Language of document : ECLI:EU:C:2020:478

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

18. Juni 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Richtlinie 2004/38/EG – Art. 5, 10 und 20 – Recht eines Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, auf Einreise in einen Mitgliedstaat – Nachweis der Inhaberschaft eines solchen Rechts – Besitz einer Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers – Besitz einer Daueraufenthaltskarte“

In der Rechtssache C-754/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest, Ungarn) mit Entscheidung vom 21. November 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Dezember 2018, in dem Verfahren

Ryanair Designated Activity Company

gegen

Országos Rendőr-főkapitányság

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin L. S. Rossi sowie der Richter J. Malenovský (Berichterstatter), F. Biltgen und N. Wahl,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Dezember 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Ryanair Designated Activity Company, vertreten durch A. Csehó, Á. Illés, Á. Kollár und V. Till, ügyvédek,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, M. Tátrai und Zs. Wagner als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und A. Brabcová als Bevollmächtigte,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch L. Kotroni als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Montaguti, Zs. Teleki und J. Tomkin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Februar 2020

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 5, 10 und 20 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, berichtigt im ABl. 2004, L 229, S. 35), sowie von Art. 26 des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten und am 26. März 1995 in Kraft getretenen Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19; im Folgenden: SDÜ).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ryanair Designated Activity Company (im Folgenden: Ryanair) und dem Országos Rendőr-főkapitányság (nationales Polizeipräsidium, Ungarn) wegen einer gegen Ryanair verhängten Geldbuße.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2004/38

3        In den Erwägungsgründen 5 und 8 der Richtlinie 2004/38 heißt es:

„(5)      Das Recht aller Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, sollte, wenn es unter objektiven Bedingungen in Freiheit und Würde ausgeübt werden soll, auch den Familienangehörigen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit gewährt werden. …

(8)      Um die Ausübung der Freizügigkeit für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, zu erleichtern, sollten Familienangehörige, die bereits im Besitz einer Aufenthaltskarte sind, von der Pflicht befreit werden, sich ein Einreisevisum gemäß der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind [(ABl. 2001, L 81, S. 1)], oder gegebenenfalls gemäß den geltenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu beschaffen.

…“

4        Kapitel I („Allgemeine Bestimmungen“) Art. 3 („Berechtigte“) Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 sieht vor:

„Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen …, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.“

5        Kapitel II („Recht auf Ausreise und Einreise“) Art. 5 („Recht auf Einreise“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt:

„(1)      Unbeschadet der für die Kontrollen von Reisedokumenten an den nationalen Grenzen geltenden Vorschriften gestatten die Mitgliedstaaten Unionsbürgern, die einen gültigen Personalausweis oder Reisepass mit sich führen, und ihren Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die einen gültigen Reisepass mit sich führen, die Einreise.

Für die Einreise von Unionsbürgern darf weder ein Visum noch eine gleichartige Formalität verlangt werden.

(2)      Von Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, ist gemäß der Verordnung … Nr. 539/2001 oder gegebenenfalls den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften lediglich ein Einreisevisum zu fordern. Für die Zwecke dieser Richtlinie entbindet der Besitz einer gültigen Aufenthaltskarte gemäß Artikel 10 diese Familienangehörigen von der Visumspflicht.

…“

6        Kapitel III („Aufenthaltsrecht“) der Richtlinie 2004/38 umfasst u. a. deren Art. 7, 9 und 10.

7        In Art. 7 („Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate“) der Richtlinie 2004/38 heißt es:

„(1)      Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

(2)      Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen …

…“

8        Art. 9 („Verwaltungsformalitäten für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen“) Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen den Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, eine Aufenthaltskarte aus, wenn ein Aufenthalt von über drei Monaten geplant ist.“

9        Art. 10 („Ausstellung der Aufenthaltskarte“) Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 bestimmt:

„Zum Nachweis des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, wird spätestens sechs Monate nach Einreichung des betreffenden Antrags eine ‚Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers‘ ausgestellt. …“

10      Kapitel IV („Recht auf Daueraufenthalt“) der Richtlinie 2004/38 enthält u. a. deren Art. 16 und 20.

11      In Art. 16 („Allgemeine Regel für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen“) Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/38 heißt es:

„(1)      Jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, hat das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten....

(2)      Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben.“

12      Art. 20 („Daueraufenthaltskarte für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen“) Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/38 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen den Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die zum Daueraufenthalt berechtigt sind, binnen sechs Monaten nach Einreichung des Antrags eine Daueraufenthaltskarte aus. Die Daueraufenthaltskarte ist automatisch alle zehn Jahre verlängerbar.

(2)      Der Antrag auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte muss vor Ablauf der Gültigkeit der Aufenthaltskarte gestellt werden. …“

 SDÜ

13      Titel II („Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen und Personenverkehr“) des SDÜ enthält u. a. ein Kapitel 6, in dem es um „weitere Maßnahmen“ des von ihm vorgesehenen Systems geht. Dieses Kapitel enthält nur Art. 26, dessen Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 wie folgt lauten:

„(1)      Vorbehaltlich der Verpflichtungen, die sich aus der Genfer Konvention vom 28. Juli 1951 über den Flüchtlingsstatus in der Fassung des Protokolls von New York vom 31. Januar 1967 ergeben, verpflichten sich die Vertragsparteien, die nachstehenden Regelungen in ihre nationalen Rechtsvorschriften aufzunehmen:

b)      Der Beförderungsunternehmer ist verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sich zu vergewissern, dass der auf dem Luft- oder Seeweg beförderte Drittausländer über die für die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien erforderlichen Reisedokumente verfügt.

(2)      Vorbehaltlich der Verpflichtungen, die sich aus der Genfer Konvention vom 28. Juli 1951 über den Flüchtlingsstatus in der Fassung des Protokolls von New York vom 31. Januar 1967 ergeben, verpflichten sich die Vertragsparteien, unter Berücksichtigung ihres Verfassungsrechts Sanktionen gegen Beförderungsunternehmer einzuführen, die Drittausländer, welche nicht über die erforderlichen Reisedokumente verfügen, auf dem Luft- oder Seeweg aus einem Drittstaat in ihr Hoheitsgebiet verbringen.“

 Ungarische Regelung

14      § 3 Abs. 2 bis 4 des szabad mozgás és tartózkodás jogával rendelkező személyek beutazásáról és tartózkodásáról szóló 2007. évi I. törvény (Gesetz Nr. I von 2007 über die Einreise und den Aufenthalt von Personen, die über das Recht auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt verfügen) vom 18. Dezember 2006 (Magyar Közlöny 2007/1.) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung lautet:

„(2)      Ein drittstaatsangehöriger Familienangehöriger, der einen Staatsangehörigen des [Europäischen Wirtschaftsraums (EWR)] oder einen ungarischen Staatsangehörigen begleitet oder einem im Hoheitsgebiet Ungarns wohnhaften EWR-Staatsangehörigen oder ungarischen Staatsangehörigen nachzieht, darf in das Hoheitsgebiet Ungarns einreisen, wenn er ein gültiges Reisedokument, das innerhalb der letzten 10 Jahre ausgestellt wurde und dessen Gültigkeit das geplante Ausreisedatum um mindestens drei Monate überschreitet, sowie – sofern in einem unmittelbar anwendbaren Rechtsakt [des Unionsrechts] oder in einem internationalen Abkommen nichts anderes vorgesehen ist – ein gültiges Visum besitzt, das zu einem geplanten Aufenthalt von höchstens 90 Tagen innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen (im Folgenden: geplanter Aufenthalt von nicht mehr als 90 Tagen) berechtigt.

(3)      Ebenso darf ein Drittstaatsangehöriger als Familienangehöriger in das Hoheitsgebiet Ungarns einreisen, wenn er ein gültiges Reisedokument, das innerhalb der letzten 10 Jahre ausgestellt wurde und dessen Gültigkeit das geplante Ausreisedatum um mindestens drei Monate überschreitet, sowie – sofern in einem unmittelbar anwendbaren Rechtsakt [des Unionsrechts] oder in einem internationalen Abkommen nichts anderes vorgesehen ist – ein gültiges Visum besitzt, das zu einem geplanten Aufenthalt von höchstens 90 Tagen berechtigt.

(4)      Die in den Abs. 2 und 3 genannten Personen dürfen ohne Visum in das Hoheitsgebiet Ungarns einreisen, wenn sie ein Dokument, welches das in diesem Gesetz vorgesehene Aufenthaltsrecht bescheinigt, oder eine Aufenthaltskarte besitzen, die einem drittstaatsangehörigen Familienangehörigen des EWR-Staatsangehörigen von einem Vertragsstaat des [EWR-]Abkommens ausgestellt wurde.“

15      § 69 Abs. 1 und 5 des harmadik országbeli állampolgárok beutazásáról és tartózkodásáról szóló 2007. évi II. törvény (Gesetz Nr. II von 2007 über die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen) vom 18. Dezember 2006 (Magyar Közlöny 2007/1.) sieht in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung vor:

„(1)      Jeder Beförderer, der einen Drittstaatsangehörigen im Luft-, Binnenschiffs- oder Straßenlinienverkehr in das Hoheitsgebiet Ungarns befördert oder ihn durch das Hoheitsgebiet Ungarns in ein anderes Bestimmungsland bringt, hat sich vor der Beförderung zu vergewissern, dass der Drittstaatsangehörige im Hinblick auf die Ein- oder Durchreise über ein gültiges Reisedokument und gegebenenfalls ein gültiges Visum verfügt, das ihn zu einem Aufenthalt von höchstens 90 Tagen berechtigt.

(5)      Gegen jeden Beförderer, der seiner Pflicht nach Abs. 1 nicht nachkommt, wird eine Geldbuße verhängt, deren Höhe in einer besonderen Regelung festgelegt wird.

…“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

16      Am 9. Oktober 2017 kontrollierte die Polizei des Flughafens Liszt Ferenc von Budapest (Ungarn) die Fluggäste eines aus London (Vereinigtes Königreich) kommenden und von Ryanair durchgeführten Fluges. Dabei stellte sie fest, dass ein ukrainischer Fluggast einen nicht biometrischen Reisepass, eine vom Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland gemäß Art. 10 der Richtlinie 2004/38 ausgestellte aber später ungültig gemachte Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers sowie eine ebenfalls vom Vereinigten Königreich gemäß Art. 20 der Richtlinie ausgestellte gültige Daueraufenthaltskarte bei sich trug, jedoch über kein Visum verfügte.

17      Da dieser Fluggast nach Ansicht der Polizei somit nicht über sämtliche für die Einreise in das Hoheitsgebiet Ungarns erforderlichen Reisedokumente verfügte, verweigerte sie ihm die Einreise und verlangte von Ryanair, ihn nach London zurückzubefördern. Da ihrer Ansicht nach Ryanair zudem nicht die Maßnahmen ergriffen hatte, die ihr als Beförderer oblegen hätten, um sich zu vergewissern, dass dieser Fluggast im Besitz der erforderlichen Reisedokumente gewesen sei, beschloss sie, gegen Ryanair eine Geldbuße in Höhe von 3 000 Euro zu verhängen.

18      Ryanair machte im Rahmen ihrer gegen diesen Beschluss gerichteten Klage beim Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest, Ungarn) geltend, der betreffende Fluggast sei nach Art. 5 der Richtlinie 2004/38 zur Einreise ohne Visum ins ungarische Hoheitsgebiet berechtigt gewesen, da er über eine vom Vereinigten Königreich gemäß Art. 20 der Richtlinie ausgestellte Daueraufenthaltskarte verfügt habe. Auch wenn Art. 5 der Richtlinie die darin vorgesehene Befreiung von der Visumpflicht von dem Erfordernis abhängig mache, dass sich ein Drittstaatsangehöriger im Besitz einer Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers gemäß Art. 10 der Richtlinie befinde, könne nur einer Person, die zuvor eine solche Karte erhalten habe, später eine Daueraufenthaltskarte ausgestellt werden. Ryanair schloss daraus, dass eine Analyse des Zusammenhangs der in Rede stehenden Bestimmungen zu dem Ergebnis führe, dass eine Visumfreiheit auch in dem Fall vorliege, in dem ein Drittstaatsangehöriger eine Daueraufenthaltskarte besitze. Der Besitz dieser Karte an sich müsse als ausreichender Nachweis dafür angesehen werden, dass dieser Staatsangehörige die Eigenschaft eines Familienangehörigen eines Unionsbürgers habe. Schließlich dürfe ein Beförderer jedenfalls keine zusätzlichen Nachforschungen über die Familienbindung zwischen dem Betroffenen und einem Unionsbürger anstellen und könne daher nicht dafür bestraft werden, dass er keine solchen zusätzlichen Nachforschungen angestellt habe.

19      Das ungarische nationale Polizeipräsidium vertrat zunächst die Ansicht, dass Art. 5 der Richtlinie 2004/38 wörtlich dahin auszulegen sei, dass nur der Besitz einer Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers – deren Bezeichnung selbst das Vorliegen einer Familienbindung zu einem Unionsbürger belege – Drittstaatsangehörige von der Pflicht entbinde, im Besitz eines Visums zu sein, um in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen zu dürfen. Folglich könne nicht angenommen werden, dass der Besitz einer Daueraufenthaltskarte, die in Art. 10 der Richtlinie nicht genannt sei, ihren Inhaber von der Visumpflicht entbinde. Das gelte erst recht in dem Fall, in dem eine Daueraufenthaltskarte von einem Mitgliedstaat ausgestellt worden sei, der wie das Vereinigte Königreich zum Zeitpunkt der dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegenden Ereignisse nicht zum Schengenraum gehöre. Dementsprechend könne ein Beförderer wie Ryanair gemäß Art. 26 SDÜ bestraft werden, wenn er nicht überprüft habe, ob der Inhaber einer solchen Daueraufenthaltskarte ein Visum besitze.

20      In Anbetracht dieser Argumente führt das vorlegende Gericht als Erstes aus, dass es daran zweifele, ob Art. 5 der Richtlinie 2004/38 wörtlich auszulegen sei oder ob sein Wortlaut anhand des Zusammenhangs auszulegen sei, in dem Art. 5 stehe. Insoweit weist es insbesondere darauf hin, dass die Richtlinie das Recht auf Daueraufenthalt als ein „verstärktes“ Recht verstehe, das Drittstaatsangehörigen gewährt werde, die Familienangehörige eines Unionsbürgers seien und bereits ein Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren erworben hätten.

21      Als Zweites fragt sich das vorlegende Gericht nach der Tragweite der in Art. 5 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Visumfreiheit und möchte wissen, ob sie dahin zu verstehen ist, dass sie Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, unabhängig davon zugutekommt, welcher Mitgliedstaat ihnen eine Aufenthaltskarte ausgestellt hat, oder ob sie vielmehr so zu verstehen ist, dass sie denen vorbehalten ist, die über eine von einem zum Schengenraum gehörenden Mitgliedstaat ausgestellte Aufenthaltskarte verfügen. Es stellt insoweit fest, dass zum Zeitpunkt der dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit zugrunde liegenden Ereignisse das Vereinigte Königreich ein Mitgliedstaat der Union gewesen sei, der nicht zum Schengenraum gehört habe.

22      Als Drittes weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es, sollte Art. 5 der Richtlinie 2004/38 dahin ausgelegt werden, dass sich die darin vorgesehene Visumfreiheit auf Drittstaatsangehörige erstreckt, die Inhaber einer von einem nicht zum Schengenraum gehörenden Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltskarte sind, wissen möchte, ob der Besitz einer solchen Karte ein hinreichender Nachweis des Rechts ihres Inhabers ist, ohne Visum in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einzureisen, oder ob es erforderlich ist, dass der Betroffene ergänzende Dokumente zum Beleg seiner Familienbindung zu einem Unionsbürger vorlegt.

23      Als Viertes äußert das vorlegende Gericht zum Schluss Zweifel am Umfang der Pflicht der Beförderungsunternehmer gemäß Art. 26 SDÜ, die Reisedokumente von Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind und sich auf dem Luft- oder Seeweg von einem Mitgliedstaat in einen anderen begeben, zu überprüfen. Insoweit möchte es zum einen wissen, ob die „Reisedokumente“, deren Besitz zu überprüfen dieser Artikel den Beförderern vorschreibt, nur die Dokumente sind, die belegen, dass diese Personen in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaats einreisen dürfen, oder ob sie darüber hinaus auch die Dokumente umfassen, die eine Familienbindung zu einem Unionsbürger bescheinigen. Zum anderen möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Folgen die Nichteinhaltung dieser Prüfpflicht hat.

24      Unter diesen Umständen hat das Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen, dass Familienangehörige, die im Besitz einer gültigen Aufenthaltskarte im Sinne von Art. 10 oder einer Daueraufenthaltskarte im Sinne von Art. 20 dieser Richtlinie sind, bei der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats von der Visumpflicht befreit sind?

2.      Ist, falls die erste Frage zu bejahen ist, Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dann genauso auszulegen, wenn der Familienangehörige eines Unionsbürgers, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, sein Recht auf Daueraufenthalt im Vereinigten Königreich erworben und von diesem Staat eine Daueraufenthaltskarte erhalten hat? Mit anderen Worten, befreit der Besitz der Daueraufenthaltskarte im Sinne von Art. 20 dieser Richtlinie in der vom Vereinigten Königreich ausgestellten Fassung den Inhaber von der Visumpflicht, ungeachtet der Tatsache, dass weder die Verordnung Nr. 539/2001, auf die in Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie Bezug genommen wird, noch die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2016, L 77, S. 1) für das Vereinigte Königreich gelten?

3.      Ist, falls die erste und die zweite Frage zu bejahen sind, der Besitz der nach Art. 20 der Richtlinie 2004/38 ausgestellten Aufenthaltskarte als solcher als ausreichender Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber der Karte zum einen Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist und deshalb ohne weitere Überprüfung oder andere Nachweise das Recht zur Einreise in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats hat und zum anderen gemäß Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie von der Visumpflicht befreit ist?

4.      Ist, falls die dritte Frage zu verneinen ist, Art. 26 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 SDÜ dahin auszulegen, dass ein Luftfahrtunternehmen verpflichtet ist, nicht nur die Reisedokumente zu prüfen, sondern auch, ob ein Fluggast, der mit einer Daueraufenthaltskarte im Sinne von Art. 20 der Richtlinie 2004/38 reisen möchte, bei der Einreise tatsächlich Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist?

5.      Falls die vierte Frage zu bejahen ist:

a)      Wenn ein Luftfahrtunternehmen nicht feststellen kann, ob ein Fluggast, der mit einer Daueraufenthaltskarte im Sinne von Art. 20 der Richtlinie 2004/38 reisen möchte, zum Zeitpunkt der Einreise tatsächlich Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, ist es dann verpflichtet, das Einsteigen in das Flugzeug und die Beförderung dieses Fluggastes in einen anderen Mitgliedstaat zu verweigern?

b)      Kann ein Luftfahrtunternehmen, das nicht prüft, ob die oben genannte Bedingung erfüllt ist, oder sich nicht weigert, einen Fluggast zu befördern, der zwar im Besitz einer Daueraufenthaltskarte ist, seinen Status als Familienangehöriger aber nicht nachweisen kann, aus diesem Grund gemäß Art. 26 Abs. 2 SDÜ mit einer Geldstrafe belegt werden?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

25      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass der Besitz einer Daueraufenthaltskarte im Sinne von Art. 20 der Richtlinie eine Person, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, aber Familienangehörige eines Unionsbürgers und Inhaberin einer solchen Karte ist, bei der Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von der Visumpflicht befreit.

26      Insoweit sieht Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 in Satz 1 vor, dass von Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, gemäß der Verordnung Nr. 539/2001 oder gegebenenfalls den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften lediglich ein Einreisevisum zu fordern ist, und in Satz 2, dass für die Zwecke dieser Richtlinie der Besitz einer gültigen Aufenthaltskarte gemäß Art. 10 der Richtlinie diese Familienangehörigen von der Visumpflicht entbindet.

27      Der Wortlaut dieser Bestimmung enthält keine Bezugnahme auf die Daueraufenthaltskarte im Sinne von Art. 20 der Richtlinie 2004/38. Die fehlende Bezugnahme an sich ist nicht geeignet, im Umkehrschluss den Willen des Unionsgesetzgebers zu belegen, Familienangehörige eines Unionsbürgers, die eine Daueraufenthaltskarte besitzen, bei der Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von der Befreiung von der Visumpflicht nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie auszuschließen.

28      Vor diesem Hintergrund sind nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung dieser Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteile vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C‑17/03, EU:C:2005:362, Rn. 41, sowie vom 26. März 2019, SM [unter algerische Kafala gestelltes Kind], C‑129/18, EU:C:2019:248, Rn. 51).

29      Was als Erstes den Zusammenhang anbelangt, in dem Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 steht, ist zum einen festzustellen, dass die Aufenthaltskarte im Sinne von Art. 10 dieser Richtlinie und die Daueraufenthaltskarte im Sinne von deren Art. 20 beide Dokumente sind, deren Besitz durch Familienangehörige eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, bescheinigt, dass sie ein Recht auf Aufenthalt im und damit auf Einreise ins Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten haben.

30      Genauer gesagt, ist – wie sich aus Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ergibt – die Karte im Sinne von deren Art. 10 ein Dokument, das die Mitgliedstaaten ausstellen, um zu bescheinigen, dass die Betroffenen – wie in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehen – ein Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate haben.

31      Die Karte im Sinne von Art. 20 der Richtlinie 2004/38 ist nach dessen Abs. 1 ein Dokument, das die Mitgliedstaaten ausstellen, wenn die Betroffenen – wie in Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehen – ein Recht auf Daueraufenthalt haben.

32      Aus dem achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38, anhand dessen Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie auszulegen ist, geht hervor, dass Familienangehörige, die bereits im Besitz „einer“ Aufenthaltskarte sind, bei der Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von der Visumpflicht befreit sein sollten. Somit zeigt sich, dass es der Umstand, gemäß den Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 eine Aufenthaltskarte welcher Art auch immer erhalten zu haben, ist, der es rechtfertigt, dass diese Familienangehörigen von der Visumpflicht befreit sind.

33      Zum anderen setzt – wie sich aus Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 ergibt – der Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt voraus, dass sich die Familienangehörigen rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit dem betreffenden Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben, was zwangsläufig bedeutet, dass sie zuvor in dem Mitgliedstaat ein Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate hatten.

34      Desgleichen geht aus Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 hervor, dass die Daueraufenthaltskarte nur den Personen ausgestellt werden darf, die zuvor eine Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers erhalten haben.

35      Folglich sind die Familienangehörigen eines Unionsbürgers, denen eine Daueraufenthaltskarte ausgestellt wird, zwangsläufig Personen, die zuvor als Inhaber einer Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers von der Visumpflicht gemäß Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 befreit waren.

36      Was als Zweites das Ziel anbelangt, das mit der Richtlinie 2004/38 verfolgt wird, besteht es – wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat – darin, eine schrittweise Integration der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, in die Gesellschaft des Mitgliedstaats, in dem sie sich niedergelassen haben, zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2011, Ziolkowski und Szeja, C‑424/10 und C‑425/10, EU:C:2011:866, Rn. 38 und 41, sowie vom 17. April 2018, B und Vomero, C‑316/16 und C‑424/16, EU:C:2018:256, Rn. 51 und 54).

37      Dieses Ziel steht aber dem entgegen, dass bei Familienangehörigen eines Unionsbürgers der Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt zum Verlust der Befreiung von der Visumpflicht führt, die ihnen vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt als Inhaber einer Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers zugutekam.

38      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass der Besitz einer Daueraufenthaltskarte im Sinne von Art. 20 der Richtlinie eine Person, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, aber Familienangehörige eines Unionsbürgers und Inhaberin einer solchen Karte ist, bei der Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von der Visumpflicht befreit.

 Zur zweiten Frage

39      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass der Besitz der Daueraufenthaltskarte im Sinne von Art. 20 der Richtlinie den Familienangehörigen eines Unionsbürgers, der Inhaber dieser Karte ist, auch dann von der Visumpflicht befreit, wenn diese Karte von einem nicht zum Schengenraum gehörenden Mitgliedstaat ausgestellt worden ist.

40      Zunächst ist festzustellen, dass – wie der Generalanwalt in den Nrn. 38 bis 40 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – die für den Schengenraum geltenden Vorschriften ausdrücklich bestimmen, dass sie die insbesondere durch die Richtlinie 2004/38 gewährleistete Freizügigkeit der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, die sie begleiten oder ihnen nachziehen, nicht berühren.

41      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2004/38 unterschiedslos für alle Mitgliedstaaten gilt, unabhängig davon, ob sie zum Schengenraum gehören oder nicht.

42      Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 enthält keine spezifische Bezugnahme auf den Schengenraum, und zwar weder im Hinblick darauf, dass die in diesem Artikel vorgesehene Befreiung von der Visumpflicht von der Voraussetzung abhängig gemacht würde, dass die Aufenthaltskarte von einem zum Schengenraum gehörenden Mitgliedstaat ausgestellt worden ist, noch umgekehrt im Hinblick darauf, dass Personen, die eine von einem nicht zum Schengenraum gehörenden Mitgliedstaat ausgestellte Aufenthaltskarte besitzen, von dieser Befreiung ausgeschlossen würden.

43      Folglich ist die Befreiung von der Visumpflicht gemäß Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 nicht allein auf die Familienangehörigen eines Unionsbürgers beschränkt, die eine von einem zum Schengenraum gehörenden Mitgliedstaat ausgestellte Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte besitzen.

44      Diese Auslegung wird durch den Zusammenhang bestätigt, in dem Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 steht.

45      Die „allgemeine Vorschrift“ in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 sieht nämlich vor, dass sie für jeden Unionsbürger gilt, der sich in einen anderen Mitgliedstaat als den, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

46      Daraus ergibt sich für die Auslegung von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 insbesondere, dass jeder Familienangehörige jedes Unionsbürgers Anspruch auf die in dieser Vorschrift vorgesehene Befreiung von der Visumpflicht hat. Eine Unterscheidung zwischen diesen Familienangehörigen danach, welcher Mitgliedstaat ihnen eine Daueraufenthaltskarte ausgestellt hat, würde einige von ihnen von dieser Befreiung ausschließen und somit dieser Vorschrift in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie zuwiderlaufen.

47      Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass der Besitz der Daueraufenthaltskarte im Sinne von Art. 20 der Richtlinie den Familienangehörigen eines Unionsbürgers, der Inhaber dieser Karte ist, auch dann von der Visumpflicht befreit, wenn diese Karte von einem nicht zum Schengenraum gehörenden Mitgliedstaat ausgestellt worden ist.

 Zur dritten Frage

48      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 20 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass der Besitz der Aufenthaltskarte im Sinne dieses Artikels einen ausreichenden Nachweis dafür darstellt, dass der Inhaber der Karte zum einen Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist und deshalb ohne weitere Überprüfung oder andere Nachweise das Recht zur Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat und zum anderen gemäß Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie von der Visumpflicht befreit ist.

49      Insoweit geht bereits aus dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 u. a. hervor, dass die Mitgliedstaaten eine Daueraufenthaltskarte nur Personen ausstellen dürfen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind.

50      Folglich bedeutet die Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte durch einen Mitgliedstaat, dass er zuvor zwangsläufig geprüft hat, dass die betreffende Person diese Eigenschaft hat.

51      Daher erübrigt sich eine zusätzliche Prüfung dieser Eigenschaft.

52      Des Weiteren hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass die Ausstellung der Aufenthaltskarte im Sinne von Art. 10 der Richtlinie 2004/38 die förmliche Feststellung der tatsächlichen und rechtlichen Situation der betreffenden Person im Hinblick auf diese Richtlinie bedeutet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Juli 2011, Dias, C‑325/09, EU:C:2011:498, Rn. 48, vom 18. Dezember 2014, McCarthy u. a., C‑202/13, EU:C:2014:2450, Rn. 49, sowie vom 27. Juni 2018, Diallo, C‑246/17, EU:C:2018:499, Rn. 48).

53      Entsprechend ist davon auszugehen, dass auch die Ausstellung der Daueraufenthaltskarte im Sinne von Art. 20 der Richtlinie 2004/38 als förmliche Feststellung der Situation der betreffenden Person in der durch dieses Dokument bescheinigten Form gilt.

54      Folglich ist eine Daueraufenthaltskarte als solche zum Nachweis dafür geeignet, dass die Person, die Inhaberin der Karte ist, Familienangehörige eines Unionsbürgers ist.

55      Demnach ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 20 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass der Besitz der Aufenthaltskarte im Sinne dieses Artikels einen ausreichenden Nachweis dafür darstellt, dass der Inhaber der Karte zum einen Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist und deshalb ohne weitere Überprüfung oder andere Nachweise das Recht zur Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat und zum anderen gemäß Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie von der Visumpflicht befreit ist.

 Zur vierten und zur fünften Frage

56      Aufgrund der Antwort auf die dritte Frage erübrigt sich die Beantwortung der vierten und der fünften Frage.

 Kosten

57      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin auszulegen, dass der Besitz einer Daueraufenthaltskarte im Sinne von Art. 20 der Richtlinie eine Person, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, aber Familienangehörige eines Unionsbürgers und Inhaberin einer solchen Karte ist, bei der Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von der Visumpflicht befreit.

2.      Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 ist dahin auszulegen, dass der Besitz der Daueraufenthaltskarte im Sinne von Art. 20 der Richtlinie den Familienangehörigen eines Unionsbürgers, der Inhaber dieser Karte ist, auch dann von der Visumpflicht befreit, wenn diese Karte von einem nicht zum Schengenraum gehörenden Mitgliedstaat ausgestellt worden ist.

3.      Art. 20 der Richtlinie 2004/38 ist dahin auszulegen, dass der Besitz der Aufenthaltskarte im Sinne dieses Artikels einen ausreichenden Nachweis dafür darstellt, dass der Inhaber der Karte zum einen Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist und deshalb ohne weitere Überprüfung oder andere Nachweise das Recht zur Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat und zum anderen gemäß Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie von der Visumpflicht befreit ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Ungarisch.