Language of document : ECLI:EU:T:2019:379

URTEIL DES GERICHTS (Achte Kammer)

6. Juni 2019(*)

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Internationale Registrierung mit Benennung der Europäischen Union – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das das Fahrzeug VW Caddy darstellt – Älteres Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsgrund – Eigenart – Informierter Benutzer – Anderer Gesamteindruck – Art. 6 und Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Dem Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren obliegende Beweislast – Anforderungen an die Wiedergabe des älteren Geschmacksmusters“

In der Rechtssache T‑192/18

Rietze GmbH & Co. KG mit Sitz in Altdorf (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Krogmann,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUlPO), vertreten durch S. Hanne als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Volkswagen AG mit Sitz in Wolfsburg (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt C. Klawitter,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 11. Januar 2018 (Sache R 1244/2016-3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Rietze und Volkswagen

erlässt

DAS GERICHT (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. M. Collins (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Kancheva und des Richters G. De Baere,

Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 16. März 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 31. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 29. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2019

folgendes


Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Streithelferin, die Volkswagen AG, ist Inhaberin der internationalen Registrierung mit Benennung der Europäischen Union Nr. DM/073118‑3, die beim Internationalen Büro der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) am 1. Februar 2010 angemeldet und eingetragen sowie am 31. Oktober 2010 im Bulletin des Internationalen Büros des WIPO veröffentlicht wurde (im Folgenden: angegriffenes Geschmacksmuster).

2        Das angegriffene Geschmacksmuster ist zur Verwendung für die Erzeugnisse „Motor vehicles“ („Kraftfahrzeuge“) in Klasse 12-08 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung bestimmt. Das angegriffene Geschmacksmuster wird wie folgt wiedergegeben:


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Ansicht 1

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Ansicht 10


3        Am 5. Januar 2015 stellte die Klägerin, die Rietze GmbH & Co. KG, die Fahrzeugmodelle vertreibt, beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) einen Antrag auf Nichtigerklärung der Wirkung des angegriffenen Geschmacksmusters in der Europäischen Union, der auf Art. 106f in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) gestützt wurde. Die Klägerin brachte vor, das angegriffene Geschmacksmuster sei nicht neu im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 und habe keine Eigenart im Sinne von Art. 6 der genannten Verordnung.

4        Zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung machte die Klägerin geltend, das angegriffene Geschmacksmuster sei ein Geschmacksmuster, das die Großraumlimousine VW Caddy darstelle, das von der Streithelferin im Jahre 2011 auf den Markt gebracht worden sei. Zum Beweis, dass ein älteres Geschmacksmuster offenbart worden war, verwies die Klägerin auf ein Vorgängermodell dieses Fahrzeugs, den VW Caddy (2 K) Life, den die Streithelferin im Jahre 2004 auf den Markt gebracht habe. Sie stützte ihren Antrag unter anderem auf das Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 49895-0002, das von der Streithelferin am 7. Juli 2003 angemeldet und am 9. Dezember 2003 veröffentlicht wurde (im Folgenden: älteres Geschmacksmuster).

5        Mit Entscheidung vom 20. Juni 2016 erklärte die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO das angegriffene Geschmacksmuster wegen fehlender Eigenart im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig.

6        Am 7. Juli 2016 legte die Streithelferin gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung Beschwerde nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 ein.

7        Mit Entscheidung vom 11. Januar 2018 (Sache R 1244/2016-3) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) gab die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO der Beschwerde unter Aufhebung der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung statt und wies den Antrag auf Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters zurück. Die Beschwerdekammer entschied, das angegriffene Geschmacksmuster sei neu im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 und habe Eigenart im Sinne von Art. 6 derselben Verordnung.

 Anträge der Parteien

8        Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig zu erklären;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

9        Das EUIPO und die Streithelferin beantragen,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

10      Die Klägerin macht als einzigen Klagegrund einen Verstoß gegen Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 geltend. Sie rügt im Wesentlichen, dass die Beschwerdekammer davon ausgegangen sei, dass das angegriffene Geschmacksmuster Eigenart habe, da sich sein Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorrufe, von dem Gesamteindruck unterscheide, den das ältere Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorrufe.

11      Der Klagegrund besteht aus vier Teilen. Erstens habe sich die Beschwerdekammer fälschlicherweise auf eine bloße Aufzählung angeblicher Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern beschränkt, ohne diese zu gewichten und ohne zwischen ästhetischen und technischen Merkmalen zu differenzieren. Zweitens habe sie einen unzulässig hohen Aufmerksamkeitsgrad des informierten Benutzers zugrunde gelegt und infolgedessen den Unterschieden zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern zu große Bedeutung beigemessen. Drittens habe die Beschwerdekammer bei der Beurteilung der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers Fehler begangen. Viertens schließlich habe sie bestimmte Beweismittel nicht berücksichtigt.

12      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

13      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass durch die Verordnung (EG) Nr. 1891/2006 des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 6/2002 und (EG) Nr. 40/94, mit der dem Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur Genfer Akte des Haager Abkommens über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle Wirkung verliehen wird (ABl. 2006, L 386, S. 14), in die Verordnung Nr. 6/2002 ein Titel XIa mit den Art. 106a bis 106f eingefügt wurde.

14      Nach Art. 106a der Verordnung Nr. 6/2002 hat jede Registrierung einer internationalen Eintragung, in der die Europäische Union benannt ist, in dem vom Internationalen Büro der WIPO geführten internationalen Register dieselbe Wirkung, als wäre sie im vom EUIPO geführten Register für Gemeinschaftsgeschmacksmuster erfolgt, und hat jede Veröffentlichung einer internationalen Eintragung, in der die Europäische Union benannt ist, im Bulletin des Internationalen Büros der WIPO dieselbe Wirkung wie eine Veröffentlichung im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster.

15      Nach Art. 106f der Verordnung Nr. 6/2002 kann die Wirkung einer internationalen Eintragung in der Union nach dem Verfahren der Titel VI und VII der Verordnung Nr. 6/2002 durch das EUIPO ganz oder teilweise für nichtig erklärt werden.

16      Gemäß Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 muss ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster für nichtig erklärt werden, wenn es die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung nicht erfüllt.

17      Nach Art. 4 der Verordnung Nr. 6/2002 wird ein Geschmacksmuster durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.

18      Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 ist die Eigenart eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Hinblick auf den von ihm beim informierten Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck zu beurteilen, der sich von dem Gesamteindruck unterscheiden muss, den ein anderes Geschmacksmuster, das der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist, hervorruft. Durch Art. 6 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 wird klargestellt, dass bei dieser Beurteilung der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters zu berücksichtigen ist.

19      So ergibt sich die Eigenart eines Geschmacksmusters aus einem Gesamteindruck der Unähnlichkeit oder des Fehlens eines „déjà vu“ aus der Sicht des informierten Benutzers im Vergleich zum vorbestehenden Formschatz älterer Geschmacksmuster, ungeachtet der Unterschiede, die – auch wenn sie über unbedeutende Details hinausgehen – nicht markant genug sind, um diesen Gesamteindruck zu beeinträchtigen, aber unter Berücksichtigung von Unterschieden, die hinreichend ausgeprägt sind, um einen unähnlichen Gesamteindruck hervorzurufen (vgl. Urteil vom 7. November 2013, Budziewska/HABM – Puma [Springende Raubkatze], T‑666/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:584, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Bei der Beurteilung, ob ein Geschmacksmuster Eigenart in Bezug auf den vorbestehenden Formschatz aufweist, sind die Art des Erzeugnisses, bei dem das Geschmacksmuster benutzt wird oder in das es aufgenommen wird, und insbesondere der jeweilige Industriezweig und der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters, eine mögliche Sättigung des Stands der Technik, durch die der informierte Benutzer für Unterschiede zwischen den verglichenen Geschmacksmustern aufmerksamer wird, sowie die Art der Benutzung des fraglichen Erzeugnisses, insbesondere im Hinblick auf die dafür übliche Bedienungsweise, zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 7. November 2013, Springende Raubkatze, T‑666/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:584, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Beschwerdekammern ausschließlich anhand der Verordnung Nr. 6/2002 in ihrer Auslegung durch den Unionsrichter zu prüfen ist, und nicht auf der Grundlage einer nationalen Rechtsprechung, selbst wenn diese auf Vorschriften beruht, die denen der Verordnung entsprechen (vgl. Urteil vom 4. Juli 2017, Murphy/EUIPO – Nike Innovate [Elektronisches Uhrenarmband], T‑90/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:464, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Im Licht dieser Erwägungen ist das Vorbringen der Klägerin zu prüfen.

23      Zunächst ist auf den zweiten Teil des einzigen Klagegrundes einzugehen, der den Aufmerksamkeitsgrad des informierten Benutzers betrifft, bevor dessen erster Teil untersucht wird, der die Beurteilung des von den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern aus der Sicht dieses Benutzers hervorgerufenen Gesamteindrucks betrifft, und schließlich der dritte und vierte Teil des einzigen Klagegrundes zu prüfen ist.

 Zum zweiten Teil des einzigen Klagegrundes: Aufmerksamkeitsgrad des informierten Benutzers

24      Nach Ansicht der Klägerin hat die Beschwerdekammer einen unzulässig hohen Aufmerksamkeitsgrad des informierten Benutzers zugrunde gelegt und infolgedessen den Unterschieden zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern zu große Bedeutung beigemessen.

25      Zunächst führt die Klägerin aus, der informierte Benutzer sei über die durch die Benutzung des das angegriffene Geschmacksmuster verkörpernden Produkts erworbenen Erfahrungen hinaus nicht in der Lage, die durch die technische Funktion gebotenen äußeren Aspekte des Produkts von dessen gewillkürten Aspekten zu unterscheiden. Die von der Beschwerdekammer genannten Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern beträfen technische Details, die für eine Person mit gewissen Kenntnissen in Bezug auf die Elemente, die Kraftfahrzeuge für gewöhnlich aufwiesen, nicht wahrnehmbar seien. Dies gelte insbesondere für Stoßfänger und Scheinwerfer sowie für Blinkleuchten und Heckklappen.

26      Sodann macht die Klägerin geltend, der informierte Benutzer messe Unterschieden zwischen unmittelbar aufeinanderfolgenden Fahrzeugmodellen desselben Herstellers eine geringere Bedeutung bei als Unterschieden zwischen Fahrzeugmodellen unterschiedlicher Hersteller. Bei den Fahrzeugmodellen desselben Herstellers achte der informierte Benutzer weniger auf das Design als vielmehr auf technische Neuigkeiten und Weiterentwicklungen in Bezug auf Sicherheit, Fahrleistung und Fahrkomfort. Darüber hinaus entscheide sich ein Käufer nicht aufgrund eines Vergleichs zu früheren Baureihen für den Kauf eines VW Caddy, sondern aufgrund eines Vergleichs zu den Fahrzeugen anderer Hersteller. Zur Stützung dieses Vorbringens nimmt die Klägerin auf eine Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung vom 13. September 2016 in dem Nichtigkeitsverfahren Nr. ICD 9742 Bezug. Der Erfolg des VW Caddy beruhe nicht auf seiner Gestaltung, sondern auf seiner Zuverlässigkeit.

27      Schließlich stützt sich die Klägerin auf einen in der deutschen Automobilpresse erschienenen Artikel, der die fehlenden Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern hervorhebe. Die Beschwerdekammer habe dessen Inhalt verkannt, da dieser Artikel konkrete Anhaltspunkte für die Wahrnehmung des informierten Benutzers enthalte.

28      Nach der Rechtsprechung setzt die Benutzereigenschaft voraus, dass die betroffene Person das Produkt, das das Geschmacksmuster verkörpert, zu dem für dieses Produkt vorgesehenen Zweck benutzt. Außerdem setzt die Bezeichnung „informiert“ voraus, dass der Benutzer, ohne ein Entwerfer oder technischer Sachverständiger zu sein, verschiedene Geschmacksmuster kennt, die es in dem betroffenen Wirtschaftsbereich gibt, dass er gewisse Kenntnisse in Bezug auf die Elemente besitzt, die diese Geschmacksmuster für gewöhnlich aufweisen, und dass er diese Produkte aufgrund seines Interesses an ihnen mit verhältnismäßig großer Aufmerksamkeit benutzt (vgl. Urteile vom 20. Oktober 2011, PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic, C‑281/10 P, EU:C:2011:679, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 22. Juni 2010, Shenzhen Taiden/HABM – Bosch Security Systems [Fernmeldegeräte], T‑153/08, EU:T:2010:248, Rn. 46 und 47).

29      Der Begriff des informierten Benutzers ist als Begriff zu verstehen, der zwischen dem im Markenbereich anwendbaren Begriff des Durchschnittsverbrauchers, von dem keine speziellen Kenntnisse erwartet werden und der im Allgemeinen keinen direkten Vergleich zwischen den einander gegenüberstehenden Marken anstellt, und dem des Fachmanns als Sachkundigen mit profunden technischen Fertigkeiten liegt. Somit kann der Begriff des informierten Benutzers als Bezeichnung eines Benutzers verstanden werden, dem keine durchschnittliche Aufmerksamkeit, sondern eine besondere Wachsamkeit eigen ist, sei es wegen seiner persönlichen Erfahrung oder seiner umfangreichen Kenntnisse in dem betreffenden Bereich (Urteil vom 20. Oktober 2011, PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic, C‑281/10 P, EU:C:2011:679, Rn. 53).

30      Schließlich hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Natur des informierten Benutzers an sich bedingt, dass er, soweit möglich, einen direkten Vergleich zwischen dem älteren Geschmacksmuster und dem angegriffenen Geschmacksmuster vornimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2012, Neuman und Galdeano del Sel/Baena Grup, C‑101/11 P und C‑102/11 P, EU:C:2012:641, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer in den Rn. 18 und 20 der angefochtenen Entscheidung den informierten Benutzer als eine Person beschrieben, die, ohne ein Entwerfer oder technischer Sachverständiger zu sein, verschiedene Geschmacksmuster, die es im Bereich von Kraftfahrzeugen gibt, kennt, gewisse Kenntnisse in Bezug auf die Merkmale besitzt, die solche Kraftfahrzeuge für gewöhnlich aufweisen, und derartige Kraftfahrzeuge aufgrund ihres Interesses an ihnen mit großer Aufmerksamkeit benutzt. Der informierte Benutzer von Kraftfahrzeugen sei eine Person, die sich für solche Fahrzeuge interessiere, diese fahre und benutze und aufgrund der Lektüre einschlägiger Zeitschriften sowie Besuche von Ausstellungen und Autohäusern mit den am Markt verfügbaren Modellen vertraut sei. Er sei sich dessen bewusst, dass die Hersteller Modelle, die gut am Markt eingeführt seien, sowohl technisch als auch in ihrem Erscheinungsbild regelmäßig modernisierten. Der informierte Benutzer wisse auch, dass diese „Modellpflege“ dazu diene, gewisse modische Trends umzusetzen ohne jedoch die charakteristischen Erscheinungsmerkmale des jeweiligen Fahrzeugmodells völlig aufzugeben. Nach Ansicht der Beschwerdekammer wird keiner der in den nachstehenden Rn. 40 bis 42 genannten Unterschiede dem so beschriebenen informierten Benutzer entgehen.

32      Das Vorbringen der Klägerin stellt die oben wiedergegebene Beurteilung des Aufmerksamkeitsgrads des informierten Benutzers durch die Beschwerdekammer nicht in Frage.

33      Zunächst ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, wonach die von der Beschwerdekammer festgestellten Unterschiede hinsichtlich der Stoßfänger, Scheinwerfer, Blinkleuchten und Heckklappen für den informierten Benutzer nicht wahrnehmbar seien, da sie technische Details beträfen. Zum einen hat die Beschwerdekammer keine Unterschiede hinsichtlich der Blinkleuchten der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster festgestellt. Zum anderen geht aus der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die von der Beschwerdekammer festgestellten Unterschiede hinsichtlich der Stoßfänger, Scheinwerfer und Heckklappen das Aussehen dieser Teile betreffen und nicht ihre technischen Details. Deshalb können sie vom informierten Benutzer wahrgenommen werden. Dass eine Änderung einiger dieser Elemente auch eine technische Wirkung habe könnte, ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang.

34      Sodann kann das Vorbringen der Klägerin nicht durchgreifen, wonach der informierte Benutzer Unterschieden zwischen unmittelbar aufeinanderfolgenden Fahrzeugmodellen desselben Herstellers eine geringere Bedeutung beimesse als Unterschieden zwischen Fahrzeugmodellen unterschiedlicher Hersteller. Die Klägerin bringt nämlich zur Stützung dieser Argumentation keinen rechtlichen oder tatsächlichen Umstand vor, der geeignet wäre, die Beurteilung der Beschwerdekammer hinsichtlich des Aufmerksamkeitsgrads des informierten Benutzers beim Vergleich der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster in Frage zu stellen. Der von der Klägerin zur Untermauerung des vorliegenden Arguments genannte Teil der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung vom 13. September 2016 ist insoweit nicht relevant, da er nicht den Aufmerksamkeitsgrad betrifft, den der informierte Benutzer unmittelbar aufeinanderfolgenden Fahrzeugmodellen desselben Herstellers widmet im Vergleich zu dem, der Modellen anderer Hersteller gewidmet wird. Zudem ist in Anbetracht der oben in den Rn. 28 und 29 angeführten Rechtsprechung das Vorbringen der Klägerin betreffend den Grund für Kaufentscheidungen und den Umstand, dass ihrer Ansicht nach der Erfolg des VW Caddy nicht auf seiner Gestaltung, sondern auf seiner Zuverlässigkeit beruht, ohne Belang.

35      Schließlich ist das Vorbringen zurückzuweisen, wonach die Beschwerdekammer den in der deutschen Automobilpresse zum Ausdruck gebrachten Standpunkt hätte berücksichtigen müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass Presseartikel berücksichtigt werden können, aber die Beschwerdekammer ist dazu nicht verpflichtet, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, der Ansicht ist, dass der geäußerte Standpunkt nicht relevant sei, weil er nicht den beim informierten Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck widerspiegele.

36      Folglich ist der zweite Teil des einzigen Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum ersten Teil des einzigen Klagegrundes: Gesamteindruck beim informierten Benutzer

37      Nach Auffassung der Klägerin geht aus der Rechtsprechung hervor, dass das EUIPO die Merkmale der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster gewichten müsse, weil die Erscheinungsform eines Geschmacksmusters von einzelnen Merkmalen stärker oder schwächer beeinflusst werden könne. So hätte sich die Beschwerdekammer zum einen mit den Gemeinsamkeiten der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster auseinandersetzen müssen. Eine solche Analyse hätte sie zu dem Schluss veranlasst, dass die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster in Bezug auf die Grundform der Karosserie, die Silhouette, die Form und Anordnung der Fenster, Frontscheibe und Motorhaube, Kühlergrill und Scheinwerfer nahezu identisch seien. Zum anderen hätte die Beschwerdekammer zwischen ästhetischen und technischen Merkmalen differenzieren müssen, da der informierte Benutzer Scheinwerfern aufgrund ihrer überwiegend technischen Funktion und lediglich farblichen Unterschieden bei Stoßstange und Kühlergrill nur eine untergeordnete Bedeutung in seiner Gesamtbetrachtung beimesse. Hingegen könne die Beschwerdekammer aufgrund einer bloß listenartigen Beschreibung der behaupteten Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern, wie sie diese in den Rn. 24 ff. und Rn. 33 ff. der angefochtenen Entscheidung vorgenommen habe, nicht beurteilen, ob ein abweichender Gesamteindruck beim informierten Benutzer geweckt werde.

38      Es ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer in den Rn. 23 bis 31 der angefochtenen Entscheidung die Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters im Vergleich zum älteren Geschmacksmuster beurteilt hat. Als Grundlage für ihre Beurteilung hat sie die folgenden Ansichten der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster herangezogen:

Angegriffenes Geschmacksmuster

Älteres Geschmacksmuster


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39      In den Rn. 24 bis 29 der angefochtenen Entscheidung ist die Beschwerdekammer zu dem Ergebnis gelangt, dass die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster deutliche Unterschiede aufwiesen.

40      Erstens hat die Beschwerdekammer auf der Grundlage der Zusammenschau der Seiten‑, Vorder- und Rückansichten den Schluss gezogen, dass die Motorhaube beim angegriffenen Geschmacksmuster kürzer sei und das Fahrzeug im Gesamteindruck breiter und gedrungener wirke, während das Fahrzeug gemäß dem älteren Geschmacksmuster schmäler und kastenförmiger wirke.

41      Zweitens hat die Beschwerdekammer auf der Grundlage der Vorderansichten festgestellt, dass Unterschiede hinsichtlich der Form und Anordnung der Scheinwerfer und der vorderen Stoßstange bestünden. Beim angegriffenen Geschmacksmuster gehe der schmale dunkle Kühlergrill nahtlos in die Scheinwerfer über, die nach außen hin hochgezogen seien, wodurch sie wie Katzenaugen wirkten. Der obere Teil der vorderen Stoßstange sei in der Wagenfarbe gehalten, während der untere Teil dunkel sei mit zwei zusätzlichen kleinen runden Leuchten, die beim älteren Geschmacksmuster fehlten. Die vorderen Scheinwerfer des älteren Geschmacksmusters hätten eine fast rechteckige Form und seien deutlich vom dunklen Kühlergrill gleicher Höhe abgesetzt, der zusammen mit der ebenfalls dunklen Stoßstange eine kompakte Einheit bilde, die im farblichen Kontrast zur übrigen Karosserie stehe (Ansicht 1/5). Aufgrund der leicht schräg gestellten Scheinwerfer erinnere die Vorderansicht des angegriffenen Geschmacksmusters an ein stilisiertes katzenartiges Gesicht, ein Eindruck, der beim älteren Geschmacksmuster fehle. Sodann seien beim angegriffenen Geschmacksmuster die Seitenspiegel in der Wagenfarbe gehalten, seitlich einklappbar und insgesamt von bauchiger Form, während die des älteren Geschmacksmusters flach und dunkel seien und daher im Kontrast zur Wagenfarbe stünden.

42      Drittens hat die Beschwerdekammer auf der Grundlage der Rückansichten festgehalten, dass das angegriffene Geschmacksmuster eine einteilige Heckklappe und eine in der Wagenfarbe gehaltene Stoßstange zeige. Beim älteren Geschmacksmuster befinde sich die Heckklappe oberhalb des Nummernschilds und sei die dunkle Stoßstange optisch von der Wagenfarbe abgesetzt. Aufgrund der optisch in die Karosserie integrierten Stoßstange wirke die Rückansicht des angegriffenen Geschmacksmusters insgesamt „bulliger“ als die des älteren Geschmacksmusters. Die Seitenansicht des angegriffenen Geschmacksmusters (Ansichten 3.3 und 3.7) zeige deutlich die Einfärbung der vorderen und rückwärtigen Stoßstange sowie die vorderen Scheinwerfer. Hingegen höben sich in der Seitenansicht des älteren Geschmacksmusters die dunklen Stoßstangen deutlich von der Wagenfarbe ab und seien die vorderen Scheinwerfer kaum zu erkennen.

43      Die Beschwerdekammer ist zu dem Schluss gelangt, dass keiner der oben in den Rn. 40 bis 42 genannten Unterschiede dem informierten Benutzer werde entgehen können. Sie riefen einen Gesamteindruck des Fahrzeugs gemäß dem angegriffenen Geschmacksmuster hervor, der sich von dem des Fahrzeugs gemäß dem älteren Geschmacksmuster unterscheide. Die Beschwerdekammer hat insbesondere festgestellt, dass die andere Form und Anordnung der vorderen Scheinwerfer dem Fahrzeug ein anderes Aussehen gäben, was sich auf den Gesamteindruck auswirke.

44      Das Vorbringen der Klägerin stellt die Beurteilung der Beschwerdekammer in den Rn. 24 bis 31 der angefochtenen Entscheidung, die oben in den Rn. 40 bis 43 wiedergegeben worden ist, nicht in Frage.

45      Zunächst ist festzustellen, dass sich die Beschwerdekammer entgegen der Behauptung der Klägerin nicht auf eine bloße Aufzählung der Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern beschränkt hat. Zum einen geht aus Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die Beschwerdekammer die Übereinstimmung der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster durch die kastenförmige Karosserie sowie Anzahl und Anordnung der Fenster, Türen, Scheinwerfer, Rücklichter und Seitenspiegel berücksichtigt hat. Zum anderen ergibt sich aus den Rn. 25 bis 31 der angefochtenen Entscheidung, dass sie den von den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern hervorgerufenen Gesamteindruck bewertet hat, indem sie diese anhand ihrer Vorder‑, Seiten- und Rückansichten, jeweils für sich genommen und in ihrer Kombination, analysiert hat.

46      Zur Stützung ihres Vorbringens, wonach sich die Beschwerdekammer mit den Gemeinsamkeiten der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster hätte auseinandersetzen müssen, verweist die Klägerin darauf, dass das Gericht in Rn. 73 des Urteils vom 22. Juni 2010, Fernmeldegeräte (T‑153/08, EU:T:2010:248), entschieden habe, dass eine auf dem angegriffenen Geschmacksmuster der in Rede stehenden Rechtssache vorhandene stilisierte Verzierung die festgestellten Ähnlichkeiten nicht aufwiegen könne und demzufolge nicht ausreiche, um dem genannten Geschmacksmuster Eigenart zu verleihen. Die betreffende Feststellung stellt eine dem konkreten Fall eigene Tatsachenfeststellung dar und ist keine rechtliche Anforderung im Hinblick darauf, wie die Eigenart eines Geschmacksmusters zu beurteilen ist.

47      Sodann ist festzustellen, dass nach der oben in den Rn. 19 und 20 angeführten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs keine Gewichtung der Merkmale erforderlich ist, um zu beurteilen, ob das angegriffene Geschmacksmuster beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck hervorruft als das ältere Geschmacksmuster. Wenn, wie im vorliegenden Fall, die Beurteilung der hinreichend ausgeprägten Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern mit einem hinreichenden Grad an Klarheit zeigt, dass das angegriffene Geschmacksmuster beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck als das ältere Geschmacksmuster hervorruft, kann vom EUIPO nicht verlangt werden, eine Gewichtung jedes einzelnen Merkmals der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster vorzunehmen.

48      Schließlich kann dem Argument, wonach die Beschwerdekammer zwischen ästhetischen und technischen Merkmalen hätte differenzieren müssen, nicht gefolgt werden. Zum einen ist festzustellen, dass die Klägerin keinen tatsächlichen oder rechtlichen Umstand zur Stützung ihrer Behauptung vorbringt, wonach der informierte Benutzer Scheinwerfern aufgrund ihrer überwiegend technischen Funktion und farblichen Unterschieden bei Stoßstange und Kühlergrill nur eine untergeordnete Bedeutung in seiner Gesamtbetrachtung beimesse. Zum anderen sind diese Merkmale, selbst wenn sie eine technische Funktion haben, nicht rein funktionell; vielmehr kann ihr Erscheinungsbild verändert werden, so dass eventuelle Unterschiede in ihrer Form und ihrer Anordnung den Gesamteindruck beeinflussen können, den das Erzeugnis hervorruft, in das sie integriert worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juli 2017, Elektronisches Uhrenarmband, T‑90/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:464, Rn. 61).

49      Folglich ist der erste Teil des einzigen Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum dritten Teil des einzigen Klagegrundes: Gestaltungsfreiheit des Entwerfers

50      In Rn. 17 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers von Personenkraftfahrzeugen beschrieben. Diese sei durch die technische Funktion eines Kraftfahrzeugs eingeschränkt, das der Beförderung von Personen und Lasten diene. Daneben bestünden gesetzliche Vorgaben, insbesondere im Bereich der Verkehrssicherheit. Hingegen unterliege die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers hinsichtlich der Ausgestaltung dieser technisch und gesetzlich vorgegebenen Merkmale keinen Beschränkungen. Die potenziellen Erwartungen des Marktes oder bestimmte Designtrends stellten keine relevanten Einschränkungen der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers dar.

51      Die Klägerin macht geltend, dass zum einen die im Rahmen der ersten beiden Teile des einzigen Klagegrundes vorgebrachten Argumente umso mehr gälten, als der Entwerfer über eine große Gestaltungsfreiheit verfüge. Zum anderen dürfe das Vorliegen etwaiger dem Entwerfer vom Markt auferlegter Beschränkungen bei der Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters keine Berücksichtigung finden.

52      Das EUIPO entgegnet, die Klägerin bringe keine Rüge vor, so dass es dazu nicht Stellung nehmen könne.

53      Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 21 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der gemäß deren Art. 53 Abs. 1 auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, und nach Art. 177 Abs. 1 Buchst. d der Verfahrensordnung des Gerichts die Klageschrift u. a. eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss. Diese Darstellung muss so klar und genau sein, dass sie dem Beklagten die Vorbereitung seines Verteidigungsvorbringens und dem Gericht die Entscheidung über die Klage ermöglicht. Ebenso muss jeder Antrag in einer Weise begründet sein, die sowohl dem Beklagten als auch dem Richter die Beurteilung seiner Begründetheit ermöglicht. Somit müssen die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf denen die Klage beruht, zumindest in gedrängter Form, jedenfalls aber zusammenhängend und verständlich aus dem Wortlaut der Klageschrift selbst hervorgehen. Entsprechende Anforderungen gelten, wenn eine Rüge oder ein Argument zur Stützung eines Klagegrundes vorgebracht wird (vgl. Urteil vom 13. März 2013, Biodes/HABM – Manasul Internacional [FARMASUL], T‑553/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:126, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54      Die Klägerin beanstandet nicht die Feststellungen der Beschwerdekammer, wonach die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers zum einen durch die technische Funktion eines Kraftfahrzeugs eingeschränkt sei, das zur Beförderung von Personen oder Lasten diene, und zum anderen durch rechtliche Vorgaben, die insbesondere im Bereich der Verkehrssicherheit bestünden. Darüber hinaus räumen sowohl das EUIPO als auch die Klägerin ein, dass potenzielle Erwartungen des Marktes oder bestimmte Designtendenzen keine relevanten Beschränkungen der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2014, Sachi Premium-Outdoor Furniture/HABM – Gandia Blasco [Sessel], T‑357/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:55, Rn. 23 und 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Zudem legt die Klägerin keinen tatsächlichen oder rechtlichen Umstand zur Stützung dieses Teils ihres einzigen Klagegrundes vor. Sie erläutert nicht, worin der Fehler bestehe, den die Beschwerdekammer bei der Beurteilung des Grades der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers begangen haben soll.

56      Folglich ist der dritte Teil des einzigen Klagegrundes als unzulässig zurückzuweisen.

 Zum vierten Teil des einzigen Klagegrundes: Die Beschwerdekammer hätte bestimmte Beweismittel berücksichtigen müssen

57      Nach Auffassung der Klägerin hätte die Beschwerdekammer zum einen die in einem Artikel der Online-Enzyklopädie Wikipedia gezeigte Abbildung „VW Caddy Life (2004-2010)“ und zum anderen die Abbildung in einem Gebrauchtwagenangebot, die sie ihrem Antrag auf Nichtigerklärung als Anlage beigefügt habe, berücksichtigen müssen. Die Berücksichtigung dieser Abbildungen sei deshalb von Bedeutung, weil das dort abgebildete Fahrzeug eine Stoßstange in Wagenfarbe zeige. Der in der angefochtenen Entscheidung mehrfach hervorgehobene farbliche Unterschied in Bezug auf die Stoßstange sei daher unbeachtlich.

58      Darüber hinaus habe die Beschwerdekammer einen Online-Artikel nicht berücksichtigt, weil dieser nicht beigefügt gewesen sei. Dieser Artikel sei jedoch dem Schriftsatz an die Beschwerdekammer vom 13. Januar 2017 beigefügt gewesen.


59      Die Beschwerdekammer hat die in einem Artikel der Online-Enzyklopädie Wikipedia gezeigte Abbildung bei ihrer Analyse zu Recht außer Acht gelassen. Es ist festzustellen, dass bei der Beurteilung des Beweiswerts eines Dokuments die Wahrscheinlichkeit und die Glaubhaftigkeit der darin enthaltenen Information zu prüfen sind. Insbesondere sind zu berücksichtigen die Herkunft des Dokuments, die Umstände seiner Ausarbeitung, sein Adressat und die Frage, ob es seinem Inhalt nach vernünftig und verlässlich erscheint (vgl. Urteil vom 9. März 2012, Coverpla/HABM – Heinz-Glas [Fläschchen], T‑450/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:117, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). In Anbetracht des Umstands, dass Wikipedia eine Online-Enzyklopädie ist, die jederzeit von jedem Internetnutzer geändert werden kann, ist vorliegend davon auszugehen, dass die genannte Abbildung einen äußerst begrenzten Beweiswert aufweist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Februar 2010, O2 (Germany)/HABM [Homezone], T‑344/07, EU:T:2010:35, Rn. 46).

60      Zur Rüge, wonach die Beschwerdekammer die Abbildung in einem Gebrauchtwagenangebot nicht berücksichtigt habe, ist festzustellen, dass es für die Dienststellen des EUIPO von wesentlicher Bedeutung ist, über ein Bild des älteren Geschmacksmusters zu verfügen, das es ermöglicht, das Erscheinungsbild des Erzeugnisses, in das das Geschmacksmuster aufgenommen ist, zu erfassen und genau und sicher das ältere Geschmacksmuster zu bestimmen, um gemäß den Art. 5 bis 7 der Verordnung Nr. 6/2002 die Neuheit und Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters zu beurteilen und den dazu erforderlichen Vergleich zwischen den in Rede stehenden Geschmacksmustern vorzunehmen. Für die Prüfung, ob dem angegriffenen Geschmacksmuster die Neuheit oder Eigenart fehlt, ist nämlich ein genaues und bestimmtes älteres Geschmacksmuster erforderlich (Urteil vom 21. September 2017, Easy Sanitary Solutions und EUIPO/Group Nivelles, C‑361/15 P und C‑405/15 P, EU:C:2017:720, Rn. 64).

61      Es ist Sache des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, dem EUIPO die erforderlichen Angaben und insbesondere eine genaue und vollständige Bezeichnung und Darstellung des Geschmacksmusters, dessen zeitlicher Vorrang behauptet wird, vorzulegen, um darzutun, dass das angegriffene Geschmacksmuster nicht rechtsgültig eingetragen werden kann (Urteil vom 21. September 2017, Easy Sanitary Solutions und EUIPO/Group Nivelles, C‑361/15 P und C‑405/15 P, EU:C:2017:720, Rn. 65).

62      Vom EUIPO kann nicht verlangt werden, dass es namentlich bei der Beurteilung der Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters die unterschiedlichen Elemente des älteren Geschmacksmusters zusammenfügt, denn es ist Sache des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, eine vollständige Darstellung dieses Geschmacksmusters vorzulegen. Im Übrigen enthielte jede mögliche Kombination Ungenauigkeiten, da sie zwangsläufig auf approximativen Vorstellungen beruhte (Urteil vom 21. September 2017, Easy Sanitary Solutions und EUIPO/Group Nivelles, C‑361/15 P und C‑405/15 P, EU:C:2017:720, Rn. 69). Gleiches gilt für die Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters. Für die Bejahung der Eigenart eines Geschmacksmusters muss sich nämlich der Gesamteindruck, den dieses beim informierten Benutzer hervorruft, nicht von dem Gesamteindruck, den eine Kombination isolierter Elemente von mehreren älteren Geschmacksmustern hervorruft, sondern von dem Gesamteindruck unterscheiden, den ein oder mehrere ältere Geschmacksmuster für sich genommen hervorrufen (Urteil vom 19. Juni 2014, Karen Millen Fashions, C‑345/13, EU:C:2014:2013‚ Rn. 35).

63      Im vorliegenden Fall erwartet die Klägerin vom EUIPO nicht nur, verschiedene Abbildungen des Erzeugnisses, in das das ältere Geschmacksmuster aufgenommen wurde, zu kombinieren, sondern auch, ein in den meisten Abbildungen enthaltenes Element, nämlich eine Stoßstange in einer anderen Farbe als das Fahrzeug, durch ein Element zu ersetzen, das nur in einer einzigen Abbildung enthalten ist, nämlich eine Stoßstange in Wagenfarbe. Daher hat die Klägerin dem EUIPO im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes keine genaue und vollständige Bezeichnung und Darstellung des Geschmacksmusters, dessen zeitlicher Vorrang behauptet wird, vorgelegt. Folglich hat die Beschwerdekammer ohne einen Fehler zu begehen, den Umstand außer Acht gelassen, dass das in dem Gebrauchtwagenangebot abgebildete Erzeugnis, in das das ältere Geschmacksmuster aufgenommen wurde, eine Stoßstange in Wagenfarbe aufweist.

64      Hinsichtlich des Online-Artikels, den die Beschwerdekammer unberücksichtigt gelassen habe, ist festzustellen, dass sie nicht zu seiner Berücksichtigung verpflichtet war, da der Artikel nicht relevant war, weil er, wie aus Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, keinen Aufschluss über den beim informierten Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck gab. Darüber hinaus ist die ebenfalls in Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung enthaltene Feststellung, wonach der in Rede stehende Artikel der Stellungnahme der Klägerin nicht tatsächlich beigefügt gewesen sei, eine ergänzende Erwägung, so dass die Rüge der Klägerin, dass die Beschwerdekammer diesen Artikel hätte berücksichtigen müssen, weil er sehr wohl beigefügt gewesen sei, ins Leere geht.

65      Nach alledem ist der vierte Teil des einzigen Klagegrundes zurückzuweisen und die Klage daher insgesamt abzuweisen, ohne dass über die Zulässigkeit des zweiten Antrags entschieden zu werden braucht, der darauf gerichtet ist, dass das angegriffene Geschmacksmuster vom Gericht für nichtig erklärt werde.

 Kosten

66      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen des EUIPO und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.


Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Achte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Rietze GmbH & Co. KG trägt die Kosten.

Collins

Kancheva

De Baere

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 6. Juni 2019.

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

      S. Gervasoni


*      Verfahrenssprache: Deutsch.