen Gerichts zusammen beantwortet werden. Darin sollte hervorgehoben werden, dass auf jeden Fall gewährleistet werden muss, dass dem Betroffenen gegen den von der Staatsanwaltschaft ausgestellten EHB auch dann ein Rechtsbehelf bei einem Richter oder Gericht im engeren Sinn zur Verfügung steht, wenn diesem ein durch einen Richter angeordneter NHB vorausgegangen ist.

4.      Schlussüberlegung

94.      Das vorstehende Ergebnis drängt sich meiner Meinung nach geradezu unausweichlich auf, wenn es darum geht, die in Rn. 75 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) festgelegte Anforderung konsequent anzuwenden.

95.      Diese Anforderung wäre, wie schon ausgeführt, keine notwendige Bedingung dafür, die Staatsanwaltschaft als „ausstellende Justizbehörde“ im Sinn des Rahmenbeschlusses anzusehen. Das ändert aber nichts daran, dass, auch wenn sie diese Bezeichnung in Anspruch nehmen kann, der von der Staatsanwaltschaft ausgestellte EHB einen schweren Mangel aufwiese, wenn es nicht möglich wäre, dagegen einen gerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen.

96.      Letzten Endes würde es wenig nützen, der Staatsanwaltschaft die Eigenschaft einer „ausstellenden Justizbehörde“ zuzusprechen, wenn der von ihr ausgestellte EHB nicht vollstreckt werden könnte, weil er aus einem nationalen System stammt, das keine gerichtlichen Rechtsbehelfe gegen ihn zulässt.

97.      Um diese missliche Wirkung zu vermeiden, könnte der Gerichtshof feststellen, dass die Gerichte der Ausstellungsmitgliedstaaten, deren Vorschriften den Staatsanwaltschaften die Ausstellung von EHB erlauben, bis zu einer entsprechenden Gesetzesänderung(41) ihre Verfahrensvorschriften so auszulegen haben, dass ein Rechtsbehelf im Sinne von Rn. 75 des Urteils OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) gegeben sein muss.

98.      Sollte diese unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich sein (weil sie gegen den Gesetzeswortlaut der nationalen Rechtsordnung verstößt), bestünde meines Erachtens noch eine Notlösung, damit die Anwendung des Rahmenbeschlusses nicht scheitert.

99.      Der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten und die daraus folgende gegenseitige Anerkennung sprechen dafür, das Verfahren nach dem Rahmenbeschluss möglichst einfach zu halten. Unter diesem Blickwinkel glaube ich nicht, dass man den Gründen für die „Ablehnung der Vollstreckung“ eines EHB ohne Weiteres noch einen weiteren, im Rahmenbeschluss nicht explizit vorgesehenen hinzufügen kann, der darin bestünde, dass bei EHB, die von der Staatsanwaltschaft ausgestellt worden sind, nachzuweisen ist, dass die nationalen Vorschriften des Ausstellungsstaats einen Rechtsbehelf bei den Gerichten dieses Staates gestatten.

100. Sollte der vollstreckenden Justizbehörde diese Anforderung auferlegt werden, so würde die Ausführung des EHB noch komplizierter werden, da diese Behörde – sogar relativ detailliert – die Einzelheiten der Verfahrenssysteme der übrigen Mitgliedstaaten kennen oder aber zusätzliche Informationen darüber anfordern müsste(42).

101. In diesem Kontext müssten vielmehr die Gerichte des Ausstellungsstaates nach der Vollstreckung des EHB die angebrachten Konsequenzen ziehen, die sich nach ihrem nationalen Recht und im Licht der Anforderungen des Unionsrechts in der Auslegung durch den Gerichtshof daraus ergeben, dass es nach ihren eigenen gesetzlichen Vorschriften nicht möglich war, diesen anzufechten.

102. Sollte also, kurz gesagt, ein Staatsanwalt unabhängig und damit geschützt vor entsprechenden Weisungen der Exekutive einen EHB ausstellen, so ist dieser Haftbefehl, weil er von einer „ausstellenden Justizbehörde“ im Sinn des Rahmenbeschlusses angeordnet worden ist, auch dann von der vollstreckenden Justizbehörde zu bearbeiten, wenn ihr kein Nachweis vorliegt, dass seine Ausstellung im Ausstellungsstaat Gegenstand eines gerichtlichen Rechtsbehelfs sein kann.

V.      Ergebnis

103. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, der Cour d’appel (Chambre du conseil) (Spezialkammer des Berufungsgerichts, Luxemburg) und der Rechtbank Amsterdam (Gericht erster Instanz Amsterdam, Niederlande) wie folgt zu antworten:

Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist wie folgt auszulegen:

Die Staatsanwaltschaft ist nicht als „ausstellende Justizbehörde“ anzusehen, wenn ihre Mitglieder bei der Entscheidung über einen Europäischen Haftbefehl für sie verbindlichen allgemeinen Weisungen des Justizministers auf dem Gebiet der Strafrechtspolitik und Weisungen ihrer Vorgesetzten im Zusammenhang mit dieser Art von Haftbefehlen Folge leisten müssen.

Hilfsweise:

Die im Wege der Vollstreckung eines von der Staatsanwaltschaft (die an der Rechtspflege mitwirkt und der ein Status der Unabhängigkeit garantiert wird) ausgestellten Europäischen Haftbefehls gesuchte Person muss diesen Haftbefehl bei einem Richter oder Gericht dieses Staates anfechten können, sobald er ausgestellt worden ist (außer wenn dadurch das Strafverfahren gefährdet wird) oder ihr bekannt gegeben worden ist, ohne ihre Übergabe abwarten zu müssen.


1      Originalsprache: Spanisch.


2      Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. 2009, L 81, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss).


3      Urteil vom 27. Mai 2019, C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456, im Folgenden: Urteil OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau).


4      Rechtssachen C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:337, im Folgenden: Schlussanträge OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau).


5      Rechtssache C‑509/18, EU:C:2019:338, im Folgenden: Schlussanträge PF (Generalstaatsanwalt von Litauen).


6      Rechtssache C‑489/19 PPU, NJ (Staatsanwaltschaft Wien), EU:C:2019:849, im Folgenden: Urteil NJ (Staatsanwaltschaft Wien).


7      Im Folgenden: französische Strafprozessordnung.


8      Urteil OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau), Rn. 90.


9      Schlussanträge PF (Generalstaatsanwalt von Litauen) sowie OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau).


10      Rechtssache C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, im Folgenden: Urteil Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems).


11      Rechtssache C‑509/18, EU:C:2019:457, im Folgenden: Urteil PF (Generalstaatsanwalt von Litauen).


12      Urteil OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau), Rn. 73. Hervorhebung nur hier.


13      Ebd., Rn. 74.


14      Ebd., Rn. 76.


15      Ebd.


16      Urteil NJ (Staatsanwaltschaft Wien), Rn. 40 a. E.


17      Urteil PF (Generalstaatsanwalt von Litauen), Rn. 55 und 56.


18      Auf die Unterordnung der Staatsanwälte gegenüber ihren Vorgesetzten nimmt das Urteil NJ (Staatsanwaltschaft Wien) in Rn. 40 Bezug: „[D]ie österreichischen Staatsanwaltschaften [sind] … den Oberstaatsanwaltschaften und diese sowie die Generalprokuratur dem Bundesminister für Justiz unmittelbar untergeordnet und weisungsgebunden.“


19      Art. 5 des Organgesetzes über das Beamtenstatut (Ordonnance n.º 58-1270 vom 22. Dezember 1958).


20      Schlussanträge OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau), deren Nr. 87 Rn. 63 des Urteils Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) wörtlich wiedergibt. Hervorhebung nur hier.


21      In der Entscheidung Nr. 2017-680 QPC vom 8. Dezember 2017 hat der Conseil Constitutionnel (Verfassungsrat, Frankreich) bestätigt, dass „die [französische] Regierung die Politik der Nation bestimmt und lenkt, insbesondere, was die Bereiche der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft betrifft“ (Nr. 5).


22      Schlussanträge OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau), Nr. 96.


23      Art. 36 der französischen Strafprozessordnung sieht in der Tat vor, dass die Staatsanwälte „verpflichtet sind, die ihnen von ihren Vorgesetzten erteilten Anweisungen zu befolgen“, ausgenommen bei mündlichen Amtshandlungen (Erklärungen der französischen Regierung, Rn. 16). Die Ausstellung eines EHB bedarf keiner mündlichen Amtshandlung, so dass sie der allgemeinen Regel unterfällt.


24      Rechtssache C‑503/15, EU:C:2017:126.


25      Im Urteil vom 12. Dezember 1996, Strafverfahren gegen X (C‑74/95 und C‑129/95, EU:C:1996:491), hat der Gerichtshof verneint, dass die italienische Staatsanwaltschaft befugt sei, Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu richten, da sie „nicht die Aufgabe [hat], in völliger Unabhängigkeit ein Verfahren zu entscheiden, sondern gegebenenfalls das Verfahren als Prozesspartei, die die Strafklage erhebt, dem zuständigen Gericht zur Kenntnis zu bringen“ (Rn. 19).


26      Urteil vom 12. Dezember 1996, Strafverfahren gegen X (C‑74/95 und C‑129/95, EU:C:1996:491, Rn. 19). Hervorhebung nur hier.


27      Art. 31 der französischen Strafprozessordnung nach der Änderung vom 25. Juli 2013.


28      Rn. 2.10, Abs. 4 des Vorlagebeschlusses.


29      Hervorhebung nur hier.


30      Urteil OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau), Rn. 67.


31      Ebd.


32      So verstehen dies auch die Kommission (Rn. 23 bis 26 ihrer Erklärungen) und der Generalstaatsanwalt von Luxemburg (S. 4 seiner schriftlichen Erklärungen).


33      Urteil PF (Generalstaatsanwalt von Litauen), Rn. 56.


34      Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit „erstreck[t] sich … im Rahmen der Bewilligung eines nationalen Haftbefehls auf die Auswirkungen des schieren mit ihm verbundenen Freiheitsentzugs und im Rahmen der Bewilligung eines Europäischen Haftbefehls auf den Eingriff in die Rechte des Betroffenen, der über die bereits geprüften Beeinträchtigungen seines Rechts auf Freiheit hinausgeh[t]. Das mit der Bewilligung eines Europäischen Haftbefehls betraute Gericht [muss] nämlich u. a. die Auswirkungen des Übergabeverfahrens und der Überstellung des Betroffenen, der sich in einem anderen Mitgliedstaat als der Republik Österreich befinde[t], auf seine sozialen und familiären Beziehungen berücksichtigen“ (Rn. 44).


35      Schriftliche Erklärungen des Generalstaatsanwalts von Luxemburg, S. 5.


36      Rn. 30 bis 32 der schriftlichen Erklärungen der Kommission.


37      Schriftliche Erklärungen des Generalstaatsanwalts von Luxemburg, S. 5 a. E.


38      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (ABl. 2013, L 294, S. 1).


39      Oder ein System, in dem wie im französischen Recht die Möglichkeit, diesen Rechtsbehelf vorwegzunehmen, auf gesuchte Personen beschränkt ist, die bereits Partei des entsprechenden Strafverfahrens sind (vgl. Rn. 35 bis 37 der schriftlichen Erklärungen der französischen Regierung).


40      Schriftliche Erklärungen der Kommission, Rn. 33.


41      In der mündlichen Verhandlung haben die französische, die niederländische und die schwedische Regierung vertreten, dass dann, wenn aufgrund der Entscheidung des Gerichtshofs eine Überprüfung ihrer gesetzlichen Vorschriften erforderlich sein sollte, die zeitliche Wirksamkeit dieser Entscheidung eingeschränkt werden sollte. Einem ähnlichen Ansinnen bin ich in den Schlussanträgen in der Rechtssache Poltorak (C‑452/16 PPU, EU:C:2016:782) entgegengetreten, auf die ich Bezug nehme (Nrn. 69 und 70).


42      In der mündlichen Verhandlung wurde hervorgehoben, dass die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten – zum Teil sehr ausgefeilte – indirekte Wege zur gerichtlichen Überprüfung der Ausstellung des EHB bieten können. Jeweils im Einzelfall zu bestimmen, ob diese Anfechtung möglich ist, setzt eine Kenntnis des Verfahrensrechts des Ausstellungsmitgliedsstaats voraus, das man von der vollstreckenden Justizbehörde vernünftigerweise nicht verlangen kann.