Language of document : ECLI:EU:C:2018:130

Rechtssache C3/17

Sporting Odds Ltd

gegen

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Központi Irányítása

(Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Dienstleistungsverkehr – Art. 56 AEUV – Art. 4 Abs. 3 EUV – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Beschränkungen – Glücksspiel – Nationale Regelung – Veranstaltung bestimmter Arten von Glücksspielen durch den Staat – Ausschließlichkeit – Konzessionssystem für andere Arten von Spielen – Erfordernis einer Erlaubnis – Verwaltungsrechtliche Sanktion“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Sechste Kammer) vom 28. Februar 2018

1.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiel – Nationale Regelung, mit der ein staatliches Monopol für die Veranstaltung bestimmter Glücksspiele und ein Konzessions- und Erlaubnissystem für die Veranstaltung anderer Spiele geschaffen werden – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Beurteilung durch das nationale Gericht

(Art. 56 AEUV)

2.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiel – Nationale Regelung, wonach die Veranstaltung von Online-Glücksspielen Veranstaltern vorbehalten ist, die aufgrund einer Konzession ein Casino im Inland betreiben – Unzulässigkeit – Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

(Art. 56 AEUV)

3.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiel – Nationale Regelung, mit der ein System von Konzessionen und Erlaubnissen für die Veranstaltung von Online-Glücksspielen errichtet wird – Praktische Unmöglichkeit der Erlangung einer solchen Konzession oder Erlaubnis für in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Wirtschaftsteilnehmer – Unzulässigkeit – Nichtbeachtung der Transparenzpflicht

(Art. 56 AEUV)

4.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiel – Prüfung durch das nationale Gericht, ob eine die Ausübung einer Grundfreiheit der Europäischen Union beschränkende nationale Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar ist – Keine Prüfung der Verhältnismäßigkeit dieser Regelung von Amts wegen – Den Parteien obliegende Beweislast – Zulässigkeit

(Art. 4 Abs. 3 EUV; Art. 56 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47 und 48)

5.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiel – Nationale Regelung, die die Ausübung einer Grundfreiheit der Europäischen Union beschränkt – Rechtfertigung – Dem Mitgliedstaat obliegende Beweislast – Pflicht des angerufenen Gerichts, alle Konsequenzen zu ziehen, die sich aus einem Mangel an Beweisen ergibt

(Art. 56 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47 und 48)

6.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiel – Nationale Regelung, die die Ausübung einer Grundfreiheit der Europäischen Union beschränkt – Rechtfertigung – Dem Mitgliedstaat obliegende Beweislast – Pflicht, eine Folgenabschätzung hinsichtlich der restriktiven Maßnahme vorzulegen – Fehlen – Gesamtwürdigung durch das nationale Gericht

(Art. 56 AEUV)

7.        Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiel – Nationale Regelung, mit der ein System von Konzessionen und Erlaubnissen für die Veranstaltung von Online-Glücksspielen errichtet wird – Unvereinbarkeit mit Art. 56 AEUV – Sanktionen gegen Zuwiderhandelnde – Unzulässigkeit

(Art. 56 AEUV)

1.      Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einem dualen System zur Organisation des Glücksspielmarkts, in dessen Rahmen bestimmte Arten von Glücksspielen einem staatlichen Monopol unterliegen, während für die Veranstaltung anderer Glücksspiele ein Konzessions- und Erlaubnissystem gilt, nicht grundsätzlich entgegensteht, sofern das vorlegende Gericht feststellt, dass die den freien Dienstleistungsverkehr einschränkende Regelung tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise die vom betreffenden Mitgliedstaat angegebenen Ziele verfolgt.

(vgl. Rn. 33, Tenor 1)

2.      Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, nach der ausschließlich solche Glücksspielveranstalter, die aufgrund einer Konzession ein Casino im Inland betreiben, eine Erlaubnis für die Veranstaltung von Online-Glücksspielen erhalten können, sofern diese Regelung keine unerlässliche Voraussetzung für die Erreichung der verfolgten Ziele ist und weniger restriktive Maßnahmen zu ihrer Erreichung zur Verfügung stehen.

Auch wenn feststeht, dass Glücksspiele über das Internet, verglichen mit den herkömmlichen Glücksspielmärkten, wegen des fehlenden unmittelbaren Kontakts zwischen dem Verbraucher und dem Anbieter anders geartete und größere Gefahren in sich bergen, dass die Verbraucher eventuell von den Anbietern betrogen werden (Urteil vom 8. September 2009, Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, C‑42/07, EU:C:2009:519, Rn. 70), muss die in Rede stehende Regel den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeit genügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. März 2007, Placanica u. a., C‑338/04, C‑359/04 und C‑360/04, EU:C:2007:133, Rn. 48).

(vgl. Rn. 41, 44, Tenor 2)

3.      Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, mit der ein System von Konzessionen und Erlaubnissen für die Veranstaltung von Online-Glücksspielen errichtet wird, sofern sie Vorschriften enthält, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Wirtschaftsteilnehmer diskriminieren, oder wenn sie Vorschriften vorsieht, die nicht diskriminierend sind, aber nicht transparent angewandt werden oder in einer Weise gehandhabt werden, die die Bewerbung bestimmter Bieter, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, verhindert oder erschwert.

(vgl. Rn. 49, Tenor 3)

4.      Art. 56 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV in Verbindung mit den Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegenstehen, nach denen nicht von Amts wegen zu prüfen ist, ob die Maßnahmen, die den freien Dienstleistungsverkehr im Sinne von Art. 56 AEUV beschränken, verhältnismäßig sind und die Beweislast den Verfahrensparteien auferlegt ist.

(vgl. Rn. 57, Tenor 4)

5.      Art. 56 AEUV in Verbindung mit den Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass es dem Mitgliedstaat, der eine restriktive Regelung durchgeführt hat, obliegt, die Beweise beizubringen, um das Vorliegen von Zielen, mit denen sich eine Beschränkung einer vom AEU-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit rechtfertigen lässt, und deren Verhältnismäßigkeit darzutun, und in Ermangelung dessen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.

(vgl. Rn. 60, Tenor 5)

6.      Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass nicht festgestellt werden kann, dass ein Mitgliedstaat seiner Pflicht zur Rechtfertigung einer restriktiven Maßnahme nicht genügt hat, weil er zum Zeitpunkt der Einführung dieser Maßnahme in die nationalen Rechtsvorschriften oder zum Zeitpunkt ihrer Überprüfung durch das nationale Gericht hinsichtlich der Maßnahme keine Folgenabschätzung vorgelegt hat.

Es ist nämlich Sache des nationalen Gerichts, eine Gesamtwürdigung der Umstände vorzunehmen, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird (Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 52), und nicht lediglich festzustellen, dass im Vorfeld keine Studie dazu durchgeführt wurde, wie sich eine Regelung auswirken wird.

(vgl. Rn. 64, 65, Tenor 6)

7.      Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Sanktion wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, die wegen Verstoßes gegen nationale Rechtsvorschriften verhängt wird, mit denen ein System von Konzessionen und Erlaubnissen für die Veranstaltung von Glücksspielen errichtet wird, falls sich herausstellt, dass solche nationalen Rechtsvorschriften gegen Art. 56 AEUV verstoßen.

(vgl. Rn. 68, Tenor 7)