Language of document : ECLI:EU:C:2013:217

Rechtssache C‑85/11

Europäische Kommission

gegen

Irland

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Steuerrecht – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 9 und 11 – Nationale Regelung, die die Einbeziehung nichtsteuerpflichtiger Personen in eine Gruppe von Personen zulässt, die als ein Mehrwertsteuerpflichtiger behandelt werden können“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 9. April 2013

Harmonisierung des Steuerrechts – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Steuerpflichtige – Begriff – Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, eng miteinander verbundene Personen als einen einzigen Steuerpflichtigen anzusehen – Nationale Regelung, die die Einbeziehung nichtsteuerpflichtiger Personen in eine Gruppe von Personen zulässt, die als ein einziger Mehrwertsteuerpflichtiger behandelt werden können – Vertragsverletzung – Fehlen

(Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 11)

Der Mitgliedstaat, der es Nichtsteuerpflichtigen gestattet, Mitglieder einer Gruppe von Personen zu sein, die als ein Mehrwertsteuerpflichtiger behandelt werden, verstößt nicht gegen seine Verpflichtungen aus Art. 11 der Richtlinie 2006/112 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem.

Aus der Wendung „zusammen als einen Steuerpflichtigen“ kann nicht abgeleitet werden, dass Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie nur darauf abzielt, dass mehrere Steuerpflichtige als eine einzige Einheit behandelt werden können, da sich diese Wendung nicht auf eine Anwendungsvoraussetzung dieses Artikels bezieht, sondern auf sein Ergebnis, das darin besteht, dass mehrere Personen als ein einziger Steuerpflichtiger behandelt werden. Die Formulierung dieses Artikels erlaubt auch nicht die Annahme, dieser stelle eine Ausnahme von der allgemeinen Regel dar, wonach jeder Steuerpflichtige als gesonderte Einheit zu behandeln sei, so dass dieser Artikel eng auszulegen sei, noch dass der Begriff der Gruppe voraussetze, dass die daran teilnehmenden Personen alle zu derselben Kategorie gehörten, denn das Wort „Gruppe“ kommt dort nicht vor.

Was zudem die mit Art. 11 der Richtlinie verfolgten Ziele anbelangt, wollte der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten freistellen, die Eigenschaft des Steuerpflichtigen nicht systematisch an das Merkmal der rein rechtlichen Selbständigkeit zu knüpfen, und zwar aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung oder um bestimmte Missbräuche zu verhindern wie z. B. die Aufspaltung eines Unternehmens zwischen mehreren Steuerpflichtigen, um in den Genuss einer Sonderregelung zu gelangen. Die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, eine Gruppe von Personen, die eine oder mehrere Personen umfasst, die unter Umständen einzeln nicht die Eigenschaft des Steuerpflichtigen haben, als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, läuft diesen Zielen jedoch offenkundig nicht zuwider. Es kann im Gegenteil nicht ausgeschlossen werden, dass die Anwesenheit von solchen Personen in einer Mehrwertsteuergruppe zu einer Verwaltungsvereinfachung sowohl für diese Gruppe als auch für die Steuerverwaltung beiträgt und die Verhinderung bestimmter Missbräuche ermöglicht, wobei die Anwesenheit sogar unabdingbar für diese Zwecke sein kann, wenn sie allein die engen Beziehungen herstellt, die auf finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Ebene zwischen den diese Gruppe bildenden Personen bestehen müssen, damit sie zusammen als ein Steuerpflichtiger behandelt werden.

(vgl. Randnrn. 40, 47, 48)