Language of document : ECLI:EU:C:2019:215

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

14. März 2019(*)

„Rechtsmittel – Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Nichtigkeitsklage – Art. 263 Abs. 6 AEUV – Beginn der Klagefrist – Mehr als zwei Monate nach der Veröffentlichung des betreffenden Rechtsakts im Amtsblatt der Europäischen Union erhobene Klage – Offensichtlich unbegründetes Rechtsmittel“

In der Rechtssache C‑700/18 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 7. November 2018,

Hungary Restaurant Company Kft. mit Sitz in Sopron (Ungarn),

Evolution Gaming Advisory Kft. mit Sitz in Sopron,

vertreten durch Rechtsanwalt P. Ruth,

Rechtsmittelführerinnen,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) und des Richters P. G. Xuereb,


Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Hungary Restaurant Company Kft. und die Evolution Gaming Advisory Kft. die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 12. Oktober 2018, Hungary Restaurant Company und Evolution Gaming Advisory/Kommission (T‑416/18, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2018:705), mit dem das Gericht ihre Klage auf teilweise Nichtigerklärung der Verordnung (EU) 2017/2119 der Kommission vom 22. November 2017 zur Erstellung der „Prodcom-Liste“ der Industrieprodukte gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 3924/91 des Rates (ABl. 2017, L 325, S. 1), hilfsweise auf teilweise Nichtigerklärung der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22), äußerst hilfsweise auf teilweise Nichtigerklärung der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2011, L 304, S. 64) als unzulässig abgewiesen hat.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss

2        Mit am 6. Juli 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingereichter Klageschrift erhoben die Rechtsmittelführerinnen Klage auf teilweise Nichtigerklärung der Verordnung 2017/2119, der Richtlinie 2005/29 und der Richtlinie 2011/83.

3        Wie sich aus Rn. 4 des angefochtenen Beschlusses ergibt, hat das Gericht, das sich auf der Grundlage des Akteninhalts für ausreichend unterrichtet hielt, in Anwendung des Art. 126 seiner Verfahrensordnung beschlossen, ohne Fortsetzung des Verfahrens zu entscheiden.

4        Das Gericht hat zunächst in Rn. 6 des angefochtenen Beschlusses darauf hingewiesen, dass es nach ständiger Rechtsprechung Sache des Unionsrichters sei, von Amts wegen zu prüfen, ob die Klagefrist gemäß Art. 263 Abs. 6 AEUV gewahrt worden sei, die zwingendes Recht sei, da sie zur Gewährleistung der Klarheit und Sicherheit der Rechtsverhältnisse und zur Vermeidung jeder Diskriminierung oder willkürlichen Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz eingeführt worden sei.

5        In Rn. 7 dieses Beschlusses hat das Gericht sodann festgestellt, dass die gemäß Art. 263 AEUV in Verbindung mit den Art. 58 Abs. 2, Art. 59 und 60 seiner Verfahrensordnung berechnete Frist für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen die Verordnung 2017/2119, die Richtlinie 2005/29 und die Richtlinie 2011/83 am 5. März 2018, am 5. September 2005 bzw. am 16. Februar 2012 abgelaufen sei, da diese Rechtsakte am 8. Dezember 2017, am 11. Juni 2005 bzw. am 22. November 2011 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden seien. Die am 6. Juli 2018 von den Rechtsmittelführerinnen erhobene Klage sei somit verspätet.

6        In Rn. 8 dieses Beschlusses hat das Gericht schließlich festgestellt, dass die Rechtsmittelführerinnen weder nachgewiesen noch auch nur behauptet hätten, dass ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt vorgelegen habe, der es nach Art. 45 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der nach deren Art. 53 auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar sei, erlauben würde, von der Einhaltung der fraglichen Frist abzusehen.

7        Aufgrund all dieser Erwägungen hat das Gericht die Klage als offensichtlich unzulässig abgewiesen.

 Anträge der Rechtsmittelführerinnen

8        Die Rechtsmittelführerinnen beantragen,

–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben;

–        den im ersten Rechtszug gestellten Anträgen stattzugeben.

 Zum Rechtsmittel

9        Nach Art. 181 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof ein Rechtsmittel, das ganz oder teilweise offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, jederzeit auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts ganz oder teilweise durch mit Gründen versehenen Beschluss zurückweisen.


10      Diese Bestimmung ist im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels anzuwenden.

11      Die Rechtsmittelführerinnen machen einen Rechtsmittelgrund geltend, nämlich einen Verstoß gegen Art. 263 AEUV in Verbindung mit Art. 59 der Verfahrensordnung des Gerichts.

 Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen

12      Nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen ergibt sich weder aus Art. 263 AEUV noch aus Art. 59 der Verfahrensordnung des Gerichts, dass die Frist für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage systematisch mit der Veröffentlichung der angefochtenen Handlung im Amtsblatt zu laufen beginne.

13      Da nach Art. 263 Abs. 4 AEUV eine natürliche oder juristische Person, die nach dieser Bestimmung Klage erheben wolle, von der Handlung, deren Nichtigerklärung sie begehre, unmittelbar und individuell betroffen sein müsse, beginne die in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehene Frist mit dem konkreten Ereignis, auf das für diese unmittelbare und individuelle Betroffenheit abzustellen sei.

14      Eine gegenteilige Auslegung würde bedeuten, dass jede natürliche oder juristische Person aus prozessualer Vorsicht gegen jeden Rechtsakt der Union innerhalb von zwei Monaten nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt eine Nichtigkeitsklage erheben müsste, auch wenn sie davon noch gar nicht betroffen sei, um sich diese Klagemöglichkeit für die Zukunft nicht zu verbauen. Eine solche Klage würde aber abgewiesen, da diese Person zu diesem Zeitpunkt nicht die in Art. 263 Abs. 4 AEUV vorgesehene Voraussetzung der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit erfülle.

15      Daher gefährde die vom Gericht vorgenommene Auslegung des Art. 59 seiner Verfahrensordnung das Rechtsschutzinstrumentarium des Art. 263 Abs. 4 AEUV, da sie diesen Rechtsschutz auf einen Zeitraum von zwei Monaten reduziere, in dem eine natürliche oder juristische Person nur darauf hoffen könne, von der betreffenden Handlung unmittelbar und individuell betroffen zu sein, um eine Nichtigkeitsklage erheben zu können. Eine solche Auslegung führe jedoch zur Ineffektivität dieses Instrumentariums und stelle folglich einen Verstoß gegen Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) dar.

16      Aus all diesen Gründen sind die Rechtsmittelführerinnen der Ansicht, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es ihre Klage als wegen Verspätung offensichtlich unzulässig abgewiesen habe, obwohl sie rechtzeitig erhoben worden sei.

 Würdigung durch den Gerichtshof

17      Mit ihrem einzigen Rechtsmittelgrund machen die Rechtsmittelführerinnen im Wesentlichen geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, als es entschieden habe, die Frist für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen die Verordnung 2017/2119, die Richtlinie 2005/29 und die Richtlinie 2011/83 habe nach Art. 263 Abs. 6 AEUV mit der Veröffentlichung dieser Rechtsakte im Amtsblatt am 8. Dezember 2017, am 11. Juni 2005 bzw. am 22. November 2011 begonnen, so dass diese Frist zum Zeitpunkt der Erhebung ihrer Nichtigkeitsklage abgelaufen und die Klage offensichtlich unzulässig sei.

18      Insoweit hat das Gericht in Rn. 5 des angefochtenen Beschlusses zu Recht darauf hingewiesen, dass die Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 6 AEUV binnen zwei Monaten zu erheben ist, wobei diese Frist je nach Lage des Falles von der Bekanntgabe der angefochtenen Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung dessen von dem Zeitpunkt an läuft, zu dem der Kläger von ihr Kenntnis erlangt hat. Das Gericht hat auch zu Recht die Art. 58 Abs. 2, 59 und 60 seiner Verfahrensordnung angeführt, die die Berechnung der Klagefrist genauer regeln.

19      Das Gericht hat außerdem in Rn. 6 dieses Beschlusses zu Recht auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs hingewiesen, wonach die in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehene Klagefrist zwingendes Recht ist, da sie zur Gewährleistung der Klarheit und Sicherheit der Rechtsverhältnisse und zur Vermeidung jeder Diskriminierung oder willkürlichen Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz eingeführt wurde, so dass es Sache des Unionsrichters ist, von Amts wegen zu prüfen, ob sie gewahrt wurde (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 8. Dezember 2005, Campailla/Kommission, C‑210/05 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2005:759, Rn. 28, und Urteil vom 8. November 2012, Evropaïki Dynamiki/Kommission, C‑469/11 P, EU:C:2012:705, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Im vorliegenden Fall kann nicht bestritten werden, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem die Rechtsmittelführerinnen ihre Nichtigkeitsklage gegen die Verordnung 2017/2119, die Richtlinie 2005/29 und die Richtlinie 2011/83 erhoben, die in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehene Frist von zwei Monaten ab der Veröffentlichung dieser Rechtsakte im Amtsblatt abgelaufen war.

21      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das Datum der Veröffentlichung eines Rechtsakts der Union im Amtsblatt, sofern vorhanden, das entscheidende Kriterium für die Bestimmung des Beginns der Klagefrist ist (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 15. November 2012, Städter/EZB, C‑102/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:723, Rn. 12 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 29. November 2017, Società agricola Taboga Leandro e Fidenato Giorgio/Parlament und Rat, C‑467/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:916‚ Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Der Gerichtshof hat außerdem entschieden, dass die Klagefrist im Fall der Zweimonatsfrist für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 Abs. 6 AEUV mit der Bekanntgabe beginnt, wenn diese Bekanntgabe, die Voraussetzung für das Inkrafttreten des Rechtsakts ist, im AEU-Vertrag vorgesehen ist (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 31. Januar 2019, Iordăchescu/Parlament u. a., C‑426/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:89, Rn. 22).

23      Gemäß Art. 297 Abs. 1 und 2 AEUV werden Rechtsakte wie die Verordnung und die Richtlinien, um die es vorliegend geht, im Amtsblatt veröffentlicht.

24      Dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen beizupflichten, wonach diese Frist nicht mit der Veröffentlichung der betreffenden Rechtsakte im Amtsblatt beginne, sondern erst, wenn sie von diesen unmittelbar und individuell betroffen seien und damit ein Interesse an deren Nichtigerklärung hätten, liefe darüber hinaus dem Zweck des Art. 263 Abs. 6 AEUV zuwider, Rechtssicherheit zu gewährleisten, indem verhindert wird, dass Rechtswirkungen entfaltende Handlungen der Union unbegrenzt in Frage gestellt werden können (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 12. September 2013, Ellinika Nafpigeia und 2. Hoern/Kommission, C‑616/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:884, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 29. November 2017, Società agricola Taboga Leandro e Fidenato Giorgio/Parlament und Rat, C‑467/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:916‚ Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Würde diesem Vorbringen gefolgt, könnte nämlich jede im Amtsblatt veröffentlichte Handlung der Union jederzeit durch eine von einer natürlichen oder juristischen Person erhobene Klage in Frage gestellt werden.

26      Die Rechtsmittelführerinnen können sich auch nicht auf Art. 47 der Charta berufen, um diese Feststellung in Frage zu stellen. Hierzu genügt es, daran zu erinnern, dass dieser Artikel nicht darauf abzielt, das in den Verträgen vorgesehene Rechtsschutzsystem und insbesondere die Bestimmungen über die Zulässigkeit direkter Klagen bei den Unionsgerichten zu ändern, wie auch aus den Erläuterungen zu Art. 47 der Charta hervorgeht, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta für deren Auslegung zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 29. November 2017, Società agricola Taboga Leandro e Fidenato Giorgio/Parlament und Rat, C‑467/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:916‚ Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Nach alledem hat das Gericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Klage der Rechtsmittelführerinnen verspätet und damit unzulässig war. Folglich ist der einzige Rechtsmittelgrund und damit das Rechtsmittel insgesamt als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

 Kosten

28      Nach Art. 137 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, wird in dem das Verfahren beendenden Beschluss über die Kosten entschieden. Da der vorliegende Beschluss ergangen ist, bevor die Rechtsmittelschrift der anderen Partei des Verfahrens zugestellt wurde und somit bevor ihr Kosten entstehen konnten, ist zu entscheiden, dass die Rechtsmittelführerinnen ihre eigenen Kosten tragen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) beschlossen:

1.      Das Rechtsmittel wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.

2.      Die Hungary Restaurant Company Kft. und die Evolution Gaming Advisory Kft. tragen ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 14. März 2019

Der Kanzler

 

Der Präsident der Siebten Kammer

A. Calot Escobar

 

T. von Danwitz


*      Verfahrenssprache: Deutsch.