Language of document : ECLI:EU:C:2010:490

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 2. September 2010(1)

Rechtssache C‑283/09

Artur Weryński

gegen

Mediatel 4B Spółka

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy dla Warszawy Śródmieścia, Polen)

„Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme – Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 – Grenzüberschreitende Beweisaufnahme – Zeugenvernehmung durch das ersuchte Gericht – Zeugenentschädigung – Pflicht zur Zahlung eines Vorschusses“





I –    Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen.(2) Im Kern geht es um die Frage, ob das ersuchte Gericht die Vernehmung eines Zeugen von der Zahlung einer Zeugenentschädigung durch das ersuchende Gericht abhängig machen darf. Zunächst ist allerdings zu klären, ob das Ersuchen zulässig ist, da das vorlegende Gericht zum Zeitpunkt der Vorlage möglicherweise nicht vorlageberechtigt war.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

2.        Der 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1206/2001 bestimmt:

„Für die Erledigung des Ersuchens nach Artikel 10 sollte keine Erstattung von Gebühren und Auslagen verlangt werden dürfen. Falls jedoch das ersuchte Gericht die Erstattung verlangt, sollten die Aufwendungen für Sachverständige und Dolmetscher sowie die aus der Anwendung von Artikel 10 Absätze 3 und 4 entstehenden Auslagen nicht von jenem Gericht getragen werden. In einem solchen Fall hat das ersuchende Gericht die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die unverzügliche Erstattung sicherzustellen. Wird die Stellungnahme eines Sachverständigen verlangt, kann das ersuchte Gericht vor der Erledigung des Ersuchens das ersuchende Gericht um eine angemessene Kaution oder einen angemessenen Vorschuss für die Sachverständigenkosten bitten.“

3.        Art. 10 der Verordnung, der allgemeine Bestimmungen über die Erledigung des Ersuchens enthält, sieht vor:

„(1) Das ersuchte Gericht erledigt das Ersuchen unverzüglich, spätestens aber innerhalb von 90 Tagen nach Eingang des Ersuchens.

(2) Das ersuchte Gericht erledigt das Ersuchen nach Maßgabe des Rechts seines Mitgliedstaats.

…“

4.        Art. 14 der Verordnung lautet wie folgt:

„(1) Ein Ersuchen um Vernehmung einer Person wird nicht erledigt, wenn sich die betreffende Person auf ein Recht zur Aussageverweigerung oder auf ein Aussageverbot beruft,

a)      das nach dem Recht des Mitgliedstaats des ersuchten Gerichts vorgesehen ist oder

b)      das nach dem Recht des Mitgliedstaats des ersuchenden Gerichts vorgesehen und im Ersuchen bezeichnet oder erforderlichenfalls auf Verlangen des ersuchten Gerichts von dem ersuchenden Gericht bestätigt worden ist.

(2) Die Erledigung eines Ersuchens kann über die in Absatz 1 genannten Gründe hinaus nur insoweit abgelehnt werden, als

d)      eine Kaution oder ein Vorschuss, die gemäß Artikel 18 Abs. 3 verlangt wurden, nicht innerhalb von 60 Tagen nach dem entsprechenden Verlangen des ersuchenden Gerichts hinterlegt bzw. einbezahlt werden.

…“

5.        Art. 18 der Verordnung lautet wie folgt:

„(1) Für die Erledigung des Ersuchens nach Artikel 10 darf die Erstattung von Gebühren oder Auslagen nicht verlangt werden.

(2) Falls jedoch das ersuchte Gericht dies verlangt, stellt das ersuchende Gericht unverzüglich die Erstattung folgender Beträge sicher:

–        der Aufwendungen für Sachverständige und Dolmetscher und

–        der Auslagen, die durch die Anwendung von Artikel 10 Absätze 3 und 4 entstanden sind.

Die Pflicht der Parteien, diese Aufwendungen und Auslagen zu tragen, unterliegt dem Recht des Mitgliedstaats des ersuchenden Gerichts.

(3) Wird die Stellungnahme eines Sachverständigen verlangt, kann das ersuchte Gericht vor der Erledigung des Ersuchens das ersuchende Gericht um eine angemessene Kaution oder einen angemessenen Vorschuss für die Sachverständigenkosten bitten. In allen übrigen Fällen darf die Erledigung eines Ersuchens nicht von einer Kaution oder einem Vorschuss abhängig gemacht werden.

Die Kaution oder der Vorschuss wird von den Parteien hinterlegt bzw. einbezahlt, falls dies im Recht des Mitgliedstaats des ersuchenden Gerichts vorgesehen ist.“

B –    Internationale Übereinkommen

6.        Das Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 18. März 1970 (im Folgenden: HBÜ) galt nicht zwischen allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Verordnung Nr. 1206/2001 sollte eine Regelung schaffen, die für alle Mitgliedstaaten gilt(3) und insofern das HBÜ, auf das auch der sechste Erwägungsgrund der Verordnung Bezug nimmt, ersetzt.

7.        Das HBÜ bestimmt in seinem Art. 14:

„Für die Erledigung eines Rechtshilfeersuchens darf die Erstattung von Gebühren und Auslagen irgendwelcher Art nicht verlangt werden.

Der ersuchte Staat ist jedoch berechtigt, vom ersuchenden Staat die Erstattung der an Sachverständige und Dolmetscher gezahlten Entschädigungen sowie der Auslagen zu verlangen, die dadurch entstanden sind, dass auf Antrag des ersuchenden Staates nach Artikel 9 Absatz 2 eine besondere Form eingehalten worden ist.

Eine ersuchte Behörde, nach deren Recht die Parteien für die Aufnahme der Beweise zu sorgen haben und die das Rechtshilfeersuchen nicht selbst erledigen kann, darf eine hierzu geeignete Person mit der Erledigung beauftragen, nachdem sie das Einverständnis der ersuchenden Behörde eingeholt hat. Bei der Einholung dieses Einverständnisses gibt die ersuchte Behörde den ungefähren Betrag der Kosten an, die durch diese Art der Erledigung entstehen würden. Durch ihr Einverständnis verpflichtet sich die ersuchende Behörde, die entstehenden Kosten zu erstatten. Fehlt das Einverständnis, so ist die ersuchende Behörde zur Erstattung der Kosten nicht verpflichtet.“

8.        Art. 26 des HBÜ bestimmt:

„Jeder Vertragsstaat kann, wenn sein Verfassungsrecht dies gebietet, vom ersuchenden Staat die Erstattung der Kosten verlangen, die bei der Erledigung eines Rechtshilfeersuchens durch die Zustellung der Ladung, die Entschädigung der vernommenen Person und die Anfertigung eines Protokolls über die Beweisaufnahme entstehen.

Hat ein Staat von den Bestimmungen des Absatzes 1 Gebrauch gemacht, so kann jeder andere Vertragsstaat von diesem Staat die Erstattung der entsprechenden Kosten verlangen.“

III – Sachverhalt und Vorlagefrage

9.        Dem Vorabentscheidungsersuchen liegt ein Rechtsstreit zwischen Artur Weryński und der Mediatel 4B spólka z o.o. wegen Schadensersatzes aufgrund eines Vertrags über ein Wettbewerbsverbot zu Grunde. Im Rahmen dieses Verfahrens ersuchte der polnische Sąd Rejonowy dla Warszawy Śródmieścia (vorlegendes Gericht) den irischen Dublin Metropolitan District Court auf Grundlage der Verordnung Nr. 1206/2001 am 6. Januar 2009 um Vernehmung eines Zeugen. Das ersuchte Gericht machte die Zeugenvernehmung jedoch von der Zahlung eines Vorschusses für die an den Zeugen nach irischem Recht zu zahlenden Auslagen in Höhe von 40 Euro abhängig und forderte das polnische Gericht mit Schreiben vom 12. Januar 2009 zur Zahlung dieses Betrags auf.

10.      Mit Beschluss vom 17. Juli 2009 hat das vorlegende Gericht daraufhin das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Klärung vorgelegt:

Hat das ersuchte Gericht nach der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen das Recht, vom ersuchenden Gericht einen Vorschuss für die Entschädigung eines Zeugen oder die Erstattung der dem vernommenen Zeugen gezahlten Entschädigung zu verlangen, oder muss es die Entschädigung aus eigenen Finanzmitteln decken?

11.      Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben die irische und die polnische Regierung sowie die Kommission schriftliche und mündliche Erklärungen abgegeben. Darüber hinaus haben sich die deutsche, die finnische und die tschechische Regierung am schriftlichen Verfahren beteiligt.

IV – Rechtliche Würdigung

A –    Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

12.      Zunächst ist zu klären, ob das Vorabentscheidungsersuchen zulässig ist.

1.      Zuständigkeit des Gerichtshofs

13.      Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Verordnung Nr. 1206/01, die auf der Grundlage der Art. 61 Buchstabe c und 67 Abs. 1 EG erlassen wurde, die zu Titel IV des Dritten Teils des EG-Vertrags (Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr, u. a. justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen) gehören. Nach Art. 68 Abs. 1 EG sind in Bezug auf Rechtsakte, die auf diesen Titel gestützt wurden, nur solche Gerichte vorlageberechtigt, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können. Mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags ist Art. 68 EG entfallen, so dass diese Beschränkung der Vorlageberechtigung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr besteht.(4)

14.      Das Ersuchen ist vor Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages am 23. Juli 2009 beim Gerichtshof eingegangen. Nach dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Art. 68 EG wäre somit zu klären, ob es sich bei dem vorlegenden Gericht um ein letztinstanzliches Gericht handelt.

15.      Bei dem Sąd Rejonowy dla Warszawy Śródmieścia (Rayongericht) handelt es sich um ein erstinstanzliches Gericht, gegen dessen Entscheidungen ein Rechtsmittel zum Sąd Okręgowy (Bezirksgericht) zulässig ist. Die Einordnung als letztinstanzliches Gericht beruht jedoch im Rahmen des Art. 68 Abs. 1 EG ebenso wie bei Art. 234 Abs. 3 EG auf einer konkreten Betrachtung: Auch Untergerichte, deren Entscheidungen in dem konkreten Verfahren unanfechtbar sind, stellen letztinstanzliche Gerichte im Sinne dieser Norm dar.(5)

16.      Wie ich bereits in meinen Schlussanträgen im Fall Tedesco ausgeführt habe, ist darüber hinaus gerade im Zusammenhang mit der Verordnung Nr. 1206/2001 zu bedenken, dass die Tatsachenfeststellung typischerweise Aufgabe der Untergerichte und nicht der letzten Instanz ist.(6) Um die Verordnung Nr. 1206/2001 überhaupt einer Auslegung durch den Gerichtshof zugänglich zu machen, darf der Begriff des letztinstanzlichen Gerichts im Sinne des Art. 68 Abs. 1 EG daher nicht zu eng ausgelegt werden. Insbesondere verbietet es sich, nur die obersten Gerichte als vorlageberechtigt anzusehen.

17.      Die polnische Regierung hat vorgetragen, dass es im polnischen Recht bezüglich der Entscheidung des vorlegenden Gerichts über die Kostentragung für die Zeugenvernehmung kein Rechtsmittel gibt.

18.      Ein Gericht wird jedoch nicht wegen jeder prozessualen Maßnahme, die es durch unanfechtbaren Beschluss anordnet, zu einem letztinstanzlichen Gericht im Sinne des Art. 68 Abs. 1 EG. Vielmehr muss die unanfechtbare Zwischenentscheidung ein eigenständiges Verfahren oder einen gesonderten Verfahrensabschnitt abschließen, und die Vorlagefrage muss sich gerade auf dieses Verfahren bzw. diesen Verfahrensabschnitt beziehen.(7)

19.      Es ist fraglich, ob die hier einschlägigen Beschlüsse des vorlegenden Gerichts über die Zeugenvernehmung bzw. die in diesem Zusammenhang zu tragenden Kosten dieses Kriterium eines eigenen Verfahrensabschnitts erfüllen.

20.      Letztlich kann jedoch dahingestellt bleiben, ob das vorlegende Gericht als letztinstanzliches Gericht zu charakterisieren ist und damit bereits nach dem Art. 68 Abs. 1 EG vorlageberechtigt war. Denn seit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags wurde das Vorabentscheidungsersuchen jedenfalls nachträglich zulässig.

21.      Mit dem Lissabonner Vertrag ist die alte Vorlagebeschränkung des Art. 68 Abs. 1 EG ersatzlos entfallen. Für Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung von Rechtsakten aus dem Bereich Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr und somit auch der Verordnung Nr. 1206/2001, gilt nunmehr die allgemeine Regelung zum Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV. Daher sind auch in diesem Bereich Instanzgerichte zur Vorlage berechtigt.

22.      Obwohl der Lissabonner Vertrag erst nach Eingang des Vorabentscheidungsersuchens beim Gerichtshof in Kraft getreten ist, ist das Regelungsregime des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf das vorliegende Ersuchen auch ratione temporis anwendbar. Entscheidend für die Frage der Vorlageberechtigung sollte nämlich nicht der Zeitpunkt des Eingangs des Vorabentscheidungsersuchens sein, sondern derjenige der Entscheidung über das Ersuchen.

23.      Nach ständiger Rechtsprechung sind Verfahrensvorschriften auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängige Rechtsstreitigkeiten anwendbar, während materiell-rechtliche Vorschriften in der Regel nicht für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte gelten.(8) Ob diese Rechtsprechung auf die Bestimmungen zur Vorlageberechtigung nationaler Gerichte übertragbar ist, kann dahinstehen. Denn jedenfalls folgt aus dem Sinn und Zweck der ursprünglichen Beschränkung der Vorlageberechtigung in Art. 68 EG, dass ein ursprünglich unzulässiges Ersuchen nachträglich als zulässig zu behandeln ist. Mit der Beschränkung wurde zum einen das Ziel verfolgt, den Gerichtshof vor einer möglichen Überlastung durch eine unüberschaubare Zahl von Vorabentscheidungsersuchen zu schützen.(9) Zum anderen sollte verhindert werden, dass Vorabentscheidungsersuchen von Instanzgerichten die nationalen Verfahren ungebührlich verzögern.

24.      Der Wegfall der Beschränkung der Vorlageberechtigung mit dem Vertrag von Lissabon belegt, dass die Mitgliedstaaten diese Gefahren nicht mehr sehen und im Gegenteil gerade die Möglichkeit eröffnen wollen, wie in den sonstigen Fällen des Vorabentscheidungsverfahrens auch bei Verfahren aus dem Bereich des ehemaligen Titels IV des EG-Vertrags allen Gerichten eine Vorlagemöglichkeit zu eröffnen. Um Verfahrensverzögerungen in Fällen dieses Bereichs, die durch eine besondere Eilbedürftigkeit charakterisiert sind, zu vermeiden, wurde schließlich zum Jahr 2008 das neue Eilvorlageverfahren eingeführt.(10) Diese gewandelte Einschätzung spricht dafür, ein vor Inkrafttreten eingegangenes, aber noch nicht beschiedenes Vorabentscheidungsersuchen als zulässig zu erachten.

25.      Schließlich sprechen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte und der Grundsatz der Prozessökonomie dafür, Vorabentscheidungsersuchen unterinstanzlicher Gerichte, die im Rahmen der Übergangszeit kurz vor Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags eingegangen sind und vor dem Gerichtshof erst nach dessen Inkrafttreten verhandelt werden, als zulässig anzusehen. Eine Abweisung als unzulässig würde letztlich dazu führen, dass das inzwischen vorlageberechtigte Gericht dieselbe Vorlagefrage nochmals einreicht,(11) was zu erheblichem zusätzlichem Verwaltungsaufwand und zu einer unnötigen Verlängerung der Verfahrensdauer des Ausgangsverfahrens führen würde.

26.      Das vorlegende Gericht ist folglich vorlageberechtigt.

2.      Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage

27.      Im Folgenden ist zu prüfen, ob die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen entscheidungserheblich sind.

28.      Nach ständiger Rechtsprechung zu Art. 234 EG, die auch für Art. 267 AEUV gilt, ist es im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten zwar allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen also die vorgelegten Fragen die Auslegung des Unionsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden,(12) und es gilt somit eine Vermutung der Erheblichkeit(13) zugunsten der von den nationalen Gerichten zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen.

29.      Diese kann jedoch in Ausnahmefällen ausgeräumt werden, und zwar dann, wenn die erbetene Auslegung der in diesen Fragen erwähnten Bestimmungen des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind. Abgesehen von solchen Fällen ist der Gerichtshof grundsätzlich verpflichtet, über die ihm vorgelegten Fragen nach der Auslegung von Rechtsakten zu entscheiden.(14)

30.      Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Vorlagefrage wissen, ob das ersuchte Gericht, also der irische Metropolitan District Court, das Recht hat, einen Vorschuss bzw. eine Erstattung für die Zeugenvernehmung zu verlangen, oder ob das ersuchte Gericht vielmehr verpflichtet ist, diese Auslagen selbst zu tragen.

31.      Bei dieser Formulierung betrifft die Vorlagefrage allein Handlungen und Pflichten des ersuchten Gerichts. Insofern hätte eine Antwort keinen direkten Bezug zum vorlegenden Gericht. Bestehen Zweifel an den Pflichten des ersuchten Gerichts, wäre es Sache dieses Gerichts, gegebenenfalls den Gerichtshof um Auslegung der Verordnung Nr. 1206/2001 zu ersuchen. Hielte man streng am Wortlaut der Frage fest, wäre die Frage somit unerheblich für den vom vorlegenden Gericht zu entscheidenden Rechtsstreit.

32.      Dem vorlegenden Gericht geht es jedoch eigentlich um die Frage, inwieweit es selbst zur Zahlung eines solchen Vorschusses bzw. zur Erstattung der Kosten verpflichtet ist. Es handelt sich somit nicht nur um eine Fragestellung in Bezug auf die Rechte und Pflichten eines anderen Gerichts. Vielmehr korrespondieren die Rechte und Pflichten des ersuchten Gerichts, die Gegenstand der Vorlagefrage sind, direkt mit denen des vorlegenden, ersuchenden Gerichts. Aus diesem Grund halte ich es für sinnvoll, die Vorlagefrage entsprechend dahin gehend umzuformulieren, ob das ersuchende Gericht verpflichtet ist, einen Vorschuss an das ersuchte Gericht zu zahlen bzw. dessen Kosten nachträglich zu erstatten.

33.      Auch bei einer dahin gehenden Umformulierung der Vorlagefrage stellt sich jedoch die Frage der Entscheidungserheblichkeit der Auslegung der Verordnung Nr. 1206/2001 in diesem konkreten Fall. Denn eine etwaige Erstattungspflicht für Zeugenauslagen betrifft an sich nur das Verhältnis zwischen dem ersuchten und dem ersuchenden Gericht. Sie hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Ergebnis des Ausgangsrechtsstreits, in dem es um einen Anspruch auf Schadensersatz geht.

34.      Auch die Kommission hat darauf hingewiesen, dass die Vorlagefrage auf den ersten Blick unzulässig erscheint, da sie nur die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten betrifft und damit die Verwaltungstätigkeit des vorlegenden Gerichts und nicht dessen rechtsprechende Tätigkeit.

35.      Jedenfalls sofern es um die Frage geht, ob das ersuchende Gericht zur Zahlung eines Vorschusses für die Zeugenentschädigung verpflichtet ist, damit das ersuchte Gericht diese Zeugenbefragung durchführt, ist die Erheblichkeit dieser Frage jedoch zu bejahen. Macht das ersuchte irische Gericht die Zeugenbefragung nämlich von der Vorschusszahlung abhängig, besteht für das ersuchende polnische Gericht letztlich nur die Möglichkeit, von der Erhebung des Beweises abzusehen oder einen Kostenvorschuss zu bezahlen, den es möglicherweise nach der Verordnung 1206/2001 nicht tragen muss. Zahlt es den Vorschuss nicht und wird der Zeuge daraufhin nicht vernommen, kann dies unmittelbare Auswirkungen auf die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits in der Sache haben. Denn das Gericht könnte z. B. – etwa mangels weiterer Beweismittel – eine Beweislastentscheidung zuungunsten der Partei treffen, die den Auslandszeugen benannt hatte.

36.      Schwieriger ist die Entscheidungserheblichkeit bezüglich der Frage der nachträglichen Erstattung von Zeugenauslagen zu beurteilen. Denn in dieser Konstellation hat das ersuchte Gericht die Zeugenvernehmung durchgeführt, das ersuchende Gericht kann diese seiner Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits zu Grunde legen. Die Frage der Kostenerstattung stellt sich aber immerhin für die Kostenentscheidung des Ausgangsrechtsstreits, so dass sie jedenfalls nicht offensichtlich ohne Bedeutung für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits ist. Im Übrigen ist noch einmal daran zu erinnern, dass die meisten Fragen zur Auslegung der Verordnung Nr. 1206/2001, die die Beweisaufnahme betrifft, nur mittelbar die Hauptsache betreffen werden. Würde man zu hohe Anforderungen an die Entscheidungserheblichkeit stellen, wäre in vielen Fällen eine Auslegung der Verordnung im Wege des Vorabentscheidungsersuchens versperrt.

37.      In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof blieb unklar, ob das vorlegende Gericht die vom irischen Gericht verlangte Zeugenentschädigung möglicherweise schon geleistet hat. Das vorlegende Gericht hat hierzu keine Angaben gemacht. Auch nach einer Zahlung(15) wäre die Vorlagefrage jedoch nicht offensichtlich unerheblich. Sollte der Zahlung die Verordnung Nr. 1206/2001 entgegenstehen, würde sich die Frage der Rückerstattung an das ersuchende Gericht stellen. Zudem wäre im Rahmen der Kostenentscheidung weiterhin die Frage der Rechtmäßigkeit der Auslagenforderung durch das ersuchte Gericht relevant.

38.      Meiner Ansicht nach ist daher die Frage sowohl im Hinblick auf die Vorschusspflicht, als auch bezüglich der Erstattungspflicht des ersuchenden Gerichts entscheidungserheblich und somit zulässig.

B –    Zur Vorlagefrage

39.      Das polnische Gericht möchte mit seiner Vorlagefrage im Kern wissen, ob es verpflichtet ist, die Entschädigung des durch das ersuchte Gericht vernommenen Zeugen zu tragen, sei es in Form eines Vorschusses, sei es in Form einer nachträglichen Erstattung dieser Kosten.

40.      Festzuhalten ist zunächst, dass der vorliegende Sachverhalt gemäß Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1206/2001 in ihren Anwendungsbereich fällt. Denn ein Gericht eines Mitgliedstaats ersucht in einer Zivilsache das zuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaats um eine Beweisaufnahme. Die Vernehmung eines Zeugen ist in Art. 4 Abs. 1 Buchst. e explizit als Gegenstand eines Ersuchens aufgeführt.

41.      Gemäß Art. 10 Abs. 2 der Verordnung erledigt das ersuchte Gericht das Ersuchen nach Maßgabe des Rechts seines Mitgliedstaats. Nach irischem Recht ist ein Zeuge nur verpflichtet, vor Gericht zu erscheinen, wenn ihm zuvor eine Entschädigung für seine Auslagen (beispielsweise seine Reisekosten) gezahlt wird. Zwischen allen Beteiligten besteht dabei Einigkeit, dass dem Zeugen eine ihm zustehende Entschädigung nicht verweigert werden darf. Unklar ist nur, ob diese vom ersuchenden Gericht zu zahlen ist.

1.      Vorschuss für Zeugenentschädigungen

42.      Im Folgenden ist zunächst die Frage zu klären, ob das ersuchende Gericht verpflichtet werden kann, dem ersuchten Gericht einen Vorschuss für eine Zeugenentschädigung zu zahlen, damit dieses die Zeugenvernehmung vornimmt, mit anderen Worten, ob also das ersuchte Gericht eine Zeugenvernehmung so lange ablehnen darf, bis das ersuchende Gericht einen Vorschuss für die Zeugenentschädigung gezahlt hat.

43.      Die irische Regierung ist der Ansicht, dass es – da die Erledigung des Ersuchens sich nach irischem Recht richte – mit der Verordnung vereinbar sei, die Durchführung der Zeugenvernehmung von der vorherigen Zahlung der Zeugenentschädigung durch das ersuchende Gericht abhängig zu machen. Denn nach irischem Recht sei der Zeuge nur verpflichtet, eine Aussage zu machen, wenn ihm zuvor eine Entschädigung gezahlt wurde.

44.      Die Gründe für die Ablehnung eines Ersuchens gibt Art. 14 der Verordnung Nr. 1206/2001 an. Dessen Abs. 1 betrifft die Ablehnung der Erledigung eines Ersuchens, falls ein Aussageverweigerungsrecht oder ein Aussageverbot der betreffenden Person vorliegt. In Abs. 2 sind weitere Gründe aufgeführt, derentwegen die Erledigung eines Ersuchens abgelehnt werden kann. Unter Buchstabe d wird der Fall aufgeführt, dass eine Kaution oder ein Vorschuss, die gemäß Art. 18 Abs. 3 der Verordnung verlangt wurden, nicht gezahlt wurde. Nach dieser Norm darf ein Vorschuss für die Stellungnahme eines Sachverständigen verlangt werden. Eine Vorschussforderung für die Vernehmung eines Zeugen ist dort nicht vorgesehen.

45.      Die Erledigung eines Ersuchens von der Zahlung einer Zeugentschädigung abhängig zu machen, würde daher nur dann nicht im Widerspruch zu Art. 14 der Verordnung stehen, wenn die dort genannten Gründe für eine Ablehnung nicht abschließend, sondern nur beispielhaft aufgezählt wären. Gegen ein solches Normverständnis spricht aber bereits der Wortlaut von Art. 14 Abs. 2. Denn dort heißt es, dass die Erledigung eines Ersuchens über die in Abs. 1 genannten Gründe hinaus „nur insoweit abgelehnt werden [kann], als …“(16) Schließlich betont auch der elfte Erwägungsgrund der Verordnung, dass – um die Wirksamkeit der Verordnung zu gewährleisten – die Möglichkeit, die Erledigung eines Ersuchens abzulehnen, auf eng begrenzte Ausnahmefälle zu beschränken ist. Daraus folgt, dass die Gründe für eine Ablehnung eines Ersuchens in Art. 14 abschließend aufgezählt sind.

46.      Das ersuchte Gericht ist daher nicht berechtigt, die Durchführung einer Zeugenvernehmung von der vorherigen Zahlung eines Vorschusses für die Entschädigung des Zeugen abhängig zu machen. Das ersuchende Gericht ist demnach nicht verpflichtet, einen solchen Vorschuss zu zahlen.

2.      Erstattung von Zeugenentschädigungen

47.      Weiterhin ist zu prüfen, ob das ersuchte Gericht verlangen kann, dass das ersuchende Gericht Zeugenentschädigungen nachträglich erstattet.

48.      Art. 18 Abs. 1 der Verordnung bestimmt, dass für die Erledigung eines Ersuchens die Erstattung von Gebühren und Auslagen nicht verlangt werden darf. Entscheidend ist daher, ob auch Zeugenentschädigungen als Gebühren und Auslagen im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren sind.

49.      Das ersuchte Gericht und die irische Regierung verweisen darauf, dass gemäß Art. 10 Abs. 2 der Verordnung das ersuchte Gericht das Ersuchen nach Maßgabe des Rechts seines Mitgliedstaats erledigt. Nach irischem Recht müssten Zeugen nur zur Aussage vor Gericht erscheinen, wenn sie zuvor eine Entschädigung für ihre Auslagen erhielten. Für die Zahlung dieser Entschädigung sei nicht das Gericht zuständig, sondern die Partei, die den Zeugen benenne. Es handele sich dabei nicht um Gerichtskosten, und das Gericht sei nicht für ihre Zahlung zuständig. Dies entspreche dem kontradiktorischen Charakter des irischen Zivilverfahrens.

50.      Nach Ansicht der irischen Regierung betrifft Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1206/2001 ausschließlich Verwaltungskosten, also solche, die das Gericht für seine Tätigkeit erhebt. Zeugenauslagen fielen nicht darunter, da es sich bei diesen um Kosten handele, die jedenfalls nach irischem Recht von den Parteien zu tragen seien und keine Verwaltungskosten darstellten. Da Zeugenauslagen von vorn herein nicht unter Art. 18 Abs. 1 fielen, stehe die Verordnung Nr. 1206/2001 einer Geltendmachung der Zeugenauslagen durch das ersuchte Gericht nicht entgegen. Diese seien dann entweder vom ersuchenden Gericht oder von einer der Parteien des Ausgangsverfahrens zu tragen.

51.      Zunächst ist klarzustellen, dass der Begriff der Kosten unionsrechtlich autonom zu bestimmen ist und nicht von der Qualifizierung nach dem jeweils nationalen Recht abhängen kann. Hinge die Kostenfrage jeweils vom nationalen Begriff der Kosten ab, widerspräche dies dem Sinn und Zweck der Verordnung, die eine schnelle und unkomplizierte Erledigung von Beweisersuchen zum Ziel hat.

52.      Meines Erachtens fallen unter den Begriff der Gebühren und Auslagen im Sinne von Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1206/2001 auch Entschädigungen, die an einen vom ersuchten Gericht vernommenen Zeugen gezahlt werden.

53.      Dafür spricht zum einen der Wortlaut der Vorschrift. Art. 18 Abs. 1 nennt „Gebühren“ und „Auslagen“. Unter „Gebühren“ sind die von dem Gericht für seine Tätigkeit erhobenen Beträge zu verstehen, somit die von der irischen Regierung angesprochenen institutionellen Kosten, wohingegen mit „Auslagen“ solche Beträge zu verstehen sind, die das Gericht im Zuge des Verfahrens an Dritte verauslagt, etwa an Sachverständige oder Zeugen. Auch die anderen Sprachfassungen geben keinen Anhaltspunkt dafür, dass Zeugenentschädigung von Art. 18 Abs. 1 nicht erfasst werden sollten,(17) da diese ebenfalls unter die jeweils verwendeten Begriffe subsumiert werden können.

54.      Gegen das Verständnis der irischen Regierung spricht auch die systematische Auslegung. Beträfe Art. 18 Abs. 1 tatsächlich nur institutionelle Kosten, so wäre es nicht erforderlich, eine Erstattung der Kosten für Sachverständige, bei denen es sich auch um nichtinstitutionelle Kosten im Sinne des Verständnisses der irischen Regierung handelt dürfte, als Ausnahme von diesem Grundsatz in Art. 18 Abs. 2 vorzusehen. Diese fielen dann vielmehr von vorn herein nicht unter die Kosten im Sinne von Art. 18 Abs. 1 der Verordnung.

55.      Für ein weites Verständnis des Begriffs der Kosten im Sinne von Art. 18 Abs. 1 mit der Konsequenz, dass hiervon auch Zeugenentschädigungen erfasst sind, sprechen auch der Sinn und Zweck der Verordnung.

56.      Ziel der Verordnung Nr. 1206/2001 ist ausweislich ihrer Erwägungsgründe(18) die einfache, effiziente und schnelle Abwicklung grenzüberschreitender Beweisaufnahmen. Die Beweisaufnahme in einem anderen Mitgliedstaat soll nicht zu einer Verzögerung nationaler Verfahren führen, weshalb mit der Verordnung Nr. 1206/2001 eine für alle Mitgliedstaaten(19) verbindliche Regelung geschaffen wurde, um Hindernisse, die in diesem Bereich entstehen können, auszuräumen.

57.      Vorschuss- und Erstattungspflichten für Zeugenentschädigungen erschweren und verlangsamen eine grenzüberschreitende Zeugenvernehmung. Andererseits stellen diese auch eine finanzielle Belastung für den ersuchten Mitgliedstaat dar. Dabei ist jedoch zu bedenken – worauf auch die finnische Regierung hingewiesen hat –, dass jeder Mitgliedstaat jeweils sowohl ersuchter als auch ersuchender Mitgliedstaat sein kann, so dass sich die angefallenen Kosten letztlich neutralisieren. Es handelt sich natürlich nicht um einen betragsgenauen Ausgleich. Ein solcher ist aber auch gar nicht gewollt, sondern im Hinblick auf die Ziele der Verordnung wurde vielmehr in Kauf genommen, dass ein finanzielles Ungleichgewicht entstehen kann. Um übermäßige Nachteile zu vermeiden, wurden deshalb besonders hohe Kosten wie die für Sachverständige und Dolmetscher explizit als erstattungsfähig angesehen.

58.      Eine Entschädigungspflicht des vorlegenden Gerichts kann sich also nur ergeben, wenn eine der Ausnahmen des Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1206/2001 einschlägig ist.

59.      Dort ist die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Sachverständige und Dolmetscher sowie für Auslagen vorgesehen, die durch die Anwendung von Art. 10 Abs. 3 und 4 entstanden sind. Art. 10 Abs. 3 und 4 betreffen zum einen den Fall, dass das Ersuchen auf Antrag des ersuchenden Gerichts in einer bestimmten Form erledigt wird, Abs. 4 regelt die Beweisaufnahme unter Verwendung von Kommunikationstechnologie. Zeugenentschädigungen sind dort nicht erwähnt. Eine Erstattungspflicht für Zeugenentschädigungen wäre also nur dann mit der Verordnung vereinbar, wenn diese Aufzählung der Ausnahmen von der Erstattungsfreiheit in Abs. 2 nur beispielhaft wäre. Dagegen sprechen Sinn und Zweck der Verordnung. Diese soll grenzüberschreitende Beweisaufnahmen vereinfachen und beschleunigen. Daher sind die Ausnahmen in Abs. 2 auch als abschließend zu qualifizieren.

60.      Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte der Verordnung dafür, dass Zeugenentschädigungen nicht erstattungsfähig sind. Ausweislich des sechsten Erwägungsgrundes und des Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1206/2001 soll diese das Haager Übereinkommen vom 18. März 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (HBÜ) ersetzen, weshalb zur Auslegung auch auf die einschlägigen Bestimmungen des HBÜ zurückgegriffen werden kann.

61.      Art. 18 der Verordnung entspricht inhaltlich dem Art. 14 des HBÜ. Dessen Abs. 1 bestimmt, dass für die Erledigung eines Rechtshilfeersuchens die Erstattung von Gebühren und Auslagen nicht verlangt werden darf. Art. 14 Abs. 2 HBÜ berechtigt den ersuchten Staat nur, vom ersuchenden Staat die Erstattung der an Sachverständige und Dolmetscher gezahlten Entschädigungen sowie der Auslagen zu verlangen, die dadurch entstanden sind, dass auf Antrag des ersuchenden Staates nach Art. 9 Abs. 2 eine besondere Form eingehalten worden ist.(20) Im Haager Übereinkommen über den Zivilprozess vom 1. März 1954 war noch ausdrücklich vorgesehen,(21) dass Zeugenentschädigungen grundsätzlich zu erstatten waren. Aus dem erläuternden Bericht zum HBÜ ergibt sich, dass die Fälle, in denen Kosten erstattungsfähig sein sollten, gegenüber dem Übereinkommen von 1954 bewusst reduziert werden sollten, weshalb die Erstattung von Zeugenauslagen – gerade auch angesichts ihres typischerweise niedrigen Betrags – bewusst entfallen ist.(22) Lediglich der Verfassungsvorbehalt wurde in Art. 26 HBÜ aufgenommen, nach dem ein Vertragsstaat vom Ersuchenden Staat u. a. die Erstattung der Kosten, die bei der Erledigung eines Ersuchens durch die Entschädigung der vernommenen Person entstanden sind, nur verlangen kann, wenn sein Verfassungsrecht dies gebietet.

62.      Die Tatsache, dass die Verordnung Nr. 1206/2001 den Wortlaut des Art. 14 des HBÜ übernommen hat, ohne jedoch die Verfassungsausnahme des Art. 26 HBÜ aufzugreifen, spricht dafür, dass Zeugenentschädigungen grundsätzlich nicht erstattungsfähig sein sollten. Zeugenentschädigungen sind gemäß Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1206/2001 daher grundsätzlich nicht zu erstatten.

63.      Der letzte Aspekt der Frage des vorlegenden Gerichts, also ob das ersuchte Gericht die Entschädigung letztlich aus eigenen Finanzmitteln decken muss, spielt für die Beantwortung der Vorlagefrage keine Rolle. Das Ersuchen wird gemäß Art. 10 Abs. 2 nach dem Recht der Mitgliedstaaten ausgeführt. Dieses regelt auch die Frage, wie und von wem Zeugen entschädigt werden. Da diese Frage lediglich eine Zusammenfassung der ersten beiden Teile der Vorlagefrage darstellt, muss der Gerichtshof hierauf nicht gesondert antworten.

V –    Ergebnis

64.      Daher schlage ich vor, wie folgt auf die Vorlagefrage des Sąd Rejonowy zu antworten:

Art. 14 und Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen sind dahin auszulegen, dass das ersuchende Gericht nicht verpflichtet ist, dem ersuchten Gericht einen Vorschuss für die Entschädigung eines Zeugen zu bezahlen oder die dem vernommenen Zeugen gezahlte Entschädigung nachträglich zu erstatten.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – ABl. L 174, S. 1 (im Folgenden: Verordnung Nr. 1206/2001). Das Vereinigte Königreich und Irland haben gemäß Art. 3 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands mitgeteilt, dass sie sich an der Annahme und Anwendung dieser Verordnung beteiligen möchten (21. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1206/2001).


3 – Mit Ausnahme Dänemarks, vgl. Art. 1 Abs. 3 der Verordnung.


4 – Gemäß Art. 10 Abs. 1 des Protokolls Nr. 36 zum Vertrag von Lissabon (Über die Übergangsbestimmungen) bestehen für Rechtsakte der Union im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon angenommen wurden, als Übergangsmaßnahme weiterhin die beschränkten Befugnisse des Gerichtshofs. Gemäß Art. 10 Abs. 3 tritt diese Übergangsmaßnahme nach Abs. 1 auf jeden Fall fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon außer Kraft. Insofern kann sich daher auch in Zukunft die vorliegend einschlägige Frage des nachträchlichen Wegfalls der Beschränkung der Vorlageberechtigung noch einmal stellen.


5 – Siehe meine Schlussanträge vom 18. Juli 2007, Tedesco (C-175/06, Slg. 2007, I-7929, Nr. 21 f.), sowie das Urteil vom 25. Juni 2009, Roda Golf & Beach Resort (C-14/08, Slg. 2009, I‑5439, Randnr. 29), sowie die Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo vom 5. März 2009 in dieser Rechtssache (Nrn. 28 ff.).


6 – Siehe meine Schlussanträge in der Rechtssache Tedesco (zitiert in Fn. 5, Nr. 22).


7 – Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Tedesco (zitiert in Fn. 5, Nr. 26).


8 – Vgl. u. a. Urteil vom 9. März 2006, Beemsterboer Coldstore Services (C-293/04, Slg. 2006, I‑2263, Randnr. 21), und Urteil vom 28. Juni 2007, Dell'Orto (C-467/05, Slg. 2007, I-5557, Randnrn. 48 und 49).


9 – Siehe hierzu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo in der Rechtssache Roda Golf & Beach Resort (zitiert in Fn. 5, Nrn. 22 ff.).


10 – Beschluss des Rates vom 20. Dezember 2007 zur Änderung des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs; Änderungen der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, die der Gerichtshof am 15. Januar 2008 erlassen hat (ABl. L 24 vom 29. Januar 2008, S. 39).


11 – So geschehen in der Rechtssache Martinez, in der sich der Gerichtshof mit Beschluss vom 20. November 2009 – also vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon – wegen der Vorlagebeschränkung in Art. 68 EG für unzuständig erklärt hat (C-278/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht): Das vorlegende Gericht hat das Vorabentscheidungsersuchen am 6. April 2010 erneut eingereicht (C-161/10).


12 – Vgl. u. a. Urteile vom 15. Dezember 2005, Bosman (C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 59), und vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a. (C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619, Randnr. 26).


13 – Urteile vom 16. Juni 2005, Pupino (C‑105/03, Slg. 2005, I‑5285, Randnr. 30), vom 9. Oktober 2008, Katz (C‑404/07, Slg. 2008, I‑7607, Randnr. 31), und vom 22. April 2010, Dimos Agios Nikolaos (C‑82/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 15).


14 – Vgl. u. a. Urteile Bosman (zitiert in Fn. 12, Randnr. 61), und vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA (C-344/04, Slg. 2006, I-403, Randnr. 24).


15 – Nach der mündlichen Verhandlung haben die irische und die polnische Regierung in schriftlichen Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass das vorlegende Gericht den Zeugenvorschuss in Höhe von 40 Euro geleistet hat.


16 – Hervorhebung nur hier.


17 – Vgl. nur in der französischen Sprachfassung: „frais“ bzw. „remboursement de taxes ou de frais“; in der spanischen Sprachfassung „gastos“ bzw. „abono de tasas o gastos“; in der englischen Sprachfassung „costs“ bzw. „reimbursement of taxes and costs“; in der schwedischen Sprachfassung „Kostnader“ bzw. „avgifter och kostnader“; in der italienischen Fassung „spese“ bzw. „rimborso di tasse o spese“.


18 – Vgl. nur die Erwägungsgründe 1, 2, 8, 10, und 11 der Verordnung.


19 – Mit Ausnahme Dänemarks, vgl. Art. 1 Abs. 3 der Verordnung.


20 – Darüber hinaus sieht Art. 14 Abs. 3 einen weiteren Fall der Kostenübernahme vor. Danach darf eine Behörde, die das Rechtshilfeersuchen nicht selbst erledigen kann, hierzu eine geeignete Person beauftragten, nachdem sie das Einverständnis der ersuchenden Behörde eingeholt hat. Bei der Einholung dieses Einverständnisses gibt die ersuchte Behörde den ungefähren Betrag der Kosten an, die durch diese Art der Erledigung entstehen würden. Durch ihr Einverständnis verpflichtet sich die ersuchende Behörde, die entstehenden Kosten zu erstatten.


21 – Vgl. Art. 16 des Haager Übereinkommens über den Zivilprozess vom 1. März 1954: „Für die Erledigung von Ersuchen dürfen Gebühren oder Auslagen irgendwelcher Art nicht erhoben werden. Der ersuchte Staat ist jedoch vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarung berechtigt, von dem ersuchenden Staat die Erstattung der an Zeugen oder Sachverständige gezahlten Entschädigungen sowie der Auslagen zu verlangen, die dadurch entstanden sind, dass wegen Nichterscheinens von Zeugen die Mitwirkung eines Gerichtsbeamten erforderlich war oder dass nach Artikel 14 Absatz 2 verfahren worden ist.“


22 – Siehe den erläuternden Bericht von Philip W. Amram, Explanatory Report on the 1970 Hague Evidence Convention, Buchst. J), abrufbar unter: http://hcch.e-vision.nl/upload/expl20e.pdf.