Language of document : ECLI:EU:F:2008:65

URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
DER EUROPÄISCHEN UNION (Zweite Kammer)

22. Mai 2008(*)

„Öffentlicher Dienst – Allgemeines Auswahlverfahren – Zulassungsvoraussetzungen – Erforderliche Berufserfahrung –Weigerung, einen in der Reserveliste aufgeführten Bewerber einzustellen – Ermessen des Prüfungsausschusses und der Anstellungsbehörde“

In der Rechtssache F‑145/06

betreffend eine Klage nach den Art. 236 EG und 152 EA,

César Pascual García, wohnhaft in Madrid (Spanien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B. Cortese und C. Cortese,

Kläger,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Currall und M. Velardo als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Van Raepenbusch (Berichterstatter) sowie der Richterin I. Boruta und des Richters H. Kanninen,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. März 2008

folgendes

Urteil

1        Mit Klageschrift, die am 22. Dezember 2006 per Telefax bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist (der Eingang der Urschrift ist am 2. Januar 2007 erfolgt), hat Herr Pascual García, erfolgreicher Teilnehmer des allgemeinen Auswahlverfahrens EPSO/B/23/04 (ABl. C 81 A vom 31. März 2004, S. 17), u. a. beantragt, die Entscheidung des Generaldirektors der in Ispra (Italien) belegenen Gemeinsamen Forschungsstelle der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 7. April 2006, seine Bewerbung auf die Stellenausschreibung COM/2005/2969 nicht zu berücksichtigen und in die Reserveliste des Auswahlverfahrens eine Bemerkung einzufügen, die die Dienststellen darüber informiert, dass der Kläger die Zulassungsvoraussetzungen des fraglichen Auswahlverfahrens nicht erfülle (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), aufzuheben.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Der Kläger legte an der Universität Madrid (Spanien) (Universidad autónoma de Madrid, im Folgenden: UAM) im August 1998 eine Staatsprüfung in Physik und im Jahr 2000 eine Staatsprüfung in Materialwissenschaften ab.

3        Vom 1. Februar 2001 bis zum 31. Januar 2004 hatte er bei der Scuola Normale Superiore (im Folgenden: SNS) in Pisa (Italien) und beim Istituto Nazionale per la Fisica della Materia (im Folgenden: INFM) eine Stelle zur Weiterbildung im Bereich Festkörperphysik (posto di perfezionamento triennale in fisica della materia condensata, im Folgenden: Forschungsdoktorat). In dieser Zeit fertigte er beim „National Enterprise for nanoScience and nanoTechnology“ (im Folgenden: NEST), einer gemeinsamen Forschungseinrichtung von SNS und INFM, Studien in den Bereichen Halbleiter und Nanowissenschaften an; zugleich belegte er insgesamt 150 Unterrichtsstunden.

4        Nachdem Italien mit dem Decreto del Presidente della Repubblica 11 luglio 1980, n. 382, Riordinamento della docenza universitaria, relativa fascia di formazione nonché sperimentazione organizzativa e didattica (Dekret des Präsidenten der Republik vom 11. Juli 1980, Nr. 382, Neuordnung des universitären Unterrichts betreffend Ausbildung sowie praktische Erprobung von Organisation und Lehre, GURI Nr. 209 vom 31. Juli 1980) das Forschungsdoktorat eingeführt hatte, wurde das Weiterbildungsdiplom (Diploma di Perfezionamento), das von der SNS ausgestellt wird, mit dem Forschungsdoktorat (Dottore di Ricerca), das von den übrigen italienischen Universitäten erteilt wird, durch die Legge 18 giugno 1986, n. 308, Equipollenza del Diploma di Perfezionamento della Scuola Normale Superiore di Pisa con il titolo di Dottore di Ricerca (Gesetz vom 18. Juni 1986, Nr. 308, Gleichwertigkeit des Diploma di Perfezionamento der Scuola Normale Superiore in Pisa mit dem Titel des Dottore di Ricerca, GURI Nr. 149 vom 30. Juni 1986) gleichgestellt.

5        Zwischen dem 2. Februar 2004 und dem 1. Februar 2005 war der Kläger weiter bei der SNS beschäftigt, nunmehr im Rahmen eines Vertrags zur Zusammenarbeit im Bereich der Forschung (contratto di collaborazione ad attività di ricerca, im Folgenden: Forschungsvertrag).

 Das allgemeine Auswahlverfahren EPSO/B/23/04

6        Am 31. März 2004 wurde die Bekanntmachung des allgemeinen Auswahlverfahrens EPSO/B/23/04 zur Bildung einer Einstellungsreserve von technischen Inspektorinnen und Inspektoren (Laufbahn B 5/B 4) in den Bereichen Forschung und Technik veröffentlicht (im Folgenden: Bekanntmachung des Auswahlverfahrens). Das Auswahlverfahren umfasste verschiedene Sachgebiete, u. a. das Sachgebiet „Physik, Materialwissenschaften, Mechanik und Elektronik“, für das sich der Kläger bewarb. Die Bewerbungsfrist endete am 30. April 2004.

7        Die Tätigkeit im Sachgebiet „Physik, Materialwissenschaften, Mechanik und Elektronik“ wurde unter Titel A Punkt I der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens folgendermaßen beschrieben:

„Die Tätigkeit umfasst im Wesentlichen Folgendes:

–        auf der Grundlage von Anweisungen, Betrieb und Konzeption von Versuchseinrichtungen sowie Durchführung von Experimenten;

–        Entwicklung und Anwendung von Analysetechniken;

–        Überprüfung und Validierung der Ergebnisse;

–        Anwendung von Qualitätssicherungsverfahren in den nachstehenden Sachgebieten:

Insbesondere:

–        Regeltechnik, Überwachungssysteme, Mess- und Meldesysteme in den Bereichen Umwelt, Gesundheit, erneuerbare Energieträger und Emissionen;

–        Analyse und Behandlung von Werkstoffen für biomedizinische Technologien;

–        Konzeption und Herstellung von Versuchseinrichtungen;

–        Einrichtung und Betreuung von Hydraulik-, Hochdruck-, Niederdruck- und Kryosystemen;

–        Messtechnik;

–        Verantwortung für ein Elektronik- und Elektrotechniklabor;

–        Verantwortung für und Betreuung von Elektronikanlagen;

–        Datenerhebung und Modellierung.“

8        In Titel A Punkt II der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens waren die Zulassungsbedingungen betreffend Diplome und sonstige Bildungsabschlüsse, Berufserfahrung und Sprachkenntnisse aufgeführt, die die Bewerber bei Annahmeschluss für die Bewerbungen erfüllen mussten. Zur erforderlichen Berufserfahrung bestimmte Titel A Punkt II Ziff. 2:

„Die Bewerberinnen und Bewerber müssen nach Erlangen des Abschlusses der Sekundarstufe II eine Berufserfahrung von mindestens vier Jahren Vollzeitäquivalent erworben haben, wovon zwei Jahre im Zusammenhang mit der Art der Aufgaben stehen müssen.

Als Berufserfahrung von bis zu zwei Jahren werden folgende Tätigkeiten anerkannt:

–        ordnungsgemäß nachgewiesene berufsspezifische Praktika, Fach- und Weiterbildungslehrgänge, die auf die unter Titel A Punkt I genannte Tätigkeit vorbereiten;

–        Zusatzausbildungen, weiterführende Studien und Forschungsarbeiten, die auf die unter Titel A Punkt I genannten Tätigkeiten vorbereiten und bei denen Abschlüsse erworben wurden, die dem zur Teilnahme am Auswahlverfahren befähigenden Bildungsabschluss mindestens gleichwertig sind.

Fällt das berufsspezifische Praktikum oder der Fach- bzw. Weiterbildungslehrgang zeitlich mit einer Berufstätigkeit zusammen, so berücksichtigt der Prüfungsausschuss lediglich die Dauer der Berufstätigkeit.“

9        Unter der Überschrift „Vollständige Bewerbung“ sah Titel C Ziff. 3 vor, dass Staatsbürgerschaft, Schul- und Berufsbildung, Praktika, Forschungsarbeiten und Berufserfahrung in dem Bewerbungsbogen in allen Einzelheiten anzugeben und Nachweise beizufügen seien, auf deren Grundlage der Prüfungsausschuss prüfe, ob die Bewerber die in Titel A Punkt II der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens genannten Bedingungen erfüllten.

10      Mit Schreiben vom 30. März 2005 informierte das Amt für Personalauswahl der Europäischen Gemeinschaften (EPSO) den Kläger, dass er alle Voraussetzungen der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens erfülle, und mit Schreiben vom 13. Oktober 2005 teilte das EPSO ihm mit, dass sein Name in die bis zum 31. Dezember 2007 geltende Reserveliste aufgenommen worden sei, dies jedoch keine Garantie für eine etwaige Einstellung darstelle.

 Die Stellenausschreibung COM/2005/2969

11      Die Gemeinsame Forschungsstelle veröffentlichte die Stellenausschreibung COM/2005/2969 – B*3/B*11 (im Folgenden: Stellenausschreibung). Am 21. November 2005 wurde der Kläger zu einem Vorstellungsgespräch beim Institut für Gesundheit und Verbraucherschutz (im Folgenden: IHCP) in Ispra eingeladen. Das Vorstellungsgespräch fand am 6. Dezember 2005 statt.

12      Am 14. Dezember 2005 wurde der Kläger zu einem Vorstellungsgespräch in Karlsruhe (Deutschland) beim Institut für Transurane, das der Gemeinsamen Forschungsstelle angehört, eingeladen. Das Vorstellungsgespräch wurde für den 17. Januar 2006 vereinbart.

13      Mit Schreiben vom 16. Dezember 2005 teilte der Leiter der Personalabteilung der Gemeinsamen Forschungsstelle in Ispra dem Kläger mit, dass er für den in der Stellenausschreibung genannten Dienstposten eingestellt werde und seine Einstellung nur noch von den Ergebnissen der ärztlichen Untersuchung und der Sicherheitsüberprüfung abhänge.

14      In den folgenden Tagen wurde in mehreren Telefonaten und einer E-Mail bestätigt, dass der Kläger für den freien Dienstposten ausgewählt worden sei. Aus dieser Kommunikation ging außerdem hervor, dass der Kläger die Einladung zum Vorstellungsgespräch beim Institut für Transurane in Karlsruhe absagen müsse, wenn er den besagten Dienstposten annehme.

15      Am 23. Januar 2006 absolvierte der Kläger die ärztliche Untersuchung. Am gleichen Tag traf er den zuständigen Wissenschaftler der IHCP-Dienststelle, bei der er seine Tätigkeit aufnehmen sollte. Der Dienstantritt bei der Gemeinsamen Forschungsstelle wurde für den 1. April 2006 vereinbart.

16      Außerdem hinterlegte der Kläger bei der Personalabteilung der Gemeinsamen Forschungsstelle die gleichen Unterlagen, die er dem EPSO übermittelt hatte. Anschließend beschloss er, das Arbeitsverhältnis mit der SNS zu beenden und weiteren Stellenangeboten nicht nachzugehen.

17      Mit E-Mail vom 3. März 2006 forderte die Personalabteilung der Gemeinsamen Forschungsstelle den Kläger auf, jegliche zusätzlichen Unterlagen zu seiner Berufserfahrung einzureichen, damit u. a. die Dauer seines Studiums und die Dauer seiner Forschungsaktivitäten im Rahmen des Forschungsdoktorats bestimmt werden könnten. Der Kläger leistete dieser Aufforderung Folge.

18      Am 20. März 2006 wandte sich der Kläger, der noch kein offizielles Stellenangebot erhalten hatte, per E-Mail an den genannten zuständigen Wissenschaftler beim IHCP, und dieser versicherte ihm, dass er sich bei der zuständigen Dienststelle erkundigen werde.

19      Am 21. März 2006 erhielt der Kläger nach einem Telefonat mit der Personalabteilung der Gemeinsamen Forschungsstelle von dieser eine E-Mail, in der ihm mitgeteilt wurde, dass nach Eingang der angeforderten zusätzlichen Unterlagen Zweifel beständen, ob er am 30. April 2004 die Zulassungsvoraussetzungen für das Auswahlverfahren EPSO/B/23/04 erfüllt habe.

20      Am 25. März 2006 übermittelte der Kläger der Gemeinsamen Forschungsstelle ein Schreiben des Leiters des NEST, in dem die Forschungsaktivitäten bescheinigt wurden, denen er zwischen dem 1. Februar 2001 und dem 30. April 2004 nachgegangen war.

21      Mit Entscheidung vom 7. April 2006 stellte der Generaldirektor der Gemeinsamen Forschungsstelle fest, dass die Bewerbung des Klägers nicht berücksichtigt werden könne, da er die Zulassungsvoraussetzungen des fraglichen Auswahlverfahrens nicht erfülle. Gleichzeitig entschied der Generaldirektor, dass in die Reserveliste des Auswahlverfahrens eine entsprechende Bemerkung einzufügen sei, die die Dienststellen der Kommission hiervon in Kenntnis setzte. Diese Entscheidung wurde dem Kläger mit Schreiben vom 17. April 2006 mitgeteilt.

22      Am 19. Juni 2006 legte der Kläger gemäß Art. 90 Abs. 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: Statut) Beschwerde gegen die angefochtene Entscheidung ein, in der er geltend machte, dass in der Entscheidung die Dauer seiner Berufserfahrung, die fünf Jahre und acht Monate betrage, falsch bewertet werde.

23      Außerdem übermittelte der Kläger am 21. August 2006 ein erläuterndes Dokument, das die Kommission als verspätete Erweiterung der Beschwerde wertete, die die Beschwerde vom 19. Juni 2006 nicht wirksam ergänzen könne.

24      Mit Entscheidung vom 22. September 2006, die dem Kläger am 13. November 2006 mitgeteilt wurde, wies die Anstellungsbehörde die Beschwerde zurück.

25      In ihrer Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde bewertete die Anstellungsbehörde das Studium, das der Kläger zwischen September 1993 und August 1998 absolviert hatte, um die Staatsprüfung in Physik abzulegen, gemäß Titel A Punkt II Ziff. 2 Abs. 2 der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens in Höhe der Obergrenze von zwei Jahren sowie den Zeitraum von einem Jahr und sieben Monaten von August 1998 bis März 2000, in dem der Kläger bei der UAM beschäftigt war, als Berufserfahrung im Sinne der Bekanntmachung. Andere Tätigkeitszeiträume des Klägers wurden hingegen nicht berücksichtigt. Es handelt sich insbesondere um

–        36 Monate zwischen dem 1. Februar 2001 und dem 30. Januar 2004, in denen der Kläger im Rahmen seines Forschungsdoktorats bei der SNS mit dem NEST zusammenarbeitete;

–        3 Monate zwischen dem 2. Februar 2004 und dem 30. April 2004, dem in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens festgelegten Annahmeschluss für die Bewerbungen, in denen zwischen dem Kläger und der SNS ein Forschungsvertrag bestand.

26      Demzufolge erkannte die Anstellungsbehörde nur 3 Jahre und sieben Monate Berufserfahrung des Klägers an, und sie stellte daher fest, dass er die Schwelle von vier Jahren Berufserfahrung, die in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens verlangt wird, nicht erreicht habe.

 Anträge der Parteien

27      Der Kläger beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        soweit erforderlich, die Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 22. September 2006 über die Zurückweisung seiner Beschwerde aufzuheben;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

28      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

 Rechtliche Würdigung

29      Der Kläger stützt seine Klage auf vier Klagegründe. Drei Klagegründe betreffen erstens einen Verfahrensmissbrauch, zweitens eine Verletzung des durch die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens vorgegebenen Legalitätsrahmens sowie einen offensichtlichen Beurteilungsfehler und einen Begründungsmangel und drittens einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Der vierte Klagegrund wird hilfsweise geltend gemacht und stützt sich auf einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

 Zu den ersten beiden Klagegründen: Erstens Verfahrensmissbrauch und zweitens Verletzung des durch die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens vorgegebenen Legalitätsrahmens sowie offensichtlicher Beurteilungsfehler und Begründungsmangel

 Vorbringen der Parteien

30      In Bezug auf den ersten Klagegrund erinnert der Kläger daran, dass die gerichtliche Kontrolle der Arbeiten des Prüfungsausschusses für ein Auswahlverfahren begrenzt sei, da der Gemeinschaftsrichter nur offensichtliche Beurteilungsfehler sanktionieren dürfe, und dass für die Anstellungsbehörde bei der Überprüfung der Entscheidungen des Prüfungsausschusses insbesondere hinsichtlich der Zulassungsvoraussetzungen des fraglichen Auswahlverfahrens dieselben Grenzen gälten.

31      In der vorliegenden Rechtssache sei der Prüfungsausschuss der Auffassung gewesen, dass der Kläger die Zulassungsvoraussetzungen für das Auswahlverfahren erfülle, insbesondere die Voraussetzungen hinsichtlich der Dauer der Berufserfahrung, und diese Einschätzung sei mit keinem offensichtlichen Beurteilungsfehler behaftet.

32      Nach Ansicht des Klägers ist die angefochtene Entscheidung verfahrensmissbräuchlich, da die Anstellungsbehörde die vom Prüfungsausschuss vorgenommene Beurteilung der Bildungsabschlüsse und Berufserfahrung des Klägers durch ihre eigene Beurteilung ersetzt habe, obwohl der Prüfungsausschuss keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe.

33      Die Kommission entgegnet, dass der Prüfungsausschuss für ein Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen zwar über ein weites Ermessen bei der Beurteilung der von den Bewerbern vorgelegten Diplome oder ihrer Berufserfahrung verfüge, die Anstellungsbehörde jedoch bei einer von ihr gesondert zu treffenden Entscheidung nicht durch eine rechtswidrige Entscheidung eines Prüfungsausschusses gebunden sein könne (vgl. Urteil des Gerichts erster Instanz vom 15. September 2005, Luxem/Kommission, T‑306/04, Slg. ÖD 2005, I‑A‑263 und II‑1209, Randnr. 23). Folglich stelle die angefochtene Entscheidung der Anstellungsbehörde keinen Verfahrensmissbrauch dar.

34      Zum zweiten Klagegrund trägt der Kläger in erster Linie vor, dass die Anstellungsbehörde den durch die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens vorgegebenen Legalitätsrahmen im Hinblick auf den Begriff „Berufserfahrung“ verletzt und einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe.

35      Nach der Rechtsprechung sei die erforderliche Berufserfahrung der Bewerber in einem Auswahlverfahren ausschließlich unter Berücksichtigung der Ziele des betreffenden Auswahlverfahrens auszulegen, wie sie sich aus den allgemeinen Erläuterungen zur Art der Tätigkeit ergäben (Urteile des Gerichts erster Instanz vom 22. Mai 1990, Sparr/Kommission, T‑50/89, Slg. 1990, II‑207, Randnr. 18, vom 6. November 1997, Wolf/Kommission, T‑101/96, Slg. ÖD 1997, I‑A‑351 und II‑949, Randnr. 74, und vom 16. März 2005, Ricci/Kommission, T‑329/03, Slg. ÖD 2005, I‑A‑69 und II‑315, Randnr. 52).

36      Das Auswahlverfahren der vorliegenden Rechtssache betraf die Bildung einer Einstellungsreserve technischer Inspektoren und Inspektorinnen im „Sachgebiet 2: Physik, Materialwissenschaften, Mechanik und Elektronik“ für die Ausübung der Tätigkeiten, die in Titel A Punkt I der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens aufgeführt sind.

37      Der Kläger erinnert daran, dass es unter der Überschrift „Diplome und sonstige Bildungsabschlüsse“ in Titel A Punkt II Ziff. 1 der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens heiße: „Die Bewerberinnen und Bewerber müssen den Abschluss der Sekundarstufe II nachweisen.“ Zur Berufserfahrung bestimme Titel A Punkt II Ziff. 2: „Die Bewerberinnen und Bewerber müssen nach Erlangen des Abschlusses der Sekundarstufe II eine Berufserfahrung von mindestens vier Jahren Vollzeitäquivalent erworben haben, wovon zwei Jahre im Zusammenhang mit der Art der Aufgaben stehen müssen.“ Gemäß Titel A Punkt II Ziff. 2 zweiter Gedankenstrich der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens würden als „Berufserfahrung von bis zu zwei Jahren“ die folgenden Tätigkeiten anerkannt: „Zusatzausbildungen, weiterführende Studien und Forschungsarbeiten, die auf die unter Titel A Punkt I genannten Tätigkeiten [in der vorliegenden Rechtssache die Tätigkeiten technischer Inspektoren und Inspektorinnen im Sachgebiet Physik usw.] vorbereiten und bei denen Abschlüsse erworben wurden, die dem zur Teilnahme am Auswahlverfahren befähigenden Bildungsabschluss mindestens gleichwertig sind.“

38      Dagegen erwähne Titel A Punkt II Ziff. 2 zweiter Gedankenstrich der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens keine Studien, Forschungsarbeiten, Weiterbildungen und Spezialisierungen, die auf Tätigkeiten vorbereiteten, die höherwertig seien als die Tätigkeiten, die in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens genannt seien, z. B. Tätigkeiten als Universitätsprofessor, Leiter oder Mitglied einer Forschungsgruppe sowie jegliche Studien, Forschungsarbeiten, Weiterbildungen und Spezialisierungen, die auf Leitungs-, Konzeptions- und Studientätigkeiten vorbereiteten und eine Hochschulausbildung oder eine gleichwertige Berufserfahrung erforderten. Solche Tätigkeiten seien als vollwertige Berufserfahrung „im Zusammenhang mit der Art der Aufgaben“ im Sinne der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens einzustufen, soweit es sich um wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne des EG-Vertrags und der Gemeinschaftsrechtsprechung zu den Grundfreiheiten des Binnenmarkts handle.

39      In der vorliegenden Rechtssache sei der Kläger während seiner Zusammenarbeit mit der SNS und insbesondere mit dem NEST zwischen dem 1. Februar 2001 und dem 30. April 2004 Forschungstätigkeiten nachgegangen, bei denen er laufend Versuchstechniken verwendet habe, die in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens erwähnt seien, und folglich habe er sich auf Aufgaben und Funktionen vorbereitet, die sich von denen technischer Inspektorinnen und Inspektoren unterschieden.

40      Die Forschungsarbeiten und der Weiterbildungslehrgang, denen der Kläger bei der SNS nachgegangen sei, hätten nämlich die Beherrschung der in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens erwähnten Versuchstechniken vorausgesetzt und seien daher keine Ausbildungs-, Studien- oder Forschungstätigkeiten, die auf die Verwendung dieser Techniken „vorbereiten“. Dies gelte sowohl für den Zeitraum, in dem der Kläger einem Forschungsdoktorat bei der SNS und dem NEST nachgegangen sei, als auch für die anschließende Dauer seines Forschungsvertrags.

41      Folglich habe die Anstellungsbehörde den durch die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens vorgegebenen Legalitätsrahmen verletzt und einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie die fraglichen Tätigkeiten als „Zusatzausbildungen, weiterführende Studien und Forschungsarbeiten“, die auf die in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens genannten Tätigkeiten vorbereiteten, eingestuft habe.

42      Was den wirtschaftlichen Charakter der Tätigkeiten des Klägers betreffe, seien die Forschungsaktivitäten des Klägers während seines Forschungsdoktorats mit einem jährlichen Betrag von ungefähr 8 000 Euro („contributo didattico“), d. h. 690 Euro pro Monat, vergütet worden, wobei die SNS die Kosten der angemessenen Lebensführung, z. B. für Kost und Logis, gesondert übernommen und speziell geprüft habe und der Besuch der Kurse und die Verwendung der Versuchseinrichtungen gratis gewesen seien. In diesem Zusammenhang macht der Kläger geltend, dass es nach der Rechtsprechung für die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Gemeinschaftsrechts ohne Bedeutung sei, dass das Beschäftigungsverhältnis ein Rechtsverhältnis sui generis sei, woher die Mittel für die Vergütung stammten oder dass sich die Höhe der Vergütung in Grenzen halte (vgl. u. a. Urteile des Gerichtshofs vom 23. März 1982, Levin, 53/81, Slg. 1982, 1035, Randnr. 16, und vom 7. September 2004, Trojani, C‑456/02, Slg. 2004, I‑7573, Randnr. 16).

43      Im Übrigen habe der Forschungsvertrag ein Forschungsstipendium (assegno di ricerca) in Höhe von 15 493,71 Euro im Jahr, d. h. 1 291,15 Euro im Monat, vorgesehen, was der üblichen Vergütung von Forschern an italienischen Universitäten entspreche. Die Forschungsleistungen und die im Gegenzug gezahlte Vergütung seien wechselseitig bedingte Verpflichtungen.

44      Die italienischen Rechtsvorschriften, auf die Art. 2 des Forschungsvertrags verweise, sähen vor, dass für jegliche Tätigkeiten, die ? wie in der vorliegenden Rechtssache ? in laufender und koordinierter, jedoch weisungsunabhängiger Zusammenarbeit erbracht würden, Sozialversicherungsbeiträge zu erheben seien. Nach diesen Vorschriften, die u. a. auf Forschungsstipendien anwendbar seien, seien Personen, mit denen Forschungsverträge abgeschlossen worden seien, genauso wie Doktoranden nicht als Studenten, sondern als selbständige Beschäftigte anzusehen, die an Weisungen ihres Auftraggebers nicht gebunden seien.

45      Hilfsweise macht der Kläger geltend, auch wenn man die Anforderungen des anwendbaren nationalen Rechts zugrunde lege, sei die Tätigkeit, die im Rahmen eines Forschungsdoktorats ausgeübt werde, nach italienischem Recht als unabhängige berufliche Tätigkeit geistiger Art anzusehen.

46      Folglich seien sowohl die Arbeit, die der Kläger im Rahmen des Forschungsdoktorats geleistet habe, als auch die Tätigkeiten im Rahmen des Forschungsvertrags als Berufserfahrung im Sinne der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens anzusehen.

47      Auf das Hauptvorbringen des Klägers entgegnet die Kommission, die vom Kläger vorgelegten Bescheinigungen bestätigten, dass die Tätigkeiten, die er im Rahmen des Forschungsdoktorats und des Forschungsvertrags ausgeübt habe, Studien- und Forschungstätigkeiten seien und keine Berufserfahrung im Sinne der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens. Daher habe der Prüfungsausschuss einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als er die Berufserfahrung des Klägers für die Zwecke der Zulassung zum fraglichen Auswahlverfahren bewertet habe. Gemäß dem Urteil Luxem/Kommission (in Randnr. 23 des vorliegenden Urteils angeführt) sei die Anstellungsbehörde verpflichtet gewesen, der Entscheidung des Prüfungsausschusses bei der Ausübung ihrer eigenen Befugnisse nicht zu folgen.

48      Insbesondere enthalte keine der vom Kläger vorgelegten Bescheinigungen einen Hinweis darauf, dass der Kläger zwischen dem 1. Februar 2001 und dem 31. Januar 2004 tatsächlich einer abhängigen Beschäftigung nachgegangen sei. Außerdem werde in dem vom Kläger vorgelegten Schreiben des Direktors der SNS vom 29. Januar 2001 eine spezielle Terminologie verwendet („Studenten“, „Studienstipendium“, „Studium“, „Studienplan“), die dem Hochschulstudium zuzuordnen sei.

49      Zur Art der „Vergütung“ des Klägers während der fraglichen Zeiträume macht die Kommission geltend, dass es sich um ein Studienstipendium handle und die Beziehung zwischen dem Kläger und der SNS daher nicht als Arbeitsverhältnis angesehen werden könne.

50      Insbesondere ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Forschungsvertrags, dass die Zusammenarbeit, die durch diesen Vertrag begründet werde, in keiner Weise eine abhängige Beschäftigung darstelle. Der Kläger habe nur Art. 2 des Vertrags angeführt, der die Steuerpflicht und die Verpflichtung zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge betreffe, und Art. 1 übergangen, der ausdrücklich bestimme, dass der Vertrag kein Arbeitsverhältnis begründen könne.

51      Zu den hilfsweise vorgebrachten Argumenten des Klägers macht die Kommission geltend, dass die Voraussetzungen, die in einer Bekanntmachung des Auswahlverfahrens aufgeführt seien und die die Dauer und Art der Berufserfahrung beträfen, auf einer Entscheidung der Anstellungsbehörde beruhten und innerhalb des Rahmens dieser Bekanntmachung dem weiten Ermessen des Prüfungsausschusses unterlägen. Nationales Recht sei nur relevant, wenn die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens ausdrücklich darauf verweise, was in der vorliegenden Rechtssache nicht der Fall sei.

52      Jedenfalls könnten Promotionsstudien auch nach den italienischen Rechtsvorschriften nicht als echte Berufserfahrung angesehen werden, da der erklärte Zweck des Promotionsstudiums darin bestehe, die Kenntnisse der Studenten durch Studien- und Forschungstätigkeiten zu erweitern. Im Schreiben der SNS vom 16. Juni 2006 heiße es nämlich: „During this whole period [the applicant] has carried out experimental research work … [d]uring his first and second year at [SNS], [the applicant] also attended about 150 hours of formal courses and successfully passed the subsequent examinations[; t]his together with his technical and scientific achievements allow him to be entitled to apply for the ‚Diploma di Perfezionamento‘ of [SNS].“ („Während dieses gesamten Zeitraums führte [der Kläger] Forschungsversuche durch … Während der ersten zwei Jahre bei der [SNS] besuchte [der Kläger] ungefähr 150 offizielle Unterrichtsstunden, und er legte die anschließenden Prüfungen erfolgreich ab. Zusammen mit seinen technischen und wissenschaftlichen Leistungen berechtigt ihn dies dazu, das ‚Diploma di Perfezionamento‘ der [SNS] zu beantragen“).

53      Selbst wenn dem nationalen Recht gefolgt werden dürfte, würde dies dem Kläger nicht nützen, da ein Forschungsdoktorand nach den italienischen Rechtsvorschriften kein selbständiger Beschäftigter sei. Der Umstand, dass ein Forschungsdoktorand sozialversicherungspflichtig sein könne, beweise nicht, dass der Kläger sich aufgrund dieser Hochschultätigkeit tatsächlich Berufserfahrung angeeignet habe, denn seine Aufgaben seien hauptsächlich Studien- und Forschungsaufgaben geblieben, die ihm ermöglicht hätten, nach dem dreijährigen Forschungsdoktorat einen akademischen Titel zu erlangen.

54      Der Forschungsvertrag schließlich betreffe ebenfalls nur Forschungstätigkeiten und kein Arbeitsverhältnis.

 Würdigung durch das Gericht

55      Nach ständiger Rechtsprechung verfügen Prüfungsausschüsse für ein Auswahlverfahren grundsätzlich über ein Ermessen bei der Bewertung der bisherigen Berufserfahrung der Bewerber als Zulassungsvoraussetzung für ein Auswahlverfahren, sowohl was ihre Art und Dauer als auch was ihren mehr oder weniger engen Bezug zu den Anforderungen der zu besetzenden Stelle angeht (Urteile des Gerichts erster Instanz vom 21. November 2000, Carrasco Benítez/Kommission, T‑214/99, Slg. ÖD 2000, I‑A‑257 und II‑1169, Randnr. 70, vom 25. März 2004, Petrich/Kommission, T‑145/02, Slg. ÖD 2004, I‑A‑101 und II‑447, Randnr. 34, und Ricci/Kommission, Randnr. 45). Der Gemeinschaftsrichter hat sich im Rahmen seiner Rechtmäßigkeitskontrolle auf die Prüfung zu beschränken, ob dieses Ermessen offensichtlich fehlerhaft ausgeübt worden ist (Urteil des Gerichtshofs vom 4. Februar 1987, Maurissen/Rechnungshof, 417/85, Slg. 1987, 551, Randnrn. 14 und 15; Urteile des Gerichts erster Instanz vom 13. Dezember 1990, González Holguera/Parlament, T‑115/89, Slg. 1990, II‑831, auszugsweise veröffentlicht, Randnr. 54, Wolf/Kommission, Randnr. 68, vom 11. Februar 1999, Mertens/Kommission, T‑244/97, Slg. ÖD 1999, I‑A‑23 und II‑91, Randnr. 44, Carrasco Benítez/Kommission, Randnr. 71, vom 28. November 2002, Pujals Gomis/Kommission, T‑332/01, Slg. ÖD 2002, I‑A‑233 und II‑1155, Randnr. 41, und Ricci/Kommission, Randnr. 45).

56      Die gleichen Grundsätze gelten für die von der Anstellungsbehörde ausgeübte Kontrolle der Entscheidungen des Prüfungsausschusses hinsichtlich der Zulassungsvoraussetzungen für das Auswahlverfahren (Urteil Ricci/Kommission, Randnr. 46). Die Anstellungsbehörde ist daher bei der Ausübung ihrer eigenen Befugnisse verpflichtet, einer Entscheidung des Prüfungsausschusses für ein Auswahlverfahren nicht zu folgen, wenn die Entscheidung auf einer offensichtlich fehlerhaften Beurteilung der erforderlichen Berufserfahrung beruht. Lässt der Prüfungsausschuss einen Bewerber zu Unrecht zum Auswahlverfahren zu und setzt er ihn anschließend auf die Eignungsliste, so muss es die Anstellungsbehörde folglich durch eine mit Gründen versehene Entscheidung, anhand deren der Gemeinschaftsrichter ihre Begründetheit beurteilen kann, ablehnen, diesen Bewerber zu ernennen (Urteile Ricci/Kommission, Randnr. 35, und Luxem/Kommission, Randnr. 23).

57      In der vorliegenden Rechtssache hat daher das Gericht die Anforderungen der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens den Angaben in den Nachweisen des Klägers gegenüberzustellen und zu prüfen, ob der Prüfungsausschuss die Berufserfahrung des Klägers offensichtlich falsch beurteilt hat. Bei dieser Prüfung wird gleichzeitig die Begründetheit der angefochtenen Entscheidung beurteilt, die von der Auffassung des Prüfungsausschusses abweicht.

58      Gemäß Titel A Punkt II Ziff. 2 der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens setzt die Zulassung der Bewerber voraus, dass diese nach Erlangen des nationalen Abschlusses der Sekundarstufe II eine Berufserfahrung von mindestens vier Jahren Vollzeitäquivalent erworben haben, wovon zwei Jahre im Zusammenhang mit der Art der Aufgaben, d. h. den in Titel A Punkt I der Bekanntmachung genannten Aufgaben, stehen müssen.

59      Im vorliegenden Fall erkannte die Anstellungsbehörde beim Kläger eine Berufserfahrung von drei Jahren und sieben Monaten an, nämlich zwei Jahre Universitätsstudium gemäß Titel A Punkt II Ziff. 2 Abs. 2 der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens aufgrund des Physikstudiums des Klägers zwischen September 1993 und August 1998 und ein Jahr und sieben Monate aufgrund der abhängigen Beschäftigung des Klägers bei der UAM von August 1998 bis März 2000.

60      Der Rechtsstreit betrifft vor allem zwei weitere Zeiträume, in denen der Kläger einer Beschäftigung nachging:

–        erstens den Zeitraum der Beschäftigung beim NEST im Rahmen des Forschungsdoktorats zwischen dem 1. Februar 2001 und dem 30. Januar 2004 und

–        zweitens die Dauer des Forschungsvertrags mit der SNS vom 2. Februar 2004 bis zum 30. April 2004, dem Ende der Bewerbungsfrist für das Auswahlverfahren.

61      Bevor die Frage entschieden wird, ob die fraglichen Zeiträume unter den Begriff der „Berufserfahrung“ im Sinne der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens fallen, ist zu prüfen, ob sie als „berufsspezifische Praktika, Fach- und Weiterbildungslehrgänge“ oder als „Zusatzausbildungen, weiterführende Studien und Forschungsarbeiten“ im Sinne von Titel A Punkt II Ziff. 2 Abs. 2 der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens angesehen werden könnten, die nur zu maximal zwei Jahren mit einer Berufserfahrung gleichgesetzt werden dürfen. In der vorliegenden Rechtssache hatte die Anstellungsbehörde auf dieser Grundlage aber bereits das Physikstudium des Klägers von September 1993 bis August 1998 in Höhe von zwei Jahren berücksichtigt.

62      Die streitigen Zeiträume könnten allerdings nicht Titel A Punkt II Ziff. 2 Abs. 2 der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens zugeordnet werden, da sie, wie der Kläger zu Recht geltend macht, als solche nicht auf die Tätigkeiten vorbereiten konnten, die in Titel  A Punkt I genannt sind. Das Auswahlverfahren EPSO/B/23/04 betraf nämlich die Einstellung technischer Inspektoren und Inspektorinnen der Besoldungsgruppen B 5/B 4 (jetzt gemäß Art. 12 Abs. 3 des Anhangs XIII des Statuts B*3, später AST 3). Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass Promotionsstudien oder postuniversitäre Forschungsarbeiten auf die Tätigkeiten der Funktionsgruppe AST 3 „vorbereiten“, die gemäß den Bestimmungen von Anhang I des Statuts z. B. die Tätigkeiten eines „Technikers i. E. (im Eingangsamt)“ umfassen.

63      Daher ist zu prüfen, ob die Tätigkeiten, denen der Kläger in den streitigen Zeiträumen nachging, unter den Begriff der Berufserfahrung im eigentlichen Sinn gemäß Titel A Punkt II Ziff. 2 Abs. 1 der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens gefasst werden können, ohne dass dies einen offensichtlichen Beurteilungsfehler darstellt. Nach Auffassung der Kommission handelt es sich nicht um Zeiträume abhängiger oder selbständiger Beschäftigung, sondern offensichtlich um Studienzeiten; nach Auffassung des Klägers sind die fraglichen Zeiträume offensichtlich Zeiträume selbständiger Beschäftigung.

64      Nach der Rechtsprechung ist der Begriff der erforderlichen Berufserfahrung ausschließlich unter Berücksichtigung der Ziele des betreffenden Auswahlverfahrens auszulegen, wie sie sich aus den allgemeinen Erläuterungen zur Art der Tätigkeit ergeben (Urteil Ricci/Kommission, Randnr. 52). Würde die Bekanntmachung eines Auswahlverfahrens unter Berücksichtigung der Besonderheiten nationaler Rechtsvorschriften ausgelegt, so führte dies unweigerlich zu einer unterschiedlichen Behandlung von Bewerbern verschiedener Staatsangehörigkeit, da die postuniversitären Systeme in den Mitgliedstaaten unterschiedlich geregelt sind (vgl. entsprechend Urteile Sparr/Kommission, Randnr. 18, und Wolf/Kommission, Randnr. 74).

65      Was erstens den Zeitraum des Forschungsdoktorats von 36 Monaten betrifft, steht fest, dass der Kläger, auch wenn er, wie aus der Akte hervorgeht, in diesem Zeitraum 150 Unterrichtsstunden besucht hat, für den NEST in seiner Eigenschaft als Absolvent eines Physik- und Materialwissenschaftsstudiums in den Bereichen Halbleiter und Nanowissenschaften anspruchsvolle Forschungsarbeiten durchgeführt hat und diese Tätigkeiten eben gerade in einem Zusammenhang mit der Art der Aufgaben stehen, die in Titel A Punkt I der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens genannt sind.

66      Solche Tätigkeiten, die, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, den Tätigkeiten vergleichbar sind, die bei der Gemeinsamen Forschungsstelle ausgeführt werden könnten, sind als relevante Berufserfahrung im Sinne der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens anzusehen,

–        wenn es sich zum einen um tatsächliche und echte Tätigkeiten handelt; hiervon ausgeschlossen sind Forschungstätigkeiten, die im Rahmen eines Studiums durchgeführt werden und so reduziert sind, dass sie als rein marginal und nebensächlich anzusehen sind, und

–        wenn zum anderen die Tätigkeiten vergütet werden, wobei die Höhe der Vergütung, selbst wenn sie unterhalb des garantierten Mindestlohns liegt, keine Bedeutung für die Qualifikation der Berufserfahrung haben darf (vgl. entsprechend zur Qualifikation tatsächlicher und echter wirtschaftlicher Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit Urteil Trojani, Randnr. 16).

67      Auch der Umstand, dass das abhängige oder selbständige Beschäftigungsverhältnis nach nationalem Recht ein Rechtsverhältnis sui generis ist, oder die Herkunft oder Bezeichnung der für die Vergütung verwendeten Mittel dürfen bei der Qualifikation als erforderliche Berufserfahrung im Sinne der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens nicht ausschlaggebend sein.

68      Es ist aber nicht bestritten, dass der Kläger tatsächlich während eines Zeitraums von 36 Monaten bei einer gemeinsamen Forschungseinrichtung anspruchsvolle Forschungstätigkeiten durchführte, für die er als Gegenleistung eine zwar geringe, doch echte Vergütung in Höhe von monatlich 690 Euro erhielt, und dass die SNS für ihn die Kosten der angemessenen Lebensführung unmittelbar übernahm.

69      Selbst wenn man berücksichtigt, dass der Kläger 150 Unterrichtsstunden besucht hat, konnte ein solcher Tätigkeitszeitraum vom Prüfungsausschuss für die Zwecke der Anrechnung als Berufserfahrung in Höhe von zumindest fünf Monaten Vollzeitäquivalent ? was dem Zeitraum entspricht, der dem Kläger für eine vierjährige Berufserfahrung fehlte ? berücksichtigt werden, ohne dass dies einen offensichtlichen Beurteilungsfehler darstellte (vgl. entsprechend Urteil des Gerichts erster Instanz vom 31. Januar 2006, Giulietti/Kommission, T‑293/03, Slg. ÖD 2006, II‑A‑2‑19, Randnr. 72).

70      Dass die fraglichen Forschungsaktivitäten geeignet gewesen sein könnten, zur Weiterbildung des Klägers beizutragen und ihm schließlich zu ermöglichen, den Doktortitel zu erwerben, kann für sich allein der Qualifikation als Berufserfahrung im Sinne der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens nicht entgegenstehen.

71      Zweitens gilt dieses Ergebnis erst recht für die drei Monate von Februar bis April 2004, in denen ein Forschungsvertrag zwischen dem Kläger und der SNS bestand und der Kläger eine Vergütung in Höhe von ungefähr 1 290 Euro im Monat erhielt.

72      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen und der Umstände des vorliegenden Falls ist daher festzustellen, dass die Anstellungsbehörde zu Unrecht der Auffassung war, dass der Prüfungsausschuss für das Auswahlverfahren sowohl im Hinblick auf den Wortlaut der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens als auch auf die Art der fraglichen Tätigkeiten einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe, als er für die Zwecke der Erfassung der Berufserfahrung des Klägers die Zeiträume berücksichtigt habe, in denen der Kläger zwischen Februar 2001 und April 2004 Tätigkeiten im Rahmen seines Forschungsdoktorats und des Forschungsvertrags ausgeübt habe. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass die beiden anderen Klagegründe, auf die sich die Klage stützt, zu prüfen wären.

 Kosten

73      Gemäß Art. 122 der Verfahrensordnung finden die Bestimmungen des achten Kapitels des zweiten Titels der Verfahrensordnung über die Prozesskosten und Gerichtskosten nur auf die Rechtssachen Anwendung, die ab dem Inkrafttreten der Verfahrensordnung, d. h. ab dem 1. November 2007, beim Gericht anhängig gemacht werden. Die insoweit geltenden Bestimmungen der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz finden weiterhin entsprechende Anwendung auf die Rechtssachen, die beim Gericht vor diesem Zeitpunkt anhängig waren.

74      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des Klägers die gesamten Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung des Generaldirektors der Gemeinsamen Forschungsstelle der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 7. April 2006, die Bewerbung von Herrn Pascual García auf die Stellenausschreibung COM/2005/2969 nicht zu berücksichtigen und in die Reserveliste des allgemeinen Auswahlverfahrens EPSO/B/23/04 eine Bemerkung einzufügen, die die Dienststellen darüber informiert, dass der Kläger die Zulassungsvoraussetzungen des genannten allgemeinen Auswahlverfahrens nicht erfülle, wird aufgehoben.

2.      Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten.

Van Raepenbusch

Boruta

Kanninen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 22. Mai 2008.

Die Kanzlerin

 

       Der Präsident

W. Hakenberg

 

       S. Van Raepenbusch

Die vorliegende Entscheidung sowie die darin zitierten und noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlichten Entscheidungen der Gemeinschaftsgerichte sind auf der Internetseite des Gerichtshofs verfügbar: www.curia.europa.eu


* Verfahrenssprache: Französisch.