Language of document : ECLI:EU:C:2013:21

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 17. Januar 2013(1)

Rechtssache C‑583/11 P

Inuit Tapiriit Kanatami u. a.

gegen

Europäisches Parlament

und

Rat der Europäischen Union

„Rechtsmittel – Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 – Handel mit Robbenerzeugnissen – Verbot des Inverkehrbringens in der Europäischen Union – Ausnahmen für Inuit-Gemeinschaften – Klageberechtigung natürlicher und juristischer Personen gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV – Begriff ‚Rechtsakt mit Verordnungscharakter‘ und Abgrenzung zum ‚Gesetzgebungsakt‘ – Fehlende unmittelbare oder individuelle Betroffenheit“





I –    Einleitung

1.        Die Rechtsschutzmöglichkeiten Einzelner gegen Unionsrechtsakte mit allgemeiner Geltung gehören seit Langem zu den umstrittensten Fragen des Europarechts. Ausgehend vom Urteil Plaumann(2) legte der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, zunächst zu Art. 173 E(W)G-Vertrag und später zu Art. 230 EG, ein vergleichsweise enges Verständnis der direkten Klageberechtigung von natürlichen und juristischen Personen an den Tag. An dieser Rechtsprechung hielt der Gerichtshof trotz mancher Kritik bis in die jüngste Zeit fest und bestätigte sie insbesondere in den beiden Urteilen Unión de Pequeños Agricultores(3) und Jégo-Quéré(4).

2.        Nicht zuletzt als Reaktion auf diese Rechtsprechung kam es im Vertrag von Lissabon zu einer Neuregelung der Klageberechtigung Einzelner, die am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten ist. Seither ermöglicht Art. 263 Abs. 4 AEUV natürlichen und juristischen Personen auch die Erhebung von Nichtigkeitsklagen „gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“.

3.        Bis heute ist freilich heftig umstritten, wie stark mit jener Neuregelung die Klageberechtigung Einzelner ausgeweitet wurde. Im vorliegenden Rechtsmittelverfahren ist der Gerichtshof aufgerufen, eben diese Streitfrage zu entscheiden und sich dabei insbesondere zur Auslegung des Begriffs „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ zu äußern(5). Zu klären ist in diesem Zusammenhang vor allem, ob zur Kategorie der Rechtsakte mit Verordnungscharakter auch Gesetzgebungsakte der Europäischen Union gezählt werden können.

4.        Auslöser für den vorliegenden Rechtsstreit ist die Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 über den Handel mit Robbenerzeugnissen, die das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union am 16. September 2009 gemeinsam erlassen haben(6). Diese Verordnung hat auf dem Europäischen Binnenmarkt ein Verbot des Inverkehrbringens von Robbenerzeugnissen in Kraft gesetzt, gegen das nunmehr die Inuit Tapiriit Kanatami als Interessenvertretung der kanadischen Inuit(7) sowie eine Reihe weiterer Beteiligter – vor allem Hersteller oder Händler von Robbenerzeugnissen – vor den Unionsgerichten Rechtsschutz suchen.

5.        In erster Instanz war dem Begehren der Inuit Tapiriit Kanatami und ihrer Mitstreiter kein Erfolg beschieden. Ihre Nichtigkeitsklage hat das Gericht der Europäischen Union mit Beschluss vom 6. September 2011(8) (im Folgenden auch: angefochtener Beschluss) als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung führte das Gericht nicht zuletzt an, dass es sich bei der Verordnung Nr. 1007/2009 um einen Gesetzgebungsakt handle, der nicht als Rechtsakt mit Verordnungscharakter im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV angesehen werden könne. Dagegen wehren sich nun die Inuit Tapiriit Kanatami und ihre Mitstreiter (im Folgenden auch: Rechtsmittelführer) – bis auf einen von ihnen(9) – mit dem vorliegenden Rechtsmittel.

II – Die unionsrechtlichen Vorschriften über das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen

6.        Die unionsrechtlichen Vorschriften über das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen im Europäischen Binnenmarkt finden sich teils in einer vom Parlament und dem Rat im Jahr 2009 erlassenen Grundverordnung (Verordnung Nr. 1007/2009), teils in einer 2010 angenommenen Durchführungsverordnung der Kommission (Verordnung Nr. 737/2010). Streitig ist im vorliegenden Verfahren allein die Klageberechtigung der Inuit Tapiriit Kanatami und ihrer Mitstreiter gegen die Grundverordnung, während die Durchführungsverordnung Gegenstand einer gesonderten, noch anhängigen Klage jener Parteien beim Gericht ist(10).

A –    Die Grundverordnung (Verordnung Nr. 1007/2009)

7.        Der Gegenstand der Verordnung Nr. 1007/2009 wird in ihrem Art. 1 wie folgt bestimmt:

„Diese Verordnung enthält einheitliche Vorschriften für das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen.“

8.        Gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 1007/2009 gelten die nachstehenden „Bedingungen für das Inverkehrbringen“ von Robbenerzeugnissen:

„(1)      Das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen ist nur in Fällen gestattet, in denen die Robbenerzeugnisse aus einer Jagd stammen, die von Inuit und anderen indigenen Gemeinschaften traditionsgemäß betrieben wird und zu deren Lebensunterhalt beiträgt. Für eingeführte Erzeugnisse gelten diese Bedingungen zum Zeitpunkt oder am Ort der Einfuhr.

(2)      Abweichend von Absatz 1 ist

a)      die Einfuhr von Robbenerzeugnissen auch in Fällen gestattet, in denen sie gelegentlich erfolgt und sich ausschließlich aus Waren zusammensetzt, die zum persönlichen Gebrauch von Reisenden oder ihrer Familien bestimmt sind. Die Art und Menge dieser Waren dürfen nicht solcherart sein, dass sie auf eine Einfuhr zu kommerziellen Zwecken hindeuten;

b)      auch das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen in Fällen gestattet, in denen die Robbenerzeugnisse aus Nebenprodukten einer Jagd stammen, die im nationalen Recht geregelt ist und zu dem alleinigen Zweck der nachhaltigen Bewirtschaftung der Meeresressourcen betrieben wird. Ein solches Inverkehrbringen ist nur gestattet, wenn es ohne Gewinnerzielungsabsicht erfolgt. Die Art und Menge dieser Robbenerzeugnisse dürfen nicht solcherart sein, dass sie auf ein Inverkehrbringen zu kommerziellen Zwecken hindeuten.

Die Anwendung dieses Absatzes darf der Verwirklichung des Zieles dieser Verordnung nicht zuwiderlaufen.

(3)      Die Kommission erlässt nach dem … Verwaltungsverfahren technische Leitlinien mit einer beispielhaften Liste der Codes der Kombinierten Nomenklatur, die unter diesen Artikel fallende Robbenerzeugnisse erfassen können.

(4)      Unbeschadet des Absatzes 3 werden zur Durchführung dieses Artikels Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung durch Ergänzung nach dem … Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.“

9.        In Art. 2 Nr. 4 der Verordnung Nr. 1007/2009 ist außerdem folgende Definition des Begriffs „Inuit“ enthalten:

„indigene Bewohner des Inuit-Stammesgebiets, d. h. der arktischen und subarktischen Regionen, in denen Inuit derzeit oder traditionsgemäß indigene Rechte und Interessen besitzen, die von den Inuit als Mitglieder ihres Volkes anerkannt sind und zu denen Inupiat, Yupik (Alaska), Inuit, Inuvialuit (Kanada), Kalaallit (Grönland) und Yupik (Russland) zählen“.

B –    Die Durchführungsverordnung (Verordnung Nr. 737/2010)

10.      Auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1007/2009 hat die Kommission am 10. August 2010 in Gestalt der Verordnung (EU) Nr. 737/2010(11) (im Folgenden auch: Durchführungsverordnung) Durchführungsvorschriften zum Handel mit Robbenerzeugnissen erlassen.

11.      Art. 1 der Verordnung Nr. 737/2010 sieht vor:

„Diese Verordnung regelt das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen gemäß Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 1007/2009.“

12.      In Art. 3 der Verordnung Nr. 737/2010 wird festgelegt, welche Voraussetzungen zu erfüllen sind, um Robbenerzeugnisse aus einer von Inuit oder anderen indigenen Gemeinschaften betriebenen Robbenjagd in den Verkehr zu bringen.

13.      Art. 4 der Verordnung Nr. 737/2010 bestimmt, unter welchen Bedingungen Robbenerzeugnisse zum persönlichen Gebrauch von Reisenden oder ihren Familien eingeführt werden dürfen.

14.      Unter welchen Umständen Robbenerzeugnisse aus der Bewirtschaftung von Meeresressourcen in den Verkehr gebracht werden dürfen, regelt schließlich Art. 5 der Verordnung Nr. 737/2010.

III – Verfahren vor dem Gerichtshof

15.      Mit Schriftsatz vom 21. November 2011 haben die Inuit Tapiriit Kanatami und ihre Mitstreiter das vorliegende Rechtsmittel eingelegt. Sie beantragen,

–        den angefochtenen Beschluss des Gerichts aufzuheben und die Nichtigkeitsklage für zulässig zu erklären, sofern der Gerichtshof der Ansicht sein sollte, dass alle für eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Verordnung erforderlichen Angaben vorliegen,

–        hilfsweise, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen,

–        das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union zur Zahlung der Kosten der Rechtsmittelführer zu verurteilen sowie

–        der Europäischen Kommission und dem Königreich der Niederlande ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

16.      Das Parlament beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        die Rechtsmittelführer zur Kostentragung zu verurteilen.

17.      Der Rat stellt den Antrag,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        die Rechtsmittelführer gesamtschuldnerisch zur Kostentragung zu verurteilen.

18.      Auch die Kommission, die schon in erster Instanz das Parlament und den Rat als Streithelferin unterstützt hatte, ersucht den Gerichtshof, das Rechtsmittel zurückzuweisen und den Rechtsmittelführern die Kosten aufzuerlegen.

19.      Hingegen hat das Königreich der Niederlande, das sich in erster Instanz ebenfalls als Streithelfer auf Seiten des Parlaments und des Rates beteiligt hatte, am Verfahren vor dem Gerichtshof nicht teilgenommen.

20.      Über das Rechtsmittel wurde vor dem Gerichtshof schriftlich und, am 20. November 2012, mündlich verhandelt.

IV – Würdigung

21.      Die Auslegung und Anwendung der Klageberechtigung von natürlichen und juristischen Personen gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV ist von grundlegender Bedeutung für die Verwirklichung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes. Sie hat aber auch erhebliche Auswirkungen auf die Zuständigkeits- und Aufgabenabgrenzung zwischen den Unionsgerichten und den innerstaatlichen Gerichten. Ganz allgemein kommt ihr für das gesamte Rechtsschutzsystem, wie es in den Europäischen Verträgen angelegt ist, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.

22.      Alle Beteiligten des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens sind sich darüber einig, dass mit Art. 263 Abs. 4 AEUV die Klageberechtigung natürlicher und juristischer Personen ausgeweitet wurde. Höchst umstritten ist aber unter ihnen, in welchem Umfang dies geschehen ist. Dementsprechend gehen die Meinungen der Parteien darüber, wie Art. 263 Abs. 4 AEUV richtig zu verstehen ist, weit auseinander.

23.      Während die drei am Verfahren beteiligten Unionsorgane – Parlament, Rat und Kommission – den angefochtenen Beschluss des Gerichts einhellig und weitgehend mit denselben Argumenten verteidigen, beziehen die Rechtsmittelführer den diametral entgegengesetzten Standpunkt; sie sind der Auffassung, dass das Gericht Art. 263 Abs. 4 AEUV zu eng ausgelegt und damit die Erfordernisse eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes vernachlässigt habe.

24.      Im Einzelnen greifen die Rechtsmittelführer den Beschluss des Gerichts mit insgesamt drei Rechtsmittelgründen an, von denen der erste der Vorschrift des Art. 263 Abs. 4 AEUV als solcher gewidmet ist (vgl. dazu unten, Abschnitt A), während der zweite das Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf betrifft (vgl. dazu unten, Abschnitt B) und der dritte sich mit der Frage auseinandersetzt, ob das Gericht das klägerische Vorbringen in erster Instanz richtig verstanden hat (vgl. dazu unten, Abschnitt C).

A –    Erster Rechtsmittelgrund

25.      Der erste Rechtsmittelgrund bildet den Schwerpunkt des vorliegenden Rechtsstreits. In seinem Rahmen streiten die Verfahrensbeteiligten über die richtige Auslegung und Anwendung von Art. 263 Abs. 4 AEUV, der in seiner nunmehr geltenden Fassung auf dem Vertrag von Lissabon beruht und wie folgt lautet:

„Jede natürliche oder juristische Person kann unter den Bedingungen nach den Absätzen 1 und 2 gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben.“

1.      Der Ausdruck „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ (erster Teil des ersten Rechtsmittelgrundes)

26.      Mit dem ersten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes, der gegen die Randnrn. 38 bis 56 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, werfen die Rechtsmittelführer dem Gericht eine unzutreffende Auslegung und Anwendung des Ausdrucks „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ in der dritten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV vor.

27.      Stein des Anstoßes ist für die Inuit Tapiriit Kanatami und ihre Mitstreiter der Umstand, dass das Gericht in seinem Beschluss Gesetzgebungsakte im Sinne von Art. 289 Abs. 3 AEUV(12), zu denen es auch die streitige Verordnung Nr. 1007/2009 zählt, nicht als Rechtsakte mit Verordnungscharakter ansieht. Die von den Rechtsmittelführern kritisierte Rechtsauffassung wird in Randnr. 56 des angefochtenen Beschlusses auf den Punkt gebracht, in der das Gericht ausführt,

„dass der Begriff ‚Rechtsakt mit Verordnungscharakter‘ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV dahin zu verstehen ist, dass er mit Ausnahme der Gesetzgebungsakte jede Handlung mit allgemeiner Geltung erfasst. Eine natürliche oder juristische Person kann gegen einen Gesetzgebungsakt daher nur dann Nichtigkeitsklage erheben, wenn sie von ihm unmittelbar und individuell betroffen ist.“

Die Rechtsmittelführer sehen darin eine übermäßig restriktive Handhabung der Klagemöglichkeiten Einzelner. Ihnen erscheint die Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter übertrieben formalistisch. Demgegenüber halten die am Verfahren beteiligten Unionsorgane Parlament, Rat und Kommission die vom Gericht gefundene Lösung für zutreffend und verteidigen sie mit Nachdruck.

28.      Auch in der juristischen Fachliteratur wird die Auslegung der neuen dritten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV äußerst kontrovers diskutiert. Mir scheint, dass sich dabei die Befürworter und die Gegner einer Einbeziehung von Gesetzgebungsakten in die Kategorie der Rechtsakte mit Verordnungscharakter ungefähr die Waage halten(13).

29.      Wie ich im Folgenden darlegen werde, ist die vom Gericht vorgenommene Auslegung des Ausdrucks „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ zutreffend (siehe dazu sogleich, Abschnitt a), wohingegen die von den Rechtsmittelführern vorgebrachten Gegenargumente nicht zu überzeugen vermögen (vgl. dazu unten, Abschnitt b).

a)      Zu der vom Gericht vorgenommenen Auslegung des Ausdrucks „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“

30.      In den Verträgen wird der Ausdruck „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ an keiner Stelle definiert. Sicherlich wird es sich dabei stets um Unionsrechtsakte mit allgemeiner Geltung handeln müssen, wie das Gericht zu Recht hervorhebt(14). Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass alle Unionsrechtsakte mit allgemeiner Geltung zugleich Rechtsakte mit Verordnungscharakter sind.

31.      Insbesondere wäre es vorschnell, anzunehmen, dass alle Verordnungen zugleich Rechtsakte mit Verordnungscharakter sind, gleichviel, ob es sich um Gesetzgebungsakte handelt oder nicht. Zwar ist in einigen Sprachfassungen der Verträge eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Begriff der „Verordnung“ im Sinne von Art. 288 Abs. 2 AEUV und dem Ausdruck „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“, wie er in Art. 263 Abs. 4 AEUV gebraucht wird, nicht zu leugnen(15). Bei einer Gleichsetzung der Ausdrücke „Verordnung“ und „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ auf der selektiven Grundlage einiger Sprachfassungen des AEU-Vertrags würde jedoch vernachlässigt, dass die Europäischen Verträge in nunmehr 23 verschiedenen Sprachen gleichermaßen verbindlich sind (Art. 55 Abs. 1 EUV und Art. 358 AEUV). In zahlreichen Amtssprachen der Union kann von einer etymologischen Verwandtschaft zwischen den Begriffen „Verordnung“ und „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ keine Rede sein(16).

32.      Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Ausdruck „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ um einen unionsrechtlichen Begriff sui generis handelt, bei dessen Auslegung die Zielsetzung der fraglichen Vertragsbestimmung ebenso zu berücksichtigen ist wie der Zusammenhang, in den sie sich einbettet(17), und ihre Entstehungsgeschichte. Zwar hat speziell die Entstehungsgeschichte bei der Auslegung des Primärrechts bislang keine Rolle gespielt, weil die „travaux préparatoires“ zu den Gründungsverträgen größtenteils nicht verfügbar waren. Die Praxis der Einsetzung von Konventen zur Vorbereitung von Vertragsänderungen hat jedoch, ebenso wie die Praxis der Veröffentlichung der Mandate von Regierungskonferenzen, zu einem grundlegenden Wandel in diesem Bereich geführt. Die gesteigerte Transparenz im Vorfeld von Vertragsänderungen eröffnet neue Möglichkeiten für die Vertragsauslegung, die als ergänzendes Auslegungsmittel nicht ungenutzt bleiben sollten, wenn – wie hier – die Bedeutung einer Vorschrift unter Berücksichtigung ihres Wortlauts, des Regelungszusammenhangs und der verfolgten Ziele im Unklaren bleibt(18).

33.      Mit der Neufassung des ehemaligen Art. 230 Abs. 4 EG durch den heutigen Art. 263 Abs. 4 AEUV wurde zweifelsohne die Stärkung des Individualrechtsschutzes mittels einer Ausweitung der Klagemöglichkeiten natürlicher und juristischer Personen gegen Unionsrechtsakte mit allgemeiner Geltung bezweckt(19). Für sich allein betrachtet stützt diese Zielsetzung eine weite Auslegung des Ausdrucks „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“(20).

34.      Zu bedenken ist allerdings, dass die Verfasser des Vertrags von Lissabon das Ziel der Stärkung des Individualrechtsschutzes nicht allein durch eine Ausweitung der direkten Klagemöglichkeiten von natürlichen und juristischen Personen gemäß der dritten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV verwirklicht haben, sondern daneben mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen auch eine Stärkung des Individualrechtsschutzes vor den nationalen Gerichten beabsichtigten.

35.      Aus dem Nebeneinander von Art. 263 Abs. 4 AEUV und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV lässt sich schließen, dass die Rechtsschutzmöglichkeiten Einzelner gegen Unionsrechtsakte mit allgemeiner Geltung nicht notwendigerweise in jedem Fall in einer direkten Klagemöglichkeit vor den Unionsgerichten bestehen müssen.

36.      Dass speziell bei den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Nichtigkeitsklage Unterschiede bestehen, je nachdem, ob der Gegenstand einer solchen Klage ein Gesetzgebungsakt oder ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter ist, ergibt sich im Übrigen aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Absätze von Art. 263 AEUV. Während im ersten Absatz von „Gesetzgebungsakten“ die Rede ist, wird im hier interessierenden vierten Absatz auf „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ Bezug genommen. Diese Unterschiede in der Wortwahl können nicht als zufällig angesehen werden. Sie sind vielmehr Ausdruck dessen, dass den verschiedenen Kategorien von Klägern nach Art. 263 AEUV seit jeher unterschiedlich weitreichende direkte Klagemöglichkeiten zustehen.

37.      Während die privilegiert Klageberechtigten nach Art. 263 Abs. 2 AEUV und die teilprivilegiert Klageberechtigten nach Art. 263 Abs. 3 AEUV gegen alle in Abs. 1 genannten Arten von Unionsrechtsakten Klage erheben dürfen, auch gegen Gesetzgebungsakte, ist die direkte Klageberechtigung natürlicher und juristischer Personen nach Art. 263 Abs. 4 AEUV seit jeher auf bestimmte Arten von Unionsrechtsakten beschränkt. Eine erleichterte Klagemöglichkeit eröffnet ihnen die dritte Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV nur gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, nicht aber gegen Gesetzgebungsakte. Wie das Gericht zutreffend hervorhebt, können Gesetzgebungsakte von Einzelnen auch weiterhin nur ausnahmsweise im Rahmen der zweiten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV direkt angefochten werden, und zwar insoweit, als sie den jeweiligen Kläger unmittelbar und individuell betreffen(21).

38.      Das Fehlen erleichterter direkter Klagemöglichkeiten Einzelner gegen Gesetzgebungsakte lässt sich vor allem mit der besonders hohen demokratischen Legitimation der parlamentarischen Gesetzgebung erklären. Dementsprechend kann die Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter im Hinblick auf den Rechtsschutz nicht als bloßer Formalismus abgetan werden; vielmehr liegt sie in einem qualitativen Unterschied begründet. In vielen nationalen Rechtssystemen verfügen Einzelne über keine oder nur über eingeschränkte direkte Klagemöglichkeiten gegen parlamentarische Gesetze.

39.      Dass Einzelnen auch im System der Europäischen Verträge weiterhin keine erleichterten Klagemöglichkeiten gegen Gesetzgebungsakte zustehen sollen, bestätigt sich, wenn man die Entstehungsgeschichte von Art. 263 Abs. 4 AEUV mit in die Überlegungen einbezieht. Diese Vorschrift sollte ursprünglich als Art. III‑365 Abs. 4 in den Vertrag über eine Verfassung für Europa(22) („Verfassungsvertrag“) eingehen und geht auf die Arbeiten des Europäischen Konvents zurück.

40.      Dem Verfassungsvertrag lag gemäß seinen Art. I‑33 bis I‑37 eine klare Unterscheidung und Hierarchie zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter zugrunde, wobei die „Europäische Verordnung“ als „Rechtsakt ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung“ ausschließlich der letzteren Kategorie zuzuordnen war (Art. I-33 Abs. 1 Unterabs. 4 Satz 1 des Verfassungsvertrags). Wenn also in Art. III‑365 Abs. 4 des Verfassungsvertrags von einer Klagemöglichkeit natürlicher und juristischer Personen gegen „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ die Rede war, so betraf dies ersichtlich nur Rechtsakte ohne Gesetzescharakter. Dies bestätigen auch die Materialien des Europäischen Konvents zu Art. III‑270 Abs. 4 des Entwurfs des Vertrages für eine Verfassung für Europa(23), der Vorschrift also, die sich später als Art. III‑365 Abs. 4 im Verfassungsvertrag wiederfand; danach wurde die Formulierung „Rechtsakte [mit] allgemeiner Geltung“ im Konvent zwar erörtert, aber letztlich verworfen und schließlich durch den weniger weitgehenden Ausdruck „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ ersetzt, der den Unterschied zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter zum Ausdruck bringen sollte(24).

41.      Die in nahezu allen Sprachfassungen(25) wortlautgleiche Übernahme des Inhalts von Art. III‑365 Abs. 4 aus dem Verfassungsvertrag in den Vertrag von Lissabon legt den Schluss nahe, dass auch im heutigen Art. 263 Abs. 4 AEUV keine Gesetzgebungsakte gemeint sind, wenn dort von Rechtsakten mit Verordnungscharakter die Rede ist. Besonders klar bringen dies die zahlreichen Sprachfassungen des AEU-Vertrags zum Ausdruck, in denen zur Bezeichnung der „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ Begriffe verwendet werden, welche weniger an eine Normsetzung durch die Legislative als vielmehr an eine Normsetzung durch die Exekutive erinnern(26).

42.      Sicherlich nimmt der Vertrag von Lissabon keine dem Verfassungsvertrag vergleichbare Systematisierung und Hierarchisierung der Unionsrechtsakte vor. Auch Gesetzgebungsakte können im System des EU-Vertrags und des AEU-Vertrags die Gestalt von Verordnungen im Sinne von Art. 288 Abs. 2 AEUV annehmen. Die Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter hat heute zumeist verfahrenstechnische Bedeutung, so etwa in den Art. 290 Abs. 1 AEUV und 297 AEUV.

43.      Angesichts dieser Unterschiede zwischen dem Verfassungsvertrag und den derzeit geltenden Verträgen wäre es theoretisch denkbar, dem Ausdruck „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ in Art. 263 Abs. 4 AEUV – im Einklang mit dem Vorschlag der Rechtsmittelführer – eine andere Bedeutung zu geben und ihn weiter zu verstehen, als dies vom Europäischen Konvent und den Verfassern des Verfassungsvertrags beabsichtigt war, so dass selbst Gesetzgebungsakte zu den Rechtsakten mit Verordnungscharakter zählen könnten.

44.      Jedoch ließe sich eine solche weite Auslegung des Ausdrucks „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ nur schwer mit dem Mandat der Regierungskonferenz 2007 vereinbaren, die den Vertrag von Lissabon ausgehandelt hat. Diese Regierungskonferenz hatte den Auftrag, das dem Verfassungsvertrag zugrunde liegende Verfassungskonzept aufzugeben(27), ansonsten aber das mit der Unterzeichnung des Verfassungsvertrags Erreichte nicht in Frage zu stellen(28). Das „Endprodukt“ der Regierungskonferenz sollte also inhaltlich so weit wie möglich dem gescheiterten Verfassungsvertrag entsprechen und nur in einigen besonders symbolträchtigen Punkten dahinter zurückbleiben(29).

45.      Besonders hervorzuheben ist für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens, dass gemäß dem Mandat der Regierungskonferenz 2007 „die Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter und die Folgen daraus beibehalten werden“ sollten(30).

46.      Vor diesem Hintergrund ist es höchst unwahrscheinlich, und es bestehen auch keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Regierungskonferenz speziell mit Art. 263 Abs. 4 AEUV über den Verfassungsvertrag hinausgehen wollte. Überdies wäre zu erwarten gewesen, dass die Verfasser des Vertrags von Lissabon eine etwaige Ausweitung der Klagemöglichkeiten Einzelner gegenüber Art. III‑365 Abs. 4 des Verfassungsvertrags im Wortlaut aller Sprachfassungen von Art. 263 Abs. 4 AEUV kenntlich gemacht hätten(31), beispielsweise durch die Verwendung des im Europäischen Konvent diskutierten, aber dort letztlich verworfenen Ausdrucks „Rechtsakte allgemeiner Geltung“(32). Dies gilt umso mehr, als letztere Formulierung andernorts im AEU-Vertrag durchaus gebräuchlich ist (vgl. Art. 277 AEUV, 288 Abs. 2 Satz 1 AEUV und 290 Abs. 1 AEUV).

47.      Insgesamt hat also das Gericht völlig zu Recht den Ausdruck „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ dahin ausgelegt, dass davon alle Unionsrechtsakte mit allgemeiner Geltung unter Ausschluss der Gesetzgebungsakte erfasst sind.

b)      Zu den von den Rechtsmittelführern vorgebrachten Gegenargumenten

48.      Anders als die Rechtsmittelführer meinen, führt die im vorliegenden Fall vom Gericht praktizierte Auslegung und Anwendung der dritten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV keineswegs dazu, dass die Klageberechtigung natürlicher und juristischer Personen gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter leerläuft und so die mit dem Vertrag von Lissabon eingeführte Neuerung ihrer raison d’être beraubt wird. Vielmehr ist die Argumentation der Rechtsmittelführer selbst mit gravierenden Mängeln behaftet, die zum einen auf einer falschen Lesart des angefochtenen Beschlusses und zum anderen auf einem grundlegenden Missverständnis der in den Verträgen vorgesehenen Rechtsakte und Verfahren beruhen.

–       Nicht alle Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse sind Gesetzgebungsakte

49.      Erstens unterstellen die Rechtsmittelführer dem Gericht, dass nach der von ihm favorisierten Auslegung von Art. 263 Abs. 4 AEUV nur die – ohnehin nicht anfechtbaren – Empfehlungen und Stellungnahmen im Sinne von Art. 288 Abs. 5 AEUV unter den Begriff der Rechtsakte mit Verordnungscharakter zu fassen wären, weil die vom Parlament und vom Rat verabschiedeten Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse allesamt Gesetzgebungsakte seien.

50.      Dieses Vorbringen ist abwegig. Selbstverständlich können auch andere Unionsrechtsakte als Empfehlungen und Stellungnahmen als Rechtsakte mit Verordnungscharakter einzustufen sein, insbesondere zahlreiche Verordnungen im Sinne von Art. 288 Abs. 2 AEUV und zahlreiche Beschlüsse im Sinne von Art. 288 Abs. 4 AEUV. In der Praxis handelt es sich sogar um die überwiegende Mehrzahl der Fälle, wie der Rat und die Kommission zutreffend angemerkt haben.

51.      Zwar gehören Verordnungen und Beschlüsse neben Richtlinien zu den Arten von Rechtsakten, die in einem Gesetzgebungsverfahren erlassen werden können (Art. 289 Abs. 1 und 2 AEUV). Die Rechtsmittelführer übersehen aber, dass bei Weitem nicht alle unionsrechtlichen Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse in einem solchen Gesetzgebungsverfahren ergehen. Auch Rechtsakte ohne Gesetzescharakter können die Form einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses annehmen (Art. 297 Abs. 2 AEUV).

52.      Speziell Verordnungen werden in zahlreichen Fällen vom Rat oder der Kommission entweder als Durchführungsverordnungen zu Gesetzgebungsakten oder aber als Verordnungen in einem Verfahren sui generis erlassen(33). Was Beschlüsse anbelangt, so werden sie sogar in aller Regel in anderen Verfahren als Gesetzgebungsverfahren erlassen, zumeist vom Rat oder der Kommission, und können dann womöglich ebenfalls als Rechtsakte mit Verordnungscharakter angesehen werden, zumal dann, wenn sie nicht an bestimmte Adressaten gerichtet sind (Art. 288 Abs. 4 Satz 2 AEUV e contrario).

–       Nicht alle Rechtsakte ohne Gesetzescharakter sind delegierte Rechtsakte

53.      Zweitens argumentieren die Rechtsmittelführer, dass die Verfasser des Vertrags von Lissabon nicht von „Rechtsakten mit Verordnungscharakter“, sondern von „delegierten Rechtsakten“ im Sinne von Art. 290 AEUV gesprochen hätten, falls es ihr Ansinnen gewesen wäre, in Art. 263 Abs. 4 AEUV zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter abzugrenzen. Die Verwendung des Ausdrucks „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ deute darauf hin, dass etwas anderes als Rechtsakte ohne Gesetzescharakter gemeint sei.

54.      Auch dieses Argument überzeugt nicht. Die Rechtsmittelführer verkennen, dass nicht alle Rechtsakte ohne Gesetzescharakter notwendigerweise delegierte Rechtsakte im Sinne von Art. 290 AEUV sein müssen. Rechtsakte ohne Gesetzescharakter können auch die Gestalt von Durchführungsrechtsakten im Sinne von Art. 291 AEUV annehmen oder in einem Verfahren sui generis ergehen(34).

–       Auch Durchführungsrechtsakte können Rechtsakte mit Verordnungscharakter sein

55.      Drittens tragen die Rechtsmittelführer vor, die Kategorie der Durchführungsrechtsakte im Sinne von Art. 291 AEUV lasse sich nach der vom Gericht getroffenen Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter nicht einordnen.

56.      Diese Behauptung ist ebenfalls irrig. Durchführungsrechtsakte im Sinne von Art. 291 AEUV lassen sich, wie soeben angedeutet(35), ohne Schwierigkeiten der Kategorie der Rechtsakte ohne Gesetzescharakter zuordnen. Wenn solche Durchführungsakte allgemeine Geltung haben, was in der Regel bei Durchführungsverordnungen und häufig bei Durchführungsbeschlüssen der Fall sein wird, sind sie als Rechtsakte mit Verordnungscharakter anzusehen.

–       Zu den Auswirkungen von Art. 263 Abs. 4 AEUV auf Fälle wie Unión de Pequeños Agricultores und Jégo-Quéré

57.      Schließlich behaupten die Rechtsmittelführer, eine Auslegung und Anwendung der Klageberechtigung wie die vom Gericht praktizierte sei nicht geeignet, die in den Fällen Unión de Pequeños Agricultores(36) und Jégo-Quéré(37) konstatierte „Rechtsschutzlücke“ zu schließen.

58.      Auch diese Behauptung geht fehl.

59.      In der Rechtssache Jégo-Quéré war eine Durchführungsverordnung der Kommission auf dem Gebiet der Fischerei Gegenstand der Nichtigkeitsklage. Ein solcher Rechtsakt wäre heute, im zeitlichen Geltungsbereich von Art. 263 Abs. 4 AEUV, als Rechtsakt mit Verordnungscharakter anzusehen, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht.

60.      Klagegegenstand in der Rechtssache Unión de Pequeños Agricultores war hingegen eine Gemeinsame Marktorganisation auf dem Gebiet der Landwirtschaftspolitik. Eine solche Verordnung wäre heute im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu erlassen (Art. 43 Abs. 2 AEUV) und würde somit einen Gesetzgebungsakt darstellen (Art. 289 Abs. 3 AEUV). Gegen sie bestünde folglich auch nach Art. 263 Abs. 4 AEUV für natürliche und juristische Personen keine direkte Klagemöglichkeit zu den Unionsgerichten, es sei denn, diese Personen wären unmittelbar und vor allem individuell von der Verordnung betroffen (zweite Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV). Dies bedeutet freilich nicht, dass Einzelne gegen Bestimmungen in Gemeinsamen Marktorganisationen keinen wirksamen Rechtsschutz erlangen können. Vielmehr steht es ihnen frei, die etwaige Rechtswidrigkeit einer Gemeinsamen Marktorganisation inzident zu rügen, und zwar je nach Sachlage entweder anlässlich von Nichtigkeitsklagen vor den Unionsgerichten gegen Durchführungsmaßnahmen der Kommission oder anlässlich von Rechtsbehelfen vor innerstaatlichen Gerichten gegen Durchführungsmaßnahmen nationaler Stellen(38).

61.      Nur am Rande sei bemerkt, dass auch im vorliegenden Fall die Inuit Tapiriit Kanatami und ihre Mitstreiter durch die vom Gericht gehandhabte Auslegung des Ausdrucks „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ in der dritten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV nicht rechtsschutzlos gestellt sind. Vielmehr besteht für sie die Möglichkeit, die vermeintliche Rechtswidrigkeit der Verordnung Nr. 1007/2009 inzident zu rügen, und zwar im Rahmen etwaiger Rechtsstreitigkeiten gegen Durchführungsmaßnahmen zu jener Verordnung. Eben dies haben die meisten von ihnen vor dem Gericht der Europäischen Union anlässlich einer noch anhängigen Klage gegen die Durchführungsverordnung Nr. 737/2010 der Kommission auch getan(39).

62.      Alles in allem ist somit der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes unbegründet.

2.      Die Frage der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit der Rechtsmittelführer (zweiter Teil des ersten Rechtsmittelgrundes)

63.      Da nach der von mir vorgeschlagenen Lösung der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes keine Aussicht auf Erfolg hat, ist nun der zweite, hilfsweise geltend gemachte Teil dieses Rechtsmittelgrundes zu erörtern. Mit ihm rügen die Rechtsmittelführer, das Gericht habe die Zulässigkeitsvoraussetzung der „unmittelbaren und individuellen Betroffenheit“ fehlerhaft ausgelegt und angewandt.

64.      Das Kriterium der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit (zweite Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV) zielt darauf ab, natürlichen und juristischen Personen effektiven Rechtsschutz gegen die nicht an sie adressierten Unionsrechtsakte zu verschaffen, ohne aber zugleich den Anwendungsbereich der Nichtigkeitsklage zu einer Art Popularklage (actio popularis) auszuweiten.

65.      Dem besagten Kriterium hat sich das Gericht in den Randnrn. 68 bis 93 des angefochtenen Beschlusses zugewandt, nachdem es zu dem Schluss gelangt war, dass die Inuit Tapiriit Kanatami und ihre Mitstreiter die Verordnung Nr. 1007/2009, einen Gesetzgebungsakt im Sinne von Art. 289 Abs. 3 AEUV, nicht unter den für Rechtsakte mit Verordnungscharakter geltenden erleichterten Voraussetzungen (dritte Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV) anfechten konnten.

a)      Zur unmittelbaren Betroffenheit der Rechtsmittelführer

66.      Zunächst wenden sich die Rechtsmittelführer gegen die Auffassung des Gerichts, nur vier von ihnen seien von der streitigen Verordnung unmittelbar betroffen, namentlich Ta Ma Su Seal Products, NuTan Furs, GC Rieber Skinn und die Canadian Seal Marketing Group(40); bei ihnen handelt es sich nach den Tatsachenfeststellungen des Gerichts um drei Unternehmen sowie um eine Unternehmensvereinigung, die in der Vermarktung von Robbenerzeugnissen u. a. auf dem Europäischen Binnenmarkt tätig sind.

67.      Die Rechtsmittelführer beanstanden, das Gericht habe auf diese Weise das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit zu eng ausgelegt. Ihrer Meinung nach müssen als von der streitigen Verordnung unmittelbar betroffen auch diejenigen unter ihnen angesehen werden, die nur im Vorfeld der Vermarktung von Robbenerzeugnissen auf dem Europäischen Binnenmarkt tätig sind, namentlich Jäger und Fallensteller sowie ihre Interessenvereinigungen, aber auch die Rechtsmittelführerin Karliin Aariak, die sich im Design und Verkauf von Kleidungsstücken aus Robbenfellen betätigt.

–       Vorbemerkungen

68.      Eingangs ist festzuhalten, dass das in Art. 263 Abs. 4 AEUV enthaltene Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit nicht enger ausgelegt werden darf als das wortgleiche Kriterium in den Vorgängerregelungen Art. 173 Abs. 4 E(W)G-Vertrag und Art. 230 Abs. 4 EG(41). Darauf haben zu Recht die Rechtsmittelführer hingewiesen. Auch die am Verfahren beteiligten Organe haben dies nicht angezweifelt.

69.      Der Begriff der unmittelbaren Betroffenheit ist in der zweiten und in der dritten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV derselbe. Dementsprechend gelten die folgenden Ausführungen auch für den Fall, dass der Gerichtshof die streitige Verordnung entgegen meinem Vorschlag als Rechtsakt mit Verordnungscharakter einstufen sollte(42).

70.      Zur Definition der rechtlichen Anforderungen an die unmittelbare Betroffenheit im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV hat sich das Gericht auf eine in der jüngeren Rechtsprechung der Unionsgerichte häufig gebrauchte Formel gestützt(43). Danach ist die Voraussetzung, dass eine natürliche oder juristische Person von einem Unionsrechtsakt unmittelbar betroffen sein muss, nur dann erfüllt, wenn sich die beanstandete Handlung auf die Rechtsstellung dieser Person unmittelbar auswirkt und ihren Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihre Durchführung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Unionsregelung ergibt, ohne dass weitere Durchführungsvorschriften angewandt werden(44).

71.      Ich habe gewisse Zweifel, ob diese Formel wirklich geeignet ist, das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV abschließend zu beschreiben. Denn zum einen werden in der Rechtsprechung – völlig zu Recht – immer wieder Nichtigkeitsklagen Einzelner gegen Unionsrechtsakte zugelassen, deren Auswirkungen auf die jeweiligen Kläger nicht rechtlicher, sondern lediglich tatsächlicher Natur sind, etwa, weil sie in ihrer Eigenschaft als Marktteilnehmer im Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern unmittelbar betroffen sind(45). Zum anderen sind aus der Rechtsprechung Fälle bekannt, in denen die unmittelbare Betroffenheit einer Person selbst bei Bestehen eines gewissen Ermessensspielraums der für die Durchführung eines Unionsrechtsakts zuständigen Stellen anerkannt wurde, sofern mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorherzusehen war, dass dieses Ermessen in bestimmter Weise ausgeübt werden würde(46).

72.      Für den vorliegenden Fall machen diese Nuancen in der Formulierung des Kriteriums der unmittelbaren Betroffenheit allerdings keinen Unterschied. Selbst wenn man nämlich davon ausgeht, dass im Rahmen der zweiten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV nicht nur die Auswirkungen eines Unionsrechtsakts auf die Rechtsstellung einer Person, sondern auch seine Auswirkungen tatsächlicher Art auf diese Person zu berücksichtigen sind, so müssen solche Auswirkungen doch mehr als nur mittelbarer Natur sein. Dies ist in jedem Einzelfall mit Blick auf den Regelungsgehalt des jeweils in Frage stehenden Unionsrechtsakts konkret zu bestimmen.

–       Zur Lage der auf vorgelagerten Handelsstufen tätigen Personen

73.      Im vorliegenden Fall enthält die Verordnung Nr. 1007/2009 ausweislich ihres Art. 1 „Vorschriften für das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen“ in der Europäischen Union. Hingegen regelt diese Verordnung in keiner Weise die Jagd auf Robben, die Herstellung von Produkten aus Robbenmaterial oder die damit im Zusammenhang stehende Forschung(47).

74.      Zu Recht ist das Gericht deshalb im Ergebnis davon ausgegangen, dass alle Verfahrensbeteiligten, die auf einer solchen, der konkreten Vermarktung von Robbenerzeugnissen in der Europäischen Union vorgelagerten Handelsstufe tätig werden, von der streitigen Verordnung nicht unmittelbar betroffen sind. Dies gilt zum einen für die Jäger und Fallensteller und ihre Interessenvereinigungen, zum anderen für alle Personen und Vereinigungen, die im weitesten Sinne mit der Verarbeitung der bei der Robbenjagd gewonnenen Materialien zu tun haben.

75.      Da sie alle nicht selbst Robbenerzeugnisse in der Europäischen Union in Verkehr bringen, wirkt sich die streitige Verordnung auf sie nur mittelbar, nicht unmittelbar aus. Es mag sein, dass auch für diesen Personenkreis die wirtschaftlichen Auswirkungen des mit der streitigen Verordnung geschaffenen Regelwerks durchaus spürbar sind. Wie jedoch die am Verfahren beteiligten Unionsorgane zutreffend hervorgehoben haben, würde das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit seiner Funktion und seiner Konturen beraubt und der Kreis der potenziellen Kläger bis ins Uferlose ausgedehnt, wenn man auch die auf vorgelagerten Handelsstufen tätigen Personen als unmittelbar betroffen ansehen wollte.

–       Zur Lage von Frau Karliin Aariak

76.      Weniger eindeutig ist die Lage der Rechtsmittelführerin Karliin Aariak, die nach den Feststellungen des Gerichts selbst der Inuit-Gemeinschaft angehört und sich mit dem Design und Verkauf von Bekleidungsartikeln aus Robbenfellen beschäftigt. Ihr hat das Gericht die unmittelbare Betroffenheit abgesprochen, weil sie „in keiner Weise behauptet, im Inverkehrbringen von anderen Waren als denen, die unter die in Rede stehende [Inuit-]Ausnahme fallen, tätig zu sein“(48).

77.      Dazu ist zunächst anzumerken, dass aus den Tatsachenfeststellungen des Gerichts nicht klar wird, ob Frau Aariak die von ihr entworfenen und vertriebenen Bekleidungsartikel aus Robbenfellen selbst auf dem Europäischen Binnenmarkt in Verkehr bringt oder ob sie diese Erzeugnisse lediglich an Zwischenhändler verkauft, von denen sie dann im eigenen Namen und für eigene Rechnung in der Europäischen Union vermarktet werden. Im letzteren Fall wäre Frau Aariak, ähnlich den bereits zuvor genannten Jägern und Fallenstellern, lediglich auf einer vorgelagerten Handelsstufe tätig und könnte somit nicht als von der Verordnung Nr. 1007/2009 unmittelbar betroffen angesehen werden.

78.      Da das Gericht diesbezüglich nicht alle erforderlichen Feststellungen getroffen hat, ist sein Beschluss in diesem Punkt mit einem Rechtsfehler behaftet.

79.      Unterstellt man aber, wie es dem Gericht vorzuschweben scheint, dass Frau Aariak tatsächlich selbst Robbenerzeugnisse auf dem Europäischen Binnenmarkt in Verkehr bringt(49), so kann ihre unmittelbare Betroffenheit durch die streitige Verordnung schwerlich verneint werden. Die Geschäftstätigkeit von Frau Aariak unterliegt dann nämlich unmittelbar den mit der Verordnung Nr. 1007/2009 geschaffenen Vorschriften für das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen.

80.      Der Umstand, dass die für Frau Aariak in Betracht kommende Anwendung der Inuit-Ausnahme der Präzisierung im Wege von Durchführungsvorschriften der Kommission bedarf (vgl. Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 1007/2009), schließt die unmittelbare Betroffenheit dieser Rechtsmittelführerin entgegen der Auffassung des Gerichts(50)nicht aus.

81.      Denn entweder hält man mit dem Gericht die Durchführungsvorschriften der Kommission für so wesentlich, dass bis zu ihrem Erlass die vom Unionsgesetzgeber vorgesehene Inuit-Ausnahme überhaupt nicht genutzt werden kann. In diesem Fall gilt während des Übergangszeitraums bis zum Erlass der besagten Durchführungsvorschriften für alle Robbenerzeugnisse gleichermaßen das allgemeine Verbot des Inverkehrbringens auf dem Europäischen Binnenmarkt, wie es in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1007/2009 normiert ist. Davon wären dann alle in der Vermarktung von Robbenerzeugnissen tätigen Personen unmittelbar betroffen, auch Frau Aariak.

82.      Oder man hält, anders als das Gericht, die Durchführungsvorschriften der Kommission für so unwesentlich, dass auch vor ihrem Erlass schon die vom Unionsgesetzgeber vorgesehene Inuit-Ausnahme genutzt werden kann. In diesem Fall ist und bleibt das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen aus einer traditionsgemäßen Jagd der Inuit oder anderer indigener Gemeinschaften im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1007/2009 auf dem Europäischen Binnenmarkt von vornherein erlaubt. Auch bei einem solchen Verständnis beträfe die Regelung alle in der Vermarktung von Robbenerzeugnissen auf dem Europäischen Binnenmarkt tätigen Personen unmittelbar, einschließlich Frau Aariak.

83.      Im einen wie im anderen Fall sind die in der Vermarktung von Robbenerzeugnissen auf dem Europäischen Binnenmarkt tätigen Personen von der unionsrechtlichen Regelung für das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen unmittelbar betroffen(51). Eine Grauzone wie die, in der das Gericht Frau Aariak zu verorten scheint, kann nicht entstehen.

84.      Alles in allem sind folglich die Feststellungen des Gerichts zur Frage der unmittelbaren Betroffenheit der Rechtsmittelführerin Karliin Aariak rechtsfehlerhaft. Für sich allein kann jedoch diese rechtsfehlerhafte Anwendung des Kriteriums der unmittelbaren Betroffenheit durch das Gericht noch nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führen. Vielmehr bleibt als weitere unverzichtbare Prozessvoraussetzung die individuelle Betroffenheit der Rechtsmittelführer zu erörtern(52).

b)      Zur individuellen Betroffenheit der Rechtsmittelführer

85.      Völlig unabhängig von der Frage, ob einige der Rechtsmittelführer von der streitigen Verordnung unmittelbar betroffen sind, und auf wie viele von ihnen dies gegebenenfalls zutrifft, müssten sie von dieser Verordnung überdies individuell betroffen sein, um gestützt auf die zweite Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV eine zulässige Nichtigkeitsklage erheben zu können.

86.      Gemäß ständiger Rechtsprechung, die auf das Urteil Plaumann zurückgeht, ist eine natürliche oder juristische Person als von einer Handlung der Unionsorgane individuell betroffen anzusehen, wenn diese Handlung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder wegen besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten(53).

87.      Die Verordnung Nr. 1007/2009 entfaltet keine derartigen Wirkungen gegenüber den Inuit Tapiriit Kanatami und ihren Mitstreitern. Wie das Gericht zutreffend hervorgehoben hat(54), ist das in der streitigen Verordnung normierte Verbot des Inverkehrbringens von Robbenerzeugnissen allgemein formuliert und kann unterschiedslos für jeden Wirtschaftsteilnehmer gelten, der unter diese Verordnung fällt. Die streitige Verordnung gilt für objektiv festgelegte Situationen und entfaltet Rechtswirkungen gegenüber Personengruppen, die allgemein und abstrakt bestimmt sind. Keiner der Rechtsmittelführer wird durch diese Verordnung ähnlich dem Adressaten eines Beschlusses individualisiert. Vielmehr sind die Rechtsmittelführer von der streitigen Verordnung wie jeder andere Wirtschaftsteilnehmer betroffen, der Robbenerzeugnisse herstellt oder in den Verkehr bringt(55).

88.      Die Rechtsmittelführer bestreiten dies nicht, sind aber gleichwohl der Auffassung, sie müssten als individuell betroffen angesehen werden. Sie meinen, mit dem Vertrag von Lissabon sei für den Gerichtshof die Zeit gekommen, die Plaumann-Rechtsprechung zur individuellen Betroffenheit aufzugeben.

89.      Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Entgegen der Auffassung der Rechtsmittelführer erfordert das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gerade keine Neubewertung der Rechtsprechung der Unionsgerichte zur individuellen Betroffenheit. Vielmehr spricht der Umstand, dass die Zulässigkeitsvoraussetzung der (unmittelbaren und) individuellen Betroffenheit unverändert aus der zweiten Variante von Art. 230 Abs. 4 EG in die zweite Variante des jetzigen Art. 263 Abs. 4 AEUV übernommen wurde, für eine Beibehaltung der Plaumann-Rechtsprechung.

90.      Der Vertragsgesetzgeber hat sich nämlich nach intensiver Erörterung der gesamten Problematik im Europäischen Konvent dafür entschieden, zur Stärkung des Rechtsschutzes Einzelner gegen Unionsrechtsakte mit allgemeiner Geltung nicht das Kriterium der individuellen Betroffenheit zu reformieren, sondern statt dessen in Art. 263 Abs. 4 AEUV eine gänzlich neue, dritte Klagemöglichkeit einzuführen: die bereits oben(56) diskutierte Klagemöglichkeit natürlicher und juristischer Personen gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen(57).

91.      Folglich greift auch der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes nicht durch.

3.      Zwischenergebnis

92.      Insgesamt ist also der erste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

B –    Zweiter Rechtsmittelgrund

93.      Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund bringen die Rechtsmittelführer vor, das Gericht habe zum einen seinen Beschluss mangelhaft begründet und zum anderen die Erfordernisse eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verkannt.

1.      Zu den Anforderungen an die Begründung des erstinstanzlichen Beschlusses (erster Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes)

94.      Im ersten Teil dieses zweiten Rechtsmittelgrundes beanstanden die Rechtsmittelführer die ihrer Meinung nach unzureichende Begründung des angefochtenen Beschlusses. Der gerügte Begründungsmangel soll darin liegen, dass das Gericht sich nicht ausführlich genug mit den in erster Instanz vorgebrachten Argumenten der Inuit Tapiriit Kanatami und ihrer Mitstreiter zu Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(58) sowie zu den Art. 6 und 13 EMRK(59) auseinandergesetzt habe, wobei die Rechtsmittelführer besonders hervorheben, dass das Gericht die Art. 6 und 13 EMRK nicht einmal erwähnt habe.

95.      Zutreffend ist, dass es einen Begründungsmangel darstellen kann, wenn das Gericht in seiner erstinstanzlichen Entscheidung auf das Vorbringen einer Partei nicht hinreichend eingeht(60).

96.      Nach ständiger Rechtsprechung erfordert jedoch die Begründungspflicht nicht, dass das Gericht bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend behandelt; daher kann die Begründung implizit erfolgen, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die Gründe zu erkennen, aus denen das Gericht ihrer Argumentation nicht gefolgt ist, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben liefert, damit er seine Kontrolle ausüben kann(61).

97.      Diesen Anforderungen hat das Gericht im vorliegenden Fall genügt.

98.      Das in Rede stehende Vorbringen der Inuit Tapiriit Kanatami und ihrer Mitstreiter zum Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf fand sich nach deren eigenen Angaben in den Randnrn. 53 bis 57 ihrer in erster Instanz eingereichten schriftlichen Antwort auf die Unzulässigkeitseinreden des Parlaments und des Rates. Unstreitig ist das Gericht darauf in Randnr. 51 des angefochtenen Beschlusses eingegangen. Es hat ausgeführt, die Unionsgerichte könnten die Klageberechtigung Einzelner gegen Verordnungen – auch im Lichte des Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes – nicht so auslegen, dass es zu einer Abweichung von den im Vertrag ausdrücklich vorgesehen Voraussetzungen kommt.

99.      Man mag diese Antwort für knapp halten. Die Ausführlichkeit, mit der sich das Gericht in der Begründung seiner verfahrensabschließenden Entscheidung mit der Argumentation einer Partei auseinanderzusetzen hat, hängt allerdings nicht zuletzt davon ab, wie substantiiert dieses Vorbringen ist und welches Gewicht ihm im Vergleich zum sonstigen Vorbringen dieser Partei zukommt. Angesichts der Kürze und Oberflächlichkeit der erstinstanzlichen klägerischen Ausführungen zum Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf(62) kann es dem Gericht schwerlich zum Vorwurf gemacht werden, dass es diese Problematik im angefochtenen Beschluss keiner eingehenderen Würdigung unterzogen hat.

100. Dies gilt umso mehr, als sich das Gericht hierbei auf eine feststehende Rechtsprechung der Unionsgerichte(63) stützen konnte. Die Ausführungen des Gerichts in Randnr. 51 des angefochtenen Beschlusses, verbunden mit dem Zitat der einschlägigen Rechtsprechung(64), geben in hinreichender Weise die Gründe zu erkennen, aus denen das Gericht dem Vorbringen der Inuit Tapiriit Kanatami und ihrer Mitstreiter zu den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes nicht gefolgt ist.

101. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass das Gericht in Randnr. 51 des angefochtenen Beschlusses nur Art. 47 der Charta der Grundrechte, nicht aber die Art. 6 und 13 EMRK zitiert hat. Denn das Gericht hat sich in der fraglichen Randnummer allgemein mit dem klägerischen Vorbringen zum Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf auseinandergesetzt und in diesem Zusammenhang Art. 47 der Charta nur beispielhaft erwähnt („insbesondere“)(65).

102. Darüber hinaus rügen die Rechtsmittelführerinnen, es sei widersprüchlich, wenn das Gericht in Randnr. 51 des angefochtenen Beschlusses in Bezug auf die Grenzen der direkten Klagemöglichkeiten Einzelner von einer „im Vertrag ausdrücklich vorgesehenen“ Zulässigkeitsvoraussetzung spreche, obwohl es diese zuvor erst mühsam im Wege der Auslegung habe herleiten müssen.

103. Auch dieses Argument überzeugt jedoch nicht. Selbstverständlich bedarf der Ausdruck „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ der Auslegung. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass es sich dabei um eine in Art. 263 Abs. 4 AEUV ausdrücklich vorgesehene Zulässigkeitsvoraussetzung für Nichtigkeitsklagen von natürlichen und juristischen Personen handelt.

104. Insgesamt hat also das Gericht seine Überlegungen zur Problematik des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes widerspruchsfrei und mit hinreichender Klarheit dargelegt. Die Rechtsmittelführer mögen inhaltlich anderer Meinung sein als das Gericht. Dieser Umstand allein kann jedoch keinen Begründungsmangel des angefochtenen Beschlusses darstellen(66), sondern allenfalls einen inhaltlichen Mangel, was nun im Rahmen des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes zu prüfen sein wird.

2.      Zur gerügten Verletzung des Grundrechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf (zweiter Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes)

105. Da der erste Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes keine Aussicht auf Erfolg hat, ist im Folgenden der zweite, hilfsweise geltend gemachte Teil dieses Rechtsmittelgrundes zu erörtern: Nach Ansicht der Rechtsmittelführer verletzt die Auslegung von Art. 263 Abs. 4 AEUV, auf deren Grundlage das Gericht die erstinstanzliche Klage für unzulässig erklärt hat, die Erfordernisse eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, wie sie sich aus Art. 47 der Charta der Grundrechte sowie aus den Art. 6 und 13 EMRK „als allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts“ ergeben.

106. Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf ist auf Unionsebene als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt(67) und genießt inzwischen gemäß Art. 47 der Charta der Grundrechte den Rang eines Unionsgrundrechts.

107. Zweifelsohne ist dieses Grundrecht – gleichviel, ob es auf die Charta oder auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts gestützt wird – bei der Auslegung und Anwendung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für Nichtigkeitsklagen von natürlichen und juristischen Personen gebührend zu berücksichtigen(68), und zwar in allen drei Varianten von Art. 263 Abs. 4 AEUV.

108. Der Gerichtshof hat jedoch bereits klargestellt, dass das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf eine Ausweitung der direkten Klagemöglichkeiten natürlicher und juristischer Personen gegen Unionsrechtsakte mit allgemeiner Geltung nicht erfordert. Entgegen der Auffassung der Rechtsmittelführer kann nämlich aus diesem Grundrecht nicht kurzerhand abgeleitet werden, dass natürlichen und juristischen Personen vor den Unionsgerichten notwendigerweise eine direkte Klagemöglichkeit gegen Gesetzgebungsakte der Europäischen Union offenstehen muss(69).

109. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 hat sich an den grundrechtlichen Vorgaben hierzu nichts Wesentliches geändert. Zwar hat dieser Vertrag die Charta der Grundrechte nunmehr in den Rang von verbindlichem Unionsprimärrecht erhoben und angeordnet, dass die Charta und die Verträge rechtlich gleichrangig sind (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV). Der Inhalt des auf Unionsebene anerkannten Grundrechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf hat dadurch jedoch keine Änderungen erfahren. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus den Erläuterungen(70), welche als Anleitung für die Auslegung der Charta verfasst wurden und von den Unionsgerichten wie auch von den Gerichten der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen sind (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV in Verbindung mit Art. 52 Abs. 7 der Charta).

110. Nichts anderes folgt aus der Homogenitätsklausel, die in Art. 52 Abs. 3 Satz 1 der Charta verankert ist und gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV bei der Auslegung und Anwendung des Grundrechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf beachtet werden muss. Gemäß dieser Klausel haben Grundrechte der Charta, die denen der EMRK entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird. Deshalb sind im Zusammenhang mit dem Unionsgrundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf die Art. 6 und 13 EMRK zu beachten, an denen sich Art. 47 der Charta der Grundrechte orientiert(71). Anders als die Rechtsmittelführer meinen, verlangen aber diese beiden EMRK-Grundrechte beim derzeitigen Stand ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht, dass Einzelnen zwingend eine direkte Klagemöglichkeit gegen Gesetzgebungsakte einzuräumen ist(72).

111. Sicherlich bleibt es nach Art. 52 Abs. 3 Satz 2 der Charta möglich, im Unionsrecht über den Standard der EMRK hinauszugehen. Allerdings ist dabei der Wille des Vertragsgesetzgebers gebührend zu berücksichtigen, der, wie oben dargelegt(73), einer Ausweitung der direkten Klagemöglichkeiten natürlicher und juristischer Personen gegen Gesetzgebungsakte nach eingehender Erörterung im Rahmen des Europäischen Konvents letztlich eine Absage erteilt hat.

112. Der Vertragsgesetzgeber hat zudem klargestellt, dass die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union durch die Bestimmungen der Charta in keiner Weise erweitert werden (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV). Vor diesem Hintergrund können Grundrechte der Charta, namentlich das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf in Art. 47 der Charta, nicht als Stütze für eine Einbeziehung von Gesetzgebungsakten in die Kategorie der Rechtsakte mit Verordnungscharakter (dritte Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV) oder für eine Lockerung der Anforderungen an die unmittelbare und individuelle Betroffenheit Einzelner durch Gesetzgebungsakte (zweite Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV) herangezogen werden. Denn eine solche Auslegung würde auf eine mit Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV nicht vereinbare Erweiterung der Zuständigkeiten der Union hinauslaufen, genauer gesagt auf eine Erweiterung der Rechtsprechungskompetenzen des Unionsorgans Gerichtshof der Europäischen Union (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 EUV).

113. Zum selben Ergebnis führt ein Blick auf Art. 51 Abs. 2 der Charta, der gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV bei der Auslegung und Anwendung der in der Charta niedergelegten Rechte, Freiheiten und Grundsätze zu beachten ist. Danach begründet die Charta weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben. Welch grundlegende Bedeutung die Mitgliedstaaten dieser Bestimmung beimessen, haben sie nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie deren Wortlaut in einer gemeinsamen Erklärung zu den Verträgen ausdrücklich wiederholten(74).

114. Nach alledem könnte eine Erstreckung der in der dritten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV vorgesehenen Klageberechtigung von natürlichen und juristischen Personen auf Gesetzgebungsakte nicht von den Unionsgerichten im Wege der Auslegung vorgenommen werden, sondern bedürfte der Durchführung eines Vertragsänderungsverfahrens(75). Gleiches würde gelten, wenn man eine grundlegende Veränderung der im Rahmen der zweiten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV gestellten Anforderungen an die unmittelbare und individuelle Betroffenheit Einzelner im Zusammenhang mit Gesetzgebungsakten herbeiführen wollte.

115. Entgegen der Auffassung der Rechtsmittelführer ist gleichwohl keine Lücke in den Rechtsschutzmöglichkeiten Einzelner gegen Gesetzgebungsakte der Europäischen Union zu befürchten. Denn das Rechtsschutzsystem der Verträge hat ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen, das Einzelnen gegen Gesetzgebungsakte auch abseits von direkten Klagemöglichkeiten effektiven Rechtsschutz im Wege einer Inzidentrüge der Rechtswidrigkeit bietet(76).

116. Wie zudem Art. 19 Abs. 1 EUV zeigt, beruht das Rechtsschutzsystem der Verträge auf zwei Säulen, von denen sich die eine auf die Unionsgerichte und die andere auf die nationalen Gerichte stützt(77).

117. Soweit der betreffende Unionsrechtsakt der Umsetzung durch Stellen der Union bedarf, kann seine Rechtmäßigkeit von den Unionsgerichten nach Art. 277 AEUV inzident kontrolliert werden, anlässlich einer Nichtigkeitsklage gegen den jeweiligen Umsetzungsakt. Bedarf hingegen der betreffende Unionsrechtsakt – wie so häufig – der Umsetzung durch nationale Stellen, so kann seine Rechtmäßigkeit dem Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 19 Abs. 3 Buchst. b EUV in Verbindung Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV zur Prüfung vorgelegt werden(78), gegebenenfalls muss sogar eine solche Vorlage zur Vorabentscheidung erfolgen(79).

118. Bisweilen wird freilich eingewandt, eine lediglich inzident durchgeführte Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Gesetzgebungsakts sei kein angemessener Ersatz für die fehlende direkte Klagemöglichkeit des betroffenen Einzelnen gegen diesen Akt. Insbesondere dürfe der Einzelne nicht in eine Lage geraten, in der er sich gezwungen sieht, gegen ein unmittelbar wirkendes unionsrechtliches Gebot oder Verbot zu verstoßen, nur um einen Vollzugsakt der zuständigen Behörde zu provozieren, gegen den er sich dann vor Gericht zur Wehr setzen kann(80).

119. In der Tat wäre es mit Blick auf das Unionsgrundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf unzureichend, wenn eine natürliche oder juristische Person sich zunächst rechtswidrig verhalten und sich dabei womöglich gar einer drohenden Sanktion aussetzen müsste, nur um den Weg der gerichtlichen Überprüfung des fraglichen Unionsrechtsakts vor den zuständigen Gerichten beschreiten zu können(81). Eine solche Situation ist aber im System der Europäischen Verträge im Zusammenhang mit Gesetzgebungsakten der Union nicht zu befürchten.

120. Im Normalfall – so etwa beim vorliegenden Verbot des Inverkehrbringens von Robbenerzeugnissen – wird es in die Zuständigkeit nationaler Stellen fallen, die Einhaltung eines unmittelbar wirkenden Gebots oder Verbots aus einem Gesetzgebungsakt der Union zu überwachen. Dann steht es dem Einzelnen frei, sich an die zuständige Stelle zu wenden – im vorliegenden Fall etwa an die zuständige nationale Einfuhr- oder Zollverwaltung – und sie um eine Bestätigung zu ersuchen, dass das fragliche Gebot oder Verbot auf ihn keine Anwendung findet(82). Ein ablehnender Bescheid dieser nationalen Stelle muss aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes einer Überprüfung durch die innerstaatlichen Gerichte zugänglich sein, die ihrerseits die Frage der Gültigkeit des zugrunde liegenden Unionsrechtsakts dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen können, gegebenenfalls sogar müssen(83).

121. Ganz allgemein obliegt es den Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist(84). Diese Pflicht ist seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ausdrücklich in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV normiert. Sie hat nicht zuletzt zur Folge, dass Zulässigkeitsvoraussetzungen für Klagen vor innerstaatlichen Gerichten, auch für mögliche vorbeugende Feststellungs- oder Unterlassungsklagen, nicht übermäßig restriktiv gehandhabt werden dürfen(85).

122. Sollte die Überwachung der Einhaltung eines unmittelbar wirkenden unionsrechtlichen Ge- oder Verbots ausnahmsweise in den Zuständigkeitsbereich eines Organs, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union fallen, so steht es dem Einzelnen frei, sich an diese Stelle zu wenden und sie um eine Bestätigung zu ersuchen, dass das fragliche Gebot oder Verbot auf ihn keine Anwendung findet. Nach dem Grundsatz der guten Verwaltung wäre die betreffende Stelle verpflichtet, diesen Antrag zu verbescheiden(86). Ein ablehnender Bescheid dieser Stelle müsste aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes als Beschluss im Sinne von Art. 288 Abs. 4 AEUV angesehen werden, den sein Adressat gemäß der ersten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV mit der Nichtigkeitsklage angreifen könnte, wobei es im freistünde, im Rahmen einer solchen Klage unter Berufung auf Art. 277 AEUV inzident die Rechtswidrigkeit des zugrunde liegenden Gesetzgebungsakts der Union zu rügen.

123. In eiligen Fällen besteht sowohl vor den Unionsgerichten (Art. 278 AEUV und 279 AEUV) als auch vor den innerstaatlichen Gerichten(87) die Möglichkeit der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Darauf hat zu Recht der Rat in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof hingewiesen.

124. Alles in allem ist folglich das Vorbringen der Rechtsmittelführer zu den Erfordernissen eines wirksamen Rechtsschutzes zurückzuweisen.

3.      Zwischenergebnis

125. Damit ist der zweite Rechtsmittelgrund insgesamt unbegründet.

C –    Dritter Rechtsmittelgrund

126. Im dritten Rechtsmittelgrund wird eine Verfälschung von Beweismitteln gerügt. Die Rechtsmittelführer werfen dem Gericht vor, ihr erstinstanzliches Vorbringen „unrichtig dargestellt und verfälscht“ zu haben.

127. Zum einen sind die Rechtsmittelführer der Ansicht, das Gericht habe ihnen in Randnr. 47 des angefochtenen Beschlusses zu Unrecht die Aussage in den Mund gelegt, wonach die Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten mit Verordnungscharakter bedeute, dass der Begriff „Handlungen“ in den ersten beiden Alternativen von Art. 263 Abs. 4 AEUV als „Gesetzgebungsakte“ gelesen werden müsse(88). Auf diese Weise habe das Gericht die klägerischen Argumente mit denen von Parlament und Rat verwechselt.

128. Zum anderen beanstanden die Rechtsmittelführer, das Gericht habe ihnen in Randnr. 48 des angefochtenen Beschlusses die Aussage unterstellt, dass die Mitgliedstaaten den Geltungsbereich der letzten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV allein auf delegierte Rechtsakte im Sinne von Art. 290 AEUV beschränken wollten.

1.      Zulässigkeit

129. Die am Verfahren beteiligten Unionsorgane bestreiten schon die Zulässigkeit dieses Rechtsmittelgrundes kurzerhand mit dem Hinweis, es gehe hier nicht um Beweise, die hätten verfälscht werden können, sondern allenfalls um rechtliche Argumente.

130. Dieser Einwand geht fehl. In die Zuständigkeit des Gerichtshofs als Rechtsmittelinstanz fällt es nicht nur, die erstinstanzliche Entscheidung darauf zu überprüfen, ob das Gericht Tatsachen oder Beweismittel verfälscht hat, sondern auch darauf, ob es das Vorbringen der Parteien verfälscht hat(89).

131. Die Rechtsmittelführer haben im Übrigen hinreichend präzise bezeichnet, in welchem Teil des angefochtenen Beschlusses sie die behauptete Verfälschung verorten und worin diese Verfälschung liegen soll.

132. Der dritte Rechtsmittelgrund ist somit zulässig.

2.      Begründetheit

133. Als Ausgangspunkt für die Prüfung der Begründetheit dieses Rechtsmittelgrundes kann die ständige Rechtsprechung zur Verfälschung von Beweismitteln dienen. Danach ist eine Verfälschung nur dann gegeben, wenn ohne die Erhebung neuer Beweise die Würdigung der vorliegenden Beweismittel offensichtlich unzutreffend ist(90).

134. Überträgt man dies auf das Parteivorbringen aus erster Instanz, so ist dessen Verfälschung nur dann anzunehmen, wenn es vom Gericht offensichtlich falsch verstanden oder sinnentstellt wiedergegeben wurde(91). Ob dies in den gerügten Randnrn. 47 und 48 des angefochtenen Beschlusses der Fall ist, werde ich im Folgenden prüfen.

a)      Zu Randnr. 47 des angefochtenen Beschlusses

135. Im Hintergrund von Randnr. 47 des angefochtenen Beschlusses steht die zwischen den Verfahrensbeteiligten diskutierte Streitfrage, ob es natürlichen und juristischen Personen nach irgendeiner Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV erlaubt sein kann, gegen Gesetzgebungsakte zu klagen. Das Parlament und der Rat haben im erstinstanzlichen Verfahren vertreten, dass solche Klagen zwar nicht nach der dritten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV, wohl aber nach der ersten und zweiten Variante dieser Vorschrift zulässig sein können(92). Daraufhin haben die Inuit Tapiriit Kanatami und ihre Mitstreiter diesen beiden Organen vorgeworfen, in der ersten und zweiten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV den Begriff „Handlungen“ als „Gesetzgebungsakte“ zu lesen(93).

136. Diese Darstellung der Argumente von Parlament und Rat durch die Inuit Tapiriit Kanatami und ihre Mitstreiter ist es, die das Gericht in Randnr. 47 des angefochtenen Beschlusses als „Vorbringen der Kläger“ bezeichnet. Das Gericht unterstellt also den Rechtsmittelführern in jener Passage seines Beschlusses nicht etwa, sie selbst würden den Begriff „Handlungen“ als „Gesetzgebungsakte“ lesen, sondern setzt sich lediglich damit auseinander, welche Konsequenzen die Argumente von Parlament und Rat in den Augen der Rechtsmittelführer angeblich haben sollen. Allein diese Interpretation der Argumente der Gegenseite durch die Inuit Tapiriit Kanatami und ihre Mitstreiter weist das Gericht in Randnr. 47 des angefochtenen Beschlusses zurück.

137. Vor diesem Hintergrund kann dem Gericht nicht vorgeworfen werden, es habe in Randnr. 47 des angefochtenen Beschlusses das Vorbringen der Rechtsmittelführer offensichtlich falsch verstanden oder sinnentstellt wiedergegeben. Im Gegenteil sind es die Rechtsmittelführer selbst, die von einer offensichtlich unrichtigen Lesart der streitigen Passage im angefochtenen Beschluss ausgehen.

b)      Zu Randnr. 48 des angefochtenen Beschlusses

138. Anders verhält es sich mit Randnr. 48 des angefochtenen Beschlusses, in der das Gericht ausführt, dass die Mitgliedstaaten den Geltungsbereich des letzten Satzteils von Art. 263 Abs. 4 AEUV „entgegen dem Vorbringen der Kläger“ nicht allein auf delegierte Rechtsakte im Sinne von Art. 290 AEUV beschränken wollten.

139. Das Gericht unterstellt also in jener Passage seines Beschlusses den Inuit Tapiriit Kanatami und ihren Mitstreitern, sie hätten im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht, dass die Mitgliedstaaten den Geltungsbereich des letzten Satzteils von Art. 263 Abs. 4 AEUV allein auf delegierte Rechtsakte im Sinne von Art. 290 AEUV beschränken wollten.

140. Mit dieser Formulierung hat das Gericht das klägerische Vorbringen aus erster Instanz offensichtlich sinnentstellt wiedergegeben. In Wahrheit haben nämlich die Inuit Tapiriit Kanatami und ihre Mitstreiter zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens behauptet, es sei Absicht der Mitgliedstaaten gewesen, allein delegierte Rechtsakte im Sinne von Art. 290 AEUV unter den letzten Satzteil von Art. 263 Abs. 4 AEUV zu fassen. Dies hätte im Übrigen auch diametral ihrem Anliegen im vorliegenden Rechtsstreit widersprochen.

141. Die Rechtsmittelführer haben vielmehr in beiden Rechtszügen durchgängig die Auffassung vertreten, dass der Vertrag von Lissabon statt des Ausdrucks „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ den Begriff „delegierter Rechtsakt“ im Sinne von Art. 290 AEUV hätte verwenden müssen, wenn er eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 263 Abs. 4 AEUV auf Rechtsakte ohne Gesetzescharakter bezweckt hätte(94).

142. Folglich hat das Gericht in Randnr. 48 des angefochtenen Beschlusses das Vorbringen der Inuit Tapiriit Kanatami und ihrer Mitstreiter verfälscht.

143. Eine solche Verfälschung muss freilich nicht zwingend zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung des Gerichts führen(95). Darauf hat das Parlament zu Recht hingewiesen.

144. Speziell im vorliegenden Fall erscheint eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nicht angebracht, da die punktuell unrichtige Darstellung des klägerischen Vorbringens keinerlei Auswirkungen auf die Entscheidung des Gerichts hatte. Vielmehr ist das Gericht, wie auch alle Verfahrensbeteiligten, davon ausgegangen, dass der Ausdruck „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ weiter gefasst ist als der Begriff „delegierter Rechtsakt“ im Sinne von Art. 290 AEUV.

145. Dies kommt nicht zuletzt in der streitigen Randnr. 48 des angefochtenen Beschlusses zum Ausdruck, in der das Gericht mit Blick auf den letzten Satzteil von Art. 263 Abs. 4 AEUV betont, „dass die Mitgliedstaaten den Geltungsbereich dieser Bestimmung nicht allein auf delegierte Rechtsakte im Sinne von Art. 290 AEUV beschränken wollten, sondern allgemeiner auf Rechtsakte mit Verordnungscharakter“.

146. Folglich ist die gegen Randnr. 48 des angefochtenen Beschlusses gerichtete Rüge der Rechtsmittelführer zwar inhaltlich zutreffend, aber im Ergebnis wirkungslos (Französisch: „inopérant“)(96).

3.      Zwischenergebnis

147. Alles in allem ist somit auch der dritte Rechtsmittelgrund unbegründet.

D –    Zusammenfassung

148. Da keiner der von den Rechtsmittelführern vorgebrachten Gründe zum Erfolg führt, ist das Rechtsmittel in seiner Gesamtheit zurückzuweisen.

V –    Kosten

149. Wird das Rechtsmittel, wie ich es im vorliegenden Fall vorschlage, zurückgewiesen, so entscheidet der Gerichtshof über die Kosten (Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung), wobei sich die Einzelheiten aus den Art. 137 bis 146 in Verbindung mit Art. 184 Abs. 1 dieser Verfahrensordnung ergeben(97).

150. Aus Art. 138 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 184 Abs. 1 der Verfahrensordnung folgt, dass die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen ist; unterliegen mehrere Parteien, so entscheidet der Gerichtshof über die Verteilung der Kosten. Da das Parlament und der Rat entsprechende Anträge gestellt haben und die Rechtsmittelführer mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die Kosten aufzuerlegen. Diese Kosten haben sie als Gesamtschuldner zu tragen, weil sie das Rechtsmittel gemeinsam eingelegt haben(98).

151. Abweichend davon ist über die Kosten der Kommission zu entscheiden. Dieses Organ, das dem erstinstanzlichen Verfahren als Streithelfer auf Seiten des Parlaments und des Rates beigetreten war, hat sich auch am Rechtsmittelverfahren schriftlich und mündlich beteiligt. Einer solchen Partei kann der Gerichtshof nach Art. 184 Abs. 4 Satz 2 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten auferlegen.

152. Ausweislich ihres Wortlauts („kann“) schließt letztere Vorschrift zwar keineswegs aus, dass der Gerichtshof in geeigneten Fällen auch einmal anders entscheidet und den unterlegenen Rechtsmittelführer mit den Kosten des gegnerischen Streithelfers aus erster Instanz belastet, wenn dieser – wie hier die Kommission – im Rechtsmittelverfahren mit seinen Anträgen obsiegt hat(99). Im vorliegenden Fall erscheint es mir aber angebracht, bei der in Art. 184 Abs. 4 Satz 2 der Verfahrensordnung aufgestellten Regel zu bleiben. Denn das vorliegende Rechtsmittelverfahren diente der Klärung einer Grundsatzfrage, die weit über den konkreten Einzelfall hinaus für die Kommission von erheblichem institutionellem Interesse ist. Insofern ist es durchaus gerecht, dass die Kommission ihre eigenen Kosten trägt.

153. Was schließlich das Königreich der Niederlande betrifft, das in erster Instanz ebenfalls als Streithelfer auf Seiten des Parlaments und des Rates aufgetreten war, so können ihm entgegen dem Begehren der Rechtsmittelführer keine Kosten auferlegt werden, weil es sich am Rechtsmittelverfahren nicht beteiligt hat (Art. 184 Abs. 4 Satz 1 der Verfahrensordnung).

VI – Ergebnis

154. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1)      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2)      Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.

3)      Im Übrigen fallen die Kosten des Verfahrens den Rechtsmittelführern gesamtschuldnerisch zur Last.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, Slg. 1963, 213).


3 – Urteil vom 25. Juli 2002, Unión de Pequeños Agricultores/Rat (C‑50/00 P, Slg. 2002, I‑6677).


4 – Urteil vom 1. April 2004, Kommission/Jégo-Quéré (C‑263/02 P, Slg. 2004, I‑3425).


5 – Mit den in Art. 263 Abs. 4 AEUV ebenfalls in Bezug genommenen Durchführungsmaßnahmen wird sich der Gerichtshof demnächst in der Rechtssache C‑274/12 P (Telefónica/Kommission) zu befassen haben.


6 – Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über den Handel mit Robbenerzeugnissen (ABl. L 286, S. 36).


7 – Die Inuit sind eine indigene Volksgruppe, die schwerpunktmäßig in den arktischen und subarktischen Regionen im Zentrum und Nordosten Kanadas, in Alaska, in Grönland und in Teilen Russlands leben. Der in der Umgangssprache bisweilen gebrauchte Begriff Eskimo(s) bezeichnet neben den Inuit noch andere arktische Volksgruppen.


8 – Beschluss des Gerichts vom 6. September 2011, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (T‑18/10, Slg. 2011, II-5599).


9 – Herr Efstathios Andreas Agathos war unter den erstinstanzlichen Klägern, hat sich aber dem vorliegenden Rechtsmittel nicht angeschlossen.


10 – Beim Gericht anhängige Rechtssache Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Kommission (T‑526/10).


11 – Verordnung (EU) Nr. 737/2010 der Kommission vom 10. August 2010 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über den Handel mit Robbenerzeugnissen (ABl. L 216, S. 1).


12 – Art. 289 Abs. 3 AEUV definiert Gesetzgebungsakte als „Rechtsakte, die in einem Gesetzgebungsverfahren angenommen wurden“.


13 – Zum Meinungsstand vgl., statt vieler, Dougan, M., „The Treaty of Lisbon 2007: Winning minds, not hearts“, Common Market Law Review 45 (2008), S. 617-703 (677 ff.); Lenaerts, K., „Le traité de Lisbonne et la protection juridictionnelle des particuliers en droit de l’Union“, Cahiers de droit européen 2009, S. 711-745 (725 ff.); Görlitz, N./Kubicki, P., „Rechtsakte ‚mit schwierigem Charakter‘“, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2011, S. 248-254 (250 f.); Herrmann, C., „Individualrechtsschutz gegen Rechtsakte der EU ‚mit Verordnungscharakter‘ nach dem Vertrag von Lissabon“, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2011, S. 1352-1357 (1354 ff.); Mazák, J., „Locus standi v konaní o neplatnosť: Od Plaumannovho testu k regulačným aktom“, Právník 150 (2011), S. 219-231 (223); Schwarze, J., „Rechtsschutz Privater gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter gemäß Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV“, in: Müller-Graff, P.-C./Schmahl, S./Skouris, V. (Hrsg.), Europäisches Recht zwischen Bewährung und Wandel – Festschrift für Dieter H. Scheuing, Baden-Baden 2011, S. 190-207 (199 ff.); Everling, U., „Klagerecht Privater gegen Rechtsakte der EU mit allgemeiner Geltung“, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2012, S. 376-380 (378 ff.); Wathelet, M./Wildemeersch, J., „Recours en annulation: une première interprétation restrictive du droit d’action élargi des particuliers?“, Journal de droit européen 2012, S. 75-79 (79).


14 – Randnr. 56 des angefochtenen Beschlusses; vgl. ergänzend Randnrn. 42, 43 und 45 jenes Beschlusses.


15 – Dies trifft insbesondere zu auf die deutsche („Verordnung“ und „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“), englische („regulation“ und „regulatory act“), französische („règlement“ und „acte réglementaire“), griechische („κανονισμός“ und „κανονιστική πράξη“), irische („rialachán“ und „gníomh rialúcháin“), italienische („regolamento“ und „atto regolamentare“), lettische („regula“ und „reglamentējošs akts“), litauische („reglamentas“ und „reglamentuojančio pobūdžio teisės aktas“), maltesische („regolament“ und „att regolatorju“), portugiesische („regulamento“ und „ato regulamentar“ bzw., nach alter Schreibweise, „acto regulamentar“), spanische („reglamento“ und „acto reglamentario“) und ungarische Sprachfassung („rendelet“ und „rendeleti jellegű jogi aktus“) von Art. 263 Abs. 4 AEUV.


16 – So verhält es sich beispielsweise mit den Ausdrücken, die in der bulgarischen („регламент“ und „подзаконов акт“), dänischen („forordning“ und „regelfastsættende retsakt“), estnischen („määrus“ und „üldkohaldatav akt“), finnischen („asetus“ und „sääntelytoimi“), niederländischen („verordening“ und „regelgevingshandeling“), polnischen („rozporządzenie“ und „akt regulacyjny“), rumänischen („regulament“ und „act normativ“), slowakischen („nariadenie“ und „regulačný akt“), slowenischen („uredba“ und „predpis“), schwedischen („förordning“ und „regleringsakt“) und tschechischen Sprachfassung („nařízení“ und „akt s obecnou působností“) von Art. 263 Abs. 4 AEUV jeweils für „Verordnung“ und „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ verwendet werden.


17 – Ständige Rechtsprechung; vgl. statt vieler das Urteil vom 6. Oktober 1982, CILFIT u. a. (283/81, Slg. 1982, 3415, Randnrn. 18 bis 20).


18 – Im selben Sinne greift der Gerichtshof im Urteil vom 27. November 2012, Pringle (C‑370/12, Randnr. 135), auf die Materialien zurück, auf denen der Vertrag von Maastricht beruht.


19 – So auch das Gericht im Urteil vom 25. Oktober 2011, Microban International u. a./Kommission (T‑262/10, Slg. 2011, II-7697, Randnr. 32).


20 – Inwieweit speziell das Unionsgrundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf eine extensive Auslegung des Ausdrucks „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ erforderlich macht, ist Gegenstand des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes und wird im dortigen Zusammenhang näher zu erörtern sein (vgl. unten, Nrn. 105 bis 124 dieser Schlussanträge).


21 – Randnr. 56, zweiter Satz, des angefochtenen Beschlusses.


22 – Unterzeichnet in Rom am 29. Oktober 2004 (ABl. 2004, C 310, S. 1).


23 – Vom Europäischen Konvent angenommen am 13. Juni 2003 und 10. Juli 2003, dem Präsidenten des Europäischen Rates überreicht in Rom am 18. Juli 2003.


24 – Sekretariat des Europäischen Konvents, Schlussbericht des Arbeitskreises über die Arbeitsweise des Gerichtshofs vom 25. März 2003 (Dokument CONV 636/03, Randnr. 22) und Übermittlungsvermerk des Präsidiums vom 12. Mai 2003 (Dokument CONV 734/03, S. 20).


25 – Unterschiede scheinen lediglich in fünf Sprachfassungen zu bestehen, die in Art. 263 Abs. 4 AEUV für den Ausdruck „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ („üldkohaldatav akt“ in der estnischen, „reglamentuojančio pobūdžio teisės aktas“ in der litauischen, „regulačný akt“ in der slowakischen, „predpis“ in der slowenischen und „akt s obecnou působností“ in der tschechischen Sprachfassung) eine andere Formulierung verwenden als noch in Art. III-365 Abs. 4 des Verfassungsvertrags („õiguse üldakt“ in der estnischen, „teisės aktas“ in der litauischen, „podzákonný právny akt“ in der slowakischen, „izvršilni akt“ in der slowenischen und „podzákonný právní akt“ in der tschechischen Sprachfassung).


26 – Dies trifft namentlich zu auf die bulgarische („подзаконов акт“), deutsche („Rechtsakt mit Verordnungscharakter“), englische („regulatory act“), französische („acte réglementaire“), griechische („κανονιστική πράξη“), irische („gníomh rialúcháin“), italienische („atto regolamentare“), portugiesische („ato regulamentar, bzw., nach alter Schreibweise, „acto regulamentar“), slowakische („regulačný akt“), spanische („acto reglamentario“) und ungarische Sprachfassung („rendeleti jellegű jogi aktus“) von Art. 263 Abs. 4 AEUV, ferner wohl auch auf die lettische („reglamentējošs akts“) und litauische Sprachfassung („reglamentuojančio pobūdžio teisės aktas“). Weniger eindeutig scheinen hingegen etwa die dänische („regelfastsættende retsakt“), estnische („üldkohaldatav akt“), finnische („sääntelytoimi“), maltesische („att regolatorju“), niederländische („regelgevingshandeling“), polnische („akt regulacyjny“), rumänische („act normativ“), schwedische („regleringsakt“), slowenische („predpis“) und tschechische Sprachfassung („akt s obecnou působností“) zu sein.


27 – Vgl. dazu das Mandat für die Regierungskonferenz 2007, beruhend auf den Vorgaben des Europäischen Rates vom 21. und 22. Juni 2007 und im Wortlaut abgedruckt im Dokument Nr. 11218/07 des Rates vom 26. Juni 2007. In Randnr. 1 dieses Mandats heißt es: „Das Verfassungskonzept … wird aufgegeben.“


28 – Vgl. dazu nochmals das Mandat für die Regierungskonferenz 2007, in dem betont wird, dass die auf die Regierungskonferenz 2004 (zum Verfassungsvertrag) zurückgehenden Neuerungen in die bestehenden Verträge eingearbeitet werden sollen (Randnrn. 1 und 4 des Mandats); im einleitenden Absatz vor Randnr. 1 des Mandats wird ferner betont, dass dieses Mandat „die ausschließliche Grundlage und den ausschließlichen Rahmen für die Arbeit der Regierungskonferenz“ darstellt.


29 – Randnr. 3 des Mandats für die Regierungskonferenz 2007.


30 – Randnr. 19 Buchst. v des Mandats für die Regierungskonferenz 2007 (Hervorhebung nur hier).


31 – Aus den wenigen Sprachfassungen, in denen sich Art. III‑365 Abs. 4 des Verfassungsvertrags und Art. 263 Abs. 4 AEUV unterscheiden (vgl. oben, Fn. 25), lässt sich kein Trend hin zu einer Erweiterung der Klageberechtigung natürlicher und juristischer Personen ableiten, da jene Sprachfassungen für den Ausdruck „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ in Art. 263 Abs. 4 AEUV teils weitere, teils engere Begriffe verwenden als noch im Verfassungsvertrag.


32 – Vgl. dazu nochmals die oben in Fn. 24 angeführten Dokumente des Europäischen Konvents.


33 – Ein solches Verfahren sui generis ist beispielsweise vorgesehen in Art. 31 AEUV, 43 Abs. 3 AEUV, 45 Abs. 3 Buchst. d AEUV, 66 AEUV, 103 AEUV, 109 AEUV sowie in Art. 215 Abs. 1 und 2 AEUV.


34 – Vgl. dazu nochmals die soeben in Fn. 33 angeführten Beispiele.


35 – Vgl. oben, Nr. 54 dieser Schlussanträge.


36 – Urteil zitiert in Fn. 3.


37 – Urteil zitiert in Fn. 4.


38 – Vgl. dazu im Einzelnen unten, Nrn. 116 bis 123 dieser Schlussanträge.


39 – Rechtssache Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Kommission (T‑526/10).


40 – Vgl. Randnrn. 85 und 86 sowie ergänzend Randnr. 79 des angefochtenen Beschlusses.


41 – Im selben Sinne Urteil Microban International u. a./Kommission (zitiert in Fn. 19, Randnr. 32).


42 – Vgl. zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes oben, Nrn. 30 bis 47 dieser Schlussanträge.


43 – Randnr. 71 des angefochtenen Beschlusses.


44 – Urteile vom 5. Mai 1998, Glencore Grain/Kommission (C‑404/96 P, Slg. 1998, I‑2435, Randnr. 41), vom 13. März 2008, Kommission/Infront WM (C‑125/06 P, Slg. 2008, I‑1451, Randnr. 47), und vom 2. Juli 2009, Bavaria und Bavaria Italia (C‑343/07, Slg. 2009, I‑5491, Randnr. 43).


45 – In ständiger Rechtsprechung bejahen beispielsweise die Unionsgerichte die Klageberechtigung von Wettbewerbern gegen Entscheidungen der Kommission zur Genehmigung von staatlichen Beihilfen (vgl. die Urteile des Gerichtshofs vom 28. Januar 1986, Cofaz u. a./Kommission, 169/84, Slg. 1986, 391, und vom 22. November 2007, Spanien/Lenzing, C‑525/04 P, Slg. 2007, I‑9947, in denen die unmittelbare Betroffenheit als selbstverständlich vorausgesetzt wird) und zur Genehmigung von Unternehmenszusammenschlüssen (vgl. die Urteile des Gerichts vom 3. April 2003, BaByliss/Kommission, T‑114/02, Slg. 2003, II‑1279, Randnr. 89, und vom 30. September 2003, ARD/Kommission, T‑158/00, Slg. 2003, II‑3825, Randnr. 60).


46 – Urteile vom 23. November 1971, Bock/Kommission (62/70, Slg. 1971, 897, Randnrn. 6 bis 8), vom 17. Januar 1985, Piraiki-Patraiki u. a./Kommission (11/82, Slg. 1985, 207, Randnrn. 8 bis 10), und vom 5. Mai 1998, Dreyfus/Kommission (C‑386/96 P, Slg. 1998, I‑2309, Randnr. 44).


47 – Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall von der Rechtssache Microban International u. a./Kommission (Urteil zitiert in Fn. 19, insbesondere Randnr. 28), in der nicht nur die Vermarktung eines Zusatzstoffs als solche, sondern auch seine Verwendung bei der Herstellung anderer Erzeugnisse unionsrechtlichen Einschränkungen unterlag.


48 – Randnr. 82 des angefochtenen Beschlusses.


49 – Auf meine Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat Frau Aariak erklärt, sie vermarkte die Bekleidungsartikel teils selbst, teils über Zwischenhändler auf dem Europäischen Binnenmarkt.


50 – Randnr. 82 in Verbindung mit Randnrn. 76 bis 79 des angefochtenen Beschlusses (vgl. insbesondere den letzten Satz von Randnr. 78 jenes Beschlusses).


51 – Die unmittelbare Betroffenheit einer Person hängt nicht davon ab, ob sie für sich aus einem Unionsrechtsakt ein Gebot, ein Verbot oder eine Erlaubnis ableiten kann. Allenfalls am Rechtsschutzbedürfnis für eine Nichtigkeitsklage mag es im Fall der Erlaubnis fehlen, wenn und soweit die betroffene Person mit ihrer Klage keinen Vorteil mehr erlangen kann.


52 – In diesem Sinne Urteil vom 23. April 2009, Sahlstedt u. a./Kommission (C‑362/06 P, Slg. 2009, I‑2903, Randnrn. 22 und 23).


53 – Urteile Plaumann (zitiert in Fn. 2, S. 238), Piraiki-Patraiki u. a./Kommission (zitiert in Fn. 46, Randnr. 11), Unión de Pequeños Agricultores/Rat (zitiert in Fn. 3, Randnr. 36), Kommission/Jégo-Quéré (zitiert in Fn. 4, Randnr. 45), vom 13. Dezember 2005, Kommission/Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (C‑78/03 P, Slg. 2005, I‑10737, Randnr. 33), Kommission/Infront WM (zitiert in Fn. 44, Randnr. 70) und vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission (C‑71/09 P, C‑73/09 P und C‑76/09 P, Slg. 2011, I-4727, Randnr. 52).


54 – Vgl. Randnrn. 89 und 90 des angefochtenen Beschlusses.


55 – Im selben Sinne die ständige Rechtsprechung, vgl. etwa Urteile Plaumann/Rat (zitiert in Fn. 2, S. 238), Piraiki-Patraiki u. a./Kommission (zitiert in Fn. 46, Randnr. 14), vom 29. Januar 1985, Binderer/Kommission (147/83, Slg. 1985, 257, Randnr. 13), vom 24. Februar 1987, Deutz und Geldermann/Rat (26/86, Slg. 1987, 941, Randnrn. 8 und 12), vom 15. Juni 1993, Abertal u. a./Kommission (C‑213/91, Slg. 1993, I‑3177, Randnrn. 17, 19 und 20), vom 22. November 2001, Antillean Rice Mills/Rat (C‑451/98, Slg. 2001, I‑8949, Randnr. 51), und Kommission/Jégo-Quéré (zitiert in Fn. 4, Randnrn. 43 und 46).


56 – Vgl. dazu meine Ausführungen zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes (oben in Nrn. 26 bis 62 dieser Schlussanträge).


57 – Vgl. dazu nochmals die Dokumente CONV 636/03 (zitiert in Fn. 24, Randnrn. 17 bis 23) und CONV 734/03 (zitiert in Fn. 24, S. 20 f.).


58 – Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union wurde zunächst am 7. Dezember 2000 in Nizza (ABl. 2000, C 364, S. 1) und sodann ein weiteres Mal am 12. Dezember 2007 in Straßburg (ABl. 2007, C 303, S. 1; ABl. 2010, C 83, S. 389; ABl. 2012, C 326, S. 391) feierlich proklamiert.


59 – Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten („EMRK“, unterzeichnet in Rom am 4. November 1950).


60 – Urteile vom 1. Oktober 1991, Vidrányi/Kommission (C‑283/90 P, Slg. 1991, I‑4339, Randnr. 29), vom 9. Dezember 2004, Kommission/Greencore (C‑123/03 P, Slg. 2004, I‑11647, Randnrn. 40 und 41), vom 20. Mai 2010, Gogos/Kommission (C‑583/08 P, Slg. 2010, I‑4469, Randnr. 29), und vom 20. Januar 2011, General Química u. a./Kommission (C‑90/09 P, Slg. 2011, I‑1, Randnrn. 59 bis 62), sowie Urteile vom 25. Oktober 2007, Komninou u. a./Kommission (C‑167/06 P, Randnrn. 21 bis 28), und vom 5. Mai 2011, Evropaïki Dynamiki/Kommission (C‑200/10 P, Randnrn. 33 und 43).


61 – Urteile vom 9. September 2008, FIAMM u. a./Rat und Kommission (C‑120/06 P und C‑121/06 P, Slg. 2008, I‑6513, Randnr. 96), vom 16. Juli 2009, Kommission/Schneider Electric (C‑440/07 P, Slg. 2009, I‑6413, Randnr. 135), und vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM (C‑263/09 P, Slg. 2011, I-5853, Randnr. 64).


62 – In der in erster Instanz eingereichten schriftlichen Antwort auf die Unzulässigkeitseinreden wird die Grundrechteproblematik in fünf von 84 Randnummern (bzw. auf einer von 22 Seiten) abgehandelt, in der erstinstanzlichen Klageschrift ist sie überhaupt nicht erwähnt.


63 – Vgl. dazu sogleich im Anschluss meine Ausführungen zum zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes (Nrn. 105 bis 124 dieser Schlussanträge).


64 – In Randnr. 51 des angefochtenen Beschlusses werden das Urteil Jégo-Quéré (zitiert in Fn. 4, Randnr. 36) und der Beschluss des Gerichts vom 9. Januar 2007, Lootus Teine Osaühing/Rat (T‑127/05, Randnr. 50), angeführt.


65 – Nur am Rande sei bemerkt, dass die Inuit Tapiriit Kanatami und ihre Mitstreiter selbst in der fraglichen Passage ihres Schriftsatzes aus erster Instanz Art. 13 EMRK überhaupt nicht erwähnt haben. Sie können somit kaum dem Gericht vorwerfen, diese Vorschrift vernachlässigt zu haben.


66 – Urteile vom 7. Juni 2007, Wunenburger/Kommission (C‑362/05 P, Slg. 2007, I‑4333, Randnr. 80), und Gogos/Kommission (zitiert in Fn. 60, Randnr. 35).


67 – Urteile vom 15. Mai 1986, Johnston (222/84, Slg. 1986, 1651, Randnr. 18), Unión de Pequeños Agricultores/Rat (zitiert in Fn. 3, Randnr. 39), Kommission/Jégo-Quéré (zitiert in Fn. 4, Randnr. 29), vom 13. März 2007, Unibet (C‑432/05, Slg. 2007, I‑2271, Randnr. 37), vom 3. September 2008, Kadi u. a./Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, Slg. 2008, I‑6351, Randnr. 335), und vom 22. Dezember 2010, DEB (C‑279/09, Slg. 2010, I‑13849, Randnr. 29).


68 – Urteile Unión de Pequeños Agricultores/Rat (zitiert in Fn. 3, Randnr. 44) und Kommission/Jégo-Quéré (zitiert in Fn. 4, Randnr. 30).


69 – Vgl. dazu die Urteile Unión de Pequeños Agricultores/Rat (zitiert in Fn. 3, insbesondere Randnrn. 37 bis 40) und Kommission/Jégo-Quéré (zitiert in Fn. 4, Randnrn. 29 und 30).


70 – In diesen Erläuterungen (ABl. 2007, C 303, S. 17 [29 f.]) heißt es zu Art. 47 der Charta: „… Die Übernahme [der] Rechtsprechung des Gerichtshofs in die Charta zielte nicht darauf ab, das in den Verträgen vorgesehene Rechtsschutzsystem und insbesondere nicht die Bestimmungen über die Zulässigkeit direkter Klagen beim Gerichtshof der Europäischen Union zu ändern. Der Europäische Konvent hat sich mit dem System des gerichtlichen Rechtsschutzes der Union, einschließlich der Zulässigkeitsvorschriften, befasst und hat es mit einigen Änderungen, die in die [Art. 251 bis 281 AEUV] und insbesondere in [Art. 263 Abs. 4 AEUV] eingeflossen sind, bestätigt. …“


71 – Die enge Verwandtschaft zwischen Art. 47 der Charta einerseits sowie den Art. 6 und 13 EMRK andererseits kommt in den Erläuterungen zur Charta (oben in Fn. 70 angeführt) deutlich zum Ausdruck. Auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs, in der das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt wurde, stützt sich ganz maßgeblich auf die beiden Bestimmungen der EMRK (vgl. dazu die oben in Fn. 67 angeführten Urteile).


72 – Auch die Rechtsmittelführer selbst haben kein einziges einschlägiges Urteil des EGMR angeführt und mussten auf Nachfrage einräumen, dass ihnen kein derartiges Urteil bekannt ist.


73 – Vgl. dazu oben, Nrn. 39 bis 46 dieser Schlussanträge.


74 – Zweiter Absatz der Erklärung Nr. 1 zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den am 13. Dezember 2007 unterzeichneten Vertrag von Lissabon angenommen hat (ABl. 2007, C 306, S. 249; ABl. 2008, C 115, S. 337; ABl. 2010, C 83, S. 339; ABl. 2012, C 326, S. 339).


75 – In diesem Sinne Urteil Unión de Pequeños Agricultores/Rat (zitiert in Fn. 3, Randnr. 45) sowie Urteile vom 27. Februar 2007, Gestoras Pro Amnistía u. a./Rat (C‑354/04 P, Slg. 2007, I‑1579, Randnr. 50, letzter Satz) und Segi u. a./Rat (C‑355/04 P, Slg. 2007, I‑1657, Randnr. 50, letzter Satz).


76 – In diesem Sinne Urteile Unión de Pequeños Agricultores/Rat (zitiert in Fn. 3, Randnr. 40), Kommission/Jégo-Quéré (zitiert in Fn. 4, Randnr. 30), vom 30. März 2004, Rothley u. a./Parlament (C‑167/02 P, Slg. 2004, I‑3149, Randnr. 46), und vom 6. Dezember 2005, Gaston Schul Douane-expediteur (C‑461/03, Slg. 2005, I‑10513, Randnr. 22).


77 – In diesem Sinne Gutachten 1/09 vom 8. März 2011 (Slg. 2011, I‑1137, Randnr. 66); vgl. außerdem die Urteile vom 21. Februar 1991, Zuckerfabrik Süderdithmarschen u. a. (C‑143/88 und C‑92/89, Slg. 1991, I‑415, Randnr. 16), und vom 9. November 1995, Atlanta Fruchthandelsgesellschaft u. a. (C‑465/93, Slg. 1995, I‑3761, Randnr. 20), sowie die soeben in Fn. 76 angeführte Rechtsprechung.


78 – Urteile Unión de Pequeños Agricultores/Rat (zitiert in Fn. 3, Randnr. 40), Kommission/Jégo-Quéré (zitiert in Fn. 4, Randnr. 30), vom 29. Juni 2010, E und F (C‑550/09, Slg. 2010, I‑6213, Randnr. 45) und Pringle (zitiert in Fn. 18, Randnr. 39).


79 – Eine Vorlagepflicht besteht nicht nur für letztinstanzliche Gerichte, sondern unter den in der Foto-Frost-Rechtsprechung genannten Voraussetzungen (vgl. dazu Urteile vom 22. Oktober 1987, Foto-Frost, 314/85, Slg. 1987, 4199, Randnrn. 12 bis 19, und Gaston Schul Douane-expediteur, zitiert in Fn. 76, Randnr. 22) auch für Gerichte, deren Entscheidungen noch mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können.


80 – So etwa Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen vom 21. März 2002 in der Rechtssache Unión de Pequeños Agricultores/Rat (zitiert in Fn. 3, Nrn. 43 und 102).


81 – Dies erkennen sowohl der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung (Urteil Unibet, zitiert in Fn. 67, Randnr. 64) als auch der Europäische Konvent (vgl. die oben in Fn. 24 angeführten Dokumente) an.


82 – Diese Möglichkeit wird bereits im Urteil Kommission/Jégo-Quéré (zitiert in Fn. 4, Randnr. 35) angedeutet.


83 – Urteile Unión de Pequeños Agricultores/Rat (zitiert in Fn. 3, Randnr. 40) und Kommission/Jégo-Quéré (zitiert in Fn. 4, Randnr. 30); zur Vorlagepflicht nationaler Gerichte in einer solchen Situation vgl. die oben in Fn. 79 angeführte Foto-Frost-Rechtsprechung.


84 – Zu Beispielen aus der Praxis der Gerichte der Mitgliedstaaten vgl. Urteile vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA (C‑344/04, Slg. 2006, I‑403, Randnr. 19), vom 8. Juni 2010, Vodafone u. a. (C‑58/08, Slg. 2010, I‑4999, Randnr. 29), und vom 9. November 2010, Schecke und Eifert (C‑92/09 und C‑93/09, Slg. 2010, I‑11063, Randnr. 28); ähnlich, wenn auch im Zusammenhang mit Richtlinien und deren innerstaatlicher Umsetzung, Urteile vom 10. Dezember 2002, British American Tobacco (Investments) und Imperial Tobacco (C‑491/01, Slg. 2002, I‑11453, Randnr. 24), vom 6. Dezember 2005, ABNA u. a. (C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04, Slg. 2005, I‑10423, Randnrn. 19, 25 und 34), vom 8. Juli 2010, Afton Chemical (C‑343/09, Slg. 2010, I-7027, Randnr. 8), und vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a. (C‑366/10, Slg. 2011, I-13755, Randnr. 43).


85 – Urteil Unibet (zitiert in Fn. 67, insbesondere Randnrn. 38 bis 44); vgl. auch Urteile Unión de Pequeños Agricultores/Rat (zitiert in Fn. 3, Randnr. 42) und Kommission/Jégo-Quéré (zitiert in Fn. 4, Randnr. 32).


86 – Vgl. Art. 41 Abs. 1 und 4 der Charta der Grundrechte und ergänzend Art. 24 Abs. 4 AEUV.


87 – Urteile Zuckerfabrik Süderdithmarschen u. a. (Randnrn. 17, 20 und 23 bis 33) und Atlanta Fruchthandelsgesellschaft u. a. (Randnrn. 24, 25 und 32 bis 51), jeweils zitiert in Fn. 77.


88 – In der Verfahrenssprache: „that the distinction between legislative and regulatory acts … consists of adding the qualifier ‘legislative’ to the word ‘act’ with reference to the first two possibilities covered by the fourth paragraph of Article 263 TFEU“.


89 – Urteil vom 1. Juli 2010, Knauf Gips/Kommission (C‑407/08 P, Slg. 2010, I-6375, Randnrn. 30 und 31); ähnlich Urteile Kommission/Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (zitiert in Fn. 53, Randnrn. 44 bis 50) und vom 29. November 2007, Stadtwerke Schwäbisch Hall u. a./Kommission (C‑176/06 P, Randnr. 25).


90 – Urteile vom 18. Januar 2007, PKK und KNK/Rat (C‑229/05 P, Slg. 2007, I‑439, Randnr. 37), vom 22. November 2007, Sniace/Kommission (C‑260/05 P, Slg. 2007, I‑10005, Randnr. 37), und vom 17. Juni 2010, Lafarge/Kommission (C‑413/08 P, Slg. 2010, I‑5361, Randnr. 17).


91 – Siehe meine Schlussanträge vom 14. April 2011 in den Rechtssachen Solvay/Kommission (C‑109/10 P, Slg. 2011, I-10329, Nr. 94) und Solvay/Kommission (C‑110/10 P, Slg. 2011, I-10439, Nrn. 126 und 131).


92 – Vgl. insbesondere Randnr. 17 der Unzulässigkeitseinrede des Parlaments und Randnr. 15 der Unzulässigkeitseinrede des Rates.


93 – Vgl. insbesondere Randnr. 30 der in erster Instanz eingereichten schriftlichen Antwort der Inuit Tapiriit Kanatami und ihrer Mitstreiter auf die Unzulässigkeitseinreden von Parlament und Rat.


94 – Zum erstinstanzlichen Vorbringen der Inuit Tapiriit Kanatami und ihrer Mitstreiter vgl. insbesondere Randnr. 49 ihrer schriftlichen Antwort auf die Unzulässigkeitseinreden von Parlament und Rat; zu ihrem im Wesentlichen gleichlautenden Vorbringen im Rechtsmittelverfahren vgl. oben, Nr. 53 dieser Schlussanträge.


95 – Urteile vom 1. Juni 2006, P & O European Ferries (Vizcaya) und Diputación Foral de Vizcaya/Kommission (C‑442/03 P und C‑471/03 P, Slg. 2006, I‑4845, Randnrn. 133 und 134), und vom 1. Februar 2007, Sison/Rat (C‑266/05 P, Slg. 2007, I‑1233, Randnrn. 67 bis 72); im selben Sinne Urteil des Gerichts vom 9. September 2010, Andreasen/Kommission (T‑17/08 P, Randnr. 76).


96 – In diesem Sinne Urteile vom 9. Juni 1992, Lestelle/Kommission (C‑30/91 P, Slg. 1992, I‑3755, Randnr. 28), Kadi u. a./Rat und Kommission (zitiert in Fn. 67, Randnr. 233) und FIAMM u. a./Rat und Kommission (zitiert in Fn. 61, Randnr. 189).


97 – Gemäß dem allgemeinen Grundsatz, dass neue Verfahrensregeln auf alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen Rechtsstreitigkeiten Anwendung finden (ständige Rechtsprechung, vgl. nur Urteil vom 12. November 1981, Meridionale Industria Salumi u. a., 212/80 bis 217/80, Slg. 1981, 2735, Randnr. 9), richtet sich die Kostenentscheidung im vorliegenden Fall nach der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, die am 1. November 2012 in Kraft getreten ist (in diesem Sinne Urteil vom 6. Dezember 2012, Kommission/Verhuizingen Coppens, C-441/11 P, Randnrn. 83 bis 85). Inhaltlich besteht allerdings kein Unterschied zu Art. 69 § 2 in Verbindung mit Art. 118 und Art. 122 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 19. Juni 1991.


98 – Urteil vom 14. September 2010, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission u. a. (C‑550/07 P, Slg. 2010, I‑8301, Randnr. 123); im selben Sinne Urteil vom 31. Mai 2001, D und Schweden/Rat (C‑122/99 P und C‑125/99 P, Slg. 2001, I‑4319, Randnr. 65), in letzterem Fall hatten D und das Königreich Schweden sogar zwei getrennte Rechtsmittel eingelegt und wurden dennoch gesamtschuldnerisch zur Tragung der Kosten verurteilt.


99 – In diesem Sinne z. B. Urteil vom 19. Juli 2012, Rat/Zhejiang Xinan Chemical Industrial Group (C‑337/09 P, Randnr. 112); in jenem Fall wurden dem Rat als unterlegenem Rechtsmittelführer u. a. die Kosten von Audace als gegnerischer Streithelferin aus erster Instanz auferlegt, die mit ihren Anträgen im Rechtsmittelverfahren obsiegt hatte.