Language of document : ECLI:EU:C:2021:198

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GERARD HOGAN

vom 11. März 2021(1)

Gutachtenverfahren 1/19

Eingeleitet auf Antrag des Europäischen Parlaments

„Antrag auf Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV – Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul) – Beitritt der Union – Außenkompetenzen der Union – Geeignete Rechtsgrundlagen – Art. 78 Abs. 2 AEUV – Art. 82 Abs. 2 AEUV – Art. 83 Abs. 1 AEUV – Art. 84 AEUV – Aufspaltung der Unterzeichnungs- und Abschlussbeschlüsse in zwei Beschlüsse entsprechend den anwendbaren Rechtsgrundlagen – Vereinbarkeit mit dem EU- und dem AEU-Vertrag – Praxis des ‚Einvernehmens‘ – Vereinbarkeit mit dem EU- und dem AEU-Vertrag – Zulässigkeit des Gutachtenantrags“






I.      Einleitung

1.        Die jüngste Rechtsprechung des Gerichtshofs liefert zahlreiche Belege dafür, dass das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Union im Hinblick auf den Abschluss internationaler Übereinkünfte, die für beide Parteien bindend sind, geeignet ist, einige der schwierigsten und komplexesten Fragen des Rechts der Europäischen Union aufzuwerfen. Die Abgrenzung der jeweiligen Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und der Union (sowie ihre Wechselwirkung untereinander) ist unabdingbar mit schwierigen Qualifizierungsfragen verbunden, die häufig eine detaillierte und minutiöse Prüfung einer internationalen Übereinkunft erforderlich machen, die möglicherweise nicht immer mit Blick auf die subtilen Komplexitäten der institutionellen Architektur der Europäischen Union (und ihrer Zuständigkeitsverteilung) ausgestaltet sein mag.

2.        Dies gilt leider auch für die internationale Übereinkunft – nämlich das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, das am 7. April 2011 vom Ministerkomitee des Europarates verabschiedet wurde (im Folgenden: Übereinkommen von Istanbul) – die Gegenstand des vorliegenden Antrags auf ein Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV ist. Auch wenn mit diesem Übereinkommen das edle und erstrebenswerte Ziel der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder gefördert werden soll, wirft die Frage, ob der Abschluss dieses konkreten Übereinkommens mit den Unionsverträgen vereinbar wäre, komplexe und in gewisser Hinsicht neue Rechtsfragen auf, die selbstverständlich ganz unabhängig und leidenschaftslos unter rechtlichen Gesichtspunkten geprüft werden müssen. Die Frage stellt sich wie folgt.

II.    Hintergrund des Übereinkommens von Istanbul

3.        Von den Vereinten Nationen wurde 1979 das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women; im Folgenden: CEDAW) verabschiedet. Dieses Übereinkommen wurde durch Empfehlungen des CEDAW-Ausschusses ergänzt, darunter die Allgemeine Empfehlung Nr. 19 (1992) zur Gewalt gegen Frauen, die ihrerseits durch die Allgemeine Empfehlung Nr. 35 zu geschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen (2017) aktualisiert wurde. Diese Empfehlungen legen fest, dass geschlechtsbezogene Gewalt eine Diskriminierung im Sinne des CEDAW darstellt.

4.        Der Europarat schlug in einer Empfehlung an die Mitglieder dieser Organisation erstmalig in Europa eine umfassende Strategie zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen und zum Schutz der Opfer in allen Mitgliedstaaten des Europarates vor.

5.        Im Dezember 2008 setzte der Europarat einen Expertenausschuss mit der Bezeichnung Expertengruppe für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence; im Folgenden: GREVIO) ein. Dieses Gremium, das sich aus Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten des Europarates zusammensetzt, wurde mit der Ausarbeitung eines oder mehrerer verbindlicher Rechtsinstrumente beauftragt, „um häusliche Gewalt, einschließlich spezieller Formen von Gewalt gegen Frauen, und sonstige Formen von Gewalt gegen Frauen zu verhüten und zu bekämpfen, die Opfer solcher Gewalttaten zu schützen und zu unterstützen und die Täter bzw. Täterinnen rechtlich zu verfolgen“.

6.        Das GREVIO tagte neun Mal und gelangte im Dezember 2010 zur abschließenden Entwurfsfassung des Übereinkommens. Die Union nahm an den Verhandlungen nicht teil(2).

7.        Das Übereinkommen von Istanbul wurde am 11. Mai 2011 anlässlich der 121. Tagung des Ministerkomitees in Istanbul zur Unterzeichnung aufgelegt(3).

8.        Am 5. und 6. Juni 2014 nahm der Rat der Europäischen Union in seiner Zusammensetzung für Justiz und Inneres Schlussfolgerungen an, mit denen er die Mitgliedstaaten zur Unterzeichnung, zum Abschluss und zur Umsetzung dieses Übereinkommens aufforderte.

9.        Die Kommission legte dem Rat der Europäischen Union daraufhin am 4. März 2016 einen Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Europäischen Union vor. In dem Vorschlag wird festgestellt, dass der Abschluss dieses Übereinkommens sowohl in die Zuständigkeit der Union als auch in diejenige der Mitgliedstaaten falle. Was die Union betrifft, sah der Vorschlag der Kommission die Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul in Form eines einzigen Beschlusses auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 2 und Art. 84 AEUV vor.

10.      Zusammen mit diesem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Genehmigung der Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union legte die Kommission dem Rat einen Vorschlag für einen einzigen Beschluss des Rates zur Genehmigung des Abschlusses dieses Übereinkommens im Namen der Union vor. Die von der Kommission vorgeschlagene Rechtsgrundlage war dieselbe wie die im Kommissionsvorschlag über die Unterzeichnung genannte, d. h., er war ebenfalls auf Art. 82 Abs. 2 und Art. 84 AEUV gestützt.

11.      Im Verlauf der Erörterungen des Beschlussentwurfs in den Vorbereitungsgremien des Rates stellte sich heraus, dass der Abschluss des Übereinkommens von Istanbul durch die Union für bestimmte, von der Kommission vorgeschlagene Bereiche nicht die erforderliche qualifizierte Mehrheit der Ratsmitglieder erhalten würde. Es wurde daher beschlossen, den Umfang des von der Union vorgeschlagenen Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul einfach auf diejenigen Zuständigkeiten zu beschränken, die nach Ansicht dieser Vorbereitungsgremien in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fielen. Demzufolge wurden die Rechtsgrundlagen des Vorschlags dahin geändert, dass Art. 84 AEUV gestrichen und Art. 83 Abs. 1 und Art. 78 Abs. 2 AEUV dem Art. 82 Abs. 2 AEUV hinzugefügt wurden. Ferner wurde beschlossen, den Vorschlag der Kommission für einen Beschluss des Rates zur Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul in zwei Teile aufzuspalten und zwei Beschlüsse zu erlassen, um der besonderen Stellung Irlands und des Vereinigten Königreichs nach dem dem EU- und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokoll Nr. 21 Rechnung zu tragen.

12.      Diese Änderungen, die auf der Sitzung des Ausschusses der Ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (AStV) vom 26. April 2017 vorgenommen wurden, wurden von der Kommission gebilligt.

13.      Der Rat nahm am 11. Mai 2017 die folgenden beiden gesonderten Beschlüsse zur Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul an:

–        Beschluss (EU) 2017/865 des Rates vom 11. Mai 2017 über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Bezug auf Aspekte, die die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen betreffen (ABl. 2017, L 131, S. 11). In diesem Beschluss sind als materielle Rechtsgrundlagen Art. 82 Abs. 2 und Art. 83 Abs. 1 AEUV angegeben.

–        Beschluss (EU) 2017/866 des Rates vom 11. Mai 2017 über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Bezug auf Asyl und das Verbot der Zurückweisung (ABl. 2017, L 131, S. 13). In diesem Beschluss ist als materielle Rechtsgrundlage Art. 78 Abs. 2 AEUV angegeben.

14.      In den Erwägungsgründen 5 bis 7 beider Beschlüsse heißt es:

„(5)      Die Zuständigkeit für die unter das Übereinkommen fallenden Bereiche liegt sowohl bei der Union als auch bei ihren Mitgliedstaaten.

(6)      Das Übereinkommen [von Istanbul] sollte im Namen der Union in Bezug auf Aspekte unterzeichnet werden, die in die Zuständigkeit der Union fallen, insoweit sich das Übereinkommen [von Istanbul] auf gemeinsame Vorschriften auswirken oder deren Anwendungsbereich verändern kann. Dies gilt insbesondere für gewisse Bestimmungen des Übereinkommens [von Istanbul] welche die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen betreffen und für die Bestimmungen des Übereinkommens [von Istanbul] zum Asyl und zum Verbot der Zurückweisung. Die Mitgliedstaaten behalten ihre Zuständigkeit insoweit, als das Übereinkommen [von Istanbul] sich nicht auf gemeinsame Vorschriften auswirkt oder deren Anwendungsbereich nicht verändert.

(7)      Die Union hat auch ausschließliche Zuständigkeit für die Übernahme der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen [von Istanbul] in Bezug auf ihre eigenen Organe und öffentliche Verwaltung.“

15.      Nach dem zehnten Erwägungsgrund des Beschlusses 2017/865 „[sind d]as Vereinigte Königreich und Irland … durch die Richtlinien 2011/36/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates (ABl. 2011, L 101, S. 1)] und 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates (ABl. 2011, L 335, S. 1)] gebunden und beteiligen sich daher an der Annahme dieses Beschlusses.“

16.      Der zehnte Erwägungsgrund des Beschlusses 2017/866 lautet: „Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokoll Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und unbeschadet des Artikels 4 dieses Protokolls, beteiligen sich diese Mitgliedstaaten nicht an der Annahme dieses Beschlusses und sind weder durch diesen Beschluss gebunden noch zu seiner Anwendung verpflichtet.“

17.      Im elften Erwägungsgrund beider Beschlüsse heißt es: „Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokolls Nr. 22 über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieses Beschlusses und ist weder durch diesen Beschluss gebunden noch zu seiner Anwendung verpflichtet.“

18.      Gemäß den beiden vorgenannten Beschlüssen über die Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul wurde dieses Übereinkommen am 13. Juni 2017 im Namen der Union unterzeichnet(4). Ein Beschluss über den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul wurde jedoch nicht gefasst.

19.      Am 9. Juli 2019 beantragte das Europäische Parlament nach Art. 218 Abs. 11 AEUV ein Gutachten des Gerichtshofs zum Beitritt der Europäischen Union zum Übereinkommen von Istanbul. Der Gutachtenantrag lautet wie folgt(5):

„1. a)      Sind Art. 82 Abs. 2 und Art. 84 AEUV die geeigneten Rechtsgrundlagen des Rechtsakts des Rates über den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union, oder muss sich dieser Rechtsakt auf Art. 78 Abs. 2, Art. 82 Abs. 2 und Art. 83 Abs. 1 AEUV gründen?

1. b)      Ist es notwendig oder möglich, die beiden Beschlüsse über die Unterzeichnung und den Abschluss des Übereinkommens aufgrund dieser Wahl der Rechtsgrundlage aufzuspalten?

2.      Ist der Abschluss des Übereinkommens von Istanbul durch die Union gemäß Art. 218 Abs. 6 AEUV mit den Verträgen vereinbar, obwohl eine einstimmige Entscheidung aller Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Zustimmung, durch das Übereinkommen gebunden zu sein, noch nicht erzielt wurde?“

III. Zulässigkeit des Gutachtenantrags des Europäischen Parlaments

20.      Es gibt im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, von der Union geschlossene internationale Übereinkünfte dem Gerichtshof zur Prüfung vorzulegen. Die eine ist die Prüfung einer internationalen Übereinkunft durch den Gerichtshof im Rahmen der ihm übertragenen allgemeinen Zuständigkeit, etwa zur gerichtlichen Überprüfung, für Klagen oder Vorabentscheidungsverfahren. Die zweite, in der vorliegenden Rechtssache relevante, ist das Verfahren nach Art. 218 Abs. 11 AEUV, wonach der Gerichtshof auf Antrag eines Mitgliedstaats, des Europäischen Parlaments, des Rates oder der Kommission konkret befugt ist, ein Gutachten über die Vereinbarkeit einer Übereinkunft, deren Abschluss die Union beabsichtigt, mit den Verträgen abzugeben(6).

21.      Art. 218 AEUV sieht ein Verfahren von allgemeiner Geltung für die Aushandlung und den Abschluss internationaler Übereinkünfte vor, für deren Abschluss die Union in ihren Tätigkeitsbereichen zuständig ist(7). Der letzte Absatz – Art. 218 Abs. 11 AEUV – sieht den wichtigen Mechanismus einer verfassungsrechtlichen Ex-ante-Überprüfung der geplanten Übereinkunft vor. Dieser Mechanismus ist rechtlich betrachtet wichtig, weil nach Art. 216 Abs. 2 AEUV die von der Union geschlossenen internationalen Übereinkünfte für die Organe der Union und die Mitgliedstaaten bindend sind und somit grundsätzlich maßgebende Bedeutung für die Rechtmäßigkeit der von diesen Organen erlassenen Rechtsakte haben können. Politisch ist dieser Mechanismus ebenfalls wichtig, weil sich schon aus der Stellung des Antrags auf ein Gutachten möglicherweise Hindernisse für den förmlichen Abschluss des Abkommens ergeben können(8).

22.      Auch wenn die Anwendung des Verfahrens nach Art. 218 Abs. 11 AEUV nach wie vor relativ selten ist, hatten die auf dieser Bestimmung beruhenden Gutachten des Gerichtshofs gleichwohl im Allgemeinen erhebliche praktische Bedeutung, nicht zuletzt wegen der Klarstellung, die sie für den Umfang der Zuständigkeiten der Union im Bereich des Völkerrechts, der internationalen Übereinkünfte und damit zusammenhängender Fragen gebracht haben. In den Gutachten des Gerichtshofs wurden dementsprechend Grundprinzipien des Rechts der auswärtigen Beziehungen formuliert, die von der Ausschließlichkeit der Zuständigkeiten der Union bis zum Grundsatz der Autonomie und seiner Anwendung insbesondere auf die internationale Streitbeilegung reichen. In einigen der Gutachten des Gerichtshofs wurden bedeutsame Verfassungsgrundsätze festgelegt, die über die unmittelbar aufgeworfenen Fragen oder auch über die Grenzen des Rechts der auswärtigen Beziehungen der Union hinausgehen(9).

23.      Den Sinn und Zweck des Verfahrens hat der Gerichtshof im Gutachten 1/75(10) wie folgt verdeutlicht:

„Verwicklungen [zu] vermeiden, die entstehen könnten, wenn die Vereinbarkeit von völkerrechtlichen Abkommen, welche die [Union] verpflichten, mit dem Vertrag vor einem Gericht bestritten würde. Eine Gerichtsentscheidung, die ein Abkommen wegen seines Inhalts oder der Form seines Zustandekommens für mit dem Vertrag unvereinbar erklärte, müsste nicht nur auf [Unions]ebene, sondern auch auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen zu ernsten Schwierigkeiten führen und würde möglicherweise für alle betroffenen Parteien, auch für die Drittstaaten, Nachteile mit sich bringen.

Um derartige Verwicklungen zu vermeiden, sieht der Vertrag das außergewöhnliche Verfahren einer vorherigen Anrufung des Gerichtshofes vor, damit vor Abschluss des Abkommens geklärt werden kann, ob es mit dem Vertrag vereinbar ist.“

24.      Wie der Gerichtshof festgestellt hat(11), würde eine gerichtliche Entscheidung, mit der eine die Union verpflichtende internationale Übereinkunft nach ihrem Abschluss wegen ihres Inhalts oder des Verfahrens ihres Zustandekommens für mit den Verträgen unvereinbar erklärt würde, nämlich nicht nur unionsintern, sondern auch auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen unausweichlich zu ernsten rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten führen und könnte für alle Beteiligten einschließlich der Drittstaaten Nachteile mit sich bringen.

25.      Aufgrund des Gutachtens, um das der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache ersucht wird, hat er wichtige Vorfragen zur Zulässigkeit der an ihn gerichteten Fragen im Kontext des vorliegenden außergewöhnlichen Verfahrens zu prüfen.

A.      Unzulässigkeitseinreden der Beteiligten

26.      Die Zulässigkeit des Gutachtenantrags ist von mehreren Beteiligten in mehrfacher Hinsicht in Frage gestellt worden.

27.      Was zunächst die erste Frage Buchst. a angeht, halten der Rat sowie Irland und die ungarische Regierung diese für unzulässig, da sie verspätet sei. Da das Parlament die Beschlüsse über die Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul und zugleich über die Gültigkeit der angenommenen Rechtsgrundlagen hätte anfechten können, könne es den Gerichtshof nicht mehr anrufen, da dies einer Umgehung der Vorschriften über die Fristen für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gleichkäme und damit der Gegenstand des Gutachtenverfahrens verfälscht würde.

28.      Was die erste Frage Buchst. b angeht, bestreitet der Rat deren Zulässigkeit, soweit sie die Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul betrifft, mit der Begründung, dass die Beschlüsse über die Unterzeichnung rechtskräftig geworden seien.

29.      Der Rat macht ferner geltend, die zweite Frage sei unzulässig, weil sie hypothetisch sei. Abgesehen davon, dass diese Frage allgemein formuliert sei, gehe sie auch von der Prämisse aus, dass der Rat nach einer Regel gehandelt habe, zu der er sich freiwillig verpflichtet habe und die darin bestanden habe, im Fall einer gemischten Übereinkunft den Abschluss der Übereinkunft durch alle Mitgliedstaaten abzuwarten, bevor die Union dieses ihrerseits abschließe, ohne dass eine Regel für ein solches Vorgehen vom Parlament vorgegeben worden sei.

30.      Ganz allgemein bestreiten der Rat sowie die spanische und die ungarische Regierung die Zulässigkeit des Antrags in seiner Gesamtheit. Sie weisen zunächst darauf hin, dass der Entscheidungsprozess sich noch in einem Vorbereitungsstadium befinde und insbesondere noch nicht den Zeitpunkt erreicht habe, zu dem der Rat die Zustimmung des Parlaments einholen müsse. Da das Parlament somit noch Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf des Beschlusses zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul hätte, sei der Gutachtenantrag verfrüht und daher unzulässig.

31.      Außerdem ist der Rat der Ansicht, dass das Parlament sich in Wahrheit dagegen wende, dass das Abschlussverfahren verzögert worden sei. Das Parlament hätte somit eine Untätigkeitsklage nach Art. 265 AEUV erheben müssen. Da das Gutachtenverfahren einen anderen Zweck habe und nicht dazu benutzt werden könne, ein anderes Organ zum Handeln zu zwingen, sei der Antrag auch aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen. Die spanische, die ungarische und die slowakische Regierung teilen diese Ansicht.

32.      Schließlich sind der Rat sowie die bulgarische Regierung, Irland sowie die griechische, die spanische, die ungarische und die polnische Regierung der Ansicht, dass das Parlament sich mit seinem Gutachtenantrag in Wahrheit gegen den Beschluss des Rates, den Umfang des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul durch die Union auf die Bestimmungen zu beschränken, die in die ausschließlichen Zuständigkeiten der Union fielen, und somit gegen die genaue Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten wende. Da das Gutachtenverfahren nur die Gültigkeit eines Beschlusses über den Abschluss zum Gegenstand haben könne, sei der Antrag auf Gutachten somit als unzulässig zurückzuweisen.

B.      Würdigung

33.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass in Anbetracht der rechtlichen und politischen Bedeutung des in Art. 218 Abs. 11 AEUV vorgesehenen Verfahrens, wie oben dargelegt, der Anwendungsbereich des Gutachtenverfahrens grundsätzlich relativ weit zu fassen ist(12).

34.      Die Fragen, die dem Gerichtshof im Rahmen dieses Verfahrens vorgelegt werden können, können somit sowohl die materielle als auch die formelle Gültigkeit des Beschlusses zum Abschluss der Übereinkunft betreffen(13), allerdings meines Erachtens vorbehaltlich dreier Einschränkungen, mit denen im Wesentlichen gewährleistet werden soll, dass der Gerichtshof keine Frage beantwortet, die für den Abschluss einer bestimmten Übereinkunft nicht von konkretem Interesse wäre(14).

35.      Erstens müssen die gestellten Fragen sich zwingend auf eine internationale Übereinkunft beziehen, deren Abschluss, abgesehen von der Einleitung des Verfahrens nach Art. 218 Abs. 11, unmittelbar und vernünftigerweise vorhersehbar bevorsteht(15). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut von Art. 218 Abs. 11 AEUV, in dem es um die Frage der Vereinbarkeit einer „geplanten Übereinkunft“ mit den Verträgen geht. Demzufolge wäre das Parlament (oder auch jeder andere qualifizierte Kläger im Sinne von Art. 218 Abs. 11) beispielsweise nicht berechtigt, von dem Verfahren nach Art. 218 Abs. 11 AEUV Gebrauch zu machen, um den Gerichtshof auf rein abstrakter oder rein hypothetischer Grundlage um eine Entscheidung darüber zu ersuchen, ob der Abschluss einer bestimmten internationalen Übereinkunft gegen das Unionsrecht verstoßen würde, wenn der Abschluss dieser Übereinkunft zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt war oder die Union klargestellt hat, dass sie diese Übereinkunft nicht abschließen wird.

36.      Grundsätzlich können die gestellten Fragen sich jedoch auf jede mögliche Fallgestaltung im Zusammenhang mit dem Abschluss der geplanten Übereinkunft beziehen, sofern der Zweck des Verfahrens darin besteht, Verwicklungen zu vermeiden, die sich aus der Ungültigerklärung des Akts des Abschlusses einer internationalen Übereinkunft ergeben können(16). Da es sich nämlich nicht um ein kontradiktorisches Verfahren handelt und es zeitlich vor dem Abschluss der beabsichtigten Übereinkunft durch die Union stattfindet, ist die Rechtsprechung, wonach der Gerichtshof keine Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abgeben darf, an sich offensichtlich nicht anwendbar(17). Da diese Form einer Ex-ante-Prüfung zwangsläufig ein gewisses hypothetisches Element beinhaltet, liefe jedes gegenteilige Ergebnis darauf hinaus, Art. 218 Abs. 11 AEUV seine allgemeine „praktische Wirksamkeit“ zu nehmen. Lediglich in dem besonderen Fall, dass bestimmte Elemente, die zur Beantwortung der gestellten Frage erforderlich sind, noch nicht bekannt sind, kann meines Erachtens eine mit einem Antrag gestellte Frage für unzulässig erklärt werden, nicht weil sie hypothetisch ist, sondern weil es dem Gerichtshof in der Sache unmöglich ist, sie in Anbetracht des Verhandlungs- oder Verfahrensstandes zu beantworten.

37.      Zweitens muss mit dem Antrag die Vereinbarkeit des Abschlusses dieser Übereinkunft mit den Verträgen in Frage gestellt werden(18). Angesichts der Bedeutung des mit diesem Verfahren verfolgten Ziels, nämlich mögliche Verwicklungen zu vermeiden, die sich im Sinne der Auslegung der Bestimmung selbst(19) aus der Ungültigerklärung des Rechtsakts über den Abschluss einer internationalen Übereinkunft ergeben können, darf die gestellte Frage daher ausschließlich Elemente betreffen, die sich auf die Gültigkeit des Rechtsakts über den Abschluss auswirken können(20). Wie der Gerichtshof im Gutachten 1/75 (OECD-Vereinbarung betreffend eine Norm für die lokalen Kosten) vom 11. November 1975 (EU:C:1975:145) entschieden hat, „muss daher [im Gutachtenverfahren] jede Frage statthaft sein, die … geeignet ist, auf Grund des Vertrages in materiell- oder formellrechtlicher Hinsicht Zweifel an [dem Beschluss über die Genehmigung des Abschlusses im Namen der Union] hervorzurufen“(21). Zwar kann ein Gutachtenantrag auch die Frage betreffen, ob eine Übereinkunft ausschließlich von den Mitgliedstaaten, von der Union oder von beiden abgeschlossen werden muss, es ist jedoch im Rahmen eines Gutachtenverfahrens nicht Sache des Gerichtshofs, über die genaue Abgrenzung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten zu entscheiden. Der Gerichtshof hat nämlich im Gutachten 2/00 (Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit) vom 6. Dezember 2001 (EU:C:2001:664) entschieden, dass dann, wenn feststeht, dass für denselben Bereich sowohl Zuständigkeiten der Union als auch der Mitgliedstaaten bestehen, deren Umfang als solcher keine Auswirkungen auf die Zuständigkeit der Union für den Abschluss der internationalen Übereinkunft oder, allgemeiner betrachtet, auf deren materielle Gültigkeit oder formelle Ordnungsmäßigkeit im Hinblick auf die Unionsverträge haben kann(22).

38.      Abgesehen von diesen beiden materiellen Voraussetzungen ist auch das Vorliegen einer formellen Voraussetzung zu berücksichtigen. Wenn ein Abkommensentwurf vorliegt und der Gerichtshof über die Vereinbarkeit des geplanten Abkommens mit dem Vertrag befinden soll, müssen dem Gerichtshof hinreichende Angaben zum Inhalt dieses Abkommens zur Verfügung stehen, wenn er in der Lage sein soll, seine Aufgabe wirksam wahrzunehmen(23). Enthält also der Antrag nicht das notwendige Maß an Informationen zu Art und Inhalt der internationalen Übereinkunft, ist er für unzulässig zu erklären(24).

39.      Anhand dieser Grundsätze können nun die verschiedenen von den Parteien erhobenen Unzulässigkeitseinreden geprüft werden.

40.      Was die ersten beiden Einreden der Unzulässigkeit angeht, nämlich zum einen, dass das Parlament die Wahl von Art. 78 Abs. 2, Art. 82 Abs. 2 und Art. 83 Abs. 1 AEUV als Rechtsgrundlagen zum Zeitpunkt der Unterzeichnung nicht angefochten hat, und zum anderen die Möglichkeit, dem Gerichtshof Fragen zur Gültigkeit der Beschlüsse zur Genehmigung der Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union vorzulegen, sind auf das Gutachtenverfahren meines Erachtens die dem Urteil vom 9. März 1994, TWD Textilwerke Deggendorf (C‑188/92, EU:C:1994:90), zugrunde liegenden Erwägungen, soweit sie sich auf den allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit beziehen(25), entsprechend voll übertragbar. Demzufolge kann das Parlament, da es die Gültigkeit der Unterzeichnungsbeschlüsse nicht, wie es ihm möglich gewesen wäre, angefochten hat und diese daher rechtskräftig geworden sind, vom Gutachtenverfahren keinen Gebrauch machen, um damit die Frist für eine Nichtigkeitsklage zu umgehen. Daher sollte meines Erachtens die erste Frage Buchst. b für unzulässig erklärt werden, allerdings nur insoweit, als sie sich auf die Beschlüsse über die Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul bezieht.

41.      Zu dieser Ansicht komme ich, ohne außer Acht zu lassen, dass der Gerichtshof im Gutachten 2/92 (Dritter revidierter Beschluss der OECD über die Inländerbehandlung) vom 24. März 1995 (EU:C:1995:83) festgestellt hat, dass „der Umstand, dass bestimmte Fragen im Rahmen anderer Verfahrensarten, insbesondere im Wege der Nichtigkeitsklage …, behandelt werden können, nicht geltend gemacht werden kann, um die Möglichkeit auszuschließen, den Gerichtshof damit vorab nach [Art. 218 Abs. 11 AEUV] zu befassen“(26). Damit ist indes nicht gemeint, dass das Verfahren nach Art. 218 Abs. 11 AEUV an sich als Ersatz für eine Nichtigkeitsklage genutzt werden könnte, was die Unterzeichnungsbeschlüsse angeht, da diese Beschlüsse rechtskräftig geworden sind und jeder ordentliche Rechtsbehelf zu ihrer Anfechtung dementsprechend eindeutig verfristet wäre.

42.      Wie bereits angemerkt, ist jedoch das, was im Rahmen des vorliegenden Gutachtenantrags verfristet ist, der Beschluss zur Unterzeichnung – und nicht ein Beschluss zum Abschluss der Übereinkunft. Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass die Entscheidung, mit der eine Ermächtigung zur Unterzeichnung eines völkerrechtlichen Vertrags erteilt wird, und die Entscheidung zu dessen Abschluss zwei verschiedene Rechtsakte sind, die für die Betroffenen ganz unterschiedliche Verpflichtungen begründen, wobei der zweite Akt keineswegs die Bestätigung des ersten darstellt(27). Dies ergibt sich jedenfalls aus herkömmlichen Grundsätzen des Völkervertragsrechts. Folglich ist jede Entscheidung, mit der eine Ermächtigung zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union erteilt wird, weiterhin anfechtbar.

43.      Die dritte Einrede geht dahin, dass die zweite Frage auf der unausgesprochenen Annahme beruhe, dass der Rat zu Unrecht der Ansicht gewesen sei, dass er den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul durch alle Mitgliedstaaten habe abwarten müssen, bevor er hierzu befugt gewesen sei. Die Anwendung des Verfahrens nach Art. 218 Abs. 11 AEUV zu diesem Zweck werde somit auf eine ungerechtfertigte Annahme gestützt, so dass der Antrag als unzulässig abzuweisen sei.

44.      Insoweit ist, wie oben erläutert, darauf hinzuweisen, dass Fragen, die im Rahmen eines Gutachtenantrags an den Gerichtshof gerichtet werden, sich auf jede mögliche Fallgestaltung im Zusammenhang mit dem Abschluss der geplanten Übereinkunft beziehen können, sofern der Zweck des Verfahrens darin besteht, mögliche Verwicklungen zu vermeiden, die sich aus der Ungültigerklärung des Rechtsakts über den Abschluss einer internationalen Übereinkunft ergeben können.

45.      Zugestandenermaßen kann im Rahmen einer Nichtigkeitsklage ein Klagegrund, der auf einen sich aus einer Praxis ergebenden Verstoß gegen die Verträge gestützt wird, nur dann zur Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses führen, wenn der Kläger darlegen kann, dass der Entscheidungsträger sich an die angebliche Praxis gebunden fühlte oder alternativ sie für verbindlich hielt und die Praxis dementsprechend Grund oder Grundlage dieses Beschlusses war(28). Im Kontext eines Gutachtenantrags trifft den Mitgliedstaat oder das Organ, der bzw. das dieses Gutachten beantragt, jedoch keine Beweislast; es kann jede Frage gestellt werden, sofern sie sich auf mögliche Ereignisse bezieht(29). Das Gutachtenverfahren ist nämlich schon seiner Natur nach dazu bestimmt, die Auffassung des Gerichtshofs zu hypothetischen Sachverhalten zu klären, da es sich grundsätzlich nur auf einen Beschluss zum Abschluss einer Übereinkunft beziehen kann, der noch nicht erlassen wurde. Dementsprechend ist die Tatsache, dass das Parlament nicht dargetan hat, dass der Rat sich an die betreffende Praxis gebunden fühlte, kein Grund dafür, die zweite Frage für unzulässig zu erklären.

46.      Was die vierte Einrede angeht, wonach der Gutachtenantrag verfrüht sei, sei darauf hingewiesen, dass Art. 218 Abs. 11 AEUV insoweit keine Fristen vorsieht(30). Die einzige in dieser Bestimmung festgelegte zeitliche Voraussetzung ist die, dass der Abschluss eines Abkommens geplant sein muss. Demzufolge können ein Mitgliedstaat, das Parlament, der Rat oder die Kommission das Gutachten des Gerichtshofs zu jeder Frage einholen, die sich auf die Vereinbarkeit des zum Abschluss einer internationalen Übereinkunft zu erlassenden Beschlusses mit den Verträgen bezieht, soweit dessen Abschluss von der Union geplant ist(31) und solange dieses Abkommen von der Union noch nicht abgeschlossen worden ist. Da ein Gutachtenantrag selbst dann als zulässig zu betrachten ist, wenn das zum Erlass eines Beschlusses über den Abschluss dieser Übereinkunft führende Verfahren sich noch im Vorbereitungsstadium befindet, kann diese Einrede der Unzulässigkeit keinen Erfolg haben.

47.      Was die fünfte Einrede angeht, mit der der Rat vorbringt, das Parlament hätte eine Untätigkeitsklage erheben müssen, anstatt einen Gutachtenantrag zu stellen, ist zu betonen, dass das Verfahren nach Art. 265 AEUV dazu bestimmt ist, ein europäisches Organ wegen einer rechtswidrigen Unterlassung in Bezug auf das Unionsrecht verurteilen zu lassen. In der vorliegenden Rechtssache mögen sich zwar in der Tat in den dem Gerichtshof vorliegenden Akten Hinweise darauf finden, dass das Parlament den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul beschleunigen will, dies lässt jedoch die Tatsache unberührt, dass keine der vom Parlament gestellten Fragen sich auf eine mögliche Untätigkeit bezieht. Daher kann der vorliegende Gutachtenantrag nicht mit dieser Begründung für unzulässig erklärt werden(32).

48.      Was die sechste Einrede der Unzulässigkeit betrifft, wonach die gestellten Fragen in Wirklichkeit die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten beträfen, ist darauf hinzuweisen, dass diese konkrete Einrede sich allenfalls auf die erste Frage Buchst. a bezieht. Sie geht von der Prämisse aus, dass die Antwort, die der Gerichtshof auf diese Frage geben werde, unmöglich die Gültigkeit des Beschlusses zum Abschluss des Übereinkommens betreffen könne, und zieht hieraus den Schluss, dass sie in Wirklichkeit auf eine Entscheidung über die genaue Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Union ausgerichtet sei.

49.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wie vom Gerichtshof wiederholt betont, gewisse Unregelmäßigkeiten bei der Wahl der einschlägigen Rechtsgrundlage nicht notwendigerweise zur Ungültigkeit des betreffenden Rechtsakts führen. Vielmehr ist darzutun, dass diese Mängel geeignet sind, sich auf das anwendbare Gesetzgebungsverfahren(33) oder die Zuständigkeit der Union auszuwirken(34).

50.      So hat der Gerichtshof im Urteil vom 18. Dezember 2014, Vereinigtes Königreich/Rat (C‑81/13, EU:C:2014:2449, Rn. 67) entschieden, dass ein „Fehler bei den Bezugsvermerken des angefochtenen Beschlusses“ (die Nichtangabe einer Rechtsgrundlage unter anderen angegebenen Rechtsgrundlagen) ein rein formaler Fehler sei, der sich nicht auf die Gültigkeit des in Rede stehenden Beschlusses ausgewirkt habe. Ebenso betonte der Gerichtshof im Urteil vom 25. Oktober 2017, Kommission/Rat (WRC‑15) (C‑687/15, EU:C:2017:803) zwar die verfassungsrechtliche Bedeutung von Rechtsgrundlagen(35), trug aber auch Sorge, zu prüfen, dass unter den Umständen jener Rechtssache die in Rede stehende Unregelmäßigkeit sich wahrscheinlich auf die Zuständigkeiten der Kommission und des Rates sowie ihre jeweilige Rolle im Verfahren zur Annahme der angefochtenen Handlung auswirken konnte(36). Insbesondere entschied der Gerichtshof in den Rn. 55 und 56 jenes Urteils, dass die Nichtangabe einer Rechtsgrundlage ausreiche, um die Nichtigerklärung des betreffenden Rechtsakts wegen eines Begründungsmangels zu rechtfertigen, wies jedoch darauf hin, dass die Nichtangabe einer konkreten Bestimmung des Vertrags – während andere Rechtsgrundlagen angegeben waren – in bestimmten Fällen möglicherweise keinen wesentlichen Mangel darstellt.

51.      Zwar sehen in der vorliegenden Rechtssache die verschiedenen, in der ersten Frage Buchst. a angeführten Rechtsgrundlagen, nämlich Art. 78 Abs. 2, Art. 82 Abs. 2, Art. 83 Abs. 1 und Art. 84 AEUV, die Anwendung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens vor und führen alle zum Erlass eines Beschlusses zum Abschluss einer Übereinkunft aufgrund desselben Verfahrens, nämlich desjenigen nach Art. 218 Abs. 6 Buchst. a Ziff. v und Abs. 8 AEUV.

52.      Richtig ist zum einen auch, dass Art. 82 Abs. 3 und Art. 83 Abs. 3 AEUV die Möglichkeit vorsehen, dass ein Mitgliedstaat dann, wenn ein unter diese Rechtsgrundlagen fallender Rechtsakt seiner Ansicht nach grundlegende Aspekte seiner Rechtsordnung berührt, den Europäischen Rat mit der Angelegenheit befassen kann. Zum anderen fallen diese Grundlagen ferner in den Bereich, für den die Protokolle Nr. 21 und Nr. 22 zum EUV und zum AEUV gelten dürften.

53.      Da jedoch erstens die Befassung des Europäischen Rates lediglich eine Aussetzung des Gesetzgebungsverfahrens zur Folge hat, dürfte diese den Mitgliedstaaten gewährte Möglichkeit, den Europäischen Rat mit der Angelegenheit zu befassen, ihrer Art nach mit den in den Art. 78 und 84 AEUV vorgesehenen Verfahren nicht unvereinbar sein. Zweitens hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Protokolle Nr. 21 und Nr. 22 nicht geeignet sind, sich in irgendeiner Weise auf die Frage der richtigen anzuwendenden Rechtsgrundlagen auszuwirken(37). Diese Ansicht hat der Gerichtshof vor Kurzem für das Protokoll Nr. 22 im Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592) bekräftigt(38).

54.      In der Sache können sich diese Protokolle daher zwar sicherlich auf die Abstimmungsmodalitäten auswirken, die im Rat für den Erlass des betreffenden Rechtsakts zu befolgen sind, nicht aber auf die Wahl seiner Rechtsgrundlagen(39). Dass ein Rechtsakt zum Teil unter den Dritten Teil Titel V des AEUV fällt, führt nämlich sicherlich dazu, dass die relevanten Bestimmungen dieses Rechtsakts mit Ausnahme bestimmter Fälle für Irland oder das Königreich Dänemark nicht bindend sind. Dies bedeutet jedoch für sich genommen nicht, dass der Bereich, der von den Bestimmungen dieses unter den Dritten Teil Titel V des AEUV fallenden Rechtsakts betroffen ist, als überwiegend anzusehen ist, so dass die Angabe der entsprechenden Rechtsgrundlagen zwingend ist. Es bedeutet vielmehr lediglich, dass für den Erlass der betreffenden Bestimmungen die in diesen Protokollen vorgesehenen Abstimmungsregeln im Rat befolgt werden müssen, auch wenn keine Rechtsgrundlagen in Bezug auf den Dritten Teil Titel V des AEUV angegeben sind.

55.      In diesem Kontext kann man sich somit zu Recht fragen, ob die erste Frage Buchst. a tatsächlich darauf abzielt, den genauen Punkt der Abgrenzung zwischen den Zuständigkeiten der Union und denjenigen der Mitgliedstaaten zu ermitteln. Sollte diese Frage bejaht werden, würde dies bedeuten, dass ein Teil der Frage nicht in den Anwendungsbereich des Gutachtenverfahrens nach Art. 218 Abs. 11 AEUV fiele.

56.      Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass zur Beantwortung der ersten Frage Buchst. a nicht nur die vom Parlament in seiner Frage genannten Rechtsgrundlagen zu prüfen sind, sondern auch der Aspekt, ob in den Beschluss zum Abschluss einer Übereinkunft noch irgendeine andere Rechtsgrundlage aufzunehmen ist. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine andere Rechtsgrundlage als die vom Parlament genannten relevant sein könnte, kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Antwort des Gerichtshofs auf die aufgeworfenen Fragen auf die Gültigkeit des Beschlusses über die Ermächtigung der Union zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul auswirken kann(40). Es besteht daher aus meiner Sicht kein Grund, die erste Frage Buchst. a deshalb für unzulässig zu erklären, weil sie sich auf Gegenstände bezieht, die nicht mit Gültigkeit des Beschlusses zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul in Zusammenhang stehen.

57.      Die erste Frage Buchst. b und die zweite Frage haben mit der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten nichts zu tun, und da der Gerichtshof bisher noch nie eingehend geprüft hat, ob diese Verpflichtungen sich auf den Inhalt des Beschlusses zum Abschluss einer internationalen Übereinkunft auswirken können, sind diese Fragen meines Erachtens genau zur Entscheidung darüber zu beantworten(41).

58.      Entgegen dem Vorbringen einiger Beteiligter kann die zweite Frage nicht dahin umgedeutet werden, dass sie sich ausschließlich darauf bezieht, ob der Rat den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul durch alle Mitgliedstaaten abwarten dürfe(42). Denn selbst wenn diese Praxis als mit den Verträgen unvereinbar anzusehen wäre, würde dieser Umstand nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses zum Abschluss dieses Übereinkommens führen, da, dies sei noch einmal wiederholt, die in der vorliegenden Rechtssache eingetretene Verspätung grundsätzlich kein Ungültigkeitsgrund ist. Um die Zulässigkeitskriterien zu erfüllen, muss diese Frage zwingend genauso verstanden werden, wie sie formuliert ist, nämlich dahin, ob der Beschluss zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul mit den Verträgen vereinbar wäre, wenn er vor dem Abschluss dieses Übereinkommens durch alle Mitgliedstaaten ergehen würde.

59.      Daher sollten meines Erachtens alle dem Gerichtshof vom Parlament vorgelegten Fragen als zulässig angesehen werden; ausgenommen hiervon ist die erste Frage Buchst. b, jedoch nur insoweit, als sie sich auf den Beschluss über die Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul bezieht.

IV.    Erste Frage Buchst. a: Geeignete Rechtsgrundlagen im Hinblick auf den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul

60.      Mit seiner ersten Frage Buchst. a ersucht das Parlament den Gerichtshof um eine Entscheidung darüber, ob Art. 82 Abs. 2 und Art. 84 AEUV die geeigneten Rechtsgrundlagen für den Beschluss des Rates zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union sind oder ob dieser Rechtsakt auf Art. 78 Abs. 2, Art. 82 Abs. 2 und Art. 83 Abs. 1 AEUV gestützt werden muss.

61.      Das Parlament weist darauf hin, dass im Vorschlag der Kommission für einen Beschluss zur Genehmigung der Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union und in ihrem Vorschlag für einen Beschluss zur Ermächtigung der Union zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul Art. 218 AEUV als verfahrensrechtliche Rechtsgrundlage sowie Art. 82 Abs. 2 und Art. 84 AEUV als materielle Rechtsgrundlagen angegeben worden seien. Beim Erlass des Beschlusses zur Genehmigung der Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul änderte der Rat jedoch diese materiellen Rechtsgrundlagen und gab Art. 78 Abs. 2, Art. 82 Abs. 2 und Art. 83 Abs. 1 AEUV an.

62.      Angesichts der Ziele des Übereinkommens von Istanbul, das – wie die Bestimmungen der Art. 1, 5 und 7 sowie der Kapitel III und IV des Übereinkommens verdeutlichen – den Schutz von Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, und die Verhütung solcher Gewalt zum Ziel hat, möchte das Parlament in Erfahrung bringen, ob die Kommission zu Recht Art. 82 Abs. 2 und Art. 84 AEUV als die beiden Hauptbestandteile dieses Übereinkommens angesehen hat. Es fragt daher, ob der Rat berechtigt wäre, Art. 84 AEUV als materielle Rechtsgrundlage aufzugeben und stattdessen Art. 78 Abs. 2 und Art. 83 Abs. 1 AEUV hinzufügen, wie er es beim Erlass des Beschlusses zur Genehmigung der Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul getan habe.

63.      Das Parlament hat insbesondere Zweifel in Bezug auf Art. 78 Abs. 2 AEUV, da diese Rechtsgrundlage lediglich die Art. 60 und 61 des Übereinkommens von Istanbul abdecke. Es möchte wissen, ob diese beiden Bestimmungen als eigenständiger und Hauptbestandteil dieses Übereinkommens angesehen werden können oder ob die Art. 60 und 61 dieses Übereinkommens nicht einfach die Umsetzung des allgemeinen Anliegens, alle Frauen, die Opfer von Gewalt geworden seien, zu schützen, für den speziellen Bereich des Asyls darstellen. Wäre dies der Fall, hätten diese beiden Bestimmungen des Übereinkommens von Istanbul den Charakter von Nebenbestimmungen und bedürften keiner ergänzenden speziellen Rechtsgrundlage.

64.      Was Art. 83 Abs. 1 AEUV angeht, weist das Parlament darauf hin, dass diese Bestimmung der Union eine Zuständigkeit im Bereich des Strafrechts nur für bestimmte Bereiche übertrage, die Gewalt gegen Frauen als solche nicht einschlössen. Diese Gewalt könne also auf Unionsebene unter Strafe gestellt werden, wenn sie sich auf Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern und organisierte Kriminalität beziehe und als solche das Hauptaugenmerk des Übereinkommens von Istanbul bilde. Da die Mitgliedstaaten im Übrigen die Zuständigkeit für den größten Teil des materiellen Strafrechts, das unter das Übereinkommen von Istanbul falle, behalten hätten, und die Elemente, für die die Union zuständig sei, offenbar von untergeordneter Bedeutung seien, sei die Ergänzung um eine spezielle Rechtsgrundlage für das Strafrecht nicht erforderlich.

65.      Aus den vorstehenden Ausführungen folgt somit, dass sich die erste Frage auf die Wahl der Rechtsgrundlagen bezieht und nicht, wie das Vorbringen einiger Beteiligter nahelegen könnte, auf die Frage, ob die Zuständigkeit der Union für den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul eine ausschließliche oder eine nicht ausschließliche ist. Zugegebenermaßen wird die Rechtsnatur bestimmter Zuständigkeiten als ausschließliche oder nicht ausschließliche Zuständigkeiten nur insoweit geprüft werden, als sie zur Beantwortung dieser Frage erforderlich ist. Insoweit mag es sinnvoll sein, vor der inhaltlichen Prüfung des Übereinkommens von Istanbul einige Anmerkungen zur Wahl der Methoden voranzustellen.

A.      Methodische Anmerkungen

66.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs muss sich die Wahl der Rechtsgrundlagen eines Rechtsakts der Union, einschließlich eines Rechtsakts zum Abschluss einer internationalen Übereinkunft, auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen, wozu das Ziel und der Inhalt dieses Rechtsakts gehören(43).

67.      Ergibt die Prüfung eines Unionsrechtsakts, dass er zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und lässt sich eine von ihnen als die hauptsächliche ausmachen, während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, so ist der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf diejenige, die die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert(44).

68.      Verfolgt eine Maßnahme mehrere Zielsetzungen zugleich oder besteht sie aus mehreren Komponenten, die untrennbar miteinander verbunden sind, ohne dass die eine gegenüber der anderen nebensächlich ist, so dass verschiedene Vertragsbestimmungen anwendbar sind, ist sie ausnahmsweise auf die entsprechenden verschiedenen Rechtsgrundlagen zu stützen(45). Der Rückgriff auf eine doppelte Rechtsgrundlage ist jedoch ausgeschlossen, wenn sich die für die beiden Rechtsgrundlagen jeweils vorgesehenen Verfahren nicht miteinander vereinbaren lassen(46).

69.      Es sind somit die Zielsetzungen und Komponenten eines Rechtsakts, die für seine Rechtsgrundlage – bzw. in bestimmten Fällen seine mehreren Rechtsgrundlagen – maßgebend sind, und nicht die Frage, ob die Zuständigkeiten der Union für diesen Rechtsakt ausschließliche oder geteilte Zuständigkeiten sind(47). Wie ich später erläutern werde, trifft zu, dass die Frage, ob diese Zuständigkeiten ausschließliche oder geteilte Zuständigkeiten sind, aus unionsrechtlicher Sicht gewiss den Umfang des Abschlusses einer internationalen Übereinkunft beeinflussen und daher die verfügbaren Rechtsgrundlagen eingrenzen. Die Auswahl der Rechtsgrundlagen, die unter denen, die den ausgeübten Zuständigkeiten entsprechen, wird allein von den Zielsetzungen und Komponenten des in Rede stehenden Rechtsakts abhängen.

70.      Wie Generalanwältin Kokott ausgeführt hat, sollten diese Grundsätze keine Anwendung finden, soweit es um die Abgrenzung der jeweiligen Zuständigkeiten der Union und der Mitgliedstaaten geht. „[I]st [nämlich] die [Union] nur für einzelne Komponenten einer von ihr in Aussicht genommenen Handlung zuständig, wohingegen andere Komponenten in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen …, so kann die [Union] sich nicht kurzerhand im Wege einer Schwerpunktbetrachtung insgesamt für zuständig erklären. Ansonsten würde sie den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung unterlaufen …“(48).

71.      Ähnliche Bedenken könnten für die Bestimmung derjenigen Zuständigkeiten der Union angeführt werden, auf die der Erlass des betreffenden Rechtsakts gestützt werden muss, und somit für die Bestimmung der einschlägigen Rechtsgrundlagen, auf die ein Rechtsakt zu stützen ist. Im Kern führt das Schwerpunktkriterium zu dem für den Erlass eines Rechtsakts anwendbaren Verfahren, dass allein auf der Grundlage der wichtigsten Rechtsgrundlagen festzulegen ist. Somit ist nach dieser Vorgehensweise allein die Hauptzuständigkeit zu betrachten, um deren Wahrnehmung es geht. Damit einhergehend ist es wichtig, dass elementare, mit bestimmten anderen Zuständigkeiten untrennbar verbundene Verfahrensgarantien – wie etwa die einstimmige Abstimmung im Rat – nicht umgangen werden. Obwohl der Erlass einer Rechtsvorschrift möglicherweise zwingend auf eine bestimmte Rechtsgrundlage hätte gestützt werden müssen, wäre sie isoliert erlassen worden, könnte nämlich der Erlass dieser Rechtsvorschrift dann, wenn sie in einen Rechtsakt eingefügt wird der andere Vorschriften enthält, aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage erfolgen, die beispielsweise eine andere Abstimmungsregel vorschreibt. Dies könnte im Ergebnis zu Strategien mit dem Ziel führen, Zusatzklauseln (cavalier législatif) aufzunehmen(49).

72.      Gleichwohl hat der Gerichtshof in der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs systematisch auf das „Kriterium der überwiegenden Zielsetzungen und Komponenten“ (auch „Schwerpunktkriterium“ genannt) verwiesen. Beispielsweise hat er in seinem Urteil vom 4. September 2018, Kommission/Rat (Abkommen mit Kasachstan) (C‑244/17, EU:C:2018:662, Rn. 38), erneut darauf hingewiesen, dass, wenn „ein … Beschluss … mehrere Komponenten oder …. mehrere Zielsetzungen [verfolgt], von denen manche unter die [Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik] fallen, … die für seinen Erlass geltende Abstimmungsregel anhand seiner hauptsächlichen oder überwiegenden Zielsetzung oder Komponente zu bestimmen [ist]“. Demzufolge kann, auch wenn ein Rechtsakt mehrere Zielsetzungen verfolgen und die „Mobilisierung“ verschiedener Zuständigkeiten verlangen mag, die Rechtsgrundlage, auf die sein Erlass gestützt wird, nicht alle für seinen Erlass ausgeübten Zuständigkeiten widerspiegeln, sondern nur diejenige/n, die der/den Hauptzielsetzung/en oder Hauptkomponente/n des Rechtsakts entspricht bzw. entsprechen(50). Darüber hinaus ist die oben erwähnte Gefahr der Umgehung bestimmter Verfahrensvorschriften seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon geringer geworden, durch das sich die Besonderheiten bestimmter Verfahren erheblich verringert haben.

73.      In bestimmten Urteilen, beginnend mit dem Urteil vom 10. Januar 2006, Kommission/Rat (C‑94/03, EU:C:2006:2, Rn. 55), hat der Gerichtshof zwar betont, dass eine Rechtsgrundlage nicht nur dazu dienen könne, das anwendbare Verfahren zu bestimmen und zu überprüfen, ob die Union tatsächlich zumindest teilweise für die Unterzeichnung der betreffenden Übereinkunft zuständig ist, sondern auch dazu, Dritte über den Umfang der wahrgenommenen Unionszuständigkeit(51) und den Geltungsbereich des betreffenden Rechtsakts zu informieren(52). Es könnte daher verlockend sein, aus dieser Rechtsprechung abzuleiten, dass, um diese Aufgabe zu erfüllen, die Rechtsgrundlagen eines Rechtsakts alle Zuständigkeiten widerspiegeln sollten, von denen die Union für den Erlass des betreffenden Rechtsakts Gebrauch gemacht hat. Dieser Ansatz dürfte insbesondere dann gerechtfertigt erscheinen, wenn eine internationale Übereinkunft in mehrere, zwischen der Union und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeiten fällt, da die Union sich dafür entscheiden könnte, einige ihrer Zuständigkeiten nicht auszuüben, womit es folglich den Mitgliedstaaten obliegen würde, die entsprechende/n Bestimmung/en dieser Übereinkunft umzusetzen(53).

74.      Dieser Ansatz stünde jedoch nicht in Einklang mit dem vom Gerichtshof bisher verfolgten Ansatz zur Vermeidung eines Konflikts von Rechtsgrundlagen(54). Beispielsweise hat der Gerichtshof im Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592) – in dem er entschieden hat, dass der Beschluss zur Genehmigung des Abschlusses der in Rede stehenden internationalen Übereinkunft durch die Union auf zwei Rechtsgrundlagen zu stützen war – erneut auf die vorgenannte Rechtsprechung verwiesen(55).

75.      Zudem sind diese Dinge zwar für die unionsinterne Ordnung (und die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten) von wesentlicher Bedeutung, doch betreffen sie Drittstaaten nicht unmittelbar, da nach Art. 27 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (United Nations Treaty Series, Bd. 1155, S. 331) – ein Vertrag, der in Bezug auf internationale Übereinkünfte seinerseits Völkergewohnheitsrecht kodifiziert und die Union bindet(56) – eine Vertragspartei einer internationalen Übereinkunft, unabhängig davon, ob es sich um einen Staat oder eine internationale Organisation handelt, sich nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen kann, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen(57).

76.      Für die Mitgliedstaaten mag es zwar in der Tat von Interesse sein, über den Umfang der von der Union bei Abschluss einer Übereinkunft ausgeübten Zuständigkeiten voll informiert zu sein, doch sind die Rechtsgrundlagen eines Rechtsakts nicht das einzige Mittel, um diese Informationen zu vermitteln. Nach ständiger Rechtsprechung ist nämlich die Begründungspflicht nach Art. 296 Abs. 2 AEUV insbesondere im Licht des Inhalts des Rechtsakts in seiner Gesamtheit(58), insbesondere seiner Erwägungsgründe(59), zu beurteilen. Dementsprechend ist es zwar wichtig, dass den Mitgliedstaaten erkennbar ist, welche Befugnisse von der Union beim Abschluss einer konkreten Übereinkunft ausgeübt wurden, doch dürfte es nicht entscheidend darauf ankommen, dass diese Informationen nicht den Rechtsgrundlagen entnommen werden können, die für den Erlass des Beschlusses zur Genehmigung des Abschlusses dieser Übereinkunft tatsächlich gewählt wurden.

77.      In diesem Kontext spricht zwar Vieles dafür, dass die Rechtsgrundlage eines Rechtsakts die von der Union zum Erlass dieses Rechtsakts ausgeübten Zuständigkeiten getreu widerspiegeln sollte, es ist indes festzustellen, dass dieser Ansatz mit dem Stand der Rechtsprechung nicht voll in Einklang stünde(60).

78.      Dementsprechend schlage ich vor, im weiteren Verlauf der vorliegenden Schlussanträge der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu folgen, wonach ein Rechtsakt dann, wenn er mehrere Zielsetzungen verfolgt oder mehrere Komponenten umfasst, grundsätzlich auf eine einzige Rechtsgrundlage und ausnahmsweise auf mehrere Rechtsgrundlagen zu stützen ist. Dabei muss es sich um die Rechtsgrundlagen handeln, die aufgrund der überwiegenden oder zumindest hauptsächlichen Zielsetzungen oder Komponenten der internationalen Übereinkunft erforderlich sind. Es ist folglich unerheblich, ob beim Erlass des betreffenden Rechtsakts weitere Zuständigkeiten ausgeübt wurden, solange diese anderen Zuständigkeiten Zielsetzungen oder Komponenten betreffen, die in der Sache von untergeordneter oder nebensächlicher Bedeutung sind.

79.      Ferner ist festzustellen, dass nach der oben angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs die zu berücksichtigenden Zielsetzungen und Komponenten diejenigen des betreffenden Rechtsakts der Union sind. Im Hinblick auf den Abschluss einer internationalen Übereinkunft sind es daher die Zielsetzungen und der genaue Inhalt des Beschlusses zur Genehmigung dieses Abschlusses und nicht die internationale Übereinkunft selbst, die für die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsgrundlagen ausschlaggebend sein müssen.

80.      Zwar werden in der Praxis der Zweck und Inhalt dieses Beschlusses zumeist mit denjenigen der geplanten Übereinkunft übereinstimmen, da ein solcher Rechtsakt schon seinem Wesen nach die Zustimmung der Union, durch diese Übereinkunft gebunden zu sein, zum Ausdruck bringen soll(61). Dies ist jedoch nicht immer der Fall. Es ist nämlich im Blick zu behalten, dass die Sichtweisen des Völkerrechts einerseits und des Unionsrechts andererseits sich in dieser Hinsicht erheblich voneinander unterscheiden, was für die vorliegende Rechtssache von zentraler Bedeutung ist.

81.      Aus der Sicht des Völkerrechts gilt bei gemischten Übereinkünften, dass die Union und die Mitgliedstaaten diesen gemeinsam und nicht parallel beitreten(62). Demzufolge zieht, sofern nicht ein Vorbehalt zur Verteilung der Zuständigkeiten gemacht wird, was voraussetzt, dass die Übereinkunft diese Möglichkeit nicht ausschließt, der Abschluss einer Übereinkunft durch die Union eine Verpflichtung für sie nach sich, sie in ihrer Gesamtheit anzuwenden(63). Fragen wie etwa, welche Rechtsgrundlagen für den Abschluss dieser Übereinkunft gewählt wurden oder ob es sich um eine gemischte Übereinkunft handelt, sind als interne Fragen der Unionsrechtsordnung anzusehen(64), die eine Haftung auf einer völkerrechtlichen Ebene im Fall einer ungerechtfertigten Nichterfüllung an sich nicht ausschließen können(65).

82.      Aus der Sicht des Unionsrechts jedoch tritt die Union einer internationalen Übereinkunft im Umfang der zum Erlass des Beschlusses zum Abschluss dieser Übereinkunft ausgeübten Zuständigkeiten bei(66). Sie muss ihre ausschließliche Außenkompetenz ausüben, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Union bei Abschluss einer Übereinkunft aber nicht verpflichtet, ihre geteilten Zuständigkeiten auszuüben(67). Dementsprechend könnte sich je nachdem, welche der geteilten Zuständigkeiten die Union für den Erlass dieses Beschlusses bei dieser Gelegenheit auszuüben beschließt, der „Schwerpunkt“ des Beschlusses zum Abschluss der Übereinkunft verlagern, mit der Folge, dass die anwendbaren Rechtsgrundlagen sich ändern. Eine Rechtsgrundlage, die beispielsweise eine ausschließliche Zuständigkeit widerspiegelt, kann mithin in ihrer Bedeutung in gewissem Umfang durch eine andere Rechtsgrundlage aufgewogen werden, die eine geteilte Zuständigkeit widerspiegelt, die die Union ausüben will.

83.      Da der Beschluss zur Genehmigung des Abschlusses einer internationalen Übereinkunft im Namen der Union möglicherweise einen engeren Zweck und Inhalt haben kann als diese Übereinkunft, muss der Erlass dieses Beschlusses möglicherweise auf eine einzige Rechtsgrundlage gestützt werden, wohingegen beispielsweise dann, wenn die Union alle bis dahin mit den Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeiten ausgeübt hätte, möglicherweise zwei oder mehr Rechtsgrundlagen hätten angewendet werden müssen, da dieser Beschluss damit möglicherweise weitere wichtige Zielsetzungen und Komponenten umfasst hätte.

84.      Ferner können, wenn die Union entscheidet, die Zuständigkeit, die die Hauptzielsetzungen und ‑komponenten der in Rede stehenden internationalen Übereinkunft abgedeckt hätte, nicht auszuüben, bestimmte Zielsetzungen und Komponenten, die aus der Sicht des Beschlusses zur Genehmigung des Abschlusses als nebensächlich betrachtet worden wären, überwiegende Bedeutung erlangen. Daher ist es meines Erachtens wichtig, zwischen den Zielsetzungen und Komponenten der Übereinkunft und denen des Beschlusses zur Genehmigung des Abschlusses einer internationalen Übereinkunft, die stärker begrenzt sein können, zu unterscheiden.

85.      Dies ist die Kernfrage der vorliegenden Rechtssache, da der Rat eindeutig anstrebt, dass die Union lediglich einen Teilabschluss des Übereinkommens von Istanbul vornimmt. Das Übereinkommen von Istanbul ist daher nicht in seiner Gesamtheit, sondern nur in den Teilen dieses Übereinkommens zu betrachten, die aus Sicht des Unionsrechts für die Union verbindlich sein werden.

86.      Im Kontext einer Nichtigkeitsklage ist dies eine Frage, die keine besonderen Schwierigkeiten aufwirft, da der Gerichtshof seine Überprüfung ex post vornimmt, also nachdem der betreffende Gesetzgebungsakt erlassen wurde und somit nachdem die ausgeübten Zuständigkeiten bekannt sind.

87.      Dagegen könnte bei einem Gutachtenantrag, bei dem, wie in der vorliegenden Rechtssache, noch kein Beschlussentwurf vorliegt, der Umstand, dass der Rat möglicherweise mehr oder weniger geteilte Zuständigkeiten ausüben kann, die Bestimmung der Rechtsgrundlagen etwas komplizierter oder sogar unmöglich machen, da der Gerichtshof ersucht wird, sich mit dieser Frage in der Vorausschau zu befassen.

88.      Es könnte zwar naheliegend erscheinen, zunächst für jeden Teil der Übereinkunft zu prüfen, ob er in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fällt, da diese Zuständigkeiten notwendigerweise von der Union ausgeübt werden müssen. Wie ließe sich dann jedoch nach Abschluss dieser Prüfung bestimmen, wo der Schwerpunkt des Beschlusses zum Abschluss dieser Übereinkunft liegt, da, wie oben erläutert, dieser Schwerpunkt auch von den geänderten geteilten Zuständigkeiten abhängen wird, die die Union freiwillig ausüben will? Sofern nämlich der Rat nicht bereits über einen Beschlussentwurf abgestimmt hat und der Gerichtshof parallel zur Übermittlung dieses Entwurfs an das Parlament mit der Sache befasst wird, kann der Umfang der geteilten Zuständigkeiten, die ausgeübt werden sollen, nicht ohne Weiteres feststehen(68).

89.      In der vorliegenden speziellen Fallgestaltung, die eine vom Gerichtshof bislang nicht geprüfte Fragestellung aufwirft, ist meines Erachtens aus dem Antrag (oder jedenfalls dem Sachverhalt der Rechtssache) abzuleiten, welche konkreten geteilten Zuständigkeiten von der Union höchstwahrscheinlich ausgeübt werden. Anderenfalls sehe ich, wie ich in dem die Zulässigkeit betreffenden Teil der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, nicht, wie der Gerichtshof, dem Antrag des Parlaments entsprechend, darüber sollte entscheiden können, auf welche Rechtsgrundlage der Beschluss zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul zu stützen ist(69). Unter diesen Umständen wird die vom Gerichtshof gegebene Antwort jedoch nur Geltung haben, wenn die in Aussicht genommene Fallgestaltung sich auch tatsächlich verwirklicht.

90.      In der vorliegenden Rechtssache geht die vom Parlament gestellte Frage nach ihrem Wortlaut eindeutig von der Prämisse aus, dass die Union beim Erlass des Beschlusses zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union zumindest ihre Zuständigkeiten in den Bereichen erstens der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen und zweitens des Asyls und der Einwanderung ausüben wird. Die Relevanz dieser Prämisse wird auch durch den Inhalt der Beschlüsse bestätigt, mit denen die Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union genehmigt wurde, und die trotz der in Nr. 42 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung bis zu einem gewissen Grad als Vorwegnahme der beim Abschluss auszuübenden Zuständigkeiten betrachtet werden kann.

91.      Diese Prämisse muss jedoch zumindest mit der gegenwärtigen Zuständigkeitsverteilung vereinbar sein. Hierzu ist zu prüfen, ob die Übereinkunft neben diesen Zuständigkeiten noch weitere Unionszuständigkeiten betrifft, die ausgeübt werden müssen, da sie ausschließliche Zuständigkeiten darstellen. Wie bereits erläutert, bedeutet dies, dass nicht nur die Zuständigkeiten zu berücksichtigen sind, die die Union ausüben will, sondern auch die Zuständigkeiten, die, da sie ausschließliche Zuständigkeiten der Union sind, notwendigerweise ausgeübt werden müssen, wenn sie diese Übereinkunft abschließen will.

92.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in Art. 3 Abs. 1 AEUV die die ihrem Wesen nach ausschließlichen Zuständigkeiten aufgeführt sind. Neben dieser Aufzählung wird in Art. 3 Abs. 2 AEUV konkretisiert, dass die „Union … ferner die ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss internationaler Übereinkünfte [hat], wenn der Abschluss einer solchen Übereinkunft in einem Gesetzgebungsakt der Union vorgesehen ist, wenn er notwendig ist, damit sie ihre interne Zuständigkeit ausüben kann, oder soweit er gemeinsame Regeln beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnte“(70).

93.      Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs klar hervorgeht, besteht dann eine zur Begründung einer ausschließlichen Außenzuständigkeit der Union geeignete Gefahr, dass durch völkerrechtliche Verpflichtungen gemeinsame Regeln der Union beeinträchtigt oder deren Tragweite verändert werden können, wenn diese Verpflichtungen in den Anwendungsbereich der Regeln fallen(71).

94.      Die Feststellung einer solchen Gefahr setzt keine völlige Übereinstimmung zwischen dem von den völkerrechtlichen Verpflichtungen erfassten Bereich und dem Bereich der Unionsregelung voraus(72). Solche völkerrechtlichen Verpflichtungen können Unionsregeln insbesondere dann beeinträchtigen oder ihre Tragweite verändern, wenn die Verpflichtungen einen Bereich betreffen, der bereits weitgehend von solchen Regeln erfasst ist(73).

95.      Entgegen dem Vorbringen der Kommission lässt sich der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht entnehmen, dass im Wege eines ganzheitlichen Ansatzes zu bestimmen wäre, ob die Union in den von einer Übereinkunft erfassten Bereichen über eine ausschließliche oder geteilte Zuständigkeit verfügt. Im Gegenteil kann, da die Union nur über begrenzte Zuständigkeiten verfügt, das Bestehen einer Zuständigkeit, zumal einer ausschließlichen, nur auf der Grundlage von Schlussfolgerungen angenommen werden, die aus einer umfassenden und konkreten Analyse des Verhältnisses zwischen der geplanten internationalen Übereinkunft und dem geltenden Unionsrecht gezogen werden(74).

96.      Um zu prüfen, ob das fragliche Abkommen die einheitliche und kohärente Anwendung bestimmter gemeinsamer Vorschriften der Union und das reibungslose Funktionieren des durch sie geschaffenen Systems beeinträchtigen kann, sind bei dieser Analyse die von den Unionsregeln und den Bestimmungen des geplanten Abkommens jeweils erfassten Bereiche, die für die Union verbindlich werden, da sie den Zuständigkeiten entsprechen, die die Union zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses zum Abschluss des betreffenden Übereinkommens ausüben will, sowie die voraussichtlichen Entwicklungsperspektiven dieser Regeln und Bestimmungen zu berücksichtigen(75).

97.      Zu diesen Fragestellungen trägt Irland vor, das Parlament habe in seinem Antrag keine umfassende und eingehende Prüfung der Auswirkungen des Übereinkommens von Istanbul auf das Sekundärrecht der Union vorgenommen(76). Der Gerichtshof hat in der Tat entschieden, dass es für eine solche Prüfung der betroffenen Partei obliege, die Ausschließlichkeit der Außenkompetenz der Union nachzuweisen, auf die sie sich berufen möchte(77).

98.      Es ist jedoch bezeichnend, dass die Begründung dieser Rechtsprechung sich aus Urteilen im Kontext einer Nichtigkeitsklage ergab. In derartigen Rechtssachen entscheidet der Gerichtshof auf der Grundlage des zwischen verschiedenen Parteien ausgetauschten Vorbringens. Diese Voraussetzung gilt für ein Gutachtenantragsverfahren nicht, das durch einen Geist der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof, den anderen Organen der Union und den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist, und mögliche, zu einem späteren Zeitpunkt eintretende Verwicklungen vermeiden soll(78). Da dieses Verfahren nämlich zum einen ex ante stattfindet und zum anderen nicht kontradiktorischer Art ist, kommt Argumenten, die auf das in einem Nichtigkeitsklageverfahren stattfindende kontradiktorische Ex-post-Überprüfungssystem aufbauen, in diesem Kontext wenig Relevanz zu. Folglich ist meines Erachtens die Tatsache, dass das Parlament keine umfassende und eingehende Prüfung der Auswirkungen des Übereinkommens auf das Sekundärrecht der Union vorgenommen hat, an sich unerheblich; es ist Sache des Gerichtshofs, eine solche Prüfung vorzunehmen.

99.      Allerdings beeinträchtigt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Annahme einer internationalen Übereinkunft gemeinsame Vorschriften nicht, wenn sowohl die Regelungen des Unionsrechts als auch diejenigen der betreffenden internationalen Übereinkunft den Charakter von Mindestvorschriften haben(79). Dementsprechend ist nach dieser Rechtsprechung davon auszugehen, dass, selbst wenn eine internationale Übereinkunft dasselbe Gebiet erfasst wie gemeinsame Unionsvorschriften, der Gerichtshof keine Beeinträchtigung der Unionsregeln – und somit der geteilten Zuständigkeit – feststellt, soweit beide Mindeststandards festlegen(80).

100. Im Fall des Übereinkommens von Istanbul bestimmt Art. 73: „Dieses Übereinkommen berührt nicht das innerstaatliche Recht und bindende völkerrechtliche Übereinkünfte, die bereits in Kraft sind oder in Kraft treten können und nach denen Personen bei der Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt günstigere Rechte gewährt werden oder gewährt werden würden.“

101. In diesem Kontext ist eine von der Union mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit daher nur dann als ausschließliche Zuständigkeit (d. h. als eine Zuständigkeit, die der Rat auszuüben verpflichtet ist), anzusehen, wenn festgestellt werden kann, dass die Union in diesem Bereich bereits gemeinsame Vorschriften erlassen hat und diese zum einen nicht den Charakter von Mindestvorschriften haben und zum anderen durch den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul wahrscheinlich beeinträchtigt werden.

102. Im Hinblick auf die beiden Beschlüsse zur Genehmigung der Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union könnte zweifelhaft erscheinen, ob der Rat zu Recht davon ausgehen durfte, dass die Union aufgrund von Art. 3 Abs. 2 dritte Alternative AEUV verpflichtet sei, diese Zuständigkeiten auszuüben.

103. Zum einen war die Republik Polen bemüht, zu betonen, dass Art. 82 Abs. 2 und Art. 83 Abs. 1 AEUV, die die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen beträfen, lediglich den Erlass von Mindestvorschriften vorsähen. Daher sei in diesem Bereich mit den erlassenen gemeinsamen Vorschriften nur eine Festlegung von Mindeststandards zulässig.

104. Zum anderen spricht, was Art. 78 Abs. 2 AEUV betrifft, der der Union eine Zuständigkeit für den Bereich Asyl und Einwanderung überträgt, der erste Eindruck dafür, dass die von der Union im Bereich der Asyl- und Einwanderungspolitik erlassenen gemeinsamen Vorschriften lediglich Mindestvorschriften festlegen oder, soweit dies nicht der Fall ist, von den Bestimmungen des Übereinkommens von Istanbul meines Erachtens kaum berührt werden dürften.

105. Es ist insoweit nämlich darauf hinzuweisen, dass das Übereinkommen von Istanbul drei Bestimmungen enthält, die für die Asyl- und Einwanderungspolitik relevant sein können, nämlich die Art. 59 bis 61 des Übereinkommens, die Kapitel VII dieses Übereinkommens bilden.

106. Im Hinblick auf Art. 59 des Übereinkommens von Istanbul betreffend den Aufenthaltsstatus von Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, sehen die Aufenthaltsregelungen der Union lediglich Mindeststandards vor(81). Insbesondere wird, wie von Generalanwalt Bot in der Rechtssache Rahman u. a. (C‑83/11, EU:C:2012:174, Nr. 64) ausgeführt, mit der Richtlinie 2004/38(82) eine Mindestharmonisierung insoweit eingeführt, als mit ihr insbesondere ein Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen einer in der Union ansässigen Person in bestimmten Fällen anerkannt werden soll, ohne dass die Gewährung eines Aufenthaltsrechts in anderen Fällen ausgeschlossen wird.

107. Zwar mögen bestimmte Urteile zur Richtlinie 2004/38, wie etwa die Urteile NA(83) oder Diallo(84), bei einigen der in dieser Richtlinie enthaltenen Anforderungen Zweifel daran aufkommen lassen, ob sie den Charakter von Mindestvorschriften haben. Diese Entscheidungen sind jedoch in ihrem jeweiligen Kontext zu sehen. Da der Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren nämlich weder für die Auslegung des nationalen Rechts noch für die Anwendung des Unionsrechts auf den Einzelfall zuständig ist, erlässt er seine Urteile stets im Hinblick auf den sich aus der/den vorgelegten Frage/n ergebenden Sachverhalt ergehen, der nur bestimmte Aspekte des Rechtsstreits umfassen mag. Demzufolge kann der Gerichtshof dann, wenn er um Auslegung einer konkreten Bestimmung einer Richtlinie ersucht wird, auch dann, wenn diese Richtlinie vorsieht, dass sie lediglich Mindeststandards festlegt, die Frage nach der zutreffenden Auslegung der betreffenden Bestimmung, je nachdem, wie die Frage gestellt ist, möglicherweise unabhängig von dieser Option oder davon, wie diese Option von den Mitgliedstaaten möglicherweise ausgeübt wird, beantworten(85). Die in dieser Art der Fallgestaltung gegebene Antwort lässt daher die Möglichkeit unberührt, dass Mitgliedstaaten, allein auf der Grundlage ihres nationalen Rechts, ein Recht auf Einreise und Aufenthalt zu günstigeren Bedingungen gewähren können(86). Dementsprechend sind die Lösungen der Urteile NA(87) oder Diallo(88), sobald sie in den Kontext des Vorabentscheidungsmechanismus gestellt werden, nicht dahin zu verstehen, dass sie den Mitgliedstaaten verbieten, eine Aufenthaltserlaubnis in den genannten Fällen zu erteilen, sondern vielmehr dahin, dass sie die Mitgliedstaaten dazu nicht verpflichten(89).

108. Was Art. 60 des Übereinkommens von Istanbul anbelangt, ist dort vorgesehen, dass die Unterzeichnerparteien im Wesentlichen anerkennen müssen, dass Gewalt gegen Frauen aufgrund des Geschlechts als eine Form der Verfolgung im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 und als eine Form schweren Schadens anerkannt wird, die einen ergänzenden/subsidiären Schutz begründet.

109. Insoweit regeln wiederum bestimmte Richtlinien der ersten Generation, dass sie lediglich Mindestvorschriften festlegen(90). Zwar ist in jüngeren Richtlinien geregelt, dass die Mitgliedstaaten günstigere Normen nur erlassen oder beibehalten dürfen, „sofern sie mit diese[n] Richtlinie[n] vereinbar sind“, was darauf hindeuten könnte, dass bei bestimmten Vorschriften möglicherweise keine günstigeren Normen erlassen werden dürfen(91). Mit diesen Richtlinien werden indes Verfahrensrechte oder ‑garantien gewährt oder alternativ die Mitgliedstaaten verpflichtet, bestimmte Umstände zu berücksichtigen, ohne dass die Möglichkeit ausgeschlossen wird, dass daneben auch noch andere gewährt oder berücksichtigt werden. Insbesondere dürfte keiner der in diesen Instrumenten geregelten Gründe für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling oder für das Erlöschen oder die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus geeignet sein, gegen die Bestimmungen des Übereinkommens von Istanbul zu verstoßen.

110. Selbstverständlich erfolgt durch das Unionsrecht in gewissem Maße eine Harmonisierung der Voraussetzungen, nach denen Drittstaatsangehörige oder Staatenlose Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, haben, sowie des Inhalt dieser Rechtsstellung(92). Ihrem Wesen nach dürfte es jedoch möglich sein, diese Voraussetzungen im Sinne von Art. 60 des Übereinkommens von Istanbul anzuwenden. Insbesondere im Hinblick auf die Flüchtlingseigenschaft sei darauf hingewiesen, dass Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95(93) den Begriff „Flüchtling“ definiert als einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung, u. a. wegen seiner „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“, sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder nicht in Anspruch nehmen will; der Begriff „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ ist in Art. 10 dieser Richtlinie sehr weit definiert u. a. als Gruppe, deren „Mitglieder … angeborene Merkmale … gemein haben“(94). Weiterhin ist dort bestimmt, dass „[g]eschlechtsbezogene Aspekte, einschließlich der geschlechtlichen Identität, … zum Zweck der Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der Ermittlung eines Merkmals einer solchen Gruppe angemessen berücksichtigt [werden]“.

111. Schließlich lässt sich im Hinblick auf Art. 61 des Übereinkommens von Istanbul feststellen, dass danach die Vertragsparteien die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um den Grundsatz des Verbots der Zurückweisung zu achten, eine Verpflichtung, die im Unionsrecht bereits vorgesehen ist(95).

112. Jedenfalls scheint es mir in der vorliegenden Rechtssache keiner abschließenden Entscheidung darüber zu bedürfen, ob die Union, wie der Rat meint, aufgrund von Art. 3 Abs. 2 AEUV die ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul in diesen beiden Bereichen hat und ob die Union folglich verpflichtet ist, die genannten Befugnisse auszuüben. Selbst wenn sich nämlich herausstellen sollte, dass es sich bei diesen weiterhin um geteilte Zuständigkeiten handelt, weil keine Gefahr besteht, dass die gemeinsamen Unionsvorschriften für diesen Bereich durch den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul beeinträchtigt werden könnten, stünde es dem Rat gleichwohl frei, sie auszuüben, und dies würde grundsätzlich auch geschehen(96). Wie ich vorstehend bereits erläutert habe, beruht die vom Parlament gestellte Frage auf der Prämisse, dass die Union ihre Zuständigkeiten zumindest auf den Gebieten Asyl und Einwanderung sowie justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen ausüben wird.

B.      Untersuchung der Zielsetzungen und Komponenten des Übereinkommens von Istanbul

113. Nach seiner Präambel besteht das Ziel des Übereinkommens von Istanbul darin, „ein Europa zu schaffen, das frei von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ist“. Nach Art. 1 dieses Übereinkommens ist die Verwirklichung dieses Ziels in fünf Unterziele unterteilt, nämlich

–        „Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen;

–        einen Beitrag zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau zu leisten und eine echte Gleichstellung von Frauen und Männern, auch durch die Stärkung der Rechte der Frauen, zu fördern;

–        einen umfassenden Rahmen sowie umfassende politische und sonstige Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung aller Opfer von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu entwerfen;

–        die internationale Zusammenarbeit im Hinblick auf die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu fördern;

–        Organisationen und Strafverfolgungsbehörden zu helfen und sie zu unterstützen, um wirksam mit dem Ziel zusammenzuarbeiten, einen umfassenden Ansatz für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt anzunehmen.“

114. Was den Inhalt des Übereinkommens von Istanbul angeht, so umfasst dieses Übereinkommen 81 Artikel, die in 12 Kapitel mit folgenden Bezeichnungen gegliedert sind:

–        Kapitel I – Zweck, Begriffsbestimmungen, Gleichstellung und Nichtdiskriminierung, allgemeine Verpflichtungen;

–        Kapitel II – Ineinandergreifende politische Maßnahmen und Datensammlung;

–        Kapitel III – Prävention;

–        Kapitel IV – Schutz und Unterstützung;

–        Kapitel V – Materielles Recht;

–        Kapitel VI – Ermittlungen, Strafverfolgung, Verfahrensrecht und Schutzmaßnahmen;

–        Kapitel VII – Migration und Asyl;

–        Kapitel VIII – Internationale Zusammenarbeit;

–        Kapitel IX – Überwachungsmechanismus;

–        Kapitel X – Verhältnis zu anderen völkerrechtlichen Übereinkünften;

–        Kapitel XI – Änderungen des Übereinkommens;

–        Kapitel XII – Schlussbestimmungen.

115. Kapitel I des Übereinkommens von Istanbul enthält Bestimmungen über Ziele und Begriffsbestimmungen sowie das Verhältnis dieses Übereinkommens zu Gleichstellung und Nichtdiskriminierung sowie allgemeinen Verpflichtungen. Insbesondere enthält es eine Begriffsbestimmung der wichtigsten im Text verwendeten Termini(97) und verpflichtet die Vertragsparteien, alle Formen der Diskriminierung zu verurteilen, indem sie die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichheit von Männern und Frauen in ihren Rechtsordnungen sicherstellen; ferner wird präzisiert, dass der Rückgriff auf positive Maßnahmen möglich ist(98). Die Vertragsparteien müssen danach ferner die gebotene Sorgfalt walten lassen, um ihrer Pflicht zur Verhütung, Untersuchung und Bestrafung von in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Gewalttaten, die von Personen, die nicht im Auftrag des Staates handeln, begangen wurden, und zur Bereitstellung von Entschädigung für solche Gewalttaten nachzukommen(99). Schließlich sind die Vertragsparteien nach diesem Kapitel u. a. verpflichtet, Maßnahmen der Gleichstellung von Frauen und Männern und der Stärkung der Rechte der Frauen zu fördern(100).

116. Nach Kapitel II sind die Vertragsparteien verpflichtet, eine umfassende Politik der Reaktion auf Gewalt gegen Frauen umzusetzen, indem sie eine wirksame Zusammenarbeit zwischen allen einschlägigen Behörden, Einrichtungen und Organisationen und ggf. auch einschlägigen Akteuren, wie Regierungsstellen, nationalen, regionalen und lokalen Parlamenten und Behörden, nationalen Menschenrechtsinstitutionen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, gewährleisten(101). Ferner haben die Vertragsparteien einschlägige, genau aufgeschlüsselte statistische Daten zu sammeln und sich zu bemühen, in regelmäßigen Abständen bevölkerungsbezogene Studien über Fälle aller in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallender Formen von Gewalt durchzuführen(102).

117. In Kapitel III sind die Verpflichtungen der Vertragsparteien im Bereich der Prävention im Einzelnen aufgeführt. Die Vertragsparteien sind im Grundsatz verpflichtet, einen breit gefächerten Ansatz, einschließlich bewusstseinsbildender Maßnahmen, der Einbeziehung der Geschlechtergleichstellung und des Themas Gewalt in der formalen Bildung auf allen Ebenen durch geeignete Unterrichtsmaterialien und Lehrpläne, zu verfolgen und die Förderung der Gewaltlosigkeit und der Gleichstellung der Geschlechter auch auf außerschulische Bildungsstätten wie Sport‑, Kultur- und Freizeiteinrichtungen und auf die Medien zu erweitern(103). Die Vertragsparteien müssen sicherstellen, dass für Fachleute, die mit Opfern und Tätern zu tun haben, geeignete Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zur Verfügung stehen(104). Ferner müssen vorbeugende Interventions- und Behandlungsprogramme geschaffen(105) und der private Sektor aufgefordert werden, sich an der Ausarbeitung und Umsetzung solcher politischer Maßnahmen zu beteiligen sowie an der Ausarbeitung von Maßnahmen und Normen der Selbstregulierung mitzuwirken(106).

118. Kapitel IV definiert die Verpflichtungen der Vertragsparteien im Bereich des Schutzes und der Unterstützung von Opfern(107). Zu diesen Verpflichtungen gehört die angemessene und rechtzeitige Information über verfügbare Hilfsdienste und rechtliche Maßnahmen in einer ihnen verständlichen Sprache(108), die Gewährleistung der Verfügbarkeit allgemeiner Hilfsdienste wie Gesundheits- und Sozialdienste, rechtliche und psychologische Beratung, finanzielle Unterstützung, Unterkunft, Ausbildung, Schulung sowie Unterstützung bei der Arbeitssuche(109) sowie spezialisierter Hilfsdienste, einschließlich Schutzunterkünften, kostenfreier und ständig erreichbarer Telefonhotlines, spezifischer medizinischer und forensischer Unterstützung der Opfer von sexueller Gewalt und der Berücksichtigung der Bedürfnisse von Kindern, die Zeugen von Gewalt geworden sind(110). Die Vertragsparteien müssen die erforderlichen Maßnahmen treffen, um alle Personen, die Zeugen einer Gewalttat geworden sind oder die Gründe für die Annahme haben, dass eine solche Tat begangen werden könnte oder weitere Gewalttaten zu erwarten sind, zu ermutigen, dies den zuständigen Organisationen oder Behörden zu melden. Ferner muss festgelegt werden, unter welchen Voraussetzungen die Meldung von Gewalttaten oder zu erwartender Gewalttaten durch Angehörige bestimmter Berufsgruppen nicht gegen die für sie geltenden Vertraulichkeitsvorschriften verstößt(111).

119. Kapitel V zum materiellen Recht enthält die detailliertesten Bestimmungen. Erstens müssen die Vertragsparteien danach die Opfer mit angemessenen zivilrechtlichen Rechtsbehelfen gegenüber Tätern körperlicher oder psychischer Gewalttaten ausstatten, einschließlich einer Entschädigung, sicherstellen, dass unter Zwang geschlossene Ehen ohne unangemessene finanzielle oder administrative Belastung für das Opfer anfechtbar sind, für nichtig erklärt oder aufgelöst werden können, und dass in den Geltungsbereich des Übereinkommens von Istanbul fallende gewalttätige Vorfälle bei Entscheidungen über das Besuchs- und Sorgerecht betreffend Kinder berücksichtigt werden(112). Zweitens werden in diesem Kapitel Verhaltensweisen aufgeführt, die strafbar sein müssen, nämlich psychische Gewalt durch Drohung oder Nötigung, Nachstellung, körperliche Gewalt, sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung, Zwangsheirat, Verstümmelung weiblicher Genitalien, Zwangsabtreibung und Zwangssterilisierung und sexuelle Belästigung(113). Dieses Kapitel verpflichtet die Vertragsparteien ferner, die Beihilfe oder Anstiftung zur Begehung der Straftaten und den Versuch ihrer Begehung unter Strafe zu stellen(114). Drittens ist in Kapitel V geregelt, dass die Vertragsparteien Maßnahmen ergreifen müssen, um ausschließen zu können, dass diese Straftaten mit einer Wiederherstellung der „Ehre“ gerechtfertigt werden können(115), und dass die nach diesem Übereinkommen umschriebenen Straftaten unabhängig von der Art der Täter-Opfer-Beziehung Anwendung finden(116). Viertens verpflichtet es die Vertragsparteien, die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen zu treffen, um ihre Gerichtsbarkeit über die nach diesem Übereinkommen umschriebenen Straftaten zu begründen, wenn die Straftat eine Verbindung zu ihrem Hoheitsgebiet oder einem ihrer Staatsangehörigen aufweist(117). Fünftens verpflichtet es die Vertragsparteien, für angemessene und abschreckende Sanktionen zu sorgen(118) und bestimmte aufgezählte Fälle als erschwerende Umstände zu betrachten(119). Schließlich ermöglicht Kapitel V den Vertragsparteien, Urteilen einer anderen Vertragspartei, die für die nach diesem Übereinkommen umschriebenen Straftaten ergangen sind, bei der Festlegung des Strafmaßes Rechnung zu tragen(120), und untersagt, alternative Streitbeilegungsverfahren zwingend vorzuschreiben(121).

120. Gegenstand von Kapitel VI sind das Verfahrensrecht und Schutzmaßnahmen während der Ermittlungen und der Gerichtsverfahren(122). Die Vertragsparteien müssen u. a. sicherstellen, dass die Strafverfolgungsbehörden den Opfern umgehend geeigneten Schutz bieten, einschließlich der Sammlung von Beweismaterial(123) und der Analyse der Gefahr für Leib und Leben und der Schwere der Situation(124). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Täter Zugang zu Schusswaffen hat. In den Rechtsordnungen muss die Möglichkeit von Eilschutzanordnungen, Kontaktverboten oder Schutzanordnungen vorgesehen werden, ohne dass dies eine unangemessene finanzielle Belastung oder übermäßigen Verwaltungsaufwand für die Opfer darstellt(125). Verstöße gegen diese Anordnungen müssen Gegenstand wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender strafrechtlicher oder sonstiger rechtlicher Sanktionen sein. Die Vertragsparteien stellen sicher, dass Beweismittel betreffend das sexuelle Vorleben und Verhalten des Opfers nur dann zugelassen werden, wenn sie sachdienlich und notwendig sind(126), und dass die schwersten Straftaten nicht gänzlich von einer Meldung oder Anzeige des Opfers abhängig gemacht werden(127). Die Vertragsparteien müssen ferner sicherstellen, dass staatliche und nichtstaatliche Organisationen sowie Beraterinnen und Berater bei häuslicher Gewalt die Möglichkeit erhalten, den Opfern in den Ermittlungen und Gerichtsverfahren wegen der nach diesem Übereinkommen umschriebenen Straftaten beizustehen und/oder sie zu unterstützen, wenn diese darum ersuchen. Dieses Kapitel des Übereinkommens sieht eine offene Liste von Maßnahmen zum Schutz der Rechte und Interessen der Opfer, insbesondere ihrer Bedürfnisse als Zeugen in allen Abschnitten der Ermittlungen und Gerichtsverfahren vor. Für Kinder, die Opfer und Zeugen von Gewalt geworden sind, sind unter Berücksichtigung des Kindeswohls besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen(128). Schließlich müssen die Vertragsparteien das Recht der Opfer auf Rechtsberatung vorsehen(129), und sie müssen sicherstellen, dass die Verjährungsfrist für die Einleitung von Strafverfahren ausreichend lang ist, um die tatsächliche Einleitung von Verfahren zu ermöglichen, nachdem das Opfer volljährig geworden ist(130).

121. Kapitel VII sieht vor, dass die Vertragsparteien auch die erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen zu treffen haben, um zu verhindern, dass der Aufenthaltsstatus der Opfer durch Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt beeinträchtigt wird(131), sowie dass Gewalt gegen Frauen aufgrund des Geschlechts als eine Form der Verfolgung und als eine Form schweren Schadens anerkannt wird, die einen ergänzenden/subsidiären Schutz im Sinne des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge begründet(132). Darüber hinaus müssen die Vertragsparteien geschlechtersensible Asylverfahren einführen. Dieses Kapitel soll ferner sicherstellen, dass der Grundsatz der Nichtzurückweisung auf Opfer von Gewalt gegen Frauen unter allen Umständen angewandt wird(133).

122. Kapitel VIII ist der Gewährleistung der internationalen Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien bei der Umsetzung des Übereinkommens von Istanbul gewidmet. Insbesondere müssen die Vertragsparteien sicherstellen, dass das Opfer einer Straftat, die im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei begangen wurde, bei den zuständigen Behörden seines Wohnsitzstaats Anzeige erstatten kann(134). In Situationen, in denen eine unmittelbare Gefahr für eine Person besteht, müssen die Vertragsparteien sich gegenseitig informieren, damit die geeigneten Schutzmaßnahmen getroffen werden können(135). Ferner hat danach die ersuchende Vertragspartei ein Recht auf Unterrichtung über das endgültige Ergebnis der nach diesem Kapitel getroffenen Maßnahmen(136).

123. Gegenstand von Kapitel IX ist der Überwachungsmechanismus für die Umsetzung des Übereinkommens von Istanbul, mit dessen Umsetzung GREVIO beauftragt ist.

124. In Kapitel X wird präzisiert, dass das Übereinkommen von Istanbul die Verpflichtungen der Vertragsparteien aus anderen völkerrechtlichen Übereinkommen nicht berührt, und dass es den Parteien freisteht, andere internationale Abkommen zu schließen, die die Bestimmungen zu den in dem Übereinkommen geregelten Sachverhalten ergänzen oder stärken.

125. In Kapitel XI ist das Verfahren für Änderungen an dem Übereinkommen dargelegt.

126. Kapitel XII enthält die Schlussbestimmungen. Dort wird speziell erwähnt, dass das Übereinkommen von Istanbul zur Unterzeichnung durch die Europäische Union ausliegt(137). In diesem Kapitel wird auch festgelegt, dass Vorbehalte nur in begrenzten Fällen und unter bestimmten Bedingungen eingelegt werden können(138).

127. Wie die Kommission in ihrem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt festgestellt hat(139), dürfte der Abschluss des Übereinkommens von Istanbul durch die Union eine Vielzahl von Zuständigkeiten betreffen, über die sie allein oder gemeinsam mit den Mitgliedstaaten verfügt. Dementsprechend kann eine Vielzahl von Rechtsgrundlagen nach dem AEUV theoretisch relevant sein, wie beispielsweise „Artikel 16 (Datenschutz), Artikel 19 Absatz 1 (Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts), Artikel 23 (konsularischer Schutz für Bürger eines anderen Mitgliedstaats), Artikel 18, 21, 46 und 50 (Freizügigkeit der Bürger, Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Niederlassungsfreiheit), Artikel 78 (Asyl, subsidiärer und vorübergehender Schutz), Artikel 79 (Einwanderung), Artikel 81 (justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen), Artikel 82 (justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen), Artikel 83 (Definitionen der Begriffe ‚EU-weite Straftaten‘ und ‚Strafen bei besonders schweren Verbrechen mit grenzüberschreitender Dimension‘), Artikel 84 (Festlegung von Maßnahmen im Bereich der Kriminalprävention unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten) und Artikel 157 (Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen)“. Diesen Rechtsgrundlagen könnte man, auch wenn sie von der Kommission nicht angeführt werden, Art. 165 AEUV (Entwicklung einer qualitativ hoch stehenden Bildung), Art. 166 AEUV (Führung einer Politik der beruflichen Bildung) oder Art. 336 AEUV (Beschäftigungsbedingungen für die Beamten und Bediensteten der Union) hinzufügen(140).

128. Wie bereits erläutert, müssen die Rechtsgrundlage/n eines Rechtsakts jedoch nicht alle für seinen Erlass ausgeübten Zuständigkeiten widerspiegeln. Der Beschluss zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul durch die Union muss lediglich auf die Rechtsgrundlage/n gestützt werden, die dem (künftigen) Schwerpunkt dieses Beschlusses entspricht/entsprechen.

C.      Bestimmung der Hauptzielsetzungen und komponenten des Beschlusses zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union

129. Wenn es für die Antwort auf die erste Frage Buchst. a lediglich auf die Ziele und den Inhalt des Übereinkommens von Istanbul ankäme, hätte es lediglich der Feststellung bedurft, dass dieses Übereinkommen zwar mehrere Komponenten hat, seine Hauptzielsetzung und ‑komponente jedoch eindeutig in der Beseitigung der geschlechtsbezogenen Diskriminierung liegt(141). Dem erläuternden Bericht zu dem Übereinkommen zufolge soll, seiner Präambel zufolge, mit diesem nämlich anerkannt werden, dass „ein Zusammenhang zwischen der Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und der rechtlichen und tatsächlichen Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen und Männern“ besteht(142). Es heißt dort weiter, dass „[d]ie Definition von ‚Gewalt gegen Frauen‘ … eindeutig klar[stellt], dass zur Durchführung des Übereinkommens Gewalt gegen Frauen als Verstoß gegen die Menschenrechte und eine Form der Diskriminierung von Frauen verstanden werden muss“(143). Demnach dürfte mangels einer spezielleren Rechtsgrundlage die einschlägige Rechtsgrundlage Art. 3 Abs. 3 EUV sein, der in Verbindung mit Art. 19 AEUV der Union die Zuständigkeit überträgt, „geeignete Vorkehrungen [zu] treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts … zu bekämpfen“.

130. Um jedoch die Rechtsgrundlage zu bestimmen, auf die der Beschluss zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union zu stützen ist, sind nicht nur die Zielsetzungen und Komponenten dieses Übereinkommens zu berücksichtigen, sondern auch die diesem Beschluss selbst zugrunde liegenden spezielleren Zielsetzungen und Komponenten.

131. In der vorliegenden Rechtssache wird mehr oder weniger selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Union nach dem Willen des Rates keine anderen Zuständigkeiten ausüben soll als diejenigen, die den in der Frage des Parlaments genannten Bestimmungen entsprechen, zu denen Art. 3 Abs. 3 EUV oder Art. 19 AEUV hier nicht gehören.

132. Dementsprechend kann der Beschluss zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union nur dann auf diese Bestimmungen gestützt werden, wenn sich zumindest herausstellt, dass die Union die entsprechende externe Zuständigkeit notwendigerweise ausüben muss.

133. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Beseitigung geschlechtsspezifischer Diskriminierung keiner der Bereiche nach Art. 3 Abs. 1 AEUV ist, für die die Union grundsätzlich eine ausschließliche Zuständigkeit hat. Was die verschiedenen Fälle einer ausschließlichen Außenzuständigkeit in Art. 3 Abs. 2 AEUV angeht, dürfte nur der Fall des Abs. 2 dritte Alternative dieser Bestimmung (nämlich dass die Union eine ausschließliche Außenzuständigkeit für den Abschluss einer internationalen Übereinkunft hat) im Hinblick auf die Bestimmungen der Übereinkunft relevant sein, die geeignet sind, gemeinsame Regeln der Union zu beeinträchtigen.

134. Wie bereits erläutert, ist der Union in Anbetracht dessen, dass das Übereinkommen von Istanbul lediglich Mindestvorschriften festlegt, daher nur dann eine ausschließliche Zuständigkeit wegen des Bestehens gemeinsamer Vorschriften, die durch den Abschluss dieses Übereinkommens beeinträchtigt werden könnten, zugewiesen, wenn diese gemeinsamen Vorschriften sich nicht lediglich auf die Festlegung von Mindeststandards beschränken. Die im Bereich der Bekämpfung der Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts erlassenen gemeinsamen Vorschriften, die sich aus der Richtlinie 2000/78(144), der Richtlinie 2004/113(145), der Richtlinie 2006/54(146) oder der Richtlinie 2010/41(147) ergeben, stellen jedoch nur Mindestvorschriften dar, da sie alle vorsehen, dass die Mitgliedstaaten günstigere Bestimmungen einführen oder beibehalten können.

135. Ausgehend vom gegenwärtigen Inhalt der gemeinsamen Vorschriften zur Bekämpfung der Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts ist festzustellen, dass die Union nicht über eine ausschließliche Außenzuständigkeit für diesen Bereich verfügt. Sie ist daher für den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul nicht dazu verpflichtet, ihre Zuständigkeit für die Bekämpfung der Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts auszuüben(148). Soweit die aufgeworfene Frage von der Prämisse ausgeht, dass die Union keine anderen Zuständigkeiten als diejenigen für Asyl und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen ausübt, sind Art. 3 Abs. 3 EUV oder Art. 19 AEUV keine geeigneten Rechtsgrundlagen für den Erlass des Beschlusses zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union.

136. Vor diesem Hintergrund schlage ich jetzt vor, zu prüfen, ob es Rechtsgrundlagen gibt, die dieses Übereinkommen zwar nicht vollständig, gleichwohl aber wichtige Teile davon abdecken dürften und die zugleich Zuständigkeiten entsprechen, die die Union bei Abschluss dieses Übereinkommens hat oder auszuüben beabsichtigt. Die Tatsache an sich, dass die Union andere als die vom Parlament in seinen Fragen erwähnten Zuständigkeiten ausüben muss, reicht nämlich nicht dafür aus, dass sie zu diesem Zweck berücksichtigt werden. Ebenso wichtig ist, dass diese Zuständigkeiten Komponenten des Übereinkommens von Istanbul von zumindest gleicher Bedeutung wie die abdecken, die durch die vom Parlament genannten abgedeckt werden.

137. Hierzu werde ich zunächst prüfen, ob es andere als die vom Parlament in seiner Frage in Betracht gezogenen Zuständigkeiten gibt, die hinreichend relevant erscheinen und zu deren Ausübung die Union für den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul verpflichtet sein wird.

D.      Bestehen anderer als der vom Parlament in seiner Frage genannten Rechtsgrundlagen, die erstens Zuständigkeiten entsprechen, zu deren Ausübung die Union verpflichtet wäre, und zweitens den Zielsetzungen und Komponenten des Übereinkommens von Istanbul entsprechen, die als zumindest ebenso wichtig angesehen werden können wie die, die durch die vom Parlament genannten abgedeckt werden

138. Von den verschiedenen, in Nr. 127 der vorliegenden Schlussanträge genannten Zuständigkeiten, die vom Übereinkommen von Istanbul betroffen sein dürften, erscheinen nur vier hinreichend relevant dahin, dass sie geeignet sein könnten, wichtige Teile dieses Übereinkommens abzudecken, und zwar Art. 165 AEUV (Entwicklung einer qualitativ hoch stehenden Bildung), Art. 166 AEUV (Führung einer Politik der beruflichen Bildung), Art. 81 AEUV (justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen) und Art. 336 AEUV (Beschäftigungsbedingungen für die Beamten und Bediensteten der Union).

Zu den Aspekten des Übereinkommens von Istanbul betreffend die allgemeine und berufliche Bildung

139. Nach Art. 6 AEUV hat die Union nur eine unterstützende Zuständigkeit für Fragen der allgemeinen und beruflichen Bildung. Für diese Zuständigkeit kann schon ihrem Wesen nach seitens der Union nicht von einem Vorgriffsrecht Gebrauch gemacht werden, so dass die Union niemals zu ihrer Ausübung verpflichtet ist.

Zu den Aspekten des Übereinkommens von Istanbul betreffend die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen

140. Nach Art. 81 Abs. 1 AEUV fällt die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug unter die von der Union mit den Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeiten. Nach Satz 2 dieser Bestimmung kann diese Zusammenarbeit den Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten umfassen(149). Art. 81 Abs. 2 AEUV enthält eine abschließende Aufzählung der Ziele, die mit den Maßnahmen, die von der Union erlassen werden können, verfolgt werden können.

141. Auf der Grundlage dieser Bestimmung hat die Union verschiedene Vorschriften erlassen. Einige, wie etwa die Richtlinie 2003/8/EG des Rates, die der Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug dient, legen nur Mindeststandards fest(150). Ebenso regelt Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/52(151), dass diese Richtlinie nicht für Rechte und Pflichten gilt, über die die Parteien nach dem einschlägigen anwendbaren Recht nicht verfügen können. Daher schließt diese Richtlinie die Möglichkeit nicht aus, dass die Mitgliedstaaten die Nutzung der Mediation in bestimmten Bereichen verbieten können(152).

142. Es gibt jedoch andere Instrumente, die Regelungen enthalten, die eindeutig nicht lediglich Mindestvorschriften festlegen(153). Der Gerichtshof hat insbesondere im Zusammenhang mit der Einführung von Mechanismen zur Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen bereits entschieden, dass die Union eine Außenkompetenz erworben habe(154).

143. Soweit Art. 62 des Übereinkommens von Istanbul eine Zusammenarbeit der Unterzeichnerparteien bei der Vollstreckung einschlägiger, von den Justizbehörden der Vertragsparteien erlassener zivil- und strafrechtlicher Urteile, Entscheidungen und Beschlüsse, einschließlich Schutzanordnungen, vorsieht, wird die Union verpflichtet sein, zumindest ihre ausschließliche Außenzuständigkeit für die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen im Hinblick auf bestimmte Bestimmungen des Übereinkommens, wie etwa Art. 62 Abs. 1 Buchst. a, auszuüben.

Zu den Aspekten des Übereinkommens betreffend die Festlegung der Beschäftigungsbedingungen ihrer Beamten und Bediensteten

144. Nach Art. 336 AEUV erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen nach Anhörung der anderen betroffenen Organe das Statut der Beamten der Europäischen Union und die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Union.

145. Zwar beziehen sich die Beschäftigungsbedingungen der Union für ihre Bediensteten nicht auf die in den Art. 3 und 6 AEUV genannten Bereiche. Dementsprechend teilt die Union diese Zuständigkeit nach Art. 4 Abs. 1 AEUV mit den Mitgliedstaaten. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass für diese Zuständigkeit durch den Erlass der Verordnung Nr. 31 (EWG), 11 (EAG) über das Statut der Beamten und über die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft(155) vom Vorgriffsrecht Gebrauch gemacht worden und daher davon auszugehen ist, dass die Union nach Art. 3 Abs. 2 EUV eine ausschließliche Außenzuständigkeit für den Bereich erworben hat.

146. Folglich sind neben den vom Parlament genannten Rechtsgrundlagen auch die Art. 81 und 366 AEUV in die Prüfung einzubeziehen, auf welcher Rechtsgrundlage bzw. welchen Rechtsgrundlagen der Beschluss zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union zu erlassen ist.

147. Was andere als die vier vorstehend geprüften oder die vom Parlament in seiner Frage in Betracht gezogenen Zuständigkeiten betrifft, sind meines Erachtens, selbst dann, wenn bestimmte Bestimmungen des Übereinkommens von Istanbul in diese Zuständigkeiten fallen, diese Bestimmungen aus den von mir soeben genannten Gründen nicht geeignet, den Schwerpunkt einer Entscheidung der Union zum Abschluss dieses Übereinkommens zu berühren. Dies liegt entweder daran, dass die Union nicht verpflichtet ist, diese Zuständigkeiten auszuüben, oder daran, dass unter den gegebenen Umständen angenommen werden kann, dass die betreffenden Bestimmungen Nebenbestimmungscharakter haben.

E.      Abschließende Beurteilung: Zur Relevanz der vom Parlament genannten und der vorstehend bezeichneten Rechtsgrundlagen, die als jeweils den auszuübenden Zuständigkeiten entsprechend, und als hinreichend relevante Zielsetzungen und Komponenten des Übereinkommens von Istanbul identifiziert worden sind

148. Insoweit erscheint wichtig, zunächst noch einmal hervorzuheben, was die vorliegende Rechtssache so speziell macht, nämlich dass die Union nicht alle Zuständigkeiten, die sie mit den Mitgliedstaaten teilt, ausüben wird. Insbesondere dürfte die Union diejenige Zuständigkeit nicht auszuüben haben, die die Zielsetzungen und übergreifenden Komponenten des Übereinkommens von Istanbul abdecken dürfte, nämlich die Bekämpfung der Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts(156).

149. Somit können andere mögliche Rechtsgrundlagen relevant werden, die anderenfalls von untergeordneter Bedeutung gewesen wären. Im Blick zu behalten ist jedoch, dass sie die Zielsetzungen und Komponenten des Übereinkommens von Istanbul nur sehr fragmentarisch abdecken. Es ist daher, wie bereits erläutert, im Vergleich mit den anderen möglichen Rechtsgrundlagen und nicht in absoluter Weise zu bestimmen, welches die einschlägige(n) Rechtsgrundlage(n) ist bzw. sind.

150. Mit seiner Frage möchte das Parlament wissen, ob der Beschluss zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul, wie vom Rat vorgesehen, zulässigerweise auf Art. 82 Abs. 2 und Art. 84 AEUV gestützt werden kann oder ob er vielmehr auf Art. 78 Abs. 2, Art. 82 Abs. 2 und Art. 83 Abs. 1 AEUV gestützt werden muss. Neben diesen Rechtsgrundlagen, von denen anzunehmen ist, dass sie Zuständigkeiten entsprechen, zu deren Ausübung sich die Union entschieden hat, sind aus den oben genannten Gründen auch die Art. 81 und 336 AEUV zu berücksichtigen. Ich schlage vor, mit den Art. 82 Abs. 2, Art. 83 Abs. 1 und Art. 84 AEUV, die alle im Dritten Teil Titel V Kapitel 4 des AEUV enthalten sind und die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen betreffen, sowie mit Art. 81 Abs. 1 AEUV zu beginnen.

151. Zunächst ist festzustellen, dass Art. 82 Abs. 2 AEUV der Union eine Zuständigkeit für die Festlegung von Mindestvorschriften zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen in Strafsachen sowie für die Einführung oder Verstärkung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension überträgt. Nach Art. 82 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV betreffen diese Maßnahmen, mangels einer vorherigen Entscheidung des Rates, mit der andere spezielle Aspekte des Strafverfahrens im Voraus bestimmt werden, die Zulässigkeit von Beweismitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedstaaten, die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren oder die Rechte der Opfer von Straftaten(157).

152. Wie bereits erwähnt, soll mit Kapitel VIII des Übereinkommens von Istanbul eine auf den Bereich des Strafrechts ausgerichtete internationale justizielle Zusammenarbeit eingeführt werden. Die in diesem Kapitel geregelten Bestimmungen dürften daher in den Anwendungsbereich von Art. 82 Abs. 2 AEUV fallen(158). Da die ausschließliche Zuständigkeit für Strafsachen weitgehend bei den Mitgliedstaaten verblieben ist, stellt meines Erachtens unter den möglichen Rechtsgrundlagen Art. 82 Abs. 2 AEUV, vergleichsweise und mangels einer Absicht der Union, ihre Zuständigkeit für Fragen der Gleichbehandlung auszuüben, eine Rechtsgrundlage dar, die geeignet ist, den von mir angesprochenen rechtlichen Schwerpunkt des künftigen Beschlusses abzudecken, mit dem der Abschluss des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union genehmigt wird. Bezeichnend ist vielleicht auch, dass die drei Organe, die schriftliche Stellungnahmen eingereicht haben – das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission – übereinstimmend der Ansicht sind, dass Art. 82 Abs. 2 AEUV eine der geeigneten materiellen Rechtsgrundlagen für den Erlass des Beschlusses zur Ermächtigung der Union zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul sei.

153. Unter diesen Voraussetzungen kommt Art. 81 Abs. 1 AEUV meines Erachtens als Rechtsgrundlage für den Beschluss zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union nicht in Betracht. Aus der allgemeinen Systematik dieses Übereinkommens ergibt sich nämlich eindeutig, dass diejenigen seiner Zielsetzungen und Komponenten, die unter die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen fallen dürften, gegenüber der Einführung einer internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen von untergeordneter Bedeutung sind. Aus den Bestimmungen des Kapitels VIII (Art. 62 bis 65) sowie der allgemeinen Systematik dieses Übereinkommens geht nämlich eindeutig hervor, dass einer strafrechtlichen Reaktion auf Gewalt gegen Frauen der Vorrang eingeräumt werden soll und dass die vorgesehene internationale Zusammenarbeit vor allem strafrechtlicher Natur ist. Unter diesen Umständen sind meines Erachtens die Bestimmungen des Übereinkommens von Istanbul, die die Einführung einer justiziellen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zivilrechts betreffen, gegenüber der strafrechtlichen Zusammenarbeit, die mit diesem Übereinkommen eingeführt werden soll, im Wesentlichen Nebenbestimmungen.

154. Was Art. 83 Abs. 1 AEUV angeht, überträgt diese Bestimmung der Union eine Zuständigkeit für die Festlegung von Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV enthält jedoch eine abschließende Aufzählung der betreffenden Bereiche, nämlich Terrorismus, Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität. Zwar kann nach Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 3 AEUV der Rat einen Beschluss zur Erweiterung dieser Liste erlassen, von dieser Möglichkeit hat er jedoch bisher offenbar keinen Gebrauch gemacht(159).

155. Ausgehend von den derzeit unter Art. 83 Abs. 1 AEUV fallenden Bereichen dürften die im Übereinkommen von Istanbul enthaltenen materiellen strafrechtlichen Bestimmungen nicht in die Zuständigkeit der Union fallen, sondern bei den Mitgliedstaaten verblieben sein. Allein der Umstand, dass die unter dieses Übereinkommen fallende Gewalt in einigen Fällen unter den Begriff des Menschenhandels oder der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern fallen kann, ist meines Erachtens für sich genommen nicht ausreichend, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass bestimmte Bestimmungen des Übereinkommens von Istanbul geeignet sind, in die der Union nach Art. 83 Abs. 1 AEUV zugewiesene Zuständigkeit zu fallen. Eine Anwendung dieser Rechtsgrundlage dürfte daher meines Erachtens in jedem Fall ausscheiden.

156. Was Art. 84 AEUV angeht, soll diese Bestimmung die Union in die Lage versetzen, unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten Maßnahmen festzulegen, um das Vorgehen der Mitgliedstaaten im Bereich der Kriminalprävention zu fördern und zu unterstützen. Fraglich ist somit, ob das Übereinkommen von Istanbul die Union im Falle seines Abschlusses verpflichtet, unterstützende Maßnahmen zu ergreifen.

157. Insoweit sieht dieses Übereinkommen mehrere Verpflichtungen der Unterzeichnerparteien vor, vorbeugende Maßnahmen oder Schutzmaßnahmen in bestimmter Anzahl zu ergreifen, die unmittelbar den Unterzeichnerparteien obliegen. Art. 84 AEUV sollte jedoch meines Erachtens nicht allzu restriktiv dahin verstanden werden, dass er nur den Erlass von Maßnahmen erlaubt, deren Adressaten die Mitgliedstaaten sind, sondern vielmehr dahin, dass er, wie seinem Wortlaut eindeutig zu entnehmen ist, auch den Erlass von Maßnahmen zur Unterstützung der Maßnahmen der Staaten erlaubt, d. h. zusätzlich zu den von den Staaten erlassenen Maßnahmen, ohne dass damit jedoch ausgeschlossen wäre, dass natürliche Personen davon unmittelbar betroffen sein können.

158. Zur Bedeutung der Zielsetzungen und Komponenten des Übereinkommens von Istanbul, die sich auf die Kriminalprävention beziehen, wird die Union, wie bereits erläutert, nicht alle ihre Zuständigkeiten, insbesondere nicht ihre Zuständigkeit für die Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ausüben. Die Einstufung einer Rechtsgrundlage nimmt relativen Charakter an. Mit anderen Worten ist die Frage, ob bestimmte betroffene Zielsetzungen und Komponenten als überwiegend oder hauptsächlich anzusehen sind, im Vergleich mit den anderen Zielsetzungen und Komponenten des Übereinkommens von Istanbul zu beurteilen, die für die Union verbindlich werden, da die Union sich für die Ausübung der entsprechenden Zuständigkeiten entschieden hat.

159. Unter diesen Umständen dürften, da der Rat den Umfang der von der Union bei Abschluss des Übereinkommens von Istanbul übernommenen rechtlichen Verpflichtungen einschränken will, die Zielsetzungen und Komponenten des Beschlusses zur Genehmigung des Abschlusses dieses Übereinkommens durch die Union, die geeignet sind, unter Art. 84 AEUV zu fallen, meines Erachtens ebenso überwiegend sein wie diejenigen, die unter Art. 82 Abs. 2 AEUV fallen. Im Übrigen sind sowohl die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen als auch die Verhütung von Gewalt gegen Frauen Gegenstand eines ganzen Kapitels dieses Übereinkommens.

160. Was Art. 78 Abs. 2 AEUV angeht, ist dort die Zuständigkeit der Union für die Schaffung eines gemeinsamen Asylsystems geregelt. Richtig ist zwar, wie vom Parlament vorgetragen, dass das Übereinkommen von Istanbul nur drei Artikel enthält, die sich mit Migration und Asyl befassen. Nach Art. 59 dieses Übereinkommens sind die Parteien verpflichtet, in ihren nationalen Rechtsvorschriften die Möglichkeit vorzusehen, dass Migrantinnen, die Opfer von Gewalt geworden sind, ein eigenständiger Aufenthaltsstatus gewährt werden kann, während die Vertragsparteien nach den Art. 60 bzw. 61 des Übereinkommens im Wesentlichen dazu verpflichtet sind, Gewalt gegen Frauen als eine Form der Verfolgung anzuerkennen, Anträge auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus auf der Grundlage einer geschlechtersensiblen Auslegung zu prüfen und den Grundsatz der Nichtzurückweisung von Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, einzuhalten.

161. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass erstens diese drei Bestimmungen gleichwohl ein gesondertes Kapitel bilden, was verdeutlicht, dass das Übereinkommen von Istanbul diesen Fragen ebenso große Bedeutung beimisst, wie der justiziellen Zusammenarbeit oder vorbeugenden Maßnahmen. Zweitens entsprechen diese Bestimmungen im Gegensatz zu den meisten Bestimmungen, für die die Union zuständig ist, nicht dem derzeit in der Union geltenden Recht. Nach gegenwärtigem Stand sieht das Unionsrecht keine allgemeine Verpflichtung vor, Gewalt gegen Frauen als eine Form der Verfolgung zu berücksichtigen, die zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus führen kann; die Einführung einer solchen ausdrücklichen Verpflichtung könnte ferner bedeutende praktische Auswirkungen haben. Drittens ist vor allem auch zu bedenken, dass, da der Rat einen auf bestimmte Zuständigkeiten beschränkten Abschluss beabsichtigt, ein sehr großer Teil der Bestimmungen des Übereinkommens von Istanbul nicht in die alleinige Zuständigkeit der Union fallen wird.

162. Insoweit sollte Art. 78 Abs. 2 AEUV meines Erachtens zu den Rechtsgrundlagen des Beschlusses zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul im Namen der Union gehören, da er Zielsetzungen und Komponenten abdeckt, die zumindest im Vergleich zu den anderen Zielsetzungen und Komponenten dieses künftigen Beschlusses als überwiegend anzusehen sind. Auch wenn die Ansicht vertreten werden könnte, dass bestimmte Zielsetzungen oder Komponenten dieses Übereinkommens in eine von mir noch nicht genannte ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen könnten, können diese nämlich allenfalls untergeordneter Natur sein.

163. Was schließlich die Beschäftigungsbedingungen der Union für ihre Bediensteten angeht, dürfte meines Erachtens auf der Hand liegen, dass allein der Umstand, dass eine internationale Übereinkunft auch geeignet ist, Bedienstete der Union zu betreffen, normalerweise nicht ausreicht, um die Angabe von Art. 336 AEUV zu rechtfertigen; erforderlich ist, dass die Anwendung dieser Übereinkunft auf diese Bediensteten die Zielsetzung oder die Hauptkomponente des Beschlusses zum Abschluss der genannten Übereinkunft darstellt.

164. Da die Union in der vorliegenden Rechtssache ihre Zuständigkeit für die Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nicht auszuüben beabsichtigt, stelle ich jedoch fest, dass die angeführten sonstigen Rechtsgrundlagen diese Übereinkunft nur sehr fragmentarisch abdecken. Ein bedeutender Teil der Zielsetzungen und Komponenten des Übereinkommens von Istanbul, insbesondere diejenigen, die darauf abzielen, bestimmte Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen, fallen in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Die Verpflichtungen, die die Union übernehmen muss, wenn sie an ihrer Absicht eines begrenzten Beitritts festhält, werden nämlich eher begrenzt sein. Unter diesen Umständen dürften die Zielsetzungen und Komponenten dieses Übereinkommens, die unter Art. 336 AEUV fallen könnten, aus der Sicht der Union vergleichsweise ebenso wichtig sein wie die Zielsetzungen und Komponenten, die unter Art. 78 Abs. 2, Art. 82 Abs. 2 und Art. 84 AEUV fallen. Zudem wird der Beitritt der Union zum Übereinkommen von Istanbul hinsichtlich ihres Personals volle Wirkung entfalten. Dementsprechend werden die Verpflichtungen, die sich für die Union aus der Ratifizierung dieses Übereinkommens hinsichtlich ihres Personals ergeben werden, ratione materiae weiterreichen als diejenigen, die sich aus der Ausübung ihrer sonstigen Zuständigkeiten hinsichtlich der Unionsbürger ergeben. Unter diesen Umständen schafft nach meinem Eindruck ein begrenzter Beitritt eine Sondersituation, deren dienstrechtliche Komponente als gegenüber den sonstigen Zuständigkeiten nicht von untergeordneter Bedeutung angesehen werden kann, da sie ratione materiae weiterreichende Auswirkungen hat.

165. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Erlass eines Rechtsakts grundsätzlich nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen. Sobald die Union jedoch, wie oben erläutert, einen begrenzten Beitritt beabsichtigt und hierzu ihre Zuständigkeit für den Bereich der Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nicht wahrnimmt, erscheint eine Häufung von Rechtsgrundlagen aufgrund der Fragmentierung der sonstigen Zuständigkeiten unvermeidlich(160). Außerdem sehen diese Rechtsgrundlagen alle dasselbe Verfahren für die Ausübung interner Zuständigkeiten vor, nämlich das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, das für die Ausübung externer Befugnisse nach Art. 218 AEUV zur Anwendung derselben Abstimmungsmodalitäten führt. Diese Rechtsgrundlagen und die Ausübung der Außenzuständigkeit der Union sind daher miteinander voll und ganz vereinbar.

166. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof daher vor, die erste Frage dahin zu beantworten, dass in Anbetracht des vom Rat geplanten Umfangs des Abschlusses der Beschluss zur Ermächtigung der Union zur Vornahme dieses Abschlusses auf Art. 78 Abs. 2, Art. 82 Abs. 2, Art. 84 und Art. 336 AEUV zu stützen ist.

V.      Erste Frage Buchst. b: Kann die Ermächtigung zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul in Gestalt zweier gesonderter Beschlüsse erteilt werden?

167. Die erste Frage Buchst. b des Parlaments bezieht sich im Wesentlichen darauf, ob für den Fall, dass u. a. infolge der Wahl der Rechtsgrundlagen die Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul durch die Union in Gestalt zweier gesonderter Beschlüsse erteilt würde, diese Genehmigung ihrerseits ungültig wäre.

168. Das Parlament hat vorgetragen, dass der Grund für den Erlass zweier gesonderter Beschlüsse in der Phase der Unterzeichnung darin bestanden habe, dass die Art. 60 und 61 des Übereinkommens von Istanbul unter die gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz nach Art. 78 AEUV fielen. Dies habe besondere Schwierigkeiten im Hinblick auf die Anwendung des Protokolls Nr. 21 insofern mit sich gebracht, als danach die in diesem Bereich getroffenen Maßnahmen für Irland nicht bindend und anwendbar seien und es daher an ihrer Annahme nicht beteiligt sei, sofern es sich nicht zur Teilnahme bereit erkläre. Nach Ansicht des Parlaments sind die im Zusammenhang mit dem Protokoll Nr. 21 geäußerten Bedenken jedoch unbegründet, da Irland im Fall des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul durch die Union an diesen Abschluss sodann im Hinblick auf alle von der Union aufgrund dieses Übereinkommens ausgeübten Zuständigkeiten gebunden wäre. Dem kann ich mich jedoch nicht anschließen, da dieses Vorbringen darauf hinausliefe, dass in diesem Fall die möglichen Wirkungen des Protokolls Nr. 21 entfallen würden, da diese Bestimmungen dieses Übereinkommens weitgehend gemeinsame Vorschriften betreffen, denen Irland zugestimmt hat.

169. Festzuhalten ist zunächst, dass diese Frage des Parlaments die künftige formelle Gültigkeit des Beschlusses zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul betrifft.

170. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 263 AEUV die formelle Gültigkeit eines Rechtsakts nur in Frage gestellt werden kann, wenn eine wesentliche Formvorschrift verletzt wurde. Demnach stellt sich also die Frage, was eine wesentliche Formvorschrift in diesem Sinne darstellt.

171. Wie bereits erläutert, gehören zu diesen Anforderungen Verfahrens- und Formvorschriften, die geeignet sind, sich auf den Inhalt des betreffenden Rechtsakts auszuwirken(161), oder im Hinblick auf die Begründungspflicht zu Missverständnissen hinsichtlich der Art oder des Umfangs des angefochtenen Rechtsakts Anlass zu geben(162). Solche Anforderungen können als wesentliche Formvorschriften im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden. Dementsprechend ist für die Frage, ob der Erlass zweier gesonderter Beschlüsse, anstatt nur eines Beschlusses, gegen das Unionsrecht verstößt, zu prüfen, ob erstens das, was als „Trennungsverfahren“ bezeichnet werden mag, gegen eine Norm oder einen Grundsatz verstößt, und ob zweitens diese Norm oder dieser Grundsatz in diesem Sinne als „wesentlich“ angesehen werden kann.

172. Was das Bestehen einer solchen Regel oder eines solchen Grundsatzes angeht, sei darauf hingewiesen, dass keine der in den Verträgen oder in der internen Geschäftsordnung des Rates enthaltenen Bestimmungen eine Vorschrift enthält, die es verbietet, den Beschluss zur Genehmigung des Abschlusses einer internationalen Übereinkunft in zwei gesonderte Beschlüsse aufzuspalten.

173. Zwar ist in Art. 218 Abs. 6 AEUV in Bezug auf das Verfahren für den Abschluss einer Übereinkunft der Erlass eines Beschlusses zur Genehmigung dieses Abschlusses durch den Rat vorgesehen. Die Verwendung des unbestimmten Artikels „einen“ bezieht sich jedoch klar auf den allgemeinen Begriff „Beschluss“, der die übliche Form eines Rechtsakts des Rates oder der Kommission bezeichnet, bei dem es sich nicht um einen Akt von allgemeiner Tragweite handelt. Dies bezieht sich also nicht, entsprechend dem in Ländern des Civil Law vertretenen Verständnis, über das instrumentum (Form) hinaus auf das negotium (Inhalt). Im zutreffenden Kontext betrachtet, ist somit zu bezweifeln, dass die Verfasser allein durch die Verwendung des unbestimmten Artikels die Möglichkeit ausschließen wollten, dass ein solcher Beschluss in Form zweier gesonderter Rechtsakte ergehen könnte.

174. Es ist auch kaum ersichtlich, inwieweit die Aufteilung eines Beschlusses zur Genehmigung des Abschlusses einer internationalen Übereinkunft in zwei verschiedene Rechtsakte gegen Art. 17 Abs. 2 EUV oder Art. 293 AEUV verstoßen sollte. Auch wenn beide Bestimmungen lediglich das Gesetzgebungsverfahren betreffen(163), ergibt sich aus der Stellung von Art. 218 innerhalb des AEUV – diese Bestimmung steht im Fünften Teil Titel V (über das auswärtige Handeln der Union) und nicht im Sechsten Teil Titel I Kapitel 2 Abschnitt 2 wie das Gesetzgebungsverfahren – sowie aus dem Inhalt dieser Bestimmung, dass das Verfahren für den Abschluss internationaler Übereinkünfte spezieller und besonderer Art ist. Unterschiedlich sind nämlich nicht nur die Befugnisse der verschiedenen Organe in jedem dieser Verfahren, sondern auch die in den Verträgen verwendete Terminologie. So beginnt beispielsweise nach Art. 218 Abs. 3 AEUV das Verfahren im Hinblick auf die Unterzeichnung einer internationalen Übereinkunft mit einer „Empfehlung“, während nach Art. 294 Abs. 2 AEUV das Verfahren im Gesetzgebungsverfahren mit einem „Vorschlag“ beginnt(164).

175. Im Übrigen könnte, selbst wenn man in einer dieser Bestimmungen die Aufstellung einer Vorschrift sehen wollte, diese meines Erachtens nicht als „wesentlich“ im Sinne von Art. 263 AEUV angesehen werden.

176. Die einzige Regel oder der einzige Grundsatz, der in diesem Kontext eine wesentliche Verfahrens- oder Formvorschrift darstellen dürfte – und den Rat somit daran hindern würde, einen Beschluss zur Genehmigung des Abschlusses einer internationalen Übereinkunft in zwei verschiedene Rechtsakte aufzuspalten – besteht lediglich darin, die Befugnisse der anderen Organe und der Mitgliedstaaten sowie die geltenden Abstimmungsmodalitäten(165) zu beachten, da diese Regelungen nicht zur Disposition der Organe selbst stehen(166).

177. Dementsprechend hat der Gerichtshof beispielsweise in seinem Urteil Kommission/Rat(167), gemeinhin als „Hybrid-Rechtsakt-Urteil“ bezeichnet, entschieden, dass der Rat und die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten einen Rechtsakt, mit dem die Unterzeichnung einer Übereinkunft zwischen der Union und Drittstaaten oder internationalen Organisationen genehmigt wird, und einen Rechtsakt über die vorläufige Anwendung dieser Übereinkunft durch die Mitgliedstaaten nicht in einem Beschluss miteinander verschmelzen können. Wie der Gerichtshof feststellte, ist dies damit zu begründen, dass die Mitgliedstaaten für den Erlass des erstgenannten Beschlusses nicht zuständig sind und umgekehrt der Rat als Organ der Union beim Erlass des Rechtsakts betreffend die vorläufige Anwendung eines gemischten Abkommens durch die Mitgliedstaaten keine Rolle spielt. Der letztere Rechtsakt bleibt Sache des innerstaatlichen Rechts jedes dieser Staaten(168). Der Gerichtshof stellte weiter fest, dass dieses Vorgehen Auswirkungen auf die anzuwendenden Abstimmungsregeln haben konnte, da der erste Rechtsakt nach Art. 218 Abs. 8 AEUV mit qualifizierter Mehrheit des Rates zu erlassen war, während die vorläufige Anwendung eines gemischten Abkommens durch die Mitgliedstaaten als Angelegenheit des innerstaatlichen Rechts jedes dieser Staaten einen Konsens der Vertreter dieser Staaten und damit deren einstimmige Billigung voraussetzte(169).

178. In der vorliegenden Rechtssache dürfte der Abschluss des Übereinkommens von Istanbul in Form zweier Beschlüsse anstelle eines einzigen jedoch nicht geeignet sein, ähnliche Bedenken aufzuwerfen, wie der Gerichtshof sie im „Hybrid-Rechtsakt-Urteil“ benannt hat.

179. Erstens fällt, unabhängig von der Zahl der zu erlassenden Beschlüsse, der Erlass aller dieser Beschlüsse in die Zuständigkeit der Union.

180. Zweitens ist, was die Abstimmungsmodalitäten angeht, darauf hinzuweisen, dass die Aufspaltung einer Entscheidung in zwei gesonderte Rechtsakte zur Ungültigkeit des Abschlusses einer internationalen Übereinkunft führen könnte, wenn der erste zu erlassende Rechtsakt nach einer bestimmten Abstimmungsregelung und der zweite nach einer anderen Abstimmungsregelung erlassen würde, sofern dann, wenn nur ein Rechtsakt erlassen worden wäre, nur eine einzige Regelung zur Anwendung gekommen wäre(170). In der vorliegenden Rechtssache führen jedoch, aus allen oben im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit genannten Gründen, alle in Rede stehenden Rechtsgrundlagen hier zur Anwendung desselben Verfahrens.

181. Zwar ergibt sich aus der Antwort auf die erste Frage Buchst. a, dass die Unterzeichnung des Übereinkommens von Istanbul durch die Union – und, sollte er zustande kommen, letztlich sein Abschluss – beinhaltete und weiterhin beinhaltet, dass diese bestimmte, unter den Dritten Teil Titel V des AEUV fallende Zuständigkeiten ausübt. Demnach ist daher davon auszugehen, dass der Erlass des Beschlusses zur Genehmigung des Abschlusses dieses Übereinkommens durch die Union, so wie dieser vom Parlament beabsichtigt ist, unter die von den Protokollen Nr. 21 und Nr. 22 erfassten Unionszuständigkeiten fällt. Entgegen dem Vorbringen des Parlaments wird die Aufteilung des Abschlusses dieses Übereinkommens in zwei gesonderte Rechtsakte jedoch dazu führen, dass die geltenden Abstimmungsmodalitäten und die durch das Protokoll Nr. 21 gewährte Sonderstellung Irlands gewahrt – und nicht etwa verletzt – werden(171).

182. Insoweit ist der Erlass zweier Beschlüsse selbstverständlich erforderlich, wenn ein Rechtsakt mehrere Zielsetzungen verfolgt oder mehrere Komponenten umfasst, ohne dass eine von ihnen ein Nebenaspekt der anderen ist, und diese verschiedenen Grundlagen miteinander unvereinbar sind, da sie zur Anwendung verschiedener Abstimmungsmodalitäten führen(172). Zutreffend ist meines Erachtens aber auch, dass der Erlass mehrerer gesonderter Rechtsakte erforderlich sein wird, wenn ein Rechtsakt Komponenten enthält, die zumindest zum Teil, möglicherweise unter die Protokolle Nr. 21 und Nr. 22 fallen, im Übrigen jedoch nicht. Aufgrund des Protokolls Nr. 21 nimmt Irland nämlich am Erlass der beabsichtigten Maßnahmen nach dem Dritten Teil Titel V des AEUV durch den Rat nicht teil, sofern nicht dieser Mitgliedstaat erklärt, sich daran beteiligen zu wollen(173). Nach dem Protokoll Nr. 22 wird das Königreich Dänemark sich am Erlass der beabsichtigten Maßnahmen nach dem Dritten Teil Titel V des AEUV durch den Rat nicht beteiligen und ist durch diese nicht gebunden, es sei denn, es entscheidet sich nach deren Erlass zu ihrer Umsetzung(174).

183. Da sich das Königreich Dänemark am Erlass von Maßnahmen nach dem Dritten Teil Titel V des AEUV durch den Rat nicht beteiligt und Irland sich nur beteiligt, wenn es erklärt, sich beteiligen zu wollen, könnte ein Rechtsakt der Union dann, wenn er auf mehrere Rechtsgrundlagen zu stützen ist, von denen einige unter den Dritten Teil Titel V des AEUV und andere unter andere Bestimmungen des Vertrags fallen, stets in mehrere Beschlüsse aufzuspalten sein.

184. In der vorliegenden Rechtssache fallen die Zuständigkeiten, die von der Union auszuüben sind oder die sie auszuüben plant, zwar alle unter den Dritten Teil Titel V des AEUV. Folglich wird für das Königreich Dänemark keiner dieser Beschlüsse bindend sein, und es wird sich an keiner der Abstimmungen über den Erlass dieser beiden Beschlüsse beteiligen. Das Protokoll Nr. 22 dürfte daher nicht geeignet sein, zu einer Änderung der geltenden Abstimmungsmodalitäten zu führen.

185. Was die Lage Irlands angeht, soll nach Ansicht des Parlaments für diesen Mitgliedstaat die künftige Übereinkunft zwangsläufig bindend sein, soweit die Übereinkunft weitgehend von gemeinsamen Vorschriften abgedeckt wäre, die Irland akzeptiert habe, sodass es verpflichtet sei, sich an der Abstimmung zu beteiligen.

186. Wie bereits erwähnt, kann ich mich dieser Ansicht jedoch nicht anschließen. Es ist nicht nur so, dass aus der Antwort auf die erste Frage hervorgeht, dass das Sekundärrecht der Union die Bereiche nicht vollständig abdeckt, die den Zuständigkeiten, die die Union für den Abschluss des in Rede stehenden Übereinkommens ausüben muss, und den vom Parlament in seinem Antrag in Betracht gezogenen Zuständigkeiten entsprechen, sondern meines Erachtens ist Irland aufgrund des Umstands, dass es bereits erklärt hat, sich am Erlass bestimmter Unionsvorschriften zu beteiligen, auch nicht verpflichtet, dies beim Abschluss einer internationalen Übereinkunft zu tun, die das gleiche Ziel hätte. Dies ergibt sich meines Erachtens aus Art. 4a des Protokolls Nr. 21, wonach die Bestimmungen des Protokolls „auch für nach dem Dritten Teil Titel V des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorgeschlagene oder erlassene Maßnahmen, mit denen eine bestehende Maßnahme, die für sie bindend ist, geändert wird, [gelten]“(175). Dementsprechend dürfte, soweit der Abschluss des Übereinkommens von Istanbul sich auf bestimmte bestehende Maßnahmen auf dem Gebiet des Asyls auswirken könnte, wie im Rahmen der Prüfung der ersten Frage Buchst. a ausgeführt, auf der Hand liegen, dass Irland sich aufgrund des Protokolls Nr. 21 dahin entscheiden könnte, dass der Beschluss zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul für Irland nicht bindend ist und dass es sich daher an der Abstimmung über diese Frage möglicherweise nicht beteiligt.

187. Zwar hat der Gerichtshof im Gutachten 1/15 festgestellt, dass die Anwendung der Protokolle Nr. 21 und Nr. 22 nicht geeignet war, Auswirkungen auf die Abstimmungsregeln im Rat zu haben(176). Die Begründung in jener Rechtssache ist jedoch vor dem Hintergrund des dort vorliegenden Sachverhalts zu verstehen. In jener Rechtssache hatten Irland und das Vereinigte Königreich nämlich erklärt, sich am Erlass des betreffenden Beschlusses beteiligen zu wollen, so dass nach Art. 3 des Protokolls Nr. 21 keine Notwendigkeit bestand, die in Art. 1 dieses Protokolls festgelegten Abstimmungsregeln anzuwenden. Was das Protokoll Nr. 22 angeht, stellte der Gerichtshof im Wesentlichen fest, dass in Anbetracht des Inhalts des geplanten Abkommens die Bestimmungen dieses Abkommens für das Königreich Dänemark nicht bindend seien und dass das Königreich Dänemark sich folglich, unabhängig von der angenommenen Rechtsgrundlage, nicht am Erlass dieses Beschlusses beteiligen werde(177).

188. Hingewiesen sei hier darauf, dass entgegen den von der Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Argumenten der Umstand, dass die Union für diese Situation über eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 2 AEUV verfügt, nicht zum Ausschluss der Anwendung des Protokolls Nr. 21 führen kann. Wäre dies nämlich der Fall, würde Art. 4a des Protokolls Nr. 21 jede echte Bedeutung genommen, da der Zweck dieser Bestimmung meines Erachtens gerade darin liegt, klarzustellen, dass das Protokoll auch dann Anwendung findet, wenn die Union eine ausschließliche Zuständigkeit hat, weil die geplante Maßnahme geeignet ist, zu Änderungen an bestehenden Gesetzgebungsakten zu führen.

189. Selbst für die Bestimmungen des Übereinkommens von Istanbul, durch die eine bestehende Maßnahme nicht geändert wird, bedarf es meines Erachtens gleichwohl einer Zustimmung Irlands. Auch wenn Art. 4a des Protokolls Nr. 21 sich auf eine Maßnahme bezieht, die dazu führt, dass eine bestehende Maßnahme geändert wird, bleibt es dabei, dass – wie durch die Verwendung des Wortes „auch“ betont – selbst dann, wenn durch eine Maßnahme keine Änderungen an einem bestehenden Rechtsakt vorgenommen werden wird, Art. 1 des Protokolls gleichwohl Anwendung findet, sobald die geplante Maßnahme Bestimmungen enthält, die unter den Dritten Teil Titel V des AEUV fallen.

190. Es ist zwar sicherlich richtig, dass Irland, soweit es sich bereit erklärt hat, bestimmte Rechtsakte der Unionsgesetzgebung für sich als bindend anzuerkennen, anschließend nicht ein Übereinkommen oder eine andere internationale Übereinkunft abschließen könnte, mit dem oder der die Wirksamkeit dieser Rechtsakte beeinträchtigt würde. Das Umgekehrte ist jedoch nicht richtig. Dass es sich bereit erklärt hat, diese Rechtsvorschriften der Union für sich als bindend anzuerkennen, bedeutet nicht, dass Irland sich anschließend am Erlass eines Rechtsakts zum Abschluss eines Übereinkommens über den unter den Dritten Titel V des AEUV fallenden Bereich beteiligen müsste. Eine solche Schlussfolgerung widerspräche dem eindeutigen Wortlaut des Protokolls Nr. 21.

191. Es ist zwar eindeutig, dass das Übereinkommen von Istanbul, wenn es für die Union in Kraft träte, sich auf die Unionsgesetzgebung auf dem Gebiet des Asyls auswirken würde, aus der Perspektive des Unionsrechts betrachtet folgt jedoch aus dem Protokoll Nr. 21, dass Irland durch dieses Übereinkommen nicht in Bezug auf alle von ihm bei Abschluss dieses Übereinkommens ausgeübten Zuständigkeiten gebunden sein wird, sofern es nicht auch seinen Willen, daran gebunden zu sein, eindeutig kundtut. Wenn demzufolge Irland sich bereit erklärt, den Beschluss der Union zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul nur in Bezug auf bestimmte Bestimmungen dieses Übereinkommens für sich als bindend anzuerkennen, ist dementsprechend der Erlass von zwei gesonderten Beschlüssen notwendig.

192. Ferner dürfte der Umstand, dass Irland das Übereinkommen von Istanbul bereits abgeschlossen hat, meines Erachtens nicht geeignet sein, die vorstehende Würdigung in Zweifel zu ziehen(178). Denn die sich aus diesem Abschluss ergebenden Folgen sind nicht dieselben, wie wenn Irland sich bereit erklären würde, den Beschluss der Union zum Abschluss dieser Übereinkunft für sich als bindend anzuerkennen. Insbesondere ergäbe sich in dem Fall, dass Irland sich bereit erklärt, den Beitritt der Union zu diesem Übereinkommen für sich als bindend anzuerkennen, die Folge, dass einerseits dieser Mitgliedstaat selbst im Fall einer etwaigen Kündigung dieses Übereinkommens durch ihn nach Art. 80 des Übereinkommens in Bezug auf die Bereiche gebunden bliebe, die in die Zuständigkeit der Union fallen. Andererseits könnte dieser Mitgliedstaat möglicherweise nicht an den von der Union zu fassenden Beschluss gebunden sein wollen, soweit, je nach dem Umfang des Beitritts, durch diesen Beschluss Vorbehalte aufgehoben werden könnten, die von diesem Mitgliedstaat erklärt worden sind.

193. Unter diesen Umständen wäre, je nach den Absichten Irlands, der Erlass der beiden Beschlüsse nicht nur gültig, sondern dieser Ansatz wäre auch angemessen und möglicherweise sogar rechtlich notwendig.

194. Vor diesem Hintergrund schlage ich dem Gerichtshof vor, die Frage des Parlaments dahin zu beantworten, dass der Abschluss des Übereinkommens von Istanbul durch die Union in Form zweier gesonderter Rechtsakte nicht geeignet ist, zur Ungültigkeit dieser Rechtsakte zu führen.

VI.    Zweite Frage

195. Mit seiner zweiten Frage möchte das Parlament wissen, ob der Beschluss der Union zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul gültig wäre, falls bei seiner Annahme eine einstimmige Entscheidung aller Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Zustimmung, durch dieses Übereinkommen gebunden zu sein, noch nicht erzielt wurde.

196. Das Parlament erkennt insoweit an, dass es wichtig sei, eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Organen der Union bei der Aushandlung, dem Abschluss und der Umsetzung einer internationalen Übereinkunft zu gewährleisten. Seiner Ansicht nach geht es jedoch über eine solche Zusammenarbeit hinaus, wenn der Rat wartet, bis alle Mitgliedstaaten diese Übereinkunft abgeschlossen haben, bevor sie von der Union abgeschlossen wird (vom Parlament als Praxis des „Einvernehmens“ bezeichnet). Dies liefe in der Praxis darauf hinaus, dass für den Abschluss einer internationalen Übereinkunft entgegen der geltenden Regel der qualifizierten Mehrheit Einstimmigkeit im Rat erforderlich wäre. Zudem führte eine solche Praxis letztlich dazu, aus dem Beschluss zur Genehmigung des Abschlusses einer internationalen Übereinkunft durch die Union einen hybriden Rechtsakt zu machen.

197. In der mündlichen Verhandlung scheint der Rat eingeräumt zu haben, dass es im Fall einer gemischten Übereinkunft seine allgemeine Praxis sei, meist den Abschluss dieser Übereinkunft durch die Mitgliedstaaten (oder zumindest deren Bestätigung, dass sie das jeweilige Abkommen abschließen werden) abzuwarten, bevor er den Beschluss zur Ermächtigung der Union zum Abschluss dieser Übereinkunft zur Abstimmung stelle. Der Rat erklärt jedoch, dass er sich an diese Praxis nicht gebunden fühle, dass diese Wartestellung im Fall des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul jedoch völlig gerechtfertigt sei.

198. In diesem Kontext ist zunächst darauf hinzuweisen, dass dann, wenn sich die Union zur Ausübung ihrer Zuständigkeiten entscheidet, diese im Einklang mit dem Völkerrecht ausgeübt werden müssen(179).

199. Völkerrechtlich begründet die Unterzeichnung einer internationalen Übereinkunft durch ein Rechtssubjekt grundsätzlich nicht dessen Zustimmung, daran gebunden zu sein, und verpflichtet es folglich grundsätzlich nicht zum Abschluss dieser Übereinkunft und auch nicht notwendigerweise dazu, zur Genehmigung eines solchen Abschlusses sein eigenes verfassungsrechtliches Verfahren (z. B. durch Einholung einer entsprechenden legislativen oder parlamentarischen Billigung) einzuleiten. Die einzige, diesen Parteien obliegende Verpflichtung ist diejenige aus Art. 18 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969(180), nämlich nach Treu und Glauben zu handeln und sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck der Übereinkunft vereiteln würden.

200. Aus der Perspektive des Unionsrechts sind die Organe vorbehaltlich anderslautender Bestimmungen nicht verpflichtet, einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung zu erlassen. Sie sind auch nicht verpflichtet, dies innerhalb einer bestimmten Frist zu tun. Im Fall des Abschlusses einer internationalen Übereinkunft kann der Rat, da in den Verträgen keine Frist vorgesehen ist, innerhalb deren er hierüber einen Beschluss zu erlassen hat und da dieses Organ meines Erachtens bei dieser Entscheidung über einen weiten Ermessensspielraum verfügt(181) – selbst wenn die Union diese Übereinkunft bereits unterzeichnet hat – seine Entscheidung solange aufschieben, wie er dies für notwendig hält, um eine sachgerechte Entscheidung zu treffen.

201. Entgegen dem Vorbringen des Parlaments läuft der Umstand, dass der Abschluss der betreffenden gemischten Übereinkunft durch alle Mitgliedstaaten abgewartet wird, nicht auf eine Änderung der für den Beschluss zur Ermächtigung der Union zum Abschluss dieses Übereinkommens geltenden Regelungen hinaus und macht aus dem anzunehmenden Beschluss auch keinen hybriden Rechtsakt. Ein solches Vorgehen bedeutet nämlich nicht, dass dann, wenn ein Mitgliedstaat sich letztendlich entscheiden sollte, die betreffende Übereinkunft nicht abzuschließen, die Union sie nicht abschließen würde. Dementsprechend ist diese Praxis keineswegs gleichbedeutend damit, das nationale Verfahren für den Abschluss einer internationalen Übereinkunft mit dem Verfahren nach Art. 218 AEUV zu verschmelzen.

202. Diese Praxis dürfte nämlich, auch wenn es nicht Sache des Gerichtshofs ist, über die Sachdienlichkeit eines solchen Vorgehens zu entscheiden, völlig legitim sein. Wie bereits erläutert, sind die Union und die Mitgliedstaaten beim Abschluss einer gemischten Übereinkunft aus Sicht des Völkerrechts für jede ungerechtfertigte Nichtumsetzung der Übereinkunft gemeinsam verantwortlich(182). Was das Übereinkommen von Istanbul angeht, haben hier mehrere Mitgliedstaaten erklärt, dass sie im Hinblick auf den Abschluss auf erhebliche Schwierigkeiten auf der nationalen Ebene gestoßen seien.

203. Zwar haben die Mitgliedstaaten dann, wenn die Union beabsichtigt, eine gemischte Übereinkunft zu schließen, Verpflichtungen sowohl in Bezug auf das Verhandlungs- als auch das Abschlussverfahren sowie die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen, die sich aus der Notwendigkeit einer geschlossenen völkerrechtlichen Vertretung der Union ergeben(183). Diese Pflichten bedeuten jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten gleichwohl zum Abschluss dieser Übereinkunft verpflichtet wären. Diese Ansicht würde nämlich gegen den in Art. 4 Abs. 1 EUV geregelten Grundsatz der Zuständigkeitsverteilung verstoßen.

204. In einem Fall der vorliegenden Art kann sich aus ihr eigenständig allenfalls eine Unterlassungspflicht ergeben(184). Jedenfalls kann sich die Union, da die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit insoweit auch zugunsten der Mitgliedstaaten gilt, als sie die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten beachten muss(185), nicht auf sie berufen, um diese zum Abschluss einer internationalen Übereinkunft zu verpflichten.

205. In diesem Kontext kann der Abschluss einer gemischten Übereinkunft durch die Union dementsprechend dazu führen, dass sie völkerrechtlich für das Verhalten bestimmter Mitgliedstaaten haftbar gemacht wird, auch wenn diese unter diesen Umständen im Rahmen ihrer ausschließlichen Zuständigkeiten handeln mögen. Dies ist jedoch die unausweichliche Folge des Grundsatzes der Verteilung der Zuständigkeiten nach dem internen Verfassungsrecht der Union.

206. Was die vorliegende Rechtssache betrifft, besteht Einvernehmen darüber, dass die Union für den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul bestimmte geteilte Zuständigkeiten, insbesondere diejenige zur Bekämpfung der geschlechtsbezogenen Diskriminierung, nicht ausüben wird. Somit wird eine erhebliche Zahl von Verpflichtungen nach diesem Übereinkommen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Mehrere Mitgliedstaaten haben hier erklärt, dass sie in Bezug auf den Abschluss auf nationaler Ebene auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen seien. Aus alledem folgt, dass der Rat berechtigt ist, beim Abschluss dieser Übereinkunft vorsichtig und umsichtig zu verfahren.

207. Insoweit ist gelegentlich die Ansicht vertreten worden, dass es rechtlich nicht hinnehmbar sei, dass der Rat die „einstimmige Entscheidung“ der Mitgliedstaaten zum Abschluss einer gemischten Übereinkunft abwartet, da die Union aufgetretene Schwierigkeiten gegebenenfalls einfach dadurch ausräumen könne, dass sie in Bezug auf die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten einen Vorbehalt erkläre. Im konkreten Fall des Übereinkommens von Istanbul sind nach dessen Art. 78 Abs. 1 jedoch außer in den Fällen nach Art. 78 Abs. 2 oder 3 keine Vorbehalte zulässig. Keine dieser beiden Bestimmungen lässt die Möglichkeit zu, dass die Union eine solche Erklärung über die Zuständigkeit im Wege eines Vorbehalts abgibt.

208. Mehrere Verfahrensparteien haben allerdings vorgebracht, dass die Union ungeachtet der Bestimmungen des Übereinkommens eine Erklärung über die Zuständigkeit abgeben könnte, da dies nämlich keinen Vorbehalt im Sinne des Völkerrechts darstellen würde. Eine solche Erklärung über die Zuständigkeit würde nach Ansicht dieser Parteien keinen Vorbehalt darstellen, weil sie einen anderen Zweck verfolgen würde. Mit einer Erklärung werde lediglich eine objektive Rechtslage zum Ausdruck gebracht, nämlich dass eine Vertragspartei einer internationalen Übereinkunft zu deren Abschluss nicht in vollem Umfang fähig sei, wohingegen mit einem Vorbehalt eine subjektive Entscheidung dieser Vertragspartei zum Ausdruck gebracht werde, diese Übereinkunft nicht in vollem Umfang abzuschließen. Daher könne eine Erklärung auch dann abgegeben werden, wenn Vorbehalte durch die betreffende Übereinkunft ausgeschlossen seien.

209. Dem kann ich mich jedoch nicht anschließen. Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d des Wiener Übereinkommens(186) bedeutet ein Vorbehalt eindeutig eine wie auch immer formulierte oder bezeichnete, von einem Staat bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrags oder beim Beitritt zu einem Vertrag abgegebene einseitige Erklärung, durch die der Staat bezweckt, die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen in der Anwendung auf diesen Staat auszuschließen oder zu ändern(187).

210. Völkerrechtlich dürfte daher das mit einer Erklärung verfolgte Ziel für die Beurteilung unerheblich sein, ob sie als Vorbehalt zu behandeln ist oder nicht. Maßgebend ist allein, ob die Funktion der betreffenden Erklärung darin besteht, die Rechtswirkung bestimmter Vertragsbestimmungen auszuschließen oder zu ändern(188).

211. Insoweit sei daran erinnert, dass einer der wesentlichen Grundsätze für völkerrechtliche Verträge nach Art. 27 des Wiener Übereinkommens sowie Art. 27 des Wiener Übereinkommens vom 21. März 1986 über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen(189) darin besteht, dass eine Vertragspartei sich nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen kann, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen. Eben dieses Ziel würde jedoch mit einer Erklärung über die Zuständigkeit verfolgt, wenn sie dazu dienen würde, das Risiko einer Haftung der Union wegen der Nichterfüllung einer gemischten Übereinkunft durch einen Mitgliedstaat zu begrenzen(190). Sie wäre daher als „Vorbehalt“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. d des Wiener Übereinkommens anzusehen.

212. Daraus folgt, dass im Sinne des Völkerrechts eine Erklärung über die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen einer internationalen Organisation und ihren Mitgliedern als Vorbehalt anzusehen ist(191) und dementsprechend nur dann abgegeben werden darf, wenn eine Bestimmung der betreffenden Übereinkunft dies zulässt, wie dies beispielsweise bei Anhang IX Art. 2 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen der Fall war, um den es im Fall der MOX-Anlage ging(192).

213. In der Praxis ist in vielen Übereinkommen, bei denen die Union Vertragspartei ist, die Möglichkeit, Vorbehalte zu erklären, oder für internationale Organisationen, die diese Übereinkommen abschließen, die Abgabe einer Erklärung über die Zuständigkeit sogar verpflichtend vorgesehen(193). Das bekannteste Beispiel eines Übereinkommens, das eine solche Verpflichtung vorsieht, ist Anhang IX Art. 2 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen(194).

214. Da das Übereinkommen von Istanbul es einer Vertragspartei jedoch nicht erlaubt, Vorbehalte in Bezug auf die Zuständigkeitsregeln zu erklären, könnte für jede entsprechende Erklärung der Union davon ausgegangen werden, dass sie völkerrechtlich ohne Rechtswirkung ist. So hatte die Kommission zunächst in der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2020 noch vorgetragen, dass die Möglichkeit bestehe, auf eine Erklärung über die Zuständigkeit zurückzugreifen. Auf Nachdruck räumte sie jedoch schließlich ein, dass eine solche Erklärung aus völkerrechtlicher Sicht keinerlei Rechtswirkung, sondern lediglich informatorischen Wert hätte(195).

215. Dieser Ansatz kann daher meines Erachtens (bei allem Respekt) allenfalls als unbefriedigend betrachtet werden. Eine solche Erklärung wäre aus völkerrechtlicher Sicht nicht nur irrelevant, sondern könnte aus dieser Perspektive auch als möglicherweise irreführend angesehen werden. Dementsprechend sollte die Union meines Erachtens von der Abgabe einer solchen Erklärung über die Zuständigkeit absehen, soweit das fragliche Übereinkommen eine Erklärung von Vorbehalten nicht zulässt(196).

216. Ebenso lässt sich feststellen, dass es nutzlos wäre zu warten, da nach Art. 77 des Übereinkommens von Istanbul zwar jeder Staat oder die Europäische Union bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung der Ratifikations‑, Annahme‑, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde einzelne oder mehrere Hoheitsgebiete bezeichnen kann, auf die dieses Übereinkommen Anwendung findet. Es gibt jedoch meines Erachtens im Wesentlichen zwei Gründe, die dafür sprechen, dass eine Berufung auf diese Bestimmung zum Zwecke der Haftungsbegrenzung der Union für die Union nicht wirklich praktikabel wäre. Erstens stünde jedes Bestreben, den räumlichen Geltungsbereich der Übereinkunft auf bestimmte Mitgliedstaaten zu beschränken, im Widerspruch zur wesentlichen Einheitlichkeit des Unionsrechts innerhalb der Union und zum Grundsatz der Gleichbehandlung. Abweichungen von dieser wesentlichen Einheitlichkeit und Kohärenz des Unionsrechts sind regelmäßig auf der Ebene der Verträge ausdrücklich vorgesehen, wie die Protokolle Nr. 20, Nr. 21 und Nr. 32 jeweils in eigener Weise umfassend belegen. Zweitens könnte Art. 77 des Übereinkommens von Istanbul in der Praxis erst dann umgesetzt werden, wenn der Standpunkt aller Mitgliedstaaten bekannt ist. Folglich sprächen selbst dann, wenn man eine Anwendung dieser Bestimmung tatsächlich für möglich halten wollte, gewichtige praktische und rechtliche Gründe für die Praxis des „Einvernehmens“.

217. Schließlich würde der Umstand, dass das fragliche Übereinkommen unter der Schirmherrschaft des Europarates angenommen wurde, der sich der Komplexität der Regeln über die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Union durchaus bewusst war, nicht rechtfertigen, dass die Union im Falle des Abschlusses des Übereinkommens durch sie die Regeln des Völkerrechts missachtet. Zum einen gelten die Regeln des Völkerrechts ausnahmslos für jeden völkerrechtlichen Vertrag. Zum anderen ist dem Wortlaut des Übereinkommens von Istanbul eindeutig zu entnehmen, dass seine Verfasser bei seiner Ausarbeitung eindeutig die besondere Situation der Europäischen Union vor Augen hatten, und dennoch – so ist zu vermuten, bewusst – die Möglichkeit der Erklärung von Zuständigkeitsvorbehalten ausgeschlossen haben(197).

218. Insoweit besteht für die Union nicht nur keine unmittelbare Pflicht, das Übereinkommen innerhalb einer bestimmten Frist abzuschließen, sondern es sprechen, wie ich soeben zu erläutern versucht habe, auch gewichtige praktische Gründe dafür, abzuwarten, bis es von allen Mitgliedstaaten abgeschlossen worden ist. Sollte nämlich der Abschluss des Übereinkommens von Istanbul von einem oder mehreren Mitgliedstaaten abgelehnt werden, könnte der Rat möglicherweise entscheiden, dass die Union mehr geteilte Zuständigkeiten ausüben soll als ursprünglich in Betracht gezogen, um den Teilbereich des Beitritts zu schmälern, der in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt(198).

219. Im Fall des Übereinkommens von Istanbul erscheint ein solcher Ansatz umso relevanter, als der Rat und das Parlament aus den in einigen Mitgliedstaaten bestehenden Schwierigkeiten in Bezug auf den Abschluss dieses Übereinkommens möglicherweise eine bestehende besondere Notwendigkeit der Bekämpfung eines bestimmten Verhaltens im Sinne von Art. 83 Abs. 1 AEUV ableiten könnten, was sie nach dessen Unterabs. 3 dazu ermächtigen würde, Bereiche der geteilten Zuständigkeit auf Bereiche des Strafrechts auszudehnen.

220. Auch wenn das Parlament jedoch in seinem Antrag nach Art. 218 AEUV die Verzögerung des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul beanstandet hat, hat es seine Frage dahin formuliert, ob der Beschluss zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul gültig wäre, falls er angenommen würde, ohne die einstimmige Entscheidung der Mitgliedstaaten, durch dieses Übereinkommen gebunden zu sein, abzuwarten.

221. Hierzu hat der Gerichtshof bereits ausgeführt, dass die möglichen Schwierigkeiten, die sich im Umgang mit den betreffenden Zustimmungen ergeben könnten, kein Maßstab seien, an dem die Gültigkeit des Beschlusses zur Genehmigung des Abschlusses einer Übereinkunft beurteilt werden könne(199).

222. Der Rat ist meines Erachtens dementsprechend nicht verpflichtet, vor der Ermächtigung der Union zum Abschluss einer solchen Übereinkunft eine Bestätigung der Mitgliedstaaten darüber einzuholen, was sie abzuschließen beabsichtigen(200). Erstens wird eine solche Verpflichtung in den Verträgen nicht erwähnt. Zweitens müssen die Union und die Mitgliedstaaten zwar, wie erwähnt, ihre geschlossene völkerrechtliche Vertretung gewährleisten, die Union muss jedoch auch gewährleisten, dass die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten beachtet werden. Außerdem steht die Tatsache, dass ein Mitgliedstaat einen Vertrag nicht abgeschlossen hat, der Wahrung des unionsrechtlichen Grundsatzes der geschlossenen völkerrechtlichen Vertretung durch ihn nicht entgegen, da dieser Grundsatz nur verlangt, dass dieser Staat Handlungen unterlässt, die den von der Union vertretenen Standpunkten offenkundig widersprechen.

223. Aufgrund all dieser Erwägungen komme ich zu dem Schluss, dass der Rat nicht verpflichtet ist, die einstimmige Entscheidung der Mitgliedstaaten abzuwarten, und dass er ebenso wenig verpflichtet ist, eine internationale Übereinkunft, wie etwa das Übereinkommen von Istanbul, unmittelbar nach der Unterzeichnung durch ihn abzuschließen. Vielmehr steht es ihm frei, anhand von Faktoren, wie etwa, inwieweit das Risiko einer ungerechtfertigten Nichterfüllung der betreffenden gemischten Übereinkunft durch einen Mitgliedstaat besteht, zu beurteilen, was die beste Lösung ist oder ob die Möglichkeit besteht, die notwendige Mehrheit in diesem Organ einzuholen, um die durch diese Übereinkunft betroffenen geteilten Zuständigkeiten allein auszuüben.

224. Schließlich sollte meines Erachtens, auch wenn dies nicht notwendig ist, auf die in der mündlichen Verhandlung angesprochene Situation eingegangen werden, nämlich auf die Frage, welche Folgen es hätte, wenn ein Mitgliedstaat das genannte Übereinkommen nach seinem Abschluss durch die Mitgliedstaaten und die Union kündigen sollte.

225. In diesem Fall, kann die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit, auch wenn sie den betreffenden Mitgliedstaat zweifellos zu einer vorherigen Unterrichtung der Union verpflichtet, indes nicht so weit gehen, dass sie einen Mitgliedstaat daran hindert, sich aus einer internationalen Übereinkunft zurückzuziehen. Die logische und unausweichliche Folge des Grundsatzes der Kompetenzzuweisung ist nämlich die, dass ein Mitgliedstaat sich aus einem gemischten Abkommen zurückziehen kann, solange ein Teil des Abkommens noch in die Zuständigkeit der Staaten fällt, entweder weil die Union noch nicht für alle geteilten Zuständigkeiten von ihrem Vorgriffsrecht Gebrauch gemacht hat oder weil bestimmte Teile des Abkommens in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. In diesem möglichen Fall wäre die Union jedoch nicht verpflichtet, ebenfalls aus dem Abkommen auszuscheiden. Auch insoweit wäre es meines Erachtens schlicht Sache des Rates, gegebenenfalls eine Abwägung zwischen der Bedeutung der betreffenden Übereinkunft und den sich aus ihrem unvollkommenen Abschluss durch die Union und die Mitgliedstaaten ergebenden Risiken vorzunehmen.

226. Dementsprechend schlage ich vor, die zweite Frage dahin zu beantworten, dass zunächst der Beschluss der Union zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul mit den Verträgen vereinbar wäre, falls er ohne einstimmige Entscheidung aller Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Zustimmung, durch dieses Übereinkommen gebunden zu sein, angenommen würde. Er wäre jedoch ebenso mit den Verträgen vereinbar, falls er erst nach dem Zustandekommen einer solchen einstimmigen Entscheidung angenommen würde. Die Entscheidung, welcher dieser beiden Lösungen der Vorzug gebührt, ist ausschließlich Sache des Rates.

VII. Ergebnis

227. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof daher vor, die vom Parlament vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Sollten die Absichten des Rates in Bezug auf den Umfang der geteilten Zuständigkeiten, die beim Abschluss des Übereinkommens von Istanbul ausgeübt werden sollen, unverändert bleiben, ist der Beschluss zur Ermächtigung zu diesem Abschluss im Namen der Union auf Art. 78 Abs. 2, Art. 82 Abs. 2, Art. 84 und Art. 336 AEUV als materielle Rechtsgrundlagen zu stützen.

Der Abschluss des Übereinkommens von Istanbul durch die Union in Gestalt zweier gesonderter Rechtsakte ist nicht geeignet, zur Ungültigkeit dieser Rechtsakte zu führen.

Der Beschluss der Union zum Abschluss des Übereinkommens von Istanbul wäre mit den Verträgen vereinbar, falls er ohne einstimmige Entscheidung aller Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Zustimmung, durch dieses Übereinkommen gebunden zu sein, angenommen würde. Ferner wäre er jedoch ebenso mit den Verträgen vereinbar, falls er erst nach dem Zustandekommen einer solchen einstimmigen Entscheidung angenommen würde. Die Entscheidung, welcher dieser beiden Lösungen der Vorzug gebührt, ist ausschließlich Sache des Rates.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Nach Angaben des Rates der Europäischen Union liegt der Grund dafür darin, dass die Kommission dem Rat der Europäischen Union zu keinem Zeitpunkt eine Empfehlung für einen Beschluss vorgelegt habe, Verhandlungen aufzunehmen und die Kommission zu ermächtigen, Verhandlungen im Namen der Union zu führen.


3      Zu einem umfassenderen Überblick über den Kontext, in dem dieses Übereinkommen angenommen wurde, siehe den erläuternden Bericht zum Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, Council of Europe Treaty Series – No. 210.


4      Völkerrechtlich kommt die Unterzeichnung einer internationalen Übereinkunft einer Form der vorläufigen Genehmigung gleich. Sie bringt keine verbindliche Verpflichtung mit sich, sondern ist Ausdruck der Absicht der betroffenen Partei, die Übereinkunft abzuschließen. Auch wenn diese Unterzeichnung kein Versprechen des Abschlusses darstellt, verpflichtet sie die unterzeichnende Partei, Handlungen zu unterlassen, die den Zielen oder dem Zweck des Vertrags zuwiderlaufen.


5      Zum Zeitpunkt der Stellung des Gutachtenantrags hatten 21 Mitgliedstaaten der Union das Übereinkommen von Istanbul abgeschlossen. In mindestens zwei Mitgliedstaaten, Bulgarien und der Slowakei, wurde das Abschlussverfahren jedoch ausgesetzt. In Bulgarien war die Aussetzung Folge einer Entscheidung des Konstitutsionen sad (Verfassungsgericht), der feststellte, dass das Übereinkommen von Istanbul im Widerspruch zur Verfassung dieses Mitgliedstaats stand. In der Slowakei stimmte der Národná rada Slovenskej republiky (Nationalrat der Slowakischen Republik) mit großer Mehrheit gegen den Abschluss.


6      Das Verfahren wurde bereits in den ursprünglichen Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1957) aufgenommen, was angesichts der begrenzten Befugnisse, die der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft seinerzeit für den Abschluss internationaler Verträge ausdrücklich übertragen waren, vielleicht überraschen mag. Vgl. Cremona, M., „Opinions of the Court of Justice“, in Ruiz Fabri, H. (Hrsg.), Max Planck Encyclopaedia of International Procedural Law (MPEiPro), OUP, Oxford, online abrufbar, Rn. 2.


7      Vgl. z. B. Urteil vom 24. Juni 2014, Parlament/Rat (C‑658/11, EU:C:2014:2025, Rn. 52).


8      Vgl. Cremona, M., „Opinions of the Court of Justice“, in Ruiz Fabri, H. (Hrsg.), Max Planck Encyclopaedia of International Procedural Law (MPEiPro), OUP, Oxford, online abrufbar, Rn. 3.


9      Ebd.


10      Gutachten 1/75 (OECD-Vereinbarung betreffend eine Norm für die lokalen Kosten) vom 11. November 1975 (EU:C:1975:145, S. 1360 und 1361). Vgl. in diesem Sinne auch die Gutachten 2/94 (Beitritt der Gemeinschaft zur EMRK) vom 28. März 1996 (EU:C:1996:140, Rn. 3 bis 6) und 2/13 (Beitritt der Europäischen Union zur EMRK) vom 18. Dezember 2014 (EU:C:2014:2454, Rn. 145 und 146).


11      Vgl. Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592, Rn. 69).


12      Vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/91 (IAO-Übereinkommen Nr. 170) vom 19. März 1993 (EU:C:1993:106, Rn. 3).


13      Nach dem Völkerrecht kommt eine Übereinkunft dadurch zustande, dass Urkunden ausgetauscht, hinterlegt oder notifiziert werden, die die endgültige Verpflichtung der Vertragsparteien zum Ausdruck bringen. Aus Sicht der Europäischen Union nimmt der Rat auf Vorschlag des Verhandlungsführers einen Beschluss über den Abschluss der Übereinkunft an. Vgl. Art. 218 AEUV und Neframi, E., „Accords internationaux, Compétence et conclusion“, Jurisclasseur Fascicule 192-1, LexisNexis, 2019.


14      Vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/13 (Beitritt von Drittstaaten zum Haager Übereinkommen) vom 14. Oktober 2014 (EU:C:2014:2303, Rn. 54).


15      Der Gerichtshof berücksichtigt bisweilen von der betreffenden Übereinkunft getrennte, aber in unmittelbarem Zusammenhang mit ihr stehende Akte. Vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/92 (EWR-Abkommen – II) vom 10. April 1992 (EU:C:1992:189, Rn. 23 bis 25).


16      Folglich kann dem Gerichtshof vor der Aufnahme internationaler Verhandlungen ein Antrag auf ein Gutachten vorgelegt werden, wenn der Gegenstand des geplanten Abkommens bekannt ist. Vgl. Gutachten 1/09 (Abkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems) vom 8. März 2011 (EU:C:2011:123, Rn. 55).


17      Zu einem Beispiel für diese Rechtsprechung im Kontext eines Vorabentscheidungsersuchens vgl. Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a. (C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 28).


18      Der Gerichtshof hat die Zuständigkeit, im Rahmen des Gutachtenverfahrens zur Zuständigkeit der Union für den Abschluss eines Übereinkommens, zu dem hierfür einzuhaltenden Verfahren oder zur Vereinbarkeit dieses Übereinkommens mit den Verträgen Stellung zu nehmen. Vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592, Rn. 70 bis 72).


19      Gutachten 1/09 (Abkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems) vom 8. März 2011 (EU:C:2011:123, Rn. 47 und 48).


20      Dementsprechend wäre eine Frage zu der Frist für den Erlass des Beschlusses über den Abschluss einer internationalen Übereinkunft im Verfahren nach Art. 218 Abs. 11 AEUV unzulässig, da der für den Erlass eines Beschlusses erforderliche Zeitraum mangels einer gegenteiligen Bestimmung keinen Nichtigkeitsgrund darstellt. Vgl. in diesem Sinne z. B. Beschluss vom 13. Dezember 2000, SGA/Kommission (C‑39/00 P, EU:C:2000:685, Rn. 44).


21      S. 1361. Hervorhebung nur hier.


22      Rn. 15 bis 17.


23      Vgl. Gutachten 1/09 (Abkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems) vom 8. März 2011 (EU:C:2011:123, Rn. 49).


24      Vgl. Gutachten 2/94 (Beitritt der Gemeinschaft zur EMRK) vom 28. März 1996 (EU:C:1996:140, Rn. 20 bis 22), Gutachten 1/09 (Abkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems) vom 8. März 2011 (EU:C:2011:123, Rn. 49) und Gutachten 2/13 (Beitritt der Europäischen Union zur EMRK) vom 18. Dezember 2014 (EU:C:2014:2454, Rn. 147). Da in der vorliegenden Rechtssache der Inhalt des Übereinkommens von Istanbul und seine „wesentlichen Merkmale“ bekannt sind, gibt es keinen Grund, die gestellten Fragen allein aufgrund des Zeitpunkts, zu dem diese Fragen im Rahmen des Verfahrens nach Art. 218 Abs. 11 AEUV gestellt wurden, für unzulässig zu erklären. Die einzige zeitliche Einschränkung besteht darin, dass von dem Verfahren nach Art. 218 Abs. 11 AEUV vor dem Zeitpunkt des Abschlusses der betreffenden internationalen Übereinkunft durch die Union Gebrauch gemacht werden muss.


25      Urteil vom 9. März 1994, TWD Textilwerke Deggendorf (C‑188/92, EU:C:1994:90, Rn. 16, 17 und 25).


26      Rn. 14.


27      Gutachten 2/00 (Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit) vom 6. Dezember 2001 (EU:C:2001:664, Rn. 11).


28      Dies würde voraussetzen, dass die betreffende Praxis einer der Gründe für den angefochtenen Beschluss war oder dass sie sich in internen Regelungen niedergeschlagen hatte oder dass der Rat sie in einem im Rahmen des Untätigkeitsverfahrens angenommenen Positionspapier erwähnt hatte.


29      Der Zweck des Gutachtenverfahrens liegt nämlich darin, die Verwicklungen zu vermeiden, die sich auf der internationalen Ebene ergeben würden, wenn der Beschluss über den Abschluss einer internationalen Übereinkunft später für ungültig erklärt würde. Dementsprechend muss in diesem „Beratungsverfahren“ jede Frage behandelt werden können, die die Gültigkeit dieser Entscheidung beeinträchtigen könnte. Es ist meines Erachtens nicht Sache des Gerichtshofs, darüber zu urteilen, ob die in Aussicht genommene Fallgestaltung glaubhaft ist oder nicht, denn die verfahrensrechtlichen Auswahlentscheidungen des Rates können definitionsgemäß immer erst dann bekannt und anerkannt werden, wenn der Beschluss zum Abschluss angenommen wurde.


30      Vgl. Adam, S., La procédure d’avis devant la Cour de justice de l’Union européenne, Bruylant, Brüssel, 2011, S. 166.


31      Gutachten 1/09 (Abkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems) vom 8. März 2011 (EU:C:2011:123, Rn. 53). Vor der Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss einer internationalen Übereinkunft kann ein Gutachtenantrag sich nur auf die Zuständigkeit der Union für den Abschluss einer Übereinkunft in dem betreffenden Bereich beziehen, sofern der genaue Gegenstand der beabsichtigten Übereinkunft bereits bekannt ist. Vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/94 (Beitritt der Gemeinschaft zur EMRK) vom 28. März 1996 (EU:C:1996:140, Rn. 16 bis 18).


32      Soweit im Allgemeinen ein Gutachtenantrag so formuliert ist, dass er die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt, die sich aus dem Wortlaut und den mit diesem Verfahren verfolgten Zielen ergeben, kann er nicht für unzulässig erklärt werden. Vgl. in diesem Sinne Gutachten 3/94 (Rahmenabkommen über Bananen) vom 13. Dezember 1995 (EU:C:1995:436, Rn. 22).


33      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2009, Kommission/Rat (C‑370/07, EU:C:2009:590, Rn. 48). Allgemeiner gesagt hat nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift nur dann die Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts zur Folge, wenn diese Vorschrift sich auf den Inhalt dieses Rechtsakts auswirken könnte. Vgl. Urteil vom 29. Oktober 1980, van Landewyck u. a./Kommission (209/78 bis 215/78 und 218/78, EU:C:1980:248, Rn. 47). Für die die Nichtigerklärung einer Entscheidung ist jedoch ausreichend, wenn der Mangel geeignet ist, sich auf diese Entscheidung auszuwirken. Vgl., a contrario, Urteil vom 21. März 1990, Belgien/Kommission (C‑142/87, EU:C:1990:125, Rn. 48).


34      Vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592, Rn. 70 und 71).


35      Rn. 49. Wie der Gerichtshof im Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592, Rn. 71) erläutert hat, ergibt sich die verfassungsrechtliche Bedeutung der Angabe der Rechtsgrundlagen eines Rechtsakts daraus, dass die Union damit, da sie nur über begrenzte Ermächtigungen verfügt, die Möglichkeit hat, die Rechtsakte, die sie erlässt, mit einer Bestimmung der Verträge zu verknüpfen, die sie tatsächlich hierzu ermächtigt.


36      Vgl. Rn. 51. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass im Urteil vom 25. Oktober 2017, Kommission/Rat (WRC‑15) (C‑687/15, EU:C:2017:803), wie auch im Urteil vom 1. Oktober 2009, Kommission/Rat (C‑370/07, EU:C:2009:590), in dem der Gerichtshof einen Rechtsakt ebenfalls wegen eines Problems mit den Rechtsgrundlagen für nichtig erklärte, der betreffende Rechtsakt keine Angabe der Rechtsgrundlagen enthielt, auf denen er beruhte.


37      Urteile vom 27. Februar 2014, Vereinigtes Königreich/Rat (C‑656/11, EU:C:2014:97, Rn. 49), und vom 22. Oktober 2013, Kommission/Rat (C‑137/12, EU:C:2013:675, Rn. 73).


38      Rn. 117.


39      Meines Erachtens bestimmt sich die Anwendung dieser Protokolle durch den Geltungsbereich des fraglichen Rechtsakts und nicht aus der Wahl seiner Rechtsgrundlage(n).


40      Auch bei einer Nichtigkeitsklage bezieht sich die Frage, ob ein Klagegrund ins Leere geht oder nicht, ausschließlich auf seine Eignung, im Fall seiner Begründetheit die vom Kläger angestrebte Nichtigerklärung herbeizuführen, berührt jedoch in keiner Weise die Zulässigkeit dieses Klagegrundes.


41      Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592, Rn. 74)


42      Ein solches Vorbringen ginge faktisch nur im Rahmen einer Untätigkeitsklage nicht ins Leere.


43      Urteil vom 4. September 2018, Kommission/Rat (Abkommen mit Kasachstan) (C‑244/17, EU:C:2018:662, Rn. 36).


44      Urteile vom 4. September 2018, Kommission/Rat (Abkommen mit Kasachstan) (C‑244/17, EU:C:2018:662, Rn. 37), und vom 3. Dezember 2019, Tschechische Republik/Parlament und Rat (C‑482/17, EU:C:2019:1035, Rn. 31). Dieser Ansatz wird bisweilen auch als „Absorptionstheorie“ bezeichnet, vgl. Maresceau, M., „Bilateral Agreements Concluded by the European Community“, Recueil Des Cours De l’Academie De Droit International – Collected Courses of the Hague Academy of International Law, Bd. 309, 2006, Martinus Nijhoff, Den Haag, S. 157. Im Wesentlichen wird angenommen, dass die hauptsächliche(n) oder überwiegende(n) Komponente(n) eines Rechtsakts alle anderen Ziele oder Komponenten absorbieren. Vgl. Urteile vom 23. Februar 1999, Parlament/Rat (C‑42/97, EU:C:1999:81, Rn. 43), vom 30. Januar 2001, Spanien/Rat (C‑36/98, EU:C:2001:64, Rn. 60, 62 und 63), und insbesondere vom 19. Juli 2012, Parlament/Rat (C‑130/10, EU:C:2012:472, Rn. 70 bis 74). Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in den Rechtssachen Kommission/Rat (C‑94/03, EU:C:2005:308, Nr. 31) und Parlament/Rat (C‑155/07, EU:C:2008:368, Nr. 66).


45      Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592, Rn. 77) und Urteil vom 4. September 2018, Kommission/Rat (Abkommen mit Kasachstan) (C‑244/17, EU:C:2018:662, Rn. 37). Nach der Rechtsprechung gelten für die Anwendung einer doppelten Grundlage zwei Voraussetzungen, nämlich erstens, dass der betreffende Rechtsakt zugleich mehrere Zielsetzungen verfolgt oder mehrere Komponenten umfasst, ohne dass eine der anderen gegenüber nebensächliche Bedeutung hat, so dass verschiedene Bestimmungen der Verträge anwendbar sind. Zweitens müssen diese Zielsetzungen oder Komponenten untrennbar miteinander verbunden sein (dies gilt implizit, andernfalls muss der Rechtsakt aufgespalten werden).


46      Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592, Rn. 78).


47      Vgl. in diesem Sinne Fn. 31 des Vorschlags der Kommission für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, COM(2016) 111 final.


48      Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Kommission/Rat (C‑13/07, EU:C:2009:190, Nr. 113).


49      Sollte dies in einem hypothetischen Fall jemals so eintreten, würde ich dies für einen Verfahrensmissbrauch halten, der möglicherweise zur Nichtigerklärung der fraglichen Bestimmung führen würde.


50      So hat der Gerichtshof in Rn. 166 des Gutachtens 1/08 (Abkommen zur Änderung der Listen spezifischer Verpflichtungen nach dem GATS) vom 30. November 2009 (EU:C:2009:739) ausgeführt, dass bei der Bestimmung der Rechtsgrundlage(n) eines Rechtsakts den Bestimmungen Rechnung zu tragen sei, die neben einem oder mehreren Zielen dieses Rechtsakts verfolgt werden oder die ihrem Wesen nach äußerst begrenzt sind. In ähnlicher Weise hat er in seinem Urteil vom 4. September 2018, Kommission/Rat (Abkommen mit Kasachstan) (C‑244/17, EU:C:2018:662, Rn. 45 und 46) die Auffassung vertreten, dass Bestimmungen einer völkerrechtlichen Übereinkunft, die lediglich die Erklärungen der Vertragsparteien zu den Zielen wiedergeben, die mit ihrer Zusammenarbeit verfolgt werden sollen, ohne im Einzelnen anzugeben, wie diese Ziele konkret verwirklicht werden sollen, bei der Bestimmung der einschlägigen Rechtsgrundlage nicht zu berücksichtigen seien. Allerdings ist unklar, on daraus abgeleitet werden kann, dass demgegenüber bei Bestimmungen, die von dieser besonderen Fallgestaltung nicht erfasst werden, davon ausgegangen werden sollte, dass sie eine hauptsächliche Komponente oder Zielsetzung dieses Rechtsakts widerspiegeln. In der Folgezeit hat der Gerichtshof nämlich weiterhin seine Rechtsprechung zum Kern des Schwerpunktkriteriums wiederholt. Aus meiner Sicht zeigt die Tatsache, dass der Gerichtshof darauf bedacht war, auf den eher auf der Hand liegenden Umstand hinzuweisen, dass Nebenbestimmungen oder solche von sehr begrenzter Tragweite bei der Bestimmung der einschlägigen Rechtsgrundlage nicht berücksichtigt zu werden brauchen, vielmehr, dass er nunmehr eine stärker ins Einzelne gehende Beurteilung vornimmt als in der Vergangenheit und inzwischen eher bereit ist, eine Vielzahl von Rechtsgrundlagen zu akzeptieren, ohne dabei jedoch den Standpunkt aufzugeben, dass die Rechtsgrundlage eines Rechtsakts nicht alle bei dessen Erlass ausgeübten Zuständigkeiten und somit alle seine Ziele oder Komponenten widerzuspiegeln braucht. Vgl. z. B. Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592, Rn. 90).


51      Dies gilt nicht ohne gewisse Paradoxien, denn nach der oben genannten Rechtsprechung spiegelt die Rechtsgrundlage eines Rechtsakts nur einen Teil der ausgeübten Zuständigkeiten wider. Vgl. Urteil vom 10. Januar 2006, Kommission/Rat (C‑94/03, EU:C:2006:2, Rn. 35 und 55).


52      Vgl. auch Urteile vom 1. Oktober 2009, Kommission/Rat (C‑370/07, EU:C:2009:590, Rn. 49), und vom 25. Oktober 2017, Kommission/Rat (WRC‑15) (C‑687/15, EU:C:2017:803, Rn. 58).


53      Die einzige Voraussetzung für die Ausübung einer geteilten Zuständigkeit durch die Union ist, dass diese Ausübung mit dem Völkerrecht vereinbar sein muss. Vgl. Urteil vom 20. November 2018, Kommission/Rat (Meeresschutzgebiete in der Antarktis) (C‑626/15 und C‑659/16, EU:C:2018:925, Rn. 127).


54      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Januar 2006, Kommission/Parlament und Rat (C‑178/03, EU:C:2006:4, Rn. 57), oder vom 19. Juli 2012, Parlament/Rat (C‑130/10, EU:C:2012:472, Rn. 49).


55      Seine Schlussfolgerung, dass der betreffende Beschluss als überwiegende Komponente auch den Schutz von Fluggastdatensätzen beinhaltete, stützte der Gerichtshof darauf, dass „sein Gegenstand insbesondere (im Französischen: „notamment“) die Schaffung eines Systems ist, das aus einer Gesamtheit von Regeln zum Schutz personenbezogener Daten besteht“. Die Verwendung des Wortes „insbesondere“ ist recht aufschlussreich, da sie nahelegt, dass der Gerichtshof der Auffassung ist, dass es nicht notwendig ist, die betreffende Vereinbarung erschöpfend zu prüfen. Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592, Rn. 89). Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 22. Oktober 2013, Kommission/Rat (C‑137/12, EU:C:2013:675, Rn. 57 bis 58).


56      Urteil vom 25. Februar 2010, Brita (C‑386/08, EU:C:2010:91, Rn. 42). Vgl. zum Zusammenspiel von Völker- und Unionsrecht im Allgemeinen, Malenovský, J., « À la recherché d’une solution inter-systémique aux rapports du droit international au droit de l’Union européenne », Annuaire français de droit international, Bd. LXV, CNRS Éditions, 2019, S. 3.


57      Darüber hinaus sei betont, dass sich die Europäische Union von klassischen internationalen Organisationen dadurch unterscheidet, dass die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten einem ständigen Wandel unterliegt, der die Prüfung dieser Zuständigkeitsverteilung aus der Sicht des Völkerrechts erschweren kann.


58      Vgl. z. B. Urteil vom 5. Dezember 2013, Solvay/Kommission (C‑455/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:796, Rn. 91).


59      Vgl. z. B. Urteil vom 28. Juli 2011, Agrana Zucker (C‑309/10, EU:C:2011:531, Rn. 34 bis 36).


60      Der Gerichtshof hat nämlich in den vorgenannten Urteilen mit der Betonung des Umstands, dass die Rechtsgrundlage eines Rechtsakts Informationen über die ausgeübten Zuständigkeiten vermitteln könnte, offenbar zwei andere Rechtsprechungslinien aufgegeben. Erstens stellt die Nichtangabe einer konkreten Vertragsbestimmung nicht notwendigerweise einen Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften dar, wenn die für den Erlass einer Maßnahme angewandten Rechtsgrundlagen ihrem Inhalt nach bestimmbar sind. Vgl. Urteile vom 1. Oktober 2009, Kommission/Rat (C‑370/07, EU:C:2009:590, Rn. 56), und vom 18. Dezember 2014, Vereinigtes Königreich/Rat (C‑81/13, EU:C:2014:2449, Rn. 65 bis 67). Zweitens muss, wie bereits erwähnt, bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf die Wahl der einschlägigen Rechtsgrundlagen, die zur Nichtigerklärung des betreffenden Rechtsakts führen sollen, grundsätzlich dargetan werden, dass diese Mängel geeignet sind, sich auf das anzuwendende Gesetzgebungsverfahren oder die Zuständigkeit der Union auszuwirken. Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Dezember 2002, British American Tobacco (Investments) und Imperial Tobacco (C‑491/01, EU:C:2002:741, Rn. 98), und vom 11. September 2003, Kommission/Rat (C‑211/01, EU:C:2003:452, Rn. 52). Das Gericht verweist häufig auf diese Rechtsprechung. Vgl. z. B. Urteil vom 18. Oktober 2011, Reisenthel/HABM – Dynamic Promotion (Stapelkisten und Körbe) (T‑53/10, EU:T:2011:601, Rn. 41).


61      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. November 2014, Parlament und Kommission/Rat (C‑103/12 und C‑165/12, EU:C:2014:2400, Rn. 52). Insoweit sei daran erinnert, dass nach Art. 27 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge von 1969 eine Vertragspartei einer internationalen Übereinkunft sich nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen kann, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen.


62      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 1994, Parlament/Rat (C‑316/91, EU:C:1994:76, Rn. 26 und 29). Vgl. z. B. Marín Durán, G., „Untangling the International Responsibility of the European Union and Its Member States in the World Trade Organization Post-Lisbon: A Competence/Remedy Model“, European Journal of International Law, Bd. 28, Nr. 3, 2017, S. 703 bis 704: „Aus der Perspektive des Völkerrechts gilt, solange sowohl die Union als auch ihre Mitgliedstaaten Vertragsparteien des WTO-Abkommens (und der davon erfassten Abkommen) bleiben, die Vermutung, dass sie jeweils an alle darin enthaltenen Verpflichtungen gebunden sind und sich zur Rechtfertigung der Nichterfüllung nicht auf innerstaatliches Recht berufen können [Art. 27 Abs. 1 bis 2 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen]. … [D]ie herrschende Meinung in der Literatur, dass die Union und ihre Mitgliedstaaten durch alle Bestimmungen des WTO-Rechts gemeinsam gebunden sind, wird auch von den Streitbeilegungsorganen der WTO vertreten“.


63      Vgl. z. B. Fry, J. D., „Attribution of Responsibility“, in Nollkaemper, A., und Plakokefalos, I. (Hrsg.), Principles of Shared Responsibility in International Law, Cambridge, CUP, 2014, S. 99: „… nach den zwischen der Europäischen Union (EU) und ihren Mitgliedstaaten gemischten Übereinkünften, die keine klare Abgrenzung von Befugnissen vorsehen, haften beide Parteien für einen Verstoß gemeinsam, ohne dass über eine Zurechnung des Verhaltens entschieden wird. Daraus folgt, dass die Union oder die Mitgliedstaaten auch dann haften, wenn der Verstoß der jeweils anderen Seite zurechenbar ist.“


64      Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof betont hat, dass Art. 344 AEUV ausschließt, dass die Vorschriften des Unionsrechts über die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten einem anderen Gericht als dem Gerichtshof vorgelegt werden können. Vgl. Gutachten 2/13 (Beitritt der Europäischen Union zur EMRK) vom 18. Dezember 2014 (EU:C:2014:2454, Rn. 201 ff.) und Urteil vom 6. März 2018, Achmea (C‑284/16, EU:C:2018:158, Rn. 32). Folglich kann die Union im Fall ihrer Beteiligung an einer völkerrechtlichen Streitigkeit sich nicht darauf berufen, dass die betreffende ungerechtfertigte Nichterfüllung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle, um ihre hierfür bestehende völkerrechtliche Haftung auszuschließen, da ein solches Vorbringen dazu führen könnte, dass das angerufene internationale Gericht über Regelungen des Unionsrechts über die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten zu entscheiden hätte.


65      Die einzige Ausnahme von den vorstehenden Ausführungen besteht meines Erachtens gerade darin, dass ein diesbezüglicher Vorbehalt gemacht wurde oder der Vertrag eine Verpflichtung einer internationalen Organisation vorsieht, den Umfang ihrer Zuständigkeiten zu erklären. Das internationale Gericht wird in diesem Fall nämlich diesen Vorbehalt oder diese Erklärung anwenden, ohne zu prüfen, ob er mit den Regelungen des Unionsrechts über die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten vereinbar ist, so dass das Erfordernis einer strikten Trennung der Zuständigkeiten zwischen dem Gerichtshof und dem internationalen Gericht – ein Punkt, der im Gutachten 1/17 (CETA-Abkommen EU-Kanada) vom 30. April 2019 (EU:C:2019:341, Rn. 111) hervorgehoben wurde – gewahrt wird. Gerade aus diesen Gründen wäre generell wünschenswert, dass die Union bei der Aushandlung solcher gemischter Übereinkünfte darauf besteht, dass die betreffende völkerrechtliche Übereinkunft die Möglichkeit eines solchen Vorbehalts vorsieht. Ein Teil der Schwierigkeiten der vorliegenden Rechtssache ergibt sich daraus, dass das Übereinkommen von Istanbul von den einzelnen Mitgliedstaaten auf der Ebene des Europarates ausgehandelt wurde, ohne dass die Europäische Union daran ursprünglich überhaupt beteiligt war. Dies dürfte dazu geführt haben, dass die Möglichkeit, Vorbehalte zu erklären, von den Verfassern dieses Übereinkommens einfach nicht vorgesehen wurde.


66      Vgl. z. B. Olson, P. M., „Mixity from the Outside: The Perspective of a Treaty Partner“, in Hillion, C., und Koutrakos, P. (Hrsg.), Mixed Agreements Revisited: The EU and its Member States in the World, Oxford, Hart Publishing, 2010, S. 344: „Auch wenn die Zuweisung einer Zuständigkeit Auswirkungen auf die Art und Weise der Umsetzung von Bestimmungen einer gemischten Übereinkunft durch die Union haben kann, gibt diese Zuweisung jedoch nicht die Antwort auf die Frage nach der Haftung und Verantwortlichkeit auf der völkerrechtlichen Ebene vor.“ Hervorhebung nur hier.


67      Vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/15 (Freihandelsabkommen mit Singapur) vom 16. Mai 2017 (EU:C:2017:376, Rn. 68).


68      Insoweit sei daran erinnert, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Beschluss zur Ermächtigung der Union zum Abschluss einer internationalen Übereinkunft keineswegs eine Bestätigung des Beschlusses über die Ermächtigung zur Unterzeichnung dieser Übereinkunft darstellt. Gutachten 2/00 (Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit) vom 6. Dezember 2001 (EU:C:2001:664, Rn. 11).


69      Anderenfalls müsste meines Erachtens die Frage als so abstrakt betrachtet werden, dass sie für unzulässig zu erklären wäre.


70      Es liegt auf der Hand, dass Art. 3 Abs. 2 dritte Alternative AEUV voraussetzt, dass diese Zuständigkeit ausgeübt worden ist. Vgl. Gutachten 2/92 (Dritter revidierter Beschluss der OECD über die Inländerbehandlung) vom 24. März 1995 (EU:C:1995:83, Rn. 36) und Gutachten 2/15 (Freihandelsabkommen mit Singapur) vom 16. Mai 2017 (EU:C:2017:376, Rn. 230 bis 237).


71      Vgl. z. B. Urteil vom 4. September 2014, Kommission/Rat (C‑114/12, EU:C:2014:2151, Rn. 68). Daher brauchen für die Feststellung, ob die Union die ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss bestimmter Teile einer Übereinkunft hat, die Rechtsakte zur Einrichtung von Finanzierungs- oder Kooperationsprogrammen nicht berücksichtigt zu werden, da diese Rechtsakte keine „gemeinsamen Regeln“ festlegen.


72      Gutachten 1/13 (Beitritt von Drittstaaten zum Haager Übereinkommen) vom 14. Oktober 2014 (EU:C:2014:2303, Rn. 72).


73      Gutachten 3/15 (Vertrag von Marrakesch über den Zugang zu veröffentlichten Werken) vom 14. Februar 2017 (EU:C:2017:114, Rn. 107). Insoweit hat der Gerichtshof im Wesentlichen festgestellt, dass die Formulierung „weitgehend von solchen Regeln erfasst“ derjenigen in Rn. 22 des Urteils vom 31. März 1971, Kommission/Rat (22/70, EU:C:1971:32), entspricht, mit der der Gerichtshof die Art der völkerrechtlichen Verpflichtungen umschrieben hat, die die Mitgliedstaaten außerhalb des Rahmens der Unionsorgane nicht eingehen dürfen, wenn gemeinsame Regeln der Union zur Verwirklichung der Vertragsziele ergangen sind. Diese Formulierung ist daher im Licht der Klarstellungen auszulegen, die der Gerichtshof im Urteil vom 31. März 1971, Kommission/Rat (22/70, EU:C:1971:32), und der daraus entwickelten Rechtsprechung vorgenommen hat. Vgl. Urteil vom 4. September 2014, Kommission/Rat (C‑114/12, EU:C:2014:2151, Rn. 66 und 67), mit dem Ziel, zu verhindern, dass die Mitgliedstaaten „einzeln oder gemeinsam mit dritten Staaten Verpflichtungen eingehen, die gemeinsame Rechtsnormen beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnten“. Vgl. Urteil vom 20. November 2018, Kommission/Rat (Meeresschutzgebiete in der Antarktis) (C‑626/15 und C‑659/16, EU:C:2018:925, Rn. 111).


74      Gutachten 1/13 (Beitritt von Drittstaaten zum Haager Übereinkommen) vom 14. Oktober 2014 (EU:C:2014:2303, Rn. 74).


75      Vgl. z. B. Gutachten 1/03 (Neues Übereinkommen von Lugano) vom 7. Februar 2006 (EU:C:2006:81, Rn. 126, 128 und 133) oder Urteil vom 26. November 2014, Green Network (C‑66/13, EU:C:2014:2399, Rn. 33). Um jedoch sicherzustellen, dass der Grundsatz der Zuständigkeitsverteilung nicht beeinträchtigt wird, und soweit der Ausgang laufender Gesetzgebungsverfahren nicht vorhersehbar ist, ist die Berücksichtigung der voraussichtlichen Entwicklung des Stands des Unionsrechts meines Erachtens in diesem Kontext dahin zu verstehen, dass sich dies nur auf bereits erlassene, aber noch nicht in Kraft getretene Rechtsakte bezieht.


76      Ohne jedoch aus diesem Vortrag genaue Schlussfolgerungen zu ziehen.


77      Vgl. Urteile vom 4. September 2014, Kommission/Rat (C‑114/12, EU:C:2014:2151, Rn. 75), und vom 20. November 2018, Kommission/Rat (Meeresschutzgebiete in der Antarktis) (C‑626/15 und C‑659/16, EU:C:2018:925, Rn. 115).


78      Vgl. Gutachten 2/94 (Beitritt der Gemeinschaft zur EMRK) vom 28. März 1996 (EU:C:1996:140, Rn. 6).


79      Vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/91 (IAO-Übereinkommen Nr. 170) vom 19. März 1993 (EU:C:1993:106, Rn. 18 und 21) und Urteil vom 4. September 2014, Kommission/Rat (C‑114/12, EU:C:2014:2151, Rn. 91).


80      Vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/03 (Neues Übereinkommen von Lugano) vom 7. Februar 2006 (EU:C:2006:81, Rn. 123 und 127) und Urteil vom 4. September 2014, Kommission/Rat (C‑114/12, EU:C:2014:2151, Rn. 91). Diese Lösung gilt jedoch nicht, wenn die Unionsvorschriften es den Mitgliedstaaten gestatten, innerhalb eines vollständig harmonisierten Bereichs eine Ausnahme von oder eine Beschränkung für eine harmonisierte Regelung anzuwenden. Vgl. Gutachten 3/15 (Vertrag von Marrakesch über den Zugang zu veröffentlichten Werken) vom 14. Februar 2017 (EU:C:2017:114, Rn. 119).


81      Vgl. z. B. Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. 2003, L 251, S. 12; diese Richtlinie findet in den Mitgliedstaaten mit Ausnahme Irlands und Dänemarks Anwendung). Einige andere Richtlinien sehen ausdrücklich vor, dass sie vorbehaltlich in einer internationalen Übereinkunft enthaltener günstigerer Bestimmungen Anwendung finden. Vgl. z. B. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44; diese Richtlinie findet in den Mitgliedstaaten mit Ausnahme Irlands und Dänemarks Anwendung).


82      Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77).


83      Urteil vom 30. Juni 2016, NA (C‑115/15, EU:C:2016:487, Rn. 51).


84      Urteil vom 27. Juni 2018, Diallo (C‑246/17, EU:C:2018:499, Rn. 55).


85      In Rn. 28 des Urteils vom 27. Juni 2018, Diallo (C‑246/17, EU:C:2018:499), wies der Gerichtshof darauf hin, dass er nur für die Entscheidung über die Auslegung der in den Vorabentscheidungsfragen genannten Richtlinien zuständig sei.


86      Vgl. entsprechend Urteil vom 12. Dezember 2019, Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal (Familienzusammenführung – Schwester eines Flüchtlings) (C‑519/18, EU:C:2019:1070, Rn. 43). Jene Rechtssache betraf zwar die Richtlinie 2003/86/EG, interessanterweise verweist der Gerichtshof in Rn. 42 jedoch ausdrücklich auf das Urteil vom 27. Juni 2018, Diallo (C‑246/17, EU:C:2018:499).


87      Urteil vom 30. Juni 2016, NA (C‑115/15, EU:C:2016:487).


88      Urteil vom 27. Juni 2018, Diallo (C‑246/17, EU:C:2018:499).


89      Vgl. in diesem Sinne die Formulierung des endgültigen Ergebnisses der Großen Kammer im Urteil vom 18. Dezember 2014, M’Bodj (C‑542/13, EU:C:2014:2452, Rn. 49). Dies gilt erst recht in Anbetracht dessen, dass nach dem 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/86 Drittstaatsangehörigen aus Gründen, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, der Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gestattet werden kann.


90      Vgl. z. B. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. 2003, L 31, S. 18). Diese Richtlinie wurde aufgehoben, gilt aber weiterhin für Irland.


91      Vgl. z. B. Art. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2004, L 304, S. 12; diese Richtlinie wurde aufgehoben, gilt aber weiterhin für Irland). Vgl. auch Art. 1 und 4 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 2005, L 326, S. 13; diese Richtlinie wurde aufgehoben, gilt aber weiterhin für Irland), Art. 4 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98; diese Richtlinie gilt in den Mitgliedstaaten mit Ausnahme Irlands und Dänemarks), Art. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9; diese Richtlinie trat an die Stelle der Richtlinie 2004/83 und gilt in den Mitgliedstaaten mit Ausnahme Irlands und Dänemarks), Art. 5 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60; diese Richtlinie gilt in den Mitgliedstaaten mit Ausnahme Irlands und Dänemarks) oder Art. 4 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. 2013, L 180, S. 96; diese Richtlinie trat an die Stelle der Richtlinie 2003/9 und gilt in den Mitgliedstaaten mit Ausnahme Irlands und Dänemarks).


92      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2014, M’Bodj (C‑542/13, EU:C:2014:2452, Rn. 44).


93      Früher Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83.


94      Vgl. ferner Art. 10 der Richtlinie 2004/83.


95      Vgl. Art. 4, 5 und 9 der Richtlinie 2008/15, Art. 21 der Richtlinie 2004/83 und Art. 21 der Richtlinie 2011/95.


96      Insoweit sei darauf hingewiesen, dass diese Situation nicht mit derjenigen vergleichbar wäre, dass die zuständige Behörde im Kontext einer Einzelentscheidung zu Unrecht annähme, sich in der Situation einer gebundenen Verwaltungsbefugnis (compétence liée) zu befinden. Wenn die Entscheidung der betreffenden Behörde hierdurch mit einem Rechtsfehler behaftet ist, der ihre Nichtigerklärung rechtfertigt, dann liegt der Grund hierfür darin, dass sie durch eine höherrangige Norm zur Ausübung ihres Ermessens verpflichtet ist, um einer oder mehreren rechtlichen Anforderungen Rechnung zu tragen. Im Fall einer Entscheidung, mit der die Union zum Abschluss einer internationalen Übereinkunft ermächtigt wird, unterliegt sie jedoch keinen rechtlichen Anforderungen, die der Rat zur Bestimmung des Umfangs der auszuübenden geteilten Zuständigkeiten anzuwenden hat. Es handelt sich um eine reine Ermessensbefugnis.


97      Art. 3.


98      Art. 4.


99      Art. 5.


100      Art. 6.


101      Art. 7.


102      Art. 11.


103      Art. 12, 13 und 14.


104      Art. 15.


105      Art. 16.


106      Art. 17.


107      Art. 18. Nach Art. 18 Abs. 5 „[haben d]ie Vertragsparteien … die erforderlichen Maßnahmen [zu treffen], um im Einklang mit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen ihren Staatsangehörigen und sonstigen zu einem solchen Schutz berechtigten Opfern konsularischen und sonstigen Schutz sowie Unterstützung zu gewähren.“


108      Art. 19.


109      Art. 20 und 21.


110      Art. 22 bis 26.


111      Art. 27 und 28.


112      Art. 29 bis 32.


113      Art. 33 bis 40.


114      Art. 41.


115      Art. 42.


116      Art. 43.


117      Art. 44.


118      Art. 45.


119      Art. 46.


120      Art. 47.


121      Art. 48.


122      Art. 49.


123      Art. 50.


124      Art. 51.


125      Art. 52 und 53.


126      Art. 54.


127      Art. 55.


128      Art. 56.


129      Art. 57.


130      Art. 58.


131      Art. 59.


132      Art. 60.


133      Art. 61.


134      Art. 62.


135      Art. 63.


136      Art. 64.


137      Art. 75 Abs. 1.


138      Das Übereinkommen von Istanbul wird durch einen Anhang ergänzt, in dem die Vorrechte und Immunitäten aufgeführt sind, die GREVIO-Mitglieder und andere Mitglieder von Delegationen während Länderbesuchen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben genießen.


139      COM(2016) 111 final.


140      Sowie für die EZB bzw. die EIB Art. 36 des Protokolls (Nr. 4) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank sowie Art. 11 Abs. 7 des Protokolls (Nr. 5) über die Satzung der Europäischen Investitionsbank.


141      Vgl. zu diesem Thema, aber zu der Frage, ob die externe Zuständigkeit der Union zur Bekämpfung von Diskriminierungen eine ausschließliche Zuständigkeit ist oder nicht, Prechal, S., „The European Union’s Accession to the Istanbul Convention“, in Lenaerts, K., Bonichot, J.-C., Kanninen, H., Naome, C., und Pohjankoski, P. (Hrsg.), An Ever-Changing Union?, Perspectives on the Future of EU Law in Honour of Allan Rosas, Hart Publishing, Oxford, 2019, S. 285 ff.


142      Nr. 31 des erläuternden Berichts.


143      Nr. 40 des erläuternden Berichts.


144      Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).


145      Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (ABl. 2004, L 373, S. 37).


146      Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) (ABl. 2006, L 204, S. 23).


147      Richtlinie 2010/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2010 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, und zur Aufhebung der Richtlinie 86/613/EWG des Rates (ABl. 2010, L 180, S. 1).


148      Insoweit scheint mir der Umstand, dass in der Erklärung Nr. 19 zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den am 13. Dezember 2007 unterzeichneten Vertrag von Lissabon angenommen hat, von der Notwendigkeit die Rede ist, jede Art der häuslichen Gewalt zu bekämpfen, diese Feststellung nicht in Frage zu stellen, da diese Erklärung im Gegensatz zu den Protokollen und Anhängen der Verträge allenfalls für die Auslegung von Bedeutung ist.


149      Aus dem Umstand, dass Art. 81 Abs. 1 AEUV keine Verfahrensvorschriften vorsieht, ist abzuleiten, dass die betreffenden Angleichungsmaßnahmen mit den in diesen beiden Bestimmungen genannten Zielen im Zusammenhang stehen müssen. Insbesondere bezieht Art. 81 Abs. 3 AEUV sich zwar auf das Familienrecht, jedoch nur auf Maßnahmen zum Familienrecht, die einen grenzüberschreitenden Bezug haben (womit umgekehrt Aspekte des Familienrechts, die eine solche Dimension nicht aufweisen, in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbleiben).


150      Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (ABl. 2003, L 26, S. 41). Vgl. Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 dieser Richtlinie.


151      Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2008, L 136, S. 3).


152      Im Übrigen sieht diese Richtlinie nach ihrem Art. 4 lediglich vor, dass die Mitgliedstaaten die Nutzung der Mediation fördern müssen.


153      Vgl. z. B. Art. 67 bis 73 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).


154      Gutachten 1/03 (Neues Übereinkommen von Lugano) vom 7. Februar 2006 (EU:C:2006:81, Rn. 173).


155      Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 259/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften sowie zur Einführung von Sondermaßnahmen, die vorübergehend auf die Beamten der Kommission anwendbar sind (ABl. 1968, L 56, S. 1), zuletzt geändert durch die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 1023/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Änderung des Statuts der Beamten der Europäischen Union und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Union (ABl. 2013, L 287, S. 15).


156      Insoweit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Mitgliedstaaten Bedenken dahin gehabt haben könnten, dass die Union im Fall der Ausübung dieser Zuständigkeit die Zuständigkeit nach Art. 83 Abs. 2 AEUV zum alleinigen Handeln dahin übertrage, das in diesem Übereinkommen genannte Verhalten unter Strafe zu stellen. Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 13. September 2005, Kommission/Rat (C‑176/03, EU:C:2005:542, Rn. 48).


157      Art. 83 Abs. 1 AEUV behält seine praktische Wirksamkeit meines Erachtens nur, wenn der Begriff „Rechte der Opfer von Straftaten“ dahin verstanden wird, dass davon nicht erfasst ist, bestimmte Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen.


158      Hingewiesen sei zwar auch darauf, dass erstens Art. 54 in Kapitel VI dieses Übereinkommens bestimmte Beweispflichten vorsieht. Zweitens sollen mit den Art. 49 bis 53 und 56 bis 58 desselben Kapitels bestimmte Rechte der Opfer im Strafverfahren festgelegt werden. Drittens legen die Bestimmungen des Kapitels IV sowie die Art. 29 bis 32 des Kapitels V zugunsten der Opfer von Straftaten bestimmte Verfahrensrechte fest. Es ist jedoch festzustellen, dass Art. 82 Abs. 2 AEUV seinem Wortlaut nach nur der Union die Zuständigkeit für den Erlass von Maßnahmen betreffend „die Zulässigkeit von Beweismitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedstaaten[,] die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren [oder] die Rechte der Opfer von Straftaten“ überträgt. Mit den verschiedenen vorliegenden Bestimmungen soll jedoch nicht die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen erleichtert werden, und meines Erachtens kann auch schwerlich die Ansicht vertreten werden, dass Gewalt gegen Frauen eine strafrechtliche Angelegenheit mit grenzüberschreitender Dimension darstelle, sofern hiervon nicht bei jedem strafbaren Verhalten ausgegangen würde. Hingewiesen sei insoweit darauf, dass der Gerichtshof im Urteil vom 13. Juni 2019, Moro (C‑646/17, EU:C:2019:489, Rn. 29 bis 37), sehr darauf bedacht war, eine Stellungnahme zu dieser Frage zu vermeiden.


159      Der Rat könnte, falls ein Mitgliedstaat das Übereinkommen von Istanbul nicht ratifizieren sollte, von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, um das Risiko zu verringern, dass die Union von einem Mitgliedstaat für eine ungerechtfertigte Nichterfüllung des Übereinkommens von Istanbul verantwortlich gemacht wird. Zwar muss nach Art. 83 Abs. 2 AEUV feststehen, dass „sich die Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten als unerlässlich für die wirksame Durchführung der Politik der Union auf einem Gebiet, auf dem Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind [erweist]“, doch wird dies genau dann der Fall sein, wenn sich herausstellen sollte, dass ein Mitgliedstaat das Übereinkommen von Istanbul nicht umsetzt oder erst gar nicht abschließt. Die Union könnte somit von dieser Bestimmung Gebrauch machen, um sich selbst eine ausschließliche Zuständigkeit für alle Bestimmungen dieses Übereinkommens zu gewähren, die darauf abzielen, bestimmte Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen, und damit nach der Theorie der Staatennachfolge die sich aus diesem Übereinkommen ergebenden Verpflichtungen allein übernehmen. Vgl. in diesem Sinne auch Prechal, S., „The European Union’s Accession to the Istanbul Convention“, in Lenaerts, K., Bonichot, J.-C., Kanninen, H., Naome, C., und Pohjankoski, P. (Hrsg.), An Ever-Changing Union?, Perspectives on the Future of EU Law in Honour of Allan Rosas, Hart Publishing, Oxford, 2019, S. 290.


160      Vgl. zu einem Beispiel für die Häufung von Rechtsgrundlagen Urteil vom 10. Januar 2006, Kommission/Rat (C‑94/03, EU:C:2006:2, Rn. 54).


161      Vgl. Urteil vom 29. Oktober 1980, van Landewyck u. a./Kommission (209/78 bis 215/78 und 218/78, EU:C:1980:248, Rn. 47). Es reicht jedoch aus, dass der Mangel geeignet war, sich auf die Entscheidung auszuwirken, da der Unionsrichter nicht befugt ist, selbst die Stelle der Verwaltung einzunehmen, und daher die konkreten Auswirkungen des Mangels auf die Entscheidung nicht beurteilen kann. Vgl. z. B. Urteil vom 21. März 1990, Belgien/Kommission (C‑142/87, EU:C:1990:125, Rn. 48).


162      Insoweit ist zu betonen, dass es hier um den Beschluss zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Istanbul durch die Union geht. Der Abschluss dieser Übereinkunft erfolgt seinerseits grundsätzlich durch eine einzige Urkunde, nämlich ein an den Verwahrer des Vertrags, hier den Europarat, gerichtetes Schreiben.


163      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. April 2015, Rat/Kommission (C‑409/13, EU:C:2015:217, Rn. 71). Außerdem müssen nach Art. 17 Abs. 2 EUV Rechtsakte, insbesondere die Gesetzgebung, auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission erlassen werden, „[s]oweit in den Verträgen nichts anderes festgelegt ist“. Was Art. 293 AEUV angeht, ist in dieser Bestimmung geregelt, dass sie nur dann Anwendung findet, wenn „der Rat … auf Vorschlag der Kommission tätig [wird]“.


164      Um ferner nicht außer Betracht zu lassen, dass das Gesetzgebungsverfahren teilweise anwendbar sein könnte, müssen nach Art. 17 Abs. 2 EUV Gesetzgebungsakte von der Union auf der Grundlage eines Kommissionsvorschlags erlassen werden, „[s]oweit in den Verträgen nichts anderes festgelegt ist“, während für das Verfahren nach Art. 218 AEUV in dieser Bestimmung geregelt ist, dass der Beschluss zur Ermächtigung der Union zum Abschluss einer Übereinkunft auf der Grundlage eines Vorschlags des Verhandlungsführers, der möglicherweise nicht die Kommission ist, erlassen wird. Ebenso ist in Art. 293 AEUV geregelt, dass er nur Anwendung findet, wenn „der Rat … auf Vorschlag der Kommission tätig [wird]“.


165      Urteil vom 25. Oktober 2017, Kommission/Rat (WRC‑15) (C‑687/15, EU:C:2017:803, Rn. 42).


166      Vgl. z. B. Urteil vom 6. Mai 2008, Parlament/Rat (C‑133/06, EU:C:2008:257, Rn. 54).


167      Urteil vom 28. April 2015, Kommission/Rat (C‑28/12, EU:C:2015:282).


168      Ebd., Rn. 49 und 50.


169      Ebd., Rn. 51 und 52.


170      Dieses Argument geht davon aus, dass die Rechtsgrundlagen eines Rechtsakts die ausgeübten Zuständigkeiten möglicherweise nicht getreu widerspiegeln (siehe Frage 1 Buchst. a). Wäre dies nämlich nicht der Fall, entsprächen die in der Maßnahme im Fall ihres Erlasses in Form eines einzigen Beschlusses angegebenen Rechtsgrundlagen der Kombination der in den beiden Beschlüssen im Fall ihres in zwei Teile aufgeteilten Erlasses genannten Rechtsgrundlagen in Verbindung miteinander. Damit wäre das Verfahren identisch oder, falls die genannten Grundlagen nicht miteinander in Einklang gebracht werden könnten, wäre es erforderlich, die Maßnahme in zwei Beschlüsse aufzuteilen.


171      Hierzu möchte ich darauf hinweisen, dass die Anwendung dieser Protokolle vom Inhalt des fraglichen Rechtsakts und nicht von der angenommenen Rechtsgrundlage abhängt. Daher sind sie – unabhängig von der Beantwortung der ersten Frage durch den Gerichtshof – zu berücksichtigen, sofern die Union sich aus diesen Protokollen ergebende Befugnisse wahrzunehmen beabsichtigt.


172      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2014, Parlament/Rat (C‑658/11, EU:C:2014:2025, Rn. 57).


173      Da das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union ausgetreten ist, braucht es nicht berücksichtigt zu werden.


174      Nach Art. 4 dieses Protokolls kann das Königreich Dänemark beschließen, die Maßnahme umzusetzen, in jedem Fall begründet diese Maßnahme dann jedoch nur eine völkerrechtliche Verpflichtung zwischen das Königreich Dänemark und den übrigen Mitgliedstaaten.


175      Hervorhebung nur hier. In diesem Fall sieht Art. 4a Abs. 2 einen speziellen Mechanismus für den Fall vor, dass die Nichtbeteiligung Irlands geeignet ist, die Maßnahme für andere Mitgliedstaaten unpraktikabel zu machen. Selbst in diesem Fall ist Irland jedoch nicht verpflichtet, die Maßnahme anzuwenden.


176      Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592, Rn. 110 und 117).


177      Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592, Rn. 111 und 113).


178      Den Angaben auf der Website des Europarates zufolge hat Irland dieses Übereinkommen am 8. März 2019 ratifiziert.


179      Urteil vom 20. November 2018, Kommission/Rat (Meeresschutzgebiete in der Antarktis) (C‑626/15 und C‑659/16, EU:C:2018:925, Rn. 127).


180      United Nations Treaty Series, Bd. 1155, S. 331 (im Folgenden: Wiener Übereinkommen).


181      Mit der Entscheidung zum Abschluss einer internationalen Übereinkunft können nämlich möglicherweise Entscheidungen politischer, wirtschaftlicher und sozialer Art, eine Priorisierung unter divergierenden Interessen oder komplexe Beurteilungen verbunden sein. Dementsprechend muss dem Rat insoweit ein breiter Ermessensspielraum eingeräumt werden. Vgl. entsprechend Urteil vom 7. März 2017, RPO (C‑390/15, EU:C:2017:174, Rn. 54).


182      Vgl. Cremona, M., „Disconnection clauses in EU Law and Practice“, in Hillon, C., und Koutrakos, P. (Hrsg.), Mixed Agreements Revisited: The EU and its Member States in the World, Hart Publishing, Oxford, 2010, S. 180. Zwar ist die Union insofern eine internationale Organisation besonderer Art, als sie nach der Formel des Urteils vom 15. Juli 1964, Costa (6/64, EU:C:1964:66, S. 1259) ihre eigene Rechtsordnung geschaffen hat, die bei Inkrafttreten des Vertrags in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten integriert wurde und für deren Gerichte bindend ist. Vgl. auch Urteil vom 28. April 2015, Kommission/Rat (C‑28/12, EU:C:2015:282, Rn. 39). Wie jedoch dem Urteil vom 20. November 2018, Kommission/Rat (Meeresschutzgebiete in der Antarktis) (C‑626/15 und C‑659/16, EU:C:2018:925, Rn. 125 bis 135), eindeutig zu entnehmen ist, kann dieser Umstand nicht dazu führen, dass Drittstaaten einseitig die Einhaltung ihrer Zuständigkeitsregelungen auferlegt wird.


183      Vgl. z. B. Urteil vom 19. März 1996, Parlament/Rat (C‑25/94, EU:C:1996:114, Rn. 48).


184      Vgl. im Umkehrschluss Urteil vom 20. April 2010, Kommission/Schweden (C‑246/07, EU:C:2010:203, Rn. 75).


185      Urteile vom 28. November 1991, Luxemburg/Parlament (C‑213/88 und C‑39/89, EU:C:1991:449, Rn. 29), und vom 28. April 2015, Kommission/Rat (C‑28/12, EU:C:2015:282, Rn. 47).


186      United Nations Treaty Series, Bd. 1155, S. 331.


187      Nach Nr. 1.1 des Leitfadens für die Praxis der Vorbehalte zu Verträgen [Guide to Practice on Reservations to Treaties] von 2011, der von der Völkerrechtskommission auf ihrer 63. Tagung im Jahr 2011 angenommen und der Generalversammlung im Rahmen des Berichts der Kommission über die Arbeit dieser Tagung (A/66/10, Nr. 75) im Jahrbuch der Völkerrechtskommission [Yearbook of the International Law Commission], 2011, Bd. II, Teil Zwei, vorgelegt wurde, bedeutet der Begriff „Vorbehalt“ ferner „eine wie auch immer formulierte oder bezeichnete, von einem Staat oder einer internationalen Organisation bei der Genehmigung eines Vertrags oder bei dem Beitritt zu einem Vertrag abgegebene einseitige Erklärung, [um] die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen in der Anwendung auf diesen Staat oder diese internationale Organisation auszuschließen oder zu ändern“.


188      Nach völkerrechtlicher Praxis können Erklärungen als Vorbehalte angesehen werden, wenn sie dieselbe Funktion erfüllen sollen, vgl. Edwards Jr., R. W., „Reservations to Treaties“, Michigan Journal of International Law, Bd. 10, 1989, S. 368. Vgl. in diesem Sinne auch Tomuschat, C., „Admissibility and Legal Effects of Reservations to Multilateral Treaties“, Heidelberg Journal of International Law, Bd. 27, 1967, S. 465, oder Meek, M. R., „International Law: Reservations to Multilateral Agreements“, DePaul Law Review, Bd. 5, 1955, S. 41.


189      United Nations Treaty Series, Bd. 1155, S. 331. Dieses Übereinkommen ist jedoch noch nicht in Kraft getreten, da es noch an 35 von den Staaten zu hinterlegenden Ratifikationsurkunden fehlt.


190      Jedenfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass, soweit die Union sich dafür oder dagegen entscheiden kann, bestimmte mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeiten auszuüben, eine von der Union abgegebene Erklärung über den Umfang der von ihr ausgeübten Zuständigkeit für den Abschluss einer internationalen Übereinkunft auf objektiven Feststellungen beruht.


191      Vgl. z. B. zu einer von der Französischen Republik abgegebenen Erklärung über die Zuständigkeit, die als Vorbehalt angesehen wurde, Entscheidung des Ad-hoc-Schiedsgerichts vom 30. Juni 1977, Rechtssache Vereinigtes Königreich/Frankreich (Abgrenzung des Festlandsockels) (54 I.L.R. 6, 18 I.L.M. 397). Vgl. auch Dolmans, J. F. M., Problems of Mixed Agreements: Division of Powers within the EEC and the Rights of Third States, Asser Instituut, Den Haag, 1984, S. 65 und 66.


192      Urteil vom 30. Mai 2006, Kommission/Irland (C‑459/03, EU:C:2006:345). Insoweit sei darauf hingewiesen, dass selbst wenn ein Vertrag die Abgabe von Vorbehalten zuließe, ein Vorbehalt in Bezug auf die Verteilung von Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten nur begrenzte Wirkung haben könnte. Da nämlich für nicht ausgeübte geteilte Zuständigkeiten später von der Union vom Vorgriffsrecht Gebrauch gemacht werden kann, hätte eine solche Erklärung zwangsläufig vorübergehenden Charakter. Dementsprechend muss die Erklärung von Vorbehalten durch die Union, mit der die Nichtausübung bestimmter geteilter Zuständigkeiten durch die Union angezeigt werden soll, als unzulässig angesehen werden, wenn der betreffende Vertrag eine Rücknahme von Vorbehalten nicht zulässt. Anderenfalls würde dies, soweit ein solcher Vorbehalt die Union zu einem endgültigen Verzicht auf die betreffende geteilte Zuständigkeit verpflichten würde, darauf hinauslaufen, diese Zuständigkeit unter Verstoß gegen die Regeln des Primärrechts in eine ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten umzuwandeln. Selbst wenn zudem nach dem Vertrag die Möglichkeit oder sogar die Verpflichtung besteht, Erklärungen über die Zuständigkeit zu aktualisieren, nimmt die Union eine solche Aktualisierung offenbar selten vor. Laut Odermatt aus dem Jahr 2017 gab es nur ein Beispiel für aktualisierte Erklärungen über die Zuständigkeit, und zwar jene im Rahmen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation. Vgl. Odermatt, J., „The Development of Customary International Law by International Organizations“, International and Comparative Law Quarterly, Bd. 66(2), 2017, S. 506 und 507.


193      Vgl. z. B. Urteil vom 10. Dezember 2002, Parlament/Rat (C‑29/99, EU:C:2002:734, Rn. 70). Zu einer Liste der von der Union unterzeichneten Übereinkommen, die die Verpflichtung der Union zur Abgabe einer Erklärung über die Zuständigkeit vorsehen, vgl. Heliskoski, J., „EU declarations of competence and international responsibility“, in Evans, M., und Koutrakos, P. (Hrsg.), The International Responsibility of the European Union International and European Perspectives, Hart Publishing, Oxford, 2013, S. 201. In diesem Aufsatz betrachtet der Verfasser ausschließlich diese Fallgestaltung. Vgl. S. 189.


194      Vgl. Heliskoski, J., „EU Declarations of Competence and International Responsibility“, in Evans, M., und Koutrakos, P. (Hrsg.), The International Responsibility of the European Union: European and International Perspectives,Hart Publishing, Oxford, 2013, S. 189.


195      Zwar könnte die Ansicht vertreten werden, dass die Praxis der Abgabe von Zuständigkeitserklärungen, da und soweit sie von Drittstaaten stets akzeptiert worden sei, zum Entstehen einer solchen Praxis geführt habe. Die Ungewissheit eines solchen Vorbringens (soweit es u. a. dem Wiener Übereinkommen widerspricht) dürfte meines Erachtens jedoch ebenfalls für eine gewisse Vorsicht seitens des Rates sprechen.


196      Interessant mag der Hinweis sein, dass eine wachsende Zahl internationaler Übereinkünfte Verpflichtungsklauseln enthält, die Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration, wie etwa die Union, zu der Erklärung verpflichten, welche Teile der Übereinkunft in ihre Zuständigkeit fallen, vgl. Klamert, M., The Principle of Loyalty in EU Law, OUP, Oxford, 2014, S. 195.


197      Ebenso lässt sich meines Erachtens nicht ernsthaft die Ansicht vertreten, dass Art. 78 des Übereinkommens von Istanbul, der die Möglichkeit der Erklärung von Vorbehalten einschränkt, auf die Union nicht anwendbar sei, weil sie ihrer Natur nach nicht einem Staat gleichzusetzen sei. Art. 78 Abs. 2 bezieht sich nämlich ausdrücklich sowohl auf Staaten als auch auf die Europäische Union, was zeigt, dass die Verfasser dieses Übereinkommens in der Tat die Möglichkeit, Vorbehalte zu erklären, auch für die Union ausschließen wollten.


198      Denn „der bloße Umstand, dass ein Handeln der Union auf internationaler Bühne unter eine zwischen ihr und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit fällt, [schließt] die Möglichkeit [nicht] aus, dass im Rat die für die alleinige Ausübung dieser Außenzuständigkeit durch die Union erforderliche Mehrheit erzielt wird“. Urteil vom 20. November 2018, Kommission/Rat (Meeresschutzgebiete in der Antarktis) (C‑626/15 und C‑659/16, EU:C:2018:925, Rn. 126).


199      Vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/08 (Abkommen zur Änderung der Listen spezifischer Verpflichtungen nach dem GATS) vom 30. November 2009 (EU:C:2009:739, Rn. 127).


200      So wurde z. B. das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen am 1. April 1998 von der Gemeinschaft abgeschlossen, obwohl das Königreich Dänemark und das Großherzogtum Luxemburg dies noch nicht getan hatten.