Language of document : ECLI:EU:C:2010:544

STELLUNGNAHME DES GENERALANWALTS

NIILO JÄÄSKINEN

vom 22. September 20101(1)

Rechtssache C‑400/10 PPU

J. McB.

gegen

L. E.

(Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court [Irland])

„Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen – Ehesachen und Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung – Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 – Kinder unverheirateter Eltern – Sorgerecht des Vaters – Obliegenheit, eine Entscheidung des zuständigen Gerichts über die Zuerkennung des Sorgerechts für die Kinder zu erwirken – Eilvorlageverfahren“





I –    Einleitung

1.        In dem vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren wird der Gerichtshof ersucht, sich zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000(2), die auch als Brüssel-IIa-Verordnung bezeichnet wird, zu äußern.

2.        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens über ein Rechtsmittel, das Herr McB., Vater dreier Kinder(3), beim Supreme Court (Irland) gegen eine Entscheidung des High Court (Irland) vom 28. April 2010 eingelegt hat, weil dieses Gericht seinen Antrag auf eine Entscheidung oder sonstige Bescheinigung dahin gehend, dass das Verbringen der Kinder ins Vereinigte Königreich im Juli 2009 durch Frau E., ihre Mutter, widerrechtlich im Sinne von Art. 2 Nr. 11 der Verordnung Nr. 2201/2003 war und er zur Zeit dieses Verbringens ein Sorgerecht innehatte, abgewiesen hat. Herr McB. ist nicht mit Frau E. verheiratet und war dies zu keiner Zeit. Es gibt keine gerichtliche Entscheidung, mit der ihm das Sorgerecht im Sinne der Verordnung Nr. 2201/2003 für ihre gemeinsamen Kinder zuerkannt würde.

3.        Die irischen Gerichte sind mit dieser Frage befasst, weil das englische Gericht, an das sich der Vater gewandt hat, um die Rückgabe der Kinder zu erwirken (der High Court of Justice [England & Wales], Family Division [Vereinigtes Königreich]), ihn nach Art. 15 des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung(4) aufgefordert hat, eine Entscheidung der Behörden des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder, Irland, vorzulegen, aus der hervorgeht, dass das Verbringen widerrechtlich war.

4.        Im irischen Recht verfügt der leibliche Kindesvater nicht kraft Gesetzes über ein Sorgerecht, kann es aber durch eine gerichtliche Entscheidung erlangen. Der Umstand, dass unverheiratete Eltern zusammengelebt haben und sich der Vater, wie es hier der Fall war, aktiv an der Erziehung des Kindes beteiligt hat, gibt ihm kein solches Recht. Mit der Vorlagefrage soll geklärt werden, ob die – gegebenenfalls im Einklang mit Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(5) ausgelegte – Verordnung Nr. 2201/2003 dem entgegensteht, dass das irische Recht das Sorgerecht des leiblichen Vaters von einer solchen Entscheidung abhängig macht.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten

5.        Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(6) (im Folgenden: EMRK) sieht vor:

„Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1)      Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

(2)      Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“

B –    Das Haager Übereinkommen von 1980

6.        Art. 1 des Haager Übereinkommens von 1980 sieht vor:

„Ziel dieses Übereinkommens ist es,

a)      die sofortige Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder sicherzustellen und

b)      zu gewährleisten, dass das in einem Vertragsstaat bestehende Sorgerecht und Recht zum persönlichen Umgang in den anderen Vertragsstaaten tatsächlich beachtet wird.“

7.        Art. 3 des Haager Übereinkommens von 1980 bestimmt:

„Das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gilt als widerrechtlich, wenn

a)      dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und

b)      dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.

Das unter Buchstabe a genannte Sorgerecht kann insbesondere kraft Gesetzes, aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung oder aufgrund einer nach dem Recht des betreffenden Staates wirksamen Vereinbarung bestehen.“

8.        Art. 4 des Haager Übereinkommens von 1980 lautet:

„Das Übereinkommen wird auf jedes Kind angewendet, das unmittelbar vor einer Verletzung des Sorgerechts oder des Rechts zum persönlichen Umgang seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hatte. Das Übereinkommen wird nicht mehr angewendet, sobald das Kind das 16. Lebensjahr vollendet hat.“

9.        Art. 5 des Haager Übereinkommens von 1980 bestimmt:

„Im Sinn dieses Übereinkommens umfasst

a)      das ‚Sorgerecht‘ die Sorge für die Person des Kindes und insbesondere das Recht, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen;

b)      das ‚Recht zum persönlichen Umgang‘ das Recht, das Kind für eine begrenzte Zeit an einen anderen Ort als seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort zu bringen.“

10.      Kapitel III des Haager Übereinkommens von 1980 hat die Rückgabe von Kindern zum Gegenstand, und in diesem Kapitel sieht Art. 8 Abs. 1 vor:

„Macht eine Person, Behörde oder sonstige Stelle geltend, ein Kind sei unter Verletzung des Sorgerechts verbracht oder zurückgehalten worden, so kann sie sich entweder an die für den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes zuständige zentrale Behörde oder an die zentrale Behörde eines anderen Vertragsstaats wenden, um mit deren Unterstützung die Rückgabe des Kindes sicherzustellen.“

11.      Art. 15 des Haager Übereinkommens von 1980 sieht vor:

„Bevor die Gerichte oder Verwaltungsbehörden eines Vertragsstaats die Rückgabe des Kindes anordnen, können sie vom Antragsteller die Vorlage einer Entscheidung oder sonstigen Bescheinigung der Behörden des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes verlangen, aus der hervorgeht, dass das Verbringen oder Zurückhalten widerrechtlich im Sinn des Artikels 3 war, sofern in dem betreffenden Staat eine derartige Entscheidung oder Bescheinigung erwirkt werden kann. Die zentralen Behörden der Vertragsstaaten haben den Antragsteller beim Erwirken einer derartigen Entscheidung oder Bescheinigung so weit wie möglich zu unterstützen.“

C –    Die Verträge

12.      Art. 6 EUV sieht vor:

„(1)      Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 in der am 12. Dezember 2007 in Straßburg angepassten Fassung niedergelegt sind; die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig.

Durch die Bestimmungen der Charta werden die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union in keiner Weise erweitert.

Die in der Charta niedergelegten Rechte, Freiheiten und Grundsätze werden gemäß den allgemeinen Bestimmungen des Titels VII der Charta, der ihre Auslegung und Anwendung regelt, und unter gebührender Berücksichtigung der in der Charta angeführten Erläuterungen, in denen die Quellen dieser Bestimmungen angegeben sind, ausgelegt.

(3)      Die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts.“

13.      Art. 4 AEUV lautet:

„(1)      Die Union teilt ihre Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten, wenn ihr die Verträge außerhalb der in den Artikeln 3 und 6 genannten Bereiche eine Zuständigkeit übertragen.

(2)      Die von der Union mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit erstreckt sich auf die folgenden Hauptbereiche:

j)      Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“.

14.      Art. 81 AEUV sieht vor:

„(1)      Die Union entwickelt eine justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen beruht. Diese Zusammenarbeit kann den Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten umfassen.

(2)      Für die Zwecke des Absatzes 1 erlassen das Europäische Parlament und der Rat, insbesondere wenn dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen, die Folgendes sicherstellen sollen:

a)      die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten;

c)      die Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten;

e)      einen effektiven Zugang zum Recht“.

15.      Das Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Polen und das Vereinigte Königreich bestimmt in Art. 1:

„(1)      Die Charta bewirkt keine Ausweitung der Befugnis des Gerichtshofs der Europäischen Union oder eines Gerichts Polens oder des Vereinigten Königreichs zu der Feststellung, dass die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die Verwaltungspraxis oder -maßnahmen Polens oder des Vereinigten Königreichs nicht mit den durch die Charta bekräftigten Grundrechten, Freiheiten und Grundsätzen im Einklang stehen.

(2)      Insbesondere – und um jeden Zweifel auszuräumen – werden mit Titel IV der Charta keine für Polen oder das Vereinigte Königreich geltenden einklagbaren Rechte geschaffen, soweit Polen bzw. das Vereinigte Königreich solche Rechte nicht in seinem nationalen Recht vorgesehen hat.“

D –    Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union

16.      Art. 7 der Charta sieht vor:

„Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.“

17.      Art. 24 Abs. 3 der Charta bestimmt:

„Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen.“

18.      Titel VII der Charta enthält allgemeine Bestimmungen über die Auslegung und Anwendung der Charta. Art. 51 („Anwendungsbereich“) sieht vor:

„(1)      Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden.

(2)      Diese Charta dehnt den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben.“

E –    Die Verordnung Nr. 2201/2003

19.      Der fünfte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003 lautet:

„Um die Gleichbehandlung aller Kinder sicherzustellen, gilt diese Verordnung für alle Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, einschließlich der Maßnahmen zum Schutz des Kindes, ohne Rücksicht darauf, ob eine Verbindung zu einem Verfahren in Ehesachen besteht.“

20.      Im 17. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003 heißt es:

„Bei widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes sollte dessen Rückgabe unverzüglich erwirkt werden; zu diesem Zweck sollte das Haager Übereinkommen vom 2[5]. Oktober 1980, das durch die Bestimmungen dieser Verordnung und insbesondere des Artikels 11 ergänzt wird, weiterhin Anwendung finden. Die Gerichte des Mitgliedstaats, in den das Kind widerrechtlich verbracht wurde oder in dem es widerrechtlich zurückgehalten wird, sollten dessen Rückgabe in besonderen, ordnungsgemäß begründeten Fällen ablehnen können. Jedoch sollte eine solche Entscheidung durch eine spätere Entscheidung des Gerichts des Mitgliedstaats ersetzt werden können, in dem das Kind vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Sollte in dieser Entscheidung die Rückgabe des Kindes angeordnet werden, so sollte die Rückgabe erfolgen, ohne dass es in dem Mitgliedstaat, in den das Kind widerrechtlich verbracht wurde, eines besonderen Verfahrens zur Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidung bedarf.“

21.      Aus dem 30. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003 geht hervor, dass Irland und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland mitgeteilt haben, dass sie sich an der Annahme und Anwendung dieser Verordnung beteiligen möchten.

22.      Der 33. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003 lautet:

„Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. Sie zielt insbesondere darauf ab, die Wahrung der Grundrechte des Kindes im Sinne des Artikels 24 der Grundrechtscharta der Europäischen Union zu gewährleisten“.

23.      Art. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmt:

„(1)      Diese Verordnung gilt, ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, für Zivilsachen mit folgendem Gegenstand:

b)      die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung.

(2)      Die in Absatz 1 Buchstabe b) genannten Zivilsachen betreffen insbesondere:

a)      das Sorgerecht und das Umgangsrecht,

…“

24.      Art. 2 Nrn. 7, 9 und 11 der Verordnung Nr. 2201/2003 enthält folgende Definitionen:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

7.      ‚elterliche Verantwortung‘ die gesamten Rechte und Pflichten, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden. Elterliche Verantwortung umfasst insbesondere das Sorge- und das Umgangsrecht;

9.      ‚Sorgerecht‘ die Rechte und Pflichten, die mit der Sorge für die Person eines Kindes verbunden sind, insbesondere das Recht auf die Bestimmung des Aufenthaltsortes des Kindes;

11.      ‚widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes‘ das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes, wenn

a)      dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das aufgrund einer Entscheidung oder kraft Gesetzes oder aufgrund einer rechtlich verbindlichen Vereinbarung nach dem Recht des Mitgliedstaats besteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte,

und

b)      das Sorgerecht zum Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, wenn das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte. Von einer gemeinsamen Ausübung des Sorgerechts ist auszugehen, wenn einer der Träger der elterlichen Verantwortung aufgrund einer Entscheidung oder kraft Gesetzes nicht ohne die Zustimmung des anderen Trägers der elterlichen Verantwortung über den Aufenthaltsort des Kindes bestimmen kann.“

25.      Art. 10 („Zuständigkeit in Fällen von Kindesentführung“) der Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmt:

„Bei widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes bleiben die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, so lange zuständig, bis das Kind einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat erlangt hat und

a)      jede sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt hat

oder

b)      das Kind sich in diesem anderen Mitgliedstaat mindestens ein Jahr aufgehalten hat, nachdem die sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle seinen Aufenthaltsort kannte oder hätte kennen müssen und sich das Kind in seiner neuen Umgebung eingelebt hat, sofern eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist:

i)      Innerhalb eines Jahres, nachdem der Sorgeberechtigte den Aufenthaltsort des Kindes kannte oder hätte kennen müssen, wurde kein Antrag auf Rückgabe des Kindes bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats gestellt, in den das Kind verbracht wurde oder in dem es zurückgehalten wird;

ii)      ein von dem Sorgeberechtigten gestellter Antrag auf Rückgabe wurde zurückgezogen, und innerhalb der in Ziffer i) genannten Frist wurde kein neuer Antrag gestellt;

iii)  ein Verfahren vor dem Gericht des Mitgliedstaats, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, wurde gemäß Artikel 11 Absatz 7 abgeschlossen;

iv)      von den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, wurde eine Sorgerechtsentscheidung erlassen, in der die Rückgabe des Kindes nicht angeordnet wird.“

26.      Art. 11 („Rückgabe des Kindes“) der Verordnung Nr. 2201/2003 sieht vor:

„(1)      Beantragt eine sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats eine Entscheidung auf der Grundlage des Haager Übereinkommens [von] 1980 …, um die Rückgabe eines Kindes zu erwirken, das widerrechtlich in einen anderen als den Mitgliedstaat verbracht wurde oder dort zurückgehalten wird, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, so gelten die Absätze 2 bis 8.

(3)      Das Gericht, bei dem die Rückgabe eines Kindes nach Absatz 1 beantragt wird, befasst sich mit gebotener Eile mit dem Antrag und bedient sich dabei der zügigsten Verfahren des nationalen Rechts.

Unbeschadet des Unterabsatzes 1 erlässt das Gericht seine Anordnung spätestens sechs Wochen nach seiner Befassung mit dem Antrag, es sei denn, dass dies aufgrund außergewöhnlicher Umstände nicht möglich ist.

…“

27.      Die Art. 60 und 62 der Verordnung Nr. 2201/2003 sehen vor:

„Artikel 60

Verhältnis zu bestimmten multilateralen Übereinkommen

Im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten hat diese Verordnung vor den nachstehenden Übereinkommen insoweit Vorrang, als diese Bereiche betreffen, die in dieser Verordnung geregelt sind:

e)      Haager Übereinkommen [von] 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung.

Artikel 62

Fortbestand der Wirksamkeit

(1)      Die in Artikel 59 Absatz 1 und den Artikeln 60 und 61 genannten Übereinkünfte behalten ihre Wirksamkeit für die Rechtsgebiete, die durch diese Verordnung nicht geregelt werden.

(2)      Die in Artikel 60 genannten Übereinkommen, insbesondere das Haager Übereinkommen von 1980, behalten vorbehaltlich des Artikels 60 ihre Wirksamkeit zwischen den ihnen angehörenden Mitgliedstaaten.“

F –    Nationales Recht

28.      Nach Section 6A des Gesetzes von 1964 über Kindesvormundschaft(7) kann das Gericht in Fällen, in denen „der Vater und die Mutter nicht miteinander verheiratet sind, … auf Antrag des Vaters diesen durch gerichtliche Anordnung zum Vormund des Kindes bestellen“. Außerdem bestimmt Section 11(4) des Gesetzes von 1964(8):

„Bei einem Kind, dessen Vater und Mutter nicht miteinander verheiratet sind, gilt das Recht, nach dieser Section einen Antrag in Bezug auf das Sorgerecht für das Kind und das Recht seines Vaters oder seiner Mutter zum persönlichen Umgang mit ihm zu stellen, auch für den Vater, der nicht Vormund des Kindes ist, und zu diesem Zweck sind die Bezugnahmen in dieser Section auf den Vater oder den Elternteil eines Kindes dahin auszulegen, dass er miterfasst wird.“

29.      Das Gesetz von 1991 über Kindesentführung und die Vollstreckung von Entscheidungen betreffend das Sorgerecht(9) (im Folgenden: Gesetz von 1991) sieht in Section 15(1) vor, dass ein zuständiges Gericht feststellen kann, dass das Verbringen von Kindern ins Ausland im Fall des Verbringens in einen Mitgliedstaat oder des Zurückhaltens in einem Mitgliedstaat ein widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten im Sinne von Art. 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 darstellt oder widerrechtlich im Sinne von Art. 3 des Haager Übereinkommens von 1980 ist.

III – Sachverhalt und Vorlagefrage

30.      Die Mutter der Kinder, deren Sorge Gegenstand des Rechtsstreits ist, ist britische Staatsangehörige. Der Vater ist irischer Staatsangehöriger. Sie waren nie miteinander verheiratet, haben aber zusammen in England, in Australien, in Nordirland und, ab November 2008, in Irland gelebt. Die wesentlichen Umstände des tatsächlichen und verfahrensmäßigen Rahmens des Rechtsstreits lassen sich in einer Übersichtstabelle zusammenfassen.

Datum

Irland

Vereinigtes Königreich

2000

 

Geburt eines ersten Kindes (England)

2002

 

Geburt eines zweiten Kindes (England)

2007

 

Geburt eines dritten Kindes (Nordirland) 

November 2008

Die Parteien lassen sich in Irland nieder.

 

11. Juli 2009

Die Mutter geht mit den Kindern in ein Frauenhaus.

 

25. Juli 2009

 

Die Mutter nimmt die Kinder ins Vereinigte Königreich mit.

2. November 2009

 

Der Vater reicht beim High Court of Justice (England & Wales), Family Division, einen verfahrenseinleitenden Antrag ein, mit dem er die Anordnung der Rückgabe der Kinder nach Irland gemäß den Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs zur Durchführung des Haager Übereinkommens von 1980 und der Verordnung Nr. 2201/2003 begehrt.

20. November 2009

 

Das englische Gericht fordert den Vater gemäß Art. 15 des Haager Übereinkommens von 1980 auf, beim High Court (Irland) eine Entscheidung oder sonstige Bescheinigung zu erwirken, aus der hervorgeht, dass das Verbringen der Kinder ins Ausland widerrechtlich im Sinne von Art. 3 des Übereinkommens war.

22. Dezember 2009

Der Vater leitet beim High Court (Irland) ein Verfahren mit dem Begehren ein, dass gemäß den irischen Rechtsvorschriften zur Durchführung des Haager Übereinkommens von 1980 und dessen Art. 15 erklärt wird, dass das Verbringen der Kinder ins Ausland im Juli 2009 widerrechtlich im Sinne von Art. 3 des Übereinkommens und Art. 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 war.

Mit derselben Klage beantragt der Vater beim High Court, ihm die Vormundschaft und die Sorge für die Kinder zu übertragen. Über diese beiden Fragen haben die irischen Gerichte noch nicht entschieden.

 

28. April 2010

Der High Court (Irland) entscheidet, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens zur Zeit des Verbringens der Kinder ins Ausland kein Sorgerecht für sie hatte und dass dieses Verbringen somit nicht widerrechtlich im Sinne des Übereinkommens oder der Verordnung war.

 
 

Der Vater legt gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel beim Supreme Court ein.

 

30. Juli 2010

Der Supreme Court legt ein Vorabentscheidungsersuchen vor.

 


31.      In seiner Vorlageentscheidung legt der Supreme Court dar, dass der Vater am 25. Juli 2009 kein Sorgerecht für seine Kinder im Sinne der Bestimmungen des Haager Übereinkommens von 1980 hatte. Er weist allerdings darauf hin, dass der Begriff „Sorgerecht“ im Hinblick auf Anträge auf Rückgabe von Kindern von einem Mitgliedstaat in einen anderen auf der Grundlage dieses Übereinkommens nunmehr in Art. 2 Nr. 9 der Verordnung Nr. 2201/2003 definiert werde.

32.      Das vorlegende Gericht meint, dass weder die Bestimmungen der Verordnung Nr. 2201/2003 noch Art. 7 der Charta implizierten, dass der leibliche Vater eines Kindes, dem ein Sorgerecht für das Kind nicht durch eine gerichtliche Entscheidung zugesprochen worden sei, im Hinblick auf die Beurteilung der eventuellen Widerrechtlichkeit des Verbringens des Kindes zwingend als Inhaber eines solchen Rechts angesehen werden müsse. Es weist allerdings darauf hin, dass die Auslegung dieser Bestimmungen des Unionsrechts in die Zuständigkeit des Gerichtshofs falle.

33.      Der Supreme Court hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist es einem Mitgliedstaat nach der Verordnung Nr. 2201/2003, sei es bei einer Auslegung im Licht von Art. 7 der Charta oder in anderer Weise, untersagt, in seinem Recht vorzusehen, dass der Vater eines Kindes, der nicht mit der Mutter verheiratet ist, nur dann, wenn er die Anordnung eines zuständigen Gerichts erwirkt hat, mit der ihm das Sorgerecht übertragen wird, das „Sorgerecht“ besitzt, aufgrund dessen ein Verbringen dieses Kindes aus dem Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts widerrechtlich im Sinne von Art. 2 Nr. 11 dieser Verordnung wird?

IV – Stellungnahme

A –    Zur Zulässigkeit

34.      Die Europäische Kommission hat vorgetragen, die Vorlagefrage sei potenziell unzulässig. Auch die Bundesrepublik Deutschland hat geltend gemacht, dass der Gerichtshof für die Beantwortung der Vorlagefrage unzuständig sei. Nach Ansicht der deutschen Regierung geht es in Wirklichkeit um die Auslegung des Haager Übereinkommens von 1980 und nicht um die Auslegung der Verordnung Nr. 2201/2003. Die aufgeworfenen Probleme beträfen demnach das Zusammenspiel zwischen dem Übereinkommen und der Verordnung.

35.      Die Kommission bemerkt, dass die irischen Gerichte nach Section 15 des Gesetzes von 1991 mit einer gemäß Art. 15 des Haager Übereinkommens von 1980 erhobenen Klage befasst worden seien, mit der die Feststellung begehrt worden sei, dass das Verbringen der Kinder des Klägers des Ausgangsverfahrens ins Ausland widerrechtlich im Sinne von Art. 3 dieses Übereinkommens und Art. 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 gewesen sei.

36.      Die Kommission hat Zweifel hinsichtlich der Frage, ob sich die Vorlagefrage tatsächlich auf die Auslegung von Art. 2 Nr. 11 der Verordnung Nr. 2201/2003 bezieht oder vielmehr die Auslegung der Art. 1 und 3 des Haager Übereinkommens von 1980 betrifft. Wenn dies der Fall sein sollte, sei der Gerichtshof nicht befugt, auf die ihm vorgelegte Frage zu antworten, da die Europäische Union nicht Partei des Übereinkommens sei, auch wenn alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien seien.

37.      Für eine restriktive Auslegung spricht nach Ansicht der Kommission auch, dass die Verordnung Nr. 2201/2003 im Stadium der Anrufung der irischen Gerichte noch nicht zum Tragen gekommen sei.

38.      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass der Ausgangsrechtsstreit vor dem Supreme Court ausdrücklich die Anwendung der Verordnung Nr. 2201/2003 und der Charta betrifft und nicht die des Haager Übereinkommens von 1980. Dass der im Vereinigten Königreich anhängige Rechtsstreit die Anwendbarkeit dieses Übereinkommens betrifft, ändert daran nichts. Somit stellt sich eine das Unionsrecht betreffende Frage, die weder hypothetisch noch für das vorlegende Gericht irrelevant ist.

39.      Zweitens weise ich darauf hin, dass das Haager Übereinkommen von 1980 als solches nicht Teil der Rechtsordnung der Union ist und der Gerichtshof daher für seine Auslegung nicht zuständig ist.(10)

40.      Nach den Bestimmungen des Vertrags ist die Union indessen dafür zuständig, Rechtsvorschriften zu Fragen der Zuständigkeit und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen betreffend die elterliche Verantwortung zu erlassen.(11) Insbesondere sieht Art. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 vor, dass diese Verordnung ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit für Zivilsachen betreffend die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung gilt, und übernimmt damit den Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens von 1980. Erst mit den Art. 60 und 62 der Verordnung Nr. 2201/2003 hat der Gesetzgeber die Wirkungen dieses Übereinkommens wiederhergestellt, indem er es im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten für von der Verordnung nicht geregelte Fragen für anwendbar erklärt hat. Die Verordnung Nr. 2201/2003 geht nämlich dem Haager Übereinkommen von 1980 insoweit vor, als dieses Bereiche betrifft, die in dieser Verordnung geregelt sind, doch behält das Haager Übereinkommen von 1980 seine Wirksamkeit für die Rechtsgebiete, die durch diese Verordnung nicht geregelt werden.(12) Der Gesetzgeber hat sich somit dafür entschieden, auf die Vorschriften eines bestehenden völkerrechtlichen Instruments zu verweisen, statt unionsrechtliche Vorschriften zu erlassen, die denselben Bereich regeln.

41.      Die Notwendigkeit, in den Entwurf der Verordnung Nr. 2201/2003 Vorschriften aufzunehmen, die im Haager Übereinkommen von 1980 geregelte Bereiche betreffen, war seinerzeit umstritten.(13) Die Verordnung Nr. 2201/2003 erfasst in der Form, in der sie erlassen wurde, eine Vielzahl von Situationen betreffend die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen betreffend die elterliche Verantwortung. Nach dieser Verordnung sollte bei widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes das Haager Übereinkommen von 1980, „das durch die Bestimmungen dieser Verordnung und insbesondere des Artikels 11 ergänzt wird, weiterhin Anwendung finden“(14).

42.      Auch wenn Art. 11 der Verordnung Nr. 2201/2003 die Anwendbarkeit dieser Verordnung von einer Feststellung der Anwendbarkeit des Haager Übereinkommens von 1980 abhängig zu machen scheint, sind dieses Übereinkommen und die Verordnung Nr. 2201/2003 beim Verbringen zwischen den Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Anwendung nichtsdestoweniger untrennbar miteinander verbunden.

43.      Außerdem ist, soweit im Haager Übereinkommen von 1980 und in der Verordnung Nr. 2201/2003 eine ähnliche Definition verwendet wird, davon auszugehen, dass die entsprechende Formulierung „vergemeinschaftet“ wurde und der Gerichtshof sie auslegen kann.(15) Das gilt etwa für die Frage, ob ein Verbringen oder Zurückhalten widerrechtlich ist oder nicht, was in Art. 3 des Haager Übereinkommens von 1980 und in Art. 2 Nr. 11 der Verordnung Nr. 2201/2003 definiert wird. Allerdings bestehen zwischen der Verordnung und dem Übereinkommen gewisse Unterschiede.(16)

44.      Da das Vorabentscheidungsersuchen durchaus die Auslegung des Unionsrechts betrifft, schlage ich dem Gerichtshof somit vor, die Frage für zulässig zu erachten.

B –    Zur Beantwortung der Frage

1.      Auslegung von Art. 2 Nr. 11 Buchst. a der Verordnung Nr. 2201/2003

45.      Art. 2 Nr. 11 Buchst. a der Verordnung sieht vor, dass der Ausdruck „widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes“ das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes bezeichnet, wenn „dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das aufgrund einer Entscheidung oder kraft Gesetzes oder aufgrund einer rechtlich verbindlichen Vereinbarung nach dem Recht des Mitgliedstaats besteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte“. Der Begriff „Sorgerecht“ umfasst nach Art. 2 Nr. 9 der Verordnung „die Rechte und Pflichten, die mit der Sorge für die Person eines Kindes verbunden sind, insbesondere das Recht auf die Bestimmung des Aufenthaltsortes des Kindes“.

46.      Mit dem Supreme Court und der Kommission meine ich, dass der Wortlaut dieser beiden Bestimmungen keinen Raum für Zweifel oder Mehrdeutigkeiten hinsichtlich ihrer Auslegung lässt: Es ist eindeutig Sache des Rechts des Mitgliedstaats, in dem das Kind vor seinem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, festzulegen, ob das Verbringen oder Zurückhalten rechtmäßig ist oder nicht. Da der Supreme Court klar festgestellt hat, dass der Vater nach irischem Recht kein Sorgerecht hatte und sich nicht auf die Bestimmungen berufen konnte, die es ihm ermöglicht hätten, sich dem Verbringen der Kinder zu widersetzen, war somit das Verbringen der Kinder aus Irland heraus und ihr Zurückhalten im Vereinigten Königreich nicht widerrechtlich im Sinne von Art. 2 Nr. 11 der Verordnung Nr. 2201/2003.

47.      Die klare Unterscheidung zwischen quasiautomatischer und fehlender Zuerkennung des Sorgerechts an den Vater, je nachdem, ob er verheiratet ist oder nicht, scheint in den Mitgliedstaaten ziemlich allgemein zu bestehen.

48.      Insoweit ist es sachdienlich, einen unlängst erstellten Bericht zu erwähnen, in dem die Zuweisung der „elterlichen Verantwortung“ in bestimmten Mitgliedstaaten des Europarats dargestellt wird.(17) Da in diesem Bericht die Frage der „elterlichen Verantwortung“ untersucht wird, ist darauf hinzuweisen, dass diese nicht unbedingt mit dem Sorgerecht im Sinne der Verordnung Nr. 2201/2003 identisch ist. Jedenfalls stellt Professor Lowe fest, dass die „untersuchten Mitgliedstaaten alle den Eltern ehelicher Kinder eine gemeinsame elterliche Verantwortung zuerkennen und bei unehelichen Kindern den Müttern die elterliche Verantwortung zuweisen“. Das stimmt mit den entsprechenden Empfehlungen in bestimmten völkerrechtlichen Instrumenten überein.

49.      Die Situation bei Kindern unverheirateter Paare ist anders und recht unterschiedlich. In elf Ländern haben die beiden Eltern eine gemeinsame elterliche Verantwortung, sowie die Vaterschaft durch Anerkennung oder gerichtliche Entscheidung festgestellt ist. In elf anderen Ländern genügt dies indessen nicht. Dort muss der Vater andere Maßnahmen ergreifen, um die elterliche Verantwortung zu erwerben (etwa die Mutter heiraten, eine Vereinbarung mit ihr treffen oder eine gerichtliche Entscheidung erwirken). Diese unterschiedlichen Ansätze finden ihre Entsprechung in den Unterschieden, die in den völkerrechtlichen Instrumenten in Bezug auf diese Frage bestehen.(18)

50.      Demzufolge scheint das irische Recht, das anscheinend der zweiten Gruppe nahesteht, keineswegs außergewöhnlich zu sein.

51.      Im Ergebnis stellt die Verordnung Nr. 2201/2003 keine Voraussetzungen für die Zuweisung des Sorgerechts auf, auch wenn sie als die drei Formen der Zuweisung die durch eine Entscheidung, kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung aufzählt, wobei das Adverb „insbesondere“ fehlt, das im Haager Übereinkommen von 1980 verwendet wird(19), was den Schluss zulässt, dass die Liste hier abschließend ist. Die Verordnung Nr. 2201/2003 regelt nicht, welcher Elternteil das Sorgerecht haben sollte. Diese Frage wird auch im Haager Übereinkommen von 1980 nicht geregelt. Dafür ist das nationale Recht zuständig.

52.      Schließlich enthält Art. 2 Nr. 11 der Verordnung Nr. 2201/2003 auch eine Kollisionsnorm. Er legt das für die Definition des Sorgerechts im Kontext der widerrechtlichen Kindesentführung anwendbare Recht fest. Unter den verschiedenen Möglichkeiten wird in der Verordnung für das „Recht des Mitgliedstaats [optiert], in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte“. Insoweit dürfte sich jedes andere Sorgerecht, das möglicherweise in einem anderen Land als dem erworben wurde, in dem die Familie zuvor ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, auf die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 2201/2003 nicht auswirken.

2.      Gibt es im Unionsrecht ein „implizites“ Sorgerecht des leiblichen Vaters (inchoate right)?

53.      Das Hauptargument des Vaters ist anscheinend folgendes: Ungeachtet des irischen Rechts sei ihm ein „implizites Sorgerecht“ zuzuweisen, das anerkannt werden könne (inchoate right)(20). Dieses Recht müsse im Unionsrecht einem leiblichen Vater zuerkannt werden, der mit der Mutter zusammengelebt und es damit akzeptiert habe, sich an der Verantwortung des Familienlebens wie ein verheirateter Vater zu beteiligen. Dieses Recht finde seine Grundlage in Art. 8 EMRK sowie Art. 7 und Art. 24 Abs. 3 der Charta. Zur Stützung dieser These beruft er sich u. a. auf eine Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

54.      In Bezug auf die Charta ist auf zwei wesentliche Aspekte hinzuweisen. Die Charta und die Verträge sind zwar rechtlich gleichrangig, doch erweitern die Bestimmungen der Charta die in den Verträgen definierten Zuständigkeiten der Union in keiner Weise.(21) Wenn der Vertrag der Union nicht die Zuständigkeit verleiht, Vorschriften über die inhaltlichen Voraussetzungen für das Sorgerecht zu erlassen, dann erlaubt dies auch die Charta nicht.(22)

55.      Gegebenenfalls kann die Vereinbarkeit der Voraussetzungen für die Zuweisung des Sorgerechts an den Vater am Maßstab der EMRK kontrolliert werden. Insoweit sind drei Bemerkungen angebracht.

56.      Zunächst wacht der Gerichtshof natürlich über die Beachtung der Grundrechte einschließlich der in der EMRK garantierten(23), doch übt er diese Funktion im Anwendungsbereich des Unionsrechts aus. Gegenwärtig verfügt die Union indessen nicht über Zuständigkeiten dafür, in der Frage der Zuweisung des Sorgerechts gesetzgeberisch tätig zu werden. Die Zuständigkeiten der Union sind zwar mannigfaltig, umfassen aber nicht die hier in Rede stehenden materiell-rechtlichen Fragen, nämlich die, wer das Sorgerecht haben soll.(24)

57.      Da die inhaltlichen Voraussetzungen für die Zuweisung des Sorgerechts in keiner Weise dem Unionsrecht unterliegen, besteht somit im vorliegenden Fall keine Verbindung zwischen dem Unionsrecht und der EMRK.

58.      Für den Fall, dass sich die Voraussetzungen für die Zuweisung des Sorgerechts nach dem Recht eines Mitgliedstaats als im Widerspruch zur EMRK stehend erweisen sollten, scheint es mir allerdings nicht ausgeschlossen, dass sich dieser Umstand auf die Anwendung der Verordnung Nr. 2201/2003 auswirken könnte. Insbesondere wäre die Verpflichtung eines anderen Mitgliedstaats, Entscheidungen über die Zuweisung des Sorgerechts anzuerkennen, gegebenenfalls vom Gerichtshof zu prüfen.

59.      Nur zur Ergänzung möchte ich noch einige von dem Vater, Herrn McB., genannte Aspekte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte prüfen.

60.      Die von Herrn McB. angeführte Rechtsprechung scheint die Zuweisung des Sorgerechts und seine Grenzen nach nationalem Recht insbesondere im Fall unverheirateter Väter zu betreffen. So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Rechtssache Zaunegger/Deutschland einen Verstoß Deutschlands gegen die EMRK festgestellt. Er war der Auffassung, dass die im deutschen Recht sehr restriktiven Voraussetzungen für die Zuweisung des Sorgerechts an einen unverheirateten Vater, nach denen die Mutter ein absolutes Vetorecht hatte, mit der EMRK unvereinbar seien.(25)

61.      Mir scheint, dass die Umstände der Rechtssache Guichard/Frankreich der uns vorliegenden Rechtssache sehr nahekommen.(26)

62.      In jener Rechtssache hatte der Vater vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der EMRK geltend gemacht. In seinem Urteil führt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus, dass aus den Bestimmungen des Haager Übereinkommens von 1980 hervorgehe, dass die zentralen Behörden alle angemessenen Maßnahmen ergreifen müssten, um die sofortige Rückgabe widerrechtlich verbrachter Kinder sicherzustellen. Dieses Übereinkommen sieht insoweit vor, dass ein Verbringen als „widerrechtlich“ gilt, wenn dadurch ein „Sorgerecht“ verletzt wird, das das Recht betreffend die Personensorge für das Kind und insbesondere das Recht auf Bestimmung seines Aufenthaltsorts umfasst. Das Haager Übereinkommen von 1980 präzisiert in seinem Art. 3 insbesondere, dass das Sorgerecht u. a. kraft Gesetzes bestehen kann. Genauso verhielt es sich im konkreten Fall, da die französischen Vorschriften zur Zeit des Verbringens des Kindes von Frankreich nach Kanada der Mutter kraft Gesetzes die Ausübung der elterlichen Verantwortung (die ein Sorgerecht beinhaltet) zuwiesen, nachdem der Vater und die Mutter jeweils ihr leibliches Kind anerkannt hatten. Unter diesen Umständen konnte das Verbringen nicht als „widerrechtlich“ im Sinne des Haager Übereinkommens von 1980 angesehen werden. Daher konnte sich der Beschwerdeführer, der nicht Inhaber eines „Sorgerechts“ im Sinne des Haager Übereinkommens von 1980 war, nicht auf den mit diesem Übereinkommen gewährten Schutz berufen.

63.      Angesichts dieser Erwägungen war der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Auffassung, dass Art. 8 EMRK bei einer Auslegung im Licht des Haager Übereinkommens von 1980 im konkreten Fall den französischen Behörden keine positiven Verpflichtungen hinsichtlich der Rückgabe des Kindes auferlege. Die Rechtssache wurde allerdings für unzulässig erklärt, da der Vater vor der Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft hatte.

64.      Allen genannten Rechtssachen ist gemein, dass die nationalen Behörden einen Antrag auf Ermächtigung zur Ausübung der sich aus dem Sorgerecht ergebenden Befugnisse abgelehnt hatten.

65.      In der uns vorliegenden Rechtssache hatte der Vater zur Zeit des Verbringens aber nicht einmal einen Antrag auf Zuweisung des Sorgerechts gestellt, obwohl diese Möglichkeit in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist. Auch könnte die Mutter die Zuweisung eines solchen Rechts an den Vater nicht verhindern, wenn das zuständige nationale Gericht in diesem Sinne entscheiden sollte.

66.      In Ermangelung einer nationalen Entscheidung, mit der Herrn McB. ein Sorgerecht verweigert würde, stellt sich nicht einmal die Frage einer eventuellen Verletzung der EMRK.

67.      Der Vollständigkeit halber stelle ich gleichwohl fest, dass mir die Voraussetzungen für die Zuweisung des Sorgerechts nicht im Widerspruch zu den in der EMRK gewährleisteten Rechten zu stehen scheinen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stützt in keiner Weise die Behauptung von Herrn McB., es verstoße gegen die EMRK, wenn man davon ausgehe, dass die Rechte eines leiblichen Vaters betreffend die elterliche Verantwortung auch im Fall des Zusammenlebens nicht kraft Gesetzes bestünden, sondern von der Zuweisung durch eine gerichtliche Entscheidung (oder gegebenenfalls eine Vereinbarung) abhingen. Aus der EMRK ergibt sich kein Sorgerecht zugunsten des Vaters. Er hat lediglich das Recht, sich solche Rechte auf gleichem Niveau wie die Mutter zuweisen zu lassen, soweit dies mit dem Kindeswohl vereinbar ist.

68.      Was insbesondere den von dem Vater angeführten, in Art. 7 der Charta genannten Schutz des Familienlebens anbelangt, ist dieser Aspekt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus vertikaler Sicht beurteilt worden, d. h. im Rahmen(27) von Eingriffen der Behörden, die diesen Schutz innerhalb einer Familie berühren(28). Der Rahmen, in dem der Vater hier diesen Schutz geltend macht, ist ein ganz anderer: Es geht um das horizontale Verhältnis zwischen den Familienmitgliedern und nicht um das zu den irischen Behörden, die er nicht angerufen hat, um den Schutz seines Grundrechts auf Familienleben gemäß den im anwendbaren Recht vorgesehenen Modalitäten oder die Zuweisung des Sorgerechts zu erwirken. In Wirklichkeit begehrt Herr McB., der Gerichtshof möge eine Auslegung vornehmen, nach der er aus der EMRK ein im Recht des betroffenen Mitgliedstaats unbekanntes implizites Sorgerecht herleiten könnte, das der Mutter im Nachhinein entgegengehalten werden könnte und so im Nachhinein ihr im Recht des fraglichen Staates anerkanntes Sorgerecht begrenzen würde. Das ist unmöglich. Die von dem Vater, Herrn McB., begehrte Auslegung liefe darauf hinaus, die EMRK unmittelbar gegenüber einem Privaten anzuwenden.

69.      Die nachträgliche Zuerkennung eines „impliziten“ Sorgerechts an den Vater schüfe im Übrigen mehrere Probleme. Zunächst würde diese Konstruktion potenziell die Freizügigkeit behindern, die nach dem Vertrag auch für die Mutter gilt. Die Mutter könnte nicht mehr frei über den Aufenthalt des Kindes und damit über ihren eigenen Aufenthalt entscheiden. Sodann könnte sich die fragliche Person, also die Mutter, über ihre eigene genaue Rechtsstellung im Unklaren sein.

70.      Schließlich wäre ein solches „implizites“ Sorgerecht allein aufgrund der biologischen Vaterschaft – selbst im Kontext eines tatsächlichen Zusammenlebens – ohne klare und überprüfbare rechtliche Grundlage wie eine Personenstandsurkunde oder ein Verwaltungs‑ oder gerichtliches Dokument über das Bestehen der entsprechenden Rechtsstellung (kraft Gesetzes oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung oder einer rechtlich verbindlichen Vereinbarung über das Sorgerecht) auch nicht mit dem Erfordernis der für die Rechtssicherheit und die ordnungsgemäße Anwendung der Verordnung Nr. 2201/2003 durch die Justiz- und Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten notwendigen Klarheit vereinbar. Meiner Ansicht nach ist das Erfordernis einer solchen Klarheit hinsichtlich der Rechtsbeziehungen zwischen Eltern und Kindern in vollem Umfang vereinbar mit dem Grundrecht des Kindes auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, das in Art. 24 Abs. 3 der Charta niedergelegt ist, auf den wiederum im 33. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003 Bezug genommen wird.

71.      Um auf den Gegenstand der Vorlagefrage zurückzukommen, erinnere ich zum Abschluss in Bezug auf das Unionsrecht daran, dass es hier nicht darum geht, zu bestimmen, ob dem Vater das Sorgerecht zustehen sollte oder nicht oder unter welchen Voraussetzungen das Sorgerecht zugewiesen werden kann und wie dies geschieht. Ziel des vorliegenden Verfahrens vor dem Gerichtshof ist es, die Voraussetzungen auszulegen, die vorliegen müssen, damit die Verordnung Nr. 2201/2003 auf einen Fall mutmaßlicher Kindesentführung Anwendung findet.

V –    Ergebnis

72.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Supreme Court wie folgt zu antworten:

Das Unionsrecht untersagt es einem Mitgliedstaat nicht, in seinem Recht im Hinblick auf Art. 2 Nr. 11 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 zum Nachweis der Verletzung eines Sorgerechts, das aufgrund einer Entscheidung oder kraft Gesetzes oder aufgrund einer rechtlich verbindlichen Vereinbarung nach dem Recht des Mitgliedstaats besteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zu verlangen, dass der Vater eines Kindes, der nicht mit der Mutter verheiratet ist, eine Anordnung des zuständigen Gerichts erwirken muss, mit der ihm die Sorge für das Kind übertragen wird, um das „Sorgerecht“ im Sinne von Art. 2 Nr. 11 dieser Verordnung zu erlangen.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – ABl. L 338, S. 1.


3 – Der Vertreter von Herrn McB. hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass Herr McB. in der Geburtsurkunde des ersten Kindes als Vater erwähnt werde, nicht aber in den Geburtsurkunden der beiden anderen gemeinsamen Kinder von Herrn McB. und Frau E. Mir scheint allerdings, dass die Vaterschaft an den drei Kindern von den Parteien nicht in Frage gestellt wird.


4 – Im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1980.


5 – Die am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierte Charta (ABl. C 364, S. 1) ist bei der Annahme des Vertrags von Lissabon geändert und rechtlich verbindlich gemacht worden (ABl. 2007, C 303, S. 1) (im Folgenden: Charta).


6 – Unterzeichnet in Rom am 4. November 1950.


7 – Guardianship of Infants Act 1964, eingefügt durch Section 12 des Gesetzes von 1987 über die Rechtsstellung des Kindes (Status of Children Act 1987).


8 – In der Fassung von Art. 13 des Gesetzes von 1987.


9 – Child Abduction and Enforcement of Custody Orders Act, Nr. 6/1991.


10 – Die Mitgliedstaaten sind Vertragsparteien dieses Übereinkommens, nicht aber die Union. Zu einer unlängst vorgenommenen Zusammenfassung der Rechtsprechung vgl. Urteil vom 4. Mai 2010, TNT Express Nederland (C‑533/08, Slg. 2010, I‑0000, Randnrn. 58 bis 61).


11 – In der Verordnung Nr. 2201/2003 werden als Rechtsgrundlage Art. 61 Buchst. c EG (der auf Art. 65 EG verweist) und Art. 67 Abs. 1 EG genannt; nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon vgl. Art. 81 AEUV.


12 – Vgl. Art. 60 und 62 der Verordnung Nr. 2201/2003.


13 – Vgl. insbesondere McEleavy, P., „The New Child Abduction Regime of the European Union: Symbiotic Relationship or Forced Partnership?“, Journal of Private International Law, April 2005, S. 5.


14 – Vgl. den 17. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003.


15 – Vgl. Borrás, A., „Protection of Minors and Child Abduction under the Hague Conventions and the Brussels II bis Regulation“, Japanese and European Private International Law in Comparative perspective, unter der Leitung von J. Basedow u. a., Mohr Siebeck, Tübingen 2008, S. 345.


16 – Was etwa die drei Formen der Zuweisung des Sorgerechts anbelangt, geht ihnen in dem Übereinkommen das Adverb „insbesondere“ voraus, was den Eindruck vermittelt, dass die Liste nur zur Veranschaulichung aufgestellt wurde, während die gleiche Liste nach dem Wortlaut der Verordnung Nr. 2201/2003 abschließend zu sein scheint.


17 – Vgl. den Bericht von Professor N. Lowe „Une étude sur les droits et le statut juridique des enfants qui sont élevés dans différentes formes maritales et non maritales de partenariat et de cohabitation“, Europarat, Straßburg, 25. September 2009, CJ‑FA(2008) 5, S. 32. Dieser Bericht deckt rund 30 Staaten ab, nämlich fast alle Mitgliedstaaten der Union sowie eine Reihe von anderen Mitgliedstaaten des Europarats.


18 – Professor Lowe fragt sich in seinem Bericht, ob nicht in der Zukunft die Ansätze für verheiratete und unverheiratete Paare harmonisiert werden sollten; gegenwärtig ist dies jedoch nicht der Fall.


19 – Für das Haager Übereinkommen von 1980 scheint die Präzisierung mit dem Adverb „insbesondere“ von bestimmter Bedeutung zu sein: „Ebenso fallen unter die Quellen, aus denen sich das Sorgerecht ergeben kann, das geschützt werden soll, alle diejenigen, die einen Anspruch im Rahmen des fraglichen Rechtssystems begründen können. Insoweit berücksichtigt Art. 3 Abs. 2 einige – wohl die bedeutendsten – dieser Quellen, doch wird dabei die nicht erschöpfende Natur der Aufzählung hervorgehoben. … Wie wir im Folgenden sehen werden, decken die genannten Quellen eine weite rechtliche Bandbreite ab; der Hinweis auf ihren nicht abschließenden Charakter ist somit vor allem dahin gehend zu verstehen, dass eine flexible Auslegung der verwendeten Begriffe begünstigt wird, die es ermöglicht, möglichst viele Fallgestaltungen einzubeziehen.“ Vgl. den erläuternden Bericht von E. Pérez‑Vera, Actes et documents de la quatorzième session(1980), Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, Band III, S. 446, Nr. 67 (der erläuternde Bericht kann unter folgender Adresse eingesehen werden: http://hcch.e-vision.nl/upload/expl28.pdf).


20 – Es ist nicht leicht, eine genaue Übersetzung für den Ausdruck „inchoate right“ (in der Entstehung begriffenes Recht) zu finden. Mir scheint allerdings, dass der in der Datenbank des Haager Übereinkommens von 1980 verwendete Begriff („droit de garde implicite“ [implizites Sorgerecht]) nicht genau das erfasst, worauf Herr McB. hier abstellt.


21 – Vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV.


22 – Vgl. Art. 51 Abs. 1 der Charta.


23 – Vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV.


24 – Im Übrigen sieht der Vertrag nunmehr in Art. 6 Abs. 2 EUV den Beitritt der Union zur EMRK vor. Wie in Art. 6 Abs. 1 wird dort unterstrichen, dass dieser Beitritt die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union nicht ändert.


25 – Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3. Dezember 2009, Zaunegger/Deutschland (Beschwerde Nr. 22028/04). Auf dieser Grundlage hat das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unlängst für Recht erkannt, dass die entsprechenden deutschen Rechtsvorschriften gegen das deutsche Grundgesetz verstoßen (Urteil vom 21. Juli 2010, 1 BvR 420/09).


26 – Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 2. September 2003, Guichard/Frankreich (Beschwerde Nr. 56838/00).


27 – Ich erinnere daran, dass Herr McB. in den Geburtsurkunden von zwei der drei betroffenen Kinder nicht eingetragen ist.


28 – Vgl. Art. 8 Abs. 2 EMRK und z. B. Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 12. Januar 2010, A.W. Khan/Vereinigtes Königreich (Beschwerde Nr. 47486/06).