Language of document : ECLI:EU:C:2019:97

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 6. Februar 2019(1)

Rechtssache C391/17

Europäische Kommission

gegen

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Eigenmittel – Beschluss 91/482/EWG – Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Union – Einfuhren von Aluminium aus Anguilla – Umladung – Von den Zollbehörden eines überseeischen Landes oder Gebiets unrichtig ausgestellte EXP-Bescheinigungen – Vom Einfuhrmitgliedstaat nicht erhobene Zölle – Finanzielle Verantwortung des Mitgliedstaats, zu dem ein ÜLG eine besondere Beziehung unterhält – Ersatz des in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Verlusts von Eigenmitteln der Union“






I.      Einleitung

1.        Die Europäische Kommission beantragt die Feststellung, dass das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus dem in Art. 5 EG(2) verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verstoßen hat. Dies wird damit begründet, dass es den Verlust von Eigenmitteln nicht ausgeglichen habe, die dem Unionshaushalt hätten zur Verfügung gestellt werden müssen. Dieser Betrag entspricht den auf Einfuhren von aus Drittstaaten stammenden Aluminiumlieferungen nach Italien nicht erhobenen Zöllen. Eine Erhebung in dieser Höhe wäre erfolgt, wenn die Zollbehörden von Anguilla, einem überseeischen Land oder Gebiet (im Folgenden: ÜLG) des Vereinigten Königreichs, nicht im Zeitraum von 1998 bis 2000 unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 2 des Beschlusses 91/482/EWG(3) die betreffenden Ausfuhrbescheinigungen für die Wiederausfuhr in die Europäische Union ausgestellt hätten. Nach Ansicht der Kommission ist das Vereinigte Königreich für diesen, durch das ÜLG des Vereinigten Königreichs verursachten Verlust von Eigenmitteln unionsrechtlich verantwortlich. Nach der Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit müsse dieser Mitgliedstaat dem Unionshaushalt jetzt den Betrag der von einem anderen Mitgliedstaat (Italien) nicht erhobenen Zölle nebst Zinsen zur Verfügung stellen.

2.        Mit einer parallelen Klage in der Rechtssache  Kommission/Königreich der Niederlande (C‑395/17), in der ich gesondert Schlussanträge vorlege, beantragt die Kommission in entsprechender Weise eine Feststellung und den Ersatz eines Verlusts von Eigenmitteln. Jene Rechtssache betrifft angebliche Verstöße der Zollbehörden von Curaçao und Aruba, zweier ÜLG des Königreichs der Niederlande.

3.        Der seiner Natur nach technische und komplexe Klageantrag, der mehrfach gelesen werden muss, um das Begehren der Kommission zu erfassen, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich unter der Oberfläche noch viel mehr verbirgt. Die Klagen sind nicht das, was sie zu sein scheinen. Umhüllt von einem Nebel aus technischen Einzelheiten des Zollrechts, einem komplexen Sachverhalt des Einzelfalls und einer durchaus umfangreichen Prozessgeschichte, der in seiner Durchsichtigkeit tatsächlich an Twin Peaks erinnert, liegt eine strukturelle und verfassungsrechtliche Frage von erheblicher Bedeutung. Kann die Kommission mit einem Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV die Feststellung beantragen, dass ein Mitgliedstaat (das Vereinigte Königreich) gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit verstoßen hat, indem es den Verlust nicht ausgeglichen hat, der dem Unionshaushalt in einem anderen Mitgliedstaat (Italien) aufgrund eines angeblichen (länger) zurückliegenden Verstoßes seines ÜLG (Anguilla) gegen das Unionsrecht entstanden ist? Kann die Kommission im Rahmen dieser Vertragsverletzungsklage als Rechtsfolge Ersatz für den der Europäischen Union entstandenen Schaden verlangen? Wenn eine solche Klage nach Art. 258 AEUV tatsächlich zulässig ist, welche Darlegungs- und Beweisanforderungen muss die Kommission erfüllen, damit eine solche Klage erfolgreich sein kann?

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Das Eigenmittelsystem

4.        Die Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1552/89(4) in der durch die Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1355/96(5) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1552/89) ist auf den Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache anwendbar.

5.        Art. 2 der Verordnung Nr. 1552/89 bestimmt:

„(1)      Für diese Verordnung gilt ein Anspruch der Gemeinschaften auf die Eigenmittel im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a) und b) des Beschlusses 88/376/EWG, Euratom als festgestellt, sobald die Bedingungen der Zollvorschriften für die buchmäßige Erfassung des Betrags der Abgabe und dessen Mitteilung an den Abgabenschuldner erfüllt sind.

(1a)      Der Zeitpunkt der Feststellung im Sinne von Absatz 1 ist der Zeitpunkt der buchmäßigen Erfassung im Sinne der Zollvorschriften.

(1b)      In Streitfällen wird davon ausgegangen, dass die zuständigen Verwaltungsbehörden zum Zwecke der Feststellung im Sinne von Absatz 1 die Höhe der geschuldeten Abgabe spätestens anlässlich der ersten Verwaltungsentscheidung, mit der dem Abgabenschuldner die Schuld mitgeteilt wird, oder anlässlich der Anrufung der Justizbehörde, wenn diese Anrufung zuerst erfolgt, bestimmen können.

Als Zeitpunkt der Feststellung im Sinne von Absatz 1 ist der Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung oder der im Anschluss an die Anrufung der Justizbehörde durchzuführenden Berechnung zugrunde zu legen.“

6.        Art. 6 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1552/89 bestimmt:

„(1)      Bei der Haushaltsverwaltung jedes Mitgliedstaats oder bei der von jedem Mitgliedstaat bestimmten Einrichtung wird über die Eigenmittel Buch geführt, und zwar aufgegliedert nach der Art der Mittel.

(2)      a)      Die nach Artikel 2 festgestellten Ansprüche werden vorbehaltlich Buchstabe b) dieses Absatzes spätestens am ersten Werktag nach dem 19. des zweiten Monats, der auf den Monat folgt, in dem der Anspruch festgestellt wurde, in die Buchführung aufgenommen.

b)      Festgestellte Ansprüche, die in die Buchführung nach Buchstabe a) nicht aufgenommen wurden, weil sie noch nicht eingezogen wurden und für sie eine Sicherheit nicht geleistet worden ist, werden innerhalb der Frist nach Buchstabe a) in einer gesonderten Buchführung ausgewiesen. Die Mitgliedstaaten können auf die gleiche Weise vorgehen, wenn festgestellte Ansprüche, für die eine Sicherheit geleistet worden ist, angefochten werden und durch Regelung des betreffenden Streitfalls Veränderungen unterworfen sein können.

…“

7.        Nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1552/89 „[erfolgt n]ach Abzug von 10 v. H. für Erhebungskosten gemäß Artikel 2 Absatz 3 des Beschlusses 88/376/EWG, Euratom … die Gutschrift der Eigenmittel im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a) und b) des genannten Beschlusses spätestens am ersten Werktag nach dem 19. des zweiten Monats, der auf den Monat folgt, in dem der Anspruch nach Artikel 2 festgestellt wurde.

Bei den nach Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b) in einer gesonderten Buchführung ausgewiesenen Ansprüchen erfolgt die Gutschrift spätestens am ersten Werktag nach dem 19. des zweiten Monats, der auf den Monat folgt, in dem die den Ansprüchen entsprechenden Beträge eingezogen wurden.“

8.        Art. 11 der Verordnung Nr. 1552/89 lautet wie folgt: „Bei verspäteter Gutschrift auf dem in Artikel 9 Absatz 1 genannten Konto hat der betreffende Mitgliedstaat Zinsen zu zahlen, deren Satz dem am Fälligkeitstag auf dem Geldmarkt des betreffenden Mitgliedstaats für kurzfristige Finanzierung geltenden Zinssatz – erhöht um 2 Prozentpunkte – entspricht. Dieser Satz erhöht sich um 0,25 Prozentpunkte für jeden Verzugsmonat. Der erhöhte Satz findet auf die gesamte Dauer des Verzugs Anwendung.“

9.        Art. 17 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1552/89 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten haben alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Beträge, die den gemäß Artikel 2 festgestellten Ansprüchen entsprechen, der Kommission nach Maßgabe dieser Verordnung zur Verfügung gestellt werden.

(2)      Die Mitgliedstaaten sind nur dann nicht verpflichtet, die den festgestellten Ansprüchen entsprechenden Beträge der Kommission zur Verfügung zu stellen, wenn diese Beträge aus Gründen höherer Gewalt nicht erhoben werden konnten. Ferner brauchen die Mitgliedstaaten im Einzelfall die Beträge der Kommission nicht zur Verfügung zu stellen, wenn sich nach eingehender Prüfung aller maßgeblichen Umstände des betreffenden Falles erweist, dass die Einziehung aus nicht von ihnen zu vertretenden Gründen auf Dauer unmöglich ist. Diese Fälle sind in dem Bericht gemäß Absatz 3 aufzuführen, sofern die zu dem am ersten Werktag des Monats Oktober des Kalendervorjahres geltenden Kurs in Landeswährung umgerechneten Beträge 10 000 ECU übersteigen. In dem Bericht sind die Gründe anzugeben, die den Mitgliedstaat gehindert haben, die betreffenden Beträge zur Verfügung zu stellen. Die Kommission kann dem Mitgliedstaat binnen sechs Monaten Bemerkungen übermitteln.

…“

10.      Die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1150/2000(6) ersetzte die Verordnung Nr. 1552/89. Art. 2 Abs. 1, 2 und 3, Art. 6 Abs. 1 und 3 Buchst. a und b, Art. 10 Abs. 1 und Art. 11 dieser Verordnung entsprechen im Wesentlichen den Bestimmungen der oben angeführten Verordnung Nr. 1552/89. Art. 17 der Verordnung Nr. 1552/89 wurde durch Art. 17 der Verordnung Nr. 1150/2000 ersetzt und durch die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2028/2004(7) geändert.

B.      ÜLG-Beschluss

11.      Art. 101 Abs. 2 des ÜLG-Beschlusses, der in der vorliegenden Rechtssache zeitlich anwendbar ist, bestimmt:

„Waren, die keine Ursprungswaren der ÜLG sind, sich aber im zollrechtlich freien Verkehr in einem ÜLG befinden und in unverändertem Zustand in die Gemeinschaft wiederausgeführt werden, sind bei der Einfuhr in die Gemeinschaft von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung befreit, sofern

–        für sie in dem betreffenden ÜLG Zölle oder Abgaben gleicher Wirkung entrichtet worden sind, die den Zöllen entsprechen oder sie übersteigen, die bei der Einfuhr derselben Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern, für die die Meistbegünstigungsklausel gilt, in der Gemeinschaft anwendbar wären;

–        sie nicht Gegenstand einer vollständigen oder teilweisen Befreiung oder Erstattung der Zölle oder Abgaben gleicher Wirkung waren;

–        sie von einer Ausfuhrbescheinigung begleitet werden.“

III. Sachverhalt und Vorverfahren

12.      Anguilla ist eines der „überseeischen Länder und Hoheitsgebiete des Vereinigten Königreichs“, die in Anhang II des EG-Vertrags aufgeführt sind und auf die der vierte Teil dieses Vertrags Anwendung findet. Der ÜLG-Beschluss fand zum maßgeblichen Zeitpunkt auf dieses Gebiet ebenfalls Anwendung.

13.      Im Jahr 1998 wurde in Anguilla eine Umladungsregelung eingeführt, um von Art. 101 Abs. 2 des ÜLG-Beschlusses Gebrauch zu machen. Aluminium aus Drittstaaten wurde nach Anguilla eingeführt. Der örtliche Zoll von 6 % wurde von Einführern in Anguilla entrichtet. Eine in Anguilla ansässige Gesellschaft, die Corbis Trading (Anguilla) Limited (im Folgenden: Corbis), zahlte als Einfuhrunternehmen eine „Ausfuhrtransportbeihilfe“ an die Empfängerunternehmen, um die Ladung über Anguilla zu leiten. Diese Zahlung legte Corbis dann der anguillanischen Regierung vor, die hierfür eine Auszahlung vornahm. Die anguillanischen Behörden stellten dann EXP-Bescheinigungen für die Wiederausfuhr des Aluminiums in die Europäische Union aus.

14.      Das Foreign and Commonwealth Office (Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und Commonwealth-Fragen) des Vereinigten Königreichs (im Folgenden: FCO) hatte Bedenken in Bezug auf die Rechtmäßigkeit des Vorgehens. Es ersuchte Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs (Steuerbehörde, im Folgenden: HMRC) förmlich um die Durchführung einer Untersuchung. Diese Untersuchung fand im November 1998 statt. Die HMRC kam zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung der EXP-Bescheinigungen nach Art. 101 Abs. 2 des ÜLG-Beschlusses nicht vorgelegen hätten. Die Dienststelle für die Koordinierung der Betrugsbekämpfung (im Folgenden: UCLAF)(8) wurde am 25. November 1998 über das Ergebnis der Untersuchung unterrichtet.

15.      Im Anschluss änderte Corbis 1998 ihre Abrechnungspraxis. Die Rechnungen, die Corbis der anguillanischen Regierung ausstellte, lauteten auf von Corbis „erbrachte Leistungen“. Eine „Ausfuhrtransportbeilhilfe“ wurde darin nicht mehr erwähnt.

16.      Mit Schreiben vom 6. Januar 1999 unterrichtete die HMRC die Kommission, dass sie die UCLAF oder andere Mitgliedstaaten nicht mehr auf von Anguilla ausgegebene Ausfuhrbescheinigungen hinweisen wolle. Auf Initiative des House of Assembly (Parlament) von Anguilla vom 22. Januar 1999 wurde auf jedes nach dem ÜLG-Beschluss über Anguilla in die Europäische Union umgeladene Erzeugnis eine Abgabe in der Höhe erhoben, die derjenigen des Zolltarifs der Union für dieses Erzeugnis entsprach.

17.      Am 18. Februar 1999 gab die UCLAF eine Mitteilung (AM 10/1999) nach Art. 45 der Verordnung (EG) Nr. 515/97(9) heraus. Danach wurden etwa 50 % der von Anguilla an Zöllen erhobenen Beträge als „Ausfuhrtransportbeihilfen“ und sonstige Aufwendungen rückerstattet. Die UCLAF kam zu dem Ergebnis, dass diese Zahlungen mit der Erhebung von Zöllen in Verbindung stünden. Die UCLAF empfahl den Zollbehörden der Mitgliedstaaten daher, „alle durch die anguillanischen Behörden ausgestellten EXP-Bescheinigungen zurückzuweisen und auf künftige Einfuhren Sicherheits- oder Garantiezölle in der vollen Höhe von 6 % zu erheben, bis diese Zweifel ausgeräumt sind“.

18.      Von März 1999 bis Juni 2000 wurde aus Drittstaaten stammendes und zunächst nach Anguilla eingeführtes Aluminium aus Anguilla wiederausgeführt und nach Italien eingeführt.

19.      Am 28. Mai 2003 veröffentlichte OLAF einen gemeinsamen Prüfbericht, wonach der den Einführern im Wege der Ausfuhrtransportbeihilfe gewährte wirtschaftliche Anreiz 25 US-amerikanische Dollar (USD) pro Tonne Aluminium betrug.

20.      Am 28. Dezember 2004 erließ die Kommission auf Ersuchen Italiens den Beschluss REC 03/2004. Am 17. März 2003 hatte dieser Mitgliedstaat ein italienisches Unternehmen, das am 1. April 1999 Aluminiumblöcke mit von Anguilla ausgestellten EXP-Bescheinigungen nach Italien eingeführt hatte, zur Entrichtung von Einfuhrabgaben aufgefordert. Dieses Unternehmen hatte beantragt, von der Nacherhebung der betreffenden Einfuhrzölle abzusehen, und hilfsweise, sie zu erlassen. In ihrem Beschluss kam die Kommission zu dem Schluss, dass es gerechtfertigt sei, in diesem konkreten Fall von einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex(10) abzusehen. Die Kommission erklärte, dass ähnliche Fälle wie der dem Beschluss REC 03/2004 zugrunde liegende genauso zu behandeln seien, wenn die Sachverhalte sachlich und rechtlich vergleichbar seien(11).

21.      Am 26. Mai 2006 erließ die Kommission auf Ersuchen der Niederlande den Beschluss REM 03/2004. Im Jahr 1998 hatte ein deutsches Unternehmen Aluminium aus Kanada über St. Pierre und Miquelon (ein ÜLG unter französischer Hoheit) in die Europäische Union verschifft und eingeführt. Am 20. Dezember 2000 forderten die niederländischen Behörden dieses Unternehmen zur Entrichtung von Einfuhrabgaben auf, für die dieses seinerseits einen Antrag auf Erlass nach Art. 239 des Zollkodex(12) stellte. Die Kommission entschied, dass ein besonderer Umstand im Sinne dieser Bestimmung vorliege und ein Erlass der Abgaben gerechtfertigt sei. Sie erklärte, dass Anträge auf Erstattung oder Erlass für Einfuhren aus St. Pierre und Miquelon, Anguilla und den niederländischen Antillen in die Union, die sachlich und rechtlich vergleichbar seien, entsprechend zu behandeln seien.

22.      Italienische Behörden unterrichteten die Kommission mit Schreiben vom 28. September 2006 und 28. September 2007 darüber, dass sie auf der Grundlage der Beschlüsse REC 03/2004 bzw. REM 03/2004 verschiedene Entscheidungen zum Erlass von Abgaben getroffen hätten. Die Kommission ersuchte im Juli 2009 um zusätzliche Angaben, die mit Antwortschreiben vom 4. September 2009 übermittelt wurden.

23.      Mit Schreiben vom 8. Juli 2010, in dem auf die von Italien mitgeteilten Angaben Bezug genommen wurde, forderte die Kommission das Vereinigte Königreich erstmals zur Bereitstellung von 2 619 504,01 Euro auf und wies darauf hin, dass dieser als Eigenmittel geschuldete Betrag im Fall seiner verspäteten Bereitstellung zu verzinsen sei. Das Vereinigte Königreich erwiderte mit Schreiben vom 17. September 2010 und verwies darauf, dass keine schriftlichen Beweise vorgelegt worden seien. Mit Schreiben vom 27. September 2010 legte die Kommission den Behörden des Vereinigten Königreichs weitere Angaben und eine Aufstellung der betreffenden, sich aus dem Schreiben der italienischen Zollbehörden vom 4. September 2009 ergebenden Fälle vor. Weiterer Schriftverkehr zwischen der Kommission und dem Vereinigten Königreich folgte bis November 2011.

24.      Am 27. September 2013 mahnte die Kommission durch Aufforderungsschreiben die Bereitstellung der 2 670 001,29 Euro an. Das Vereinigte Königreich erwiderte mit Schreiben vom 21. November 2013 und wies jede Haftung und jeden Verstoß gegen das Unionsrecht zurück.

25.      Am 17. Oktober 2014 übersandte die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme. Das Vereinigte Königreich erwiderte mit Schreiben vom 17. Dezember 2014, in dem es seine Ansicht aufrechterhielt.

26.      Mit Schreiben vom 30. Oktober 2015 ersuchte die Kommission die italienischen Behörden, ihr die Einzelheiten der Zollanmeldungen zu übermitteln, die Grundlage der gegen das Vereinigte Königreich erhobenen Gesamtforderungen waren. Diese Anmeldungen wurden zusammen mit den Ausfuhrbescheinigungen mit Nachricht vom 23. Dezember 2015 übermittelt. Auf der Grundlage dieser Dokumente gelangte die Kommission zu der Feststellung, dass die Höhe der gegen das Vereinigte Königreich zu erhebenden Forderung sich tatsächlich auf 1 500 342,31 Euro belief, da die bis zu diesem Zeitpunkt geforderten weiteren Beträge sich auf Einfuhren bezogen, für die Ausfuhrgenehmigungen von anderen ÜLG als Anguilla (nämlich St. Pierre und Miquelon) ausgestellt worden waren.

27.      Da das Vereinigte Königreich der Zahlungsaufforderung nicht nachkam, leitete die Kommission das vorliegende Verfahren ein.

IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

28.      Mit Klageschrift vom 30. Juni 2017 beantragt die Kommission,

–        festzustellen, dass das Vereinigte Königreich dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 5 (später Art. 10) des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (jetzt Art. 4 Abs. 3 EUV) verstoßen hat, dass es den Verlust von Eigenmitteln nicht ausgeglichen hat, die nach den Art. 2, 6, 10, 11 und 17 der Verordnung Nr. 1552/89 (jetzt Art. 2, 6, 10, 12 und 13 der Verordnung [EU, Euratom] Nr. 609/2014(13)) hätten festgestellt und dem Unionshaushalt zur Verfügung gestellt werden müssen, wären nicht unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 2 des Beschlusses 91/482 für Einfuhren von Aluminium aus Anguilla in den Jahren 1999 und 2000 Ausfuhrbescheinigungen ausgegeben worden;

–        dem Vereinigten Königreich die Kosten aufzuerlegen.

29.      Das Vereinigte Königreich beantragt,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

30.      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 30. November 2017 ist das Königreich der Niederlande als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Vereinigten Königreichs zugelassen worden.

31.      Sowohl die Kommission als auch die Regierung des Vereinigten Königreichs haben in der Sitzung vom 2. Oktober 2018, an der auch die Regierung der Niederlande teilgenommen hat, mündliche Ausführungen gemacht.

V.      Würdigung

32.      Die vorliegenden Schlussanträge sind wie folgt aufgebaut. Ich werde zunächst zu ergründen versuchen, welcher Art der von der Kommission erhobene Klageanspruch genau ist (A). Zweitens werde ich prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Vertragsverletzungsklage mit der Begründung erhoben werden könnte, dass für einen Schaden, der der Europäischen Union durch einen einem Mitgliedstaat zuzurechnenden Verstoß gegen das Unionsrecht entstanden ist, kein Ersatz geleistet worden ist (B). Drittens werde ich, da ich diese Möglichkeit grundsätzlich als gegeben ansehe, anschließend prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Ersatzverpflichtung in der vorliegenden Rechtssache gegeben sind (C), und zu dem Schluss kommen, dass dies nicht der Fall ist. Ich werde daher vorschlagen, die Klage der Kommission als unbegründet abzuweisen.

A.      Drei in eins? Die genaue Art des Klageanspruchs

33.      Die Kommission beantragt die Feststellung, dass das Vereinigte Königreich dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 5 EG verstoßen hat, dass es den Verlust von Eigenmitteln nicht ausgeglichen hat, die nach den Art. 2, 6, 10, 11 und 17 der Verordnung Nr. 1552/89 hätten festgestellt und dem Unionshaushalt zur Verfügung gestellt werden müssen, wären nicht unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 2 des ÜLG-Beschlusses für Einfuhren von Aluminium aus Anguilla in den Jahren 1999 und 2000 Ausfuhrbescheinigungen ausgegeben worden.

34.      Die vorliegende Rechtssache weist ein außergewöhnliches Maß an Komplexität auf. Dies hat seinen Grund nicht so sehr darin, dass sie sich auf überseeische Länder und Gebiete der Union bezieht, sondern vielmehr darin, wie die Kommission ihren Anspruch in der vorliegenden Rechtssache geltend macht und ihr Vorbringen strukturiert. Versucht man, dem Klageanspruch der Kommission auf den Grund zu gehen, wird klar, dass es sich tatsächlich um eine Vielzahl von Ansprüchen handelt, die sich in einem einzigen Klageanspruch verbergen.

35.      Erstens wurden nach Ansicht der Kommission EXP-Bescheinigungen von den anguillanischen Behörden unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 2 des ÜLG-Beschlusses zu Unrecht ausgestellt. Die Kommission nimmt insoweit nicht ausdrücklich dazu Stellung, ob dieser Verstoß gegen das Unionsrecht dem Vereinigten Königreich aufgrund dessen unmittelbar zuzurechnen ist, dass die anguillanischen Zollbehörden Behörden dieses Mitgliedstaats waren (im Folgenden: ursprünglicher Verstoß).

36.      Zweitens soll nach Ansicht der Kommission das Vereinigte Königreich für den fraglichen Verstoß verantwortlich sein, weil es nicht alle geeigneten Maßnahmen ergriffen habe, um den „ursprünglichen Verstoß“ zu verhindern und diesem nachzugehen. Dies stellt somit in gewisser Weise einen Hilfsvortrag zum ersten Vorbringen dar. Da es im ÜLG-Beschluss für einen solchen Anspruch keine konkrete Rechtsgrundlage gibt, geht die Kommission insoweit von einem Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit aus (im Folgenden: zwischenzeitlicher Verstoß).

37.      Drittens besteht die äußere Ebene der Klage der Kommission in dem Vorbringen, dass das Vereinigte Königreich der daraus folgenden Verpflichtung, dem Unionshaushalt den in Italien eingetretenen und durch die vorgenannten Verstöße gegen das Unionsrecht entstandenen Verlust zu ersetzen, nicht nachgekommen sei. Da es eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für eine derartige Verpflichtung nicht gibt, soll sich diese Verpflichtung wiederum aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ergeben (im Folgenden: hauptsächlicher Verstoß).

38.      Diese „Drei-in-eins“-Kaskadenstruktur des Klageanspruchs der Kommission erinnert an eine russische Matrjoschka-Puppe: Die äußere (dritte) Ebene der angeblichen Verstöße gegen das Unionsrecht ist mit den vorherigen untrennbar verknüpft und baut auf diesen auf. Durch die Ermittlung der einzelnen Ebenen des Vorbringens wird indes das Problem nicht gelöst, sondern vielmehr die Komplexität der vorliegenden Rechtssache noch gesteigert. Denn für die verschiedenen Ebenen der angeblichen Verstöße gelten recht verschiedene Regelungen in Bezug auf i) die Verpflichtung, gegen die verstoßen wurde, und die Art der Rechtsverletzung, ii) die Frage, wie dieser Verstoß in Bezug auf das Verfahren (und Darlegungs- und Beweisgesichtspunkte) festzustellen ist, und iii) welcher Art die Folgen der Feststellung der Rechtsverletzung und die möglichen Rechtsfolgen sind.

39.      Was die Art der i) Verpflichtungen, gegen die verstoßen wurde, angeht, vermengt die vorliegende Vertragsverletzungsklage a) einen Verstoß gegen den ÜLG-Beschluss, b) das angebliche Versäumnis des Vereinigten Königreichs, die mangelhafte Anwendung dieses Beschlusses durch sein ÜLG zu vermeiden und ihr abzuhelfen, und c) eine Nichterfüllung der Verpflichtung zum Ausgleich des dem Unionshaushalt entstandenen Verlusts. In Ansehung des Umstands, dass die Rechtsgrundlage dieser Verpflichtungen und ihre genauen Adressaten ausgesprochen unklar sind, werden alle diese angeblichen Verstöße gegen das Unionsrecht unter dem Blickwinkel des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit miteinander gebündelt, als ob dieser Grundsatz die Notwendigkeit mindern oder gar ausschließen könnte, für jede dieser Ebenen genau zu benennen, gegen welche Bestimmungen des Unionsrechts von wem verstoßen wurde.

40.      Was ii) das anzuwendende Verfahren angeht, hat die Kommission eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV auf Feststellung eines Verstoßes gegen Verpflichtungen durch Nichtausgleich eines Verlusts für den Unionshaushalt (und somit implizit auch auf Bestätigung der Rechtsverletzungen auf den vorherigen beiden Ebenen angeblicher Verstöße) erhoben. Die Art des jeweiligen Verfahrens (und der erforderlichen Darlegung und Beweismittel) weisen allerdings deutliche Unterschiede auf: Die eher objektive Regelung des Art. 258 AEUV auf Feststellung eines grundlegend bestehenden Verstoßes eines Mitgliedstaats, dem für die Zukunft abzuhelfen ist, wird mit Elementen eines im Wesentlichen individuellen und individualisierten Anspruchs auf eine Ersatzleistung in bestimmter Höhe zugunsten des Unionshaushalts im Wege des Schadensersatzes verquickt. All dies wird als entsprechende Anwendung besonderer Bestimmungen zur Feststellung eines in einem anderen Mitgliedstaat (Italien) entstandenen Verlusts aufgrund der Anwendung des Zollkodex und Eigenmittelsystems durch diesen Mitgliedstaat formuliert.

41.      Was iii) insbesondere die möglichen Rechtsfolgen betrifft, ist die Klage der Kommission nominell auf die Feststellung eines Verstoßes gegen Verpflichtungen aus Art. 5 EG gerichtet. Die Verpflichtung, gegen die verstoßen worden sein soll, besteht indes in der Nichtleistung eines Ausgleichs eines bestimmten Betrags in Geld, den die Kommission vorher bemessen und eingefordert hat. Hier begehrt die Kommission wiederum in einem einzigen Schritt die Feststellung eines Verstoßes, die eine Feststellung zweier weiterer (verschiedener) Verstöße gegen das Unionsrecht und die Bestätigung einer Ersatzpflicht in genau bezifferter Höhe einschließt.

42.      Es sei an dieser Stelle zugestanden, dass mich dieses Mischen und Kombinieren von Verfahren und Rechtsfolgen zunehmend verwirrt. Was die Kommission begehrt, ist eigentlich ein ganz neuer Rechtsbehelf, der die prozessualen Annehmlichkeiten einer Vertragsverletzungsklage in Anspruch nimmt und durch eine entsprechende Anwendung der Regelungen eines besonderen Rechtsgebiets des Unionsrechts erweitert(14). Dies würde darauf hinauslaufen, dass für die bezifferte Zahlungsforderung tatsächlich sehr wenig dargelegt und bewiesen werden müsste, um zu drei Feststellungen von Verstößen in einer Klage zu gelangen, von denen zwei sich lediglich auf die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit stützen und keine konkrete Rechtsgrundlage im herkömmlicheren Sinne des Wortes haben.

43.      Ich habe ebenso zugestandenermaßen ausgesprochene Schwierigkeiten damit, in einem Zug Argumente zu bewerten, die eigentlich zu drei verschiedenen Verfahren gehören, die die Prüfung verschiedener materieller Verpflichtungen und die Anwendung verschiedener Verfahrensbestimmungen und Darlegungs- und Beweisanforderungen voraussetzen. Zumal wenn dabei über das Fehlen eindeutiger Verpflichtungen und Rechtsgrundlagen für die geltend gemachten Verstöße nonchalant mit dem Verweis auf oder eher der formelhaften Erwähnung der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit hinweggegangen wird.

44.      Was könnte und sollte dann vom Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache geprüft werden? Mein Vorschlag wäre, der russischen Matrjoschka-Puppe auf den Grund zu gehen. Logisch betrachtet, muss jedes Ergebnis auf dem Vorliegen einer ursprünglichen Rechtsverletzung aufbauen. Wird ein solcher ursprünglicher Verstoß nicht festgestellt, entfällt jeder nachfolgende Anspruch, der von diesem ursprünglichen Verstoß abhängt. In der vorliegenden Rechtssache bleibt es somit bei der folgenden Schlüsselfrage: Verstieß die Ausstellung der EXP-Bescheinigungen gegen den ÜLG-Beschluss? Verursachte dieser Verstoß einen Verlust in Form eines Fehlens von Eigenmitteln und, wenn ja, in welcher Höhe? Können nämlich die entsprechenden Antworten auf diese mit dem ursprünglichen Verstoß verknüpften Punkte nicht festgestellt werden, gibt es keine Grundlage für einen angeblichen weiteren Verstoß gegen das Unionsrecht im vorliegenden Verfahren (sei es auf der Ebene des „zwischenzeitlichen Verstoßes“ – des Versäumnisses, etwas zu vermeiden, was offenbar überhaupt nicht rechtswidrig war – oder des logisch daran anschließenden „hauptsächlichen Verstoßes“ – der Verpflichtung zu einer Ersatzleistung zugunsten des Unionshaushalts).

45.      Auch wenn hierin meines Erachtens der Kern der vorliegenden Rechtssache liegt, ist gleichwohl noch eine Vorfrage zu klären. Die Kommission ersucht den Gerichtshof um die Feststellung, dass das Vereinigte Königreich dadurch gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verstoßen hat, dass es keinen Ersatz für den Verlust geleistet hat, der dem Unionshaushalt aufgrund eines in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen Verlusts entstanden ist. Die Kommission hat diesen Verlust auf 1 500 342,31 Euro beziffert. Das Vertragsverletzungsverfahren ist jedoch bislang als ein Verfahren angewendet und in erster Linie verstanden worden, das der künftigen Abhilfe fortdauernder Verstöße gegen das Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten dient und nicht, wie in der vorliegenden Rechtssache im Wesentlichen begehrt, der rückwirkenden Feststellung eines Verstoßes(15) in Verbindung mit einem Ersatzanspruch, nämlich einer genau und konkret bezifferten Zahlung.

46.      Ihrer Art nach stellt die Klage der Kommission daher einen Anspruch auf Ersatz eines dem Unionshaushalt durch einen Mitgliedstaat angeblich verursachten Schadens dar, der als Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV geltend gemacht wird. Es ist daher festzustellen, ob ein solches Klagebegehren nach dem Wortlaut, dem Zweck und der Gesamtsystematik des Vertragsverletzungsverfahrens möglich ist. Sollte sich zeigen, dass dies nicht der Fall ist, müsste die vorliegende Klage als unzulässig abgewiesen werden.

B.      Schadensersatzbegehren im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage?

47.      Es kann meines Erachtens nicht ausgeschlossen werden, dass ein Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Unionsrecht darin erkannt werden könnte, dass er für Verluste, die er dem Unionshaushalt verursacht hat, keinen Ersatz geleistet hat. Mit anderen Worten kann ich dem Wortlaut, dem Zweck oder der Systematik des Vertragsverletzungsverfahrens nichts entnehmen, was der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nach Art. 258 AEUV entgegenstünde (1). Wird ein solcher Anspruch geltend gemacht, muss die Feststellung, dass tatsächlich ein Schaden vorliegt, der der Europäischen Union durch einen oder mehrere, einem Mitgliedstaat zuzurechnende konkrete Verstöße gegen das Unionsrecht verursacht worden ist, jedoch den Anforderungen genügen, die für eine Schadensersatzklage gelten (2), und auch dem Unterschied zwischen einem solchen Anspruch und den auf dem Gebiet der traditionellen Eigenmittel geltenden besonderen Regelungen Rechnung tragen (3).

1.      Allgemeine Erwägungen

48.      Auch wenn sie eine Unzulässigkeit der vorliegenden Rechtssache nicht ausdrücklich geltend gemacht haben, haben das Vereinigte Königreich und das Königreich der Niederlande bestritten, dass eine finanzielle Haftung eines Mitgliedstaats für dem Unionshaushalt durch seine ÜLG verursachte Verluste bestehen könnte. Eines der von diesen Mitgliedstaaten angeführten Hauptargumente ist, dass es für eine solche finanzielle Haftung keine ausdrückliche Rechtsgrundlage gebe. Eine solche ausdrückliche Regelung der finanziellen Haftung eines Mitgliedstaats für einen dem Unionshaushalt verursachten und in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Verlust sei nämlich weder im Zollkodex noch im System der Eigenmittel noch in irgendeiner anderen Bestimmung des Sekundär- oder Primärrechts enthalten.

49.      Dass es an einer eindeutigen Rechtsgrundlage fehlt, wonach eine Haftung der Mitgliedstaaten für Verluste unter Umständen wie denjenigen der vorliegenden Rechtssache geltend gemacht werden könnte, lässt sich nicht in Abrede stellen. Vor einer solchen (angeblichen oder tatsächlich bestehenden) materiellen Regelungslücke ist jedoch auf eine allgemeinere verfahrensbezogene Frage einzugehen, die für die Art der Klage im vorliegenden Verfahren grundlegend ist. Kann nach Art. 258 AEUV die Feststellung einer Vertragsverletzung dadurch begehrt werden, dass für von einem Mitgliedstaat durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht verursachte Verluste kein Ersatz geleistet wird?

50.      Die Frage der Haftung der Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Union ist nicht neu. Zumindest theoretisch ist sie vom Gerichtshof in der Aussage erwogen worden, dass, „wenn die Erfüllung einer Verpflichtung entweder verzögert oder endgültig abgelehnt wird, ein sachliches Interesse an einem Urteil des Gerichtshofs [in einem Vertragsverletzungsverfahren] deshalb bestehen [kann], weil dieses die Grundlage für eine Haftung abgeben kann, die möglicherweise einen Mitgliedstaat infolge seiner Pflichtverletzung gegenüber … Mitgliedstaaten, der Gemeinschaft oder Einzelnen trifft“(16). Die Möglichkeit der Heranziehung des Vertragsverletzungsverfahrens als Grundlage für einen Schadensersatzanspruch der Europäischen Union gegen einen Mitgliedstaat wird auch im Schrifttum diskutiert(17).

51.      Die Art. 258 bis 260 AEUV bilden einen Rahmen, der die Feststellung und Sanktionierung von Verstößen der Mitgliedstaaten gegen das Unionsrecht ermöglicht. Art. 258 AEUV bezieht sich nur auf einen Verstoß des Mitgliedstaats „gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen“. Mit anderen Worten schweigt der Vertrag dazu, welche Art von Rechtsfolge die Kommission für eine Vertragsverletzung genau verlangen kann. Angesichts dieses Schweigens ist meines Erachtens nicht ersichtlich, warum eine Schadensersatzklage, die die Kommission nach Art. 258 AEUV im Namen der Europäischen Union gegen einen Mitgliedstaat erhebt, ausgeschlossen sein sollte, wenn eher zwingende systematische Argumente dafür sprechen, dass eine solche Möglichkeit zuzulassen ist.

52.      Erstens spricht, was den Wortlaut der Verträge angeht, in den Art. 258 bis 260 AEUV – oder irgendeiner anderen Bestimmung der Verträge – nichts dafür, dass die Möglichkeit ausgeschlossen wäre, das Vorliegen einer solchen Schadensersatzverpflichtung und einen Verstoß gegen diese im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens zu prüfen. Eine derartige Klage entspräche dem Zweck und den verfahrensbezogenen Grenzen von Vertragsverletzungsverfahren, da ihr Begehren auf eine Feststellung des Gerichtshofs gerichtet wäre, dass ein Mitgliedstaat gegen eine Schadensersatzverpflichtung verstoßen hat, und nicht auf die Verurteilung zu einer Zahlung(18).

53.      Zweitens wäre, auf einer systematischen Ebene, kaum zu bestreiten, dass die Verpflichtung zum Ersatz möglicher, der Europäischen Union verursachter Schäden eine Konkretisierung der allgemeinen Schadensersatzpflicht ist, die einen prägenden Grundsatz jeder öffentlich‑, privat- oder völkerrechtlichen Rechtsordnung darstellt(19).

54.      Im Unionsrecht hat die Union nach Art. 340 AEUV den durch ihre Organe oder Beamten verursachten Schaden „nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“, zu ersetzen. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist weiterhin anerkannt, dass ausgehend von den allgemeinen Grundsätzen, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, und auf der Grundlage der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit(20) aus dem Wesen der mit den Verträgen geschaffenen Rechtsordnung der Grundsatz der Haftung des Staates für Schäden folgt, die dem Einzelnen durch Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen(21).

55.      Im Hinblick auf die letztere Aussage halte ich es jedoch für unerlässlich, einen wesentlichen Unterschied klar hervorzuheben. Die Feststellung, dass das Fehlen einer ausdrücklichen (verfahrens- oder materiell-rechtlichen) Rechtsgrundlage kein hinreichender Grund dafür ist, das Bestehen einer Schadensersatzpflicht auszuschließen, war eindeutig auf die Festlegung des Grundsatzes der Haftung der Mitgliedstaaten für Einzelnen verursachte Schäden bezogen (systematische Ebene). Sie war nicht auf die Pflicht zur Angabe einer eindeutigen rechtlichen Verpflichtung im Einzelfall bezogen, aus der sich die Haftung des Staates ergeben soll (Einzelfallebene)(22).

56.      Drittens könnte in der Möglichkeit, die Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Unionsrecht gegenüber der Union finanziell haftbar zu machen, auch das Schließen einer gewissen Lücke im System der Haftung für Verstöße gegen das Unionsrecht gesehen werden. Die weiteren möglichen Konstellationen einer Haftung für Verstöße gegen das Unionsrecht sind nämlich bereits geregelt. Die Haftung der Union wird durch Art. 340 AEUV gewährleistet. Die Mitgliedstaaten könnten theoretisch auch von dieser Rechtsgrundlage Gebrauch machen, um eine Schadensersatzklage gegen die Europäische Union zu erheben(23). Die Haftung der Mitgliedstaaten gegenüber Einzelnen wird durch den vorgenannten Grundsatz der Staatshaftung gewährleistet. Schließlich unterliegt die individuelle Haftung natürlicher und juristischer Personen für Verstöße gegen das Unionsrecht den nationalen zivilrechtlichen Haftungsregelungen(24).

57.      Die einzig verbleibende Fallgestaltung ist somit in der Tat die Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die der Europäischen Union durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht entstehen. Es könnte indes die Ansicht vertreten werden, dass insoweit keine Regelungslücke besteht, da dieses Haftungssystem durch das allgemeine System der Staatshaftung der Mitgliedstaaten abgedeckt sein könnte(25). Diesem Ansatz folgend müsste die Europäische Union, ebenso wie Einzelpersonen, die (Staats?)Haftung des Mitgliedstaats vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats geltend machen.

58.      Auch wenn diese Fallgestaltung für Verfahren über die zivilrechtliche Haftung eines Mitgliedstaats außerhalb seiner (öffentlich-rechtlichen) Pflichten und Verpflichtungen als Mitglied der Union gegenüber der Union denkbar sein könnte(26), wäre sie in Verfahren wie dem vorliegenden wenig oder nicht sinnvoll, bei denen es sich letztlich um Organ- oder Verfassungsstreitigkeiten zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedern handelt, die lediglich gewisse finanzielle Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten haben. Die letzteren Arten von Verfahren sind nämlich der eigenen Zuständigkeit der Unionsgerichte vorbehalten. Außerdem wurde die Klage formell betrachtet von der Kommission auch als Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV erhoben, für die der Gerichtshof zweifellos zuständig ist.

59.      Ergänzt sei ferner, dass eine Vertragsverletzungsklage wegen des von Mitgliedstaaten unterlassenen Ersatzes von ihnen verursachter Schäden mit der Gesamtsystematik und dem Kontext der Art. 258 bis 260 AEUV gut im Einklang stehen dürfte. Insbesondere stimmt diese Möglichkeit mit dem letztlich mit dem Vertragsverletzungsverfahren verfolgten Ziel überein, vergangene und künftige „Verstöße … und deren Folgen tatsächlich zu beseitigen“(27).

60.      Schließlich würde die Möglichkeit, nicht nur die Feststellung einer Verletzung des Vertrags zu beantragen, sondern auch die Feststellung, dass für diesen konkreten Verstoß gegen den Vertrag kein Ersatz geleistet wurde, auch zur Kohärenz des Systems beitragen. Es ist nämlich durchaus zutreffend, dass eine „traditionellere“ Vertragsverletzungsklage, die auf den zugrunde liegenden Verstoß gegen das Unionsrecht ausgerichtet ist, aus dem der Schaden sich ergibt(28), in der konkreten Konstellation der vorliegenden und ähnlicher Rechtssachen nicht sehr sinnvoll wäre, und zwar aus zwei Gründen.

61.      Zum einen wäre ein „Zwei-in-eins“-Verfahren dann effektiver, wenn der Schaden durch ein Ereignis oder eine Praxis verursacht worden ist, die zum Zeitpunkt des Ergehens der mit Gründen versehenen Stellungnahme bereits beendet ist. In diesen Situationen wäre die Feststellung einer Vertragsverletzung, die auf den Verstoß gegen die materielle Verpflichtung (im vorliegenden Fall den ursprünglichen oder den zwischenzeitlichen Verstoß) begrenzt wäre, wenig zweckmäßig. Dies gilt insbesondere für das konkrete Rechtsgebiet der Eigenmittel, auf dem eine von ihren finanziellen Folgen gesonderte Geltendmachung des materiellen Verstoßes gegen das Unionsrecht nicht sehr sinnvoll ist(29). Dies macht es häufig notwendig, in konkret dieses Gebiet betreffenden Verfahren Klagen zu erheben, in denen der Verstoß von vornherein gerade in den Folgen des Verstoßes gegen das Unionsrecht besteht. Dies wiederum ist allerdings völlig logisch und steht in eindeutiger Verbindung zur Struktur eines solchen Verfahrens: Eine Vertragsverletzungsklage wegen Nichtersatzes eines Schadens, wie diejenige der vorliegenden Rechtssache, entspricht funktionell einer Vertragsverletzungsklage wegen der Nichtbereitstellung von Eigenmitteln, die ein Mitgliedstaat schuldet.

62.      Andererseits ergibt sich indes aus Art. 260 Abs. 1 AEUV die Verpflichtung des Mitgliedstaats, alle Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus einem Urteil des Gerichtshofs ergeben, mit dem eine Vertragsverletzung festgestellt worden ist. Zu diesen Maßnahmen könnte möglicherweise auch die Verpflichtung zum Ersatz sich daraus ergebender Verluste gehören(30). Allerdings kann andererseits der Gerichtshof nicht vorschreiben, welcher Art diese Maßnahmen sein müssen, die von den Mitgliedstaaten zur Beendigung ihres Verstoßes gegen unionsrechtliche Verpflichtungen zu ergreifen sind(31); diese zu bestimmen, bleibt vielmehr Sache des Mitgliedstaats(32). Die Frage, ob eine Verpflichtung zum Ersatz des Schadens besteht, bliebe also offen.

63.      Formell betrachtet könnte andererseits eine spätere Klage nach Art. 260 Abs. 2 AEUV die Möglichkeit bieten, zu überprüfen, ob ein Mitgliedstaat seine Pflichten aus einem früheren Urteil, einschließlich einer Verpflichtung zum Ersatz von Schäden, erfüllt hat. Damit würde jedoch die Logik einer Klage wegen einer unterlassenen Ersatzleistung zugunsten des Unionshaushalts für diesem durch einen Mitgliedstaat verursachte Verluste missachtet, bei der die Feststellung und Quantifizierung von Schäden, wie bei jeder anderen Ersatz-/Schadensersatzklage, Teil der Entscheidung über die Begründetheit der Rechtssache ist. Eine solche Prüfung unterscheidet sich erheblich von einer etwaigen späteren Prüfung, ob einem früheren Urteil nachgekommen worden ist oder nicht (als Frage der Umsetzung)(33), wie im Fall einer Prüfung nach Art. 260 AEUV. Wenn sich ferner die Frage des Ersatzes von Schäden nur als solche der mangelhaften Umsetzung eines Urteils des Gerichtshofs stellen würde, wären die Mitgliedstaaten auf dieser Stufe erstmals mit der Frage des Ersatzes von der Europäischen Union entstandenen Schäden konfrontiert und gleichzeitig Sanktionen ausgesetzt, die sich aus der Anwendung dieses Artikels ergeben können (und die jedenfalls nicht dem Ersatz von Schäden oder Verlusten dienen).

64.      Schließlich müssen bei einer breiteren Betrachtung des unionsrechtlichen Systems möglicher rechtlicher Wege, wenn anerkannt wird, dass die Mitgliedstaaten die Gültigkeit von Aufforderungsschreiben nicht anfechten können, mit denen, wie in der vorliegenden Rechtssache, ein Mitgliedstaat aufgefordert wird, einen Betrag als Eigenmittel zur Verfügung zu stellen, der dem in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen Verlust entspricht(34), die Mitgliedstaaten berechtigt sein, die Begründetheit einer solchen Verpflichtung vor den Unionsgerichten im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens anzufechten(35). Auf der Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV müssen daher alle geltend gemachten Verstöße gegen das Unionsrecht, einschließlich der ursprünglichen, ihnen zugrunde liegenden Verstöße, einer rechtlichen Überprüfung zugänglich sein.

2.      Festzustellende Voraussetzungen

65.      Meines Erachtens ist somit weder im Wortlaut der Verträge noch in den Verträgen insgesamt irgendetwas ersichtlich, was die Kommission per se daran hindern würde, ein Klagebegehren als „Zwei-in-eins“-Ansatz im Rahmen des Verfahrens nach Art. 258 AEUV zu verfolgen. Dies gilt insbesondere für die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines bestimmten, einem Mitgliedstaat zuzurechnenden Verhaltens und die gleichzeitige Feststellung der Nichterfüllung einer Ersatzpflicht für Verluste, die dem Unionshaushalt aufgrund dieser Rechtsverletzung entstanden sind.

66.      Im Fall der Erhebung einer solchen Klage ändert sich jedoch das Wesen dieser Klage nach 258 AEUV. Eine solche Klage ist nicht mehr die „traditionelle“ abstrakte Feststellung eines Verstoßes durch einen Mitgliedstaat. Es ist ein konkreter Fall einer Rechtsverletzung, durch die dem Unionshaushalt ein Schaden in ganz konkreter Höhe entstanden sein soll. Sie wird grundsätzlich zu einer Klage auf Ersatz eines Schadens, der der Europäischen Union durch einen Mitgliedstaat verursacht worden sein soll.

67.      Wenn die Kommission somit für die Europäische Union die Feststellung beantragt, dass ein Schaden in konkreter Höhe aufgrund eines, einem Mitgliedstaat zuzurechnenden konkreten Verstoßes gegen das Unionsrecht, der sich in der Vergangenheit ereignet hat, nicht ersetzt worden ist, dann muss dieser Anspruch den Standards und Darlegungs- und Beweisanforderungen genügen, die für eine Klage auf außervertragliche Haftung gelten.

68.      Die Voraussetzungen für eine Klage auf Schadensersatz wegen Verstößen gegen das Unionsrecht haben sich über die Jahre hinweg angenähert(36), und dies zu Recht. Wenn die Kommission tatsächlich die Feststellung der Haftung eines Mitgliedstaats begehrt, ist meines Erachtens, auch wenn das prozessuale Vehikel für die Erhebung einer solchen Klage immer noch Art. 258 AEUV ist, kein Grund dafür ersichtlich, warum diese Voraussetzungen wieder voneinander abweichen sollten. Allgemein entsteht eine außervertragliche Haftung nach dem Unionsrecht somit dann, wenn gegen eine unionsrechtliche Regelung verstoßen wird, mit der eine Verleihung von Rechten bezweckt wird. Dieser Verstoß gegen das Unionsrecht muss ferner hinreichend qualifiziert sein. Es muss ein Schaden festgestellt werden. Es muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die Verpflichtung, die den Zuwiderhandelnden trifft, und dem der geschädigten Person entstandenen Schaden bestehen.

69.      Daher sollte meines Erachtens das Vorbringen im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage, die darauf beruht, dass für Verluste, die aufgrund eines Verstoßes gegen das Unionsrecht entstanden sind, kein Ersatz geleistet wird, diesen Anforderungen genügen. Der „Zwei-in-eins“-Charakter dieses Verfahrens macht diese Verfahren besonders anfällig für eine Verwechslung der für beide Stufen geltenden rechtlichen Voraussetzungen. Es besteht insbesondere die Gefahr, dass die für ein Vertragsverletzungsverfahren geltenden Besonderheiten in selektiver Weise in die Beurteilung des Verstoßes gegen das Unionsrecht eingebaut werden, aus dem sich die Schadensersatzpflicht ergeben soll.

70.      Erstens haben Vertragsverletzungsklagen objektiven Charakter: Allein der Verstoß gegen eine unionsrechtliche Verpflichtung stellt als solcher schon eine Vertragsverletzung dar(37). Subjektive Voraussetzungen wie Verschulden oder Fahrlässigkeit spielen für die Beurteilung des Verstoßes keine Rolle(38). Anders ist dies dagegen, wenn es um die Feststellung geht, ob ein Verstoß gegen das Unionsrecht zu einer Schadensersatzverpflichtung führt. Nicht jede Rechtsverletzung führt automatisch zum Entstehen einer Haftung. Es muss ein hinreichend qualifizierter Verstoß vorliegen, damit eine Schadensersatzverpflichtung entsteht. Hierfür muss der Mitgliedstaat die Grenzen, die seinem Wertungsspielraum gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten haben(39). Zu den zur Beurteilung dieser Voraussetzung zu berücksichtigenden Gesichtspunkten gehören u. a. „das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Bestimmung, der Umfang des Wertungsspielraums, den die verletzte Bestimmung den nationalen Behörden [oder den Unionsbehörden] belässt, … die Frage, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich begangen bzw. der Schaden vorsätzlich oder nicht vorsätzlich zugefügt wurde, [die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums] und der Umstand, dass das Verhalten eines Unionsorgans möglicherweise dazu beigetragen hat, dass nationale Maßnahmen oder Praktiken in unionsrechtswidriger Weise unterlassen, eingeführt oder aufrechterhalten wurden“(40).

71.      Zweitens braucht die Kommission, wenn sie ein „traditionelles“ Klagebegehren nach Art. 258 AEUV geltend macht, kein Rechtsschutzinteresse nachzuweisen: Das Vertragsverletzungsverfahren soll nicht die eigenen Rechte der Kommission schützen(41). Dagegen bedarf es bei der Geltendmachung des Anspruchs auf Schadensersatz in bestimmter Höhe, der sich aus einem konkreten Verstoß gegen das Unionsrecht ergibt, der Feststellung des Vorliegens eines konkreten Anspruchs der Europäischen Union(42) und einer entsprechenden und klar definierten Verpflichtung der Mitgliedstaaten, gegen die verstoßen worden sein soll und die den konkreten Schaden, für den Ersatz verlangt wird, verursacht haben soll.

72.      Drittens obliegt es im Vertragsverletzungsverfahren der Kommission, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung des Mitgliedstaats nachzuweisen, indem sie dem Gerichtshof alle erforderlichen Anhaltspunkte vorlegt, anhand deren er das Vorliegen der Vertragsverletzung prüfen kann, ohne sich dabei auf bloße Vermutungen zu stützen(43). Da das Hauptziel einer Klage nach Art. 258 AEUV darin besteht, die Mitgliedstaaten zur Wahrung des Unionsrechts anzuhalten(44), ist unerheblich, ob ein Schaden oder negative Auswirkungen gegeben sind oder nicht(45). Wiederum ist dagegen dann, wenn die Kommission Ersatz eines Schadens in genau bezifferter Höhe begehrt, nicht nur das Vorliegen der Rechtsverletzung, sondern auch das Vorliegen des Schadens und des unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen der Rechtsverletzung und diesem Schaden festzustellen(46). Es obliegt nämlich der Partei, die die Feststellung begehrt, dass eine Haftung besteht, den abschließenden Nachweis für das Vorliegen und den Umfang des von ihr behaupteten Schadens sowie eines hinreichenden unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen dem beanstandeten Verhalten und dem behaupteten Schaden zu führen(47).

73.      Das Gesamtergebnis ist somit bemerkenswert einfach: Wenn das Begehren des Klägers letztlich auf Schadensersatz gerichtet ist, muss er den Schaden nach den für diese Art von Klageansprüchen nach dem Unionsrecht allgemein geltenden Anforderungen darlegen und beweisen. Ein Teil der Verwechslung, die die vorliegende Rechtssache durchzieht, geht darauf zurück, dass die Kommission die Feststellung einer „dreifachen Rechtsverletzung“ sowie die sich hieraus ergebende Zahlung eines genau bezifferten Schadensersatzes begehrt, dabei jedoch davon ausgeht, dass dies alles den Verfahrensanforderungen des Verfahrens nach Art. 258 AEUV unterliege, sie insgesamt auf einer abstrakten Ebene verbleiben könne und den konkreten Schaden nicht darzulegen und zu beweisen habe und auch die genaue Höhe des verlangten Schadensersatzes und einen Kausalzusammenhang zwischen diesem Betrag und den behaupteten Rechtsverletzungen nicht darzulegen habe.

3.      Das System der Eigenmittel

74.      Schließlich ist der letzte zu klärende Punkt, welche Bedeutung sich in einer Rechtssache wie der vorliegenden daraus ergibt, dass der geforderte Schadensersatz (und eine der behaupteten Rechtsverletzungen) sich auf das konkrete Gebiet der Eigenmittel der Union beziehen.

75.      Im System der Eigenmittel haben die Mitgliedstaaten den Anspruch der Union auf die Eigenmittel festzustellen, sobald ihre Zollbehörden in der Lage sind, den sich aus einer Zollschuld ergebenden Abgabenbetrag zu berechnen und den Zollschuldner zu bestimmen, und zwar unabhängig davon, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex erfüllt sind(48). Ein Mitgliedstaat kann von dieser Verpflichtung nur entbunden sein, wenn die Voraussetzungen nach Art. 17 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1552/89 (höhere Gewalt oder Uneinbringlichkeit von Beträgen aus von dem Mitgliedstaat nicht zu vertretenden Gründen) vorliegen(49).

76.      Das Vorbringen der Kommission im Rahmen des vorliegenden Verfahrens läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass diese Regelung auch für das Vereinigte Königreich und/oder Anguilla, das unter der Hoheit dieses Mitgliedstaats stehe, gelten solle.

77.      Diesen Ansatz halte ich für ausgesprochen fragwürdig. Die Kommission begehrt letztlich eine Ex-post-Anwendung einer sehr konkreten Regelung im Wege einer doppelten Analogie: Die Regelung soll nicht nur von dem Zeitpunkt weg verlagert werden, zu dem die Zollschuld normalerweise entsteht (zum Zeitpunkt der Verbringung in das Gebiet der Union), sondern auch auf einen anderen Mitgliedstaat als denjenigen, den diese Last normalerweise trifft, angewendet werden (nämlich den Mitgliedstaat,  durch dessen Gebiet die Einfuhren tatsächlich erfolgten).

78.      Eine solche Analogie ist meines Erachtens nicht möglich. Zunächst einmal beziehen sich alle Rechtssachen, die die Kommission für diese Ansicht anführt, auf Fälle, in denen ein Mitgliedstaat gegen seine eigenen Verpflichtungen aus der Eigenmittelregelung verstoßen hatte(50). Mit anderen Worten bestand unzweifelhaft eine Pflicht des betreffenden Mitgliedstaats, der auch der Einfuhrmitgliedstaat war, die geschuldeten Eigenmittel in der jeweiligen Höhe zur Verfügung zu stellen. In der vorliegenden Rechtssache geht es jedoch nicht um die Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs aufgrund der konkreten Bestimmungen über die Eigenmittel der Union(51). In der vorliegenden Rechtssache geht es um eine auf den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gestützte Ersatzverpflichtung für Verluste, die in einem anderen Mitgliedstaat entstanden sind.

79.      Mit ihrer Klage möchte die Kommission diese Rechtsprechung auf einen Fall außerhalb der im Zollkodex und in der Verordnung Nr. 1552/89 geregelten Verpflichtungen anwenden(52). Mit ihr sollen dem Vereinigten Königreich die in Italien durch Anwendung von Art. 220 Abs. 2 Buchst. b und Art. 239 des Zollkodex entstandenen Verluste von Eigenmitteln zugerechnet werden, und zwar offenbar(53) vor dem Hintergrund, dass Abgaben von Italien aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen im Sinne von Art. 17 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1522/98 nicht eingezogen werden konnten.

80.      Dies wirft ein doppeltes Problem auf. Erstens wird die nach dem Unionsrecht für den einen Mitgliedstaat vorgesehene Verpflichtung im Wesentlichen auf einen anderen verlagert. Zweitens führt dies automatisch auch ohne weitere Überprüfung dazu, dass einem Mitgliedstaat die Verpflichtung zur Zahlung der von einem anderen Mitgliedstaat festgesetzten Beträge auferlegt wird.

81.      In ihrer Begründung zu diesem Punkt übersieht die Kommission offenbar, dass eine etwaige Verpflichtung zum Ersatz von Verlusten, die in einem anderen Mitgliedstaat entstanden sind, in der Eigenmittelverordnung nicht konkret vorgesehen ist. Da der Fall außerhalb des Geltungsbereichs der Verpflichtungen liegt, die das Eigenmittelsystem ausdrücklich vorsieht, müssen die allgemeinen Regelungen zur Feststellung eines Schadens Anwendung finden. In diesem Kontext kann die Kommission nicht einfach die Regelungen des Unionsrechts auf dem Gebiet der Eigenmittel heranziehen, die auf eine andere Situation anwendbar sind, um Verluste (und ihre Bemessung) automatisch einem anderen Mitgliedstaat zuzurechnen.

82.      Ich verstehe durchaus die Schwierigkeiten, die die Darlegungs- und Beweisanforderungen für die Kommission bei der Feststellung eines solchen Anspruchs möglicherweise mit sich bringen können, insbesondere wenn dieser Anspruch als solcher auf eine Haftung des Mitgliedstaats zu betrachten ist, wie im vorstehenden Abschnitt ausgeführt. Die Anwendung der Voraussetzungen des Zollkodex, wonach Zölle erlassen oder nicht erhoben werden können(54), sowie die Anwendung von Art. 17 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1552/89(55) hängen in hohem Maße von der Beurteilung des Mitgliedstaats ab, der die in Rede stehenden Eigenmittel hätte feststellen müssen.

83.      Somit muss die Kommission, wenn sie ein Begehren auf Schadensersatz gegen einen anderen Mitgliedstaat richten will, sich in diesem Fall letztlich auf die Auskünfte stützen, die der Mitgliedstaat erteilt, in dem der Schaden eingetreten ist(56). Es ist dann Sache der Kommission, um die entsprechenden Angaben zu ersuchen und sie zu überprüfen, um den vorgenannten Anforderungen zu genügen(57). Nicht möglich ist meines Erachtens jedoch, die von dem einen Mitgliedstaat im Rahmen des objektiven Eigenmittelsystems ermittelten Ergebnisse auf einen anderen Mitgliedstaat anzuwenden, für den im Einzelfall weder die Verpflichtungen des Zollkodex noch das Eigenmittelsystem gilt.

84.      Im Ergebnis entbehrt es nicht nur jeder Rechtsgrundlage, einen Mitgliedstaat an die Bewertungen eines anderen Mitgliedstaats zu binden, was sowohl die Vergleichbarkeit von Entscheidungen über den Erlass oder den Verzicht auf die Erhebung von Zöllen als auch dessen eigene Einschätzung zur endgültigen Unmöglichkeit der Einziehung von Eigenmitteln sowie ein möglicherweise fragliches Niveau schriftlicher Nachweise zur Feststellung der Höhe der fraglichen geschuldeten Beträge angeht, sondern bringt auch erhebliche Gefahren für das reibungslose Funktionieren des Systems der aus der Erhebung von Zöllen stammenden Eigenmittel mit sich, weil es seine Grundgedanken und die Zuweisung von Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten innerhalb dieses Systems außer Acht lässt. Schließlich würde es auch ernsthafte Fragen im Hinblick auf die Wahrung der Verteidigungsrechte des betreffenden Mitgliedstaats aufwerfen, da die Beurteilung und Bewertungen des ursprünglichen Mitgliedstaats in der Tat in keiner Weise anfechtbar wären.

C.      Anwendung auf die vorliegende Rechtssache

85.      Die Kommission ist der Ansicht, dass das Vereinigte Königreich gegen seine Verpflichtungen aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verstoßen habe. Diese Verletzung soll darin bestehen, dass es den Verlust von Eigenmitteln nicht ausgeglichen hat, die nach der Verordnung Nr. 1552/89 hätten festgestellt und dem Unionshaushalt zur Verfügung gestellt werden müssen, wären nicht unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 2 des ÜLG-Beschlusses für Einfuhren von Aluminium aus Anguilla von 1999 bis 2000 EXP-Bescheinigungen ausgegeben worden.

86.      Um festzustellen, ob tatsächlich ein Verstoß gegen die Pflicht zum Ausgleich der Verluste von Eigenmitteln vorlag, wie die Kommission vorträgt, ist zu prüfen, ob eine solche Ausgleichspflicht überhaupt bestand, ob der Verstoß gegen diese hinreichend qualifiziert war (1), ob dieser dann einen konkreten und der Höhe nach bestimmbaren Schaden verursacht hat (2) und ob zwischen der Rechtsverletzung und dem hieraus entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestand.

87.      Meines Erachtens erfüllt die Klage der Kommission diese Voraussetzungen nicht. Die Kommission hat die Rechtswidrigkeit der EXP-Bescheinigungen, die den Ausgangspunkt des Rechtsstreits bilden, nicht nachgewiesen, geschweige denn, dass der dem Vereinigten Königreich zugerechnete Verstoß, der darin liegen soll, dass es die Ausgabe dieser Bescheinigungen nicht verhindert oder überwacht hat, hinreichend qualifiziert ist (1). Außerdem liegen eindeutige Mängel in Bezug auf die Feststellung und Quantifizierung des Schadens vor (2).

1.      Rechtsverletzung (die einen hinreichend qualifizierten Verstoß darstellt)

88.      Die Kommission trägt vor, dass festgestellt sei, dass EXP-Bescheinigungen von den Zollbehörden in Anguilla zu Unrecht ausgestellt worden seien. Das Vereinigte Königreich habe keine geeigneten Maßnahmen ergriffen, um dies zu verhindern. Die Verantwortlichkeit des Vereinigten Königreichs ergebe sich aus seiner Hoheitsgewalt über Anguilla. Die Kommission betont, dass das Vereinigte Königreich nach dem Verfassungsrecht dieses Mitgliedstaats bestimmte Befugnisse über Anguilla habe, dass dieser Mitgliedstaat jedoch nicht hinreichend tätig geworden sei. Dass das Vereinigte Königreich zu einem Tätigwerden befugt gewesen sei, zeige sich u. a. darin, dass das FCO die HMRC um die Durchführung einer Untersuchung ersucht habe. Ferner habe das Vereinigte Königreich, obwohl dem FCO die Situation im Februar 1998 nicht unbekannt gewesen sei, die UCLAF erst im November 1998 unterrichtet. Hätte das Vereinigte Königreich unverzüglich gehandelt, als die UCLAF im Februar 1999 die Mitteilung über gegenseitige Amtshilfe herausgegeben habe, hätten die Verluste verhindert werden können. Bei geeignetem Tätigwerden des Vereinigten Königreichs wäre es zu einem Einschreiten zur Verhinderung eines Verlusts von Eigenmitteln gekommen.

89.      Das Vereinigte Königreich widerspricht dem Vorbringen der Kommission. Es bestreitet zunächst, dass die EXP-Bescheinigungen in Anguilla zu Unrecht ausgestellt worden seien. Die zwischen der anguillanischen Regierung und Corbis getroffenen Regelungen seien im Dezember 1998 geändert worden. In nach diesem Zeitpunkt ausgestellten Rechnungen würden Ausfuhrtransportbeihilfen nicht mehr erwähnt. Das Vereinigte Königreich habe eine Reihe von Maßnahmen ergriffen: Es habe eine Untersuchung durch die HMRC stattgefunden, und es sei anschließend am 19. November 1998 ein Bericht ergangen. Die Feststellungen seien der UCLAF sechs Tage später im vollen Umfang weitergeleitet worden. Die betreffenden Aluminiumeinfuhren seien am oder nach dem 1. April 1999 erfolgt; bis zu diesem Zeitpunkt sei der Bericht des Vereinigten Königreichs bereits herausgegeben worden, und die UCLAF‑Mitteilung über gegenseitige Amtshilfe sei sechs Wochen vorher im Umlauf gewesen. Durch die Änderung der Abrechnungspraktiken seien verbliebene Zweifel seitens des Vereinigten Königreichs ausgeräumt worden.

90.      Ferner bringt das Vereinigte Königreich, was die verfahrensrechtliche Seite angeht, vor, dass die anguillanische Regierung das Partnerschaftsverfahren nach Art. 7 Abs. 7 des Anhangs III des ÜLG-Beschlusses zur Anwendung gebracht und sodann trilaterale Zusammenkünfte mit der Kommission und italienischen Behörden durchgeführt habe. Die Kommission hätte sich, um auf die Mängel zu reagieren, an die nach dem ÜLG-Beschluss vorgeschriebenen Maßnahmen, einschließlich des Streitbeilegungsverfahrens des Art. 235 des ÜLG-Beschlusses oder des Erlasses von Schutzmaßnahmen, halten müssen. Vor dem Hintergrund der nach wie vor zwischen der anguillanischen Regierung und der Kommission streitigen Auslegung des Begriffs „Zollerstattung“ wäre ein weiteres Tätigwerden des Vereinigten Königreichs nicht geeignet gewesen.

a)      Hauptpflicht, deren Verletzung festzustellen ist

91.      Die Klageschrift der Kommission ist nicht eindeutig im Hinblick darauf, ob der Verstoß gegen den ÜLG-Beschluss dem Vereinigten Königreich unmittelbar zurechenbar sei. Ungeachtet einiger, für das Gegenteil sprechender Punkte in ihrer Klage(58) trägt die Kommission offenbar nicht ausdrücklich vor, dass die anguillanischen Zollbehörden als britische Behörden anzusehen seien und die rechtswidrige Ausstellung von EXP-Bescheinigungen dem Vereinigten Königreich unmittelbar zurechenbar sei. In ihrer Erwiderung auf den von der Regierung der Niederlande in der vorliegenden Rechtssache vorgelegten Streithilfeschriftsatz hat die Kommission nämlich klargestellt, dass sie nicht die Ansicht vertrete, dass in Bezug auf die angeblichen Verstöße davon auszugehen sei, dass Anguilla Teil des Vereinigten Königreichs sei. Als sie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich um eine Klarstellung dieses Punkts gebeten wurde, bestätigte die Kommission, dass ihre Klage nicht den Zweck habe, festzustellen, wer gegen den ÜLG-Beschluss verstoßen habe.

92.      Ohne zu sehr den Anklang eines rechtlichen Formalismus aufkommen lassen zu wollen, halte ich es für eher schwierig, die Frage der Ausgleichspflicht ohne eine ausdrückliche Klarstellung zu erörtern, wer haften soll (Haftungssubjekt) und wofür genau (verletzte rechtliche Verpflichtung). Dass diese Unsicherheit in die anscheinend allumfassende Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit verpackt wird, trägt meines Erachtens nichts dazu bei, diese Unklarheiten zu mindern.

93.      Ich halte es allerdings auch für nachvollziehbar, warum die Kommission zu diesem Punkt möglicherweise nicht klar Stellung beziehen wollte. Die komplexe Rechtsnatur des Verhältnisses der ÜLG zum Unionsrecht macht der Kommission ihren Vortrag in der vorliegenden Rechtssache nicht leicht. Art. 355 Abs. 2 AEUV (Vierter Teil des Vertrags), auf dessen Grundlage der ÜLG-Beschluss erlassen wurde, führt ein „besonderes Assoziierungssystem“ ein, das für ÜLG gilt. Dieses unklare verfassungsrechtliche Umfeld ist dahin verstanden worden, dass es zur Herausbildung eines „hybriden“ Status führe(59). Einerseits können ÜLG nicht als Teil der Europäischen Union betrachtet werden (u. a. in Bezug auf den freien Warenverkehr und die Anwendung der Zollbestimmungen)(60) und sind mangels ausdrücklichen Verweises die allgemeinen Bestimmungen des Vertrags auf ÜLG nicht anwendbar(61). Andererseits stellt das Recht der ÜLG keine gesonderte, von der allgemeinen Unionsrechtsordnung abgeschirmte Rechtsordnung dar(62). Dies führt zur Anwendbarkeit allgemeiner Grundsätze und Bestimmungen der Verträge, die für ihr operatives Funktionieren als Teil des Unionsrechts notwendig sind(63) oder die ihren Geltungsbereich anhand des Gegenstands bestimmen, auf den sie Anwendung finden(64).

94.      In diesem Rahmen ist die Frage der Verantwortlichkeit für das Verwaltungshandeln der ÜLG besonders komplex, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der ÜLG-Beschluss besondere Wege für die Beilegung von innerhalb seines Anwendungsbereichs auftretenden Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten einführt. Erstens wird auf der allgemeinen Ebene ein Partnerschaftsmechanismus eingeführt(65). Zweitens besteht im konkreten System des Präferenzhandels ein System der Verwaltungszusammenarbeit auf dem Gebiet der Zölle mit konkreten Prüfungsverpflichtungen, die den ÜLG und dem Einfuhrmitgliedstaat auferlegt werden(66). Konkrete Zuständigkeiten werden einerseits den Verwaltungsbehörden der ÜLG und andererseits dem betreffenden Mitgliedstaat zugewiesen.

95.      In diesem konkreten Kontext ist die Kommission der Ansicht, dass dem Vereinigten Königreich der Verstoß gegen den ÜLG-Beschluss (durch die Ausstellung unrichtiger EXP-Bescheinigungen) nicht unmittelbar zuzurechnen sei. Der Verstoß, den die Kommission dem Vereinigten Königreich als Grundlage seiner finanziellen Verantwortung für den Ersatz der in Rede stehenden Verluste zurechnet, liegt darin, dass es keine geeigneten Maßnahmen ergriffen hat, um den Verstoß gegen ÜLG-Beschluss durch die anguillanischen Zollbehörden zu verhindern und diesem nachzugehen.

96.      Meines Erachtens kann entgegen dem Vorbringen des Vereinigten Königreichs kaum ein Zweifel daran bestehen, dass Mitgliedstaaten, die besondere Beziehungen zu ÜLG unterhalten, verpflichtet sind, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um sich möglicherweise aus dem Verhalten der Behörden der ÜLG ergebende Verstöße gegen das Unionsrecht im Rahmen der Assoziierungsregelung zu verhindern und diesen nachzugehen. Diese allgemeine Verpflichtung ergibt sich nämlich aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit(67). Als allgemeiner Grundsatz zur Regelung des gegenseitigen Verhältnisses zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten muss sie immer dann gelten, wenn das Unionsrecht anwendbar ist, wie dies im Kontext des ÜLG-Beschlusses der Fall ist. Dies kann vor allem in Anbetracht dessen nicht anders sein, dass die Aufnahme dieses ÜLG in Anhang II, auf den Art. 355 Abs. 2 AEUV Bezug nimmt, auf Initiative dieses Mitgliedstaats erfolgte und dass der Mitgliedstaat, der besondere Beziehungen zu den ÜLG unterhält, die allgemeine Hoheitsgewalt über diese hat. Außerdem hält das Vereinigte Königreich selbst Art. 4 EUV in Bezug auf die in dessen Abs. 2 geregelte Anerkennung der Verpflichtung der Europäischen Union zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten für relevant(68). Es wäre somit eher widersprüchlich, davon auszugehen, dass diese Bestimmung in Bezug auf den Vierten Teil des AEUV und den ÜLG-Beschluss Anwendung finde, der in Abs. 3 derselben Bestimmung verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit jedoch nicht.

97.      Die Verpflichtung, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder konkreter Art zu ergreifen, um die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem ÜLG-Beschluss zu gewährleisten, ist für das Vereinigte Königreich verbindlich. Diese allgemeine Verantwortlichkeit erstreckt sich somit logisch auf alle das ÜLG treffenden Verpflichtungen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass dieser Beschluss keine ausdrückliche Bestimmung enthält, die explizit eine Verpflichtung zur Überwachung der Zollbehörden von ÜLG (bzw. zur Überprüfung ihres Handelns) bei der Ausstellung von EXP-Bescheinigungen vorsieht.

98.      Das Vereinigte Königreich führt verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese allgemeine Verantwortlichkeit an, da es nach den verfassungsrechtlichen Regelungen des Vereinigten Königreichs keinerlei allgemeine Gesetzgebungsbefugnisse und keinerlei Befugnisse zur Überwachung individueller Verwaltungsentscheidungen der dortigen Behörden habe. Entgegen dieser Argumente kann schlicht darauf verwiesen werden, dass sich aus dem Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache, der insoweit nicht bestritten worden ist (siehe oben, Nrn. 14, 16 und auch 89), eine andere Realität ergibt. Die zunächst in Anguilla durchgeführten Untersuchungen, in deren Folge die Praxis der anguillanischen Behörden offenbar geändert wurde, wurden von den Behörden des Vereinigten Königreichs durchgeführt. Als Ergebnis der Änderung dieser Abrechnungspraktiken hielten die Behörden des Vereinigten Königreichs ein weiteres Tätigwerden in deren Namen nicht mehr für erforderlich.

99.      Angesichts dieser Angaben und dieses Ablaufs der Ereignisse kann kaum davon ausgegangen werden, dass das Vereinigte Königreich, als Mitgliedstaat, der tatsächlich besondere Beziehungen zu dem betreffenden ÜLG unterhält, nicht verpflichtet gewesen wäre, mögliche, den anguillanischen Behörden vorgeworfene Verstöße gegen den ÜLG-Beschluss in irgendeiner Weise mittelbar zu überwachen und diesen nachzugehen.

100. Diese Frage bedarf jedoch in Wahrheit keiner endgültigen Klärung, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Die Frage der Haftung für eine Nichterfüllung der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit durch Unterlassen geeigneter Maßnahmen zur Verhinderung und Überwachung würde sich nur stellen, wenn das beanstandete Verhalten sich tatsächlich überhaupt als rechtswidrig erweisen würde. Im Einklang mit den bereits vorgetragenen Ausführungen(69) kommt es zunächst und vor allem anderen darauf an, ob die in Rede stehenden EXP-Bescheinigungen rechtswidrig sind und sich aus dieser Rechtswidrigkeit ein konkreter Schaden ergibt.

b)      Der ursprüngliche Verstoß

101. Meines Erachtens weist das Vereinigte Königreich zu Recht darauf hin, dass die Kommission rechtlich nicht hinreichend dargelegt und bewiesen habe, dass die ihrer Klageschrift beigefügten zwölf EXP-Bescheinigungen, die 1999 ausgestellt worden seien, deshalb ungültig seien, weil die anguillanische Regierung „eine vollständige oder teilweise Befreiung oder Erstattung der Zölle“ gewährt habe.

102. Wie von der Kommission in der mündlichen Verhandlung klargestellt, beruht die Beurteilung, ob die Zahlungen, die den „von Corbis erbrachten Leistungen“ nach Dezember 1998 entsprechen, unzulässige Erstattungen darstellen, aufgrund derer die einschlägigen EXP-Bescheinigungen rechtswidrig geworden wären, allein auf den Feststellungen der OLAF in ihrem Bericht von 2003.

103. Natürlich kann unzweifelhaft im Allgemeinen ein Bericht der OLAF einen Beweis darstellen, den der Gerichtshof berücksichtigen kann. Es bedarf jedoch mehrerer argumentativer und/oder darlegungs- oder beweisbezogener Schritte zwischen einem solchen allgemeinen Bericht und dem Nachweis, dass bestimmte Ausfuhrbescheinigungen rechtswidrig ausgestellt wurden. Dies ist insbesondere deshalb der Fall, weil der beklagte Mitgliedstaat entgegen dem Vorbringen der Kommission im Verfahren vor dem Gerichtshof wiederholt bestritten hat, dass diese, nach der Änderung der Abrechnungspraxis im Dezember 1998 ausgestellten Bescheinigungen überhaupt rechtswidrig ausgestellt worden seien.

104. Demnach hat die Kommission rechtlich nicht hinreichend dargelegt und bewiesen, dass es in Bezug auf diese konkreten, ihrer Klageschrift zur Stützung ihres Ersatzanspruchs beigefügten Bescheinigungen tatsächlich zu unzulässigen Erstattungen gekommen sei.

105. Im Ergebnis hat die Kommission die Rechtswidrigkeit der Ausgabe von EXP-Bescheinigungen nach Dezember 1998 nicht dargelegt und bewiesen. Da die Rechtswidrigkeit, die die Grundlage des Ersatzanspruchs bildet, nicht dargelegt und bewiesen worden ist, kann die Klage der Kommission, sowohl im Hinblick auf die unterlassene Ersatzleistung für die in Rede stehenden Verluste als auch die nicht gezahlten Zinsen, keinen Erfolg haben.

106. Meines Erachtens könnte die Begründung des Gerichtshofs im Hinblick auf den gegen das Vereinigte Königreich geltend gemachten Klageanspruch an dieser Stelle abgeschlossen werden. Der Vollständigkeit halber und auch angesichts der parallelen Klage gegen die Niederlande(70), für die diese Fragen größere Bedeutung haben, möchte ich jedoch mit zwei abschließenden Bemerkungen noch darauf eingehen, ob der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und um welche Art von Schaden es sich in der vorliegenden Rechtssache handelt.

c)      Hinreichend qualifizierter Verstoß?

107. Jedenfalls hätte ich, selbst wenn auf der „ursprünglichen“ oder möglicherweise der „zwischenzeitlichen“ Ebene eine Rechtsverletzung vorläge, Schwierigkeiten mit der Annahme, dass das Verhalten des Vereinigten Königreichs in der vorliegenden Rechtssache die Schwelle eines hinreichend qualifizierten Verstoßes erreicht hätte.

108. Das Vorbringen der Parteien(71) sowie der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache(72) zeigen, dass zum Zeitpunkt des maßgeblichen Sachverhalts rechtlich weiterhin streitig war, was unter einer „Erstattung“ von Zöllen im Sinne von Art. 101 Abs. 2 des ÜLG-Beschlusses zu verstehen war. Die Unklarheit in Bezug auf den Begriff „Erstattungen“ wurde durch die spätere Fassung des ÜLG-Beschlusses noch verstärkt, mit dem eine Methode für die Beurteilung eingeführt wurde, was als zulässige öffentliche Finanzbeihilfe nach der Umladungsregelung anzusehen war(73).

109. Die Unklarheit darüber, was zum maßgeblichen Zeitpunkt als „Erstattung“ anzusehen war, schließt aus, dass in Bezug auf den angeblichen Verstoß des Vereinigten Königreichs festgestellt werden könnte, dass er die Schwelle einer hinreichenden Qualifiziertheit erreicht. Denn zu den Gesichtspunkten, die gegebenenfalls für die Feststellung zu berücksichtigen sind, dass ein „hinreichend qualifizierter Verstoß“ vorliegt, gehören das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums und der Umstand, dass die Verhaltensweisen eines Unionsorgans möglicherweise zu dem Versäumnis beigetragen haben(74).

110. Schließlich dürfte, wenn, wie oben ausgeführt(75), davon auszugehen ist, dass es aufgrund des Sachverhalts der vorliegenden Rechtssache dem Vereinigten Königreich offenbar nicht an der Befugnis fehlte, mögliche Verstöße gegen den ÜLG-Beschluss durch die anguillanischen Behörden zu überwachen und diesen nachzugehen, eben dieser Sachverhalt auch zugunsten dieses Mitgliedstaats zu berücksichtigen sein. Es ist anzuerkennen, dass dieser Mitgliedstaat nach Feststellung möglicher Probleme mit den Ausfuhrbescheinigungen in Anguilla relativ rasch gehandelt hat. Er hat eine Untersuchung durchgeführt und die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten unterrichtet und somit nicht (durch eigene Untätigkeit oder Fahrlässigkeit) zu einem Verstoß beigetragen oder diesen verstärkt, der dann möglicherweise als hinreichend qualifiziert einzustufen sein könnte.

111. Demnach erreicht der dem Vereinigten Königreich zugerechnete Verstoß gegen das Unionsrecht, selbst wenn die Rechtswidrigkeit der EXP-Bescheinigungen für den maßgeblichen Zeitraum festgestellt würde, was derzeit nicht der Fall ist, nicht die Schwelle eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen das Unionsrecht, die dazu führen könnte, dass es zum Ersatz des finanziellen Schadens verpflichtet wäre.

2.      Schadensbemessung und Kausalzusammenhang

112. Das Vereinigte Königreich hat vorgetragen, dass die Kommission bestimmte, von der anguillanischen Regierung gewährte Befreiungen oder Erstattungen mit näher bezeichneten, den italienischen Behörden vorgelegten EXP-Bescheinigungen nicht in Einklang gebracht habe, um den Kausalzusammenhang zwischen dem angeblichen Verstoß gegen den ÜLG-Beschluss und den in Italien entstandenen Verlusten darzulegen und zu beweisen. Ferner habe die Kommission nicht dargelegt und bewiesen, dass die in Rede stehenden EXP-Bescheinigungen den Verlust von Eigenmitteln verursacht hätten, u. a. weil die Kommission nichts dafür dargelegt und bewiesen habe, dass alle betroffenen Einfuhren den für vergleichbare Fälle geltenden Kriterien des Beschlusses REC 03/2004 entsprächen.

113. Die Mängel im Vorbringen der Kommission, auf die das Vereinigte Königreich hinweist, betreffen nicht nur die Darlegung und den Beweis sowie die Quantifizierung des Schadens selbst, sondern auch die Frage eines Kausalzusammenhangs. Sie gehen zum Teil auf die Unklarheiten in Bezug auf die genaue rechtliche Verpflichtung, gegen die verstoßen wurde, und auf die sich hieraus ergebende Rechtsverletzung zurück(76), werfen jedoch zum Teil auch selbst zusätzliche Fragen auf. Die Ereignisse vor und während des Vorverfahrens veranschaulichen die Herausforderungen, die sich in Bezug auf die Darlegung und den Beweis sowie die Bemessung des Schadens im vorliegenden Klageverfahren stellen.

114. Mit Schreiben vom 27. September 2010 forderte die Kommission das Vereinigte Königreich zur Zahlung eines Betrags von 2 670 001,29 Euro aufgrund der von Italien erteilten Auskünfte zur Anwendung der Beschlüsse REM 03/2004 und REC 03/2004 auf. Die Kommission ersuchte die italienischen Behörden erst 2015, nach Ergehen der mit Gründen versehenen Stellungnahme und nachdem das Vereinigte Königreich wiederholt auf die fehlenden Unterlagen hingewiesen hatte, ihr die Einzelheiten der Zollanmeldungen zu übermitteln. Dieses zusätzliche Auskunftsersuchen legte Unstimmigkeiten der früheren Bewertungen offen, da die Kommission auf der Grundlage der neuen Angaben den vom Vereinigten Königreich einzufordernden Betrag auf 1 500 342,31 Euro bezifferte.

115. In Anbetracht dessen, dass der OLAF‑Bericht von 2003 keine hinreichenden Angaben enthielt, um die Verluste zu bemessen und zu prüfen, fügte die Kommission ihrer Klageschrift mehrere Dokumente bei: eine Aufstellung der von Italien nicht eingezogenen Abgaben, von Anguilla ausgegebene Ausfuhrbescheinigungen mit den Zollanmeldungen für die Einfuhren nach Italien und der Kommission von den italienischen Behörden weitergegebene Abrechnungen.

116. Auf Anfrage des Gerichtshofs suchte die Kommission näher klarzustellen, in welchem Verhältnis diese Unterlagen zueinander stünden. Sie räumte indes ein, dass die Prüfungen und vorgelegten schriftlichen Beweise die Beträge nicht abdeckten, die den jeweiligen Einfuhrvorgängen entsprächen, die Gegenstand der Klage der Kommission seien.

117. In der mündlichen Verhandlung brachte die Kommission vor, dass sie eine Übereinstimmung der von den anguillanischen Behörden gewährten Erstattungen und den konkreten EXP-Bescheinigungen nicht nachweisen müsse und sie keine Darlegungs- und Beweislast für die (vollständige oder teilweise) Rückgewähr von Zollabgaben treffe. Auch müsse sie die von Italien getroffenen Erlassentscheidungen nicht überprüfen. Die Kommission stützt ihre Ansicht auf systematische Erwägungen, die auf das Funktionieren der Zollunion abheben. Die Beurteilung in Bezug auf nicht eingezogene Beträge sei Sache des Mitgliedstaats, in dem die Verluste entstanden seien; dieser müsse der Kommission nicht in jedem Fall die Akten vorlegen.

118. Wenn das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV, und allem voran ein darin verborgener Ersatzanspruch der Europäischen Union gegen einen Mitgliedstaat, nicht als (recht einseitiges) Beispiel des rechtlichen Impressionismus aufgefasst werden soll, muss ich der Kommission in diesem Punkt grundlegend widersprechen. Die Kommission trägt als Klägerin die Beweislast. Wenn sie in bestimmter Höhe Ersatz für eine bestimmte konkrete Rechtsverletzung begehrt, die ein Mitgliedstaat begangen haben soll, dann trägt die Kommission die Beweislast sowohl für die Rechtsverletzung als auch für die Begründung der geltend gemachten Beträge und den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen beiden.

119. Die vorliegende Abfolge von Ereignissen veranschaulicht ferner genau die oben allgemein skizzierten Probleme in der Praxis(77): Beurteilungen und Berechnungen konkreter Beträge durch einen Mitgliedstaat im Rahmen des Systems der Eigenmittel können nicht automatisch als Ersatz für die Darlegung und den Beweis sowie die Bemessung von Schäden nach den für die Darlegung und den Beweis einer Ersatzpflicht geltenden einschlägigen Anforderungen anerkannt werden.

VI.    Kosten

120. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Das Vereinigte Königreich hat einen Kostenantrag gestellt, und die Kommission ist mit ihrem Vorbringen unterlegen. Die Kommission ist somit zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

121. Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Das Königreich der Niederlande trägt daher seine eigenen Kosten.

VII. Ergebnis

122. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

1.      die Klage abzuweisen;

2.      der Europäischen Kommission die Kosten aufzuerlegen;

3.      dem Königreich der Niederlande seine eigenen Kosten aufzuerlegen.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Später Art. 10 EG, jetzt Art. 4 Abs. 3 EUV.


3      Beschluss des Rates vom 25. Juli 1991 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ÜLG-Beschluss) (ABl. 1991, L 263, S. 1).


4      Verordnung des Rates vom 29. Mai 1989 zur Durchführung des Beschlusses 88/376/EWG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften (ABl. 1989, L 155, S. 1).


5      Verordnung des Rates vom 8. Juli 1996 zur Änderung der Verordnung Nr. 1552/89 zur Durchführung des Beschlusses 88/376/EWG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften (ABl. 1996, L 175, S. 3).


6      Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1150/2000 des Rates vom 22. Mai 2000 zur Durchführung des Beschlusses 94/728/EG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften (ABl. 2000, L 130, S. 1).


7      Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2028/2004 des Rates vom 16. November 2004 zur Änderung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1150/2000 zur Durchführung des Beschlusses 94/728/EG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften (ABl. 2004, L 352, S. 1).


8      Nachfolgerin dieser Dienststelle war ursprünglich die Task-force Koordinierung der Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung und dann das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF). Vgl. Beschluss 1999/352/EG, EGKS, Euratom der Kommission vom 28. April 1999 zur Errichtung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) (ABl. 1999, L 136, S. 20).


9      Verordnung des Rates vom 13. März 1997 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung (ABl. 1997, L 82, S. 1).


10      Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1). Nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b dieser Verordnung wird von einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung abgesehen, wenn der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vom Zollschuldner nicht erkannt werden konnte. Dieser muss gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten haben.


11      Insbesondere „dürfen“ nach dem Beschluss der Kommission „[d]ie Beteiligten … in keiner Weise an der Beförderung der Waren aus dem Ausfuhrland über Anguilla bis zum Eintritt in das Zollgebiet der Gemeinschaft beteiligt gewesen sein. Sie müssen die Waren DDP (geliefert verzollt) erworben haben. Sie dürfen nur als Einführer der Waren in die Gemeinschaft tätig werden oder als Vertreter eines solchen Einführers. Sie dürfen nicht bekanntermaßen mit ihrem Zulieferer, dem Ausführer nach Anguilla oder Personen, die an der Beförderung der Waren aus dem Ausfuhrland bis in die Gemeinschaft beteiligt waren, oder der Regierung Anguillas verbunden sein. …“


12      Nach dieser Bestimmung können Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben in anderen als den in den Art. 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.


13      Verordnung des Rates vom 26. Mai 2014 zur Festlegung der Methoden und Verfahren für die Bereitstellung der traditionellen, der MwSt.‑ und der BNE-Eigenmittel sowie der Maßnahmen zur Bereitstellung der erforderlichen Kassenmittel (ABl. 2014, L 168, S. 39).


14      Wie unten in Abschnitt B.3 (Nrn. 74 bis 84) der vorliegenden Schlussanträge näher erläutert werden wird, ergibt sich aus der Verbindung der Bestimmungen des Eigenmittelsystems mit denjenigen des Zollkodex in der Tat eine Regelung einer objektiven, (quasi) verschuldensunabhängigen Haftung für die Zollschuld. In der vorliegenden Rechtssache gilt sie jedoch nur für den Einfuhrmitgliedstaat. Diesen Haftungsstandard heranzuziehen und automatisch auf einen anderen Mitgliedstaat anzuwenden, ist einer der vielen neuen Aspekte des Vorbringens der Kommission in der vorliegenden Rechtssache.


15      Gewiss ließe sich je nach der „Ebene“ des jeweils gewählten angeblichen Verstoßes die Ansicht vertreten, dass der Anspruch der Kommission ein künftiger sei, weil das Vereinigte Königreich die von der Kommission geforderte Zahlung nach wie vor nicht geleistet habe. Dieses Argument bringt die Diskussion jedoch genau zu dem recht verwickelten Punkt zurück, was die Kommission genau begehrt.


16      Urteil vom 7. Februar 1973, Kommission/Italien (39/72, EU:C:1973:13, Rn. 11). Vgl. auch Urteile vom 30. Mai 1991, Kommission/Deutschland (C‑361/88, EU:C:1991:224, Rn. 31), vom 30. Mai 1991, Kommission/Deutschland (C‑59/89, EU:C:1991:225, Rn. 35), oder vom 14. Juni 2001, Kommission/Italien (C‑207/00, EU:C:2001:340, Rn. 28). An dieser Begründung wird für die Möglichkeit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens in ständiger Rechtsprechung festgehalten, auch wenn der betreffenden Vertragsverletzung nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission gesetzten Frist abgeholfen worden ist.


17      Vgl. z. B. Ehlermann, C. D., „Die Verfolgung von Vertragsverletzungen der Mitgliedstaaten durch die Kommission“, in Europäische Gerichtsbarkeit und nationale Verfassungsgerichtsbarkeit. Festschrift zum 70. Geburtstag von H. Kutscher, 1981, S. 135 bis 153, auf S. 151, Schwarze, J., „Das allgemeine Völkerrecht in den innergemeinschaftlichen Rechtsbeziehungen“, Europarecht 1983 (1), S. 1 bis 39, auf S. 24, und Wyatt, D., „New Legal Order, or Old?“, European Law Review 1982 (7), S. 147 bis 166, auf S. 160 ff.


18      Vgl. entsprechend Urteil vom 15. November 2005, Kommission/Dänemark (C‑392/02, EU:C:2005:683, Rn. 33), wo anerkannt wird, dass solche Begehren in Vertragsverletzungsverfahren ausgeschlossen sind: vgl. Urteile vom 14. April 2005, Kommission/Deutschland (C‑104/02, EU:C:2005:219, Rn. 49), und vom 5. Oktober 2006, Kommission/Deutschland (C‑105/02, EU:C:2006:637, Rn. 44 und 45).


19      Vgl. zum Völkerrecht z. B. Urteil des Ständigen Internationalen Gerichtshofs vom 13. September 1928, Chorzów Factory (Nr. 13, Series A, Nr. 17, S. 4).


20      Urteil vom 19. November 1991, Francovich u. a. (C‑6/90 und C‑9/90, EU:C:1991:428, Rn. 36).


21      Insbesondere Urteil vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame (C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 29), wonach die Haftung der Gemeinschaft „nur eine Ausprägung des in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten geltenden allgemeinen Grundsatzes [ist], dass eine rechtswidrige Handlung oder Unterlassung die Verpflichtung zum Ersatz des verursachten Schadens nach sich zieht“.


22      So wäre im (Schul‑)Beispiel der unterlassenen Umsetzung einer Richtlinie, durch die Einzelnen ein Schaden entstanden sein könnte, die eindeutige rechtliche Verpflichtung, gegen die ein Mitgliedstaat in diesem Einzelfall verstoßen hätte, zumindest die abschließende/am Ende stehende Verpflichtung der betreffenden Richtlinie, die die Umsetzungsfrist nennt, möglicherweise in Verbindung mit der Verpflichtung aus Art. 288 AEUV und vielleicht sogar der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit. Es stünde jedoch außer Zweifel, dass eine konkrete Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt besteht.


23      So Lenaerts, K., Maselis, I., und Gutman, K., EU Procedural Law, Oxford University Press 2014, S. 495. Auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Slowakei/Kommission und Rumänien/Kommission (C‑593/15 P und C‑599/15 P, EU:C:2017:441, Nr. 108) weisen auf diese Möglichkeit hin. Es sind offenbar auch in der Vergangenheit schon Schadensersatzansprüche geltend gemacht worden (jedenfalls von staatlichen Einrichtungen), meines Wissens haben sie jedoch offenbar noch nie die Stufe eines Urteils erreicht. Vgl. z. B. Beschluss vom 16. November 1998, Niederländische Antillen/Rat und Kommission (T‑163/97 und T‑179/97, EU:T:1998:260).


24      Mit der logischen Ausnahme der persönlichen Haftung der Beamten der Europäischen Union gegenüber der Union, die ebenfalls in Art. 340 AEUV geregelt ist.


25      Denn nach Art. 274 AEUV „[sind,] [s]oweit keine Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union aufgrund der Verträge besteht, … Streitsachen, bei denen die Union Partei ist, der Zuständigkeit der einzelstaatlichen Gerichte nicht entzogen“.


26      Ähnlich wie in von der Kommission vor den nationalen Gerichten eingeleiteten Verfahren, in denen sie im Wesentlichen zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen private Parteien geltend macht. Vgl. z. B. Urteil vom 6. November 2012, Otis u. a. (C‑199/11, EU:C:2012:684).


27      Vgl. z. B. Urteil vom 16. Oktober 2012, Ungarn/Slowakei (C‑364/10, EU:C:2012:630, Rn. 68). Hervorhebung nur hier.


28      Sei es der „ursprüngliche“ oder der „zwischenzeitliche“ Verstoß im Sinne der Ausführungen in Nrn. 35 und 36 der vorliegenden Schlussanträge.


29      Urteil vom 5. Oktober 2006, Kommission/Belgien (C‑377/03, EU:C:2006:638, Rn. 36). Der Gerichtshof stellte fest, dass „ein unlösbarer Zusammenhang zwischen der Verpflichtung zur Feststellung der Eigenmittel der Gemeinschaften, der Verpflichtung zur Gutschrift auf dem Konto der Kommission innerhalb der gesetzten Frist und schließlich der Verpflichtung zur Zahlung der Verzugszinsen besteht“.


30      Ob nach Art. 260 Abs. 1 AEUV der Ersatz von Schäden stets eine notwendige zu ergreifende Maßnahme darstellt, ist Gegenstand der Diskussion. Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Kommission/Luxemburg (C‑299/01, EU:C:2002:243, Nrn. 23 ff.) und Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in den verbundenen Rechtssachen Francovich u. a. (C‑6/90 und C‑9/90, EU:C:1991:221, Nrn. 57 ff.). Jedenfalls führt der Ersatz von Schäden nicht per se zur Beendigung des Verstoßes gegen das Unionsrecht. Vgl. z. B. Urteil vom 9. Dezember 1997, Kommission/Frankreich (C‑265/95, EU:C:1997:595, Rn. 60).


31      Vgl. Urteile vom 14. April 2005, Kommission/Deutschland (C‑104/02, EU:C:2005:219, Rn. 49), und vom 5. Oktober 2006, Kommission/Deutschland (C‑105/02, EU:C:2006:637, Rn. 44 und 45). Vgl. auch Urteil vom 2. Oktober 2008, Kommission/Griechenland (C‑36/08, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:536, Rn. 8 und 9).


32      In diesem Sinne vgl. Urteil vom 18. Juli 2007, Kommission/Deutschland (C‑503/04, EU:C:2007:432, Rn. 15). Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in der Rechtssache Kommission/Deutschland (C‑503/04, EU:C:2007:190, Nr. 41).


33      Urteil vom 12. Juli 2005, Kommission/Frankreich (C‑304/02, EU:C:2005:444, Rn. 92).


34      Urteil vom 25. Oktober 2017, Slowakei/Kommission (C‑593/15 P und C‑594/15 P, EU:C:2017:800, Rn. 75 ff.).


35      Vgl. ausführlich zu dieser Diskussion Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Slowakei/Kommission und Rumänien/Kommission (C‑593/15 P und C‑599/15 P, EU:C:2017:441, Nrn. 101 ff.).


36      Urteil vom 4. Juli 2000, Bergaderm und Goupil/Kommission (C‑352/98 P, EU:C:2000:361, Rn. 39 ff.). Vgl. zu Beispielen aus jüngerer Zeit Urteil vom 4. April 2017, Bürgerbeauftragter/Staelen (C‑337/15 P, EU:C:2017:256, Rn. 31), zur Regelung der Haftung der Union, und Urteil vom 4. Oktober 2018, Kantarev (C‑571/16, EU:C:2018:807, Rn. 94), zum Grundsatz der Haftung des Staates für dem Einzelnen entstehende Schäden.


37      Vgl. z. B. Urteil vom 14. November 2002, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑140/00, EU:C:2002:653, Rn. 34), oder vom 30. Januar 2003, Kommission/Dänemark (C‑226/01, EU:C:2003:60, Rn. 32), oder vom 13. Juli 2006, Kommission/Portugal (C‑61/05, EU:C:2006:467, Rn. 32).


38      Vgl. z. B. Urteile vom 16. September 2004, Kommission/Spanien (C‑227/01, EU:C:2004:528, Rn. 58), oder vom 4. März 2010, Kommission/Italien (C‑297/08, EU:C:2010:115, Rn. 82).


39      Vgl. z. B. Urteil vom 4. Oktober 2018, Kantarev (C‑571/16, EU:C:2018:807, Rn. 105). Zur Haftung der Europäischen Union vgl. z. B. Urteil vom 4. April 2017, Bürgerbeauftragter/Staelen (C‑337/15 P, EU:C:2017:256, Rn. 37).


40      Urteil vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame (C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 56).


41      Vgl. z. B. Urteil vom 24. März 2009, Danske Slagterier (C‑445/06, EU:C:2009:178 Rn. 43 und 44).


42      Es kann sicherlich keine Rede davon sein, dass die Europäische Union oder die Kommission, die in ihrem Namen handelt, mit „individuellen Rechten“ ausgestattet seien. Diese Voraussetzung kann indes auch dahin verstanden (und zwanglos angepasst werden), dass sie eine Bezeichnung der Rechtsnorm voraussetzt, nach der der Kläger Anspruch auf ein bestimmtes Verhalten des Beklagten gehabt hätte und deren Verletzung zu dem Schaden geführt haben soll. Zu der Voraussetzung, dass die unionsrechtliche Regelung einem Einzelnen Rechte verleiht, vgl. z. B. Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a. (C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 106).


43      Vgl. z. B. Urteile vom 4. Oktober 2007, Kommission/Italien (C‑179/06, EU:C:2007:578, Rn. 37), und vom 10. September 2009, Kommission/Griechenland (C‑416/07, EU:C:2009:528, Rn. 32).


44      Vgl. z. B. Urteil vom 6. Dezember 2007, Kommission/Deutschland (C‑456/05, EU:C:2007:755, Rn. 25).


45      Vgl. z. B. Urteile vom 5. März 1998, Kommission/Frankreich (C‑175/97, EU:C:1998:89, Rn. 14), und vom 5. Oktober 2006, Kommission/Belgien (C‑377/03, EU:C:2006:638, Rn. 38).


46      Urteil vom 4. Oktober 2018, Kantarev (C‑571/16, EU:C:2018:807, Rn. 117).


47      Vgl. auf dem Gebiet der außervertraglichen Haftung der Union z. B. Urteil vom 7. Juni 2018, Equipolymers u. a./Rat (C‑363/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:402, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).


48      Urteil vom 15. November 2005, Kommission/Dänemark (C‑392/02, EU:C:2005:683, Rn. 68).


49      Ebd.


50      Angeführt werden von der Kommission insbesondere die Urteile vom 16. Mai 1991, Kommission/Niederlande (C‑96/89, EU:C:1991:213, Rn. 37), vom 15. Juni 2000, Kommission/Deutschland (C‑348/97, EU:C:2000:317, Rn. 64), vom 15. November 2005, Kommission/Dänemark (C‑392/02, EU:C:2005:683, Rn. 60), und vom 17. März 2011, Kommission/Portugal (C‑23/10, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:160, Rn. 60).


51      Vgl. dagegen Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed in der Rechtssache Kommission/Dänemark (C‑392/02, EU:C:2005:142, Nrn. 46 und 47).


52      Die Kommission vertritt diese Ansicht hier nicht zum ersten Mal. Vgl. den dem Urteil vom 25. Oktober 2017, Rumänien/Kommission (C‑599/15 P, EU:C:2017:801), zugrunde liegenden Sachverhalt.


53      „Offenbar“, weil die Kommission diese Ansicht nicht ausdrücklich vorgetragen hat. Es könnte indes auch fraglich sein, inwieweit sich an dieser Ansicht etwas ändern würde, wenn Italien die betreffenden Abgaben tatsächlich hätte einziehen können: Entstünde dann keine „subsidiäre“ Haftung des Vereinigten Königreichs? Oder könnte die Kommission sich dann unabhängig davon, ob die Beträge in Italien einziehbar waren, an das Vereinigte Königreich halten? Was, wenn das Unterbleiben der Einziehung zum Teil auf Gründen beruht hätte, die von Italien zu vertreten gewesen wären?


54      Vgl. Beschluss vom 21. April 2016, Makro autoservicio mayorista und Vestel Iberia/Kommission (C‑264/15 P und C‑265/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:301, Rn. 47).


55      Vgl. Beschluss vom 14. September 2015, Rumänien/Kommission (T‑784/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:659, Rn. 27 bis 29) (bestätigt durch Urteil vom 25. Oktober 2017, Rumänien/Kommission, C‑599/15 P, EU:C:2017:801).


56      Nach ständiger Rechtsprechung müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 10 EG nach Treu und Glauben an den Untersuchungen der Kommission im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren mitwirken und ihr alle zu diesem Zweck angeforderten Auskünfte erteilen (vgl. z. B. Urteil vom 6. März 2003, Kommission/Luxemburg, C‑478/01, EU:C:2003:134, Rn. 24). Dies gilt meines Erachtens auch, wenn das Verletzungsverfahren andere Mitgliedstaaten betrifft.


57      Abschnitt B Teil 2 der vorliegenden Schlussanträge.


58      Die Kommission hat ferner in der mündlichen Verhandlung auf das Urteil vom 12. Dezember 1990, Kommission/Frankreich (C‑263/88, EU:C:1990:454), verwiesen. Sie hat auch auf die Rechtsprechung verwiesen, wonach ein Mitgliedstaat „sich … nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung … berufen kann“, um die Nichteinhaltung unionsrechtlicher Pflichten zu rechtfertigen. Vgl. z. B. Urteil vom 16. Dezember 2004, Kommission/Österreich (C‑358/03, EU:C:2004:824, Rn. 13).


59      Vgl. zu einer ausführlichen Würdigung Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache Prunus (C‑384/09, EU:C:2010:759, Nrn. 23 ff.).


60      Z. B. Urteile vom 11. Februar 1999, Antillean Rice Mills u. a./Kommission (C‑390/95 P, EU:C:1999:66, Rn. 36), vom 21. September 1999, DADI und Douane-Agenten (C‑106/97, EU:C:1999:433, Rn. 37 und 38), und vom 8. Februar 2000, Emesa Sugar (C‑17/98, EU:C:2000:70, Rn. 29).


61      Vgl. z. B. zum freien Warenverkehr Urteile vom 12. Februar 1992, Leplat (C‑260/90, EU:C:1992:66, Rn. 10), vom 22. November 2001 Niederlande/Rat (C‑110/97, EU:C:2001:620, Rn. 49), und vom 28. Januar 1999, van der Kooy (C‑181/97, EU:C:1999:32, Rn. 37). Zu den Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr Urteile vom 5. Mai 2011, Prunus und Polonium (C‑384/09, EU:C:2011:276, Rn. 29 bis 31), und vom 5. Juni 2014, X und TBG (C‑24/12 und C‑27/12, EU:C:2014:1385, Rn. 45). Zum abgeleiteten Recht auf der Grundlage von Art. 114 AEUV Urteil vom 21. Dezember 2016, TDC (C‑327/15, EU:C:2016:974, Rn. 77 und 78). Zu Wahlen zum Europäischen Parlament Urteil vom 12. September 2006, Eman und Sevinger (C‑300/04, EU:C.2006:545; Rn. 46).


62      Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache Prunus (C‑384/09, EU:C:2010:759, Nr. 33).


63      Vgl. z. B. Urteil vom 12. Dezember 1990, Kaefer und Procacci (C‑100/89 und C‑101/89, EU:C:1990:456), wo anerkannt wird, dass die Gerichte der ÜLG Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen können.


64      Vgl. Urteil vom 12. September 2006, Eman und Sevinger (C‑300/04, EU:C:2006:545, Rn. 27 bis 29), wonach Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und in einem ÜLG ansässig sind, die Rechte aus der Unionsbürgerschaft zustehen.


65      Vgl. Art. 234 bis 236 des ÜLG-Beschlusses.


66      Vgl. insbesondere Art. 7 des Anhangs III des ÜLG-Beschlusses. Nach Abs. 7 dieser Bestimmung werden Beanstandungen, welche die Zollbehörden nicht klären können, dem Ausschuss für Zollrecht vorgelegt.


67      Art. 5 EG „ist … Ausdruck der allgemeinen Regel, dass den Mitgliedstaaten und den [Unionsorganen] gegenseitige Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit und Unterstützung obliegen“. Urteil vom 15. Januar 1986, Hurd (44/84, EU:C:1986:2, Rn. 38). Vgl. z. B. auch Urteil vom 29. April 2004, Griechenland/Kommission (C‑278/00, EU:C:2004:239, Rn. 114), oder vom 1. April 2004, Kommission/Italien (C‑99/02, EU:C:2004:207, Rn. 17).


68      Zur Bedeutung von Art. 4 Abs. 2 EUV vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Niederlande (C‑395/17, Nr. 63).


69      Siehe oben, Nrn. 44 und 87.


70      Rechtssache C‑395/17, Kommission/Königreich der Niederlande.


71      Siehe oben, Nr. 90. Der Bericht der OLAF von 2003 verweist auch auf die Unklarheiten in Bezug auf die Auslegung, was genau unter einer „Zollerstattung“ zu verstehen ist. Ebenso war in der Mitteilung der UCLAF von 1999 davon die Rede, dass um eine Auslegung von Art. 101 des ÜLG-Beschlusses ersucht werden solle. Auch die von den Beteiligten vorgelegten Beweismittel tragen dieser Unsicherheit Rechnung, etwa der Entwurf des Protokolls der Sitzung der Partnerschafts-Arbeitsgruppe nach Art. 7 Abs. 3 des ÜLG-Beschlusses vom 1. Dezember 2003.


72      Siehe oben, Nrn. 15 und 16.


73      Art. 36 Abs. 2 des Beschlusses 2001/822/EG des Rates vom 27. November 2001 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Gemeinschaft (Übersee-Assoziationsbeschluss) (ABl. 2001, L 314, S. 1) (ÜLG-Beschluss von 2001). Diese Bestimmung regelt ausdrücklich, dass die Beihilfe „in Form einer Beihilfe für den Transport von in den freien Verkehr überführten Waren erfolgen [muss], einschließlich der ordnungsgemäßen laufenden Kosten im Zusammenhang mit dem Umladungsverfahren“. Ferner wird in dieser Bestimmung ausdrücklich erwähnt, dass auf Ersuchen der Behörden des ÜLG eine Partnerschafts-Arbeitsgruppe nach Art. 7 Abs. 3 einberufen wird, um Fragen im Zusammenhang mit der Handhabung des Umladungsverfahrens zu regeln. Die Unklarheiten des früheren ÜLG-Beschlusses werden anerkannt, da nach dem 15. Erwägungsgrund dieses Beschlusses „[d]as Verfahren für das Umladen von Waren, die nicht aus den ÜLG stammen, aber sich dort im freien Verkehr befinden, … ergänzt und eindeutig festgelegt werden [sollte], um einen transparenten und verlässlichen Rechtsrahmen für Unternehmen und Behörden zu gewährleisten“.


74      Siehe oben, Nr. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung.


75      Siehe oben, Nr. 98.


76      Siehe oben, Nrn. 101 bis 105.


77      Siehe oben, Nrn. 74 bis 84.