Language of document : ECLI:EU:C:2011:817

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PEDRO CRUZ VILLALÓN

vom 8. Dezember 2011(1)

Rechtssache C‑477/10 P

Europäische Kommission

gegen

Agrofert Holding

„Rechtsmittel – Recht auf Zugang zu Dokumenten im Besitz der Organe – Verweigerung – Auf den Schutz wirtschaftlicher Interessen gestützte Ausnahme von diesem Recht – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Art. 4 Abs. 2 und 3 – Dokumente in Verfahren über Unternehmenszusammenschlüsse – Verordnung (EG) Nr. 139/2004 – Bereits abgeschlossene Verfahren“






1.        Das vorliegende Rechtsmittel der Kommission richtet sich gegen das Urteil des Gerichts vom 7. Juli 2010, Agrofert Holding/Kommission(2), mit dem die Entscheidung der Kommission vom 13. Februar 2007, mit der ein auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission(3) gestellter Antrag auf Zugang zu Dokumenten abgelehnt wurde, für nichtig erklärt wurde. Konkret wurden sämtliche Dokumente eines Verfahrens zur Kontrolle eines Unternehmenszusammenschlusses auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („Fusionskontrollverordnung“)(4) verlangt.

2.        Vor diesem Hintergrund hat der Gerichtshof insbesondere Gelegenheit zur Konkretisierung der Reichweite der auf den Schutz geschäftlicher Interessen gestützten Ausnahme im Zusammenhang mit einem Verfahren zur präventiven Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen auf europäischer Ebene. Es handelt sich mithin um eine sehr spezifische Frage, die noch nicht Gegenstand der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu dem durch Art. 15 Abs. 3 AEUV und durch Art. 42 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleisteten Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe(5) war.

I –    Rechtlicher Rahmen

3.        Art. 2 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 bestimmt:

„(1)      Jeder Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat hat vorbehaltlich der in dieser Verordnung festgelegten Grundsätze, Bedingungen und Einschränkungen ein Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe.

(3)      Diese Verordnung gilt für alle Dokumente eines Organs, das heißt Dokumente aus allen Tätigkeitsbereichen der Union, die von dem Organ erstellt wurden oder bei ihm eingegangen sind und sich in seinem Besitz befinden.“

4.        Gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 gelten insoweit folgende Ausnahmen:

„(1)      Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

a)      der Schutz des öffentlichen Interesses im Hinblick auf:

–        die öffentliche Sicherheit,

–        die Verteidigung und militärische Belange,

–        die internationalen Beziehungen,

–        die Finanz-, Währungs- oder Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft oder eines Mitgliedstaats;

b)      der Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen, insbesondere gemäß den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft über den Schutz personenbezogener Daten.

(2)      Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

–        der Schutz der geschäftlichen Interessen einer natürlichen oder juristischen Person, einschließlich des geistigen Eigentums,

–        der Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung,

–        der Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten,

es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

(3)      Der Zugang zu einem Dokument, das von einem Organ für den internen Gebrauch erstellt wurde oder bei ihm eingegangen ist und das sich auf eine Angelegenheit bezieht, in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat, wird verweigert, wenn eine Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

Der Zugang zu einem Dokument mit Stellungnahmen zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb des betreffenden Organs wird auch dann, wenn der Beschluss gefasst worden ist, verweigert, wenn die Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

(4)      Bezüglich Dokumente Dritter konsultiert das Organ diese, um zu beurteilen, ob eine der Ausnahmeregelungen der Absätze 1 oder 2 anwendbar ist, es sei denn, es ist klar, dass das Dokument verbreitet werden muss bzw. nicht verbreitet werden darf.

(5)      Ein Mitgliedstaat kann das Organ ersuchen, ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten.

(6)      Wenn nur Teile des angeforderten Dokuments einer der Ausnahmen unterliegen, werden die übrigen Teile des Dokuments freigegeben.

(7)      Die Ausnahmen gemäß den Absätzen 1 bis 3 gelten nur für den Zeitraum, in dem der Schutz aufgrund des Inhalts des Dokuments gerechtfertigt ist. Die Ausnahmen gelten höchstens für einen Zeitraum von 30 Jahren. Im Falle von Dokumenten, die unter die Ausnahmeregelungen bezüglich der Privatsphäre oder der geschäftlichen Interessen fallen, und im Falle von sensiblen Dokumenten können die Ausnahmen erforderlichenfalls nach Ablauf dieses Zeitraums weiter Anwendung finden.“

5.        Der 34. Erwägungsgrund der Fusionskontrollverordnung lautet:

„Um eine wirksame Überwachung zu gewährleisten, sind die Unternehmen zu verpflichten, Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung nach Vertragsabschluss, Veröffentlichung des Übernahmeangebots oder des Erwerbs einer die Kontrolle begründenden Beteiligung und vor ihrem Vollzug anzumelden. Eine Anmeldung sollte auch dann möglich sein, wenn die beteiligten Unternehmen der Kommission gegenüber ihre Absicht glaubhaft machen, einen Vertrag über einen beabsichtigten Zusammenschluss zu schließen und ihr beispielsweise anhand einer von allen beteiligten Unternehmen unterzeichneten Grundsatzvereinbarung, Übereinkunft oder Absichtserklärung darlegen, dass der Plan für den beabsichtigten Zusammenschluss ausreichend konkret ist, oder im Fall eines Übernahmeangebots öffentlich ihre Absicht zur Abgabe eines solchen Angebots bekundet haben, sofern der beabsichtigte Vertrag oder das beabsichtigte Angebot zu einem Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung führen würde. Der Vollzug eines Zusammenschlusses sollte bis zum Erlass der abschließenden Entscheidung der Kommission ausgesetzt werden. Auf Antrag der beteiligten Unternehmen sollte es jedoch gegebenenfalls möglich sein, hiervon abzuweichen. Bei der Entscheidung hierüber sollte die Kommission alle relevanten Faktoren, wie die Art und die Schwere des Schadens für die beteiligten Unternehmen oder Dritte sowie die Bedrohung des Wettbewerbs durch den Zusammenschluss, berücksichtigen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften zu schützen, soweit dies erforderlich ist.“

6.        Der 38. Erwägungsgrund der Fusionskontrollverordnung hat folgenden Wortlaut:

„Um Zusammenschlüsse ordnungsgemäß beurteilen zu können, sollte die Kommission alle erforderlichen Auskünfte einholen und alle erforderlichen Nachprüfungen in der Gemeinschaft vornehmen können. Zu diesem Zweck und im Interesse eines wirksamen Wettbewerbsschutzes müssen die Untersuchungsbefugnisse der Kommission ausgeweitet werden. Die Kommission sollte insbesondere alle Personen, die eventuell über sachdienliche Informationen verfügen, befragen und deren Aussagen zu Protokoll nehmen können.“

7.        Art. 11 der Fusionskontrollverordnung regelt das Auskunftsverlangen der Kommission bei einem Zusammenschluss.

8.        Die Nachprüfungsbefugnisse der Kommission sind in Art. 13 der Fusionskontrollverordnung geregelt.

9.        Die Art. 14 und 15 der Fusionskontrollverordnung regeln die Geldbußen bei einer Verletzung der Zusammenarbeitspflicht.

10.      Art. 17 der Verordnung Nr. 139/2004 bestimmt:

„(1)      Die bei Anwendung dieser Verordnung erlangten Kenntnisse dürfen nur zu dem mit der Auskunft, Ermittlung oder Anhörung verfolgten Zweck verwertet werden.

(2)      Unbeschadet des Artikels 4 Absatz 3 sowie der Artikel 18 und 20 sind die Kommission und die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sowie ihre Beamten und sonstigen Bediensteten, alle sonstigen, unter Aufsicht dieser Behörden handelnden Personen und die Beamten und Bediensteten anderer Behörden der Mitgliedstaaten verpflichtet, Kenntnisse nicht preiszugeben, die sie bei Anwendung dieser Verordnung erlangt haben und die ihrem Wesen nach unter das Berufsgeheimnis fallen.

(3)      Die Absätze 1 und 2 stehen der Veröffentlichung von Übersichten oder Zusammenfassungen, die keine Angaben über einzelne Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen enthalten, nicht entgegen.“

II – Sachverhalt

11.      Die Kommission genehmigte – unabhängig von der Bezugnahme auf die detailliertere Sachverhaltsschilderung in dem mit dem Rechtsmittel angefochtenen Urteil (Randnrn. 1 bis 30) – mit Entscheidung vom 20. April 2005 die Übernahme der Mehrheit an der tschechischen Gesellschaft Unipetrol durch die polnische Gesellschaft Polski Koncern Naftowy Orlen (im Folgenden: PKN Orlen) durch den Erwerb von Aktien.

12.      Am 28. Juni 2006 beantragte die Agrofert Holding (im Folgenden: Agrofert), eine Minderheitsaktionärin von Unipetrol, unter Berufung auf die Verordnung Nr. 1049/2001 bei der Kommission den Zugang zu sämtlichen nicht veröffentlichten Dokumenten des Notifizierungsverfahrens und des Voranmeldungsverfahrens der Übernahme von Unipetrol durch die PKN Orlen.

13.      Der Antrag wurde mit Entscheidung vom 2. August 2006 zurückgewiesen, da die Kommission der Ansicht war, dass er generisch sei und die in Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen einschlägig seien. Darüber hinaus verstoße die Verbreitung der von den Beteiligten stammenden Dokumente gegen das Berufsgeheimnis (Art. 339 AEUV und Art. 17 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 139/2004). Ein teilweiser Zugang zu den Dokumenten sei nicht möglich, solange nicht ein überwiegendes öffentliches Interesse nachgewiesen werde, das ihre Verbreitung rechtfertige.

14.      Nachdem die Kommission die Ablehnung mit Entscheidung vom 13. Februar 2007 bestätigt hatte, reichte Agrofert beim Gericht Nichtigkeitsklage ein.

15.      Das Gericht ging in seinem Urteil vom 7. Juli 2010 direkt auf den dritten Nichtigkeitsgrund ein und gab der Nichtigkeitsklage im Wesentlichen mit der Begründung statt, dass, selbst wenn die Dokumente unter die in Rede stehenden Ausnahmen fielen, die Verpflichtung verletzt worden sei, konkret und individuell zu begründen, dass die streitigen Dokumente tatsächlich die durch die genannten Ausnahmen geschützten Interessen berührten.

III – Das Rechtsmittel

16.      Die Kommission gliedert ihr Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts in zwei Rechtsmittelgründe. Mit dem ersten wirft sie dem Gericht vor, bei der Entscheidung über die Klage von Agrofert bestimmte Vorschriften der Fusionskontrollverordnung außer Acht gelassen zu haben. Mit dem zweiten Grund macht sie geltend, Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1049/2001, also die Bestimmungen über die Ausnahmen, die Anträgen auf Zugang zu Dokumenten entgegenhalten werden können, sei falsch ausgelegt worden. Infolgedessen ersucht die Kommission den Gerichtshof, das angefochtene Urteil aufzuheben und abschließend über die Fragen zu entscheiden, die Gegenstand des vorliegenden Rechtsmittels sind, sowie Agrofert die Kosten aufzuerlegen.

17.      Die Kommission hat beim Gericht vorgebracht, dass auf folgende Gruppen von Dokumenten, zu denen Agrofert Zugang beantragt habe, verschiedene in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahmen anwendbar gewesen seien:

–       Dokumente, die zwischen der Kommission, den an dem Zusammenschlussverfahren Beteiligten und Dritten ausgetauscht worden seien. Auf sie seien die in Art. 4 Abs. 2 erster und dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen anwendbar, da ihre Verbreitung „[den] Schutz der geschäftlichen Interessen einer natürlichen oder juristischen Person, einschließlich des geistigen Eigentums[, und den] Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten“ beeinträchtigen könne.


–       Rechtsgutachten. Der Kommission zufolge ist die in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme anwendbar, da ihre Verbreitung den Schutz „der Rechtsberatung“ beeinträchtigen würde.


–       Interne Dokumente der Kommission, die unter die Ausnahme von Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 fallen, die derartige Dokumente vom Zugang ausnimmt(6).

18.      Das Gericht ist davon ausgegangen, dass im Gegensatz zu den Ausführungen der Kommission zumindest eine eigenständige Prüfung eines jeden beantragten Dokuments erforderlich gewesen sei. Hierin liegt letztendlich die wahre materiell-rechtliche Frage, denn das Gericht räumt nach dieser Feststellung ein, dass die von der Kommission vorgebrachten Gründe für die Verweigerung des Zugangs zu jedem (tatsächlich geprüften) Dokument fallweise geltend gemacht werden können.

19.      Die Kommission ist der Ansicht, dass das Gericht im vorliegenden Fall einige der in Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen unzutreffend ausgelegt habe, insbesondere diejenigen, die einem Zugang zu Dokumenten entgegenstehen, „durch [deren] Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde: der Schutz der geschäftlichen Interessen einer natürlichen oder juristischen Person, … der Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung [und] der Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung“ (Abs. 2). Darüber hinaus diejenigen, die dem Zugang zu Dokumenten entgegenstehen, die „von einem Organ für den internen Gebrauch erstellt [wurden] oder bei ihm eingegangen [sind] und [die] sich auf eine Angelegenheit [beziehen], in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat, [oder, wenn es sich um Dokumente mit Stellungnahmen zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb des betreffenden Organs handelt, selbst wenn der Beschluss bereits gefasst worden ist], wenn eine Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung“ (Abs. 3).

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

20.      Agrofert führt aus, das angefochtene Urteil sei zutreffend; seine Einschätzung wird vom Königreich Schweden geteilt, dessen Regierung hervorgehoben hat, dass das Bestehen verschiedener Regeln über den Zugang in einer Vielzahl von spezifischen Regelungen nicht implizieren könne, dass sie zu Ausnahmen würden, die Vorrang gegenüber denen hätten, die spezifisch nach der Verordnung Nr. 1049/2001 statthaft seien, denn die Verordnung würde anderenfalls inhaltsleer. Auf dieser Linie hat das Königreich Dänemark in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, angesichts des allgemeinen Grundsatzes der Transparenz könnten bestimmte zulässige Ausnahmen keinesfalls bestimmte Bereiche insgesamt umfassen und sie in toto von der Anwendbarkeit dieses Grundsatzes ausnehmen.

21.      PKN Orlen unterstützt ihrerseits das Rechtsmittel der Kommission und bestätigt, dass ihre Zusammenarbeit im Zusammenschlussverfahren auf ihrem Vertrauen in die Vertraulichkeit der zur Verfügung gestellten Dokumente basiert habe, das durch die Verordnung Nr. 139/2004 inspiriert worden sei.

22.      In der mündlichen Verhandlung vom 8. September 2011, zu der die Prozessbevollmächtigten der Agrofert und der PKN Orlen sowie des Königreichs Dänemark, des Königreichs Schweden und der Kommission erschienen waren, wurden im Wesentlichen die hier zusammengefassten Argumente wiederholt.

V –    Würdigung

A –    Einleitende Feststellung

23.      Einleitend ist daran zu erinnern, dass die ursprüngliche Entscheidung der Kommission, mit der gemäß der Verordnung Nr. 139/2004 die Übernahme der Mehrheitsbeteiligung an Unipetrol durch die Gesellschaft PKN Orlen genehmigt wurde, erging, ohne dass Agrofert, eine Minderheitsgesellschafterin von Unipetrol, versucht hätte, sich an dem Verfahren zur Kontrolle des Unternehmenszusammenschlusses zu beteiligen. Agrofert begehrte, wie sich aus dem im erstinstanzlichen Verfahren dargestellten Sachverhalt ergibt, nach Abschluss des Genehmigungsverfahrens Zugang zu bestimmten Dokumenten aus diesem Verfahren, um sie in einem auf nationaler Ebene gegen PKN Orlen anhängig gemachten Schiedsverfahren mit dem Ziel zu verwenden, eine Klage auf vertragliche Sanktionen wegen eines angeblichen Wettbewerbsverstoßes in der Tschechischen Republik zu begründen. Allerdings kann der Gegenstand des Rechtsstreits deshalb nicht vom Bereich des allgemeinen Zugangs zu Dokumenten der Union auf das Gebiet der Fusionskontrollverfahren verlagert werden.

24.      Anders als in den Rechtssachen Technische Glaswerke Ilmenau und MyTravel(7) werden die von der Kommission verweigerten Dokumente von einem „Dritten“ beantragt, dessen Interesse nicht, wie in der ersten Rechtssache, in der Einordnung einer ihn betreffenden staatlichen Beihilfe besteht oder, wie in der zweiten, im Ergebnis eines Zusammenschlusses, der Gegenstand einer Untersuchung durch die Kommission war. Agrofert begehrt nicht den Zugang zu den Dokumenten, um die Regelmäßigkeit des Zusammenschlusses oder sein Ergebnis in Frage zu stellen, sondern nur, um ein völlig anderes Verfahren gegen PKN Orlen anhängig zu machen.

25.      Das bedeutet, dass das Interesse von Agrofert an den „internen Aspekten“ des Zusammenschlussverfahrens an sich nur instrumentell ist, da es eine Verbindung zum Kern seines erstrangigen Interesses aufweist, der im geschäftlichen Verhalten von PKN Orlen besteht.

26.      Folglich betrifft diese Rechtssache eher die Transparenz als Zusammenschlüsse, so dass derjenige, der den Zugang zu den Dokumenten nicht in seiner Eigenschaft als Beteiligter an einem Zusammenschlussverfahren begehrt, sondern als Rechtssubjekt, dessen Legitimation sich aus der Verordnung Nr. 1049/2001 ergibt, sich hierfür prima facie auf diese Verordnung berufen muss. Daher ist über den Rechtsstreit in erster Linie im Licht der Verordnung Nr. 1049/2001 zu entscheiden.

27.      Aufgrund all dessen leite ich die Prüfung mit dem zweiten und dritten Rechtsmittelgrund ein.

B –    Zweiter Rechtsmittelgrund: falsche Auslegung von Art. 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1049/2001

28.      Die Verordnung Nr. 1049/2001 soll nach ihrem vierten Erwägungsgrund „dem Recht auf Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten größtmögliche Wirksamkeit verschaffen und gemäß Artikel 255 Absatz 2 [EG] die allgemeinen Grundsätze und Einschränkungen dafür festlegen“(8). Nach ihrem ersten Erwägungsgrund soll das in Art. 1 EUV erklärte Ziel „eine[r] neue[n] Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas …, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden“, verwirklicht werden(9).

29.      Durch dieses „Prinzip der Transparenz“ wird mit den Worten des zweiten Erwägungsgrundes „eine bessere Beteiligung der Bürger am Entscheidungsprozess [ermöglicht] und eine größere Legitimität, Effizienz und Verantwortung der Verwaltung gegenüber dem Bürger in einem demokratischen System [gewährleistet]“. Transparenz trägt letztendlich „zur Stärkung der Grundsätze der Demokratie und der Achtung der Grundrechte bei, die in Artikel 6 des EU-Vertrags und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind“(10).

30.      Das mit der Verordnung Nr. 1049/2001 verfolgte Ziel hat zu spezifischen Normen geführt. Nach Art. 2 Abs. 1 hat „[j]eder Unionsbürger … vorbehaltlich der in dieser Verordnung festgelegten Grundsätze, Bedingungen und Einschränkungen ein Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe“, das nach Art. 2 Abs. 3 „für alle Dokumente eines Organs, das heißt Dokumente aus allen Tätigkeitsbereichen der Union, die von dem Organ erstellt wurden oder bei ihm eingegangen sind und sich in seinem Besitz befinden“, gilt.

31.      Gegenüber dem Zugang als allgemeinem Grundsatz regelt die Verordnung Nr. 1049/2001 die einzigen Ausnahmen, die ihrem Geist entsprechen. Soweit diese Verordnung den Zweck hat, „die Grundsätze und Bedingungen sowie die aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden Einschränkungen für die Ausübung des … Rechts auf Zugang zu Dokumenten … festzulegen“, regelt Art. 4 ausdrücklich die Ausnahmen von diesem grundsätzlich allgemeinen Recht.

32.      Es reicht aus, ihren Inhalt zu untersuchen, um festzustellen, dass sie von einer Vielzahl von Erwägungen inspiriert sind. Einige von ihnen werden im unmittelbaren Zusammenhang mit bestimmten Grundrechten formuliert (der Schutz der Privatsphäre und die Integrität des Einzelnen), die heute in der Charta niedergelegt sind. Dies führt nebenbei gesagt dazu, dass es sehr schwierig ist, die auf der Regel-Ausnahme-Dynamik basierenden Auslegungskriterien auf sie anzuwenden. Im Gegenteil, gerade weil das, was als Ausnahme vorgesehen ist, letztendlich die Zugangsvoraussetzung darstellt, die in einer Verordnung geregelt ist, die es wie die Fusionskontrollverordnung der Kommission ermöglicht, Dokumente anzufordern, die im Hinblick auf die Rechte und Interessen von Unternehmen sehr sensibel sind, kann diese Voraussetzung nicht eng, sondern muss so weit ausgelegt werden können, wie es für einen wirksamen Schutz jener Rechte und Interessen erforderlich ist.

33.      In anderen Fällen (militärische Belange, internationale Beziehungen, Finanzpolitik [Art. 4 Abs. 1 Buchst. a]) dienen die Ausnahmen strategischen, lebenswichtigen oder jedenfalls für das Leben der politischen Gemeinschaft unstreitig relevanten Interessen. Keiner der bislang genannten Fälle kommt hier in Betracht.

34.      In anderen Fällen schließlich dienen sie qualifizierten Interessen der Union, wie beispielsweise die Gewährleistung der Inspektionstätigkeit.

35.      Oder schließlich, soweit es hier von Belang ist, dem Schutz der geschäftlichen Interessen (Art. 4 Abs. 2). Meiner Ansicht nach handelt es sich dabei um die relevanteste der in der vorliegenden Rechtssache geltend gemachten Ausnahmen, zu der der Gerichtshof darüber hinaus noch nicht detailliert Stellung nehmen konnte. Ich werde daher meine Argumentation in diesen Schlussanträgen auf sie konzentrieren.

36.      Ich werde infolgedessen die Prüfung der auf den Schutz der geschäftlichen Interessen gestützten Ausnahme getrennt vornehmen.

1.      Die auf den Schutz der geschäftlichen Interessen gestützte Ausnahme bei Dokumenten, die Unternehmen im Rahmen eines Fusionskontrollverfahrens beigebracht haben

37.      Eingehend möchte ich darauf hinweisen, dass die geschäftlichen Interessen in der Verordnung Nr. 1049/2001 bereits Gegenstand eines in gewisser Weise qualifizierten Schutzes sind, soweit die Verordnung – abgesehen davon, dass sie zu einem rechtmäßigen Grund für eine mögliche Verweigerung des Zugangs zu einem Dokument erhoben werden (Art. 4 Abs. 2) – die Möglichkeit vorsieht, ausnahmsweise den Schutz dieser Interessen über den in Art. 4 Abs. 7 der Verordnung geregelten Zeitraum von 30 Jahren hinaus zu verlängern(11).

38.      Nach dieser Feststellung ist im Hinblick auf den vorliegenden Fall sogleich darauf hinzuweisen, dass die auf den Schutz der geschäftlichen Interessen gestützte Ausnahme darüber hinaus ein eigenes Gepräge erhält, wenn es sich um Dokumente handelt, die von den Unternehmen im Rahmen und bei Gelegenheit eines präventiven Verfahrens (Genehmigung) zur Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen eingereicht wurden. In diesem Sinne ist festzustellen, dass dieser Umstand die Ausnahme, mit der wir befasst sind, in entscheidender Weise kennzeichnet. Mit anderen Worten: Die Art und Weise, mit der diese Intervention der Kommission in der Verordnung Nr. 139/2004 geregelt wurde, wird zu einem unverzichtbaren Instrument für die korrekte Auslegung der Reichweite der in der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme. Im Folgenden soll daher sowohl dem Sinn dieser Zuständigkeit der Kommission als auch den ihr hierzu verliehenen Befugnissen und schließlich den Garantien, die sich für diejenigen, die diesen Befugnissen unterliegen, unvermeidbar aus der geordneten Ausübung dieser Befugnisse ergeben, Aufmerksamkeit gewidmet werden.

a)      Der Sinn der der Kommission im Zusammenschlussverfahren zugewiesenen Zuständigkeit

39.      Was den Sinn dieser Zuständigkeit anbelangt, die auf den jetzigen Art. 103 AEUV als Rechtsgrundlage gestützt ist, wird mit der Fusionskontrollverordnung vor allem der Zweck verfolgt, „ein besonderes Rechtsinstrument [zu schaffen], das eine wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in der Gemeinschaft ermöglicht und das zugleich das einzige auf derartige Zusammenschlüsse anwendbare Instrument ist“ (sechster Erwägungsgrund).

40.      Dies mit der Maßgabe, dass diese Strukturveränderungen als solche „zu begrüßen [sind], soweit sie den Erfordernissen eines dynamischen Wettbewerbs entsprechen und geeignet sind, zu einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, zu einer Verbesserung der Wachstumsbedingungen sowie zur Anhebung des Lebensstandards in der Gemeinschaft zu führen“ (vierter Erwägungsgrund).

41.      Es geht daher ausschließlich darum, „zu gewährleisten, dass der Umstrukturierungsprozess nicht eine dauerhafte Schädigung des Wettbewerbs verursacht“; dies erfordert Regelungen „für solche Zusammenschlüsse …, die geeignet sind, wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich zu beeinträchtigen“ (fünfter Erwägungsgrund).

42.      Die Kontrolle, die dieses Ergebnis ermöglicht, muss folglich in dem Sinne selektiv sein, dass sie zwar die Effektivität des Wettbewerbs gegenüber Zusammenschlüssen, die ihn schädigen, gewährleistet, gleichzeitig aber nicht den Anreiz für solche nimmt, die ihn fördern. Letztendlich wird nur bezweckt, Zusammenschlüsse zu verhindern, die nicht mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind (Art. 2 der Verordnung Nr. 139/2004) (12).

b)      Die Nachprüfungsbefugnisse der Kommission im Zusammenschlussverfahren

43.      Zweitens sind, was die Befugnisse der Kommission betrifft, diese Kontrollen nur möglich, wenn ihr weitgehende Befugnisse im Hinblick auf das Einholen von Auskünften von den Unternehmen und die Inspektionen zugewiesen werden (34. und 38. Erwägungsgrund). Es ist aber auch Sorge dafür zu tragen, dass ihre Ausübung nicht zu Kontrollen führt, die so scharf sind, dass sie Zusammenschlüsse, die die Dynamik des Wettbewerbs begünstigen können, verhindern.

44.      Bei der Ausübung der ihr zugewiesenen Befugnisse hat die Kommission in jedem Fall den Grundsatz der Transparenz zu beachten, nach dem „alle Entscheidungen der Kommission, die nicht rein verfahrensrechtlicher Art sind, auf breiter Ebene bekannt gemacht werden“ sollten (42. Erwägungsgrund). Jedoch wird im 42. Erwägungsgrund nach dem Hinweis darauf, dass „Verteidigungsrechte der beteiligten Unternehmen, insbesondere [das Recht] auf Akteneinsicht“, zu wahren sind, hervorgehoben, dass „der Schutz von Geschäftsgeheimnissen“ unerlässlich ist und „[d]ie Vertraulichkeit der innerhalb des Netzes[(13)] sowie mit den zuständigen Behörden von Drittländern ausgetauschten Informationen … gleichfalls gewahrt werden“ sollte.

45.      Auf der Grundlage dieser allgemeinen Prinzipien wird durch die Verordnung eine Regelung zur Kontrolle von Zusammenschlüssen geschaffen, nach der die Kommission alle Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung „auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt“ prüfen (Art. 2 Abs. 1) und dabei „a) die Notwendigkeit, im Gemeinsamen Markt wirksamen Wettbewerb aufrechtzuerhalten und zu entwickeln, insbesondere im Hinblick auf die Struktur aller betroffenen Märkte und den tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerb durch innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft ansässige Unternehmen“ und „b) die Marktstellung sowie die wirtschaftliche Macht und die Finanzkraft der beteiligten Unternehmen, die Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer, ihren Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, rechtliche oder tatsächliche Marktzutrittsschranken, die Entwicklung des Angebots und der Nachfrage bei den jeweiligen Erzeugnissen und Dienstleistungen, die Interessen der Zwischen- und Endverbraucher sowie die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern diese dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert“, berücksichtigen muss (Art. 2 Abs. 1).

46.      Für diese Prüfung, die für die Erklärung, dass der Zusammenschluss mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, ausschlaggebend ist, kann die Kommission von den betroffenen Personen, Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verlangen, dass sie „alle erforderlichen Auskünfte“ erteilen (Art. 11 Abs. 1), sowie die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten ersuchen, „diejenigen Nachprüfungen [vorzunehmen], die die Kommission … für angezeigt hält“, oder sie selbst vornehmen. In Art. 13 Abs. 2 der Fusionskontrollverordnung wird spezifiziert, dass ihre Bediensteten „befugt [sind], … b) die Bücher und sonstigen Geschäftsunterlagen … zu prüfen, c) Kopien oder Auszüge gleich in welcher Form aus diesen Büchern und Geschäftsunterlagen anzufertigen oder zu verlangen … [und] e) von allen Vertretern oder Beschäftigten des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung Erläuterungen zu Sachverhalten oder Unterlagen zu verlangen, die mit Gegenstand und Zweck der Nachprüfung in Zusammenhang stehen, und ihre Antworten aufzuzeichnen“.

47.      Zur Sicherstellung der Zusammenarbeit der Unternehmen mit der Kommission sehen die Art. 14 und 15 der Fusionskontrollverordnung die Festsetzung von Geldbußen und Zwangsgeldern gegen diejenigen vor, die sich einer Nachprüfung oder der Erteilung von Auskünften widersetzen oder unrichtige oder irreführende Auskünfte erteilen.

c)      Die Garantien gegenüber der Wahrnehmung der Nachprüfungsbefugnisse

48.      Die oben beschriebenen Befugnisse der Kommission stellen, wie leicht feststellbar ist, ein Bündel von als exorbitant zu qualifizierenden Befugnissen dar, die die betroffenen Unternehmen in eine ausgesprochen schwierige Situation versetzen, da sie einer Nachprüfung der Interna ihrer Tätigkeit offen ausgesetzt sind und sich ihr nicht entziehen können, ohne dass dies schwerwiegende Folgen nach sich zieht. Insoweit ist, worauf die Kommission hinweist, hervorzuheben, dass im Unterschied zu den öffentlichen Ausschreibungen die betroffenen Unternehmen bei den Zusammenschlüssen nicht frei entscheiden können, ob sie sich den vorgegebenen Verfahren unterziehen, sondern dass sie hierzu auch gegen ihren Willen verpflichtet werden können.

49.      Hinzuzufügen ist, dass es sich hier im Gegensatz zur repressiven Kontrolle restriktiver Wettbewerbspraktiken um ein präventives Kontrollverfahren handelt, das mithin nicht auf ein mutmaßlich rechtswidriges Verhalten zurückgeht.

50.      Nachprüfungsbefugnisse mit einem solchen Umfang und derartigen Konsequenzen können nur akzeptiert werden, wenn sie für die Erreichung des von der Kommission verfolgten legitimen Ziels erforderlich sind. Daher ist es erforderlich, dass die von den Unternehmen eingeholten Auskünfte ausschließlich zum Zweck einer ordnungsgemäßen Prüfung des Zusammenschlusses verwendet werden können, deren Ziel letztendlich darin besteht, festzustellen, ob er mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist. Der Zusammenhang zwischen den eingeholten Auskünften und dem Ziel, dessen Erreichung die Verpflichtung der Unternehmen rechtfertigt, alle angeforderten Auskünfte zu erteilen, muss unteilbar sein. Anderenfalls würden die Unternehmen zu einer Transparenz verpflichtet, die mit ihrem Fortbestehen als Träger der im Wettbewerb stehenden wirtschaftlichen Tätigkeit unvereinbar sein könnte. Dadurch könnte sogar der Bereich ihres Privatlebens berührt werden, denn dieser Begriff ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK(14) auf wirtschaftliche Tätigkeiten juristischer Personen anwendbar.

51.      Dieser Standpunkt kommt auch in der Fusionskontrollverordnung zum Ausdruck, die in Art. 17 Abs. 1 bestimmt, dass „[d]ie bei Anwendung dieser Verordnung erlangten Kenntnisse … nur zu dem mit der Auskunft, Ermittlung oder Anhörung verfolgten Zweck verwertet werden [dürfen]“.

52.      Art. 17 Abs. 2 sieht vor, dass „[u]nbeschadet des Art. 4 Abs. 3 sowie der Art. 18 und 20 die Kommission und die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sowie ihre Beamten und sonstigen Bediensteten, alle sonstigen, unter Aufsicht dieser Behörden handelnden Personen und die Beamten und Bediensteten anderer Behörden der Mitgliedstaaten verpflichtet [sind], Kenntnisse nicht preiszugeben, die sie bei Anwendung dieser Verordnung erlangt haben und die ihrem Wesen nach unter das Berufsgeheimnis fallen“; gemäß Art. 17 Abs. 3 steht dies „der Veröffentlichung von Übersichten oder Zusammenfassungen, die keine Angaben über einzelne Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen enthalten, nicht entgegen“.

53.      Die von der Kommission eingeholten Auskünfte hängen daher eng mit den Zielen der Prüfung des Unternehmenszusammenschlusses zusammen und unterliegen einem Grundsatz der Zurückhaltung bei ihrer Verbreitung.

54.      Tatsächlich bin ich der Auffassung, dass die Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 der Fusionskontrollverordnung weitgehend überflüssig ist, denn das Verbot des Ermessensmissbrauchs würde bereits für sich für die Annahme ausreichen, dass die auf diese Weise eingeholten Auskünfte ausschließlich zu dem Zweck verwendet werden dürfen, der sie rechtfertigt, ohne Abweichungen im Dienst anderer Interessen zu erlauben(15). Das Beispiel des richterlichen Abhörbeschlusses zur Verfolgung einer bestimmten Straftat ist insoweit, unter Beachtung aller Unterschiede, sehr anschaulich.

55.      Nach diesen Feststellungen können wir bereits zu den Rügen der Kommission hinsichtlich des Irrtums, den das Gericht begangen haben soll, als es für jedes Dokument, dessen Veröffentlichung geeignet gewesen sein soll, die geschäftlichen Interessen von PKN Orlen zu beeinträchtigen, eine individualisierte Rechtfertigung der Zurückweisung verlangte, übergehen.

2.      Die Rechtfertigung der auf den Schutz der geschäftlichen Interessen gestützten Ausnahme

56.      Aus den verschiedenen Urteilen des Gerichtshofs auf diesem Gebiet ergibt sich bereits eine Rechtsprechung zu den Ausnahmen vom Recht auf Zugang und ihre Rechtfertigung(16).

57.      Hier ist an erster Stelle die Rechtsprechung des Gerichtshofs von Bedeutung, nach der allgemeine Vermutungen im Zusammenhang mit bestimmten Kategorien von Dokumenten zulässig sind(17). Konkret hinsichtlich derjenigen Dokumente, für die im Hinblick auf das Verfahren, in dem sie verwendet werden, eine spezifische Regelung über den Zugang besteht. Das Bestehen dieser Regelung erlaubt grundsätzlich die Vermutung, dass die Verbreitung dieser Dokumente das Ziel, dem diese Verfahren dienen, berühren kann. Der Gerichtshof hat insbesondere in dem Urteil Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnrn. 55 bis 61, festgestellt, dass sich eine allgemeine Vermutung dieser Art aus den Bestimmungen über die Beihilfeverfahren ergeben kann(18).

58.      Da diese Bestimmungen nur ein Recht des für die Gewährung der Beihilfe verantwortlichen Mitgliedstaats auf Einsicht in die Dokumente der Verwaltungsakte begründen, hat der Gerichtshof festgestellt, dass dieser Umstand „bei der Auslegung der Ausnahmeregelung nach Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 zu berücksichtigen“ ist, denn wären andere Beteiligte „in der Lage, auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1049/2001 den Zugang zu den Dokumenten der Verwaltungsakte der Kommission zu erhalten, wäre das System der Kontrolle staatlicher Beihilfen gefährdet“(19).

59.      Eine allgemeine Vermutung derselben Art wurde auch – mit identischer Begründung und denselben Folgen für die Auslegung der Verordnung Nr. 1049/2001 – in Bezug auf im Rahmen von Verfahren vor dem Gerichtshof eingereichte Schriftsätze bejaht(20). 

60.      Es geht unter keinen Umständen um eine Vermutung iuris et de iure, denn „[d]iese allgemeine Vermutung schließt nicht das Recht für die … Beteiligten aus“ (also derjenigen, die kein Recht auf Zugang zu den Dokumenten im Kontrollverfahren haben), „darzulegen, dass diese Vermutung für ein bestimmtes Dokument … nicht gilt oder dass … ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung des betreffenden Dokuments besteht“ (21).

61.      Die Vermutung schließt daher nicht von vornherein den Zugang zu dem Dokument aus, auf das sie sich bezieht. Sie ermöglicht es schlicht und einfach dem Organ, den Zugang aus prinzipiellen Gründen zu verweigern, die sich aus einer besonderen Regelung für den betreffenden Dokumententypus ergeben. Und sie erhöht den erforderlichen Grad der Begründetheit des Zugangsantrags, der notwendigerweise auf ein überwiegendes öffentliches Interesse und nicht nur auf ein rein privates Interesse gestützt werden muss.

62.      Jedenfalls erfordert die Feststellung, dass ein Dokument unter die Kategorie fällt, für die die Vermutung gilt, auch eine spezifische Begründung. Mit den Worten des Gerichtshofs muss sich das Organ „in jedem Einzelfall vergewissern, ob die allgemeinen Erwägungen, die normalerweise für einen bestimmten Dokumententypus gelten, tatsächlich auf das betreffende Dokument Anwendung finden, dessen Verbreitung beantragt wird“(22). Das heißt, ob es tatsächlich der allgemeinen Kategorie von Dokumenten zuzuordnen ist, für die diese allgemeine Vermutung gilt, mithin also, soweit es hier von Belang ist, ob es sich um ein Dokument in einer Akte handelt, für die aufgrund spezifischer Verordnungen spezifische Zugangsregeln gelten.

63.      Meiner Ansicht nach lässt sich diese Rechtsprechung ohne Weiteres auf den Schutz der geschäftlichen Interessen jedenfalls im konkreten Fall von Dokumenten, die im Rahmen von Zusammenschlussverfahren erstellt wurden, übertragen(23).

64.      Wie die Verordnung Nr. 659/1999 für staatliche Beihilfen sieht die Verordnung Nr. 139/2004 für Zusammenschlüsse ein Verwaltungskontrollverfahren vor, mit dem ein grundlegendes Ziel der Union verfolgt wird, nämlich die Gewährleistung des Wettbewerbs im Binnenmarkt.

65.      Beide Verordnungen finden ihre rechtliche Stütze im Dritten Teil Titel VII (Gemeinsame Regeln betreffend Wettbewerb, Steuerfragen und Angleichung der Rechtsvorschriften) Kapitel 1 (Wettbewerbsregeln) des AEUV. Daran wird deutlich, dass sie einem gemeinsamen Zweck dienen, den die Verordnung Nr. 1/2003(24) mit ihnen teilt und der darin besteht, die Erreichung eines der Ziele, die dem Bestehen der Union zugrunde liegen, zu ermöglichen. Es darf nicht vergessen werden, dass sich die Union auf die in Art. 2 EU verankerten Werte stützt, sich aber auch den in Art. 3 EU genannten Zielen verpflichtet hat, unter denen, soweit es hier von Bedeutung ist, die Errichtung eines Binnenmarkts und „die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage [einer] in hohem Maße wettbewerbsfähige[n] soziale[n] Marktwirtschaft …“ (Art. 3 Abs. 3 EU) hervorzuheben sind. Zur Verwirklichung dieser Ziele weist Art. 3 Abs. 1 Buchst. b AEUV der Union die ausschließliche Zuständigkeit für die „Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Wettbewerbsregeln“ zu, und gerade um eine effektive Kontrolle von Zusammenschlüssen aus der Sicht des Wettbewerbs zu ermöglichen, wurde das Rechtsinstrument entwickelt, das in der Fusionskontrollverordnung seinen Niederschlag gefunden hat.

66.      Aufgrund dessen sind die Gründe, die bei den staatlichen Beihilfen die Integrierung der in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 geregelten Ausnahmen mit den spezifischen Bedingungen des Zugangs zu Dokumenten nach der Verordnung Nr. 659/1999 rechtfertigen, auch auf die Fusionskontrollverordnung anzuwenden, deren Zugangsvoraussetzungen ebenfalls dazu dienen müssen, diese Bestimmung mit Inhalt auszufüllen.

67.      Nach meinem Lösungsansatz ist der Schutz der geschäftlichen Interessen als Grundlage für die in der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme vom Zugang im Licht der Fusionskontrollverordnung zu betrachten und liegt daher der allgemeinen Vermutung zugrunde, dass die Verbreitung der von einem Unternehmen der Kommission in einem Zusammenschlussverfahren zur Verfügung gestellten Dokumente seine geschäftlichen Interessen beeinträchtigen kann.

68.      Diese Vermutung ist auf sämtliche in diesem Verfahren erstellten Dokumente zu erstrecken, soweit sie aus der Sicht der Tätigkeit und der geschäftlichen Interessen des Unternehmens, das von dem Verfahren betroffen ist, sensible Informationen enthalten können. Dies gilt selbstverständlich nur für den Teil der Dokumente, auf den dieser Umstand zutrifft.

69.      Demzufolge hat die Kommission Recht, wenn sie die Ansicht vertritt, dass das Gericht die Ausnahme im Hinblick auf den Schutz geschäftlicher Interessen falsch ausgelegt hat.

3.      Die übrigen Ausnahmen

70.      Was zunächst die Verbreitung von Rechtsgutachten betrifft, hat der Gerichtshof bereits ausgeführt, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 „grundsätzlich eine Verpflichtung zur Verbreitung der Stellungnahmen des Juristischen Dienstes des Rates zu Gesetzgebungsverfahren [aufstellt]“(25), wenngleich die Möglichkeit, sie zu verweigern, nicht ausgeschlossen wird, wenn es sich um Rechtsgutachten handelt, die „besonders sensibel“ oder „von besonders großer Tragweite …, die über das betreffende Gesetzgebungsverfahren hinausgeht, sind“; in diesem Fall „müsste das betreffende Organ die Verweigerung substantiiert begründen“(26).

71.      Zu Gutachten, die im Rahmen von Verwaltungsverfahren erstattet worden sind, hat der Gerichtshof in der Rechtssache Schweden/MyTravel und Kommission, Randnrn. 109 bis 119, auf derselben Linie entschieden.

72.      Im vorliegenden Fall, in dem nach meinen bisherigen Ausführungen der Schutz der geschäftlichen Interessen den Kern der Streitfrage darstellt, ist nicht so sehr die Form oder die rechtliche Einordnung der begehrten Dokumente entscheidend, sondern der Umstand, dass sie materiell oder substanziell aus der Sicht dieser Interessen relevante Informationen enthalten. Es ist daher Sache des Gerichts als Tatsachengericht, festzustellen, bis zu welchem Punkt die im Rahmen des Zusammenschlussverfahrens erstellten Verwaltungsdokumente im Hinblick auf die geschäftlichen Interessen des betroffenen Unternehmens sensible Informationen enthalten.

4.      Abschließend: der Schutz der geschäftlichen Interessen insbesondere hinsichtlich abgeschlossener Verfahren

73.      Wirkt sich der Umstand, dass das Zusammenschlussverfahren bereits abgeschlossen ist, auf die vorstehenden Feststellungen aus?

74.      In der Rechtssache MyTravel hat der Gerichtshof zu den Auswirkungen des Umstands, dass das Verfahren, zu dem das in Rede stehende Dokument gehört, durch Erlass der entsprechenden Entscheidung abgeschlossen wurde, auf einen Antrag auf Zugang zu Dokumenten Stellung genommen. Nach Ansicht des Gerichtshofs verpflichtet die Beendigung des Verfahrens nicht per se zur Verbreitung des Dokuments, wenngleich die Verweigerung des Zugangs in diesem Fall besonders gerechtfertigt sein muss(27).

75.      Auf der Linie mit diesem Standpunkt könnte man davon ausgehen, dass die Frage, die ich soeben gestellt habe, zu bejahen ist, wenngleich dies nach meiner Ansicht nur für Dokumente gilt, deren Daseinsberechtigung gerade auf die Findung der Entscheidung, auf die das Verfahren gerichtet ist, zurückgeht. Nach Abschluss des Verfahrens kann der Zugang zu den Dokumenten, die in seinem Rahmen zum Zweck des Erlasses einer endgültigen und abschließenden Entscheidung erstellt wurden, definitionsgemäß den Ausgang des Verfahrens und damit auch die abschließende Entscheidung nicht mehr gefährden. Daher sind die Rechtsgutachten und die internen Dokumente, deren Herausgabe die Kommission verweigert hat, aus dieser Perspektive zu beurteilen.

76.      Die geschäftlichen Interessen, auf deren Schutz die Verweigerung des Zugangs zu den übrigen von Agrofert beantragten Dokumenten gestützt wird, erfordern meiner Ansicht nach jedoch eine bedeutende Relativierung.

77.      Naturgemäß enthalten die während des Verfahrens beigebrachten Dokumente immer Angaben, die sich auf die Umstände der Tätigkeit des Unternehmens zu dem für die Entscheidung der Kommission über die Vereinbarkeit des geprüften Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt maßgeblichen Zeitpunkt beziehen. Es handelt sich mithin um Angaben, die grundsätzlich einem „Alterungsprozess“, in jedem Fall aber auch einer „Aktualität“ unterliegen, deren zeitliche Geltung über die der rein administrativen oder internen Dokumente des Verfahrens hinausgehen kann.

78.      Meiner Ansicht nach stellt die zeitliche Ausdehnung des „sensiblen“ Charakters eines Dokuments ein grundlegendes Element der Struktur der in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmeregelung dar. So ist der Schutz der für den internen Gebrauch in einem Verfahren erstellten Dokumente gewährleistet (Abs. 3), solange das Verfahren nicht abgeschlossen ist; aber nur für diejenigen, die Stellungnahmen beinhalten, gilt der Schutz über den Abschluss des Verfahrens hinaus. In diesem zweiten Fall gilt die Ausnahme, wie alle Ausnahmen des Art. 4, „für den Zeitraum, in dem der Schutz aufgrund des Inhalts des Dokuments gerechtfertigt ist“ (Abs. 7). Gemäß Art. 4 Abs. 7 kann dieser Zeitraum höchstens 30 Jahre betragen. Er kann allerdings „erforderlichenfalls“ für drei Kategorien von Dokumenten verlängert werden: diejenigen, „die unter die Ausnahmeregelungen bezüglich der Privatsphäre oder der geschäftlichen Interessen fallen, und im Falle von sensiblen Dokumenten“ (Abs. 7).

79.      Die geschäftlichen Interessen verdienen daher im Rahmen der Zugangsregelungen nach der Verordnung Nr. 1049/2001 in zeitlicher Hinsicht einen höheren Grad an Schutz. Aufgrund dessen stellt im vorliegenden Fall die Beendigung des Zusammenschlussverfahrens für diese Art von Dokumenten, anders als für Dokumente anderer Natur wie insbesondere Rechtsgutachten und interne Stellungnahmen, nicht notwendig einen Wendepunkt dar.

80.      Was die Dokumente über Rechtsberatung und die von der Kommission im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen in einem Verfahren erstellten Dokumente (Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich und Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001) anbelangt, lässt sich die vom Gerichtshof in der Rechtssache Schweden/MyTravel und Kommission gefundene Lösung ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall anwenden.

81.      Ich bin daher der Ansicht, dass nach Abschluss des verwaltungsrechtlichen Zusammenschlussverfahrens der Schaden, der durch den Zugang zu reinen Verwaltungsdokumenten außerhalb der in der Fusionskontrollverordnung vorgesehenen Verfahren im Hinblick auf das mit diesem Verfahren verfolgte Ziel entstehen kann, nicht mehr vermutet werden kann.

82.      Selbstverständlich kann der Schaden auch nach Abschluss des Verfahrens in einem konkreten Fall entstehen, aber es kann nicht ohne Weiteres von ihm ausgegangen werden, so dass er im Einzelfall nachgewiesen werden muss, ohne dass die Möglichkeit des Rückgriffs auf eine auf die Rechtsnatur und die Ziele eines bereits abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens gestützte allgemeine Vermutung besteht.

83.      Aufgrund all dessen bin ich der Ansicht, dass dem zweiten Rechtsmittelgrund, der darauf gestützt ist, dass das Gericht die Ausnahmeregelung in der Verordnung Nr. 1049/2001 falsch ausgelegt hat, teilweise stattzugeben ist.

C –    Erster Rechtsmittelgrund: die angeblich falsche Auslegung der Verordnung Nr. 139/2004

84.      Der erste Rechtsmittelgrund wird im Wesentlichen auf die falsche Auslegung der Verordnung Nr. 139/2004 und ihre Folgen für die Auslegung der Ausnahme des Schutzes der geschäftlichen Interessen gestützt. Nachdem ich vorgeschlagen habe, dem zweiten Rechtsmittelgrund gerade wegen einer falschen Auslegung der auf den Schutz der geschäftlichen Interessen gestützten Ausnahme stattzugeben, bin ich der Ansicht, dass eine Stellungnahme zum ersten Rechtsmittelgrund nicht erforderlich ist.

VI – Zur abschließenden Entscheidung des Gerichtshofs über den Rechtsstreit

85.      Art. 61 der Satzung des Gerichtshofs bestimmt: „Ist das Rechtsmittel begründet, so hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.“

86.      Meiner Ansicht nach kann der Gerichtshof den Rechtsstreit hier selbst endgültig entscheiden. In dem Umfang, in dem ich vorschlage, dem Rechtsmittel stattzugeben, ist die beim Gericht angefochtene Entscheidung der Kommission insoweit für nichtig zu erklären, als in ihr nicht konkret und individuell die Verweigerung des Rechts auf Zugang zu denjenigen juristischen und internen Dokumenten gerechtfertigt wird, die nicht von der in der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen, auf den Schutz der geschäftlichen Interessen gestützten Ausnahme umfasst sind.

VII – Kosten

87.      Ich schlage dem Gerichtshof angesichts der vorgeschlagenen Lösung vor, gemäß Art. 69 §§ 3 und 4 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs die Parteien und ihre Streithelfer zur Tragung ihrer eigenen Kosten zu verurteilen.

VIII – Ergebnis

88.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

dem zweiten Rechtsmittelgrund, der auf die falsche Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 in Verbindung mit dem Schutz der geschäftlichen Interessen gestützt ist, und damit dem Rechtsmittel teilweise stattzugeben und infolgedessen:

1.         das Urteil des Gerichts vom 7. Juli 2010, Agrofert Holding/Kommission (T‑111/07), mit dem die Entscheidung der Kommission vom 13. Februar 2007, mit der der Zugang zu den Dokumenten in einem Fusionskontrollverfahren gemäß der Verordnung Nr. 139/2004 verweigert wird, für nichtig erklärt wird, aufzuheben;

2.         die Entscheidung der Kommission vom 13. Februar 2007, mit der der Zugang zu den Dokumenten in einem Fusionskontrollverfahren gemäß der Verordnung Nr. 139/2004 verweigert wird, für nichtig zu erklären, soweit in ihr nicht konkret und individuell die Verweigerung des Rechts auf Zugang zu denjenigen juristischen und internen Dokumenten gerechtfertigt wird, die nicht von der in der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen, auf den Schutz der geschäftlichen Interessen gestützten Ausnahme umfasst sind;

3.         die Parteien und die Streithelfer zur Tragung ihrer eigenen Kosten zu verurteilen.


1 – Originalsprache: Spanisch.


2 – T‑111/07.


3 – ABl. L 145, S. 43.


4 – ABl. L 24, S. 1.


5 – Zu den Autoren, die die Bedeutung dieser Rechtssache als neuen Schritt im Entstehungsprozess der Rechtsprechung, der mit den Urteilen vom 29. Juni 2010, Technische Glaswerke Ilmenau (C‑139/07 P, Slg. 2010, I‑5885) und Bavarian Lager (C‑28/08 P, Slg. 2010, I‑6055), eingeleitet wurde, hervorgehoben haben, zählen beispielsweise Idot, L., „Le règlement nº 1049/2001 doit-il s´appliquer aux ‚procédures concurrence‘? – À propos des affaires Technische Glaswerke Ilmenau, Odile Jacob et Agrofert“, in Europe Nr. 10, Oktober 2010, étude 11, und Goddin, G., „Recent Judgments Regarding Transparency and Access to Documents in the Field of Competition Law: Where Does the Court of Justice of the EU Strike the Balanc“, in Journal of European Competition Law & Practice, 2011, Bd. 2, Nr. 1, S. 10 bis 23.


6 – Bei diesen internen Dokumenten handelt es sich, soweit es hier von Bedeutung ist, um: einen Vermerk über eine Konsultation zwischen Dienststellen, der einen Entscheidungsvorschlag zur Zustellung enthielt (Dokument Nr. 2), eine Antwort des juristischen Diensts auf diesen Vermerk (Dokument Nr. 3), eine E-Mail-Korrespondenz zwischen der zuständigen Dienststelle und dem Juristischen Dienst im Zusammenhang mit diesem Vorschlag (Dokument Nr. 4) und die Antworten der von dem Vermerk über die Konsultation betroffenen Dienststellen (Dokument Nr. 5).


7 – Urteil vom 21. Juli 2011, Schweden/MyTravel und Kommission (C‑506/08 P, Slg. 2011, I‑6237).


8 – Jetzt Art. 15 AEUV.


9 – In diesem Sinne Urteil Schweden/ MyTravel, Randnr. 72.


10 – Dieser Aspekt wurde im Urteil Bavarian Lager, Randnr. 54, hervorgehoben.


11 – Diese Bestimmung ist neben den geschäftlichen Interessen nur auf die Privatsphäre und „sensible Dokumente“ anwendbar.


12 – Zur sachlichen Beurteilung der Zusammenschlüsse aus Sicht ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt, Bellamy & Child, European Community Law of Competition, 6. Aufl., 2008, S. 183 ff.


13 – Es handelt sich um ein von der Kommission und den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten gebildetes „Netz von Behörden“, die „ihre jeweiligen Zuständigkeiten in enger Zusammenarbeit durch effiziente Regelungen für Informationsaustausch und Konsultation wahrnehmen, um sicherzustellen, dass jeder Fall unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips von der für ihn am besten geeigneten Behörde behandelt wird“ (14. Erwägungsgrund der Fusionskontrollverordnung).


14 – Statt aller, Urteil vom 16. Februar 2000, Amann/Schweiz, Recueil 2000-II, § 65.


15 – Eine Maßnahme ist nur dann ermessensmissbräuchlich, wenn „sie ausschließlich oder zumindest hauptsächlich zu anderen als den angegebenen Zwecken oder mit dem Ziel erlassen worden ist, ein Verfahren zu umgehen, das der Vertrag speziell vorsieht, um die konkrete Sachlage zu bewältigen“ (Urteil vom 7. September 2006, Spanien/Rat, C‑310/04, Slg. 2006, I‑7285, Randnr. 69). Meiner Ansicht nach gilt dies auch, wenn sie zwar rechtmäßig erlassen wurde, um ein Ziel zu erreichen, später jedoch für ein anderes und gegebenenfalls auch rechtmäßiges Ziel verwendet wird, das jedoch auf einer anderen Rechtsgrundlage beruht.


16 – Für eine Darstellung der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf diesem Gebiet statt aller, Guichot, E., Transparencia y acceso a la información en el Derecho europeo, Cuadernos Universitarios de Derecho Administrativo, Sevilla, 2011.


17 – Urteile vom 1. Juli 2008, Schweden und Turco/Rat (C‑39/05 P und C‑52/05 P, Slg. 2008, I‑4723, Randnr. 50), Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 54, und vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission (C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, Slg. 2010, I‑8533, Randnr. 74).


18 – Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [88 EG] (ABl. L 83, S. 1).


19 – Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 58. Mit einem anderen Titel (das Recht auf Zugang aufgrund der Verordnung Nr. 1049/2001) würde man materiell dasselbe Ergebnis erreichen, das ein spezifischer Titel (das Recht auf Zugang aus der Verordnung Nr. 659/1999) nur einem konkreten Beteiligten ermöglicht (der für die Beihilfe verantwortliche Mitgliedstaat). Dieses Ergebnis ist nicht nur inkohärent gegenüber der Gesamtheit des Normensystems der Union, sondern würde auch bedeuten, dass der Geist der Transparenz, dem die Verordnung Nr. 1049/2001 dient, in „den Fällen, in denen die Gemeinschaftsorgane als Gesetzgeber tätig sind“, zum Ausdruck käme, während die „Dokumente, die die Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen betreffen, … dem Bereich der Verwaltungsaufgaben zuzuordnen [sind], die den Gemeinschaftsorganen durch Art. 88 EG eigens zugewiesen sind“ (Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 60).


20 – Schweden u. a./API und Kommission, Randnrn. 94 bis 100. Das Ziel des Gerichtshofs besteht in all diesen Fällen letztendlich in der Wahrung des vom Unionsgesetzgeber mit der Verordnung Nr. 1049/2001 und den sonstigen Verordnungen, die den Zugang zu Dokumenten in Verwaltungsakten konkret regeln, angestrebten Gleichgewichts. Ein Beispiel für dieses Bemühen des Gerichtshofs stellt die Lösung dar, die in dem Urteil Kommission/Bavarian Lager in einem Fall gefunden wurde, in dem eine ausgewogene Auslegung der Verordnung Nr. 1049/2001 gegenüber den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr (ABl. 2001, L 8, S. 1) erforderlich war.


21 – Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 62.


22 – Schweden und Turco/Rat, Randnr. 50.


23 – Auf dieser Linie u. a. Goddin, G., a. a. O., S. 22 f., und Idot, L., a. a. O., passim.


24 – Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1). Zu dem in dieser Verordnung geregelten Verfahren vgl. Wils, W. P. J., „EU Antitrust Enforcement Powers and Procedural Rights and Guarantees: The Interplay between EU Law, National Law, the Charter of Fundamental Rights of the EU and the European Convention on Human Rights“, in Concurrences, Mai 2011, und in World Competition, Bd. 34, Nr. 2, Juni 2011. Zugänglich unter http://ssrn.com/author=456087.


25 – Schweden und Turco/Rat, Randnr. 68.


26 – Schweden und Turco/Rat, Randnr. 69.


27 – Schweden/MyTravel und Kommission, Randnrn. 113 bis 119.