Language of document : ECLI:EU:C:2021:20

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GIOVANNI PITRUZZELLA

vom 14. Januar 2021(1)

Rechtssache C718/18

Europäische Kommission

gegen

Bundesrepublik Deutschland

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt – Richtlinien 2009/72 und 2009/73 – Begriff ‚vertikal integriertes Unternehmen‘ – Wirksame Trennung des Betriebs der Übertragungsnetze von den Tätigkeiten der Erzeugung, Gewinnung und Versorgung – Unabhängigkeit des Personals und der Unternehmensleitung des Übertragungsnetzbetreibers – Ausschließliche Zuständigkeiten und Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden – Grundsatz der Demokratie“






1.        Welche Bedeutung hat der Begriff „vertikal integriertes Unternehmen“ im Elektrizitäts- und Gassektor, und fallen unter diesen Begriff insbesondere auch Tätigkeiten außerhalb der Europäischen Union? Welchen Umfang haben die den nationalen Regulierungsbehörden (im Folgenden: NRB) durch das Unionsrecht übertragenen ausschließlichen Zuständigkeiten im Elektrizitäts- und Gassektor, und über welche regulatorischen Handlungsmöglichkeiten verfügen die Mitgliedstaaten insoweit?

2.        Dies sind im Wesentlichen die wichtigsten Fragen, die mit der vorliegenden Klage aufgeworfen werden, mit der die Europäische Kommission beantragt, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus mehreren Bestimmungen der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG(2) sowie der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG(3) (im Folgenden zusammen auch: Richtlinien) verstoßen hat.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinie 2009/72

3.        Nach Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 „[bezeichnet i]m Sinne dieser Richtlinie … der Ausdruck ‚vertikal integriertes Unternehmen‘ ein Elektrizitätsunternehmen oder eine Gruppe von Elektrizitätsunternehmen, in der ein und dieselbe(n) Person(en) berechtigt ist (sind), direkt oder indirekt Kontrolle auszuüben, wobei das betreffende Unternehmen bzw. die betreffende Gruppe von Unternehmen mindestens eine der Funktionen Übertragung oder Verteilung und mindestens eine der Funktionen Erzeugung von oder Versorgung mit Elektrizität wahrnimmt“.

4.        Art. 19 („Unabhängigkeit des Personals und der Unternehmensleitung des Übertragungsnetzbetreibers“) der Richtlinie 2009/72 bestimmt in den Abs. 3, 5 und 8:

„(3)      Es dürfen in den letzten drei Jahren vor einer Ernennung von Führungskräften und/oder Mitglieder[n] der Verwaltungsorgane des Übertragungsnetzbetreibers, die diesem Absatz unterliegen, bei dem vertikal integrierten Unternehmen, einem seiner Unternehmensteile oder bei anderen Mehrheitsanteilseignern als dem Übertragungsnetzbetreiber weder direkt noch indirekt berufliche Positionen bekleidet oder berufliche Aufgaben wahrgenommen noch Interessens- oder Geschäftsbeziehungen zu ihnen unterhalten werden.

(5)      Die Personen der Unternehmensleitung und/oder Mitglieder der Verwaltungsorgane und die Beschäftigten des Übertragungsnetzbetreibers dürfen weder direkt noch indirekt Beteiligungen an Unternehmensteilen des vertikal integrierten Unternehmens halten noch finanzielle Zuwendungen von diesen erhalten; ausgenommen hiervon sind Beteiligungen am und Zuwendungen vom Übertragungsnetzbetreiber. Ihre Vergütung darf nicht an die Tätigkeiten oder Betriebsergebnisse des vertikal integrierten Unternehmens, soweit sie nicht den Übertragungsnetzbetreiber betreffen, gebunden sein.

(8)      Absatz 3 gilt für die Mehrheit der Angehörigen der Unternehmensleitung und/oder Mitglieder der Verwaltungsorgane des Übertragungsnetzbetreibers.

Die Angehörigen der Unternehmensleitung und/oder Mitglieder der Verwaltungsorgane des Übertragungsnetzbetreibers, für die Absatz 3 nicht gilt, dürfen in den letzten sechs Monaten vor ihrer Ernennung bei dem vertikal integrierten Unternehmen keine Führungstätigkeit oder andere einschlägige Tätigkeit ausgeübt haben.

Unterabsatz 1 dieses Absatzes und Absätze 4 bis 7 finden Anwendung auf alle Personen, die der obersten Unternehmensleitung angehören, sowie auf die ihnen unmittelbar unterstellten Personen, die mit dem Betrieb, der Wartung oder der Entwicklung des Netzes befasst sind.“

5.        Art. 35 („Benennung und Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden“) der Richtlinie 2009/72 bestimmt:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat benennt auf nationaler Ebene eine einzige nationale Regulierungsbehörde.

(4)      Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde und gewährleisten, dass diese ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausübt. Hierzu stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Regulierungsbehörde bei der Wahrnehmung der ihr durch diese Richtlinie und zugehörige Rechtsvorschriften übertragenen Regulierungsaufgaben

a)      rechtlich getrennt und funktional unabhängig von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen ist …

b)      und sicherstellt, dass ihr Personal und ihr Management

i)      unabhängig von Marktinteressen handelt und

ii)      bei der Wahrnehmung der Regulierungsaufgaben keine direkten Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen einholt oder entgegennimmt. Eine etwaige enge Zusammenarbeit mit anderen zuständigen nationalen Behörden oder allgemeine politische Leitlinien der Regierung, die nicht mit den Regulierungsaufgaben und ‑befugnissen gemäß Artikel 37 im Zusammenhang stehen, bleiben hiervon unberührt.

(5)      Zur Wahrung der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde stellen die Mitgliedstaaten insbesondere sicher,

a)      dass die Regulierungsbehörde unabhängig von allen politischen Stellen selbständige Entscheidungen treffen kann …

…“

6.        Art. 37 („Aufgaben und Befugnisse der Regulierungsbehörde“) der Richtlinie 2009/72 lautet:

„(1)      Die Regulierungsbehörde hat folgende Aufgaben:

a)      Sie ist dafür verantwortlich, anhand transparenter Kriterien die Fernleitungs- oder Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Methoden festzulegen oder zu genehmigen;

(6)      Den Regulierungsbehörden obliegt es, zumindest die Methoden zur Berechnung oder Festlegung folgender Bedingungen mit ausreichendem Vorlauf vor deren Inkrafttreten festzulegen oder zu genehmigen:

a)      die Bedingungen für den Anschluss an und den Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich der Tarife für die Übertragung und die Verteilung oder ihrer Methoden. Diese Tarife oder Methoden sind so zu gestalten, dass die notwendigen Investitionen in die Netze so vorgenommen werden können, dass die Lebensfähigkeit der Netze gewährleistet ist.

b)      die Bedingungen für die Erbringung von Ausgleichsleistungen, die möglichst wirtschaftlich sind und den Netzbenutzern geeignete Anreize bieten, die Einspeisung und Abnahme von [Energie] auszugleichen. Die Ausgleichsleistungen werden auf faire und nichtdiskriminierende Weise erbracht und auf objektive Kriterien gestützt; …

…“

2.      Richtlinie 2009/73

7.        Art. 2 Nr. 20, Art. 19 Abs. 3, 5 und 8 sowie Art. 39 Abs. 1, 4 und 5 sowie Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73 entsprechen mutatis mutandis mit Bezug auf den Erdgassektor den oben genannten Bestimmungen der Richtlinie 2009/72.

B.      Deutsches Recht

8.        Nach § 3 Nr. 38 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)(4) ist ein vertikal integriertes Energieversorgungsunternehmen „ein in der Europäischen Union im Elektrizitäts- oder Gasbereich tätiges Unternehmen oder eine Gruppe von Elektrizitäts- oder Gasunternehmen, die im Sinne des Artikels 3 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 … über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen[(5)] miteinander verbunden sind, wobei das betreffende Unternehmen oder die betreffende Gruppe in der Europäischen Union im Elektrizitätsbereich mindestens eine der Funktionen Übertragung oder Verteilung und mindestens eine der Funktionen Erzeugung oder Vertrieb von Elektrizität oder im Erdgasbereich mindestens eine der Funktionen Fernleitung, Verteilung, Betrieb einer LNG-Anlage oder Speicherung und gleichzeitig eine der Funktionen Gewinnung oder Vertrieb von Erdgas wahrnimmt“.

9.        § 10c Abs. 2 EnWG lautet:

„Die Mehrheit der Angehörigen der Unternehmensleitung des Transportnetzbetreibers darf in den letzten drei Jahren vor einer Ernennung nicht bei einem Unternehmen des vertikal integrierten Unternehmens, das im Elektrizitätsbereich eine der Funktionen Erzeugung, Verteilung, Lieferung oder Kauf von Elektrizität und im Erdgasbereich eine der Funktionen Gewinnung, Verteilung, Lieferung, Kauf oder Speicherung von Erdgas wahrnimmt oder kommerzielle, technische oder wartungsbezogene Aufgaben im Zusammenhang mit diesen Funktionen erfüllt, oder einem Mehrheitsanteilseigner dieser Unternehmen angestellt gewesen sein oder Interessen- oder Geschäftsbeziehungen zu einem dieser Unternehmen unterhalten haben. Die verbleibenden Angehörigen der Unternehmensleitung des Unabhängigen Transportnetzbetreibers dürfen in den letzten sechs Monaten vor einer Ernennung keine Aufgaben der Unternehmensleitung oder mit der Aufgabe beim Unabhängigen Transportnetzbetreiber vergleichbaren Aufgabe bei einem Unternehmen des vertikal integrierten Unternehmens, das im Elektrizitätsbereich eine der Funktionen Erzeugung, Verteilung, Lieferung oder Kauf von Elektrizität und im Erdgasbereich eine der Funktionen Gewinnung, Verteilung, Lieferung, Kauf oder Speicherung von Erdgas wahrnimmt oder kommerzielle, technische oder wartungsbezogene Aufgaben im Zusammenhang mit diesen Funktionen erfüllt, oder einem Mehrheitsanteilseigner dieser Unternehmen wahrgenommen haben. …“

10.      § 10c Abs. 4 EnWG bestimmt:

„Der Unabhängige Transportnetzbetreiber und das vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen haben zu gewährleisten, dass Personen der Unternehmensleitung und die übrigen Beschäftigten des Unabhängigen Transportnetzbetreibers nach dem 3. März 2012 keine Anteile des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens oder eines seiner Unternehmensteile erwerben, es sei denn, es handelt sich um Anteile des Unabhängigen Transportnetzbetreibers. Personen der Unternehmensleitung haben Anteile des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens oder eines seiner Unternehmensteile … bis zum 31. März 2016 zu veräußern. …“

11.      Nach § 10c Abs. 6 EnWG gilt § 10c Abs. 2 für Personen, die der obersten Unternehmensleitung unmittelbar unterstellt und für Betrieb, Wartung oder Entwicklung des Netzes verantwortlich sind, entsprechend.

12.      § 24 („Regelungen zu den Netzzugangsbedingungen, Entgelten für den Netzzugang sowie zur Erbringung und Beschaffung von Ausgleichsleistungen; Verordnungsermächtigung“) EnWG hat folgenden Wortlaut:

„Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.      die Bedingungen für den Netzzugang einschließlich der Beschaffung und Erbringung von Ausgleichsleistungen oder Methoden zur Bestimmung dieser Bedingungen sowie Methoden zur Bestimmung der Entgelte für den Netzzugang … festzulegen, …

2.      zu regeln, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen die Regulierungsbehörde diese Bedingungen oder Methoden festlegen oder auf Antrag des Netzbetreibers genehmigen kann,

3.      zu regeln, in welchen Sonderfällen der Netznutzung und unter welchen Voraussetzungen die Regulierungsbehörde im Einzelfall individuelle Entgelte für den Netzzugang genehmigen oder untersagen kann …

…“

II.    Vorverfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof

13.      Am 20. Mai 2014 richtete die Kommission von Amts wegen im Rahmen einer Untersuchung der Umsetzung der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 in deutsches Recht zur Prüfung etwaiger Unvereinbarkeiten mit dem Unionsrecht eine Reihe von Fragen zur Umsetzung dieser Richtlinien an die Bundesrepublik Deutschland, die die deutschen Behörden mit Schreiben vom 12. September 2014 beantworteten.

14.      Da die Kommission der Auffassung war, dass das nationale Recht in mehreren Punkten nicht mit den Richtlinien im Einklang stehe, übermittelte sie am 27. Februar 2015 im Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2285 ein Aufforderungsschreiben an die Bundesrepublik Deutschland, auf das diese mit Schreiben vom 24. Juni 2015 antwortete.

15.      Am 29. April 2016 sandte die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland, in der die Kommission ihre im Aufforderungsschreiben dargelegte Auffassung aufrechterhielt, dass bestimmte Vorschriften des deutschen Rechts nicht mit den Richtlinien 2009/72 und 2009/73 vereinbar seien. Die Bundesrepublik Deutschland antwortete mit Schreiben vom 29. August 2016, dass Gesetzesänderungen in Bezug auf bestimmte in der mit Gründen versehenen Stellungnahme erhobene Rügen im Gange seien, und übermittelte am 19. September 2017 die geänderte Gesetzesfassung, die seit dem 22. Juli 2017 in Kraft sei.

16.      Da die Kommission der Auffassung ist, dass die von der Bundesrepublik Deutschland erlassenen Rechtsvorschriften nach wie vor in einigen Punkten nicht den Richtlinien entsprächen, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

III. Rechtliche Würdigung

17.      Die Kommission stützt ihre Klage auf vier Rügen, die alle die nicht ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 durch die Bundesrepublik Deutschland in das EnWG betreffen.

A.      Zur ersten Rüge: mangelhafte Umsetzung des Begriffs „vertikal integriertes Unternehmen“

1.      Vorbringen der Parteien

18.      Die Kommission trägt vor, die Definition des Begriffs „vertikal integriertes Unternehmen“ in § 3 Nr. 38 EnWG stehe nicht im Einklang mit Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73, so dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus diesen Richtlinienbestimmungen verstoßen habe.

19.      Die Kommission weist darauf hin, dass der Begriff „vertikal integriertes Unternehmen“ in der Definition des EnWG auf Unternehmen beschränkt sei, die in der Union tätig seien. Auf diese Weise seien Unternehmen, die zwar von dem vertikal integrierten Unternehmen kontrolliert würden, aber Tätigkeiten außerhalb der Union ausübten, von dieser Definition ausgenommen. So fielen z. B. außerhalb der Union ausgeübte Erzeugungs- oder Versorgungstätigkeiten nicht in den Anwendungsbereich der Definition. Die deutsche NRB berücksichtige bei der Bestimmung der Eigenschaft eines vertikal integrierten Unternehmens nicht die außerhalb der Union ausgeübten Tätigkeiten. Damit prüfe sie nicht, ob diese Tätigkeiten zu Interessenkonflikten führten.

20.      Nach Ansicht der Kommission verstößt die deutsche Regelung sowohl gegen Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 als auch gegen die Ziele der Vorschriften über die tatsächliche Entflechtung der Tätigkeiten nach den Richtlinien.

21.      Ihrem Wortlaut nach enthalte keine dieser beiden Bestimmungen eine Einschränkung hinsichtlich des geografischen Gebiets, in dem die Tätigkeiten des vertikal integrierten Unternehmens ausgeübt werden müssten. Vielmehr ergebe sich aus den Erwägungsgründen 24 der Richtlinie 2009/72 und 21 der Richtlinie 2009/73, dass der Grundsatz der tatsächlichen Trennung der Netzaktivitäten von den Versorgungs- und Erzeugungsaktivitäten in der gesamten Union sowohl für Unionsunternehmen als auch für Nichtunionsunternehmen gelten sollte.

22.      Was die Ziele anbelange, so solle mit den Entflechtungsvorschriften sichergestellt werden, dass ein Übertragungsnetzbetreiber nur zertifiziert werde, wenn garantiert sei, dass er das Netz in unabhängiger und diskriminierungsfreier Weise betreibe. Sie zielten darauf ab, die für vertikal integrierte Unternehmen bestehenden Anreize zu beseitigen, Wettbewerber in Bezug auf den Netzzugang, auf den Zugang zu kommerziellen Informationen und auf Investitionen zu diskriminieren. Zu einem solchen Interessenkonflikt könne es nicht nur dann kommen, wenn die Tätigkeiten des vertikal integrierten Unternehmens innerhalb der Union ausgeübt würden, sondern auch dann, wenn diese Tätigkeiten außerhalb der Union ausgeübt würden.

23.      Die Einbeziehung von außerhalb der Union ausgeübten Tätigkeiten in den Anwendungsbereich des Begriffs des vertikal integrierten Unternehmens bedeute nicht, dass außereuropäische Unternehmen zu unmittelbaren Adressaten von Rechten und Pflichten nach dem Unionsrecht würden, und weite nicht die Zuständigkeitsbereiche der Union aus. Die den Entflechtungsvorschriften unterliegenden Übertragungsnetzbetreiber seien nämlich stets innerhalb der Union tätig. Die Einbeziehung von außerhalb der Union ausgeübten Tätigkeiten in die Definition des vertikal integrierten Unternehmens ermögliche es, diese Tätigkeiten in der Union zu bewerten. Einer solchen Auslegung stehe kein Grundsatz des Wettbewerbsrechts oder des Völkerrechts entgegen.

24.      Die Bundesrepublik Deutschland tritt dem Vorbringen der Kommission entgegen.

25.      Als Erstes sei, was den Wortlaut betreffe, der Rechtsprechung zu entnehmen, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet seien, Richtlinien wörtlich umzusetzen, sofern ihre Umsetzung dem Rechtsgehalt nach sichergestellt sei. Die Definition des Begriffs „vertikal integriertes Unternehmen“ in § 3 Abs. 38 EnWG verstoße nicht gegen den Wortlaut von Art. 2 Abs. 21 der Richtlinie 2009/72 und von Art. 2 Abs. 20 der Richtlinie 2009/73. Diese Bestimmungen enthielten nämlich keine Angaben zur geografischen Reichweite und verlangten daher bei ihrer Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten eine Klarstellung dieses Punktes. Der Gerichtshof habe im Übrigen jüngst klargestellt, dass für den Fall, dass die Regelung einer Richtlinie der Konkretisierung bedürfe, um dem Gebot der Rechtssicherheit zu genügen, es Aufgabe der Mitgliedstaaten im Rahmen der Richtlinienumsetzung sei, diese Präzisierung vorzunehmen(6). Die Erwägungsgründe 24 und 25 der Richtlinie 2009/72 und die Erwägungsgründe 21 und 22 der Richtlinie 2009/73 bestätigten die Auslegung der deutschen Regierung.

26.      Als Zweites entspreche die von der Kommission vertretene Auffassung nicht dem Zweck der Richtlinienbestimmungen über die Entflechtung. Zunächst komme die Kommission ihrer Beweislast in Bezug auf das Vorliegen der Vertragsverletzung nicht nach und liefere kein Beispiel für mögliche Interessenkonflikte. Nach Ansicht der deutschen Regierung erfordern die Ziele der Entflechtungsvorschriften nicht, dass die Tätigkeiten, die außerhalb der Union von Energieversorgungsunternehmen ausgeübt würden, bei der Definition des vertikal integrierten Unternehmens berücksichtigt würden. Ein Interessenkonflikt könne nämlich nur dann vorliegen, wenn die Teile eines vertikal integrierten Unternehmens, die in den Wettbewerbsbereichen der Erzeugung oder Gewinnung und der Verteilung von Elektrizität oder Gas Tätigkeiten ausübten, in der Union tätig seien. Ohne eine Tätigkeit in der Union bestehe keine Gefahr eines negativen Einflusses auf einen Übertragungsnetzbetreiber.

27.      Als Drittes liefe eine Ausweitung der Definition des Begriffs „vertikal integriertes Unternehmen“ auf Tätigkeiten, die außerhalb der Union von Unternehmen aus Drittstaaten ausgeübt würden, sowohl der Rechtsprechung, wonach das Unionsrecht nur anzuwenden sei, wenn das fragliche Verhalten in der Union unmittelbare und wesentliche Auswirkungen habe, als auch dem Völkerrecht zuwider. Diese Unternehmen aus Drittländern würden nämlich zu Adressaten von Rechten und Pflichten, ohne dass sie auf dem Gebiet der Union tätig seien und ohne dass ihre außereuropäische Tätigkeit tatsächlich Auswirkungen auf dem Gebiet der Union habe.

28.      Als Viertes trägt die deutsche Regierung vor, eine Auslegung der Richtlinien im Licht der Rechtsgrundlagen und der Grundrechte und Grundfreiheiten stütze ihren Standpunkt. Zum einen seien die Richtlinien auf der Grundlage von Art. 47 Abs. 2 sowie der Art. 55 und 95 EGV(7) erlassen worden, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit erleichtern sollten und die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand hätten. Folglich könnten diese Vertragsbestimmungen nicht die Rechtsgrundlage für den Erlass von Regelungen für wirtschaftliche Betätigungen, denen Unternehmen in Drittstaaten nachgingen, bilden. Zum anderen legten die Richtlinien vertikal integrierten Unternehmen Pflichten auf, die die Kapitalverkehrsfreiheit im Sinne von Art. 63 AEUV sowie die Berufsfreiheit der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter nach Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie das Eigentumsrecht nach Art. 17 Abs. 1 der Charta beschränkten. Soweit Aktivitäten von Drittstaatsunternehmen außerhalb der Union keine Auswirkungen auf den Binnenmarkt hätten, seien diesbezügliche Eingriffe in die Grundrechte und Grundfreiheiten zur Erreichung des Ziels, einen effizienten und diskriminierungsfreien Betrieb der Transportnetze in der Union zu gewährleisten, nicht erforderlich.

2.      Würdigung

29.      Die Beurteilung der Begründetheit der ersten Rüge der Kommission hängt von der Bestimmung der Tragweite des Begriffs „vertikal integriertes Unternehmen“ ab, wie er in Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 definiert ist. Insbesondere ist zu prüfen, ob eine nationale Regelung wie die in Rede stehende deutsche Regelung, die von diesem Begriff – und damit vom Anwendungsbereich der Bestimmungen über die wirksame Trennung des Netzbetriebs von der Erzeugung von Elektrizität oder der Gewinnung von Gas und Versorgung mit diesen Energieerzeugnissen – die Tätigkeiten eines Unternehmens oder einer Gruppe von Unternehmen außerhalb der Union ausschließt, mit dieser Definition vereinbar ist.

30.      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass weder Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 noch Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 hinsichtlich der Definition des Begriffs „vertikal integriertes Unternehmen“ einen Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten enthalten.

31.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangen die einheitliche Anwendung des Unionsrechts und der Gleichheitssatz, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Vorschrift, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind, wobei diese Auslegung unter Berücksichtigung nicht nur des Wortlauts der Bestimmung, sondern auch ihres Regelungszusammenhangs und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Zwecks zu erfolgen hat(8).

32.      Was als Erstes den Wortlaut der beiden in Rede stehenden Bestimmungen betrifft, weise ich zunächst darauf hin, dass diese im Gegensatz zu § 3 Nr. 38 EnWG keine ausdrückliche geografische Beschränkung der Tragweite der Definition des Begriffs „vertikal integriertes Unternehmen“ in dem Sinne enthalten, dass er auf Tätigkeiten beschränkt wäre, die im Unionsgebiet ausgeübt werden.

33.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung zwar ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, die Begriffsbestimmungen einer Richtlinie wörtlich umzusetzen, und daher die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nicht notwendigerweise eine wörtliche Übernahme ihrer Bestimmungen in eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift erfordert, jedoch ist es erforderlich, dass dieser Mitgliedstaat tatsächlich die vollständige Anwendung der betreffenden Richtlinie hinreichend klar und bestimmt gewährleistet(9).

34.      Entscheidend ist daher, ob die im deutschen Recht vorgesehene Einschränkung der Tragweite des Begriffs „vertikal integriertes Unternehmen“ allein auf die in der Union ausgeübten Tätigkeiten eine bloße Präzisierung der in den Richtlinien enthaltenen Definition dieses Begriffs darstellt, wie die deutsche Regierung vorträgt, oder ob sie eine unzulässige Beschränkung der Tragweite dieser Definition ist, wie die Kommission meint.

35.      Auch wenn der Wortlaut keinen endgültigen Schluss zulässt, bin ich insoweit der Ansicht, dass die systematische und die teleologische Auslegung der Bestimmungen für die zweite Option sprechen und bestätigen, dass das Fehlen einer ausdrücklichen Beschränkung der Tragweite des Begriffs „vertikal integriertes Unternehmen“ in den Richtlinien allein auf die in der Union ausgeübten Tätigkeiten bedeutet, dass der Anwendungsbereich dieser Definition nicht nur auf diese Tätigkeiten beschränkt ist.

36.      Was nämlich als Zweites den Kontext betrifft, in den sich die Definition des Begriffs „vertikal integriertes Unternehmen“ einfügt, ist darauf hinzuweisen, dass sich dieser Begriff in den Rahmen der Bestimmungen der Richtlinien einfügt, die eine wirksame Trennung des Netzbetriebs von der Erzeugung von Elektrizität oder der Gewinnung von Gas und der Versorgung mit diesen beiden Energieerzeugnissen („wirksame Entflechtung“) sicherstellen sollen(10).

37.      Insoweit ist der Hinweis sachdienlich, dass die Richtlinien den Mitgliedstaaten drei Möglichkeiten einräumen, um eine solche wirksame Entflechtung sicherzustellen. Sie können als erste Option die eigentumsrechtliche Entflechtung vorsehen, die darin besteht, dass der Netzeigentümer als Netzbetreiber benannt wird und unabhängig von Versorgungs- und Erzeugungsinteressen ist. Im System der Richtlinie stellt diese Gestaltung das wirksamste Mittel dar, um den Interessenkonflikt, den die Richtlinien selbst als „inhärent“ definieren, zwischen Erzeugern und Versorgern zum einen und Übertragungsnetzbetreibern zum anderen zu beseitigen(11).

38.      Die Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit, es einem Elektrizitätsunternehmen (oder einer Gruppe von Elektrizitätsunternehmen), das bzw. die Erzeugungs‑, Gewinnungs- oder Versorgungstätigkeiten ausübt, zu gestatten, Eigentümer der Vermögenswerte des Netzes zu bleiben, indem sie sich dafür entscheiden, einen unabhängigen Netzbetreiber (zweite Option) oder einen unabhängigen Übertragungsnetzbetreiber (dritte Option)(12) einzurichten, sofern die wirksame Entflechtung gewährleistet ist(13).

39.      In diesem Zusammenhang ist der Begriff „vertikal integriertes Unternehmen“(14) von Bedeutung, der eine grundlegende Rolle bei der Bestimmung der Einheiten spielt, die den in den Richtlinien vorgesehenen Verpflichtungen unterliegen, um in Ermangelung einer eigentumsrechtlichen Entflechtung eine wirksame Entflechtung zu gewährleisten, d. h. im Fall der unabhängigen Netzbetreiber die Bestimmungen der Art. 13 und 14 der Richtlinie 2009/72 und der Art. 14 und 15 der Richtlinie 2009/73 sowie im Fall der unabhängigen Übertragungsnetzbetreiber die Bestimmungen des Kapitels V der Richtlinie 2009/72 und des Kapitels IV der Richtlinie 2009/73. Der Begriff „vertikal integriertes Unternehmen“ ist daher im systematischen Rahmen dieser Bestimmungen und im Licht der mit den Richtlinien mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziele auszulegen.

40.      Ebenfalls in systematischer Hinsicht ist festzustellen, dass der Begriff „vertikal integriertes Unternehmen“ auf den Begriff der Kontrolle Bezug nimmt, dessen Definition, wie sich aus dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/72 und dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/73 ergibt, aus der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen übernommen wurde(15). Ich bin jedoch der Ansicht, dass die Definition dieses Begriffs für die Prüfung der vorliegenden Rüge nicht relevant ist(16).

41.      In dem so festgelegten systematischen Rahmen sind drittens die Ziele der Richtlinie und insbesondere die Vorschriften über die wirksame Entflechtung heranzuziehen.

42.      Wie sich aus mehreren Erwägungsgründen der beiden Richtlinien ergibt(17) und wie bereits ausgeführt, besteht insoweit das Ziel dieser Vorschriften darin, den inhärenten Interessenkonflikt zu beseitigen, der zwischen den Unternehmen, die in der Erzeugung von Elektrizität oder der Gewinnung von Gas und der Versorgung mit diesen tätig sind, einerseits und den Übertragungsnetzbetreibern andererseits besteht, um einen fairen Netzzugang zu gewährleisten, in nicht diskriminierender Weise Investitionen in die Infrastrukturen zu fördern, Transparenz des Marktes sicherzustellen und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, letztendlich mit dem Ziel, einen Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt zu errichten(18).

43.      Insoweit bin ich der Ansicht, dass, wie die Kommission ausgeführt hat, nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Interessenkonflikt zwischen einem in der Union ansässigen Übertragungsnetzbetreiber und Unternehmen besteht, die in der Erzeugung von Elektrizität oder der Gewinnung von Gas oder der Versorgung mit diesen tätig sind, wenn diese Tätigkeiten außerhalb des Unionsgebiets stattfinden, so dass die Einbeziehung dieser Tätigkeiten zum Zweck der Einstufung einer Einheit als vertikal integriertes Unternehmen systematisch ausgeschlossen werden könnte.

44.      In ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung hat die Kommission als spezifisches Beispiel eine Situation genannt, in der Gas oder Elektrizität, die von einem Unternehmen außerhalb der Union erzeugt werden, in ein Übertragungsnetz innerhalb der Union, das im Eigentum desselben Unternehmens steht, befördert wird. In einem solchen Fall ist die Gefahr, dass diskriminierende Verhaltensweisen beim Betrieb des Netzes (wie z. B. fehlende oder verzögerte Investitionen) an den Tag gelegt werden, die die für den Transport von Energieerzeugnissen von Wettbewerbern verwendeten Teile des Netzes benachteiligen würden, offenkundig. Außerdem hätte der Netzbetreiber in einem solchen Fall Zugang zu sensiblen Daten über Wettbewerber, die zu seinem Vorteil für seine Erzeugungs- bzw. Gewinnungs- oder Versorgungstätigkeiten genutzt werden könnten. Angesichts der mit den Richtlinienbestimmungen über die wirksame Entflechtung verfolgten Ziele steht außer Zweifel, dass solche Situationen in ihren Anwendungsbereich fallen müssen.

45.      Daraus folgt, dass die enge Auslegung des Begriffs „vertikal integriertes Unternehmen“, wie die von der deutschen Regierung vorgeschlagene, die praktische Wirksamkeit der Richtlinienbestimmungen über die wirksame Entflechtung gefährdet und dass der Ausschluss von Situationen eines potenziellen Interessenkonflikts, wie er im vorstehenden Absatz dargelegt wird, vom Anwendungsbereich dieses Begriffs aufgrund einer Beschränkung der Tragweite dieses Begriffs ausschließlich auf die Tätigkeiten innerhalb der Union, wie dies nach § 3 Nr. 38 EnWG der Fall ist, nicht mit den von diesen Richtlinien verfolgten Zielen im Einklang steht.

46.      Insoweit weise ich zum einen auch darauf hin, dass der Gerichtshof in Bezug auf die Richtlinie 2009/72 bereits Gelegenheit hatte, klarzustellen, dass aus den Erwägungsgründen 16, 17 und 19 dieser Richtlinie sowie aus ihrem Art. 47 Abs. 3 hervorgeht, dass mit den Entflechtungsvorschriften die volle, effektive Unabhängigkeit der Übertragungsnetzbetreiber von den Tätigkeiten der Erzeugung und Versorgung sichergestellt werden soll(19). Dieselben Erwägungen gelten für die Richtlinie 2009/73(20).

47.      Zum anderen geht aus den Erwägungsgründen 24 der Richtlinie 2009/72 und 21 der Richtlinie 2009/73 hervor, dass der Grundsatz der tatsächlichen Trennung der Netzaktivitäten von den Versorgungs- und Erzeugungsaktivitäten in der gesamten Union sowohl für Unionsunternehmen als auch für Nichtunionsunternehmen gelten sollte. Situationen wie die oben in Nr. 44 beispielhaft genannte gewährleisten in der Union, wo sich das Übertragungsnetz, das Gegenstand der Regulierung ist, befindet, keine völlige Trennung der Netzaktivitäten von den Versorgungs- und Erzeugungsaktivitäten.

48.      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung eine Auslegung des Begriffs „vertikal integriertes Unternehmen“, die in dessen Umfang die Erzeugungs- bzw. Gewinnungs- oder Versorgungstätigkeiten einbezieht, die außerhalb der Union ausgeübt werden, weder zu einer extraterritorialen Anwendung des Unionsrechts führt, die der Rechtsprechung des Gerichtshofs oder dem Völkerrecht zuwiderläuft, noch zu einer Verletzung von Grundrechten oder Grundfreiheiten von Unternehmen, die nicht in der Union tätig sind. Wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, stellen die Richtlinien nämlich keine Regelung der Tätigkeiten dar, die das vertikal integrierte Unternehmen außerhalb des Unionsgebiets ausübt, sondern legen die Bedingungen fest, die diese Unternehmen einzuhalten haben, um innerhalb der Union Netze für die Übertragung von Elektrizität oder Gas betreiben zu können(21).

49.      Nach alledem ist der ersten Rüge der Kommission meiner Meinung nach stattzugeben.

B.      Zur zweiten Rüge: unzureichende Umsetzung der Bestimmungen über Karenzzeiten im Rahmen des Modells des unabhängigen Übertragungsnetzbetreibers

1.      Vorbringen der Parteien

50.      Die Kommission trägt vor, die Bestimmungen von § 10c Abs. 2 und 6 EnWG schränkten die Tragweite der Bestimmungen von Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien in unzulässiger Weise ein und stellten daher eine unzureichende Umsetzung dieser Bestimmungen dar. Die Bundesrepublik Deutschland habe somit gegen ihre Verpflichtungen aus diesen Richtlinienbestimmungen verstoßen.

51.      Nach Auffassung der Kommission gelten Art. 19 Abs. 3 der Richtlinien für alle (direkten und indirekten) Positionen oder Aufgaben, Interessen- oder Geschäftsbeziehungen bei dem vertikal integrierten Unternehmen, seinen Unternehmensteilen, den ihm angehörenden Unternehmen und seinen Mehrheitsanteilseignern. Die Tragweite dieser Bestimmungen sei nicht auf die Teile des vertikal integrierten Unternehmens oder seiner Mehrheitsanteilseigner beschränkt, die die in § 10c Abs. 2 EnWG aufgeführten Tätigkeiten im Energiesektor ausübten.

52.      Die im deutschen Recht vorgesehene Beschränkung auf diese Tätigkeiten stehe daher weder mit dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien noch mit den Zielen der Entflechtungsregelungen im Einklang. Nach dem Modell des unabhängigen Übertragungsbetreibers könne dieser nämlich nur dann Teil eines vertikal integrierten Unternehmens bleiben, sofern eine Reihe von in den Richtlinien vorgesehenen strengen Voraussetzungen in Bezug auf Organisation, Leitung und Investitionen erfüllt würden, die seine effektive Unabhängigkeit vom vertikal integrierten Unternehmen in seiner Gesamtheit garantierten. Die Interessen des im Energiebereich tätigen Teils eines vertikal integrierten Unternehmens können sich in der Unternehmenspolitik und den Interessen des gesamten vertikal integrierten Unternehmens einschließlich seiner nicht energiebezogenen Teile niederschlagen oder diese beeinflussen.

53.      Der Ausschluss von Teilen des vertikal integrierten Unternehmens, die nicht direkt im Energiesektor tätig seien, würde es ermöglichen, die Entflechtungsvorschriften zu umgehen. Die Unternehmenseinheiten innerhalb eines vertikal integrierten Unternehmens seien zwangsläufig eng miteinander verflochten. Es könne daher nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass in der notwendigen Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Teilen dieses Unternehmens etwaige Beeinflussungen der nicht im Energiesektor tätigen Einheiten, die sich aus den Erzeugungs- und Versorgungsinteressen des vertikal integrierten Unternehmens ergäben, eintreten könnten. Gerade um dieses Risiko zu vermeiden und die effektive Entflechtung des Übertragungsnetzbetreibers vom vertikal integrierten Unternehmen sicherzustellen, habe der Unionsgesetzgeber beschlossen, in den Geltungsbereich von Art. 19 Abs. 3 und 8 das vertikal integrierte Unternehmen und seine Teile als Ganzes einzubeziehen und die Vorschriften nicht auf die energiebezogenen Teile zu beschränken, wie dies in den deutschen Umsetzungsvorschriften zu den Richtlinien geschehen sei.

54.      Die Bundesrepublik Deutschland tritt dem Vorbringen der Kommission entgegen. Erstens hätten die einschlägigen Regelungen der Richtlinien und des EnWG dieselbe Tragweite. Gemäß Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 20 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 bestehe nämlich ein vertikal integriertes Unternehmen aus Elektrizitätsunternehmen oder Erdgasunternehmen und nicht etwa aus Unternehmen, die in anderen Wirtschaftsbereichen tätig seien. Damit werde auch in den Richtlinien, ebenso wie im deutschen Recht, ein bestimmter Tätigkeitsbereich zur Bedingung für die Einordnung als Elektrizitäts- und Erdgasunternehmen gemacht.

55.      Zweitens sei es zur Erreichung der mit den Richtlinien verfolgten Ziele, nämlich die Interessenkonflikte zwischen Erzeugern, Lieferanten und Übertragungsnetzbetreibern wirksam zu lösen, erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Unabhängigkeit des Übertragungsnetzbetreibers von den Energiesektoren des vertikal integrierten Unternehmens sichergestellt werde. Um diese Interessenkonflikte zu vermeiden, sei es hingegen nicht erforderlich, die Tragweite der Karenzregelungen auf die nicht in diesen Bereichen tätigen Unternehmensteile zu erstrecken. Dass ein Personaltransfer aus einem Teil des Unternehmens, der nicht im Energiebereich tätig sei, zum Transportnetzbetreiber überhaupt dazu geeignet sei, einen Interessenkonflikt zwischen Erzeugern, Lieferanten und Fernleitungsnetz- bzw. Übertragungsnetzbetreibern auszulösen, sei nicht einmal hypothetisch denkbar.

56.      Drittens griffen die Karenzregeln potenziell in die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV und das Grundrecht auf freie Berufswahl nach Art. 15 Abs. 1 der Charta ein. Eingriffe in diese Rechte wären nur gerechtfertigt, wenn sie dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen verfolgten und zur Erreichung dieser Ziele erforderlich und verhältnismäßig wären. Für eine wirksame Entflechtung und zur Vermeidung von Interessenkonflikten innerhalb des Modells des unabhängigen Übertragungsnetzbetreibers sei es jedoch nur erforderlich, den Wechsel des Personals zwischen den verschiedenen Unternehmensteilen des vertikal integrierten Unternehmens im Energiebereich zeitlich aufzuschieben, und nicht in Bezug auf andere Teile dieses Unternehmens.

2.      Würdigung

57.      Die Beurteilung der Begründetheit der zweiten Rüge der Klage der Kommission hängt von der Bestimmung der Tragweite der Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien ab, wonach während bestimmter „Karenzzeiten“ (drei Jahre oder sechs Monate vor ihrer Ernennung) die Führungskräfte und/oder Mitglieder der Verwaltungsorgane des unabhängigen Übertragungsnetzbetreibers sowie alle anderen in Abs. 8 Unterabs. 3 dieser Bestimmungen genannten Personen im Wesentlichen keine Berufs- oder Geschäftsbeziehungen zu dem vertikal integrierten Unternehmen, einem seiner Unternehmensteile oder seinen Mehrheitsanteilseignern unterhalten haben.

58.      Insbesondere ist zu prüfen, ob nationale Umsetzungsvorschriften wie die in Rede stehenden deutschen, die die Anwendbarkeit der dort vorgesehenen erforderlichen Karenzzeiten allein auf das Personal der Teile des vertikal integrierten Unternehmens oder seiner Mehrheitsanteilseigner beschränken, die die in § 10c Abs. 2 EnWG aufgeführten Tätigkeiten im Energiesektor ausüben, mit diesen Richtlinienbestimmungen vereinbar sind.

59.      Insoweit ist, wie sich aus Nr. 31 der vorliegenden Schlussanträge ergibt, die Tragweite der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinien unter Berücksichtigung nicht nur ihres Wortlauts, sondern auch des Regelungszusammenhangs, in den sie sich einfügen, und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Zwecks zu bestimmen.

60.      In wörtlicher Hinsicht ist festzustellen, dass Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien im Gegensatz zur Umsetzungsvorschrift des EnWG keine ausdrückliche Beschränkung ihrer Tragweite allein auf das Personal der im Energiebereich tätigen Teile des vertikal integrierten Unternehmens enthalten. Vielmehr beziehen sich sowohl Abs. 3 als auch Abs. 8 Unterabs. 2 auf das vertikal integrierte Unternehmen insgesamt, wobei Abs. 3 auch auf seine Unternehmensteile ohne jede weitere Spezifikation Bezug nimmt.

61.      In systematischer und teleologischer Hinsicht gehören die Bestimmungen von Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien zu den oben genannten Bestimmungen des Kapitels V der Richtlinie 2009/72 und des Kapitels IV der Richtlinie 2009/73, mit denen im Rahmen der dritten oben in Nr. 38 angeführten Option bezweckt wird, die Unabhängigkeit des unabhängigen Übertragungsnetzbetreibers vom vertikal integrierten Unternehmen sicherzustellen, um die inhärenten Interessenkonflikte zwischen, zum einen, den Interessen im Zusammenhang mit der Erzeugung von Elektrizität oder der Gewinnung von Gas oder der Versorgung mit ihnen und, zum anderen, dem Betrieb des Übertragungsnetzes zu beseitigen, um die anderen oben in Nr. 42 angeführten Ziele zu verfolgen.

62.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wie oben in Nr. 46 ausgeführt, mit den Entflechtungsvorschriften die volle, effektive Unabhängigkeit der Übertragungsnetzbetreiber innerhalb des vertikal integrierten Unternehmens sichergestellt werden soll, in den Fällen, in denen andere Optionen als die eigentumsrechtliche Entflechtung gewählt werden, die, wie bereits ausgeführt, in den Augen des Unionsgesetzgebers vorzuziehen ist(22). Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Entflechtungsvorschriften, die in dem durch die Richtlinien geschaffenen System eine grundlegende Rolle spielen, nicht eng ausgelegt werden dürfen, sondern im Gegenteil weit auszulegen sind, um die volle, effektive Unabhängigkeit des unabhängigen Übertragungsnetzbetreibers gegenüber dem vertikal integrierten Unternehmen zu gewährleisten.

63.      Konkret bin ich der Ansicht, dass, wie die Kommission geltend macht, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass im Rahmen eines vertikal integrierten Unternehmens Konflikte zwischen den Interessen des vertikal integrierten Unternehmens als Ganzes und den Interessen des Übertragungsbetreibers entstehen können, die sich auf dessen unternehmerische Entscheidungen auswirken können. In einer notwendigerweise komplexen Struktur, wie sie die eines vertikal integrierten Unternehmens sein kann, das u. a. im Energiesektor tätig ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Interessen in den Sektoren der Erzeugung oder Gewinnung und der Versorgung die Tätigkeit von Unternehmensteilen, die nicht unmittelbar im Energiesektor tätig sind, beeinflussen können. Meiner Ansicht nach hat sich der Unionsgesetzgeber gerade aus diesem Grund im Rahmen der Bestimmungen von Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien auf das vertikal integrierte Unternehmen als Ganzes bezogen und die Tragweite dieser Bestimmungen nicht ausdrücklich auf die im Energiebereich tätigen Teile dieses Unternehmens beschränkt.

64.      Insoweit beziehen sich gewiss, wie die deutsche Regierung darlegt, die Definition des Begriffs „vertikal integriertes Unternehmen“ in Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 20 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 auf „Elektrizitätsunternehmen“ und „Erdgasunternehmen“ (oder eine Gruppe dieser Unternehmen), wie sie jeweils in den Nrn. 35 und 1 dieser Artikel definiert sind. Aus diesen Definitionen ergibt sich zwar, dass unter diese Begriffsbestimmungen natürliche oder juristische Personen fallen, die zumindest eine der dort angeführten Aufgaben wahrnehmen(23), doch folgt daraus hingegen nicht, dass vom Begriff des „vertikal integrierten Unternehmens“ seine Teile auszunehmen sind, die in diesen Sektoren nicht tätig sind, so dass diese Teile nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinienbestimmungen über die wirksame Entflechtung fallen. Wie die Kommission ausführt, würde eine solche enge Auslegung zu einer künstlichen Aufspaltung des Unternehmens führen, die an der wirtschaftlichen Realität vorbeiginge und die meines Erachtens dem in Nr. 62 der vorliegenden Schlussanträge genannten Erfordernis zuwiderliefe, diese Bestimmungen weit auszulegen.

65.      Was sodann die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV betrifft, auf die sich die deutsche Regierung beruft, bin ich der Ansicht, dass Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien zwar tatsächlich ein Hindernis für die Ausübung dieser Freiheit darstellen können, dass sie jedoch dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Union entsprechen und gerechtfertigt und verhältnismäßig sind.

66.      Insoweit weise ich darauf hin, dass nach der Rechtsprechung eine Maßnahme, die eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellt, nur dann zulässig ist, wenn mit ihr eines der im AEU-Vertrag genannten legitimen Ziele verfolgt wird oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Darüber hinaus muss in einem derartigen Fall ihre Anwendung geeignet sein, die Verwirklichung des in Rede stehenden Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zu seiner Erreichung erforderlich ist(24).

67.      Insoweit weise ich darauf hin, dass das mit Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien verfolgte Ziel, die wirksame Entflechtung sicherzustellen, notwendig ist, um das in Art. 194 Abs. 1 AEUV genannte Funktionieren des Energiebinnenmarkts sicherzustellen. Diese Bestimmungen sind auch zur Erreichung dieses Ziels geeignet, da die Bestimmung von „Karenzzeiten“ innerhalb des vertikal integrierten Unternehmens oder seiner Mehrheitsanteilseigner vor der Ernennung auf Verantwortungs- oder Leitungspositionen des Übertragungsnetzbetreibers dessen Unabhängigkeit von den Strukturen des vertikal integrierten Unternehmens gewährleisten kann, die durch die Interessen im Zusammenhang mit den Tätigkeiten der Erzeugung oder Gewinnung von und der Versorgung mit Elektrizität oder Gas beeinflusst werden können. In Anbetracht der Befristung der vorgesehenen Beschränkungen bin ich auch der Ansicht, dass diese Bestimmungen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist.

68.      Was hingegen das Grundrecht auf freie Berufswahl nach Art. 15 Abs. 1 der Charta betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dieses Recht nicht absolut gewährleistet wird, sondern im Zusammenhang mit seiner gesellschaftlichen Funktion zu sehen ist, und dass die Ausübung dieses Rechts daher Beschränkungen unterworfen werden kann, sofern diese tatsächlich den dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Union entsprechen und keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und untragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet(25).

69.      Aus den Ausführungen oben in Nr. 67 ergibt sich, dass Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Union entspricht. Wegen ihres zeitlich beschränkten Charakters können sie meines Erachtens auch nicht als unverhältnismäßiger und untragbarer Eingriff angesehen werden, der das durch Art. 15 Abs. 1 der Charta gewährleistete Grundrecht auf freie Berufswahl in seinem Wesensgehalt antastet.

70.      Nach alledem ist meines Erachtens auch der zweiten Rüge der Kommission stattzugeben.

C.      Zur dritten Rüge: unzureichende Umsetzung von Art. 19 Abs. 5 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73

1.      Vorbringen der Parteien

71.      Die Kommission wirft der Bundesrepublik Deutschland vor, die Bestimmungen von Art. 19 Abs. 5 der Richtlinien, die im Rahmen der Option des unabhängigen Übertragungsnetzbetreibers vorsehen, dass die Personen der Unternehmensleitung und/oder Mitglieder der Verwaltungsorgane und die Beschäftigten des Übertragungsnetzbetreibers weder Beteiligungen an Unternehmensteilen des vertikal integrierten Unternehmens halten noch Zuwendungen von diesen erhalten dürfen, wobei ausgenommen hiervon Beteiligungen am und Zuwendungen vom Übertragungsnetzbetreiber sind, nicht vollumfänglich in nationales Recht umgesetzt zu haben.

72.      Die Verpflichtung zum Verkauf der Anteile am vertikal integrierten Unternehmen, die vor dem 3. März 2012 erworben worden seien, nach § 10c Abs. 4 EnWG gelte nämlich nur für die von der Unternehmensleitung des Übertragungsnetzbetreibers erworbenen Anteile, nicht aber für die von Beschäftigten erworbenen Anteile, wogegen diese Verpflichtung nach Art. 19 Abs. 5 der Richtlinien gleichermaßen für Unternehmensleitung und Beschäftigte gelte. Die Mitarbeiter eines Übertragungsnetzbetreibers könnten zwar keine Managemententscheidungen treffen, sie seien aber gleichwohl in der Lage, die Tätigkeiten ihres Arbeitgebers zu beeinflussen, was es rechtfertige, auch auf diese die Verpflichtung zum Verkauf ihrer Anteile am vertikal integrierten Unternehmen anzuwenden. Eine solche Verpflichtung beeinträchtige nicht die Eigentumsrechte dieser Beschäftigten, da sie nur für die Zukunft gelte, so dass die bereits ausgeschütteten Dividenden nicht betroffen seien. Außerdem würden diese Anteile nur mit Zustimmung ihres Inhabers und gegen eine angemessene Vergütung verkauft.

73.      Die Bundesrepublik Deutschland tritt dem Vorbringen der Kommission entgegen. Die unterschiedliche Behandlung der Unternehmensleitung des Übertragungsnetzbetreibers gegenüber den anderen Beschäftigten bei der Verpflichtung zur Veräußerung der Anteile an dem vertikal integrierten Unternehmen sei auf ihre herausgehobene Stellung zurückzuführen. Für die Unternehmensleitung seien nämlich Aktienoptionen oder Unternehmensanteile häufig ein Gehaltsbestandteil, so dass das Gehalt der Unternehmensleitung daher von der Entwicklung des Aktienkurses abhänge. Des Weiteren hätten Personen der Unternehmensleitung grundsätzlich entscheidenden strategischen Einfluss auf die Ausübung des Tagesgeschäfts des Transportnetzbetreibers, was eine besondere Gefahr von Interessenkonflikten mit sich bringe. Die anderen Mitarbeiter hätten hingegen keine signifikanten Einflussmöglichkeiten auf das Tagesgeschäft des Netzbetriebs. Außerdem seien Aktien des vertikal integrierten Unternehmens vor Inkrafttreten der stärkeren Unabhängigkeitsanforderungen nach den Richtlinien häufig Bestandteil des Vermögensaufbaus oder der individuellen Altersvorsorge der Mitarbeiter gewesen. Um deren verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsrechte nicht unverhältnismäßig zu beschränken, sei daher beschlossen worden, es diesen Beschäftigten lediglich für die Zukunft zu untersagen, Aktien des vertikal integrierten Unternehmens zu erwerben. Diese Entscheidung sei das Ergebnis einer Abwägung des Interesses an der wirksamen Entflechtung mit dem Schutz des Eigentums der Beschäftigten. Jedenfalls träfen die Richtlinien keine Regelung, wie mit Anteilen zu verfahren sei, die die Beschäftigten vor dem Stichtag erworben hätten, so dass es den Mitgliedstaaten überlassen gewesen sei, ihrer Ansicht nach geeignete Übergangsregelungen zu treffen.

2.      Würdigung

74.      Die Beurteilung der Begründetheit der dritten Rüge der Kommission hängt von der Bestimmung der Tragweite von Art. 19 Abs. 5 der Richtlinien ab. Insbesondere ist zu prüfen, ob mit diesen Bestimmungen nationale Umsetzungsvorschriften wie § 10c Abs. 4 EnWG vereinbar sind, die eine Verpflichtung zur Übertragung der Anteile am Kapital des vertikal integrierten Unternehmens oder eines Teils davon nur für die Personen der Unternehmensleitung, unter Ausschluss der anderen Beschäftigten des Übertragungsnetzbetreibers, vorsehen.

75.      Insoweit ist, wie sich aus Nr. 31 der vorliegenden Schlussanträge ergibt, die Tragweite der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinien unter Berücksichtigung nicht nur ihres Wortlauts, sondern auch des Regelungszusammenhangs, in den sie sich einfügen, und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Zwecks zu bestimmen.

76.      Ihrem Wortlaut nach verbieten die Bestimmungen von Art. 19 Abs. 5 der Richtlinien eindeutig sowohl den Personen der Unternehmensleitung und/oder den Mitgliedern der Verwaltungsorgane als auch den Beschäftigten des Übertragungsnetzbetreibers das Halten von Beteiligungen an Unternehmensteilen des vertikal integrierten Unternehmens. Diese Bestimmungen treffen keine Unterscheidung zwischen der ersten und der zweiten Gruppe der betroffenen Personen.

77.      In systematischer und teleologischer Hinsicht bin ich der Ansicht, dass Erwägungen, die den oben in den Nrn. 61 und 62 im Hinblick auf die Abs. 3 und 8 dieses Artikels der Richtlinien dargelegten entsprechen, auch für die Bestimmung der Tragweite von Abs. 5 dieses Artikels gelten. Insbesondere rechtfertigt meines Erachtens das den Entflechtungsvorschriften zugrunde liegende Erfordernis, die volle, effektive Unabhängigkeit der Übertragungsnetzbetreiber innerhalb des vertikal integrierten Unternehmens sicherzustellen, in den Fällen, in denen andere Optionen als die eigentumsrechtliche Entflechtung gewählt werden(26), eine weite Auslegung des Verbots des Haltens von Beteiligungen an dem vertikal integrierten Unternehmen, das den Wortlaut der Bestimmungen wahrt und daher eine Verpflichtung zur Übertragung im Fall des Haltens dieser Beteiligungen zulasten der Beschäftigten umfasst. Wie die Kommission ausgeführt hat, kann selbst dann, wenn ein Beschäftigter nicht an den laufenden unternehmerischen Entscheidungen des Übertragungsnetzbetreibers beteiligt ist, nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass er in der Lage sein kann, die Tätigkeiten seines Arbeitgebers zu beeinflussen, und dass daher Interessenkonflikte entstehen können, wenn er Beteiligungen an dem vertikal integrierten Unternehmen oder Teilen davon hält.

78.      In diesem Zusammenhang bin ich daher der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der fraglichen Bestimmungen der Richtlinie über keinerlei Ermessensspielraum verfügen, die Beschäftigten des Übertragungsnetzbetreibers von der Verpflichtung zur Übertragung der Beteiligungen am vertikal integrierten Unternehmen auszuschließen.

79.      Zur Frage der Verhältnismäßigkeit des Verbots für die Gesamtheit der Beschäftigten des Übertragungsnetzbetreibers, Beteiligungen am vertikal integrierten Unternehmen zu halten, ergibt sich aus dem Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmungen, dass sich der Unionsgesetzgeber dafür entschieden hat, nicht zwischen den verschiedenen vom Verbot betroffenen Arten von Beschäftigten des unabhängigen Übertragungsnetzbetreibers zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang läuft die erneute Erörterung dieser Entscheidung meines Erachtens im Wesentlichen darauf hinaus, die Rechtmäßigkeit der Bestimmungen der Richtlinien in Frage zu stellen.

80.      Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Mitgliedstaat mangels einer Vorschrift des AEU-Vertrags, die ihn dazu ausdrücklich ermächtigt, zur Verteidigung gegenüber einer auf die Nichtdurchführung einer an ihn gerichteten Richtlinie gestützten Vertragsverletzungsklage nicht mit Erfolg auf die Rechtswidrigkeit dieser Richtlinie berufen kann. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn der fragliche Rechtsakt mit besonders schweren und offensichtlichen Fehlern behaftet wäre, so dass er als inexistenter Rechtsakt qualifiziert werden könnte(27), wobei sich diese Frage im vorliegenden Fall nicht stellt.

81.      Was schließlich das Vorbringen der deutschen Regierung betrifft, die nationale Regelung erlaube es, das Eigentumsrecht der Beschäftigten zu wahren, ist daran zu erinnern, dass das in Art. 17 Abs. 1 der Charta verbürgte Eigentumsrecht nicht uneingeschränkt gilt und seine Ausübung Beschränkungen unterworfen werden kann, die durch dem Gemeinwohl dienende Ziele der Union gerechtfertigt sind. Das Eigentumsrecht kann daher, wie aus Art. 52 Abs. 1 der Charta hervorgeht, Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellen, der das so gewährleistete Recht in seinem Wesensgehalt antasten würde(28).

82.      Insoweit weise ich erstens darauf hin, dass, wie sich aus der vorstehenden Nr. 67 ergibt, die Vorschriften über die wirksame Trennung zwischen dem Betrieb des Übertragungsnetzes und den Tätigkeiten der Erzeugung oder Gewinnung von und der Versorgung mit Elektrizität oder Erdgas, zu denen Art. 19 Abs. 5 der Richtlinien gehört, tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Union entsprechen.

83.      Zweitens bin ich außerdem der Ansicht, dass das in diesen Bestimmungen vorgesehene Verbot nicht geeignet ist, das in Art. 17 Abs. 1 der Charta gewährleistete Recht in seinem Wesensgehalt anzutasten. Insoweit hat der Gerichtshof festgestellt, dass sich der durch diese Bestimmung gewährte Schutz auf vermögenswerte Rechte bezieht, aus denen sich im Hinblick auf die betreffende Rechtsordnung eine gesicherte Rechtsposition ergibt, die eine selbständige Ausübung dieser Rechte durch und zugunsten ihres Inhabers ermöglicht(29). Die fraglichen Bestimmungen der Richtlinie sind jedoch nicht geeignet, den Vermögenswert in Frage zu stellen, der den gegebenenfalls von den Beschäftigten gehaltenen Beteiligungen entspricht. Die Richtlinien stehen nämlich keineswegs einem Verkauf dieser Beteiligungen zu Marktpreisen oder anderen Formen der Anerkennung des Vermögenswerts dieser Beteiligungen zugunsten der Beschäftigten, die der Verpflichtung zur Übertragung unterliegen, entgegen.

84.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass auch der dritten Rüge der Kommission stattzugeben ist.

D.      Zur vierten Rüge: Verletzung der ausschließlichen Zuständigkeiten der nationalen Regulierungsbehörde

1.      Vorbringen der Parteien

85.      Die Kommission trägt vor, die Bundesrepublik Deutschland habe dadurch, dass sie der Regierung durch § 24 Abs. 1 EnWG Zuständigkeiten für die Festlegung der Übertragungs- und Verteilungstarife, der Bedingungen für den Zugang zu den nationalen Netzen und der Bedingungen für die Erbringung von Ausgleichsleistungen übertragen und auf der Grundlage dieser Bestimmung eine Reihe von Regelungen über die Modalitäten der Wahrnehmung der Regulierungsaufgaben erlassen habe(30), gegen die alleinigen Zuständigkeiten, die das Unionsrecht der NRB übertragen habe, verstoßen. Dieser Mitgliedstaat habe daher Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 sowie Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73 nicht ordnungsgemäß umgesetzt.

86.      Die in Rede stehenden nationalen Vorschriften sähen keine bloßen „allgemeinen politischen Leitlinien seitens der Regierung“ gemäß Art. 35 Abs. 4 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2009/72 und Art. 39 Abs. 4 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2009/73 vor. Sie wiesen der Regierung vielmehr direkt bestimmte Zuständigkeiten zu, die gemäß den Richtlinien allein der NRB vorbehalten seien und mit den Aufgaben und Befugnissen der NRB in Zusammenhang stünden. Die aufgrund von § 24 Abs. 1 Nr. 1 EnWG erlassenen nationalen Rechtsverordnungen stellten höchst detaillierte Anweisungen an die NRB dar, wie die Regulierungsaufgaben wahrzunehmen seien. Diese Rechtsverordnungen legten das Verfahren und die Methode zur Bestimmung der Tarife betreffend das Netz mit ausführlichen Einzelheiten wie Abschreibungsmethoden und Indexierung fest.

87.      Diese nationalen Vorschriften ließen zwar betreffend ihre Anwendung der NRB einen gewissen Ermessensspielraum, seien jedoch sehr detailliert und schmälerten dadurch erheblich die Befugnisse der NRB bezüglich der Festlegung der Methoden, der anzuwendenden Tarife und der anzuerkennenden Kosten. Darüber hinaus enthielten die Verordnungen detaillierte Vorgaben zu den Bedingungen für den Netzzugang, wie z. B. detaillierte Vorgaben für Netzkopplungsverträge zwischen Übertragungsnetzbetreibern, für frei zuordenbare Kapazitäten oder die Anzahl der Marktgebiete. Die Festlegung solcher Details hindere die NRB daran, eine eigene Einschätzung vorzunehmen, sie schränke daher ihren Handlungsspielraum ein und nehme ihr die Zuständigkeiten, die ihr die Richtlinien ausschließlich übertrügen.

88.      Was die Berufung auf den Grundsatz der Gewaltenteilung und die Wahrung der Souveränität des Gesetzgebers betrifft, hat die Kommission keine Einwände dagegen, dass die Aufgaben der NRB durch Rechtsvorschriften festgelegt werden müssten, was im Übrigen unausweichlich sei, da die Richtlinien in nationales Recht umgesetzt werden müssten. Die Kommission wendet sich jedoch dagegen, dass bei der Umsetzung der Richtlinien der deutsche Gesetzgeber die NRB nicht mit den vom Unionsgesetzgeber vorgesehenen Aufgaben betraut habe. Anstatt – wie nach den Richtlinien erforderlich wäre – diese Aufgaben als ausschließliche Zuständigkeiten der NRB festzulegen, sehe der deutsche Gesetzgeber im EnWG vor, durch Rechtsverordnungen der Regierung die Bedingungen festzulegen, unter denen die NRB diese Aufgaben wahrnehmen könne. Jedoch seien die Mitgliedstaaten nach den Richtlinien verpflichtet, zu gewährleisten, dass die ausschließliche Zuständigkeit für die Wahrnehmung der Aufgaben nach Art. 37 der Richtlinie 2009/72 bzw. nach Art. 41 der Richtlinie 2009/73 bei der NRB liege.

89.      Die Richtlinien legten die Aufgaben und Befugnisse der NRB im Einzelnen fest und enthielten verfahrensrechtliche sowie materielle Anforderungen, die die NRB bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten erfüllen müssten. Im Zusammenspiel mit den einschlägigen Rechtsakten des Unionsrechts(31) gewährleisteten die Richtlinien, dass die NRB in dem vom Unionsgesetzgeber festgelegten Zuständigkeitsbereich die ihr vom Unionsgesetzgeber zugewiesenen Aufgaben wahrnehme. Die Vorschriften des Unionsrechts seien ausreichend, um den erforderlichen Rechtsrahmen für das Verwaltungshandeln der NRB festzulegen und damit der Gewaltenteilung Genüge zu tun. Weitere Vorgaben auf nationaler Ebene in Bezug auf die Erfüllung der Aufgaben der NRB dürften nicht zur Verletzung der der NRB zugewiesenen ausschließlichen Zuständigkeiten führen. Mit den fraglichen in Deutschland erlassenen Verordnungen würden nicht lediglich allgemeine und von allen nationalen Einrichtungen zu beachtende Grundsätze in Bezug auf die Gesetzmäßigkeit und Begründetheit des Verwaltungshandelns festgelegt, sondern detaillierte Regelungen für die Wahrnehmung der in den Richtlinien vorgesehenen Regulierungsaufgaben. Der Gerichtshof habe bereits im Urteil vom 29. Oktober 2009, Kommission/Belgien (C‑474/08, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:681, im Folgenden: Urteil Kommission/Belgien), entschieden, dass dies eine Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats darstelle.

90.      Die Bundesrepublik Deutschland, unterstützt durch das Königreich Schweden, tritt dem Vorbringen der Kommission entgegen. Zunächst trägt sie vor, die Kommission habe in ihrer Erwiderung einen neuen Vorwurf erhoben, mit dem ein Verstoß gegen die Unabhängigkeit der NRB geltend gemacht werde. Dieser neue Vorwurf stelle eine nachträgliche Erweiterung des Streitgegenstands dar, die als solche unzulässig sei.

91.      In der Sache trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, das EnWG stütze sich auf das Prinzip der „normativen Regulierung“, das besage, dass die NRB die konkrete Regulierungsentscheidung unabhängig treffe, aber bei der Festlegung der zugrunde liegenden Methoden für den Netzzugang an die vom Verordnungsgeber konkretisierten Grundsatzentscheidungen des parlamentarischen Gesetzgebers gebunden sei. In diesem Rahmen verfüge die NRB über einen weiten Ermessensspielraum, aber die behördliche Ermessensausübung werde „vorstrukturiert“, um eine aus Gründen des deutschen Verfassungsrechts erforderliche ununterbrochene demokratische Legitimationskette sicherzustellen. Es sei nicht Sache der NRB, sondern des Gesetzgebers, Grundsatzentscheidungen im Bereich der Energiepolitik zu erlassen, wie sie im Rahmen der Energiewende zu erneuerbaren Energien erforderlich seien.

92.      Das EnWG verleihe der Bundesregierung keine Regulierungskompetenzen, sondern ermächtige die Bundesregierung, mit Zustimmung des Bundesrats (Deutschland) als Verordnungsgeberin im Sinne des Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes tätig zu werden. Gegenstand der von der Bundesregierung erlassenen Rechtsverordnungen seien nicht die individuellen Bedingungen für den Netzzugang, sondern abstrakt-generelle Methodenvorgaben, die ihrerseits durch die NRB konkretisiert und auf den Einzelfall angewandt würden. Solche Rechtsverordnungen stellten nach deutschem Verfassungsrecht keine allgemeinen politischen Leitlinien, sondern materielle Gesetzgebung dar.

93.      Die Regelung des EnWG stehe im Einklang mit den Bestimmungen der Richtlinien über die Aufgaben der NRB. Die Bundesrepublik Deutschland, insoweit unterstützt vom Königreich Schweden, ist nämlich der Ansicht, dass die Richtlinien keineswegs ausschlössen, dass der nationale Gesetzgeber genauere und präzisere Bestimmungen als die allgemeinen der Richtlinien betreffend die Methoden für die Regulierung erlasse, auf die sich die NRB zu stützen habe. Es verstieße im Übrigen gegen den vom Gerichtshof anerkannten Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, wenn die Bestimmungen der Richtlinien den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Vorschriften über die Zuständigkeiten der NRB keinen Spielraum ließen.

94.      Die Richtlinien erlaubten es den Mitgliedstaaten, verschiedene Regulierungssysteme zu erlassen, die alle ausreichende Umsetzungen der Richtlinien darstellten. Bei der „normativen Regulierung“ lege der Gesetz- und Verordnungsgeber die Berechnungsmethoden abstrakt-generell fest. Die NRB sei dafür zuständig, die Berechnungsmethoden zu ergänzen und teils zu modifizieren. Darüber hinaus treffe in diesem Fall die NRB auf der Grundlage dieser Berechnungsmethoden eine konkrete Regulierungsentscheidung. Die von der Kommission vorgeschlagene Auslegung würde dagegen bedeuten, dass die NRB für Tarife und Methoden zuständig sein müsste, was gegen den Wortlaut, den Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte der Richtlinien verstieße.

95.      Das Urteil Kommission/Belgien sei nicht einschlägig, da es sich im vorliegenden Fall bei den auf § 24 EnWG gestützten Rechtsverordnungen um materielle Gesetze, nicht um Weisungen der Regierung in ihrer Funktion als übergeordnete Behörde der NRB handele. Außerdem verletze die „Vorstrukturierung“ des regulierungsbehördlichen Ermessens durch Vorgaben des Gesetz- und Verordnungsgebers die Unabhängigkeit der NRB nicht, die in der Freiheit von Weisungen durch Regierungsstellen oder andere Behörden bestehe. Diese Voraussetzung sei durch das deutsche Recht gewährleistet.

96.      Im Übrigen sei das Prinzip einer „normativen Regulierung“ auch im Unionsrecht anerkannt, wie die Befugnis der Kommission selbst zeige, Netzkodizes zu erlassen, bei denen es sich nicht lediglich um allgemeine politische Leitlinien handele, sondern um echte detaillierte Methodenvorgaben. Das Unionsrecht und insbesondere die Richtlinien enthielten tatsächlich keine ausreichenden materiellen Vorgaben zur Ausgestaltung der Methoden für den Netzzugang und die Bildung von Netzentgelten. Die Bestimmungen der Verordnungen Nrn. 714/2009 und 715/2009 gälten weder für den innerstaatlichen Strom- und Gashandel noch für die Verteilernetzebene. In diesem Kontext habe es, um eine wirksame Umsetzung der Richtlinien zu gewährleisten, Vorgaben der Mitgliedstaaten bedurft, die das regulierungsbehördliche Ermessen der NRB lenkten.

97.      Schließlich macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, dass die Grundsätze, die in der Rechtsprechung entwickelt worden seien, die auf das Urteil des Gerichtshofs vom 13. Juni 1958, Meroni/Hohe Behörde (9/56, EU:C:1958:7, im Folgenden: Urteil Meroni), zurückgehe, auch dann anwendbar seien, wenn der Unionsgesetzgeber den unabhängigen NRB bestimmte Befugnisse einräume. Nach diesen Grundsätzen sei die Übertragung von Befugnissen an diese Behörden nur möglich, wenn der Gesetzgeber zuvor hinreichend bestimmte Vorgaben für die Aufgaben und Befugnisse dieser Behörden erlassen habe. Die Rechtsvorschriften der Union enthielten diese Vorgaben nicht, so dass es Sache der Mitgliedstaaten sei, sie zu erlassen. Dieselbe Verpflichtung ergebe sich aus dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip, die Teil der grundlegenden politischen und verfassungsrechtlichen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland seien, die die Union nach Art. 4 Abs. 2 EUV zu achten habe.

2.      Würdigung

98.      Vorab ist die von der Bundesrepublik Deutschland erhobene Einrede zurückzuweisen, wonach das Vorbringen der Kommission zur Verletzung der Unabhängigkeit der NRB eine neue und damit unzulässige Rüge darstelle.

99.      Insoweit weise ich darauf hin, dass die Kommission mit ihrer vierten Rüge geltend macht, dass die Bundesrepublik Deutschland mehrere Bestimmungen der Richtlinien nicht ordnungsgemäß umgesetzt habe, weil die in Rede stehende nationale Regelung gegen die ausschließlichen Zuständigkeiten, die diese der NRB übertragen hätten, verstoße. Die nationale Regelung übertrage der Regierung bestimmte Befugnisse, die von den Richtlinien den NRB vorbehalten seien, und verringere dadurch, dass sie die Ausübung ihrer Befugnisse detailliert regle, den Ermessensspielraum der NRB in den ihr vorbehaltenen Zuständigkeitsbereichen erheblich.

100. Hierzu ist festzustellen, dass sowohl die Verleihung der Befugnis, in Bereichen tätig zu werden, die der NRB vorbehalten sind, an eine andere Person als die NRB, als auch die Frage, ob die NRB von anderen Personen erlassenen Bestimmungen unterworfen wird, die detailliert die Ausübung ihrer Befugnisse in den ihr vorbehaltenen Zuständigkeitsbereichen vorsehen, die Möglichkeit der NRB beeinträchtigen können, in diesen Bereichen Entscheidungen selbständig, frei und ohne äußere Einflüsse zu treffen. Daraus folgt, dass die vierte Rüge Fragen betreffend einen Verstoß gegen die den NRB durch die Richtlinien gewährleistete Unabhängigkeit umfasst und dass daher das Vorbringen der Kommission hierzu nicht als neue Rüge angesehen werden kann, die sich von der ursprünglich erhobenen unterscheidet und damit unzulässig wäre.

101. In der Sache sind zur Prüfung der vierten Rüge der Kommission meines Erachtens die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinien zu untersuchen, wobei ihr Wortlaut, die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden, und ihr Kontext zu berücksichtigen sind(32).

102. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass in den Richtlinien die Vorschriften über die Benennung, die Ziele, die Aufgaben und die Befugnisse der NRB im Bereich von Elektrizität und Erdgas in Kapitel IX (Art. 35 bis 40) der Richtlinie 2009/72 und in Kapitel VIII (Art. 39 bis 44) der Richtlinie 2009/73 enthalten sind.

103. Zu diesen Bestimmungen hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass Art. 35 Abs. 4 der Richtlinie 2009/72, dem Art. 39 Abs. 4 der Richtlinie 2009/73 ausdrücklich entspricht, die Mitgliedstaaten dazu verpflichte, die Unabhängigkeit der NRB zu gewährleisten und zu gewährleisten, dass diese ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausübt(33). Sodann heißt es in dieser Bestimmung, dass hierzu die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die NRB bei der Wahrnehmung der ihr durch diese Richtlinie und zugehörige Rechtsvorschriften übertragenen Regulierungsaufgaben rechtlich getrennt und „funktional unabhängig von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen ist“, und dass ihr Personal und ihr Management „unabhängig von Marktinteressen handelt“ und „bei der Wahrnehmung der Regulierungsaufgaben keine direkten Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen einholt oder entgegennimmt“. Art. 35 Abs. 5 der Richtlinie 2009/72, dem Art. 39 Abs. 5 der Richtlinie 2009/73 entspricht, fügt hinzu, dass zur Wahrung der Unabhängigkeit der NRB die Mitgliedstaaten u. a. sicherstellen, dass die NRB „unabhängig von allen politischen Stellen selbständige Entscheidungen treffen kann“(34).

104. Der Begriff „Unabhängigkeit“ wird weder in der Richtlinie 2009/72 noch in der Richtlinie 2009/73 definiert. Insoweit hat der Gerichtshof jedoch, insbesondere in Bezug auf die NRB im Energiebereich, bereits entschieden, dass dieser Begriff in Bezug auf öffentliche Stellen seinem gewöhnlichen Sinn nach in der Regel eine Stellung bezeichnet, die garantiert, dass die betreffende Stelle völlig frei von Weisungen und Druck der Einrichtungen handeln kann, denen gegenüber ihre Unabhängigkeit zu wahren ist(35). Insbesondere bedeutet im Energiebereich die von den Richtlinien gewährleistete Unabhängigkeit bei der Entscheidungsfindung, dass die NRB im Rahmen der in Art. 37 der Richtlinie 2009/72 und in Art. 41 der Richtlinie 2009/73 genannten Regulierungsaufgaben und ‑befugnisse ihre Entscheidungen selbständig und allein auf der Grundlage des öffentlichen Interesses trifft, um die Einhaltung der mit diesen Richtlinien verfolgten Ziele zu gewährleisten, ohne externen Weisungen anderer öffentlicher oder privater Stellen unterworfen zu sein(36).

105. Der Gerichtshof hat auch bereits ausdrücklich klargestellt, dass die oben in Nr. 103 genannten, in den Richtlinien vorgesehenen Anforderungen implizieren, dass die NRB ihre Regulierungsaufgaben frei von jeder äußeren Einflussnahme ausüben muss(37). Insoweit weise ich auch darauf hin, dass die wiederholte Klarstellung des Erfordernisses der Gewährleistung der funktionellen Unabhängigkeit der NRB in den Richtlinien keine Zweifel daran wecken kann, dass diese Unabhängigkeit nicht nur im Verhältnis zu privaten Einrichtungen und Marktinteressen, sondern auch gegenüber jeder öffentlichen Einrichtung und somit nicht nur gegenüber der Regierung als Inhaberin der exekutiven Befugnisse zu gewährleisten ist. Die in den Richtlinien verwendeten Ausdrücke legen eindeutig fest, dass zum einen die funktionelle Unabhängigkeit gegenüber allen politischen Stellen, also nicht nur der Regierung, sondern auch dem Parlament zu gewährleisten ist, und zum anderen, dass die Gewährleistung vollständig und nicht auf bestimmte, durch Form oder Inhalt bestimmte Handlungen beschränkt sein darf. Das Erfordernis der Unabhängigkeit der NRB von jeglicher Einflussnahme aus der Politik ergibt sich im Übrigen auch ausdrücklich aus dem 34. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/72 und dem 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/73.

106. Daraus folgt, dass die Unabhängigkeit der NRB, die die Richtlinien im Bereich der ihr durch Art. 37 der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 der Richtlinie 2009/73 ausschließlich übertragenen Aufgaben und Befugnisse gewährleisten, auch nicht durch Gesetze des Parlaments oder durch Handlungen eingeschränkt werden kann, die, um die von der deutschen Regierung in der mündlichen Verhandlung angeführten Kategorien zu gebrauchen, nach einer typischen Einstufung des nationalen Verfassungsrechts – wie die Regierungsverordnungen – „materielle Gesetze“ sind.

107. Eine Auslegung der Richtlinien, die den NRB eine weitgehende funktionelle Unabhängigkeit garantieren soll, steht im Übrigen im Einklang mit den Zielen der Richtlinie. Die wörtliche Auslegung wird somit durch die teleologische Auslegung bestätigt.

108. Insoweit hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass die Richtlinie 2009/72 im Wesentlichen darauf abziele, einen offenen und durch Wettbewerb geprägten Elektrizitätsbinnenmarkt zu errichten, der den Verbrauchern die freie Wahl ihrer Lieferanten und den Anbietern die freie Belieferung ihrer Kunden gestattet, auf diesem Markt gleiche Bedingungen zu schaffen, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und den Klimawandel zu bekämpfen(38). Der Gerichtshof hat den mit der Richtlinie 2009/73 verfolgten Zweck ganz ähnlich bestimmt(39).

109. In diesem Zusammenhang ist hinzuzufügen, dass, wie sich aus mehreren Erwägungsgründen der Richtlinien ergibt(40), das vorrangige Ziel, den Binnenmarkt im Elektrizitäts- und Erdgassektor zu vollenden und für alle in der Union niedergelassenen Elektrizitätsunternehmen gleiche Bedingungen zu schaffen, verfolgt wurde, weil die frühere Regelung nicht ausgereicht hatte, um einen gut funktionierenden Binnenmarkt zu verwirklichen und zugleich die Verbraucher zu schützen, Investitionen zu fördern und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Der Erlass neuer Richtlinien zielte u. a. ausdrücklich darauf ab, die ohne eine wirksame Trennung des Netzbetriebs von der Erzeugung und Versorgung – eine Trennung, die die früheren Richtlinien(41) nicht gewährleisten konnten – zwangsläufige Gefahr einer Diskriminierung nicht nur in der Ausübung des Netzgeschäfts, sondern auch in Bezug auf die Schaffung von Anreizen für vertikal integrierte Unternehmen, ausreichend in ihre Netze zu investieren, zu vermeiden; daraus ergibt sich das Ziel der Richtlinien, Vorschriften einzuführen, die auf eine wirksame Trennung der Tätigkeiten der Erzeugung und Versorgung vom Betrieb der Netze gerichtet sind(42).

110. In diesem Kontext haben, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, die Richtlinien der NRB gerade zur Verfolgung dieser Ziele weitgehende Befugnisse im Bereich der Regulierung und Überwachung des Elektrizitätsmarkts verliehen(43).

111. In dem durch die Richtlinien geschaffenen Rahmen sind die NRB dafür zuständig, das ordnungsgemäße Funktionieren des Systems insgesamt zu gewährleisten. Insbesondere sollen, wie sich ausdrücklich aus den Erwägungsgründen 36 der Richtlinie 2009/72 und 32 der Richtlinie 2009/73 ergibt und sich in deren Art. 37 Abs. 1 Buchst. a bzw. Art. 41 Abs. 1 Buchst. l widerspiegelt, die nationalen Regulierungsbehörden die Möglichkeit haben, die Tarife oder die Tarifberechnungsmethoden auf der Grundlage eines Vorschlags des Übertragungsnetzbetreibers oder des (der) Verteilernetzbetreiber(s) oder auf der Grundlage eines zwischen diesen Betreibern und den Netzbenutzern abgestimmten Vorschlags festzusetzen oder zu genehmigen. Dabei sollen die NRB sicherstellen, dass die Tarife für die Übertragung und die Verteilung nicht diskriminierend und kostenorientiert sind, und haben darüber hinaus die langfristig durch dezentrale Elektrizitätserzeugung und Nachfragesteuerung vermiedenen Netzgrenzkosten zu berücksichtigen.

112. Die Verwirklichung dieser Ziele erfordert die größtmögliche Gewährleistung der Unabhängigkeit der NRB in dem weiten Sinn, der sich aus dem Wortlaut der oben in den Nrn. 102 ff. genannten Bestimmungen ergibt. Die völlige Unabhängigkeit gegenüber den Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Einrichtungen, unabhängig davon, ob es sich um Verwaltungsorgane oder politische Stellen und, im letztgenannten Fall, um die Inhaber der exekutiven oder der legislativen Befugnisse handelt, dient nämlich dazu, zu gewährleisten, dass die getroffenen Entscheidungen wirklich unparteiisch und nicht diskriminierend sind, was die Möglichkeit einer in irgendeiner Weise bevorzugten Behandlung der mit der Regierung, der Mehrheit oder jedenfalls der politischen Macht verbundenen Unternehmen und wirtschaftlichen Interessen grundlegend ausschließt(44). Auf diese Weise wird, wie die Kommission zu Recht ausführt, das Risiko – dessen Verwirklichung die Schaffung des Energiebinnenmarkts gefährdete, der für den grenzüberschreitenden Zugang sowohl für neue Stromversorger aus unterschiedlichen Energiequellen als auch für Stromversorger, die innovative Erzeugungstechnologien anwenden, offen ist – beseitigt, dass nationale Unternehmen oder mit der politischen Macht verbundene Unternehmen bevorzugt werden, ein Risiko, das besonders hoch ist, da in vielen Ländern das vertikal integrierte Unternehmen noch der frühere staatliche Monopolist ist, der Verbindungen, z. B. durch Kapitalbeteiligungen, mit der Regierung aufrechterhält(45).

113. Wie sich im Übrigen ausdrücklich aus den Erwägungsgründen 33 der Richtlinie 2009/72 und 29 der Richtlinie 2009/73 ergibt, zielten diese Richtlinien gerade unter diesem Blickwinkel darauf ab, die Unabhängigkeit der NRB zu stärken, und sehen, wie aus den Erwägungsgründen 34 und 30 dieser Richtlinien hervorgeht, Bestimmungen vor, die, damit der Elektrizitätsbinnenmarkt ordnungsgemäß funktionieren kann, die Regulierungsbehörden in die Lage versetzten, Entscheidungen in allen relevanten Regulierungsangelegenheiten zu treffen und völlig unabhängig von anderen öffentlichen oder privaten Interessen zu sein(46).

114. Der so für die Unabhängigkeit der NRB dargestellte allgemeine Rahmen wird in den Bestimmungen der Richtlinien genau ausgeführt, in denen ihre Ziele, Aufgaben und Befugnisse im Einzelnen festgelegt werden. In diesem Sinne wird die wörtliche und die teleologische Auslegung durch die systematische Auslegung bestätigt. So legen Art. 37 der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 der Richtlinie 2009/73 die Zuständigkeiten der NRB genau fest, bei denen es sich um diejenigen, und nur diejenigen, handelt, die in den Richtlinien festgelegt sind.

115. Außerdem sind diese Zuständigkeiten in einer rechtlichen Struktur enthalten, die die Ziele und die Kriterien für die Ausübung auf verschiedenen Ebenen begrenzt. Bei der Ausübung der ihnen übertragenen Befugnisse sind die NRB nämlich verpflichtet, im Einklang mit den in Art. 36 der Richtlinie 2009/72 und in Art. 40 der Richtlinie 2009/73 genannten Zielen zu handeln. Es handelt sich um bestimmte Ziele, die den Rahmen der den NRB übertragenen Entscheidungen festlegen, indem sie Kriterien bestimmen, die zur Erreichung der gesetzten Ziele anzuwenden sind(47).

116. In einigen Fällen werden diese Kriterien im Hinblick auf spezifische Befugnisse in Art. 37 der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 der Richtlinie 2009/73 noch näher ausgeführt. So sind z. B. die Fernleitungs- oder Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Methoden gemäß Abs. 1 dieser beiden Bestimmungen anhand transparenter Kriterien festzulegen, und gemäß Abs. 6 Buchst. a dieser Bestimmungen sind diese sowie die Bedingungen für den Anschluss an und den Zugang zu den nationalen Netzen unter Berücksichtigung der Notwendigkeit festzulegen, dass die notwendigen Investitionen in die Netze so vorgenommen werden können, dass die Lebensfähigkeit der Netze gewährleistet ist(48). Nach Abs. 10 dieser Bestimmungen müssen diese Bedingungen, Tarife und Methoden angemessen sein und nicht diskriminierend angewendet werden. Was dagegen die Erbringung von Ausgleichsleistungen betrifft, sehen Art. 37 der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 der Richtlinie 2009/73 in ihrem Abs. 6 Buchst. b vor, dass diese Leistungen möglichst wirtschaftlich zu sein und den Netzbenutzern geeignete Anreize zu bieten haben, die Einspeisung und Abnahme von Gas auszugleichen, und auf faire und nicht diskriminierende Weise erbracht und auf objektive Kriterien gestützt werden müssen. Außerdem stellen nach Abs. 8 dieser beiden Bestimmungen die NRB bei der Festsetzung oder Genehmigung der Tarife oder Methoden und der Ausgleichsleistungen sicher, dass für die Übertragungs- und Verteilerbetreiber angemessene Anreize geschaffen werden, sowohl kurzfristig als auch langfristig die Effizienz zu steigern, die Marktintegration und die Versorgungssicherheit zu fördern und entsprechende Forschungsarbeiten zu unterstützen(49).

117. Die Richtlinien sehen auch eine Reihe von Garantien verfahrensrechtlicher Art vor, die die NRB bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beachten haben, wie z. B. die Pflicht zur Veröffentlichung ihrer Entscheidungen, die Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit wirtschaftlich sensibler Informationen und die Pflicht zu umfassender Begründung(50).

118. Weitere Spezifikationen der in den Richtlinien aufgestellten Kriterien, die die NRB bei der Ausübung der ihnen übertragenen Befugnisse zu befolgen haben, werden durch andere Rechtsakte wie die Verordnungen Nr. 714/2009 und Nr. 715/2009 festgelegt. So enthalten z. B. die Art. 14 bzw. 13 dieser beiden Verordnungen(51) spezifische Kriterien für die Festsetzung von Entgelten, Tarifen oder entsprechenden Berechnungsmethoden für den Zugang zu den Netzen(52), und Art. 21 der Verordnung Nr. 715/2009 enthält Bestimmungen über die Ausgleichsregeln.

119. Diese Bestimmungen werden durch mehrere Netzkodizes ergänzt und präzisiert, die durch Verordnung der Kommission eingeführt wurden und detaillierte Bestimmungen enthalten, die u. a. die harmonisierten Fernleitungsentgeltstrukturen(53), die Bestimmungen für den Netzanschluss von Verbrauchsanlagen, Verteilernetzanlagen und Verteilernetzen(54), Bestimmungen auf europäischer Ebene für den Anschluss von Gesamteinrichtungen zur Stromerzeugung an das Stromnetz(55) sowie Netzanschlussbestimmungen für Hochspannungssysteme(56) betreffen. In einem so detaillierten rechtlichen Rahmen kann die Bundesrepublik Deutschland meines Erachtens nicht geltend machen, dass die Mitgliedstaaten zur angemessenen Umsetzung der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 verpflichtet gewesen wären, ihre eigenen Kriterien für die Tarifberechnung festzulegen. Außerdem stellt die Festlegung eines Systems gerechter Tarife, wie die Kommission zu Recht geltend macht, eine klassische Grundfunktion der NRB dar, so dass diese über spezialisierte Dienste verfügen (und verfügen müssen), die in der Lage sind, diese Aufgabe zu erfüllen.

120. Aus der Art und Weise, wie die Befugnisse der NRB festgelegt und strukturiert sind, ergeben sich zwei wichtige Folgen. Erstens scheint die Unionsregelung, indem sie Befugnisse, Ziele und Kriterien für die Ausübung der Befugnisse genau festlegt, keinen Raum für nationale Eingriffe zu lassen, die zwischen die Richtlinie und die Ausübung der Aufgaben durch die NRB, die ihnen durch die Richtlinien ausschließlich übertragen sind, treten. Die weit gefasste Definition der funktionellen Unabhängigkeit und die Regelung der Befugnisse stimmen mit diesem Ergebnis überein. Folglich kann geltend gemacht werden, dass die Richtlinien im Hinblick auf die Aufgaben, die in den angeführten Art. 37 der Richtlinie 2009/72 und 41 der Richtlinie 2009/73 aufgezählt sind, zugunsten der NRB einen „Vorbehalt der Befugnisse“ vorsehen. Daraus folgt, dass sich jede Vorstrukturierungihrer Funktionsweise durch den nationalen Gesetzgeber nicht auf die Ausübung des Kerns der ihnen durch die Richtlinien vorbehaltenen Befugnisse auswirken darf. Zweitens müssen sich die NRB darauf beschränken, in dem von der europäischen Regelung vorgegebenen Rahmen zu handeln, ohne dass sie neue Interessen oder Kriterien einführen könnten, die über die zuvor vom europäischen Gesetzgeber festgelegten hinausgingen. Die NRB müssen die technische Durchführung im Einklang mit dem Sekundärrecht der Union vornehmen.

121. Die gezogenen Schlussfolgerungen werden nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Richtlinien den Mitgliedstaaten die Befugnis belassen, „allgemeine politische Leitlinien“ festzulegen(57).

122. Insoweit sind zwei Bemerkungen relevant. Erstens sind die Richtlinien, da sie ausdrücklich nur allgemeine Leitlinien zulassen, sicherlich mit solchen spezifischen Hinweisen oder Regelungen, die detaillierte Angaben enthalten, unvereinbar. Zweitens geht, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat(58), aus den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinien ausdrücklich hervor, dass die von der Regierung des betreffenden Mitgliedstaats aufgestellten allgemeinen Leitlinien nicht mit den Regulierungsaufgaben und ‑befugnissen gemäß Art. 37 der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 der Richtlinie 2009/73 im Zusammenhang stehen dürfen; dies umfasst Aufgaben und Befugnisse in Bezug auf die Festlegung, Genehmigung und Beobachtung verschiedener Tarife und Preise, insbesondere gemäß Abs. 1 Buchst. a dieser Artikel die Aufgabe, anhand transparenter Kriterien die Fernleitungs- oder Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Methoden festzulegen oder zu genehmigen. Daraus folgt, dass zwar die Mitgliedstaaten und damit das Parlament und die Regierung, wie Art. 194 AEUV bestätigt, Zuständigkeiten im Bereich der Energiepolitik behalten, die allgemeinen politischen Leitlinien aber andere Bereiche betreffen als diejenigen, die unter den Regulierungsvorbehalt zugunsten der NRB fallen. Im Übrigen hat die deutsche Regierung insoweit jedenfalls erklärt, dass die von der Kommission mit der vorliegenden Rüge beanstandeten Bestimmungen keine allgemeinen politischen Leitlinien im Sinne der Richtlinien darstellten.

123. Die oben dargelegte Auslegung, die sich aus einer wörtlichen, teleologischen und systematischen Analyse der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinien ergibt, steht im Übrigen im Einklang mit dem Ansatz, den der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung gewählt hat.

124. So hat der Gerichtshof im Urteil Kommission/Belgien speziell zum Bereich der Elektrizität festgestellt, dass es einen Verstoß gegen die Bestimmungen der Richtlinie 2003/54, die den NRB insoweit Befugnisse einräumten, darstelle, wenn ein Mitgliedstaat einer anderen Behörde als der NRB die Befugnis zur Festlegung der für die Berechnung der Tarife für die Übertragung oder Verteilung ausschlaggebenden Kriterien wie die Festlegung der Abschreibungen oder der Gewinnspannen überträgt. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die Übertragung dieser Befugnisse auf die Exekutive den Bereich der durch die in Rede stehende Richtlinie verliehenen Befugnisse eingeschränkt habe, da die NRB bei der Festlegung der Tarife an die von einer anderen Behörde festgelegten spezifischen Regeln zur Bestimmung dieser Elemente gebunden gewesen sei(59). Dieser Ansatz wurde vom Gerichtshof in einem kürzlich ergangenen Urteil bestätigt, das ebenfalls das Königreich Belgien betrifft und speziell Art. 37 Abs. 6 Buchst. a der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 Abs. 6 Buchst. a der Richtlinie 2009/73(60). Entgegen dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland ist diese Rechtsprechung auch dann einschlägig, wenn die beanstandete Regelung Eingriffe in Zuständigkeitsbereiche, die der NRB vorbehalten sind, durch materielle Gesetze vorsieht und nicht nur durch Weisungen der Regierung in ihrer Funktion als übergeordnete Behörde der NRB. Wie sich nämlich aus den vorstehenden Absätzen ergibt, müssen die den NRB durch die Richtlinien ausschließlich eingeräumten Befugnisse und ihre Unabhängigkeit gegenüber allen politischen Stellen, also nicht nur der Regierung, sondern auch dem nationalen Gesetzgeber, gewährleistet sein, der diese Befugnisse zwar in Rechtsakten festlegen kann oder sogar muss, aber nicht einen Teil davon den NRB entziehen und sie anderen öffentlichen Stellen zuweisen kann.

125. Im Übrigen ist auch in anderen Bereichen des Unionsrechts, in denen sich die Einrichtung unabhängiger Behörden mit Aufgaben zur Verwirklichung eines wettbewerbsorientierten Marktes als notwendig erwiesen hat, der gleichzeitig andere, vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich angeführte und geregelte Ziele wie z. B. den Schutz spezifischer Grundrechte und die Verbraucherrechte schützen kann, die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung des Begriffs der Unabhängigkeit so weit wie möglich.

126. Unter diesem Blickwinkel ist das Urteil vom 9. März 2010, Kommission/Deutschland (C‑518/07, EU:C:2010:125), relevant. Dort war Gegenstand der Erörterung die Bedeutung des Ausdrucks „in völliger Unabhängigkeit“, der sich auf die nationalen Stellen, die für die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften betreffend den Schutz personenbezogener Daten zuständig sind, bezog(61). In der Rechtssache ging es um zwei gegensätzliche Auffassungen von der Unabhängigkeit der Kontrollstellen: zum einen eine weite Auslegung, wonach das Unabhängigkeitserfordernis dahin auszulegen ist, dass eine Kontrollstelle jeglicher Einflussnahme entzogen sein müsse, und zum anderen die von der Bundesrepublik Deutschland vertretene engere Auslegung, die die Unabhängigkeit auf den ihrer Kontrolle unterstellten nicht öffentlichen Bereich beschränkte, während ein verwaltungsinterner Mechanismus der Kontrolle der Behörden zulässig gewesen sei. Der Gerichtshof hat sich, indem er die Unabhängigkeit im Licht der Ziele der in Rede stehenden Richtlinie ausgelegt hat, für die erste Auslegung entschieden und festgestellt, dass „die für die Überwachung der Verarbeitung personenbezogener Daten im nichtöffentlichen Bereich zuständigen Kontrollstellen mit einer Unabhängigkeit ausgestattet sein müssen, die es ihnen ermöglicht, ihre Aufgaben ohne äußere Einflussnahme wahrzunehmen. Diese Unabhängigkeit schließt nicht nur jegliche Einflussnahme seitens der kontrollierten Stellen aus, sondern auch jede Anordnung und jede sonstige äußere Einflussnahme, sei sie unmittelbar oder mittelbar, durch die in Frage gestellt werden könnte, dass die genannten Kontrollstellen ihre Aufgabe, den Schutz des Rechts auf Privatsphäre und den freien Verkehr personenbezogener Daten ins Gleichgewicht zu bringen, erfüllen.“(62)

127. In gleicher Weise zielt die Rechtsprechung des Gerichtshofs auch im Bereich der elektronischen Kommunikation darauf ab, zu gewährleisten, dass das den NRB bei der Ausübung ihrer Befugnisse eingeräumte Ermessen gewahrt wird(63).

128. Im Ergebnis bin ich der Ansicht, dass die weite Auslegung der Regelung über die Unabhängigkeit der NRB im Elektrizitäts- und im Gassektor in systematischer Hinsicht untermauert wird, wie die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt. Das System des Unionsrechts gibt einem weiten Begriff der Unabhängigkeit im Hinblick auf die spezifischen Befugnisse, die den unabhängigen Behörden übertragen sind, den Vorrang.

129. Dieses Ergebnis wird durch das übrige Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland hingegen nicht in Frage gestellt.

130. Was erstens die Berufung der Bundesrepublik Deutschland auf den Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 288 AEUV verpflichtet sind, bei der Umsetzung einer Richtlinie deren vollständige Wirksamkeit zu gewährleisten, wobei sie aber über einen weiten Wertungsspielraum hinsichtlich der Wahl der Mittel und Wege zu ihrer Durchführung verfügen. Diese Freiheit lässt somit die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten(64).

131. Daraus folgt, dass, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, die Mitgliedstaaten bei der Organisation und Strukturierung ihrer NRB im Sinne der Richtlinien über eine institutionelle Autonomie verfügen, die jedoch unter vollständiger Beachtung der in diesen Richtlinien festgelegten Ziele und Pflichten auszuüben ist(65), einschließlich der vollständigen Beachtung der Zuständigkeitsbereiche, die diese Richtlinien den NRB gewährleisten.

132. Zweitens bin ich entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung der Ansicht, dass diese Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinien in Bezug auf die Unabhängigkeit und die Befugnisse der NRB im Einklang mit der auf das Urteil Meroni zurückgehenden Rechtsprechung steht, deren Ansatz der Gerichtshof in dem späteren Urteil über die der Europäischen Wertpapier‑ und Marktaufsichtsbehörde übertragenen Befugnisse auf die Agenturen der Union ausgedehnt hat(66).

133. Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich insbesondere, dass der Gerichtshof es für unzulässig hält, dass einer Agentur der Union durch eine Delegation „ein weites Ermessen“ übertragen wird, das einen weiten Ermessensspielraum voraussetzt und, je nach der Art seiner Ausübung, die Verwirklichung echte und ausgesprochene Entscheidungen politischer Art ermöglicht, wobei an die Stelle des Ermessens der übertragenden Behörde dann das Ermessen derjenigen Stelle tritt, der die Befugnisse übertragen worden sind, so dass dies eine „tatsächliche Verlagerung der Verantwortung“ mit sich bringt(67). Hingegen ist es möglich, diesen Agenturen genau umgrenzte Ausführungsbefugnisse zu übertragen, deren Ausübung einer strengen Kontrolle im Hinblick auf die Beachtung objektiver Tatbestandsmerkmale, die von der übertragenden Behörde festgesetzt werden, unterliegt(68).

134. Selbst wenn diese Rechtsprechung jedoch auf einen Fall wie den vorliegenden anwendbar wäre, der nationale Behörden betrifft, die nicht von der Union selbst eingerichtet, sondern von den Mitgliedstaaten in Anwendung einer Richtlinie benannt wurden, steht die vorgeschlagene Auslegung jedenfalls im Einklang mit dieser Rechtsprechung. Zum einen nämlich fallen die den NRB vorbehaltenen Befugnisse auf der Grundlage einer technisch-fachlichen Beurteilung der Wirklichkeit in den Bereich der Durchführung und verleihen keine Zuständigkeiten, die über den vom Unionsrecht vorgegebenen Rechtsrahmen hinausgehen(69) und politische Entscheidungen umfassen(70). Zum anderen umschreiben, wie oben in den Nrn. 114 bis 119 ausgeführt, die in den Rechtsakten der Union vorgesehenen Regeln den Inhalt dieser Befugnisse und regeln die Kriterien und Bedingungen, die den Handlungsspielraum der NRB begrenzen(71).

135. Drittens wird die vorgeschlagene Auslegung nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich die Bundesrepublik Deutschland auf den Grundsatz der Demokratie beruft.

136. Zur Wechselwirkung zwischen dem Grundsatz der Demokratie und den NRB hat der Gerichtshof bereits im Urteil vom 9. März 2010, Kommission/Deutschland (C‑518/07, EU:C:2010:125), mehrere Hinweise gegeben. In diesem Urteil hat er zunächst festgestellt, dass der Grundsatz der Demokratie zur Gemeinschaftsrechtsordnung gehöre und in Art. 6 Abs. 1 EUV ausdrücklich als Grundlage der Union niedergelegt sei. Als den Mitgliedstaaten gemeinsamer Grundsatz sei er daher bei der Auslegung eines sekundärrechtlichen Aktes zu berücksichtigen(72).

137. Er hat sodann darauf hingewiesen, dass dieser Grundsatz nicht bedeute, dass es außerhalb des klassischen hierarchischen Verwaltungsaufbaus keine öffentlichen Stellen geben kann, die von der Regierung mehr oder weniger unabhängig sind. Das Bestehen und die Bedingungen für das Funktionieren solcher Stellen seien in den Mitgliedstaaten durch Gesetz und in einigen Mitgliedstaaten sogar in der Verfassung geregelt, und diese Stellen seien an das Gesetz gebunden und unterlägen der Kontrolle durch die zuständigen Gerichte. Solche unabhängigen öffentlichen Stellen, wie es sie im Übrigen auch im deutschen Rechtssystem gebe, hätten häufig Regulierungsfunktion oder nähmen Aufgaben wahr, die der politischen Einflussnahme entzogen sein müssten, blieben dabei aber an das Gesetz gebunden und der Kontrolle durch die zuständigen Gerichte unterworfen(73).

138. Außerdem hat der Gerichtshof festgestellt, dass das Unionsrecht keineswegs vorschreibe, „dem Parlament jede Einflussmöglichkeit vorzuenthalten“, wobei zum einen das Leitungspersonal der Kontrollstellen vom Parlament oder der Regierung bestellt werden könne. Zum anderen könne der Gesetzgeber die Kontrollstellen verpflichten, dem Parlament Rechenschaft über ihre Tätigkeiten abzulegen(74).

139. Die in den vorstehenden Absätzen dargelegten Erwägungen des Gerichtshofs gelten auch im Fall der NRB im Elektrizitäts- und Gassektor und liegen der Vereinbarkeit von deren Unabhängigkeit mit dem Demokratiegrundsatz zugrunde. Insbesondere geht zum einen aus den Erwägungsgründen 34 der Richtlinie 2009/72 und 30 der Richtlinie 2009/73 ausdrücklich hervor, dass die durch die Richtlinien gewährleistete Unabhängigkeit der NRB einer parlamentarischen Kontrolle nach dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten nicht entgegensteht. Daraus folgt, dass die NRB zwar jeder vorherigen Einflussnahme durch politische Stellen entzogen sind, dass sie aber nicht der Verpflichtung entzogen sind, dem Parlament Rechenschaft über ihre Tätigkeiten abzulegen. Das Erfordernis der Verbindung mit dem Demokratiegrundsatz führt somit zur Einführung einer Form der „accountability“ der NRB, die die einzelnen Mitgliedstaaten verfolgen können.

140. Zum anderen ist eine wichtige Klarstellung vorzunehmen. Wie wir gesehen haben, handeln die NRB im Elektrizitäts- und Gassektor im Rahmen der ihnen vorbehaltenen Befugnisse in Anwendung des Unionsrechts ohne Eingriffe nationaler politischer Stellen, einschließlich formeller oder materieller Gesetze. Die Unionsregelung nimmt die Stellung ein, die das Gesetz des Parlaments im nationalen Verwaltungsmodell einnahm, um sie mit dem Demokratiegrundsatz zu verbinden. Da der Entscheidungsprozess, aus dem die Rechtsakte der Union hervorgehen, ein demokratischer Prozess ist, an dem das Europäische Parlament, das von den Bürgern der Union gewählt ist, und der Rat, in dem die Interessen der Mitgliedstaaten durch demokratisch legitimierte Regierungen vertreten sind, beteiligt sind, sind die NRB auf diese Weise in die demokratische Legitimation eingebunden.

141. Außerdem werden, wie oben in den Nrn. 114 bis 119 ausgeführt, nicht nur die Befugnisse der NRB in den Richtlinien speziell festgelegt und aufgezählt, sondern werden auch die Ziele und Kriterien für ihre Ausübung im abgeleiteten Unionsrecht festgelegt. Die NRB führen die Normen des abgeleiteten Rechts mittels einer äußerst technischen Tätigkeit durch. Im Einklang mit der auf das Urteil Meroni zurückgehenden Rechtsprechung fehlt ihnen somit dieses weite Ermessen, das der politischen Macht eigen ist, so dass sie keine energiepolitischen Entscheidungen treffen können, für die die Zuständigkeit hingegen zwischen der Union und den Mitgliedstaaten aufgeteilt ist. Die NRB üben keine politische Befugnis aus und ersetzen nicht die politischen Stellen, die auf der Grundlage einer demokratischen Legitimation tätig werden. Wird der Handlungsbereich der NRB auf diese Weise umschrieben, ist die vorgeschlagene Auslegung in vollem Umfang mit dem Grundsatz der Demokratie vereinbar.

142. Der dargestellte Rahmen führt im Hinblick auf das Verhältnis zwischen der Unabhängigkeit der NRB, ihren Befugnissen und Rechtsakten, die ihren Tätigkeitsbereich festlegen, dazu, dass auch die volle Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit zu bejahen ist. Die Rechtsstaatlichkeit, die ein in Art. 2 EUV bekräftigter Grundwert der Union ist und als solcher auch die Auslegung ihres Rechts zu leiten hat, verlangt, dass die Verwaltung auf der Grundlage des Gesetzes tätig wird, um jede Willkür zu vermeiden, die Rechte der Bürger zu gewährleisten und ihre Tätigkeit justiziabel zu machen. Das Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten verlangt, dass das Verwaltungshandeln, um den von der deutschen Regierung benutzten Ausdruck zu verwenden, durch das Gesetz vorstrukturiert wird. Das Gesetz ist die Grundlage für die Befugnisse der Verwaltung, nicht nur in dem Sinne, dass jede Verwaltungsbefugnis eine gesetzliche Grundlage hat, sondern auch in dem Sinne, dass das Gesetz auch eine materielle Regelung für ihre Ausübung erlässt, indem es den Ermessensspielraum der Verwaltung eingrenzt und den Bürger im Fall der Nichtbeachtung der gesetzlichen Parameter durch die Verwaltung vor einem unabhängigen Gericht schützen kann. Im deutschen Recht bezieht man sich auf den Vorbehalt des Gesetzes (der auf die in Art. 20 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes garantierten Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit zurückzuführen ist), wobei diese Formel auch in anderen Verfassungssystemen angenommen wurde, während die italienische Verfassungslehre eher von der „Rechtmäßigkeit im materiellen Sinn“ spricht, um auf die Notwendigkeit einer vorherigen gesetzlichen Regelung der Verwaltungstätigkeit hinzuweisen.

143. Das an den die Verwaltung betreffenden Vorbehalt des Gesetzes geknüpfte Erfordernis, nämlich die Ausübung des Ermessens zu begrenzen und einen Parameter für die Bewertung ihrer Tätigkeit festzulegen, ist auch in Bezug auf die NRB im Elektrizitäts- und Gassektor vollständig erfüllt. Dieses Erfordernis wird nicht mehr durch eine vorherige Gesetzesnorm erfüllt, sondern durch die in Rechtsakten der Union enthaltene vorherige Regelung. Dank dieser Regelung wird die Nutzung der den NRB vorbehaltenen Befugnisse durch die vom europäischen Gesetzgeber genannten Ziele und Kriterien geleitet, und im Fall eines Verstoßes gegen diese können die Betroffenen, neben einem Fall des Verstoßes gegen nationale Vorschriften, die unter Beachtung der Befugnisse der NRB nach dem Unionsrecht ihre Tätigkeit regeln, vor einem unabhängigen Gericht Klage erheben, um ihre subjektiven Rechte schützen zu lassen(75).

144. Im vorliegenden Fall ist zur vierten Rüge der Kommission in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen festzustellen, dass unstreitig ist, dass § 24 Abs. 1 EnWG einem anderen Organ als der NRB, nämlich der Bundesregierung, die Befugnis überträgt, die Bedingungen für den Netzzugang einschließlich der Beschaffung und Erbringung von Ausgleichsleistungen oder Methoden zur Bestimmung dieser Bedingungen sowie Methoden zur Bestimmung der Entgelte für den Netzzugang festzulegen. Es wird auch nicht bestritten, dass die von der Bundesregierung auf der Grundlage dieser Bestimmung des EnWG erlassenen, von der Kommission angeführten Verordnungen(76) spezifische und detaillierte Vorschriften betreffend wichtige Elemente für die Festlegung der Tarife für die Übertragung und Verteilung(77), die Bedingungen für den Zugang zu den nationalen Netzen und die Bedingungen für die Erbringung von Ausgleichsleistungen(78) liefern sollen.

145. Unter diesen Umständen ist meines Erachtens nach alledem auch der vierten Rüge der Kommission stattzugeben und festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 sowie aus Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73 verstoßen hat.

IV.    Ergebnis

146. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.      Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG sowie der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG verstoßen, dass sie folgende Bestimmungen nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat:

–        Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73;

–        Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73;

–        Art. 19 Abs. 5 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73;

–        Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73.

2.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.


1      Originalsprache: Italienisch.


2      ABl. 2009, L 211, S. 55. Die Richtlinie 2009/72 ist mit Wirkung vom 1. Januar 2021 von der Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU (Neufassung) (ABl. 2019, L 158, S. 125) aufgehoben worden.


3      ABl. 2009, L 211, S. 94.


4      Energiewirschaftsgesetz vom 7. Juli 2005 (BGBl. I, S. 1970 und 3621) in geänderter Fassung.


5      Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. 2004, L 24, S. 1).


6      Urteil vom 30. Januar 2019, Planta Tabak (C‑220/17, EU:C:2019:76, Rn. 33).


7      Jetzt Art. 53 Abs. 2, Art. 62 und Art. 114 AEUV.


8      Vgl. u. a. Urteil vom 8. Oktober 2020, Crown Van Gelder (C‑360/19, EU:C:2020:805, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).


9      Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 25. Januar 2018, Kommission/Tschechische Republik (C‑314/16, EU:C:2018:42, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).


10      Vgl. Erwägungsgründe 9 der Richtlinie 2009/72 und 6 der Richtlinie 2009/73.


11      Vgl. Erwägungsgründe 11 der Richtlinie 2009/72 und 8 der Richtlinie 2009/73.


12      Vgl. insoweit Urteil vom 26. Oktober 2017, Balgarska energiyna borsa (C‑347/16, EU:C:2017:816, Rn. 33).


13      Vgl. Erwägungsgründe 16 der Richtlinie 2009/72 und 13 der Richtlinie 2009/73.


14      Vgl. Art. 9 Abs. 8 der Richtlinie 2009/72 und der Richtlinie 2009/73.


15      ABl. 2004, L 24, S. 1.


16      Im Rahmen der Kontrolle von Zusammenschlüssen betrifft der Begriff „Kontrolle“ nämlich grundsätzlich die Kriterien betreffend die Person, die die Kontrolle innehat, die Bestimmung des Gegenstands der Kontrolle (Unternehmen oder Vermögenswerte), die Mittel, über die die Kontrolle ausgeübt wird, und die Arten der Kontrolle (alleinig oder gemeinsam; vgl. hierzu die Konsolidierte Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung [EG] Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen [ABl. 2008, C 95, S. 1, insbesondere Abschnitt II]). Die deutsche Regierung hat jedoch erklärt, dass nach § 3 Nr. 38 EnWG in seiner Auslegung durch die NRB die Einstufung als „vertikal integriertes Unternehmen“ nicht davon abhänge, dass das vertikal integrierte Unternehmen die Kontrolle über Unternehmen ausübe, die in der Union niedergelassen seien oder nicht, sondern ein geografisches Kriterium vorsehe, das für diese Einstufung verlange, dass die Tätigkeiten im Bereich Elektrizität und Gas innerhalb der Union ausgeübt würden. Daraus folgt, dass die Ausübung der Kontrolle (und damit der Begriff der Kontrolle) für die Prüfung der vorliegenden Rüge nicht relevant ist, sondern die Frage, ob ein Strom- oder Erdgasunternehmen oder eine solche Unternehmensgruppe außerhalb der Union Tätigkeiten ausüben kann, was von einer etwaigen Ausübung der Kontrolle über ein außerhalb der Union ansässiges Unternehmen unabhängig ist.


17      Vgl. Erwägungsgründe 9, 11, 12, 15, 16, 19 und 24 der Richtlinie 2009/72 und Erwägungsgründe 6, 8, 9, 12, 13, 16 und 21 der Richtlinie 2009/73.


18      Vgl. insoweit Urteile vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky (C‑378/19, EU:C:2020:462, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung), zur Richtlinie 2009/72, und vom 19. Dezember 2019, GRDF (C‑236/18, EU:C:2019:1120, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung), zur Richtlinie 2009/73. Siehe auch unten, Nr. 108.


19      Urteil vom 26. Oktober 2017, Balgarska energiyna borsa (C‑347/16, EU:C:2017:816, Rn. 34).


20      Die angeführten Erwägungsgründe und die angeführte Bestimmung der Richtlinie 2009/72 entsprechen den Erwägungsgründen 13, 14 und 16 sowie Art. 52 Abs. 3 der Richtlinie 2009/73.


21      Vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 28. Februar 2013, Kommission/Österreich (C‑555/10, EU:C:2013:115, Rn. 60), und vom 28. Februar 2013, Kommission/Deutschland (C‑556/10, EU:C:2013:116, Rn. 64). Unter demselben Blickwinkel sind meines Erachtens die von der deutschen Regierung in ihren Schriftsätzen angeführten Art. 11 der beiden Richtlinien, die Zertifizierungsverfahren in Bezug auf Drittländer betreffen, auszulegen. Aus diesen Bestimmungen lässt sich meines Erachtens nicht ableiten, dass die außerhalb der Union im Elektrizitäts- und Gassektor ausgeübten Tätigkeiten vom Begriff des „vertikal integrierten Unternehmens“ ausgenommen werden müssten.


22      Vgl. elfter Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/72 und achter Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/73 sowie Nr. 37 der vorliegenden Schussanträge.


23      D. h. die Funktionen Erzeugung/Gewinnung, Übertragung/Fernleitung, Verteilung, Lieferung oder Kauf von Elektrizität oder Erdgas und Verantwortung für kommerzielle, technische und/oder wartungsbezogene Aufgaben im Zusammenhang mit diesen Funktionen.


24      Vgl. Urteil vom 23. April 2020, Land Niedersachsen (einschlägige Vordienstzeiten) (C‑710/18, EU:C:2020:299, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie Urteile vom 16. März 2010, Olympique Lyonnais (C‑325/08, ECLI:EU:C:2010:143, Rn. 38), und vom 10. Oktober 2019, Krah (C‑703/17, EU:C:2019:850, Rn. 55).


25      Vgl. Urteile vom 5. Juli 2017, Fries (C‑190/16, EU:C:2017:513, Rn. 73), und vom 6. September 2012, Deutsches Weintor (C‑544/10, EU:C:2012:526, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).


26      Siehe oben, Nr. 38.


27      Vgl. hierzu u. a. Urteil vom 11. Oktober 2016, Kommission/Italien (C‑601/14, EU:C:2016:759, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).


28      Urteil vom 20. September 2016, Ledra Advertising u. a./Kommission und EZB (C‑8/15 P bis C‑10/15 P, EU:C:2016:701, Rn. 69 und 70 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


29      Urteil vom 21. Mai 2019, Kommission/Ungarn (Nießbrauchsrechte an landwirtschaftlichen Flächen) (C‑235/17, EU:C:2019:432, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).


30      Die Kommission führt die Stromnetzentgeltverordnung (StroNEV, vom 25. Juli 2005, BGBl. I S. 2225), die Gasnetzentgeltverordnung (GasNEV, vom 25. Juli 2005, BGBl. I S. 2197), die Anreizregulierungsverordnung (ARegV, vom 29. Oktober 2007, BGBl. I S. 2529), die Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV, vom 25. Juli 2005, BGBl. I S. 2243) und die Gasnetzzugangsverordnung (GasNZV, vom 3. September 2010, BGBl. I S. 1261) an.


31      Die Kommission verweist auf die Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 (ABl. 2009, L 211, S. 15, in geänderter Fassung, im Folgenden: Verordnung Nr. 714/2009) und die Verordnung (EG) Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 (ABl. 2009, L 211, S. 36, in geänderter Fassung, im Folgenden: Verordnung Nr. 715/2009).


32      Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 16. Juli 2020, Kommission/Ungarn (Netzzugangsentgelte für Stromübertragungs- und Erdgasfernleitungsnetze) (C‑771/18, EU:C:2020:584, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).


33      Vgl. insoweit Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky (C‑378/19, EU:C:2020:462, Rn. 31).


34      Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky (C‑378/19, EU:C:2020:462, Rn. 50).


35      Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky (C‑378/19, EU:C:2020:462, Rn. 32), das auf das Urteil vom 13. Juni 2018 (Kommission/Polen, C‑530/16, EU:C:2018:430, Rn. 67), verweist.


36      Zur Richtlinie 2009/72 vgl. Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky (C‑378/19, EU:C:2020:462, Rn. 54), das auf die Richtlinie 2009/73 entsprechend anwendbar ist. Vgl. hierzu auch Urteil vom 3. Dezember 2020 Kommission/Belgien (C‑767/19, EU:C:2020:984, Rn. 111).


37      Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky (C‑378/19, EU:C:2020:462, Rn. 33), Hervorhebung nur hier, betreffend die Richtlinie 2009/72. Die gleichen Erwägungen gelten entsprechend für die Richtlinie 2009/73.


38      Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky (C‑378/19, EU:C:2020:462, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).


39      Urteil vom 19. Dezember 2019, GRDF (C‑236/18, EU:C:2019:1120, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).


40      Vgl. u. a. Erwägungsgründe 1, 6, 7, 19, 25, 37, 42, 46 und 50 der Richtlinie 2009/72 sowie 1, 5, 16, 21, 22, 30, 57 und 58 der Richtlinie 2009/73.


41      Nämlich die Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. 2003, L 176, S. 37) und die Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. 2003, L 176, S. 57).


42      Erwägungsgründe 9 und 10 der Richtlinie 2009/72 sowie 6 und 7 der Richtlinie 2009/73.


43      Vgl. zur Richtlinie 2009/72 Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky (C‑378/19, EU:C:2020:462, Rn. 23).


44      Insoweit weise ich auch darauf hin, dass die völlige Trennung von der politischen Macht es den NRB ermöglicht, bei ihrem Handeln eine langfristige Perspektive zu verfolgen, die erforderlich ist, um die Ziele der Richtlinie zu verwirklichen, indem sie ihre Entscheidungen von den Erfordernissen im Zusammenhang mit dem Wahlzyklus loslöst, an den hingegen die Inhaber politischer Stellen gebunden sind. Diese Verbindung, die zwar einen Bezug zu den in der Gesellschaft vorhandenen und in der öffentlichen Meinung vertretenen Anliegen und Bedürfnissen ermöglicht, ist die hauptsächliche Tugend der repräsentativen Demokratie, kann aber zur „Achillesferse“ werden, wenn sie auf technischen Gebieten die Schaffung einer langfristigen Perspektive verhindert, die dem Druck sektoraler Interessen standhalten kann.


45      Zum Erfordernis, die Gefahr derartiger Interessenkonflikte durch die Anerkennung der Unabhängigkeit der NRB zu beseitigen, vgl. entsprechend Rn. 35 des Urteils vom 9. März 2010, Kommission/Deutschland (C‑518/07, EU:C:2010:125), betreffend die Unabhängigkeit der Kontrollstelle für den Schutz personenbezogener Daten.


46      Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky (C‑378/19, EU:C:2020:462, Rn. 24 und 25).


47      So ist z. B. nach Buchst. d von Art. 36 der Richtlinie 2009/72 und Art. 40 der Richtlinie 2009/73 das Ziel der Beiträge zur Verwirklichung der angestrebten Entwicklung sicherer, zuverlässiger und effizienter nicht diskriminierender Systeme möglichst kostengünstig zu verwirklichen und hat verbraucherorientiert zu sein.


48      Vgl. insoweit Urteil vom 16. Juli 2020, Kommission/Ungarn (Netzzugangsentgelte für Stromübertragungs- und Erdgasfernleitungsnetze) (C‑771/18, EU:C:2020:584, Rn. 49).


49      Vgl. insoweit Urteil vom 16. Juli 2020, Kommission/Ungarn (Netzzugangsentgelte für Stromübertragungs- und Erdgasfernleitungsnetze) (C‑771/18, EU:C:2020:584, Rn. 50).


50      Vgl. Art. 37 Abs. 7 und 16 der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 Abs. 7 und 16 der Richtlinie 2009/73.


51      Vgl. insoweit Urteil vom 16. Juli 2020, Kommission/Ungarn (Netzzugangsentgelte für Stromübertragungs- und Erdgasfernleitungsnetze) (C‑771/18, EU:C:2020:584, Rn. 43 ff.).


52      Zu dem von der Kommission bestrittenen Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, dass die in diesen Bestimmungen enthaltenen Kriterien nur auf den grenzüberschreitenden Handel auf Ebene der Übertragungsnetze anwendbar seien, weise ich darauf hin, dass, selbst wenn dies der Fall wäre, die Tarife und entsprechenden Methoden ihrer Berechnung doch nicht diskriminierend und im Hinblick auf die Schaffung eines Elektrizitäts- und Gasbinnenmarkts festzulegen und anzuwenden sind, so dass die Festlegung der Tarife und entsprechenden Methoden ihrer Berechnung für den inländischen und grenzüberschreitenden Handel auf der Grundlage einheitlicher Kriterien zu erfolgen hat.


53      Verordnung (EU) 2017/460 der Kommission vom 16. März 2017 zur Festlegung eines Netzkodex über harmonisierte Fernleitungsentgeltstrukturen (ABl. 2017, L 72, S. 29).


54      Verordnung (EU) 2016/1388 der Kommission vom 17. August 2016 zur Festlegung eines Netzkodex für den Lastanschluss (ABl. 2016, L 223, S. 10).


55      Verordnung (EU) 2016/631 der Kommission vom 14. April 2016 zur Festlegung eines Netzkodex mit Netzanschlussbestimmungen für Stromerzeuger (ABl. 2016, L 112, S. 1).


56      Verordnung (EU) 2016/1447 der Kommission vom 26. August 2016 zur Festlegung eines Netzkodex mit Netzanschlussbestimmungen für Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungssysteme und nichtsynchrone Stromerzeugungsanlagen mit Gleichstromanbindung (ABl. 2016, L 241, S. 1).


57      Art. 35 Abs. 4 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2009/72 bzw. Art. 39 Abs. 4 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2009/73.


58      Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky (C‑378/19, EU:C:2020:462, Rn. 52).


59      Vgl. Rn. 27 ff des Urteils Kommission/Belgien.


60      Urteil vom 3. Dezember 2020, Kommission/Belgien (C‑767/19, EU:C:2020:984).


61      Nach Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31).


62      Vgl. Rn. 30 des Urteils.


63      Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteil vom 3. Dezember 2009, Kommission/Deutschland (C‑424/07, EU:C:2009:749, Rn. 80 bis 83).


64      Vgl. Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky (C‑378/19, EU:C:2020:462, Rn. 37), und Urteil vom 19. Oktober 2016, Ormaetxea Garai und Lorenzo Almendros (C‑424/15, EU:C:2016:780, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).


65      Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky (C‑378/19, EU:C:2020:462, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).


66      Urteil vom 22. Januar 2014, Vereinigtes Königreich/Rat und Parlament (C‑270/12, EU:C:2014:18, Rn. 41 ff.).


67      Vgl. Urteil Meroni (S. 44) sowie Urteil vom 22. Januar 2014, Vereinigtes Königreich/Rat und Parlament (C‑270/12, EU:C:2014:18, Rn. 41, 42 und 54).


68      Vgl. Urteil Meroni (S. 44) sowie Urteil vom 22. Januar 2014, Vereinigtes Königreich/Rat und Parlament (C‑270/12, EU:C:2014:18, Rn. 41).


69      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Januar 2014, Vereinigtes Königreich/Rat und Parlament (C‑270/12, EU:C:2014:18, Rn. 44).


70      Siehe insoweit ausführlicher unten, Nr. 141.


71      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Januar 2014, Vereinigtes Königreich/Rat und Parlament (C‑270/12, EU:C:2014:18, Rn. 45).


72      Urteil vom 9. März 2010, Kommission/Deutschland (C‑518/07, EU:C:2010:125, Rn. 41).


73      Urteil vom 9. März 2010, Kommission/Deutschland (C‑518/07, EU:C:2010:125, Rn. 42).


74      Urteil vom 9. März 2010, Kommission/Deutschland (C‑518/07, EU:C:2010:125, Rn. 43 bis 45).


75      Vgl. hierzu Abs. 15 und 17 der Art. 37 der Richtlinie 2009/72 und 41 der Richtlinie 2009/73.


76      Siehe oben, Fn. 30.


77      Die StromNEV und die GasNEV enthalten beide einen Teil (Teil 2) speziell mit der Überschrift „Methode zur Ermittlung der Netzentgelte“, der detaillierte Bestimmungen enthält, die u. a. die Abschreibungsmethoden, die anwendbaren Preisindizes, die verschiedenen Methoden zur Aufteilung der Netzkosten auf die verschiedenen Arten von Netzen sowie die Schwellenwerte und Berechnungsparameter für die verschiedenen Tarife betreffen. Im gleichen Sinne enthält die ARegV Listen mit nicht beeinflussbaren Kostenanteilen oder Parametern für einen Effizienzvergleich der Netzbetreiber oder detaillierte Formeln für die Berechnung der Erlösobergrenzen.


78      Insoweit enthalten sowohl die StromNZV als auch die GasNZV detaillierte Vorgaben für Netzkopplungsverträge zwischen Übertragungsnetzbetreibern, für frei zuordenbare Kapazitäten oder die Anzahl der Marktgebiete. Sie enthalten auch eine ganze Reihe von Bestimmungen über Ausgleichsleistungen.