Language of document : ECLI:EU:C:2000:2

URTEIL DES GERICHTSHOFES

11. Januar 2000 (1)

„Gleichbehandlung von Männern und Frauen — Beschränkung des Zugangs vonFrauen zum Dienst mit der Waffe in der Bundeswehr“

In der Rechtssache C-285/98

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234EG) vom Verwaltungsgericht Hannover (Deutschland) in dem bei diesemanhängigen Rechtsstreit

Tanja Kreil

gegen

Bundesrepublik Deutschland

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzesder Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zurBeschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug aufdie Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40), insbesondere Artikel 2,

erläßt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, derKammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida und L. Sevón sowie der RichterP. J. G. Kapteyn, C. Gulmann, J.-P. Puissochet (Berichterstatter), G. Hirsch,H. Ragnemalm und M. Wathelet,

Generalanwalt: A. La Pergola


Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

—    von Frau Kreil, vertreten durch Rechtsanwalt J. Rothardt, Soltau,

—    der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat W.-D. Plessing undRegierungsdirektor C.-D. Quassowski, Bundesministerium für Wirtschaft, alsBevollmächtigte,

—    der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durchRechtsberater J. Grunwald als Bevollmächtigten,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Frau Kreil, vertreten durchRechtsanwalt J. Rothardt, der deutschen Regierung, vertreten durch C.-D. Quassowski, der italienischen Regierung, vertreten durch Avvocato dello StatoD. Del Gaizo, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durchAssistant Treasury Solicitor J. E. Collins als Bevollmächtigten im Beistand vonN. Pleming, QC, und der Kommission, vertreten durch J. Grunwald, in der Sitzungvom 29. Juni 1999,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26.Oktober 1999,

folgendes

Urteil

1.
    Das Verwaltungsgericht Hannover hat mit Beschluß vom 13. Juli 1998, beimGerichtshof eingegangen am 24. Juli 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetztArtikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 76/207/EWG desRates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes derGleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur

Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug aufdie Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40; im folgenden: Richtlinie), insbesondereArtikel 2, zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.
    Diese Frage stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits, den Frau Kreil gegen dieBundesrepublik Deutschland angestrengt hat, weil ihr die Bundeswehr eineVerwendung in der Instandsetzung (Elektronik) verweigert hat.

Rechtlicher Rahmen

3.
    Artikel 2 Absätze 1 bis 3 der Richtlinie lautet:

„(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehendenBestimmungen beinhaltet, daß keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierungauf Grund des Geschlechts — insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oderFamilienstand — erfolgen darf.

(2) Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, solcheberuflichen Tätigkeiten und gegebenenfalls die dazu jeweils erforderlicheAusbildung, für die das Geschlecht auf Grund ihrer Art oder der Bedingungen ihrerAusübung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt, von ihremAnwendungsbereich auszuschließen.

(3)    Diese Richtlinie steht nicht den Vorschriften zum Schutz der Frau,insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegen.“

4.
    Nach Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie prüfen „[d]ie Mitgliedstaaten ... inregelmäßigen Abständen die unter Artikel 2 Absatz 2 fallenden beruflichenTätigkeiten, um unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung festzustellen, obes gerechtfertigt ist, die betreffenden Ausnahmen aufrechtzuerhalten. Sieübermitteln der Kommission das Ergebnis dieser Prüfung.“

5.
    Artikel 12a des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt:

„(1)    Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst inden Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverbandverpflichtet werden.

...

(4)    Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilenSanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisationnicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vomvollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch

Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungenherangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten.“

6.
    Die Möglichkeiten des Zugangs von Frauen zu militärischen Verwendungen in derBundeswehr sind insbesondere in § 1 Absatz 2 des Soldatengesetzes (SG) und § 3ader Soldatenlaufbahnverordnung (SLV) geregelt, wonach Frauen nur aufgrundfreiwilliger Verpflichtung und nur in Laufbahnen des Sanitäts- undMilitärmusikdienstes eingestellt werden können.

Der Ausgangsrechtsstreit

7.
    Frau Kreil, die als Elektronikerin ausgebildet ist, bewarb sich 1996 für denfreiwilligen Dienst in der Bundeswehr mit dem Verwendungswunsch Instandsetzung(Elektronik). Ihr Antrag wurde vom Zentrum für Nachwuchsgewinnung und danachvom Personalstammamt der Bundeswehr mit der Begründung abgelehnt, es seigesetzlich ausgeschlossen, daß Frauen Dienst mit der Waffe leisteten.

8.
    Sie erhob daraufhin Klage beim Verwaltungsgericht Hannover und trug u. a. vor,die Ablehnung ihrer Bewerbung allein aus geschlechtsspezifischen Gründen seigemeinschaftsrechtswidrig.

9.
    Da das Verwaltungsgericht Hannover der Ansicht war, daß für die Entscheidungdes Rechtsstreits eine Auslegung der Richtlinie erforderlich sei, hat es dasVerfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidungvorgelegt:

Liegt ein Verstoß gegen die Richtlinie des Rates vom 9. Februar 1976(76/207/EWG) — insbesondere auch im Hinblick auf Artikel 2 Absatz 2 dieserRichtlinie — in der Regelung des § 1 Absatz 2 Satz 3 des Soldatengesetzes in derFassung vom 15. Dezember 1995 (BGBl. I S. 1737), zuletzt geändert durch Gesetzvom 4. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2846) und § 3a derSoldatenlaufbahnverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Januar1998 (BGBl. I S. 326), wonach Frauen aufgrund freiwilliger Verpflichtung nur fürVerwendungen im Sanitäts- und Militärmusikdienst berufen werden können, vomDienst mit der Waffe jedoch in jedem Falle ausgeschlossen sind?

Zur Vorlagefrage

10.
    Das vorlegende Gericht möchte mit dieser Frage im wesentlichen wissen, ob dieRichtlinie der Anwendung nationaler Bestimmungen entgegensteht, die wie die desdeutschen Rechts Frauen vom Dienst mit der Waffe ausschließen und ihnen nurden Zugang zum Sanitäts- und Militärmusikdienst erlauben.

11.
    Frau Kreil trägt vor, ein solcher Ausschluß stelle eine unmittelbare Diskriminierungdar, die gegen die Richtlinie verstoße. Nach ihrer Ansicht ist es

gemeinschaftsrechtlich nicht zulässig, daß einer Frau durch Gesetz oderVerordnung der Zugang zu einem von ihr gewünschten Beruf verwehrt werde.

12.
    Die deutsche Regierung vertritt dagegen die Auffassung, daß dasGemeinschaftsrecht den fraglichen Bestimmungen des SG und der SLV nichtentgegensteht, die mit dem verfassungsrechtlichen Gebot des Ausschlusses vonFrauen vom Dienst mit der Waffe im Einklang stünden. Zum einen gelte dasGemeinschaftsrecht grundsätzlich nicht für Fragen der Verteidigung, die zurgemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gehörten und in der Souveränität derMitgliedstaaten verblieben seien. Zum anderen könnten, auch wenn man davonausgehe, daß die Richtlinie im Bereich der Streitkräfte Anwendung finde, diefraglichen nationalen Bestimmungen über die Beschränkung des Zugangs vonFrauen auf bestimmte Verwendungen in der Bundeswehr nach Artikel 2 Absätze2 und 3 der Richtlinie gerechtfertigt sein.

13.
    Die italienische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs, die inder mündlichen Verhandlung Stellung genommen haben, weisen im wesentlichendarauf hin, daß Entscheidungen über Organisation und Kampfkraft der Streitkräftenicht in den Anwendungsbereich des Vertrages fielen. Hilfsweise machen siegeltend, daß Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie unter bestimmten Umständen denAusschluß von Frauen vom Dienst in Kampfeinheiten rechtfertigen könne.

14.
    Nach Ansicht der Kommission findet die Richtlinie, die für öffentlich-rechtlicheDienstverhältnisse gelte, auf Beschäftigungsverhältnisse in den StreitkräftenAnwendung. Sie vertritt die Auffassung, Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie könneeinen stärkeren Schutz von Frauen gegenüber Gefahren, die Männer und Frauenin gleicher Weise beträfen, nicht rechtfertigen. Die Frage, ob die von Frau Kreilangestrebte Beschäftigung zu den Tätigkeiten gehöre, für die es aufgrund ihrer Artoder der Bedingungen ihrer Ausübung unabdingbare Voraussetzung im Sinne vonArtikel 2 Absatz 2 der Richtlinie sei, daß sie von Männern und nicht von Frauenausgeübt würden, sei vom vorlegenden Gericht zu beantworten; es habe dabei denGrundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten und müsse sowohl demErmessensspielraum, der dem einzelnen Mitgliedstaat nach Maßgabe dernationalen Besonderheiten belassen sei, als auch dem Prozeßcharakter derfortschreitenden Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vonMännern und Frauen Rechnung tragen.

15.
    Wie der Gerichtshof in Randnummer 15 des Urteils vom 26. Oktober 1999 in derRechtssache C-273/97 (Sirdar, Slg. 1999, I-0000) ausgeführt hat, ist es Sache derMitgliedstaaten, die die geeigneten Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer innerenund äußeren Sicherheit zu ergreifen haben, die Entscheidungen über dieOrganisation ihrer Streitkräfte zu treffen. Daraus ergibt sich jedoch nicht, daßderartige Entscheidungen vollständig der Anwendung des Gemeinschaftsrechtsentzogen wären.

16.
    Der Vertrag sieht nämlich, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, Ausnahmenaus Gründen der öffentlichen Sicherheit nur in den Artikeln 36, 48, 56, 223 (nachÄnderung jetzt Artikel 30 EG, 39 EG, 46 EG und 296 EG) und 224 (jetzt Artikel297 EG) vor; diese betreffen ganz bestimmte außergewöhnliche Fälle. Aus ihnenläßt sich kein allgemeiner, dem Vertrag immanenter Vorbehalt ableiten, der jedeMaßnahme, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit getroffen wird, vomAnwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ausnimmt. Würde ein solcherVorbehalt unabhängig von den besonderen Tatbestandsmerkmalen derBestimmungen des Vertrages anerkannt, so könnte das die Verbindlichkeit und dieeinheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen (vgl. Urteile vom15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, Randnr. 26, undSirdar, Randnr. 16).

17.
    Der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne der in vorstehender Randnummergenannten Artikel des Vertrages umfaßt aber sowohl die innere Sicherheit einesMitgliedstaats, um die es in dem Verfahren ging, das dem Urteil Johnston zugrundelag, als auch seine äußere Sicherheit, die Gegenstand des Verfahrens war, das zumUrteil Sirdar geführt hat (vgl. Urteile vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-367/89, Richardt und „Les Accessoires Scientifiques“, Slg. 1991, I-4621, Randnr. 22,vom 17. Oktober 1995 in der Rechtssache C-83/94, Leifer u. a., Slg. 1995, I-3231,Randnr. 26, und Sirdar, Randnr. 17).

18.
    Außerdem betreffen einige der im Vertrag vorgesehenen Ausnahmen nur dieBestimmungen über den freien Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehr undnicht die Sozialvorschriften des Vertrages, zu denen der von Frau Kreil geltendgemachte Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen gehört. Esentspricht ständiger Rechtsprechung, daß dieser Grundsatz allgemeine Geltung hatund daß die Richtlinie auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse anwendbar ist(vgl. Urteile vom 21. Mai 1985 in der Rechtssache 248/83,Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 1459, Randnr. 16, vom 2. Oktober 1997 in derRechtssache C-1/95, Gerster, Slg. 1997, I-5253, Randnr. 18, und Sirdar,Randnr. 18).

19.
    Folglich ist die Richtlinie in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrensanwendbar.

20.
    Nach Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten die Befugnis,solche beruflichen Tätigkeiten, für die das Geschlecht aufgrund ihrer Art oder derBedingungen ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt, vomAnwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen, wobei jedoch daran zu erinnernist, daß diese Bestimmung als Ausnahme von einem in der Richtlinie verankertenindividuellen Recht eng auszulegen ist (vgl. Urteile Johnston, Randnr. 36, undSirdar, Randnr. 23).

21.
    So hat der Gerichtshof z. B. festgestellt, daß das Geschlecht fürBeschäftigungsverhältnisse wie die eines Aufsehers und Chefaufsehers in

Haftanstalten (Urteil vom 30. Juni 1988 in der Rechtssache 318/86,Kommission/Frankreich, Slg. 1988, 3559, Randnrn. 11 bis 18), für bestimmteTätigkeiten wie die der Polizei bei schweren inneren Unruhen (Urteil Johnston,Randnrn. 36 und 37) oder auch für den Dienst in speziellen Kampfeinheiten (UrteilSirdar, Randnrn. 29 bis 31) eine unabdingbare Voraussetzung darstellen kann.

22.
    Ein Mitgliedstaat kann solche Tätigkeiten und die hierauf vorbereitendeBerufsausbildung je nach Lage des Falles Männern oder Frauen vorbehalten. DieMitgliedstaaten sind, wie sich aus Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie ergibt, in einemsolchen Fall verpflichtet, die betreffenden Tätigkeiten in regelmäßigen Abständenzu prüfen, um unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung festzustellen, ob dieAusnahme von der allgemeinen Regelung der Richtlinie noch aufrechterhaltenwerden kann (vgl. Urteile Johnston, Randnr. 37, und Sirdar, Randnr. 25).

23.
    Bei der Festlegung der Reichweite der Ausnahme von einem Grundrecht wie demauf Gleichbehandlung ist außerdem, wie der Gerichtshof in Randnummer 38 desUrteils Johnston und Randnummer 26 des Urteils Sirdar ausgeführt hat, derGrundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, der zu den allgemeinenGrundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört. Danach dürfen Ausnahmen nichtüber das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Zieles angemessen underforderlich ist; ferner ist der Grundsatz der Gleichbehandlung soweit wie möglichmit den Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit, die für die Bedingungen derAusübung der jeweiligen Tätigkeiten bestimmend sind, in Einklang zu bringen.

24.
    Die nationalen Stellen verfügen jedoch je nach den Umständen über einenbestimmten Ermessensspielraum, wenn sie die für die öffentliche Sicherheit einesMitgliedstaats erforderlichen Maßnahmen treffen (vgl. Urteile Leifer u. a.,Randnr. 35, und Sirdar, Randnr. 27).

25.
    Daher ist, wie der Gerichtshof in Randnummer 28 des Urteils Sirdar ausgeführthat, zu prüfen, ob unter den Umständen des konkreten Falles die Maßnahmen, diedie nationalen Stellen in Ausübung des ihnen zuerkannten Ermessens getroffenhaben, tatsächlich das Ziel verfolgen, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten,und ob sie angemessen und erforderlich sind, um dieses Ziel zu erreichen.

26.
    Wie in den Randnummern 5, 6 und 7 des vorliegenden Urteils festgestellt, stütztsich die Weigerung, die Klägerin des Ausgangsverfahrens in den Dienst derBundeswehr einzustellen, in dem sie beschäftigt werden wollte, auf dieBestimmungen des deutschen Rechts, wonach Frauen vollständig vom Dienst mitder Waffe ausgeschlossen sind und ihnen nur der Zugang zum Sanitäts- undMilitärmusikdienst erlaubt ist.

27.
    In Anbetracht seiner Reichweite kann ein solcher Ausschluß, der für nahezu allemilitärischen Verwendungen in der Bundeswehr gilt, nicht als eineAusnahmemaßnahme angesehen werden, die durch die spezifische Art der

betreffenden Beschäftigungen oder die besonderen Bedingungen ihrer Ausübunggerechtfertigt wäre. Die Ausnahmen im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 der Richtliniekönnen aber nur spezifische Tätigkeiten betreffen (vgl. UrteilKommission/Frankreich, Randnr. 25).

28.
    Im übrigen kann schon im Hinblick auf das Wesen der Streitkräfte die Tatsache,daß deren Angehörige zum Einsatz von Waffen verpflichtet sein können, für sichallein nicht den Ausschluß von Frauen vom Zugang zu militärischen Verwendungenrechtfertigen. Wie die deutsche Regierung erklärt hat, gibt es auch in den Dienstender Bundeswehr, zu denen Frauen Zugang haben, eine Ausbildung an der Waffe,die dem Personal dieser Dienste die Selbstverteidigung und Nothilfe ermöglichensoll.

29.
    Somit konnten die nationalen Stellen auch unter Berücksichtigung des ihnenzustehenden Ermessens hinsichtlich der Möglichkeit, den betreffenden Ausschlußaufrechtzuerhalten, nicht ohne Verstoß gegen den Grundsatz derVerhältnismäßigkeit allgemein davon ausgehen, daß sämtliche bewaffnetenEinheiten der Bundeswehr weiterhin ausschließlich aus Männern bestehen müssen.

30.
    Was schließlich eine Anwendung von Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie betrifft, aufden sich die deutsche Regierung ebenfalls berufen hat, so soll diese Bestimmung,wie der Gerichtshof in Randnummer 44 des Urteils Johnston ausgeführt hat, zumeinen die körperliche Verfassung der Frau und zum anderen die besondereBeziehung zwischen Mutter und Kind schützen. Danach können also Frauen nichtmit der Begründung von einer Beschäftigung ausgeschlossen werden, sie müßtenim Verhältnis zu Männern stärker gegen Gefahren geschützt werden, die sich vonden besonderen, in der Richtlinie ausdrücklich erwähnten Schutzbedürfnissen derFrau unterscheiden.

31.
    Der vollständige Ausschluß von Frauen vom Dienst mit der Waffe gehört demnachnicht zu den Ungleichbehandlungen, die nach Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie zumSchutz der Frau zulässig sind.

32.
    Auf die Vorlagefrage ist somit zu antworten, daß die Richtlinie der Anwendungnationaler Bestimmungen entgegensteht, die wie die des deutschen Rechts Frauenallgemein vom Dienst mit der Waffe ausschließen und ihnen nur den Zugang zumSanitäts- und Militärmusikdienst erlauben.

Kosten

33.
    Die Auslagen der deutschen und der italienischen Regierung, der Regierung desVereinigten Königreichs sowie der Kommission, die vor dem GerichtshofErklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien desAusgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem

vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daherSache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Verwaltungsgericht Hannover mit Beschluß vom 13. Juli 1998vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung desGrundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich desZugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowiein bezug auf die Arbeitsbedingungen steht der Anwendung nationalerBestimmungen entgegen, die wie die des deutschen Rechts Frauen allgemein vomDienst mit der Waffe ausschließen und ihnen nur den Zugang zum Sanitäts- undMilitärmusikdienst erlauben.

Rodríguez Iglesias        Moitinho de Almeida
Sevón

Kapteyn                Gulmann                 Puissochet

Hirsch                Ragnemalm             Wathelet

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. Januar 2000.

Der Kanzler

Der Präsident

R. Grass

G. C. Rodríguez Iglesias


1: Verfahrenssprache: Deutsch.