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Vorabentscheidungsersuchen des Visoki trgovački sud Republike Hrvatske (Kroatien), eingereicht am 11. April 2019 – Obala i lučice d.o.o./NLB Leasing d.o.o.

(Rechtssache C-307/19)

Verfahrenssprache: Kroatisch

Vorlegendes Gericht

Visoki trgovački sud Republike Hrvatske

Parteien des Ausgangsverfahrens

Kläger: Obala i lučice d.o.o.

Beklagter: NLB Leasing d.o.o.

Vorlagefragen

Dürfen Notare die Zustellung von Schriftstücken nach der Verordnung (EG) Nr. 1393/20071 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten bewirken, wenn sie ihre Entscheidungen in Angelegenheiten zustellen, auf die die Verordnung Nr. 1215/20122 nicht anwendbar ist, wobei Notare in der Republik Kroatien nicht unter den Begriff „Gericht“ im Sinne der Verordnung Nr. 1215/2012 fallen, wenn sie im Rahmen der Befugnisse tätig werden, die ihnen durch das nationale Recht in auf der Grundlage einer „glaubwürdigen Urkunde“ durchgeführten Zwangsvollstreckungsverfahren übertragen sind? Mit anderen Worten, können Notare – die nicht unter den Begriff „Gericht“ im Sinne der Verordnung Nr. 1215/2012 fallen – im Rahmen der Befugnisse, die ihnen durch das nationale Recht in auf der Grundlage einer „glaubwürdigen Urkunde“ durchgeführten Zwangsvollstreckungsverfahren übertragen sind, die Regeln über die Zustellung von Schriftstücken nach der Verordnung Nr. 1393/2007 anwenden?

Kann das Parken auf einer Straße bzw. einer öffentlichen Verkehrsfläche, wenn die Befugnis zur Gebührenerhebung im Zakon o sigurnosti prometa na cestama (Gesetz über die Sicherheit im Straßenverkehr) und in den Regeln über die Ausübung kommunaler Tätigkeiten als hoheitlicher Tätigkeiten vorgesehen ist, als Zivilsache im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) qualifiziert werden, wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, dass bei einem ohne Parkschein oder mit einem ungültigen Parkschein angetroffenen Fahrzeug unabhängig von der genauen Parkzeit sofort eine Verpflichtung zur Zahlung eines Tagesparkscheins unter Fingierung eines ganztägigen Parkens entsteht und die für diesen Tagesparkschein erhobenen Gebühren somit Merkmale einer Strafe aufweisen und dass ein solches Parken in einigen Mitgliedstaaten als Verkehrsordnungswidrigkeit eingestuft wird?

Können die Gerichte in den vorgenannten Rechtsstreitigkeiten über das Parken auf einer Straße bzw. einer öffentlichen Verkehrsfläche Schriftstücke an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Beklagte nach der Verordnung Nr. 1393/2007 zustellen, wenn die Befugnis zur Gebührenerhebung im Zakon o sigurnosti prometa na cestama und in den Regeln über die Ausübung kommunaler Tätigkeiten als hoheitlicher Tätigkeiten vorgesehen ist?

Wenn die Antwort auf die vorstehenden Fragen so ausfällt, dass es sich bei dieser Art des Parkens um eine Zivilsache handelt, stellen sich folgende weitere Fragen:

In der vorliegenden Sache wird die Vermutung eines Vertragsschlusses durch das bloße Parken auf einem mit horizontalen und/oder vertikalen Verkehrszeichen versehenen Straßenparkplatz angewandt, d. h., es wird angenommen, dass durch bloßes Parken ein Vertrag abgeschlossen wird und dass, wenn die pro Stunde zu zahlenden Parkgebühren nicht entrichtet werden, ein Tagesparkschein zu zahlen ist. Daher stellt sich die Frage, ob diese Vermutung des Vertragsschlusses durch bloßes Parken und der Zustimmung zur Zahlung eines Tagesparkscheins, wenn kein Parkschein auf Stundenbasis gekauft wird oder wenn die Zeit, für die ein Parkschein gekauft wurde, abläuft, gegen die Grundregeln des freien Dienstleistungsverkehrs aus Art. 56 AEUV und des sonstigen Besitzstands der Union verstößt?

Im vorliegenden Fall wurde in Zadar (Kroatien) geparkt, so dass eine Verbindung zwischen diesem Vertrag und den Gerichten der Republik Kroatien besteht. Fraglich ist jedoch, ob dieses Parken eine „Dienstleistung“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 darstellt, denn eine Dienstleistung setzt voraus, dass die Partei, die sie erbringt, eine bestimmte Tätigkeit gegen Entgelt durchführt, so dass sich die Frage stellt, ob die Tätigkeit der Klägerin ausreicht, um eine Dienstleistung annehmen zu können? Sollte keine besondere Zuständigkeit in der Republik Kroatien nach Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 bestehen, müsste das Verfahren vor dem Gericht am Wohnsitz der Beklagten geführt werden.

Kann das Parken auf einer Straße bzw. einer öffentlichen Verkehrsfläche als Mietvertrag über eine unbewegliche Sache im Sinne von Art. 24 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 angesehen werden, wenn sich die Befugnis zur Gebührenerhebung aus dem Zakon o sigurnosti prometa na cestama und den Regeln über die Ausübung kommunaler Tätigkeiten als hoheitlicher Tätigkeiten ergibt und Gebühren nur zu bestimmten Zeiten des Tages erhoben werden?

Wenn die oben genannte Vermutung eines durch bloßes Parken bewirkten Vertragsschlusses im vorliegenden Fall nicht angewandt werden kann (Frage 4), stellt sich die Frage, ob eine solche Art des Parkens, bei der sich die Befugnis zur Gebührenerhebung aus dem Zakon o sigurnosti prometa na cestama ergibt und ein Tagesparkschein zu zahlen ist, wenn nicht vorher ein Parkschein auf Stundenbasis gekauft wird oder die Zeit, für die ein Parkschein gekauft wurde, abläuft, als unerlaubte Handlung oder einer solchen gleichgestellte Handlung im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 angesehen werden kann?

Der in der vorliegenden Sache fragliche Parkvorgang hat am 30. Juni 2012 um 13:02 Uhr stattgefunden, d. h. vor dem Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union, was zu der Frage führt, ob die Verordnungen über das anzuwendende Recht, nämlich die Verordnung Nr. 593/20083 und die Verordnung Nr. 864/20074 , angesichts ihres zeitlichen Geltungsbereichs auf den vorliegenden Sachverhalt angewandt werden können?

Wenn der Gerichtshof der Europäischen Union dafür zuständig sein sollte, die Frage hinsichtlich des anzuwendenden materiellen Rechts zu beantworten, stellt sich ferner folgende Frage:

Verstößt die Vermutung eines Vertragsschlusses durch bloßes Parken und einer Zustimmung zur Zahlung eines Tagesparkscheins, wenn kein Parkschein auf Stundenbasis gekauft wird oder die Zeit, für die ein Parkschein gekauft wurde, abläuft, gegen die Grundregeln des freien Dienstleistungsverkehrs aus Art. 56 AEUV und des sonstigen Besitzstands der Europäischen Union, unabhängig davon, ob der Fahrzeughalter eine natürliche oder eine juristische Person ist, bzw. kann vorliegend in Bezug auf das anzuwendende materielle Recht Art. 4 der Verordnung Nr. 593/2008 angewandt werden (aus der Verfahrensakte geht nämlich nicht hervor, dass die Parteien eine Rechtswahl getroffen haben)?

Wenn ein Vertrag vorliegen sollte: Ist dieser in der vorliegenden Sache ein Dienstleistungsvertrag, kann also ein solcher Parkvertrag als Dienstleistung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchs. b der Verordnung Nr. 593/2008 eingestuft werden?

Hilfsweise, kann dieser Parkvertrag als Mietvertrag im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 593/2008 eingestuft werden?

Hilfsweise, wenn auf das fragliche Parken Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 593/2008 anzuwenden ist: Worin besteht im vorliegenden Fall die charakteristische Leistung, da die Klägerin im Grunde lediglich die Parkfläche auf der Straße kenntlich gemacht hat und Parkgebühren erhebt, während die Beklagte den Parkplatz benutzt und Parkgebühren bezahlt? Wenn nämlich davon auszugehen ist, dass die charakteristische Leistung von der Klägerin erbracht wird, wäre das Recht der Republik Kroatien anzuwenden, sofern jedoch davon auszugehen ist, dass diese von der Beklagten erbracht wird, wäre das Recht der Republik Slowenien anzuwenden. Angesichts dessen, dass die Befugnis zur Gebührenerhebung im vorliegenden Fall durch kroatisches Recht geregelt ist, zu dem folglich eine engere Verbindung besteht, stellt sich allerdings die Frage, ob vorliegend zusätzlich Art. 4 Abs. [3] der Verordnung Nr. 593/2008 zur Anwendung gelangt?

Wenn ein außervertragliches Schuldverhältnis im Sinne der Verordnung Nr. 864/2007 anzunehmen ist: Kann dieses als Schaden eingestuft werden, so dass das anzuwendende Recht nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 864/2007 zu bestimmen wäre?

Hilfsweise, kann die fragliche Art des Parkens als ungerechtfertigte Bereicherung angesehen werden, so dass das anzuwendende Recht nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 864/2007 zu bestimmen wäre?

Hilfsweise, kann die fragliche Art des Parkens als Geschäftsführung ohne Auftrag angesehen werden, so dass das anzuwendende Recht nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 864/2007 zu bestimmen wäre?

Hilfsweise, kann die fragliche Art des Parkens als ein Fall des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen seitens der Beklagten angesehen werden, so dass das anzuwendende Recht nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 864/2007 zu bestimmen wäre?

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1     Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates (ABl. 2007, L 324, S. 79).

2     Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

3     Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6).

4     Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) (ABl. 2007, L 199, S. 40).