SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE
vom 19. Oktober 2017(1)
Rechtssache C‑395/16
DOCERAM GmbH
gegen
CeramTec GmbH
(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf [Deutschland])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges und gewerbliches Eigentum – Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Art. 8 Abs. 1 – Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind – Konturen dieses Begriffs – Beurteilungskriterien“
I. Einleitung
1. Das Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Deutschland) betrifft die Auslegung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster(2). Diese Vorschrift, die noch nie Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof gewesen ist, besagt, dass Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, vom Schutzbereich dieser Verordnung ausgenommen sind.
2. Die Vorlageentscheidung ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen zwei Gesellschaften, von denen die eine Inhaberin mehrerer eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist und die andere Produkte herstellt, die den von diesen Schutzrechten erfassten entsprechen. Nachdem die erstgenannte Gesellschaft eine Unterlassungsklage gegen die zweitgenannte erhoben hatte, machte diese ihrerseits die Nichtigkeit der Schutzrechte geltend, in denen sich die Klägerin des Ausgangsverfahrens verletzt sah. Zur Stützung ihrer Widerklage berief sie sich auf den Ausschluss gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002.
3. Mit den Fragen des vorlegenden Gerichts wird der Gerichtshof ersucht, zum einen den Begriff „Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind“ im Sinne dieser Vorschrift zu definieren und zum anderen zu klären, auf welche Weise zu beurteilen ist, ob die betreffenden Geschmacksmuster solche Merkmale aufweisen.
II. Rechtlicher Rahmen
4. Nach dem zehnten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 6/2002 „[dürfen t]echnologische Innovationen … nicht dadurch behindert werden, dass ausschließlich technisch bedingten Merkmalen Geschmacksmusterschutz gewährt wird. Das heißt nicht, dass ein Geschmacksmuster unbedingt einen ästhetischen Gehalt aufweisen muss. Ebenso wenig darf die Interoperabilität von Erzeugnissen unterschiedlichen Fabrikats dadurch behindert werden, dass sich der Schutz auf das Design mechanischer Verbindungselemente erstreckt. Dementsprechend dürfen Merkmale eines Geschmacksmusters, die aus diesen Gründen vom Schutz ausgenommen sind, bei der Beurteilung, ob andere Merkmale des Geschmacksmusters die Schutzvoraussetzungen erfüllen, nicht herangezogen werden.“
5. In Art. 4 („Schutzvoraussetzungen“) dieser Verordnung heißt es:
„(1) Ein Geschmacksmuster wird durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.
(2) Ein Geschmacksmuster, das in einem Erzeugnis, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird, gilt nur dann als neu und hat nur dann Eigenart:
a) wenn das Bauelement, das in das komplexe Erzeugnis eingefügt ist, bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar bleibt, und
b) soweit diese sichtbaren Merkmale des Bauelements selbst die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen.
…“
6. Art. 5 („Neuheit“) der Verordnung Nr. 6/2002 besagt in Abs. 1, dass „[e]in Geschmacksmuster … als neu [gilt], wenn der Öffentlichkeit … kein identisches Geschmacksmuster zugänglich gemacht worden ist“.
7. Art. 6 („Eigenart“) dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Ein Geschmacksmuster hat Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist …
(2) Bei der Beurteilung der Eigenart wird der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters berücksichtigt.“
8. Art. 8 („Durch ihre technische Funktion bedingte Geschmacksmuster und Geschmacksmuster von Verbindungselementen“) der Verordnung sieht in Abs. 1 vor, dass „[e]in Gemeinschaftsgeschmacksmuster … nicht an Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses [besteht], die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind“.
III. Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
9. Die DOCERAM GmbH ist eine Gesellschaft deutschen Rechts, die ingenieurkeramische Bauteile herstellt. Sie beliefert Kunden der Automobil-, Textilmaschinen- und Maschinenindustrie sowie des Anlagenbaus. Sie ist Inhaberin mehrerer eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster, die Schweißzentrierstifte in drei unterschiedlichen Geometrien, von denen jeweils sechs verschiedene Typen hergestellt werden, schützen.
10. Die CeramTec GmbH ist ebenfalls eine Gesellschaft deutschen Rechts; sie produziert und vertreibt Zentrierstifte aus Keramik in denselben Anfertigungen wie den durch die Geschmacksmuster, deren Inhaberin DOCERAM ist, geschützten.
11. DOCERAM erhob beim Landgericht Düsseldorf Klage gegen CeramTec u. a. auf Unterlassung der Verletzung ihrer Schutzrechte. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens erhob Widerklage auf Nichtigerklärung dieser Rechte und machte geltend, die Erscheinungsmerkmale der betreffenden Erzeugnisse seien im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 ausschließlich durch deren technische Funktion bedingt.
12. Das Landgericht Düsseldorf wies die Klage von DOCERAM ab und erklärte die streitigen Geschmacksmuster für nichtig. Zur Begründung führte es aus, die Geschmacksmuster seien nach Art. 8 Abs. 1 der genannten Verordnung von deren Schutzbereich ausgenommen, da die Wahl des Designs ausschließlich von Erwägungen der technischen Funktionalität geleitet gewesen sei.
13. Gegen dieses Urteil legte DOCERAM beim Oberlandesgericht Düsseldorf Berufung ein. Dieses Gericht ist der Auffassung, es sei für den Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblich, ob für die Anwendung des Ausschlusstatbestands gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 festgestellt werden müsse, dass keine Designalternativen bestünden, die dieselbe technische Funktion erfüllten – wie von Teilen der Rechtsprechung und Lehre u. a. in Deutschland vertreten werde –, oder – wie im angefochtenen Urteil angenommen werde – objektiv zu klären sei, ob allein die angestrebte Funktionalität für die Gestaltung des betreffenden Erzeugnisses ausschlaggebend gewesen sei.
14. Mit Beschluss vom 7. Juli 2016, der am 15. Juli 2016 beim Gerichtshof eingegangen ist, hat das Oberlandesgericht Düsseldorf daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Liegt eine schutzausschließende technische Bedingtheit im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 auch dann vor, wenn die gestalterische Wirkung keinerlei Bedeutung für das Produktdesign hat, sondern die (technische) Funktionalität der einzige, das Design bestimmende Faktor ist?
2. Sollte der Gerichtshof die erste Frage bejahen: Von welchem Standpunkt aus ist zu beurteilen, ob die einzelnen Gestaltungsmerkmale eines Produkts allein aus Erwägungen der Funktionalität gewählt worden sind? Ist ein „objektiver Beobachter“ maßgeblich und wenn ja, wie ist dieser zu definieren?
15. DOCERAM, CeramTec, die hellenische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht. In der Sitzung vom 29. Juni 2017 haben sie allesamt mündliche Ausführungen gemacht.
IV. Würdigung
A. Zum Begriff „Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 (erste Frage)
1. Zum Gehalt der ersten Frage und zu den widerstreitenden Auffassungen
16. Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Geschmacksmuster seien im Einklang mit den Anforderungen der Art. 5 und 6 der Verordnung Nr. 6/2002(3) in der Tat sowohl neu als auch mit Eigenart versehen. Fraglich sei, ob ihr Schutz dennoch aufgrund von Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung, wonach „[e]in Gemeinschaftsgeschmacksmuster … nicht an Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses [besteht], die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind“, auszuschließen sei, angesichts dessen, dass es im vorliegenden Fall Designs gebe, die als „Alternativen“ einzustufen seien, da sie dieselbe technische Wirkung haben könnten wie die durch diese Geschmacksmuster erzeugte.
17. Mit Blick auf die Angaben in der Vorlageentscheidung und den Kontext, in dem diese steht, scheint mir, dass mit der ersten Vorlagefrage der Gerichtshof ersucht wird, zu klären, ob die bloße Feststellung des Bestehens solcher Designalternativen den Schluss zulässt, dass die streitigen Geschmacksmuster nicht ausschließlich durch die technische Funktion der betreffenden Erzeugnisse bedingt sind und daher nicht unter den Ausschlusstatbestand dieses Art. 8 Abs. 1 fallen, oder ob das insoweit ausschlaggebende Kriterium die Frage ist, ob „ästhetische Erwägungen“ oder die „gestalterische Wirkung“ dieser Erzeugnisse(4) ihren Entwerfer veranlasst haben, sich für ein bestimmtes Design zu entscheiden(5). Für den Fall, dass der Gerichtshof das letztgenannte Kriterium für maßgeblich erachten sollte, möchte das vorlegende Gericht sodann mit seiner zweiten Frage wissen, auf welche Weise zu beurteilen wäre, ob die einzelnen Gestaltungsmerkmale eines Erzeugnisses allein aufgrund technischer Erfordernisse gewählt wurden.
18. Das vorlegende Gericht betont, dass angesichts der unterschiedlichen Auffassungen, die bislang sowohl im Schrifttum als auch in der Entscheidungspraxis der mitgliedstaatlichen Gerichte und des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) (vormals Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt [Marken, Muster und Modelle] [HABM]) vertreten worden seien, erhebliche Zweifel bestünden, wie Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 auszulegen sei. Insoweit stehen sich zwei Rechtsauffassungen gegenüber, die zu diametral entgegengesetzten praktischen Ergebnissen führen können.
19. Nach einer ersten Auffassung soll die in dieser Vorschrift geregelte Ausnahme nur dann greifen, wenn festgestellt wird, dass keine Designalternative es ermöglicht, dieselbe technische Funktion zu erfüllen wie das betreffende Geschmacksmuster, da durch das Bestehen solcher Alternativen deutlich würde, dass die Wahl der fraglichen Form nicht nur im Sinne dieses Art. 8 Abs. 1 durch ihre technische Funktion bedingt war. Diese Auslegung stützt sich auf das Kriterium, das üblicherweise als das der „Formenvielfalt“ bezeichnet wird, wonach dann, wenn es andere Formen eines Erzeugnisses gibt, die dieselbe technische Funktion erfüllen können, das Design dieses Erzeugnisses Schutz genießen kann, da diese Bandbreite an Formen belegt, dass in solch einem Fall der Entwerfer des Erzeugnisses nicht durch die technische Funktion eingeschränkt war, sondern es ihm bei der Entwicklung des Geschmacksmusters freistand, sich für irgendeine dieser Formen zu entscheiden(6). So ausgelegt, würde diese Vorschrift nur in den relativ seltenen Fällen greifen, in denen das betreffende Design als einziges geeignet ist, die Erreichung der angestrebten technischen Wirkung zu gewährleisten.
20. In seiner Vorlageentscheidung gibt das Oberlandesgericht Düsseldorf an, dass die Anwendung dieser ersten Auffassung – die nach meiner Kenntnis von einem Teil des Schrifttums insbesondere in Deutschland(7), Belgien(8) und Frankreich(9) vertreten wird – nicht nur in der nationalen Rechtsprechung – sowohl in Deutschland als auch in anderen Mitgliedstaaten(10) –, sondern auch in der Praxis des EUIPO verbreitet sei(11). Aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen geht hervor, dass DOCERAM im vorliegenden Verfahren die einzige Beteiligte ist, die diesen Standpunkt vertritt.
21. Nach einer konkurrierenden Auffassung soll der Ausschluss nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 dann greifen, wenn die Merkmale des fraglichen Designs ausschließlich durch das Bedürfnis, eine technische Lösung zu entwickeln, bedingt sind, ohne dass ästhetische Erwägungen die geringste Rolle gespielt hätten, denn in diesem Fall sei keine gestalterische Tätigkeit entfaltet worden, die es verdiene, durch das Geschmacksmusterrecht geschützt zu werden. Diese Auffassung, die auf das sogenannte Kriterium der „Kausalität“abstellt, verlangt, dass ermittelt wird, aus welchem Grund das streitige Merkmal vom Entwerfer des Erzeugnisses gewählt wurde(12). So ausgelegt, würde Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung in allen Fällen greifen, in denen allein die Notwendigkeit, eine bestimmte technische Funktion zu erfüllen, für die Wahl des Designs ausschlaggebend war, ohne dass sein Erscheinungsbild oder sein ästhetischer Wert eine Rolle spielen würde; das etwaige Bestehen von Designalternativen, die dieselbe Funktion erfüllen könnten, wäre nicht entscheidend.
22. Auch wenn der Gerichtshof durch diese bislang vertretenen Auffassungen selbstverständlich nicht gebunden ist, sei hervorgehoben, dass das EUIPO, nachdem es einst die Theorie der Formenvielfalt vertreten hatte, in seiner jüngeren Entscheidungspraxis der Kausalitätstheorie gefolgt ist(13), indem es die Auffassung vertreten hat, Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 versage den Schutz für Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses, die nur mit dem Ziel, dass dieses Erzeugnis seine technische Funktion erfüllen könne, gewählt worden seien, im Gegensatz zu Merkmalen, die zumindest zu einem gewissen Grad gewählt worden seien, um die optische Erscheinung des Erzeugnisses zu verbessern, und damit schutzfähig seien(14). Eine ähnliche Entwicklung hat die Rechtsprechung offenbar in Frankreich(15) und im Vereinigten Königreich(16) vollzogen. Im vorliegenden Verfahren haben sich sowohl CeramTec als auch die hellenische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission(17) für die letztgenannte Auffassung ausgesprochen. Aus den nachfolgend dargelegten Gründen ist dies auch mein Standpunkt.
2. Zu den Grundlagen der vorgeschlagenen Auslegung
23. Zunächst lässt sich feststellen, dass der Wortlaut der Bestimmungen der Verordnung Nr. 6/2002 entgegen dem Vorbringen von DOCERAM keine Hinweise bietet, die der Beantwortung der ersten Vorlagefrage unmittelbar dienlich wären, da der in Art. 8 Abs. 1 enthaltene Begriff „Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind“ darin nicht definiert wird und keinerlei Beurteilungskriterium darin genannt wird. Insbesondere wird das von den Anhängern der Formenvielfaltstheorie bevorzugte Kriterium des Fehlens von Alternativen zum Design des betreffenden Erzeugnisses überhaupt nicht erwähnt.
24. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt aus dem Erfordernis der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts, dass, wenn ein Rechtsakt der Union für die Definition eines bestimmten Begriffs nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, wie es hier der Fall ist, dieser Begriff eine autonome Auslegung erhalten muss, die der Gerichtshof unter Berücksichtigung der allgemeinen Systematik, der Ziele und der Entstehungsgeschichte der fraglichen Regelung ermittelt(18).
25. Was die allgemeine Systematik der Verordnung Nr. 6/2002 angeht, weise ich darauf hin, dass der zehnte Erwägungsgrund dieser Verordnung eine interessante, wenn auch begrenzt bleibende Erkenntnis darüber vermittelt, wie ihr Art. 8 Abs. 1 zu verstehen ist, indem er besagt, dass „[t]echnologische Innovationen … nicht dadurch behindert werden [dürfen], dass ausschließlich technisch bedingten Merkmalen Geschmacksmusterschutz gewährt wird[, was] nicht [heißt], dass ein Geschmacksmuster unbedingt einen ästhetischen Gehalt aufweisen muss“.
26. Die Implikationen des ersten Teils dieses Satzes des genannten Erwägungsgrundes werde ich weiter unten unter dem Aspekt der mit Art. 8 Abs. 1 verfolgten Ziele thematisieren(19). In Bezug auf den zweiten Teil dieses Satzes(20) führt das vorlegende Gericht aus, die Gegner der Kausalitätstheorie machten geltend, dass diese Auffassung – die danach strebt, die rein technischen von den verzierenden Merkmalen eines Erzeugnisses abzugrenzen – im Widerspruch zu der Aussage stehe, dass ein Geschmacksmuster nicht unbedingt einen ästhetischen Gehalt aufweisen müsse, um schutzfähig zu sein.
27. Es ist richtig, dass ein solches Erfordernis auch nicht ausdrücklich in den Art. 4 bis 6 der Verordnung Nr. 6/2002 genannt wird, in denen geregelt ist, welchen Voraussetzungen der Schutz von Gemeinschaftsgeschmacksmustern unterliegt. In diesem Sinne stellt der zehnte Erwägungsgrund (Satz 1 am Ende) dieser Verordnung klar, dass aus dem in Art. 8 Abs. 1 genannten Eintragungshindernis nicht geschlossen werden darf, dass nur Formen, die einen ästhetischen Gehalt aufweisen, als Geschmacksmuster geschützt werden können. Die Formulierung „[d]as heißt nicht, dass ein Geschmacksmuster unbedingt einen ästhetischen Gehalt aufweisen muss“ bedeutet aber meines Erachtens nur, dass es nicht zwingend notwendig ist, dass das Erscheinungsbild des fraglichen Erzeugnisses einen ästhetischen Aspekt aufweist, damit es geschützt werden kann.
28. Ebenso wie CeramTec, die hellenische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs bin ich der Ansicht, dass es, auch wenn die ästhetischen Eigenschaften des fraglichen Erzeugnisses kein entscheidendes Beurteilungskriterium für die Gewährung dieses Schutzes darstellen, verfehlt wäre, daraus zu folgern, dass nicht die optische Erscheinung der Erzeugnisse das Schutzgut des Gemeinschaftsgeschmacksmusters ist. Denn wie das inzwischen zum EUIPO gewordene HABM ausgeführt hat(21), geht zum einen aus der Definition des Begriffs „Geschmacksmuster“ in Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002, die sich ausdrücklich auf die „Erscheinungsform“ des Erzeugnisses bezieht(22), und zum anderen aus den Anforderungen an die Sichtbarkeit, die sowohl in Art. 4 Abs. 2(23) als auch im zwölften Erwägungsgrund(24) dieser Verordnung genannt werden, eindeutig hervor, dass die Prüfung des äußeren Erscheinungsbildes – welchen konkreten Gehalt(25) es auch haben mag – für die Erlangung der durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster verliehenen Rechte entscheidend ist(26). Ergänzend weise ich darauf hin, dass auch in Art. 10 Abs. 1 dieser Verordnung, nach dem das betreffende Erzeugnis von früheren geschützten Schöpfungen unterscheidbar sein muss(27), auf den visuellen Aspekt abgestellt wird.
29. Daher ist es meines Erachtens mit dem Wortlaut des zehnten Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 6/2002 vereinbar, deren Art. 8 Abs. 1 dahin auszulegen, dass er nicht die Fälle betrifft, in denen die fraglichen Merkmale das einzige Mittel sind, um die technische Funktion eines Erzeugnisses zu erfüllen, sondern die Fälle, in denen die Notwendigkeit, diese Funktion zu erfüllen, der einzige Faktor ist, der die Entscheidung für diese Merkmale erklärt. Mit anderen Worten muss meiner Meinung nach davon ausgegangen werden, dass die Erscheinungsmerkmale des Erzeugnisses ausschließlich durch das Ziel, eine bestimmte technische Lösung zu erreichen, bedingt sind und diese Merkmale somit unter den Ausschluss nach Art. 8 Abs. 1 fallen, wenn Erwägungen anderer Art, insbesondere optische Aspekte, bei der Entscheidung für das betreffende Geschmacksmuster eindeutig keine Rolle gespielt haben. Die entscheidende Frage ist, wo die mit der technischen Funktion des Erzeugnisses zusammenhängenden Formzwänge aufhören und wo die Gestaltungsfreiheit seines Entwerfers anfängt(28).
30. Die Feststellung, dass diese Vorschrift Ausnahmecharakter hat, woraus nach Ansicht des vorlegenden Gerichts folgt, dass sie eng ausgelegt werden sollte, stellt meine Würdigung nicht in Frage. Diese Erwägung allein kann nämlich nicht dazu veranlassen, ein Kriterium anzuerkennen – hier das Kriterium der Formenvielfalt –, das zwar die Fälle, in denen der Ausschluss greift, stärker einschränkt(29), aber weder im Wortlaut der Verordnung Nr. 6/2002 noch im Hinblick auf deren Hintergründe und Ziele, wie sie vom Unionsgesetzgeber benannt worden sind, eine eindeutige Rechtsgrundlage findet.
31. Die von mir vorgeschlagene Auslegung wird meines Erachtens durch eine Betrachtung der Entstehungsgeschichte der Verordnung Nr. 6/2002 und speziell ihres Art. 8 Abs. 1 gestützt.
32. CeramTec trägt vor, das Kriterium der Formenvielfalt sei nicht anzuwenden, da der Vorschlag, es in die Unionsvorschriften aufzunehmen, nicht aufgegriffen worden sei. Auch die hellenische Regierung zieht eine Reihe von Argumenten aus den Gesetzgebungsmaterialien zu dieser Verordnung.
33. In dieser Hinsicht weise ich darauf hin, dass die Kommission in ihrem Grünbuch von 1991 über den rechtlichen Schutz gewerblicher Muster und Modelle den Schutzausschluss für ausschließlich durch die technische Funktion des betreffenden Erzeugnisses bedingte Merkmale – eine Regelung, die damals bereits in der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten bestand(30) – mit Anmerkungen erläutert hat, die mir zwischen der Formenvielfaltstheorie und der Kausalitätstheorie – die nach meinem Verständnis auf das Nichtbestehen von Designalternativen in Bezug auf die endgültige Form des Erzeugnisses bzw. auf den fehlenden kreativen Beitrag des Entwerfers bei der Entwicklung dieser Form abstellen – zu schwanken scheinen(31).
34. Im ursprünglichen Vorschlag der Kommission von 1993, der zum Erlass der Verordnung Nr. 6/2002 führte, trug Art. 9 Abs. 1 (aus dem Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung geworden ist) die Überschrift „Nicht willkürlich gewählte technische Muster …“ und lautete: „Ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster besteht an einem Muster insoweit nicht, als die Verwirklichung einer technischen Funktion dem Entwerfer keinen Spielraum hinsichtlich willkürlich gewählter Erscheinungsmerkmale belässt“(32).
35. In den Erläuterungen zu diesem Verordnungsvorschlag(33) sowie im Kommentar zu dessen Art. 9 Abs. 1(34) wird zunächst klargestellt, dass der ästhetische Aspekt des Erzeugnisses für sich genommen nicht ausschlaggebend sei, da sowohl Geschmacksmuster, die nach einer gewissen Ästhetik strebten, als auch solche, die einer bestimmten Zweckmäßigkeit dienten, gleichermaßen schutzfähig seien. Insbesondere wird in diesen Fundstellen betont, dass der Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster in den seltenen Fällen versagt werde, in denen „die Form der Funktion [folgt], ohne dass es eine Möglichkeit zu Abweichungen gäbe“, da der Entwerfer dann bei der Entwicklung des Erzeugnisses über „keinen Spielraum“ verfüge und daher „nicht behaupten [kann], das Ergebnis gehe auf persönliche Kreativität zurück“(35).
36. Im Übrigen ergibt sich aus dem geänderten Vorschlag von 1999(36), dass der gegenwärtige Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 auf Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 98/71/EG über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen(37), mit der die einschlägigen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten(38) harmonisiert werden sollen, abgestimmt wurde. Die Gesetzgebungsmaterialien zur Richtlinie 98/71 bestätigen wiederum, dass die fehlende Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Erzeugnisses und der Umstand, dass die gewählte Form ausschließlich durch die technische Funktion bedingt ist, von Beginn an als die ausschlaggebenden Faktoren für die Versagung des Schutzes angesehen wurden, und zwar sowohl im ursprünglichen Vorschlag von 1993 für diese Richtlinie(39) als auch im geänderten Vorschlag von 1996(40).
37. Mir scheint, dass in den oben angeführten Textentwürfen keine Entscheidung für ein Kriterium erfolgt ist, das dem des Bestehens von Designalternativen bzw. der Formenvielfalt entspräche, sondern dass vielmehr dem Kriterium der Kausalität der Vorzug gegeben wurde. Es wird nämlich keineswegs verlangt, dass das fragliche Merkmal das einzige Mittel ist, mit dem die angestrebte technische Funktion erreicht werden kann. Der Ausschluss, wie er in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 vorgesehen ist, beruht im Wesentlichen auf dem Fehlen einer kreativen Handlung des Entwerfers in Bezug auf das Erscheinungsbild des Erzeugnisses, in der Erwägung, dass nur ein Mehrwert, der sich aus einer von der technischen Funktion unabhängigen intellektuellen Anstrengung ergibt, den Schutz als Geschmacksmuster rechtfertigt. Offenbar neigt auch das EUIPO in seiner jüngeren Entscheidungspraxis dazu, verstärkt darauf abzustellen, ob der Entwerfer bei der Entwicklung des fraglichen Erzeugnisses über einen Spielraum verfügte(41).
38. Was die mit dieser Verordnung, insbesondere mit ihrem Art. 8 Abs. 1, angestrebten Ziele angeht, ist unter den Beteiligten unstreitig und meines Erachtens auch unleugbar, dass mit dieser Vorschrift hauptsächlich verhindert werden soll, dass rein technisch geprägte Merkmale eines Erzeugnisses dadurch „monopolisier[t]“(42) werden können, dass sie als Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt werden(43), und vermieden werden soll, dass „[t]echnologische Innovationen … behindert werden“(44), dadurch dass dieser Schutz die Verfügbarkeit technischer Lösungen für andere Wirtschaftsteilnehmer einschränkt(45). Das Streben nach einem Gleichgewicht zwischen dem Schutz von Innovation und Kreativität einerseits sowie der Wahrung eines fairen und für alle Unternehmen in der Gemeinschaft profitablen Wettbewerbs andererseits gehörte in der Tat zu den Anliegen des Gesetzgebers(46).
39. Darüber hinaus ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien zur Verordnung Nr. 6/2002, dass ihr Art. 8 Abs. 1 den weiteren Zweck hat, eine Trennlinie zwischen den Patent- und den Geschmacksmustervorschriften zu ziehen(47). Der Schutz technischer Innovationen hat nämlich gegebenenfalls durch die erstgenannten Vorschriften zu erfolgen(48), soweit die Voraussetzungen für die Patentierbarkeit erfüllt sind. Wie CeramTec betont, kann es sich in bestimmten Fällen als schwieriger erweisen, ein Patent zu erhalten, da dieses Eigentumsrecht den Nachweis einer strenge Anforderungen erfüllenden Erfindung erfordert(49), und als weniger vorteilhaft, da die Schutzdauer geringer sein kann als im Fall eines Geschmacksmusters(50). Es galt daher, der Gefahr einer Umgehung der Patentvorschriften vorzubeugen, indem ausgeschlossen wurde, dass Lösungen technischer Art als Geschmacksmuster geschützt werden können.
40. Die Entscheidung für ein Kriterium, das – wie dasjenige der Formenvielfalt – den Anwendungsbereich des Ausschlusses nach Art. 8 Abs. 1 stark einschränkt(51), könnte diese Vorschrift meines Erachtens um ihre volle praktische Wirksamkeit bringen und damit die Erreichung der oben genannten Ziele verhindern, indem die Aneignung von Formen mit rein technischer Bestimmung, zu denen es aber Varianten gibt, zugelassen wird(52).
41. Wie CeramTec und die Regierung des Vereinigten Königreichs denke ich nämlich, dass es so gut wie immer möglich ist, das Erscheinungsbild der Merkmale eines Erzeugnisses geringfügig, aber ausreichend(53) zu modifizieren, ohne seine angestrebte technische Funktion zu beeinträchtigen. Es könnte also dazu kommen, dass mehrere oder sogar alle denkbaren Formen einer technischen Lösung im Wege des Geschmacksmusterschutzes monopolisiert werden, was die technologische Innovation behindern würde, die die Verordnung Nr. 6/2002 fördern soll. Würde das von DOCERAM verfochtene Kriterium anerkannt, hätte ein einziger Wirtschaftsteilnehmer die Möglichkeit, mehrere Eintragungen als Geschmacksmuster für verschiedene Formen eines Erzeugnisses zu erhalten und somit von einem ausschließlichen Schutz zu profitieren, der in der Praxis einem Patentschutz gleichkäme, ohne aber den damit verbundenen Einschränkungen zu unterliegen, die somit umgangen werden könnten.
42. In dieser Hinsicht trägt CeramTec vor, im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits habe DOCERAM, indem sie 17 Gestaltungsvarianten eines Schweißzentrierstifts in drei verschiedenen Grundanatomien habe schützen lassen, den übrigen Marktteilnehmern keine Nutzungsmöglichkeiten für alternative Gestaltungen dieser Erzeugnisse gelassen, da weitere technisch sinnvolle Gestaltungen im Bereich des Buckelschweißens, die gemäß Art. 6 Abs. 1 der genannten Verordnung einen anderen Gesamteindruck von dem Erzeugnis hervorrufen würden, nicht existierten.
43. Schließlich hebe ich hervor, dass die hier befürwortete Auslegung den Vorzug aufweist, mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Markenrecht kohärent zu sein(54). Anders als CeramTec offenbar annimmt, kann diese Rechtsprechung zwar meiner Ansicht nach angesichts der Unterschiede zwischen der unionsrechtlichen Regelung des Markenschutzes und der des Geschmacksmusterschutzes(55) nicht eins zu eins auf die vorliegende Rechtssache übertragen werden. Angesichts dessen, dass die erstgenannte Regelung Vorschriften enthält, die Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 entsprechen(56), auch wenn ihr Wortlaut nicht ganz identisch ist(57), und in Anbetracht der Verwandtschaft zwischen diesen beiden Kategorien von Vorschriften(58) halte ich es jedoch für möglich und auch sachgerecht, im Licht dieser Rechtsprechung zu erkennen und im vorliegenden Fall bei Bedarf analoge Erwägungen anzustellen.
44. In dieser Hinsicht sei darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof in Bezug auf den durch Marken gewährten Schutz ausgeführt hat, die oben genannten Vorschriften des Unionsrechts, die im Wesentlichen Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 entsprechen, sollten verhindern, dass dieser Schutz seinem Inhaber ein Monopol für technische Lösungen oder Gebrauchseigenschaften einer Ware einräume, die der Benutzer auch bei den Waren der Mitbewerber suchen könne(59). Wie ich oben dargelegt habe(60), scheint mir dies auch der Grund dafür zu sein, dass der Schutz durch das Recht der Gemeinschaftsgeschmacksmuster unter den in Art. 8 Abs. 1 genannten Umständen ausgeschlossen ist.
45. Aus verschiedenen Urteilen des Gerichtshofs im Bereich des Markenrechts ergibt sich, „dass ein Zeichen, das ausschließlich aus der Form der Ware besteht, aufgrund [der auszulegenden Vorschriften] nicht eintragungsfähig ist, wenn nachgewiesen wird, dass die wesentlichen funktionellen Merkmale dieser Form nur der technischen Wirkung zuzuschreiben sind“. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass „durch den Nachweis, dass es andere Formen gibt, mit denen sich die gleiche technische Wirkung erzielen lässt, nicht das [in diesen Vorschriften vorgesehene] Eintragungshindernis … ausgeräumt werden [kann]“, das der Eintragung der „Form der Ware, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist“ als Marke entgegensteht. Diese implizite, aber meines Erachtens eindeutige Ablehnung der Formenvielfaltstheorie hat er insbesondere mit der Feststellung begründet, dass das Eintragungshindernis nicht unter der Voraussetzung stehe, dass die fragliche Form die einzige sei, die die angestrebte technische Wirkung ermögliche, sowie mit dem Hinweis, dass zahlreiche alternative Formen für die Wettbewerber des Markeninhabers unbenutzbar zu werden drohten, wenn ein derartiges Kriterium für ausschlaggebend gehalten würde(61).
46. Diese Erwägungen halte ich auch in der vorliegenden Rechtssache für einschlägig, da auch in diesem Bereich nicht zugelassen werden darf, dass Gemeinschaftsgeschmacksmuster zweckentfremdet werden, um rein technischen Merkmalen eines Erzeugnisses Schutz zu gewähren(62).
47. Folglich ist meiner Meinung nach die erste Vorlagefrage zu bejahen und somit die Auffassung, dass dem sogenannten Kriterium der „Formenvielfalt“ zu folgen sei, zurückzuweisen. Genauer ausgedrückt, bin ich der Ansicht, dass Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 dahin auszulegen ist, dass für die Feststellung, ob die Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, nicht lediglich auf das Nichtbestehen alternativer Formen, die dieselbe Funktion erfüllen könnten, abzustellen ist, sondern zu klären ist, ob das Streben nach einer bestimmten technischen Funktion der einzige Faktor ist, der für die Wahl des betreffenden Geschmacksmusters den Ausschlag gegeben hat, und sein Entwerfer somit in dieser Hinsicht keinerlei kreative Rolle gespielt hat.
48. In Anknüpfung an diese vorgeschlagene Auslegung formuliert das vorlegende Gericht weitere Fragestellungen betreffend die konkrete Umsetzung der Regelung in Art. 8 Abs. 1; diese sind Gegenstand der zweiten Vorlagefrage.
B. Zu den Beurteilungskriterien, die für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 maßgeblich sind (zweite Frage)
49. Die zweite Vorlagefrage wird hilfsweise gestellt, nämlich für den Fall, dass der Gerichtshof, wie ich es empfehle, auf die erste Frage antworten sollte, dass für die Anwendung des Ausschlusses nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 zu prüfen ist, ob die Erscheinungsmerkmale des fraglichen Erzeugnisses ausschließlich auf die angestrebte technische Funktion zurückzuführen sind, und nicht das Nichtbestehen alternativer Designs, die diese Funktion ebenfalls erfüllen könnten, festzustellen ist.
50. Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht erstens wissen, von welchem Standpunkt aus zu beurteilen ist, ob die einzelnen Gestaltungsmerkmale eines Erzeugnisses allein aus Erwägungen der technischen Funktionalität gewählt worden sind, und zweitens, für den Fall, dass der Standpunkt eines „objektiven Beobachters“ einzunehmen sein sollte, wie dieser Begriff zu definieren ist.
51. Das vorlegende Gericht legt dar, in dem vor ihm angefochtenen Urteil habe das Landgericht Düsseldorf angenommen, diese Beurteilung sei objektiv vorzunehmen und auf den persönlichen Willen des Entwerfers des betreffenden Geschmacksmusters komme es nicht an, außer eventuell als Indiz dafür, ob ein objektiver Beobachter bei vernünftiger Betrachtungsweise zu dem Ergebnis komme, dass allein funktionale Erwägungen für die Designentscheidung ausschlaggebend gewesen seien(63). Nach Auffassung der Kritiker dieses Ansatzes sei es allerdings schwierig, die Sicht eines solchen „objektiven Betrachters“, d. h. einer weiteren, nur theoretisch existierenden Person, im Einzelfall zu beurteilen.
52. In Bezug auf die Frage des objektiven oder subjektiven Charakters der Prüfung, die für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 vorzunehmen ist, sind sich die Parteien des Ausgangsverfahrens und die Beteiligten, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, einig, dass die subjektive Intention des Entwerfers, die er beim Entwurf des fraglichen Geschmacksmusters hatte, nicht der entscheidende Faktor sein kann, anhand dessen geklärt werden kann, ob dieses Geschmacksmuster aufgrund rein technischer Erwägungen gewählt wurde. Auch ich bin dieser Auffassung.
53. Ein objektiver Prüfungsansatz fördert nämlich die einheitliche Anwendung dieser Vorschrift in den Mitgliedstaaten insgesamt sowie in deren jeweiliger Rechtsprechung und gewährleistet mehr Vorhersehbarkeit, was die Rechtssicherheit für die Wirtschaftsteilnehmer verstärkt. Wie DOCERAM und CeramTec im Wesentlichen vortragen, wäre in dem Fall, dass die mutmaßliche Intention des Entwerfers das einzig maßgebliche Kriterium wäre, seine Aussage allein entscheidend, um zu beurteilen, ob das betreffende Geschmacksmuster geschützt werden kann, und im Fall eines Rechtsstreits könnte er versucht sein, zu behaupten, er habe das Design aus ästhetischen Gründen gewählt, um zu verhindern, dass der Ausschluss nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 zum Nachteil seines Entwurfs greift. Ich halte es für essenziell, dass die zuständigen Behörden auf der Grundlage von Beurteilungskriterien entscheiden können, die nicht subjektiv, sondern neutral sind und keine Gefahr der Parteilichkeit bergen.
54. In Bezug auf die zu befolgenden Modalitäten der objektiven Beurteilung der Frage, ob das Erscheinungsbild eines Erzeugnisses im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt ist, stimmen die vor dem Gerichtshof vertretenen Standpunkte hingegen nicht überein.
55. Nach meinem Verständnis wird mit der Frage, ob der Standpunkt eines „objektiven Beobachters“ maßgeblich ist, wie es das vorlegende Gericht formuliert hat, die erste Problematik aufgeworfen, ob auf eine fiktive Person abzustellen ist, deren mutmaßliche Einschätzung als Maßstab dienen würde.
56. In dieser Hinsicht weist CeramTec zunächst darauf hin, dass der Ausdruck „objektiver Beobachter“, der sowohl in dem vor dem vorlegenden Gericht angefochtenen Urteil als auch in der zweiten Vorlagefrage verwendet werde, an ähnliche Formulierungen angelehnt sei, die – mit Abwandlungen – in der Entscheidungspraxis des EUIPO(64) und in der Literatur(65) verwendet worden seien.
57. CeramTec trägt weiter vor, für die Prüfung der Anwendbarkeit von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 sei der Begriff „informierter Benutzer“ analog heranzuziehen, der in Art. 6 Abs. 1, in Art. 10 Abs. 1 sowie im 14. Erwägungsgrund dieser Verordnung verwendet werde(66), und zwar so, wie er in der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts definiert werde(67). Soweit die Prüfung, wie im vorliegenden Fall, in der besonderen Situation vorzunehmen sei, dass alle Benutzer der betreffenden Erzeugnisse sachkundig seien, entspreche der „informierte Benutzer“ in der Praxis dem über technische Sachkunde verfügenden „Fachmann“, also dem Begriff, der bei der Beurteilung des erfinderischen Charakters eines Patents angewandt werde.
58. Ich halte es nicht für angezeigt, diesem Vorbringen zu folgen. Entgegen der Darstellung von CeramTec ist der Maßstab für die Beurteilung des Vorliegens von Tatbestandsmerkmalen im Rahmen der Verordnung Nr. 6/2002 nicht „stets der ‚informierte Benutzer‘“. Insbesondere ist bereits entschieden worden, dass dieser Benutzer nicht unbedingt in der Lage ist, über die durch die Benutzung des betreffenden Produkts erworbenen Erfahrungen hinaus die durch die technische Funktion gebotenen äußeren Aspekte des Produkts von dessen gewillkürten Aspekten zu unterscheiden(68). Tatsächlich setzt die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 eine Beurteilung technischer Art voraus, was spezifische Kompetenzen erfordert, über die selbst ein „informierter“ Benutzer nicht immer verfügt. Der Standpunkt des „informierten Benutzers“ kann daher meines Erachtens nicht das Kriterium für die insoweit erforderliche objektive Beurteilung darstellen.
59. Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission gehe ich davon aus, dass die Urheber der Verordnung Nr. 6/2002, wenn sie ein neues Rechtsinstrument wie den „objektiven Beobachter“ hätten schaffen wollen, wie es die zweite Vorlagefrage andeutet, dies in Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung deutlich gemacht hätten, so wie sie es in Bezug auf den „informierten Benutzer“ in Art. 6 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 ausdrücklich getan haben(69). Im Übrigen sei angemerkt, dass dieser Art. 8 ebenso wenig auf die Wahrnehmung anderer Kategorien von fiktiven Personen Bezug nimmt, wie etwa den „durchschnittlichen potenziellen Abnehmer“, den DOCERAM anspricht, aber ablehnt(70), oder den „Durchschnittsverbraucher“, zu dem die Kommission anmerkt, dass er im Markenrecht als ein Beurteilungsfaktor erachtet worden sei, der für sich genommen nicht entscheidend sei, um den rein technischen Charakter einer Form zu bewerten(71).
60. Das Vereinigte Königreich betont – meines Erachtens zu Recht –, dass Art. 6 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 für die Beurteilung des „Grad[es] der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters“ nicht auf den theoretischen Begriff „informierter Benutzer“ Bezug nähmen(72) und im Rahmen von Art. 8 Abs. 1 demselben – nicht fiktiven – Ansatz zu folgen sei, da das mit dem Rechtsstreit befasste Gericht auch insoweit objektiv zu beurteilen habe, was zur technischen Funktion des Produkts, also zum nicht schutzfähigen Aspekt, gehöre, und wo die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers, dessen kreatives Werk schutzfähig sei, gewirkt habe(73). Eine solche kasuistische Beurteilung wird bereits von nationalen Gerichten(74) und von den Mitgliedern des EUIPO (vormals HABM)(75) vorgenommen, ohne dass größere Schwierigkeiten ersichtlich wären.
61. Würde das Kriterium des „objektiven Beobachters“ anerkannt, würde dies im Übrigen eine ganze Reihe zusätzlicher Schwierigkeiten aufwerfen, zum einen hinsichtlich der Definition dieser künstlich geschaffenen Kategorie, zum anderen hinsichtlich der Art und Weise, in der sie anzuwenden ist, und sei es nur die Frage, welche Art und welches Niveau von Kenntnissen eine solche Person besitzen muss.
62. Die zweite Problematik, die dem Gerichtshof unterbreitet wird, besteht in der Frage, auf welche Aspekte sich die Prüfung beziehen muss, die das Gericht, das mit einer auf Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 gestützten Anfechtung befasst wird, meiner Ansicht nach in sowohl objektiver als auch kasuistischer Weise vorzunehmen hat.
63. Ich teile die Auffassung, die in den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen mehrheitlich vertreten wird, nämlich dass das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht objektiv und unter Würdigung aller konkreten Umstände jedes Einzelfalls zu prüfen habe, ob die einzelnen Erscheinungsmerkmale eines Produkts allein aus Erwägungen der Funktionalität gewählt worden seien.
64. Nach Ansicht der Kommission sollte das Gericht insoweit Beurteilungskriterien berücksichtigen, die der Gerichtshof im Markenrecht als solche anerkannt habe, die auf einen nicht rein technischen Wert der Form schließen ließen, wie „die … Wahrnehmung … durch den Durchschnittsverbraucher[(76)] …, die Art der in Rede stehenden Warenkategorie, de[n] künstlerische[n] Wert der fraglichen Form, ihre Andersartigkeit im Vergleich zu anderen auf dem jeweiligen Markt allgemein genutzten Formen, ein[en] bedeutende[n] Preisunterschied gegenüber ähnlichen Produkten oder die Ausarbeitung einer Vermarktungsstrategie, die hauptsächlich die ästhetischen Eigenschaften der jeweiligen Ware herausstreicht“(77). Ferner sollte das angerufene Gericht berücksichtigen, ob es alternative Formen gebe, die die betreffende technische Funktion ebenfalls erfüllten, denn die Existenz solcher Alternativen zeige grundsätzlich, dass der Entwerfer bei der Entwicklung der Erscheinungsmerkmale des Erzeugnisses gestalterische Freiheit besessen habe und nicht allein funktionelle Zwänge die Erscheinungsform determiniert hätten.
65. Im selben Sinne stellt DOCERAM eine nicht abschließende Liste von Kriterien auf, die maßgeblich sein könnten, und zwar „die Umstände des Gestaltungsprozesses, die Bewerbung, die Benutzung usw.“. CeramTec trägt ihrerseits vor, der Standpunkt des „informierten Benutzers“, den sie – meines Erachtens zu Unrecht(78) – als Maßstab für die objektive Beurteilung vorschlägt, sollte „unter umfassender Abwägung aller relevanten Umstände des Einzelfalls“(79) und unter Berücksichtigung insbesondere „der spezifischen Zielsetzung des Herstellers im Zeitpunkt der Gestaltung, einer Bewerbung des Produkts unter Hervorhebung des Designs, möglicher Auszeichnungen oder spezifischer Bekanntheit des Designs in den maßgeblichen Verkehrskreisen“ sowie „de[s] Wille[ns] des Entwerfers im Zeitpunkt der Gestaltung des Produkts“ bestimmt werden(80).
66. Insoweit stelle ich klar, dass die in Rede stehende Beurteilung meiner Meinung nach von dem mit dem Rechtsstreit befassten Gericht nicht nur mit Blick auf das betreffende Geschmacksmuster selbst vorzunehmen ist, sondern auch mit Blick auf alle Umstände, die mit der Wahl der Erscheinungsmerkmale des Geschmacksmusters zusammenhängen, und zwar unter Würdigung der von den Parteien vorgelegten Beweise, was auch immer sie zum Gegenstand haben und wie sie beschaffen sein mögen(81), sowie unter Berücksichtigung etwaiger Ermittlungsmaßnahmen, die dieses Gericht angeordnet hat.
67. Nach meinem Dafürhalten ist nicht auszuschließen, dass Kriterien, die meiner Meinung nach für sich genommen nicht für den Nachweis geeignet sind, dass die Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind – wie die subjektive Intention des Entwerfers oder das Bestehen alternativer Formen(82) –, dennoch in das Bündel konkreter Indizien aufgenommen werden können, die die angerufenen Gerichte zu berücksichtigen haben, um sich ihre eigene Meinung über die Anwendung dieser Vorschrift zu bilden.
68. Aus meiner Sicht muss keine – nicht einmal eine nicht abschließende – Liste der insoweit maßgeblichen Kriterien aufgestellt werden, angesichts dessen, dass der Unionsgesetzgeber nicht beabsichtigt hat, diese Vorgehensweise zu wählen, und der Gerichtshof sie für die ebenfalls tatsachenbasierte Beurteilung, die hinsichtlich der Anwendung der Art. 4 bis 6 dieser Verordnung vorzunehmen ist, offenbar nicht für zweckmäßig erachtet hat.
69. Wie die hellenische Regierung halte ich es hingegen für sinnvoll, nachdrücklich zu betonen, dass das angerufene Gericht die erforderliche Beurteilung nötigenfalls unter Hinzuziehung eines von ihm bestellten unabhängigen Sachverständigen vornehmen kann. Schließlich verfügen nationale Richter nicht unbedingt über die hierfür notwendigen, manchmal hochtechnischen Qualifikationen, und es ist üblich, dass sie gutachterliche Maßnahmen anordnen, wenn sie mit derartigen komplexen Fragestellungen konfrontiert sind.
70. Folglich ist meines Erachtens auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass, um im Hinblick auf die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 zu beurteilen, ob die einzelnen Gestaltungsmerkmale eines Erzeugnisses allein durch Erwägungen der technischen Funktionalität bedingt sind, das angerufene Gericht eine objektive Prüfung vorzunehmen hat, bei der es nicht den – theoretischen – Standpunkt eines „objektiven Beobachters“ einnimmt, sondern – konkret – alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls würdigt.
V. Ergebnis
71. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:
1. Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist dahin auszulegen, dass der durch diese Verordnung gewährte Schutz ausgeschlossen ist, wenn die Erscheinungsmerkmale des fraglichen Erzeugnisses nur mit dem Ziel, dass dieses Erzeugnis eine bestimmte technische Funktion erfüllen kann, gewählt wurden, also ohne jeden kreativen Beitrag seines Entwerfers; der Umstand, dass es möglicherweise andere Formen gibt, mit denen sich dieselbe technische Wirkung erzielen ließe, ist insoweit für sich genommen nicht ausschlaggebend.
2. Über die Frage, ob die Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses im Sinne dieses Art. 8 Abs. 1 aufgrund von Erwägungen, die ausschließlich mit der technischen Funktion des Erzeugnisses zusammenhängen, gewählt wurden, hat das angerufene Gericht objektiv zu befinden, indem es eine eigenständige Würdigung vornimmt, die alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt.