Language of document : ECLI:EU:C:2004:802

Rechtssache C-210/03

Swedish Match AB und Swedish Match UK Ltd

gegen

Secretary of State for Health

(Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice [England & Wales], Queen’s Bench Division [Administrative Court])

„Richtlinie 2001/37/EG – Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen – Artikel 8 – Verbot des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen zum oralen Gebrauch – Gültigkeit – Auslegung der Artikel 28 EG bis 30 EG – Vereinbarkeit der nationalen Regelung, die das gleiche Verbot enthält“

Leitsätze des Urteils

1.        Rechtsangleichung – Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen – Richtlinie 2001/37 – Rechtsgrundlage – Artikel 95 EG – Verbesserung der Bedingungen für das Funktionieren des Binnenmarktes – Vermarktungsverbot für Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch – Einbeziehung

(Artikel 95 EG; Richtlinie 2001/37 des Europäischen Parlaments und des Rates, Artikel 8)

2.        Handlungen der Organe – Richtlinie 2001/37 zu Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen – Rechtsgrundlage – Irrige Bezugnahme auf Artikel 133 EG als zweite Rechtsgrundlage – Keine Auswirkung auf die Gültigkeit der Richtlinie

(Artikel 95 EG und 133 EG; Richtlinie 2001/37 des Europäischen Parlaments und des Rates)

3.        Rechtsangleichung – Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen – Richtlinie 2001/37 – Harmonisierungsmaßnahmen – Vermarktungsverbot für Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch – Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

(Richtlinie 2001/37 des Europäischen Parlaments und des Rates, Artikel 8)

4.        Freier Warenverkehr – Mengenmäßige Beschränkungen – Maßnahmen gleicher Wirkung – Richtlinie 2001/37 zu Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen – Vermarktungsverbot für Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch – Rechtfertigung – Schutz der öffentlichen Gesundheit

(Artikel 28 EG, 29 EG und 30 EG; Richtlinie 2001/37 des Europäischen Parlaments und des Rates, Artikel 8)

5.        Handlungen der Organe – Begründungspflicht – Umfang – Richtlinie 2001/37 zu Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen – Vorschrift, die das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen zum oralen Gebrauch verbietet

(Artikel 253 EG)

6.        Rechtsangleichung – Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen – Richtlinie 2001/37 – Harmonisierungsmaßnahmen – Vermarktungsverbot für Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch – Kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot

(Richtlinie 2001/37 des Europäischen Parlaments und des Rates, Artikel 8)

7.        Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Grundrechte – Freie Berufsausübung – Beschränkung im Rahmen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit – Richtlinie 2001/37 zu Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen – Vermarktungsverbot für Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch – Zulässigkeit

(Richtlinie 2001/37 des Europäischen Parlaments und des Rates, Artikel 8)

8.        Rechtsangleichung – Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen – Richtlinie 2001/37 – Rechtsgrundlage – Artikel 95 EG – Kein Ermessensmissbrauch

(Artikel 95 EG; Richtlinie 2001/37 des Europäischen Parlaments und des Rates)

9.        Rechtsangleichung – Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen – Richtlinie 2001/37 – Nationale Regelung, die die Vermarktung von Tabakerzeugnissen zum oralen Gebrauch verbietet – Abschließende Harmonisierung – Keine Verpflichtung zur Prüfung der Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Artikeln 28 EG und 29 EG

(Artikel 28 EG und 29 EG; Richtlinie 2001/37 des Europäischen Parlaments und des Rates, Artikel 8)

1.        Das in Artikel 8 der Richtlinie 2001/37 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen enthaltene Vermarktungsverbot für Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch konnte auf der Grundlage von Artikel 95 EG erlassen werden. Diese Vorschrift ermächtigt nämlich den Gemeinschaftsgesetzgeber, tätig zu werden, indem er unter Beachtung von Absatz 3 dieses Artikels und der im Vertrag genannten oder in der Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätze, insbesondere des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die geeigneten Maßnahmen trifft. Insoweit war es angesichts des wachsenden Bewusstseins der Öffentlichkeit von der gesundheitsschädlichen Wirkung des Konsums von Tabakerzeugnissen wahrscheinlich, dass der freie Verkehr mit diesen Erzeugnissen dadurch behindert würde, dass die Mitgliedstaaten neue Vorschriften, die diese Entwicklung widerspiegelten, erlassen würden, um den Verbrauch dieser Erzeugnisse wirksamer einzudämmen.

(vgl. Randnrn. 33, 39, 42)

2.        Artikel 95 EG stellt die einzige geeignete Rechtsgrundlage für die Richtlinie 2001/37 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen dar, und diese Richtlinie erwähnt zu Unrecht auch Artikel 133 EG als Rechtsgrundlage.

Diese irrige Bezugnahme auf Artikel 133 EG als zweite Rechtsgrundlage der Richtlinie führt jedoch nicht als solche zu deren Ungültigkeit. Ein solcher Irrtum in den Bezugsvermerken eines Gemeinschaftsrechtsakts stellt nur einen rein formalen Fehler dar, sofern er nicht zur Rechtswidrigkeit des Verfahrens für den Erlass dieses Rechtsakts geführt hat.

(vgl. Randnrn. 43-44)

3.        Um seine Verpflichtung aus Artikel 95 Absatz 3 EG, im Gesundheitsbereich von einem hohen Schutzniveau auszugehen, zu erfüllen, konnte der Gemeinschaftsgesetzgeber, ohne die Grenzen des ihm insoweit zustehenden Ermessens zu überschreiten, annehmen, dass ein Vermarktungsverbot für Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch wie das des Artikels 8 der Richtlinie 2001/37 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen erforderlich war. Alle anderen Maßnahmen, die darauf abzielten, die Hersteller technischen Normen zu unterwerfen, um die Schädlichkeit des Erzeugnisses zu verringern, oder die Etikettierung der Verpackungen dieses Erzeugnisses und die Bedingungen für seinen Verkauf vor allem an Minderjährige zu regeln, hätten nämlich nicht dieselbe Präventivwirkung im Hinblick auf den Gesundheitsschutz, da sie es zulassen würden, dass sich ein Erzeugnis auf dem Markt etabliert, das auf jeden Fall schädlich bleibt.

(vgl. Randnrn. 56-57)

4.        Das in Artikel 8 der Richtlinie 2001/37 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen vorgesehene Vermarktungsverbot für Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch stellt zwar eine Beschränkung im Sinne der Artikel 28 EG und 29 EG dar; es ist aber zum Schutz der menschlichen Gesundheit gerechtfertigt und daher nicht unter Verstoß gegen die Bestimmungen dieser Artikel ergangen.

(vgl. Randnr. 61)

5.        Da es in der 28. Begründungserwägung der Richtlinie 2001/37 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen heißt, dass mit der Richtlinie 89/622 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen der Verkauf bestimmter Tabake zum oralen Gebrauch in den Mitgliedstaaten verboten worden sei und dass Artikel 151 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge für das Königreich Schweden eine Ausnahme von dieser letztgenannten Richtlinie vorgesehen habe, ist nicht ersichtlich, dass die Bestätigung dieses Verbotes in Artikel 8 der Richtlinie 2001/37 es verlangt hätte, dass diese Richtlinie weitere relevante rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte anführt, um die Begründungspflicht nach Artikel 253 EG zu erfüllen.

(vgl. Randnr. 68)

6.        Die in Artikel 2 der Richtlinie 2001/37 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen definierten Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch befanden sich, auch wenn sie sich nach ihrer Zusammensetzung oder sogar nach ihrer Bestimmung nicht grundlegend von den zum Kauen bestimmten Tabakerzeugnissen unterscheiden, im Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie nicht in der gleichen Situation wie diese Erzeugnisse. Die Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch waren nämlich auf dem Markt der vom Vermarktungsverbot des Artikels 8 dieser Richtlinie betroffenen Mitgliedstaaten neuartig. Diese besondere Situation erlaubte daher eine andere Behandlung dieser Erzeugnisse, ohne dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung erfolgreich geltend gemacht werden könnte.

(vgl. Randnr. 71)

7.        Die freie Berufsausübung gehört ebenso wie das Eigentumsrecht zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Diese Grundsätze können jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich kann das Recht auf freie Berufsausübung ebenso wie das Eigentumsrecht Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antasten würde.

Da die Richtlinie 2001/37 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen ein dem Gemeinwohl dienendes Ziel verfolgt, indem sie im Rahmen der Harmonisierung der für das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen geltenden Vorschriften ein hohes Gesundheitsschutzniveau gewährleistet, und das in Artikel 8 dieser Richtlinie vorgesehene Vermarktungsverbot für Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch im Hinblick auf dieses Ziel nicht ungeeignet ist, kann das Hindernis für die freie Berufsausübung, das eine derartige Maßnahme darstellt, in Anbetracht des verfolgten Zieles nicht als unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Rechts auf freie Berufsausübung oder des Eigentumsrechts angesehen werden.

(vgl. Randnrn. 72, 74)

8.        Eine Rechtshandlung ist nur dann ermessensmissbräuchlich, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, dass sie ausschließlich oder zumindest vorwiegend zu anderen als den angegebenen Zwecken oder mit dem Ziel erlassen worden ist, ein Verfahren zu umgehen, das der Vertrag speziell vorsieht, um die konkrete Sachlage zu bewältigen.

Dies ist bei der Richtlinie 2001/37 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen, insbesondere ihrem Artikel 8 über das Vermarktungsverbot für Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch, nicht der Fall. Die Voraussetzungen für die Heranziehung von Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage der Richtlinie sind nämlich erfüllt, da die Richtlinie bezweckt, die mit der heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften in Bezug auf Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch verbundenen Hindernisse zu beseitigen, und es keineswegs erwiesen ist, dass diese Vorschrift ausschließlich oder zumindest vorwiegend zu einem anderen Zweck erlassen worden wäre.

(vgl. Randnrn. 75, 77-78)

9.        Da die Vermarktung von Tabakerzeugnissen zum oralen Gebrauch eine Frage ist, die auf Gemeinschaftsebene im Wege der Harmonisierung geregelt wurde, muss, wenn eine nationale Maßnahme gemäß Artikel 8 der Richtlinie 2001/37 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen die Vermarktung dieser Erzeugnisse verbietet, nicht gesondert geprüft werden, ob diese nationale Maßnahme den Artikeln 28 EG und 29 EG entspricht.

(vgl. Randnrn. 82-83, Tenor 2)